Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

Erscheint tägLich. 
Màburger 
Wochenblatt 
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89ster Jahrgang. 
G 
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Areitag, den 16. Hctober 
1896. 
Morgev-Berichte. 
Berlin, 15. Octbr. Die „Post" weift 
nochmals darauf hin, daß der Audienz 
Grnmbckow'S Pascha beim Kaiser zweifellos 
eine hohe politische Bedeutung beigemessen 
werde dürfe. Daß der Kaiser seine schon 
mehrfach zum Ausdruck gebrachte wohl 
wollende Haltung dem Sultan gegenüber 
nach wie vor bewahrt, dürste daraus er. 
hellen, daß er den außerordentlichen Ge. 
sandten des Sultans ersucht hat, sich vor 
seiner Rückkehr nach Konstantinopel noch 
mals bei ihm zu melden. 
Berlin, 15. Octbr. Heute Bormittag 
wurde im Börsengebäude die außerordent 
liche Plenarversammlung des Deutschen 
Handelstages durch den Geh. Kommerzien 
rath Frentzel unter Anwesenheit von 4(9 
Delegieren eröffnet. Auf der Tagesordnung 
stand der Entwurf eines Handelsgesetzbuches. 
Staatsjeccetär Dr. Nieberding nahm zuerst 
das Wort und erklärte in längeren Aus 
führungen, daß die im Entwürfe enthaltenen 
gefttzgeberischen Vorschläge bei allen 
Meinungsverschiedenheiten doch im Großen 
und Ganzen freundliche Aufnahme finden 
werden. Am Schluffe der Versammlung 
gelaugte eine Resolution zur Annahme, 
worin dankbar anerkannt wird, daß dem 
Handelsstanve rechtzeitig Gelegenheit ge- 
geben wurde, sich über den Entwurf zu 
äußern. Die Anträge und Gutachten der 
Wirthschastlichen Körperschaften usw. sollen 
der Reichsregierung zur Berücksichtigung 
überwiesen werden. 
- Berlin, 15. Oct. Die Berliner Ge 
i Werbeausstellung ist heute Nachmittag 4 
k Uhr in seitlicher WUse geschloffen worden. 
Schon vor der sestgesetzwn Zeit war die 
Kuppelhalle des Jndustriege'oäudes von 
Theilnehmern an dem feierlichen Akte dicht 
gefüllt; nur ein schmaler Raum konnte 
für die Ehrengäste freigehalten werden. 
Kurz nach 4 Uhr erschienen der Handels- 
Minister Brefeld, Staatsminister Frhr. v. 
Berlepsch, die Spitzen der Behörden und 
die Mitglieder des Arbeitsausschusses der 
Ausstellung. Nach einem Musikvortrag 
sprach zunächst der erste Vorsitzende des 
Arbeitsausschusses, Kommerzienrath Kühne- 
mann, dem Protektor der Ausstellung, 
Prinzen Friedrich Leopold, den Dank aus. 
Baumeister Fetisch dankte dem Ehren- 
Präsidenten und der Stadt Berlin; Geh. 
Rath Goldberger richtete Worte des Dankes 
an die ehrenamtlichen Organe und an die 
Aussteller. Nachdem der Handelsminister 
Breseld im Namen der Staa^sregierung 
gesprochen, erstattete Frhr. v. Berlepsch 
Bericht über die Ausstellung und verkün 
dete sodann die vom Preisgericht zuer 
kannten Ehrenzeugnisse. Mit einem Hoch 
aus den Kaiser wurde hierauf die Aus 
stellung geschloffen. 
Berlin, 16. Okt. Der „Post" zufolge 
erhielten bei der heutigen Schlußfeier der 
Berliner Gewerbeausstellung die Arbeits 
ausschußmitglieder folgende Ordens aus 
zeichnungen: Kommerzienrath Schünc. 
mann den Rothen Adlerorden 4. Klaffe, 
Kommerzienrath Goldberger u. Baumeister 
Fetisch den Kronenorden 3. Klaffe. Außer 
28 goldenen Medaillen wurden noch 80 
silberne und 300 bronzene Medaillen ver 
theilt. 
Berlin, 15. Okt Nach Unter schla 
gung von 70000 Mk. ist der in Schöne, 
berg, Kaiser-Friedrichstraße 16, wohnhafte 
Buchhalter der Berliner Diskonto 
Gesellschaft Albert Rehre stüchtig 
geworden und bereits heute in Neu-Strelitz 
wieder verhaftet worden. 
Oldenburg, 15. Okt. Im Großherzog 
thum Oldenburg siegten bei den Landtags, 
wählen die liberalen Kandidaten. Die in 
Jever aufgestellten sozialistischen Kandidaten 
erreichten nur eine geringe Anzahl von 
Stimmen. Damit ist das Bestreben der 
Sozialisten, in den oldenburgischen Land 
tag zu gelangen, abgewiesen. 
Frankfurt a. M., 15. Okt. Die Fahr 
radfabrik von Aug. Lehr, welche etwas 
länger als ein Jahr besteht, ist in Zah 
lungsschwierigkeiten gerathen, hauptsächlich 
dadurch, daß die Produktionskosten zu groß 
waren. Bei einer Produktion von 1000 
Rädern im erste» Jahre sind 145 000 Jl 
für Arbeitslöhne ausgegeben worden. Die 
Unterbilanz beträgt nun ca. 50 000 . 
An der Fabrik ist der Mitinhaber einer 
Berliner Bankfirma Dr. R. mit 300000 Jl 
betheiligt, welche Summe durch Hypotheken 
eintragungen auf die Fabrik und die Ma 
schinen sichergestellt sein soll. Die haupt 
sächlichsten Gläubiger sind zwei Fabriken 
von Pneumatic-Reifen. In der gestrigen 
Gläubigerversammlung zeigte der Berliner 
Kommanditist wenig Lust, weitere Mittel 
herzugeben ; der Verkauf der Fabrik wurde 
befürwortet. Die Gläubiger sind zu einem 
Moratorium geneigt. 
München, 15. Okt. In später Abend 
stunde wurde gestern nach zwölftägiger Ver- 
Handlung der Mordprozeß Berchtold 
zu Ende geführt. Der Angeklagte wurde 
von den Geschworenen sämmtlicher ihm 
zur Last gelegten Strafthaten, sowohl des 
dreifachen Raubmordes wie des Diebstahls 
der Emmetskoferschen Werthpapiere, für 
schuldig befunden und darauf hin vom Ge 
richtshof wegen des ersteren Verbrechens 
zum Tode, wegen des Diebstahls zu 
drei Jahren Gefängniß verurtheilt. Berch 
told nahm das Urtheil ruhig hin, ohne mit 
der Wimper zu zucken. 
Gotha, 15. Okt. Sozialdemokratischer 
Parteitag. Bormittagssitzung. Der Ab- 
geordnete Singer eröffnete die Sitzung 
Auf der Tagesordnung steht der „Arbeiter, 
schütz". Der Referent Wurm befürwortet 
eine Resolution dahin gehend, der Arbeiter, 
schütz sei eine der wichtigsten Forderungen 
der Partei, die politische und gewcrkschaft 
liche Agitation müsse für den achtstündigen 
Arbeitstag eintreten, ferner müsse für den 
Achtuhrschluß eingetreten werden, obgleich 
diese Maßnahme gänzlich ungenügend sei 
Adler-Halberstadt spricht warm für. den 
Achtuhrschluß, während Stadthagen sowohl 
hiergegen, als auch gegen eine Wahl eines 
Ausschusses sich ausspricht. 
Gotha, 15. Oct. Sozialdemokratischer 
Parteitag. Nachmittagssitzung. Die Ver 
handlungen über den „Arbeiterschutz" 
werden fortgesetzt. Großen Eindruck machte 
der Delegirte Boemelburg-Hamburg mit 
seinen Angaben über Betriebsunfälle. Frl 
Baader tritt für den Achtuhrschluß ein, 
als Vorbedingung der Organisation. Dr. 
Qusrck tritt für eine zentralisirte Gewerk 
schaftsorganisation ein. Molkenbuhr weist 
seine Anschauung als utvpistisch zurück. 
Unter lebhaftem Beifall spricht Legien- 
Hamburg für Gewerkschaften, eine starke 
Organisation sei die Hauptsache. Wurm 
erklärt, die Angaben Boemelburg's ent- 
stammen einem „Vorwärts".Artikel, den 
er selbst geschrieben habe. Die Resolutionen 
Wurms werden angenommen. Schluß der 
Sitzung erfolgt um 3 Uhr. — Die Dele- 
girten besichtigen das Crematorium; Abends 
findet ein Kommers statt. 
Köln, 15. Oct. Bezüglich der Gerüchte 
über einen Eisenbahnzusammenstoß 
zweier Militärzüge theilt die Eisen 
bahn-Direktion St. Johann der „Köln. 
Ztg." mit, daß außer dem am 3. d. M. 
mitgetheilten Zusammenstoß bei Neukirchen 
dort von einem Eisenbahnunfall nichts 
bekannt sei. Das Gerücht ist dadurch 
entstanden, daß gestern Abend eine ein- 
stündige Verspätung des Pariser Schnell 
zuges infolge von Geleissperrung ohne 
sonstigen Unfall eingetreten ist. 
15. Okt. Die Eisenbahndirektion 
Saarbrücken theilt der „Köln. Ztg." über 
das Gerücht eines Eisenbahnunsalles 
mit, daß in der Nacht auf heute in Merzig 
ein Militär-Sonderzug mit Rekruten auf 
einen leeren Wagen stieß, der Zug aber 
mit einiger Verspätung und derselben Ma 
schine weiterfahren konnte. Verletzungen 
von Personen oder Wagenbeschädigungen 
sind nicht vorgekommen. 
Mannheim, 15. Okt. Der Sparkassen 
rechner Vierneisel aus Landau ist wegen 
Unterschlagung zu 2% Jahren Gefängniß 
und 3 Jahren Ehrverlust verurtheilt worden. 
Bozen, 15. Okt. Der 34 jährige Beamte 
Max Laachar stürzte von einer hohen Fels 
wand auf dem Mendel ab und blieb todt 
liegen. 
Zara, 15. Okt. Durch einen Wolken 
bruch wurden gestern in Forette 3 Häuser 
zerstört, wobei eine Frau tödtlich verletzt 
wurde. 
Rom, 15. Okt. Wie verlautet, soll 
demnächst ein Steckbrief gegen Luigi Crispi 
erlassen werden. 
Paris, 15. Okt. In politischen Kreisen 
herrscht die Ueberzeugung, daß die erste 
Kundgebung der franko-russischen Allianz 
in einer Aufforderung an England, be' 
treffend die Räumung Egyptens, bestehen 
werde. Die deutsche Diplomatie werde in 
dieser Angelegenheit sowohl Rußland als 
Frankreich gegen England unterstützen. 
Loudo», 15. Okt. Die „Times" er 
halten aus Paris die Meldung, daß nicht 
Geheimrath Schischkin, sondern Graf Wo- 
ronzow - Daschkow zum Nachfolger des 
Fürsten Lobanow ausersehen sei. 
New Jork, 16. Okt. Die Chancen für 
Me Kinley bessern sich von Tag zu Tag, 
indem die Farmer im Westen infolge des 
raschen Steigens der Weizen- und Mais 
preise bei fallendem Silberpreise einsehen, 
daß die Behauptungen der Silberleute, 
daß die Preise von Bodenprodukten und 
Silber sich parallel bewegten, unrichtig 
sind. Auch läßt der Markt für Boden 
produkte die Unzufriedenheit, welche die 
Hauptquelle für Bryan's Stärke ist, ver 
schwinden. Die letzten Angriffe der popu 
listischen Presse auf Bryan und Semall 
veranlaßten das populistische National- 
Komitee zu einem dringenden Appell an 
alle Populisten, für Bryan einzutreten, 
anderenfalls dem Freisilber der Todesstoß 
versetzt werde. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Capstadt, 12. Okt. Zwischen Warmbad, 
Rietsontein und Port Nolloth droht infolge 
der furchtbaren Dürre eine Hun - 
g e r s n o t h. Schon ziehen jetzt, vom 
Hunger getrieben, die Eingeborenen von 
Ort zu Ort, aber nirgends können sie ein 
Auskommen finden. Erhöht wird diese 
traurige Lage durch die im Osten ausge- 
brochene Rinderpest, die bereits Tausende 
von Rindern weggerafft hat. Die Busch- 
leute rauben und stehlen, ihre Verfolger 
schießen sie mit vergifteten Pfeilen nieder. 
Der schon so reich dotirten Chicagoer 
Universität ist eine neue Millionen- 
Schenkung zugefallen. Frau Julia 
Bradley von Peoria, Wittwe, hat testa 
mentarisch ihr gesammtes Besitzthum im 
Werthe von 2 200 000 Dollars der Uni 
versität vermacht. Die Schenkung soll, 
wie ausdrücklich bestimmt wird, zum Bau 
und Unterhalt einer besonderen Lehranstalt 
in Peoria verwendet werden. 
In Folge der Zerwürfnisse in der Fa 
milie des Heilsarmee - Generals Booth 
hat sein Sohn Ballington Booth in Amerika 
eine Konkurrenz-Heilsarmee organi- 
sirt, der er den Namen der „Freiwilligen 
Salutisten" gab. Um Reklame zu machen 
und ihre Geldmittel zu mehren, beschloß 
die neue Armee, die Hochzeit ihrer Oberstin 
Patti Watkins mit dem Kapitän Frederic 
Lindsay in Carnegies Music Hall in New- 
Pork gegen Entree abzuhalten. Der 
gewöhnliche Eintrittspreis betrug 10 Cents, 
für die reservirten Sitze wurden 25 Cents, 
für die Logensitze 50 Cents bezahlt. Das 
Publikum strömte in Menge zu und einige 
Eigenthümlichkeiten dieser Hochzeitsfeier 
verstärkten den Eindruck, daß man sich in 
einer — Theatervorstellung befinde. 
General Ballington Booth zeigte nämlich 
dem Publikum vor Beginn der Vorstellung 
an, die Braut werde ein Solo singen 
und der Bräutigam sie auf dem Klavier 
begleiten. So geschah es denn auch, und 
die Braut, die vor ihrer Trauung eine 
Gesangsproduktion zum Besten gab, fand 
riesigen Beifall. Booth hielt dann eine 
heftige Rede gegen die andere Heilsarmee, 
die aber das Publikum schlecht aufnahm, 
da es andere Dinge sehen und hören 
wollte, so daß die Philippika in der Hälfte 
abgebrochen werden mußte. Booth ver 
ständigte hierauf die Anwesenden von einem 
neuartigen Heirathsgelöbniß, wel- 
Aes Fehltritts Sühne. 
Roman von Hi p p v l y t c M o n t a u b a n. 38 
Der Lärm, welcher kurz zuvor in dem Festsaal ge 
herrscht, batte tieferer Stille Platz gemacht, nun aber 
vernahm die horchende Gräfin abermals Stimmen; sie 
sonnte deutlich jedes Wort unterscheiden. 
„Die ļlebrrraschung, was ist's mit der Ueberrasch- 
vng," brüllte der Chor. 
_ „Ihr sollt alle befriedigt werden," erklang Sanzacs 
Stimme. „Ich muß sie nur erst holen, in drei Minuten 
bin icch wieder bei Euch î" 
Die Grast» konnte es freilich nicht sehen, wie bleich 
der (Graf bei diesen Worten geworden. 
, Er nahm einen Kandelaber und begab sich nach dem 
Türnizimmer, in welchem Aurora eingesperrt war. 
Langsam öffnete er die schwere eiserne Thür, schon 
glaubte er seine Beste erfassen zu können, da entrang 
sich ein heiserer Schrei seiner Kehle. 
Aurora nebst der ganzen spärlichen Einrichtung des 
kleinen Erkergemaches, alles war verschwunden. Der 
Graf fuhr sich über die Augen: wie Ivar das möglich? 
Als er in den Saal zurückkehrte, in welchem die 
Freunde seiner harrten, vermochte er sich kaum aus den 
Füßen zu erhallen. Ah, da ist er, aber wo bleibt denn 
die Ueberraschung?" brüllte der betrunkene Chor. 
Kaum aber waren die Worte ausgesprochen, als 
sich eine Seitenthür öffnete und zwei mit Revolvern 
bewaffnete Männrr auf der Schwelle erschienen. 
Die Herren sprangen ans. 
„Sanzac, was soll daS bedeuten? Ein schlechter 
Spaß." 
Fü den Grafen war die Neberraschung jedenfalls 
«nn allerunangenehmsten; ihm war es sofort klar, daß 
2ork und Colibri verhaftet worden waren; vermut- 
ltch hatten sie ihn verraten; die beiden Männer, wel 
che er auf das Haus zuschleichcn gesehen, waren also 
nicht seine Verbündeten, wie er gewähnt, sondern zwei- 
selsohne Polizisten. 
„Ich bin verloren," marmelteer, und er sah sich 
fei Geiste vor den Schranken des Gerichts, verurteilt 
viel- 
zum Tode vor einer neugierigen Menge. Aber 
leicht war noch Zeit zur Rettung. Zeit zu fliehen. 
Rasch öffnete er die Thür, um auf einem der ge- 
hcimen Stiegen zu einkommen, welche nur er allein zu 
kennen glaubte. 
„Zu spät, Herr Mas," rief ihm jetzt eine bekannte 
Stiînnie zu, während die Mündung einer Pistole ihm 
auf die Brust gesetzt wurde. Er wicy zurück und Ga- 
brion nebst Noirek traten in den Saal. 
„Herr von Sanzac, Sie sind verhaftet," erklärte 
Gabrion. „Sie enuartdeu unseren Besuch wohl heute 
nicht? Ah, Ihre Freunde denken nicht mehr daran, zu 
singen, geben Sie ihnen immerhin eine beliebige Er 
klärung. Wie, Sie zittern, Herr Gras? Nehmen Sie 
Platz, ich muß ohnehin alle Räume des Hanse- durch 
suchen." 
Und mit diesen Worten nahm Gabiron einen Arm 
leuchter und verließ das Gemach. 
Die Gräfin hatte alles gehört, sie begriff, daß ihre 
Tochter gerettet sei, und sank mit einem heißen Dank 
gebet aus den Lippen in die Kniee. Da vernahm fie das 
Geräusch der aufgehenden Thür und Gabiron stand 
vor ihr. 
'Noch immer von der flxe» Idee ausgehend, sie sei 
die Mitschuldige des Grafen, ließ er sie rauh an. Die 
Gräfin versuchte zu sprechen, sich zu rechtfertigen, doch 
ihre Zunge war wie gelähmt. 
Gabiron führte sie in den großen Saal, sie dachte 
nicht an Widerstand und ließ sich fortführen. 
Otten stieß bei ihrem Anblick einen Schrei der Ueber 
raschung aus und das gab ihr die Fassung wieder. 
„Ah, Herr von Otten!" rief sie, aus ihn zueilend. 
„Diese Frau," unterbrach sie der Polizist, „welche 
die Erzieherin des Fräuleins von Delorme gewesen, ist 
zugleich die Mitschuldige des Grafen von Sanzac, ich 
war überzeugt, daß sie hier sei, und fand sie soeben in 
einem der Zimmer versteckt." 
„Wie — mau wagt es, mich als die HelferShelfe- 
rin des Grafen v. Sanzac zu verdächtigen?" rief die 
Gräfin erregt. Herr von Otten, Sie kennen mich, Sie 
werden den Mann eines Besseren belehren. 
„Nein, ich kann es nicht glauben; doch, wie kom 
men Sie in dieses Hans? Erklären Sie uns . . ." 
„Eine Frau suchte mich auf, sie brachte einen Brief 
meiner ... des Frauleins v. Delorme. Sie sagte mir, 
ich solle mit ihr kommen, um Aurora zu besuchen und 
ich that es, da . . ." Sie hielt plötzlich innc und blickte 
verwirrt um sich. „Das ist alles, mehr kann ich nicht 
sagen." 
Der Holländer schüttelte traurig den Kopf, es drückte 
sich schmerzliches Erstaunen in seinen Micken ans. 
Ter Graf hatte sofort begriffen, daß, wenn die 
Gräfin jchlvieg. eö geschah, loeis sie um jeden Preis 
verbergen wollte, daß sie die Gräfin von Laffon sei. 
Ein höhnisches Lächeln ua,spielte seine Lippen, er be 
schloß sofort, deil sich ihm bietenden Vorteil auszunutzen. 
„Ja," sprach er anscheinend ruhig, „Gabirontäuscht 
sich nicht, diese Frau ist meine Geliebte, meine Mitschul 
dige." 
Unwillkürlich trat von Otten vor der Gräfin zurück. 
Stolz, hochaufgerichtet, verachtungsvoll stand stc vor 
dem Grafen. 
„Schenkt man den Worten dieses Schurken Mau 
den?" rief sie, „sehen Sie denn nicht, daß erlügt, daß 
Haß, Zorn rmd Furcht ihn erbeben lassen?" 
„Ich wiederhole es," rief der Gras, „diese Frau ist 
meine Geliebte. Und da sie zu leugnen wagt, so fragt 
sie doch, ob sie nicht vor sechzehn Jahren ihren Gatten 
verlassen, uni mir zu folgen, mir, ihrem Geliebten, dem 
Grafen v. Sairzac?" 
„O!" stöhnte v. Otten, den verwunderten Blick auf 
die Gräfin heftend. „Ist's wahr, was dieser Mensch 
sagt ?" Die Worte des Grasen hatten den Holländer mit 
einem Male aufgeklärt und brachten eine ganz andere 
Wirkung hervor, als Sanzac beabsichtigt hatte. 
„Beruhigen Sie sich, Madame," sprach er, näher an 
die Gräfin herantretend, „ich vergesse nicht, daß, wäh 
rend der langen Jahre, welche Sie in meinem Hause 
lebten, Sie wie ein Glied der Familie angesehen ivur- 
den; ich glaube den Worten nicht, welche ich soeben ver 
nommen, Sie sind weder die Mitschuldige, noch die Ge 
liebte jeuesMnischcn; Sie sagten soeben, eine Frausei 
zu Ihne» gclominen mit einem Briefe des Fräuleins 
v. Delorme, wo ist dieser Brief?" 
„Ich habe ihn bei mir, hier in der Tasche; hier ist 
er." 
„Sie sind in eine Falle gelockt worden, aber zu wel 
chem Zweck? Sie wissen es vermutlich, doch ich frage 
nicht darnach. Wahren Sie immerhin Ihr Schweigen, 
ich ehre es. Wir werden auch auf anderem Wege das 
Rätsel lösen." 
„Herr v. Otten, sprach die Gräfin mit Lebhaftigkeft, 
„wir verlieren hier die Zeit und vergessen alle, daß Sie 
hier sind, um Aurora v. Delorme mis ihrer Gefangen 
schaft zu befreien. Sic ist in einem der beiden Thürme 
eingekerkert. Doch er allein," auf den Grafen weisend, 
„kennt die Geheinithüre, welche zu dem Erker führt." 
„Madame", entgegnete der Holländer, „dieseThür 
mag immerhin verschlossen bleiben, Aurora ist nicht meqr 
in ihrem Gefängnis und ich werde Sie zu ihr führen." 
„Diese Mission übernehme ich," sprach der soeben 
eingetretcice Amerikaner, bei dessen Anblick die Züge deS 
Grasen aschfahl geworden waren. 
„Er, er hier .. William Dnrkett," stöhnte er. 
Durch eine heftige Bewegung war aus der Tasche 
seines Rockes ein Papier zur Erde gefallen, welches 
Noiret sofort bemerkte und aushob. Es war der Brief, 
welchen die Gräfin zu schreiben sich geweigert hatte; 
der Polizist reichte denselben v. Otten. 
Der Graf sah drein, als ob er den Holländer am 
liebsten an der Gurgel fassen möchte. 
„Ah, der Elende, jetzt begreife ich alles I" sprach vo« 
Otte«. 
42. 
Wir müssen zurückgreifen, am za erzählen, wie die 
Ereignisse mit solcher Schnelligkeit hatten eintreten kön 
nen. 
Der steandliche Leser hat wohl längst erraten, daß 
William Durkett der Besitzer des WaldschlößchenS 
war, von welchem der Graf von Sanzac Lork Mit 
teilung gemacht, als er diesen zum ersten Male in jene 
entlegene Gegend geführt. 37,16*
	        
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