Übung des Verbrechens, für welches sie
verurtheilt worden; 19 pCt. sind erwiesene
Branntweinsäufer. Also ist 64 Mal auf
100 der Alkohol die direkte oder indirekte
Ursache der Verurtheilung — eine volle
Bestätigung der deutschen Statistik.
Die seit dem letzten Sturme vermißten
Ostender Fischerboote, über deren
Schicksal man sehr besorgt war, sind mit
starken Havarien heimgekehrt. Der Verlust
an Menschenleben durch jenen Sturm be
trägt an der belgischen Küste 20 Personen.
England.
Aus London wird der „Voss. Ztg."
telegraphisch gemeldet: „Die gestrigen, in
langen Auszügen hierher gedrahteten kräf-
tigen Entgegnungen der deutschen Presse
auf die deutschfeindlichen Artikel hiesiger
Blätter werden von den heutigen Morgen
blättern mit Stillschweigen übergangen.
Nicht allein in der Presse, sondern auch
im englischen Publikum bekundet sich eine
starke antideutsche Stimmung;
es sind bereits Anzeichen der Wiederkehr
der Deutschenhetze vorhanden, die Anfang
dieses Jahres herrschte. Einen wahren
Sturm der Entrüstung verursachte die
Zeitungsmeldung, daß ein deutscher Musiker
Sommer, der schon lange in England an
sässig ist, zum Kapellmeister der britischen
Grenadiergarde ernannt worden sei. Die
Ernennung wird heute in Abrede gestellt,
allein es scheint, daß sie infolge der feind
seligen Kritik rückgängig gemacht wurde.
Unter den gegenwärtigen gespannten Be
ziehungen zwischen Deutschland und Eng
land leidet natürlich die hiesige deutsche
Kolonie in erster Reihe."
Oesterreich-Ungar«.
Wien, 17. Okt. Der Exporteur Moritz
Litschke, ehemaliger antisemitischer Ge
meinderath, der 135 auf Firmen in
Deutschland gefälschte Wechsel auf 96 000
Mark begab, wurde zu vier Monaten
Arrest verurtheilt.
— Das Heirathen der Offi
ziere uuter Anknüpfung an eine H e i >
rathsan nonce in einer Zeitung ist,
wie die „Straßb. Ztg." mittheilt, vor nicht
langer Frist durch eine kaiserliche Kabinets
ordre verboten worden. Es wird darin
angekündigt, daß Offiziere, die auf diesem
Wege eine Heirath eingehen, den Abschied
halten würden.
— D i e Militär st rafprozeß-
o r d u n g , die jetzt dem Bundesrath zu-
gegaugen ist, wird, wie die „Köln. Ztg"
als sicher annimmt, bereits im Bundesrath
auf große Schwierigkeiten und
Abänderungsversuche stoßen.
Es müsse abgewartet werden, wie der
Entwurf aus dem Bundesrath heraus
kommt und der Oeffentlichkeit vorgelegt
werden wird. Bis jetzt sei über die
Ausgestaltung des Entwurfs ein dichter
Schleier ausgebreitet, und die Presse werde
im Interesse der Sache gut thun, auf
Versuche zu verzichten, diesen Schleier zu
lüften. Die „Köln. Ztg." spricht die
Hoffnung aus, daß im Bundesrat der
Grundsatz der maßgebende bleiben wird,
daß, wie für unsere Soldaten die beste
Waffe gerave gut genug ist, so auch für
sie das beste Rechtsverfahren das einzig
entscheidende sein darf. Der Soldat darf
nicht unter einem schlechter», weniger
Bürgschaften der Gerechtigkeit und Un
parteilichkeit bietenden Rechtsverfahren ab
geurtheilt werden, als ihm zu Theil wird,
sobald er seine Uniform abgelegt hat. Die
Gesichtspunkte in der Abwägung der
Eigenschaften solcher Berfahrungs-Bor-
schriften sind aber in erster Linie tech-
nischer, daß heißt hier also juristischer
Natur; es sei zu hoffen, daß gerade
im Bundesrath die mannigfachen ver
fehlten Borurtheile, die von
Offizieren gehegt werden, denen ein
Einblick in die Bedürfnisse gerechter und
gesicherter Rechtspflege mangelt, gründlich
beseitigt werden.
Auch der „Hamb. Corr." zweifelt, daß
die weitere Erledigung der Reformlage
einen leichten und glatten Verlauf nehmen
wird. Man wisse zwar, daß die Reform-
vorlage kommt, aber nicht, wie sie aus
sieht. Dem Blatte wird aus Berlin mit-
getheilt, der neue Kriegsminister
Generalleutnant v. Goßler, stehe in der
Frage der Militärgerichtsreform auf dem
selben Standpunkte wie sein Vorgänger im
Amt und wie der Reichskanzler. Des
Kaisers Bedenken gegen die neue Militär
strafprozeßordnung seien von Anfang an
sehr gering gewesen.
Ueber den B.auschwindel äußert
sich das Berliner Gewerbegericht
in einem Bericht an den Polizeipräsidenten
auf Grund dreijähriger Erfahrung u. a
wie folgt: Es tritt bei den Verhandlungen
des Gewerbegerichts sehr häufig hervor,
daß völlig zahlungsunfähige Personen als
Bauherren vorgeschoben sind und als solche
verklagt werden. Die Baustelle ist an
dieselben aufgelassen meist gegen ganz ge
ringe Anzahlung, zuweilen ohne daß sie
auch nur im Stande sind, den Stempel
zu bezahlen. Es kommt sogar vor, daß
sie noch baares Geld dazu erhalten, damit
sie ihren ehrlichen Namen hergeben. Für
die Baustellenverkäufer sowie Baugeldgeber
erscheint es vielfach am Vortheilhaftesten,
solche Personen als Bauherren zu ge
winnen, weil ihnen beliebig scharfe Be
dingungen gestellt werden können, wie sie
ein zahlungsfähiger Käufer nie eingehen
würde. Die Hintermänner finden dann
leicht Gelegenheit, zu einer für sie passenden
Zeit die Subhastation herbeizuführen und
die Arbeiter sowie Handwerker kommen
um ihr Geld. Das Gewerbegericht hat
in vielen Fällen den auf Lohn Klagenden
dadurch zu helfen gesucht, daß es aus der
Sachlage heraus die Haftung der Bau
geldgeber herauszukonstruiren suchte. —
Daß ein zahlungsfähiger Privat
mann sein Grundstück durch einen Mauer
meister bebauen läßt, ev. unter Zuhülfe
nahme des Hypothekenkredits, scheint die
Ausnahme. Auch das ein leistungs
fähiger Bauunternehmer auf Spekulation
baut mit der Absicht, bald weiter zu der
kaufen, erscheint nicht als Regel. Die
eigentliche treibende Kraft bei Errichtung
des Bauwerks scheinen bei der Mehrzahl
der Fälle die Baugeldgeber zu sein, die
aber nur als Hypothekargläubiger auftreten.
Der eigentliche Unternehmer vermeidet es,
Arbeitgeber zu sein.
Berlin, 17. Okt. Die Zunahme der
Unfälle bei Ausschachtungen, Kanalisations
bauten u. dgl. hat die T i e f b a u < B e >
rufsgenossenschaft veranlaßt, eine
Kommission einzusetzen, vie neue Vorschläge
zur Unfallverhütung, sowie zur Verschär-
sung der Vorschriften bei solchen Bauten
ausarbeiten soll. Auch die einschlägigen
Strafbestimmungen werden in Zukunft
strenger gehandhabt werden. Die meisten
Unfälle werden durch unvorsichtiges Fahren
der Mannschaft auf den Förderwagen und
durch das gefährliche Untergraben von Erd
reich zum Zwecke der Beschleunigung der
Arbeiten verursacht; einen wesentlichen
Theil ber Schuld trägt aber, nach den
übereinstimmenden Aussagen der Fachleute,
die allzubillige Uebernahme der Sub
missionen.
Der Arbeiter E. in Rixdorf erhielt
gestern den Besuch seines Bruders, der
steckbrieflich wegen Diebstahls verfolgt
wird. Er gewährte ihm auf seine Bitte
Obdach, hatte dies aber bitter zu bereuen.
Denn der Bruder stahl ihm Betten, An
züge und einen Regulator und versetzte
diese für 25 Mark. Die Sachen wurden
bei einem Pfandverleiher ermittelt, der
Dieb aber ist noch nicht gefaßt worden.
Groß-Gerau, 17. Oktbr. Bei einem
heute Mittag im Dornheimer Walde bei
Cassel abgehaltenen Treibjagen wurde
ein als Treiber betheiligter lljähriger
Knabe aus Dornheim erschossen.
Der Knabe soll, um sich vor dem Regen
zu schützen, mit einem über den Kopf ge
zogenen Sack im Gebüsch gesessen haben,
wo er von dem Jäger, der den verhäng-
nißvollen Schuß abgegeben hat, für ein
Stück Wild abgehalten wurde.
Celle, 16. Okt. In Folge der hier aus
gebrochenen Typhusepidemie hat die
königliche Polizeidirektion sich veranlaßt
gesehen u. a. anzuordnen, daß die Straßen
gossen und die Einfallschächte der Kanali
sation durch fortgesetzte Desinfektion geruch
los zuhalten sind und daß zum Trinken und
Reinigen des Eßgeschirrs rc. nur gekochtes
Wasser zu benutzen ist.
Meiningen, 17. Oct. Das Schwur-
gericht verurtheilte heute den Holzar-
beiter Steiner aus Steinach bei Sonne
berg wegen Mordes und Sittlichkeisver-
brechen, begangen an einer geisteskranken
Frau zum Tode und 2 Jahren Zuchthaus.
Aachen, 17. Octbr. Der Pförtner und
Aufseher des Stadtgartens, Otto
Mathai, ist flüchtig. Er ist beschuldigt,
eine Anzahl Knaben, die ohne Aufsicht den
Stadtgarten besuchten, in seine Dienst
wohnung gelockt und dort sich au ihnen
sittlich vergangen zu haben. Bis jetzt sind
sechs Opfer ermittelt.
Düsseldorf, 17. Oct. Auf der Gemarkung
der benachbarten Ortschaft Huckingen steckte
ein unbekannter Mann einen Strohhaufen
in Brand, legte sich inmitten der
Flammen nieder und erschoß sich dann
mittelst Revolver. Herbeieilende Leute
konnten der Flammen wegen die Leiche
des Mannes nicht bergen. Er verbrannte
bis zur Unkenntlichkeit.
Zu der Affäre des Lieutenants
von Brüsewitz in Karlsruhe wird
mitgetheilt, daß den Offizieren des „Tann
häuser", sowie auch der Besuch anderer
Wirthschaften für die nächsten 14 Tage
untersagt worden ist. Wie es scheint,
handelt es sich nur um die Offiziere des
Leib-Grenadier-Regiments. Als Grund
hierfür wird angegeben, daß man bei der
großen Aufregung, die im Publikum über
den Vorfall herrscht, Zusammenstöße zwi
schen Offizieren und Civilisten nicht als
ausgeschlossen betrachtet.
Heidelberg, 14. Oct. Ueber Tumulte
reichsländischer Rekruten, verübt
auf dem Transport nach norddeutschen
Garnisonen, berichtet man der „Kl. Pr." :
„Bei dem in der vorletzten Nacht von den
Reichslanden nach Darmstadt abgelassenen
Militärsonderzug kam es durch die Rekruten
zu ernsten Ausschreitungen. Viele von
ihnen waren betrunken. Der Tumult
brach schon vor Rastatt los; in der
dortigen Station und dem Wartesaal
wurde Alles demolirt, und es kostete die
Transporteure viel Mühe, die Mannschaften
wieder in die Eisenbahnwagen zu bringen.
Auch in Karlsruhe und Heidelberg kamen
ähnliche Ausschreitungen vor. Der Zug
wurde von ihnen zwischen Karlsruhe und
Heidelberg durch das Nothsignal gestellt.
In dom ganzen Zug zertrümmerten sie
die Glasscheiben, rissen die Schilder her
unter und schnitten die Riemen ab. Bon
Karlsruhe aus wurde telegraphisch auf
der Station Heidelberg militärische Hilfe
verlangt; die jedoch zu spät eingetroffene
Meldung mußte nach Darmstadt weiter-
gegeben werden. Hier war eine Batterie
Artillerie bereitgestellt, die jedoch keinen
Anlaß mehr zum Einschreiten hatte, da
inzwischen die Leute sich ausgetobt hatten
und die Ruhe wieder hergestellt war. In
Heidelberg wurde wegen der gefährlichen
Haltung der Mannschaften, die mit Gläsern
und Flaschen umherwarfen, das Zugpersonal
mit Revolvern ausgerüstet. Wie es heißt,
soll auch der Ruf: „Vive la France !‘i
wiederholt ausgestoßen worden sein."
Aus der Rheinpfa'z wird gemeldet:
Die Weinlese ist zum größten Theil vor
über. Seit Jahren ist der „Neue" nicht
so sauer gewesen wie dies Jahr. Der
Volksmund hat den 96er Li-Hung-
Tschang getauft. Der 94er, wie bekannt
auch ein minderwerthiger Wein, hatte den
Namen „Wei-Hei-Wei" erhalten.
Lübeck, 17. Oct. Zum Streik der
Arbeiter bei der Firma Carl
Thiel & Söhne ist noch zu berichten,
daß die von der Firma für gestern Stach,
mittag 3 Uhr vorgeschlagene Aussprache
nicht stattfand, weil weder die Commission
noch die Arbeiter erschienen waren. Dafür
gelangte gestern Abend um 6 Uhr an die
Firma ein Schreiben, ohne Ueberschrift
und ohne Namensunterschrift, worin mit
getheilt wird, daß zukünftige Verhandlungen
zwischen den Fabrikinhabern und den
Arbeitern nur durch eine von Letzteren
gewählte Streikcommission geführt würden
unv daß sich die Firma, wenn sie Ver
handlungen wünsche, an diese zu wenden
habe. — Ob auf solche Weise an einen
Ausgleich zu denken ist, erscheint sehr
zweifelhaft, da die Firma Carl Thiel &
Söhne inzwischen alle au dem Ausstand
betheiligten Arbeiter entlassen hat und fest
entschlossen ist, wegen Wiedereinstellnng in
jedem einzelnen Falle direkt zu verhandeln
und Anstellungsgesuche nur soweit zu
berücksichtigen, als Verwendung vorliegt.
Die Firma hat große Vorräthe, sodaß die
Lieferungen keine Verzögerung erleiden.
Bon den über 400 Ausständigen sind mehr
als 300 verheirathet. Die Bewegung richtet
sich lediglich gegen den hier gegründeten
Hirsch-Dnnker'schen Arbeiterverein und den
von diesem ins Leben gerufenen Arbeits
nachweis für die Metallarbeiter. Da aus
Thiel's Werk die meisten Metallarbeiter
beschäftigt sind, so hat man sich dieses aus
einem ganz nichtigen Grunde als Versuchs
object erkoren und den Streik inscenirt.
Lübeck, 17. Okt. In einer Arbeiterver-
versammlung wurde ein Beschluß gefaßt,
nach welchem sich die gesammte Arbeiter-'
schaff Lübecks für solidarisch erklärt mit
den 400 streikenden Arbeitern des Emaillir-
werkes von Carl Thiel & Söhne. Die
Fabrik wird polizeilich bewacht.
Der bekannte Graf Hoensbroech, welcher
aus dem Jesuitenorden ausgeschieden ist,
wird in Hamburg, am 27. d. Mts., im
„Konventgarten" einen öffentlichen Vortrag
halten.
Hamburg, 17. Okt. Eine neue Ska n -
dalafsäre beschäftigt zur Zeit die Ham-
burger Polizei. Eine in der Neustädter
Fuhlentwiete wohnende Kartenleger in,
welche sich nebenbei damit beschäftigt haben
soll, gut situirten Damen Mittel zu geben,
durch deren Anwendung sie sich des Ver
brechens gegen die §§ 213 und 219 des
Strafgesetzbuches schuldig gemacht, wurde
gestern verhaftet. Bei einer Durchsuchung
ihrer Wohnung wurde eine große Anzahl
Medikamente beschlagnahmt. Weitere Ver
haftungen in dieser Angelegenheit stehen
bevor.
In der Hauptstraße von Ritzebüttel, der
Nordersteinftraße, sieht's zur Zeit bös aus
— das Siel wird gebaut. Da meistens
6—7 m tief gegraben werden muß, kann
man sich vorstellen, welch ungeheure Erd-
massen sich auf der so schon schmalen
Straße ansammeln. Unbegreiflich ist es,
daß die Polizei dem Unternehmer nicht
auferlegt hat, sämmtliche Erdmassen abzu-
fahren. Jetzt thürmen sich die Massen bis
zur halben Höhe des Erdgeschosses auf,
die Trottoirs weichen, die
Häuser sacken! Und dabei ist die
Straße noch nicht zur Hälfte aufgegraben.
Droviuzielles.
Das Landgericht Altona verurtheilte
heute den bekannten Buchmacher Friedrich
Ritze aus Berlin wegen gewerbsmäßigen
Buchmachens auf der Rennbahn Bahren-
felo zu drei Monaten Gefängniß und 2000
Mark Geldstrafe, ev. weiteren 200 Tagen
Gefängniß.
In Sachen des Baues einer Eisenbahn
Altona—Scheueseld—Uetersen hatte das
in Uetersen gebildete Komitee in diesen
Tagen eine Audienz bei dem Eisenbahn-
Präsidenten Jungnickel in Altona. Es
erhielt von letzterem den Bescheid, daß der
Staat, weil es eine Konkurrenzbahn werden
würde, niemals seine Genehmigung zum
Ausbau dieser Strecke geben würde. Dadurch
gewinnt die Verwirklichung des Projekts
ber Linie Elmshorn—Uetersen—Wedel an
Wahrscheinlichkeit, daneben tritt allerdings
jetzt auch der Plan auf, die erstgenannte
Strecke als normalspurige Kleinbahn aus
zubauen.
-ff Itzehoe, 17. Okt. Heute Morgen
fand man in einem Grab«i der Paasch,
burg einen Mann, der sich durch einen
Revolverschuß in die Schläfe tödtliche Ver
letzungen beigebracht hat, so daß an seinem
Aufkommen gezweifelt wird. Bereits in
der Nacht zwischen 12 und 1 Uhr haben
Nachbarn 3 Schüsse knallen hören und ist
der Betreffende auch nach Angabe des
Arztes erst nach einigen Stunden nach Ab
gabe des Schusses aufgefunden. Es ist
ein aus Mecklenburg gebürtiger und augen
blicklich beim Kasernenbau beschäftigter
Arbeiter, welcher wegen Diebstahls, welchen
er aber leugnete, zu 14 Tagen Gefängniß
verurtheilt ist, und soll ihn dies auch zu
der unseligen That getrieben haben.
Der in letzter Nacht sich erschossene Ar-
beiter ist im Arbeits- und Verpflegungs
hause, wohin er geschafft wurde, bereits
gestorben. Gegen denselben sollte ebenfalls
ein Verfahren wegen Sittenverbrechens an
hängig gemacht, werden.
Die Voruntersuchung gegen das junge
Mädchen B. aus der Nähe von Tönning,
welches der vorsätzlichen Brandstiftung bei
der Frau Vollmacht Maßen in Lehe bei
Lunden angeklagt ist, ist in diesen Tagen
vor dem Amtsgericht in Lunden geschlossen.
Dasselbe ist jetzt aus Lunden an das Land-
gericht in Kiel übergeführt, um sich dort
später zu verantworten. Das erst 17 Jahre
alte Mädchen stammt aus guter Familie
und sind die Gründe der That unbekannt.
Vermischtes.
— „In der Kaschemme." Die „Ka
schemmen", deren es in Berlin verhältniß-
mäßig nur wenige giebt, sind im Gegensatz
zu den sogenannlen „Berbrecherkellern" oder
„Kaffeeklappen" neutrales Gebiet und g-
wisscrmaßeu international, das heißt, man
trifft in ihnen zwar ausschließlich Leute,
die mit den Strafgesetzen schon in Konflikt
gewesen, aber Spezialitäten jeder nur irgend
denkbaren Richtung und Nationalität, da sie
den Verbrechern, des Kontinents wenigstens,
als augenblicklicher ziemlich sicherer Zufluchts
ort genau bekannt sind. Sonst herrscht
unter den „Herren Verbrechern" ein sehr
stark ausgeprägter Kastengeist, und es kommt
zum Beispiel niemals vor, daß man in einem
und demselben „Verbrecherkeller" Taschen
diebe und Schränker (Einbrecher), Flatter-
fahrer «Wäsche- und Bodendiebe) und Ver
fertiger falscher Legitiniarionspapiere, Leichen
fledderer (Leute, die schlafende Personen aus
plündern) und Kaltmacher (Todtschläger),
Falschmünzer und einfache Gelegenheitsdiebc
zusammentrifft. Jede dieser ehrenwerthen
Verbrüderungen hat vielmehr ihre ganz be
sonderen Versammlungslokale, und ein richtiger
„schwerer Junge" würde es als die tödt-
lichste Beleidigung auffassen, wenn nian ihm
zumuthcn wollte, in einem Lokal, in welchem
harmlose Leichenfledderer verkehren, auch nur
eine Weiße zu trinken.
Alle die Verbrccherkeller sind natürlich der
Polizei genau bekannt, aber sie läßt sie be
stehen. Ist dann den im fortwährenden
Kampfe mit der menschlichen Gesellschaft be
griffenen lichtscheuen Gesellen irgend ein
großer Coup geglückt, so weiß die Polizei
genau, in welchem jener- Keller die Thäter
zu suchen und früher oder später auch sicher
zu treffen sind, flattert doch die Motte un
aufhörlich um das Licht, bis sie mit ver
sengten Flügeln zu Boden sinkt.
Möchte der freundliche Leser mich in eine
der „vornehmsten" Kaschemmen, im hohen
Norden, begleiten? Sie liegt in einem der
alten Häuser jenes Viertels — ich will, der
Nachbarschaft wegen, die Gegend nicht ge
nauer bezeichnen — und ist so beschaffen,
daß es fast den Anschein gewinnt, als ob
der Erbauer des Hauses die Spelunke eigens
zu dem Zwecke, welchem sie jetzt dient, er
baut habe. Eine ziemlich steile Treppe führt
etwa zehn Stufen hinunter und zwar so
daß die erste Stufe die der Besucher betritt,
etwas federt. Man muß achtsam sein, da
man sonst sehr leicht straucheln kann. Durch
das Betreten der ersten Stufe wird eine
hinter dem Büffet des Hauptzimmers an
gebrachte Klingel in Bewegung gesetzt, welche
den Herbergsvater durch einen nicht lauten,
aber schrillen Ton aufmerksam macht.
Als Gastzimmer dient ein langgestreckter,
niedriger, verräucherter Raum, welchem links
und rechts kleine Kabachen sich anschließen.
Hinten führt eine Thür nach dem Hofe,
eine zweite eine Treppe höher, woselbst drei
weitere ziemlich große Räume sich befinden.
In einem derselben stehen acht Betten, die
säst bis an die Decke bepackt sind, und zwar
sind auf zwei der Bettstellen Matratzen, auf
den anderen Strohsäcke aufgestapelt. Die
beiden anderen Räume sind leer. Diese drei
Zimmer dienen als Herberge und vermögen,
wenn's sein muß, hundert und mehr Per
sonen Unterkunft zu . gewähren. Je nach den
verfügbaren Geldmitteln kann der Gast eine
Schlafgelegenheit finden, und zwar für 50
Pf. ein Bett, für 25 Pf. eine Matratze aus
der Erde, für 15 Pf. einen Strohsack,
während für nur 5 Pf. die bloße Diele zur
Verfügung steht. An das Gebäude nach
dem Hofe zu, ist ein vorn offener Holz-
und Kohlenschuppen mit festem Dach,
welches an die Mauer des Nachborgrund
stücks stößt, angebaut; dieses Grundstück ist
ein Stätte- und Steinplatz und grenzt an
das freie Feld.
Es erhellt aus dieser Beschreibung, daß
die Schlafgäste sowohl wie die Besucher der
unteren Räume — in welchen übrigens aus
gezeichnet für die Bedürfnisse des Gaumens
und Magens gesorgt ist — bei einer un
liebsamen Ueberraschung sehr leicht das freie
Feld gewinnen können, und daß die Polizei,
wenn sie die „Kaschenime" einmal sich näher
ansehen will, nach einem richtigen Fcldzugs-
plan handeln und sehr unlfangreichc Ab-
sperrinaßregeln treffen muß. Für den Un
eingeweihten lst's übrigens, wie der arme
Schuster an seinem eigenen Leibe hat er
fahren müssen, nicht ganz ungefährlich, in
eine solche „Kaschemme" hinein zu gerathen.
Eine Kajserrcisc. Paul Güßfeld, der
ständige Begleiter des Kaisers auf seinen
Nordlandsreisen, veröffentlicht in der
„Deutschen Rundschau" eine Schilderung
der diesjährigen Fahrt des Herrschers nach
Norwegen, der wir zwei besonders inter
essante Parthien entnehmen. Eine Fahrt
der „Hohenzollern" in dichtem Nebel, die
anscheinend für das Schiff mie für seine
Insassen nicht ohne Gefahr war, und die
durch die frühern Berichte trotz deren Aus
führlichkeit nicht bekannt geworden ist, wird
in folgender Weise geschildert: „Wer ein
mal dickes Wetter auf See erlebt hat,
der weiß, was dieses Spiel der Sirenen
bedeutet. Wir waren in eine weite Nebel
bank eingetreten, welche glücklicheriveise in
vertikaler Richtung nicht sehr mächtig war.
Denn von Deck aus sah man zuweilen den
am Vormast angebrachten Scheinwerfer
der „Gefion"; die leicht verschleierte Sonne
hatte das Aussehen des Mondes und proji-
zirte ab und an unsere fahle» Schatten
auf das Deck. Der Nebel war kalt und
rief eine fröstelnde Empfindung hervor.
Dazu trat das Bewußtsein der Unsicherheit;
denn in horizontaler Richtung konnte man
kaum hundert Schritt weit sehen; wohl
aber erklangen auf beiden Seiten die
Nebelhörner naher Segelschiffe; auch die
Sirene eines weiter «b befindlichen Dampsers
wurde gehört. Plötzlich tauchte ein kleines,
mit Holz beladenes Fahrzeug längsseits
der „Hohenzollern", Steuerbord vorn, auf.
Nur wenige Fuß von der Schiffswandung
entfernt, bedrohte es mit seinem Bugspriet
die Gemächer des Kaisers. Gleichzeitig
ward an Backbord ein zweites Fahrzeug
sichtbar, zum Glück noch in etwa 20 bis
30 Fuß Entfernung. Der Zusammenstoß
wurde durch ein geschicktes und schnelles
Manöver vermieden. Auf dem Schiff ging
es lebhaft zu: alle Mannschaften ivaren
auf Deck gepfiffen, die gesammte Diener
schaft mußte militärisch antreten und wurde
von deut ersten Offizier für die Rettungs
boote eingetheilt, auch dem Gefolge wurde
ein bestimmter Kutter zugewiesen. Es waren
dies weise Vorsichtsmaßregeln, denn wenn
auch für das Kaiserschiff wohl nur geringe
Gefahr vorlag, so war sie doch immerhin
vorhanden, und wenn sie eintrat, so stand
mehr auf dem Spiele, als meine Phantasie
sich auszumalen getraut. Stach Ablauf vor
anderthalb Stunden wurde der Nebel lichter
und damit schwand auch das Gefühl de:
Beklemmung. Um 6 Uhr konnte man wiede
Land sehen — es war Jaederen, das flachst
Küstenstück ganz Norwegens ..." liebe
einen von dem Kaiser abgehaltenen Gottes
dienst lesen wir: „Die heilige Handlunc
vollzieht sich genau nach den Normen bet
evangelischen Landeskirche. Der Kaiser,
umgeben von seinem Gefolge, dem Stabe
und den Mannschaften der „Hohenzollern",
steht entblößten Hauptes vor dem auf Deck
errichteten Altar, über welchen die deutsche
Kriegsflagge mit dem Eisernen Kreuz ge<
breitet ist. Der Choral, „Ein' feste Burg
ist unser Gort" ertönt, getragen von den
Posaunen der Musik. Dann wird es wieder
still, und man hört n»cr den Ruderschlag
der norwegischen Boote, welche, angelockt
von der gottesdienstlichen Feier, das Schiff
umlagern. Der Kaiser verliest die Epistel
oes Sonntags, Vas Evangelium und ver>
kündigt in der Predigt das Wort Gottes.
Das Glaubensbekenntniß ist gesprochen;
von neuem setzt die Musik ein, die Klänge
des nieverlänüjfchcn Dankliedes für Er-
rettung aus FeindeShaud erschallen; mit
den Stimmen des Sängerchors vereinen
sich die Gläubigen; noch ein stummes Gebet
dann bedeckt der Kaiser sein Haupt,
und die Andacht har ihr Ende erreicht."
— Ein klassischer Patient. „Nun, haben
Sie, wie ich Ihnen verordnet, Ihr krankes
Bein ordentlich mit Branntwein einge
geben?" — „Ja-wohl, Herr Doktor! Zum
Teufel ist der Spiritus, das Rheuma ist
geblieben Ï" (Flieg. Bl.)