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Güster Jahrgang.
IreiLag, den 9. Hctober
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Blau „Mode und Heini" gratis bcigegeben.
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1896.
Morgen-Depeschen.
Schleswig, 8. Octbr. Die „Schlesw.
Nachr." berichten, daß Herr Ober-
Präsident von Steinmann,
welcher gestern das 67. Lebensjahr beschritt,
am Tage vorher sein Abschiedsgesuch ein
gereicht hat und voraussichtlich im Laufe
Januar von hier scheiden wird. Nach
46jähriger angestrengtester Dienstlhätigkcil
gedenkt Herr vvu Sleinmaiin seinen Lebens
abend in Ruhe zu genießen. Er will sich
im Januar mit Familie zu mehrmonat-
ltchem Aufenlhalt nach Italien begeben
und später i» Lübeck seinen Wohnsitz auf-
schlagen.
Exzellenz von Steinmann ist durch Königliche
Kabinetsordre vom 26. October !880 zum Ober-
Prüsidenten der Provinz Schleswig - Holstein er
nannt worden und hat am 15. November desselben
Jahres sein Amt übernommen, lieber 16 Jahre
also steht Herr Ober-Präsident von Steinmann
an der Spitze unserer Provinz Als er am 16.
November 1880 sich dein hier gerade — zuin
ersten Male in Schleswig — tagenden Provinzial-
Landtag vorstellte, da gelobte er, ein Bürger der
Provinz kein, alle seine Kraft, seine Energie und
Streben der Provinz widmen zu,vollen. Dieses
Gelöbniß hat der erste Beamte der Provinz i»
16 langen Jahren voll mannigfacher Arbeit treu
gehalten, und wenn er jetzt scheide!, so wird ihm
rin gleicher ehrender Nachruf folge», wie >hn
1880 die Westfalen dem bisherigen Regierungs
präsidenten von Arnsberg, „dem eifrigen Förderer
der geistigen und materiellen Interessen res Bezirks,
dem kundigen und fvrmvolleii Vertreter der
Staatsgewalt", widmeten, dem sie das besonders
z»m Ruhnie nachsagten, daß er sich stets bemüh!
habe, der Eigenart des Volksstammcs unto der
Besonderheit der provinziellen Verhältnisse mit
klugem Verständnisse gerecht zu werden. Das ist
u. A. das höchste Lob, das einem Verwaltungs-
beamten nachgesagt werden kann, ein Lob, das
ungeschmälert auch aus Schleswig-Holstein dem
scheidenden Herr» Ober - Präsidenten in seine
Abendruhe nachfolgen wird.
Wiesbaden, 8. Oct. Heule ging hier
die amtliche Nachricht ein, baß das deutsche
Kaiserpaar am 19. d. M. Vormittage hier
eintreffen und dis zum 2l. Bormittags
verweilen wird.
Schweidnitz, 8. Oft. In LcutniannSdorf
ermordete der 12jährige Knabe Rieger den
zehnjährigen Knaben Gültler. Die beiden
Kinder waren um des Bespei brodeS ivilleu
mir einander in Streit gerathen.
Berlin, 8. Oct. In der Angelegenheit
des Attenlalsverfuckis gegen dni Polizei-
oberst Krause feil nunmehr die Bvrunter-
suchung fv iveu gediehen sein, daß dem
nächst gigen den Anarchisten Kosckeiuauu
u Ģeros.l» die Anfinge wegen Mord-
Versuchs bezw. Beihilfe dazu erhoben
werden wird. Wie verlautet, liegt die
Bearbeitung dieser Sache in den Händen
des Oberstaatsanwalts Drescher.
Bruchsal, 8, Okt. Gestern stürzte beim
Exerciren der Rittmeister Stark vom Pferde
und erlitt schivere innere Berletztingen. —
Sämmtliche Gaiiverbände des Gewerbe
Vereins haben sich mit großer Mehrheit
gegen den preußischen Borschlag der
Zwangsinnungen ausgesprochen und
die Errichtung obligatorischer Gewerbe-
kümmern befürwortet,
Konstantinopkl, 8. Oktbr. Heute Nacht
versanken die gesanimten auf dem Stambul-
Nser von der Brücke bis Sirkedji bisher
aufgeführten Quaibauken, woran feit
vier Monaten über 1000 Mann thätig
waren. Die Ursache ist unbekannt. Es
scheint, daß mangelhafte Fundirung die
Schuld trägt. Die französische Quaigesell-
schafi erleidet über eine Million Francs
Schaden. Da 50 000 Cubikmeter ver
sanken, sind durch die Wasfcrstauung die
Nebengebäude, besonders das Hauptzollamt
gefährdet.
London, 8. Oklbr. Lord Rosebery ist
infolge seines Standpunkles in der Orient
frage von der Führcrstelle in der liberalen
Partei zurückgetreten. Diese Thatsache
inachk hier großes Aussehe» und >oird
allenthalben lebhaft commentirt.
Paris, 8. Oct. Ueber die gestrigen
Ereignisse in Paris wird noch gemeld.t,
daß das Gedränge bei der Abfahrt des
Zarenpaares vom Stadthause derart fürchter
lich war, daß allein gegen 140, nach einer
anderen Version 300, ohnmächtige, ge
quetschte ober sonst verletzte Personen voin
Platze getragen wurden. Bei der Grund
steinlegung der Alexanderbrücke wurde der
Dichter Heredia dein Zaren vorgestellt
und ihm gestaltet, der Zarin die Hand
zu küssen. Der gestrigen Galavorstellung
in, Thö-ltre sranxais wohnte der Zar im
Civilanzuge bei, die .Kaiserin trug eine
kostbare, rosaseidene Rode und als Schmuck
Rubine» und Diamanten. Bei der Bor-
stellung der Künstler im Büstensaal äußerte
der Kaiser, es sei bas eiste Mal, daß er
in das Haus Molivces komme; er hoffe
bald wieder zu kommen. Erst gegen 1 Uhr
war die Bvrstcllung zu Ende. Die Fahr!
zur ruisisaieu Botschaft ging wieder durch
glänzend illuminirte Straßen, die mit un
geheuren Mcuschenmasseii angefüllt waren
Paris, 8 Ocl. Beim Besuch des Zaren-.
paores in der Akademie begrüßte tur
Präsident Legouve dasselbe mit einer An
sprache, worin er den Besuch der Akademie
zugleich als eine Huldigung sür die fran
zösische Sprache, welche dem Zaren nicht
fremd sei, hinstellte. Der Präsident erinnerte
ferner an den Besuch Peter des Großen
in der Akademie und erbat sich die Erlaub
niß, das 200jährige Jubiläum der herzlichen
französisch-russischen Freundschaft schon jetzt
im Boraus feiern zu dürfen. Professor
Coppöe deklamirle Verse, die den Zaren
als Sohn Alexanders des Gerechten feiern,
der von dem friedlichen Geiste des Vaters
beseelt sei. Die Menschenmenge, welche das
Zarenpaar aus den Straßen lebhaft begrüßt
hatte, sanimelle sich zu Tausenden vor dem
Stadthause. Die Begeisterung erreichte den
Höhepunkt, als das Stadthaus feenhaft
erleuchtet wurde. Der Präsident des Ge
meinderaths empsing die Gäste am Thore
tausend von Eingeladenen, welche sich in
den Sälen drängten, begrüßten mit endlosen
Jubelrufen den Zaren, der hier zum ersten
Male in engere Berührung mit der Menge
kam, da im Innern des Hauses die Polizei
natürlich keine Absperrung vornehmen koniiie.
Der Zar ließ sich den Gemeinderath vor
stellen. Nach der Absähet des Zaren durch
brach die Menge das Polizeispalier. Sie
ergoß sick dann aus den Platz vor dem
Sladkhause und sang die Marsaillaise.
Die Begeisterung sür die Zarin wächst
von Tag zu Tag, während der Zar sich
fortdauernd kühl zeigt und aus die Menge
ivenig Eindruck macht
Paris, 8. Oktobr. Die monarchistische
Presse betont mit Freuden, daß keine Hoch
rufe aus den Präsidenten Felix Faure.
sondern nur solche auf den russischen Kaiser
und Frankreich ausgebracht worden sind.
—- Le petite Rèpubliijue schreib!: Das
Bolk bade eingesehen, daß Felix Faure
keine republikaniichen Gcsühle habe. 'Auch
bade niemand den Ruf: „Es lebe der
PräsidentI" gehört. Das Blatt erklärt,
die Kammer müsse ihm die Qrebite für
die Feste nachträglich verioeigeru Uebri-
gens tonne er heute einen melancholischen
Blick aui den Eongreß in Versailles
werfen; denn es fei möglich, daß man
bald zu einer neuen Präsidentenwahl
schreiten werde.
Paris, 8. Oklbr. Gestern wurde ein
zum Zarenscsl hier eiugelrosseuer russischer
Journalist, Namens Feodvroio, im Bett
verhalte:. Tie Molive hierzu sind unbe
kannt.
nr.wr'WÄsrfcwiS
* iMllBMHlcayWBBBaK».# ;ryFtx?2xrr r r*?tto?c*!^.
Der Besuch des russischen Kaiscrpaarcs
in Frankreich.
Paris, 7. Oct. Bei dem Besuche des
nächst der Notredameķrche berühmtesten
Pariser Bauwerkes, der Şainte Chapelle,
wurde dem Zaren aus der Reimser Bib
liothek ein sür diesen Anlaß entlehntes
alt-slavisches Evangeliarium- Manuscript
gezeigt. Der Archivar Charmes bemerkte
dabei, daß auf dieses Manuscript Frank
reichs Könige den Eid geleistet hatten,
ohne daß sie jedoch den Text hätten lesen
können. Der Zar nahm hierauf das
Manuscript in die Hand und sagte: „Ich
lese diese alten Worte ganz gut. Das
Manuscript ist vollkommen deutlich." Ter
gar erhielt eine Photographie des Evan-
geliariunis, sowie des HcirathSakteS der
Anna Jaroslawna, Frankreichs Königin
im elften Jahrhundert
Paris, 7. Okt. Als die Großfürstin
Olga durch das Bois fuhr, liefen kleine
Mädchen dem Wagen voran und streuten
Blumen aus den Weg. Die gleiche Ova-
tion erhielt das Zarenpaar aus der Avenue
Victoria vor der Einfahrt lii das Stadt
haus.
Bei der Ankunft dcS Sondcrzuges in
Paris sah die Menge mit einiger Ueber-
raichung auch Thiere den Hoszug ver
lassen: drei Kühe zur Milchversorgung der
kleinen Prinzessin und einen wundervollen
Hund, Lvfki genannt, den der Zar auch
auf Reisen nicht missen mag.
Nach der „Köln. Ztg." plagen sich in
Paris Tausende von echten Franzosen die
Köpfe darüber, ob auch ihnen der Zar
das Andreaskreuz verleihen wird. Zu
diesen gehört auch ein biederer Geistlicher,
der sich in der russischen Botschaft ein
stellte und durchaus in das Schlasgema ch
des Kaijerpaares gelassen weiden
wollte, um daselbst ein kurzes Gebet ver
richten zu dürfen. Ent schon sehr dekorirter
Herr hat dem Koch derselben Botschaft ein
halbes Bermögen sür den Knochen eines
Koteletts angeboten, das der Zar ab
genagt haben wird. Und da wir einmal
an diesen: Kapit-l sind, sei auch erwähnt,
daß eine Dame der reicheren Gesellschaft
bei der Schneiderin der Frau v. Mohren
heim ein Kleid mit den Worten bestellte:
Es mag kosten ums es ivill, wenn Sic
mir nur ein Stück von einem Mieder
verschaffeII, baß die Zarin getragen
hat." Der russische Botschafter in Paris
v. Mvhrenheim, bat übrigens das Miß
geschick gehabt, daß ihm auf der Reise
nach Cherbourg sein Gepäck verfahren
wurde.
Andere Einfälle, mit denen die Behörden
bestürmt werden, sind die Ausgeburt er
krankter Gehirne. Alle schwanken Geister
kippen nämlich in der Aufregung dieser
Tage um. Dutzende von angeblich plötz
lichen Jrrsinnsfällen, die aber thatsächlich
schon lange unerkannt bestanden und jetzt
sich pur heftiger äußern, kommen nach der
„Boss. Ztg." täglich zur Kenntniß der
Polizei und veranlassen sie zum Ein
schreiten. Alle Größenwahnsinnigen
verlange» vom Kaiser empfangen zu werden
oder unterbreiten der Behörde irgend einen
sabelhaften Ausschmückungs- oder Ehrungs
plan. Alle Berfolgungs wahnsinnigen
zeigen nihilistische und anarchistische An
schläge an oder lenken die Ausmeiksamkeit
der Polizei auf angeblich verdächtige An
zeichen. Alle Graphomanen weissagen,
predigen, halten Straßenredcn, senden Felix
Faure oder den Ministern Gedichte, politische
Denkschriften u. s. w. ein.
Der Besuch des Zaren bei Brisson und
Lou bet war im Programm nicht vorgesehen
und erfolgte aus eigener Entschließung des
Zaren so urplötzlich, daß Nikolaus Ik. beide
nicht antraf. Sie machten nämlich gerade
der Kaiserin auf der russischen Botschaft
ihre Aufwartung. Der Zar ließ also bei
Loubet und Brisson durch General de
Boisdeffre feine Karte abgeben. Da diese
Abweichung von der Tagesordnung plötzlich
erfolgte, war keine Truppengeleitschast vor-
Handen; nur Boisdeffre befand sich an der
Seite des Zaren, und es geschah, daß er
drei Minuten allein im Wagen saß, als
Boisdeffre ihn verließ, um ins Haus zu
treten. Die Menge erkannte ihn,
umdrängte den Wagen ganz unmittelbar
und jubelte ihm ihre Begeisterung gerade
ins Gesicht. Boisdeffre mußte bitten, ihn
durchzulassen, als er wiederkam. Der Zar
war aber durch diese allernächste Berührung
mit dem Volke nicht beunruhigt oder un
gehalten: er äußerte, er wünsche immer
so durch Paris zu sah reu. Die Be
hörde», be r a—°n aber einen großen Schrecken,
als sie diesen Zwischenfall erfuhren und
werden dafür sorgen, daß der Zar seine
Geleilsreiter nie ivieder unterwegs verliere.
Paris, 8. Okl Das Zarenpaar hat kurz
nach ein Uhr im offenen, vierspännigen
Wagen unter demselben Ceremonicll wie
bei der Ankunft die Fahrt nach Versailles
angetreten. Ungeheure Menschenmengen
rf:ws;ïscTM.?»..*
rrm-rnr w.vcaaw»^^«a«&CEj:',v„<iaar»a
S-s ZseHLLriits Kņyņe.
Roman von Hippolyte Montauban. 32
Am fünften Tage endlich brachte das Weib, als cs
des MorgenS kam, um sich nach Auroras Befinden zu
erkundigen, Schreibzeug und Briefpapier mit.
„Ah, endlich halte» Sie Ihr Versprechen," frohlockte
ķlmora.
Nun, wem wollen Sie denn schreiben, Kind?"
''Meinem Baker."
„Nein, das geht nicht," meinte das Weib kopfschüt-
îûttd
„Nun den«, meiner Mutter also-
„Das geht auch nicht.
"Zu was haben See denn Hoffnungen m merner
Ceeke wachgerufen?" meinte das Mädchen klernmuttg.
„Wenn Sie nachdenken wurden, Fraule,n^ so mrrßte
Ihnen noch eine dritte Person einsallen, der Sie schrer-
ben dürfen."
„Frau Durand.-
"Mein!gewesene Erzieherin, meine Fr-undio, mesne
ä^„Sind Sie der Freundschaft jtll» Dame vollständig
sicher?"
„Ja, vollständig.- . .
„Dann dürfen Sie ihr allch unbedingt schreiben,
tch werde nach Paris fahren und ihr den Brief senkst
«-ergeben. Nur müssen Sie wohl überlegen, was <s>
schreiben, um in Nickis die Wünsche Ihr» Freunde zu
durchkreuzen; wenn Sie erlauben, werde tch -ckşş" an»
deuten, was Sie schreiben sollen. Nachdem Lue ver
Dame Ihrer Freundschaft versichert haben, sage» «ne
tbr daß Sie sich in einem Hause befinden, in dem man
Sie mit großer Rücksicht behandelt. Nr Gesiebter,
Baron Bervon, habe Sie hierher bringen laffen, um da
mit Ihren Vater zu zlvingen. in Ihre Ehe zu willigen.
Mrrdcn Sie Ihre Erzieherin gern wiedersehen?"
„O, es wäre das höchste Glück, welches mir wider»
.Nuv, Sie solle» desselben teilhaftig werde»; ich
nehme das auf mich, wenn mich auch der Herr schilt;
ich muß etwas sür Sie thun, denn Sie haben mein gan
zes Herz erobert."
„Wie soll ich Ihnen danken?"
„Ich bedarf des Dankes nicht. Doch um wieder auf
den Bries zierückzukommen, Sic müssen Fran Durand
schreiben, daß Sie ihres Kommens mit Ungeduld har
ren, daß Sie sich danach sehnen, sie zu umarmen, daß
sie der Person unbedingt vertrauen könne, welche ihr
den Brief überbringt. Diese Person werde ich sein."
„Ich will gleich schreiben."
„Nun denn, so lasse ich Sie allein, doch nicht wahr,
ehe Sie den Brief siegeln, darf ich ihn lesen?"
„Ja gewiß," entgeguete Aurora, welche schon mit
der Feder in der Hand am Tische saß.
Frau Cocasse entfernte sich. Nachdem sie wie ge
wöhnlich die Thüre hinter sich abgeschlossen hatte, eilte
sie in ei» unteres Gemach, in welchem der Gras von
Sanzac ihrer harrte. „Nun?"
„Es hat sich alles so gemacht, wir Sie vorher gesagt.
Sie schreibt. Ich habe ihr auch gesagt, was sie schreiben
solle, und werde den Brief lesen, bevor sie ihn siegelt."
„Gut, sobald Aurora den Bries vollendet, werden
Sie sich auf den Weg machen zur Stadt. Längstens um
vier Uhr müssen Sie zurück sein." Daraus hin entließ
der Graf das Weib und gab sich wieder ungestört seinen
Gedanken hin.
Wird der Brief Auroras bezwecken, waS er soll?
Das war dieFrage, welche ihn in erster Linie beschäftigte.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da kehrte
Frau Cocasse zu dem jungen Mädchen zurück, der Brief
war bereits geschrieben, und die Frau laS ihn mit sicht
lichem Wohlgefallen. „Sie müssen Ihre Erzieherin sehr
gern haben." sprach sie lächelnd; „haben Sie schon ein
Kouvert adressiert?"
„Hier liegt es, mit da genauen Adresse: Davvs-
Straße 6."
„Gut I Nun Fräulein, stecken Sie den Brief in da»
Kouvert; ich werde Ihnen sofort das Frühstück bringen
und dann gleich zur Stadt eilen."
Sie bracht« den noch offenen Brief dem Ģraşiy.
„Herrlich, könnte nicht besser sein," mm melle dieser,
„die Geschicklichkeit des Weibes wird das übrige thun."
Wenige Augenblicke später stand diese abermals vor
dem Graf; sie war wie eine Bäuerin aus der Umgegend
von Paris gekleidet.
„Ich bin bereit, Herr Graf!"
Dieser reichte ihr den Brief Auroras.
„Sie wissen, was Sie zu thun und zu reden haben?
Die Erzieherin muß, ich wiederhole esJdnen, um jeden
Preis hierherkommen, reicht der Brief nicht aus, so
zähleich auf Ihre Ueberredungskunst. Sic können gehen."
Das Weib entfernte sich. Wenige Schritte vom Hause
entfernt, wartete Colibri mit seinem Wagen, Frau Co-
casse stieg ein und das Fuhrwerk rollte der Stadt zu.
35.
Nachdem sie den ganzen Morgen über Nachforsch
ungen gepflogen, welche zu gar keinem Ergebnis führten,
war die Gräfin von Lasso» zu Tode erschöpft nnd müde
in ihrer Wohnung angelangt. Den Kopf mit der Hand
stützend, saß sie an ihrem kleinen Arbeitstisch, als eS
plötzlich an der Thür pochte; sie horchte auf; ja sie hatte
sich nicht getäuscht, und rasch di« Spuren der vergossenen
Thränen von dem Antlitz wischend, stand sie aus und
öffnete.
Eine alte, blatternarbige, abschreckende Frau stand
vor ibr.
„WaS wollen Sie?" fragte die Gräffn befremdet.
daS?^ch Frau Durand zu sprechen; sind Sie
„Ja, ich bin eS; waS wünschen Sie von mir?"
„Zch bin vom Lande," brachte dar Weib anscheinend
»erlegen hervor, „und ich soll Ihnen einen Brief geben."
„Wer hat Ihnen den Brief gegeben?"
„Ein iunflieê, schönes Mädchen."
Die Gräfin gedachte sofort ihrer Locht» twd fühlte
sich tief bewegt. „Geben Sie her."
„Sind Sie aber auch wirklich Fra» Durand? DaS
Fräulein hat mir gar dringend aufgetragen, den Brief
nur persönlich jener Dame zu übergeben."
„Ich wiederhole Ihnen, ich bin Fra» Durà*
„Run denn, da ist der Brief."
Zitternd griff die Gräfin danach; ja, dar war die
Handschrift Auroras.
„Nehmen Sie Platz, Madame," sprach sie, zu dem
Bauernweib gcivendrt.
Hastig riß sie das Kouvert auf, entfaltete den Brief
und begann zu lesen. Ja so lieb, so zärtlich, schrieb Au
rora; in jeder Silbe glaubte sie ihr Kind vor sich zu
sehen. „Kennen Sic den Inhalt dieser Zeilen?" forschte
Frau Durand, zu dem Weibe gewendet.
„Nein, aber ich ziehe meine Schlüffe allS den Wor
ten des Fräuleins."
„Was hat sie Ihnen gesagt?"
„Mein Gott, ich weiß nicht mehr alles: daß Sie
ihre Erzieherin gewesen seien, und das Fräulein Sie
sehr lieb habe."
„Wo ist sie?"
„Nicht weit von Paris."
„Aber wo — wie heißt der Ort?"
»Das weiß ich selbst nicht recht; eS tst ein Hall»
mitten im Wald."
„Wie heißt der Wald?"
„DaS weiß ich nicht recht."
„Wie kommt es, daß Sie daS junge Mädchen gesehe»
Und es Sic mit einem Briefe betraute?"
„Ich wohne im selben Hause, also war's nicht schwer..
„Sie sind eine Dienerin?"
„Ich und mein Mann, wir find die Beschließer.-
„Ah. ich verstehe; wie heißt Euer Herr?"
„Das wiffen wir nicht, wir haben ihn nie gesehe».
er reist in fernen Landen."
„Ihr seid ganz allein im Hause?"
„Nein, das Fräulein ist mit uns."
„Wie tst sie zu E«h gekommen? Ei« müsse» doch
wtssen, von wem sie Euch zugeführt wurde."
„Ich kann mit dem besten Willen keiner echte Ast«-
kunft darüber geben; mein Mann der weiß mehr darum.'
„SosagrnSie mir doch wenigstens, waS Sie wiffen."
„Nun, vor acht Tagen sagte mir mein Mann: „Du,
Tiene, wir werden jetzt ein junges Mädchen ins H«m»
bekommen." „Wozu?" fragte ich. „DaS geht Dich nfitz» !
an," sprach et. 37,l*-