Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

Übung des Verbrechens, für welches sie 
verurtheilt worden; 19 pCt. sind erwiesene 
Branntweinsäufer. Also ist 64 Mal auf 
100 der Alkohol die direkte oder indirekte 
Ursache der Verurtheilung — eine volle 
Bestätigung der deutschen Statistik. 
Die seit dem letzten Sturme vermißten 
Ostender Fischerboote, über deren 
Schicksal man sehr besorgt war, sind mit 
starken Havarien heimgekehrt. Der Verlust 
an Menschenleben durch jenen Sturm be 
trägt an der belgischen Küste 20 Personen. 
England. 
Aus London wird der „Voss. Ztg." 
telegraphisch gemeldet: „Die gestrigen, in 
langen Auszügen hierher gedrahteten kräf- 
tigen Entgegnungen der deutschen Presse 
auf die deutschfeindlichen Artikel hiesiger 
Blätter werden von den heutigen Morgen 
blättern mit Stillschweigen übergangen. 
Nicht allein in der Presse, sondern auch 
im englischen Publikum bekundet sich eine 
starke antideutsche Stimmung; 
es sind bereits Anzeichen der Wiederkehr 
der Deutschenhetze vorhanden, die Anfang 
dieses Jahres herrschte. Einen wahren 
Sturm der Entrüstung verursachte die 
Zeitungsmeldung, daß ein deutscher Musiker 
Sommer, der schon lange in England an 
sässig ist, zum Kapellmeister der britischen 
Grenadiergarde ernannt worden sei. Die 
Ernennung wird heute in Abrede gestellt, 
allein es scheint, daß sie infolge der feind 
seligen Kritik rückgängig gemacht wurde. 
Unter den gegenwärtigen gespannten Be 
ziehungen zwischen Deutschland und Eng 
land leidet natürlich die hiesige deutsche 
Kolonie in erster Reihe." 
Oesterreich-Ungar«. 
Wien, 17. Okt. Der Exporteur Moritz 
Litschke, ehemaliger antisemitischer Ge 
meinderath, der 135 auf Firmen in 
Deutschland gefälschte Wechsel auf 96 000 
Mark begab, wurde zu vier Monaten 
Arrest verurtheilt. 
— Das Heirathen der Offi 
ziere uuter Anknüpfung an eine H e i > 
rathsan nonce in einer Zeitung ist, 
wie die „Straßb. Ztg." mittheilt, vor nicht 
langer Frist durch eine kaiserliche Kabinets 
ordre verboten worden. Es wird darin 
angekündigt, daß Offiziere, die auf diesem 
Wege eine Heirath eingehen, den Abschied 
halten würden. 
— D i e Militär st rafprozeß- 
o r d u n g , die jetzt dem Bundesrath zu- 
gegaugen ist, wird, wie die „Köln. Ztg" 
als sicher annimmt, bereits im Bundesrath 
auf große Schwierigkeiten und 
Abänderungsversuche stoßen. 
Es müsse abgewartet werden, wie der 
Entwurf aus dem Bundesrath heraus 
kommt und der Oeffentlichkeit vorgelegt 
werden wird. Bis jetzt sei über die 
Ausgestaltung des Entwurfs ein dichter 
Schleier ausgebreitet, und die Presse werde 
im Interesse der Sache gut thun, auf 
Versuche zu verzichten, diesen Schleier zu 
lüften. Die „Köln. Ztg." spricht die 
Hoffnung aus, daß im Bundesrat der 
Grundsatz der maßgebende bleiben wird, 
daß, wie für unsere Soldaten die beste 
Waffe gerave gut genug ist, so auch für 
sie das beste Rechtsverfahren das einzig 
entscheidende sein darf. Der Soldat darf 
nicht unter einem schlechter», weniger 
Bürgschaften der Gerechtigkeit und Un 
parteilichkeit bietenden Rechtsverfahren ab 
geurtheilt werden, als ihm zu Theil wird, 
sobald er seine Uniform abgelegt hat. Die 
Gesichtspunkte in der Abwägung der 
Eigenschaften solcher Berfahrungs-Bor- 
schriften sind aber in erster Linie tech- 
nischer, daß heißt hier also juristischer 
Natur; es sei zu hoffen, daß gerade 
im Bundesrath die mannigfachen ver 
fehlten Borurtheile, die von 
Offizieren gehegt werden, denen ein 
Einblick in die Bedürfnisse gerechter und 
gesicherter Rechtspflege mangelt, gründlich 
beseitigt werden. 
Auch der „Hamb. Corr." zweifelt, daß 
die weitere Erledigung der Reformlage 
einen leichten und glatten Verlauf nehmen 
wird. Man wisse zwar, daß die Reform- 
vorlage kommt, aber nicht, wie sie aus 
sieht. Dem Blatte wird aus Berlin mit- 
getheilt, der neue Kriegsminister 
Generalleutnant v. Goßler, stehe in der 
Frage der Militärgerichtsreform auf dem 
selben Standpunkte wie sein Vorgänger im 
Amt und wie der Reichskanzler. Des 
Kaisers Bedenken gegen die neue Militär 
strafprozeßordnung seien von Anfang an 
sehr gering gewesen. 
Ueber den B.auschwindel äußert 
sich das Berliner Gewerbegericht 
in einem Bericht an den Polizeipräsidenten 
auf Grund dreijähriger Erfahrung u. a 
wie folgt: Es tritt bei den Verhandlungen 
des Gewerbegerichts sehr häufig hervor, 
daß völlig zahlungsunfähige Personen als 
Bauherren vorgeschoben sind und als solche 
verklagt werden. Die Baustelle ist an 
dieselben aufgelassen meist gegen ganz ge 
ringe Anzahlung, zuweilen ohne daß sie 
auch nur im Stande sind, den Stempel 
zu bezahlen. Es kommt sogar vor, daß 
sie noch baares Geld dazu erhalten, damit 
sie ihren ehrlichen Namen hergeben. Für 
die Baustellenverkäufer sowie Baugeldgeber 
erscheint es vielfach am Vortheilhaftesten, 
solche Personen als Bauherren zu ge 
winnen, weil ihnen beliebig scharfe Be 
dingungen gestellt werden können, wie sie 
ein zahlungsfähiger Käufer nie eingehen 
würde. Die Hintermänner finden dann 
leicht Gelegenheit, zu einer für sie passenden 
Zeit die Subhastation herbeizuführen und 
die Arbeiter sowie Handwerker kommen 
um ihr Geld. Das Gewerbegericht hat 
in vielen Fällen den auf Lohn Klagenden 
dadurch zu helfen gesucht, daß es aus der 
Sachlage heraus die Haftung der Bau 
geldgeber herauszukonstruiren suchte. — 
Daß ein zahlungsfähiger Privat 
mann sein Grundstück durch einen Mauer 
meister bebauen läßt, ev. unter Zuhülfe 
nahme des Hypothekenkredits, scheint die 
Ausnahme. Auch das ein leistungs 
fähiger Bauunternehmer auf Spekulation 
baut mit der Absicht, bald weiter zu der 
kaufen, erscheint nicht als Regel. Die 
eigentliche treibende Kraft bei Errichtung 
des Bauwerks scheinen bei der Mehrzahl 
der Fälle die Baugeldgeber zu sein, die 
aber nur als Hypothekargläubiger auftreten. 
Der eigentliche Unternehmer vermeidet es, 
Arbeitgeber zu sein. 
Berlin, 17. Okt. Die Zunahme der 
Unfälle bei Ausschachtungen, Kanalisations 
bauten u. dgl. hat die T i e f b a u < B e > 
rufsgenossenschaft veranlaßt, eine 
Kommission einzusetzen, vie neue Vorschläge 
zur Unfallverhütung, sowie zur Verschär- 
sung der Vorschriften bei solchen Bauten 
ausarbeiten soll. Auch die einschlägigen 
Strafbestimmungen werden in Zukunft 
strenger gehandhabt werden. Die meisten 
Unfälle werden durch unvorsichtiges Fahren 
der Mannschaft auf den Förderwagen und 
durch das gefährliche Untergraben von Erd 
reich zum Zwecke der Beschleunigung der 
Arbeiten verursacht; einen wesentlichen 
Theil ber Schuld trägt aber, nach den 
übereinstimmenden Aussagen der Fachleute, 
die allzubillige Uebernahme der Sub 
missionen. 
Der Arbeiter E. in Rixdorf erhielt 
gestern den Besuch seines Bruders, der 
steckbrieflich wegen Diebstahls verfolgt 
wird. Er gewährte ihm auf seine Bitte 
Obdach, hatte dies aber bitter zu bereuen. 
Denn der Bruder stahl ihm Betten, An 
züge und einen Regulator und versetzte 
diese für 25 Mark. Die Sachen wurden 
bei einem Pfandverleiher ermittelt, der 
Dieb aber ist noch nicht gefaßt worden. 
Groß-Gerau, 17. Oktbr. Bei einem 
heute Mittag im Dornheimer Walde bei 
Cassel abgehaltenen Treibjagen wurde 
ein als Treiber betheiligter lljähriger 
Knabe aus Dornheim erschossen. 
Der Knabe soll, um sich vor dem Regen 
zu schützen, mit einem über den Kopf ge 
zogenen Sack im Gebüsch gesessen haben, 
wo er von dem Jäger, der den verhäng- 
nißvollen Schuß abgegeben hat, für ein 
Stück Wild abgehalten wurde. 
Celle, 16. Okt. In Folge der hier aus 
gebrochenen Typhusepidemie hat die 
königliche Polizeidirektion sich veranlaßt 
gesehen u. a. anzuordnen, daß die Straßen 
gossen und die Einfallschächte der Kanali 
sation durch fortgesetzte Desinfektion geruch 
los zuhalten sind und daß zum Trinken und 
Reinigen des Eßgeschirrs rc. nur gekochtes 
Wasser zu benutzen ist. 
Meiningen, 17. Oct. Das Schwur- 
gericht verurtheilte heute den Holzar- 
beiter Steiner aus Steinach bei Sonne 
berg wegen Mordes und Sittlichkeisver- 
brechen, begangen an einer geisteskranken 
Frau zum Tode und 2 Jahren Zuchthaus. 
Aachen, 17. Octbr. Der Pförtner und 
Aufseher des Stadtgartens, Otto 
Mathai, ist flüchtig. Er ist beschuldigt, 
eine Anzahl Knaben, die ohne Aufsicht den 
Stadtgarten besuchten, in seine Dienst 
wohnung gelockt und dort sich au ihnen 
sittlich vergangen zu haben. Bis jetzt sind 
sechs Opfer ermittelt. 
Düsseldorf, 17. Oct. Auf der Gemarkung 
der benachbarten Ortschaft Huckingen steckte 
ein unbekannter Mann einen Strohhaufen 
in Brand, legte sich inmitten der 
Flammen nieder und erschoß sich dann 
mittelst Revolver. Herbeieilende Leute 
konnten der Flammen wegen die Leiche 
des Mannes nicht bergen. Er verbrannte 
bis zur Unkenntlichkeit. 
Zu der Affäre des Lieutenants 
von Brüsewitz in Karlsruhe wird 
mitgetheilt, daß den Offizieren des „Tann 
häuser", sowie auch der Besuch anderer 
Wirthschaften für die nächsten 14 Tage 
untersagt worden ist. Wie es scheint, 
handelt es sich nur um die Offiziere des 
Leib-Grenadier-Regiments. Als Grund 
hierfür wird angegeben, daß man bei der 
großen Aufregung, die im Publikum über 
den Vorfall herrscht, Zusammenstöße zwi 
schen Offizieren und Civilisten nicht als 
ausgeschlossen betrachtet. 
Heidelberg, 14. Oct. Ueber Tumulte 
reichsländischer Rekruten, verübt 
auf dem Transport nach norddeutschen 
Garnisonen, berichtet man der „Kl. Pr." : 
„Bei dem in der vorletzten Nacht von den 
Reichslanden nach Darmstadt abgelassenen 
Militärsonderzug kam es durch die Rekruten 
zu ernsten Ausschreitungen. Viele von 
ihnen waren betrunken. Der Tumult 
brach schon vor Rastatt los; in der 
dortigen Station und dem Wartesaal 
wurde Alles demolirt, und es kostete die 
Transporteure viel Mühe, die Mannschaften 
wieder in die Eisenbahnwagen zu bringen. 
Auch in Karlsruhe und Heidelberg kamen 
ähnliche Ausschreitungen vor. Der Zug 
wurde von ihnen zwischen Karlsruhe und 
Heidelberg durch das Nothsignal gestellt. 
In dom ganzen Zug zertrümmerten sie 
die Glasscheiben, rissen die Schilder her 
unter und schnitten die Riemen ab. Bon 
Karlsruhe aus wurde telegraphisch auf 
der Station Heidelberg militärische Hilfe 
verlangt; die jedoch zu spät eingetroffene 
Meldung mußte nach Darmstadt weiter- 
gegeben werden. Hier war eine Batterie 
Artillerie bereitgestellt, die jedoch keinen 
Anlaß mehr zum Einschreiten hatte, da 
inzwischen die Leute sich ausgetobt hatten 
und die Ruhe wieder hergestellt war. In 
Heidelberg wurde wegen der gefährlichen 
Haltung der Mannschaften, die mit Gläsern 
und Flaschen umherwarfen, das Zugpersonal 
mit Revolvern ausgerüstet. Wie es heißt, 
soll auch der Ruf: „Vive la France !‘i 
wiederholt ausgestoßen worden sein." 
Aus der Rheinpfa'z wird gemeldet: 
Die Weinlese ist zum größten Theil vor 
über. Seit Jahren ist der „Neue" nicht 
so sauer gewesen wie dies Jahr. Der 
Volksmund hat den 96er Li-Hung- 
Tschang getauft. Der 94er, wie bekannt 
auch ein minderwerthiger Wein, hatte den 
Namen „Wei-Hei-Wei" erhalten. 
Lübeck, 17. Oct. Zum Streik der 
Arbeiter bei der Firma Carl 
Thiel & Söhne ist noch zu berichten, 
daß die von der Firma für gestern Stach, 
mittag 3 Uhr vorgeschlagene Aussprache 
nicht stattfand, weil weder die Commission 
noch die Arbeiter erschienen waren. Dafür 
gelangte gestern Abend um 6 Uhr an die 
Firma ein Schreiben, ohne Ueberschrift 
und ohne Namensunterschrift, worin mit 
getheilt wird, daß zukünftige Verhandlungen 
zwischen den Fabrikinhabern und den 
Arbeitern nur durch eine von Letzteren 
gewählte Streikcommission geführt würden 
unv daß sich die Firma, wenn sie Ver 
handlungen wünsche, an diese zu wenden 
habe. — Ob auf solche Weise an einen 
Ausgleich zu denken ist, erscheint sehr 
zweifelhaft, da die Firma Carl Thiel & 
Söhne inzwischen alle au dem Ausstand 
betheiligten Arbeiter entlassen hat und fest 
entschlossen ist, wegen Wiedereinstellnng in 
jedem einzelnen Falle direkt zu verhandeln 
und Anstellungsgesuche nur soweit zu 
berücksichtigen, als Verwendung vorliegt. 
Die Firma hat große Vorräthe, sodaß die 
Lieferungen keine Verzögerung erleiden. 
Bon den über 400 Ausständigen sind mehr 
als 300 verheirathet. Die Bewegung richtet 
sich lediglich gegen den hier gegründeten 
Hirsch-Dnnker'schen Arbeiterverein und den 
von diesem ins Leben gerufenen Arbeits 
nachweis für die Metallarbeiter. Da aus 
Thiel's Werk die meisten Metallarbeiter 
beschäftigt sind, so hat man sich dieses aus 
einem ganz nichtigen Grunde als Versuchs 
object erkoren und den Streik inscenirt. 
Lübeck, 17. Okt. In einer Arbeiterver- 
versammlung wurde ein Beschluß gefaßt, 
nach welchem sich die gesammte Arbeiter-' 
schaff Lübecks für solidarisch erklärt mit 
den 400 streikenden Arbeitern des Emaillir- 
werkes von Carl Thiel & Söhne. Die 
Fabrik wird polizeilich bewacht. 
Der bekannte Graf Hoensbroech, welcher 
aus dem Jesuitenorden ausgeschieden ist, 
wird in Hamburg, am 27. d. Mts., im 
„Konventgarten" einen öffentlichen Vortrag 
halten. 
Hamburg, 17. Okt. Eine neue Ska n - 
dalafsäre beschäftigt zur Zeit die Ham- 
burger Polizei. Eine in der Neustädter 
Fuhlentwiete wohnende Kartenleger in, 
welche sich nebenbei damit beschäftigt haben 
soll, gut situirten Damen Mittel zu geben, 
durch deren Anwendung sie sich des Ver 
brechens gegen die §§ 213 und 219 des 
Strafgesetzbuches schuldig gemacht, wurde 
gestern verhaftet. Bei einer Durchsuchung 
ihrer Wohnung wurde eine große Anzahl 
Medikamente beschlagnahmt. Weitere Ver 
haftungen in dieser Angelegenheit stehen 
bevor. 
In der Hauptstraße von Ritzebüttel, der 
Nordersteinftraße, sieht's zur Zeit bös aus 
— das Siel wird gebaut. Da meistens 
6—7 m tief gegraben werden muß, kann 
man sich vorstellen, welch ungeheure Erd- 
massen sich auf der so schon schmalen 
Straße ansammeln. Unbegreiflich ist es, 
daß die Polizei dem Unternehmer nicht 
auferlegt hat, sämmtliche Erdmassen abzu- 
fahren. Jetzt thürmen sich die Massen bis 
zur halben Höhe des Erdgeschosses auf, 
die Trottoirs weichen, die 
Häuser sacken! Und dabei ist die 
Straße noch nicht zur Hälfte aufgegraben. 
Droviuzielles. 
Das Landgericht Altona verurtheilte 
heute den bekannten Buchmacher Friedrich 
Ritze aus Berlin wegen gewerbsmäßigen 
Buchmachens auf der Rennbahn Bahren- 
felo zu drei Monaten Gefängniß und 2000 
Mark Geldstrafe, ev. weiteren 200 Tagen 
Gefängniß. 
In Sachen des Baues einer Eisenbahn 
Altona—Scheueseld—Uetersen hatte das 
in Uetersen gebildete Komitee in diesen 
Tagen eine Audienz bei dem Eisenbahn- 
Präsidenten Jungnickel in Altona. Es 
erhielt von letzterem den Bescheid, daß der 
Staat, weil es eine Konkurrenzbahn werden 
würde, niemals seine Genehmigung zum 
Ausbau dieser Strecke geben würde. Dadurch 
gewinnt die Verwirklichung des Projekts 
ber Linie Elmshorn—Uetersen—Wedel an 
Wahrscheinlichkeit, daneben tritt allerdings 
jetzt auch der Plan auf, die erstgenannte 
Strecke als normalspurige Kleinbahn aus 
zubauen. 
-ff Itzehoe, 17. Okt. Heute Morgen 
fand man in einem Grab«i der Paasch, 
burg einen Mann, der sich durch einen 
Revolverschuß in die Schläfe tödtliche Ver 
letzungen beigebracht hat, so daß an seinem 
Aufkommen gezweifelt wird. Bereits in 
der Nacht zwischen 12 und 1 Uhr haben 
Nachbarn 3 Schüsse knallen hören und ist 
der Betreffende auch nach Angabe des 
Arztes erst nach einigen Stunden nach Ab 
gabe des Schusses aufgefunden. Es ist 
ein aus Mecklenburg gebürtiger und augen 
blicklich beim Kasernenbau beschäftigter 
Arbeiter, welcher wegen Diebstahls, welchen 
er aber leugnete, zu 14 Tagen Gefängniß 
verurtheilt ist, und soll ihn dies auch zu 
der unseligen That getrieben haben. 
Der in letzter Nacht sich erschossene Ar- 
beiter ist im Arbeits- und Verpflegungs 
hause, wohin er geschafft wurde, bereits 
gestorben. Gegen denselben sollte ebenfalls 
ein Verfahren wegen Sittenverbrechens an 
hängig gemacht, werden. 
Die Voruntersuchung gegen das junge 
Mädchen B. aus der Nähe von Tönning, 
welches der vorsätzlichen Brandstiftung bei 
der Frau Vollmacht Maßen in Lehe bei 
Lunden angeklagt ist, ist in diesen Tagen 
vor dem Amtsgericht in Lunden geschlossen. 
Dasselbe ist jetzt aus Lunden an das Land- 
gericht in Kiel übergeführt, um sich dort 
später zu verantworten. Das erst 17 Jahre 
alte Mädchen stammt aus guter Familie 
und sind die Gründe der That unbekannt. 
Vermischtes. 
— „In der Kaschemme." Die „Ka 
schemmen", deren es in Berlin verhältniß- 
mäßig nur wenige giebt, sind im Gegensatz 
zu den sogenannlen „Berbrecherkellern" oder 
„Kaffeeklappen" neutrales Gebiet und g- 
wisscrmaßeu international, das heißt, man 
trifft in ihnen zwar ausschließlich Leute, 
die mit den Strafgesetzen schon in Konflikt 
gewesen, aber Spezialitäten jeder nur irgend 
denkbaren Richtung und Nationalität, da sie 
den Verbrechern, des Kontinents wenigstens, 
als augenblicklicher ziemlich sicherer Zufluchts 
ort genau bekannt sind. Sonst herrscht 
unter den „Herren Verbrechern" ein sehr 
stark ausgeprägter Kastengeist, und es kommt 
zum Beispiel niemals vor, daß man in einem 
und demselben „Verbrecherkeller" Taschen 
diebe und Schränker (Einbrecher), Flatter- 
fahrer «Wäsche- und Bodendiebe) und Ver 
fertiger falscher Legitiniarionspapiere, Leichen 
fledderer (Leute, die schlafende Personen aus 
plündern) und Kaltmacher (Todtschläger), 
Falschmünzer und einfache Gelegenheitsdiebc 
zusammentrifft. Jede dieser ehrenwerthen 
Verbrüderungen hat vielmehr ihre ganz be 
sonderen Versammlungslokale, und ein richtiger 
„schwerer Junge" würde es als die tödt- 
lichste Beleidigung auffassen, wenn nian ihm 
zumuthcn wollte, in einem Lokal, in welchem 
harmlose Leichenfledderer verkehren, auch nur 
eine Weiße zu trinken. 
Alle die Verbrccherkeller sind natürlich der 
Polizei genau bekannt, aber sie läßt sie be 
stehen. Ist dann den im fortwährenden 
Kampfe mit der menschlichen Gesellschaft be 
griffenen lichtscheuen Gesellen irgend ein 
großer Coup geglückt, so weiß die Polizei 
genau, in welchem jener- Keller die Thäter 
zu suchen und früher oder später auch sicher 
zu treffen sind, flattert doch die Motte un 
aufhörlich um das Licht, bis sie mit ver 
sengten Flügeln zu Boden sinkt. 
Möchte der freundliche Leser mich in eine 
der „vornehmsten" Kaschemmen, im hohen 
Norden, begleiten? Sie liegt in einem der 
alten Häuser jenes Viertels — ich will, der 
Nachbarschaft wegen, die Gegend nicht ge 
nauer bezeichnen — und ist so beschaffen, 
daß es fast den Anschein gewinnt, als ob 
der Erbauer des Hauses die Spelunke eigens 
zu dem Zwecke, welchem sie jetzt dient, er 
baut habe. Eine ziemlich steile Treppe führt 
etwa zehn Stufen hinunter und zwar so 
daß die erste Stufe die der Besucher betritt, 
etwas federt. Man muß achtsam sein, da 
man sonst sehr leicht straucheln kann. Durch 
das Betreten der ersten Stufe wird eine 
hinter dem Büffet des Hauptzimmers an 
gebrachte Klingel in Bewegung gesetzt, welche 
den Herbergsvater durch einen nicht lauten, 
aber schrillen Ton aufmerksam macht. 
Als Gastzimmer dient ein langgestreckter, 
niedriger, verräucherter Raum, welchem links 
und rechts kleine Kabachen sich anschließen. 
Hinten führt eine Thür nach dem Hofe, 
eine zweite eine Treppe höher, woselbst drei 
weitere ziemlich große Räume sich befinden. 
In einem derselben stehen acht Betten, die 
säst bis an die Decke bepackt sind, und zwar 
sind auf zwei der Bettstellen Matratzen, auf 
den anderen Strohsäcke aufgestapelt. Die 
beiden anderen Räume sind leer. Diese drei 
Zimmer dienen als Herberge und vermögen, 
wenn's sein muß, hundert und mehr Per 
sonen Unterkunft zu . gewähren. Je nach den 
verfügbaren Geldmitteln kann der Gast eine 
Schlafgelegenheit finden, und zwar für 50 
Pf. ein Bett, für 25 Pf. eine Matratze aus 
der Erde, für 15 Pf. einen Strohsack, 
während für nur 5 Pf. die bloße Diele zur 
Verfügung steht. An das Gebäude nach 
dem Hofe zu, ist ein vorn offener Holz- 
und Kohlenschuppen mit festem Dach, 
welches an die Mauer des Nachborgrund 
stücks stößt, angebaut; dieses Grundstück ist 
ein Stätte- und Steinplatz und grenzt an 
das freie Feld. 
Es erhellt aus dieser Beschreibung, daß 
die Schlafgäste sowohl wie die Besucher der 
unteren Räume — in welchen übrigens aus 
gezeichnet für die Bedürfnisse des Gaumens 
und Magens gesorgt ist — bei einer un 
liebsamen Ueberraschung sehr leicht das freie 
Feld gewinnen können, und daß die Polizei, 
wenn sie die „Kaschenime" einmal sich näher 
ansehen will, nach einem richtigen Fcldzugs- 
plan handeln und sehr unlfangreichc Ab- 
sperrinaßregeln treffen muß. Für den Un 
eingeweihten lst's übrigens, wie der arme 
Schuster an seinem eigenen Leibe hat er 
fahren müssen, nicht ganz ungefährlich, in 
eine solche „Kaschemme" hinein zu gerathen. 
Eine Kajserrcisc. Paul Güßfeld, der 
ständige Begleiter des Kaisers auf seinen 
Nordlandsreisen, veröffentlicht in der 
„Deutschen Rundschau" eine Schilderung 
der diesjährigen Fahrt des Herrschers nach 
Norwegen, der wir zwei besonders inter 
essante Parthien entnehmen. Eine Fahrt 
der „Hohenzollern" in dichtem Nebel, die 
anscheinend für das Schiff mie für seine 
Insassen nicht ohne Gefahr war, und die 
durch die frühern Berichte trotz deren Aus 
führlichkeit nicht bekannt geworden ist, wird 
in folgender Weise geschildert: „Wer ein 
mal dickes Wetter auf See erlebt hat, 
der weiß, was dieses Spiel der Sirenen 
bedeutet. Wir waren in eine weite Nebel 
bank eingetreten, welche glücklicheriveise in 
vertikaler Richtung nicht sehr mächtig war. 
Denn von Deck aus sah man zuweilen den 
am Vormast angebrachten Scheinwerfer 
der „Gefion"; die leicht verschleierte Sonne 
hatte das Aussehen des Mondes und proji- 
zirte ab und an unsere fahle» Schatten 
auf das Deck. Der Nebel war kalt und 
rief eine fröstelnde Empfindung hervor. 
Dazu trat das Bewußtsein der Unsicherheit; 
denn in horizontaler Richtung konnte man 
kaum hundert Schritt weit sehen; wohl 
aber erklangen auf beiden Seiten die 
Nebelhörner naher Segelschiffe; auch die 
Sirene eines weiter «b befindlichen Dampsers 
wurde gehört. Plötzlich tauchte ein kleines, 
mit Holz beladenes Fahrzeug längsseits 
der „Hohenzollern", Steuerbord vorn, auf. 
Nur wenige Fuß von der Schiffswandung 
entfernt, bedrohte es mit seinem Bugspriet 
die Gemächer des Kaisers. Gleichzeitig 
ward an Backbord ein zweites Fahrzeug 
sichtbar, zum Glück noch in etwa 20 bis 
30 Fuß Entfernung. Der Zusammenstoß 
wurde durch ein geschicktes und schnelles 
Manöver vermieden. Auf dem Schiff ging 
es lebhaft zu: alle Mannschaften ivaren 
auf Deck gepfiffen, die gesammte Diener 
schaft mußte militärisch antreten und wurde 
von deut ersten Offizier für die Rettungs 
boote eingetheilt, auch dem Gefolge wurde 
ein bestimmter Kutter zugewiesen. Es waren 
dies weise Vorsichtsmaßregeln, denn wenn 
auch für das Kaiserschiff wohl nur geringe 
Gefahr vorlag, so war sie doch immerhin 
vorhanden, und wenn sie eintrat, so stand 
mehr auf dem Spiele, als meine Phantasie 
sich auszumalen getraut. Stach Ablauf vor 
anderthalb Stunden wurde der Nebel lichter 
und damit schwand auch das Gefühl de: 
Beklemmung. Um 6 Uhr konnte man wiede 
Land sehen — es war Jaederen, das flachst 
Küstenstück ganz Norwegens ..." liebe 
einen von dem Kaiser abgehaltenen Gottes 
dienst lesen wir: „Die heilige Handlunc 
vollzieht sich genau nach den Normen bet 
evangelischen Landeskirche. Der Kaiser, 
umgeben von seinem Gefolge, dem Stabe 
und den Mannschaften der „Hohenzollern", 
steht entblößten Hauptes vor dem auf Deck 
errichteten Altar, über welchen die deutsche 
Kriegsflagge mit dem Eisernen Kreuz ge< 
breitet ist. Der Choral, „Ein' feste Burg 
ist unser Gort" ertönt, getragen von den 
Posaunen der Musik. Dann wird es wieder 
still, und man hört n»cr den Ruderschlag 
der norwegischen Boote, welche, angelockt 
von der gottesdienstlichen Feier, das Schiff 
umlagern. Der Kaiser verliest die Epistel 
oes Sonntags, Vas Evangelium und ver> 
kündigt in der Predigt das Wort Gottes. 
Das Glaubensbekenntniß ist gesprochen; 
von neuem setzt die Musik ein, die Klänge 
des nieverlänüjfchcn Dankliedes für Er- 
rettung aus FeindeShaud erschallen; mit 
den Stimmen des Sängerchors vereinen 
sich die Gläubigen; noch ein stummes Gebet 
dann bedeckt der Kaiser sein Haupt, 
und die Andacht har ihr Ende erreicht." 
— Ein klassischer Patient. „Nun, haben 
Sie, wie ich Ihnen verordnet, Ihr krankes 
Bein ordentlich mit Branntwein einge 
geben?" — „Ja-wohl, Herr Doktor! Zum 
Teufel ist der Spiritus, das Rheuma ist 
geblieben Ï" (Flieg. Bl.)
	        
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