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Wo. 233.
Montag, den 5. Hctober
1896.
Morgen-Depeschen.
Berlin, 3. Oct. In der heutigen
Deleginenvcrsammlungdernatisnalliberalen
Partei sprach Landtagsabgeordneter von
Ģynern über die allgemeine Politik. In
kiner vorgelegten Resolution erklärt sich
i>ie nationalliberale Partei bereit, dem
ļandwirthschaştlichen Nothstände abhelfen zu
Zollen, verwiest aber alle extremen Mittel.
Abgeordneter Bassermann als Korreserent
betont, wirthschaftlicheGesichtspunkte müßten
>n der Partei zurücktreten. Mehrere An
läge, welche den Antrag Kanitz ausdrück-
ļich bekämpfen wollen, wurden eingebracht.
Tilsit, 3. Okt. Die ärztlichen Sach-
^rständigen sprechen sich heute im Prozeß
Muschel dahin aus, daß Witschel vollständig
berhandlungsfähig und im Stande sei,
seine Vertheidigung zu führen. Der Staats
anwalt stellte am Schluß seiner Rede den
Antrag, den Angeklagten als schuldig im
^llen Umfange der Anklage verurtheilen
wollen, während die Vertheidiger für
^erneinung der Schuldfrage eintraten,
^ìe Geschworenen kamen in ihrer Be-
kllihung zur Verneinung beider ihnen vor
gelegten Schuldfragen. Der Angeklagte
^urde daraufhin freigesprochen und sofort
ver Haft entlassen. Die Kosten des
Verfahrens trägt die Staatskasse.
. Czernowitz, 3. Oct. In Nowasielicza
Ģ ein russischer, angeblich aus deni
Kaukasus stammender Flüchtling, Namens
ì pinion Salarizi, verhaftet worden. Der
selbe erklärte, er agitire für eine Los-
şîâsung des Kaukasus von Rußland,
j Wien, 4. Okt. Eine große Feuersbrunst
M die große Ortschaft Nastasow in
! Galizien verwüstet. Viel Vieh und die
! ganze Ernte wurden ein Raub der Flammen.
Mehrere Personen werden vermißt.
Brüx, 4. Oct. Die Werksdirektionen
Mssen durch die erlassene neue Bekannt
machung, wonach die Arbeiter, welche ihre
M^beil morgen nicht wieder beginnen, ent
eisen sind, den Streik am Dienstag zu
Endigen. Der gestrige Tag ist aller
fürten ruhig verlaufen, nur in Maltheuern
^Men Unruhen vor, die aber leicht durch
Kavallerie behoben wurden.
. Prag, 3. Oct. Die „Bohemia" bringt
. Agende Mittheilung : Die Streikbewegung
^ļer den Bergarbeitern greift nunmehr
!^ch auf das Kohlenrevier Buschtierad-
şiladno über. Unter den Bergarbeitern
Mrd lebhaft für den Eintritt in den
streik agitirt, und es ist mehr als wahr-
ìinttch dast die Agitation erfolgreich
sein wird. Deshalb wird von dem
Buschtierad - Kladnow - Kohlenverein die
Kohlenverladung für die Kommittenten
gesperrt. Es ist das ein Zeichen, daß
man auf den Ausbruch eines nahen Streiks
rechnet.
Budapest, 4. Oct. Gestern Nacht brach
in dem Fabrikgebäude der ungarischen
Petroleum-Raffinerie ein großer Brand
aus. Das Feuer verbreitete sich so schnell,
daß alle Magazine ein Raub der Flammen
wurden. Die Feuerwehr vermochte nur
den Brand zu lokalisiren. Der Material-
schaden ist groß, dvch ist die Fabrik mit
allen Borräthen zum vollen Werthe ver
sichert.
Koristantinopel, 3. Oct. Die „Frkf. Ztg."
meldet: Stambul war gestern Nacht der
Schauplatz blutiger Scenen. Die Pforte
wird zwar nach bekannten Mustern die
Vorgänge abzuleugnen gesucht, aber ihre
Authenticität ist zweifellos. Die Sofias
der Stambuler großen Medresge verab-.
redeten, in der Nacht behufs Demonstrationen
in den Mdiz-Kiosk zu ziehen. Sie wurden
von Truppen umzingelt, die eine große
Anzahl Sofias tödteten, die anderen aber
zur Rückkehr zwangen. An den Haupt-
moscheen wurden dort, wo das Volk die
Waschungen vornimmt, festgenagelte Schaf-
häute gefunden, auf denen mit rother
Tinte aufreizende Proclamationen gegen
die Christen und europäischen Souveränen
geschrieben stände». Seit zwei Tagen weilt
bei dem Sultan in Mldiz-Kiosk der ehe
malige Fürst von Samos Karatheodori-
Pascha. Der Sultan benutzt seinen Rath
zur Vermittlung mit den Botschaftern,
welche glauben, derselbe werde demnächst
zum Minister des Aeußern ernannt, da
dem jetzigen Minister des Aeußern alle
Gewalten entzogen sind. — Der verhaftete
reiche Armenier Apic Effendi hatte als
letzten Beitrag 6000 Pfund für die
Hentschakisten gegeben. Die Regierung
beabsichtigt, das große Vermögen desselben
zu beschlagnahmen.
London, 3. Oct. Aus der gestrigen
Unterredung Salisbury's mit dem russischen
Botschafter will man auf ein baldiges
Vorgehen gegen die Türkei schließen.
New-Jork, 2. Okt. Der Vizepräsident -
schasts-Kandidat der Populisten, Thomas
Watson, droht mit Rücktritt.
B r y a n würde dadurch geschwächt, da er
viele Stimmen der Populisten verlöre.
Watson äußerte die Ansicht, Mc Kinley
werde gewählt.
Ausland.
Autzerenropäische Gebiete.
Eine neue Ausbeutung der Elek
trizität ist in Amerika zur Einführung
gelangt. Es betrifft das die Dienstbar-
machung dieser Naturkraft für die Schiff
fahrt. Zuerst hat man auf dem Erie-
Kanal versucht, Schiffe, Flöße und dergl.
durch den Kanal mittels Elektrizität zu
befördern. Aehnlich dem oberirdischen
System elektrischer Straßenbahnen sind
längs des Kanals Arbeitsleitungen gezogen,
welche an Galgen hängen, die 1 bis 2
Meter vom Ufer aus den Kanal nach dem
Wasser zu überragen. Auf diesen Leitungen
befinden sich elektrische Motore, welche die
elektrische Leitung als Schienenbahn benutzen
und die Schiffe fortziehen. Diese Anlagen
dürften hauptsächlich in kleinern Kanälen
den Verkehr bedeutend fördern und ein
schnelles Passiren des Kanals ermöglichen.
Die Anlagen am Erie- und Raritan-Kanal,
welche nach Lembschem System eingerichtet
sind, haben sich gut bewährt. Wie uns
das Bureau für Patentschutz-Verwerthung
von Dr. I. Schanz u. Co. in Berlin
miltheilt, findet diese Einführung auch
in Deutschland bereits die aufmerksamste
Beachtung, und es wird die Zeit nicht
mehr fern sein, wo wir bei uns nicht nur
elektrische Straßenbahnen, sondern auch eine
elektrische Schifffahrt haben werden.
Eine ausnehmend sonderbare Lotterie
veranstaltet nach dem „Mexican. Herald"
eine römisch-katholische Kirche in Mexiko.
Das Einzelloos kostet nur 10 Cents, um
auch ärmeren Leuten Gelegenheit zunc
Gewinn zu geben. Der Haupttreffer be
rechtigt zu 30 Messen für die armen
Seelen im Fegefeuer! — Echt amerikanisch !
Katzlans.
In Moskau wurden dieser Tage Frey-
tag's „Journalisten" in dem Theater von
Korsch gegeben und erlebten einen derartigen
Mißerfolg, daß, wie die „Nowoje Wremja"
sich klassisch ausdrückt, „ein Theil des
Publikums, nachdem es sich durch lauter
Gähnen den Mund zerrissen hatte, nach
dem dritten Akte das Theater verließ,
ohne wohl zu ahnen, daß noch zwei Akte
der sauersüßen Kartoffelkomödie in rheini
schem Geschmack übrig blieben."
England.
In Portsmouth spielte sich eine Szene
des größten Enthusiasmus ab, als die
Kapelle des russischen Zarenschiffes „Polar
stern" mit Erlaubniß des russischen Admirals
Lomen im Rathhause vor einer großen
Zuhörerschaft die russische Nationalhymne
spielte. Der Vizebürgerineister hielt eine
Rede, in der er ein Dankesvotum be
antragte, wobei er auf die englisch-russische
Freudschaft anspielte. Das gesammte
Auditorium stand auf und brach in nicht
endenwollende Hochs auf Rußland aus.
Die anwesenden russischen Marine-Osftziere
dankten und versprachen, dem Admiral
Lomen zu berichten.
Frankreich.
Die allgemeine Russenbegeiste
rung in Paris, welche gegenwärtig dort
herrscht, hat einem armen Polizisten Namens
Lebaud bereits den Verstand geraubt.
Während er an einem der letzten Nach
mittage die Ordnung auf dem Pont Rens
überwachte, sah man Lebaud plötzlich seinen
Säbel ziehen, ihn mit den Worten: „Für
Gott, Vaterland und Zar!" in der Luft
schwingen und in die Seine hinabspringen.
Schiffern gelang es, den Unglücklichen zu
retten und mit Hilfe von Gendarmen nach
dem Depot zu bringen. Auch dort wollte
Lebaud noch durchaus den diensthabenden
Polizei-Kommissar als russischen Nihilisten
verhaften. Lebaud wurde vorläufig nach
der Jrrenstation gebracht.
Das rechte Seine-User ist übrigens miß
vergnügt, weil es im offiziellen Programm
des Pariser Zarenbesuches gegen das linke
Ufer arg hintangesetzt wurde. Das linke
Seine-Ufer dagegen, welches den Ehrgeiz
hat, durch seine Einfachheit und die große
Tradition zu glänzen, will den Decorations-
rummel nicht mitmachen, der zu den Lebens
bedürfnissen des eigentlichen KosmopoliS,
der Welt zwischen Madeleine und Bastille,
gehört.
Türkei.
Konstantinopel, 3. Octbr. Der Sultan
drückte deni Kaiser Wilhelm telegraphisch
seinen Dank für das Bild der kaiserlichen
Familie ans. — Der außerordentliche
Gerichtshof erließ 18 Steckbriefe gegen
Mitglieder des armenischen Revolutions-
Comitees, darunter einen russischen Unter
than. — Das Jrade wegen der Patriarchen
wahl, das den Botschaftern vom Sultan
zugesagt ist, ist bisher nicht erschienen und
dürfte auch, wie von bestunterrichteter Seite
mitgetheilt wird, überhaupt nicht erscheinen,
da der jetzige Stellvertreter durch den
Sultan selbst ernannt werden soll. Das
armenische Blatt „Poutch" räth von jebem
Drängen in dieser Sache ab, sie sei der
Gnade des Sultans zu überlassen. Die
Aufgabe der Religionsgemeinde bestände
darin, die durch die letzten Ereignisse be
fleckte Ehre der armenischen Nation rein-
zuwaschen. — In türkischen Kreisen, be-
sonders im Mldiz-Kiosk, berührt es un-
angenehm, daß die russischen Stationäre
allabendlich mit elektrischen Scheinwerfern
signalisiren und dabei hauptsächlich das
Sultanspalais als Ziel benutzen. Die
türkischen Blätter veröffentlichen ein Jrade,
daß heute allen Beamten ein Monatsgehalt
ausgezahlt werde.
Oefterretch-Uugarir.
Mathias Jlles aus Fünfkirchen war ein
prächtiger junger Mensch, hübsch, lebens
lustig, arbeitsam, wer ihn kannte, war
ihm gut. Und Mathias war noch lustiger
und arbeitsamer, seit er sich im Fasching
in ein reizendes kleines Mädchen verliebt
und es schleunigst — trotz ihrer siebzehn
und seiner neunzehn Jahre — zu seiner
Hausfrau gemacht hatte. Die beiden Leut
chen lebten ein paar überselige Liebesmonate.
Natürlich fiel dem Pärchen gar nicht ein,
daß ihre Wonne enden könnte. Aber da
flatterte schon der Anfang vom Ende in
Gestalt eines blauen Zettels, der Mathias
zur Militärstellung berief, in die Stube
herein. Bangen Herzens folgte er dem
Rufe und trat vor die Kommission. Er
wurde für tauglich befunden und zitterte,
da er den Schwur ablegte. Darauf ging
er heim und erzählte seinem Weibchen,
was geschehen war. Trennung auf drei
Jahre! War das ein Jammern und Weinen
Tag um Tag in dem Raume, der noch
vor kurzer Zeit das Heim der Freude ge
wesen! Die junge Frau fand sich rascher
in das Unabwendbare. Sie tröstete den
Gatten mit der Versicherung ihrer festen
Liebe, die Mittel und Wege finden würde,
sich ihm auch während der Dienstzeit zu
nähern, vielleicht gar dieselbe zu verkürzen.
Solcher Trost verfing aber nicht bei Mathias.
Der früher so unbändig Fröhliche wurde
trübsinnig und in sich verschlossen, und je
näher der Tag heranrückte, der ihn in die
Kaserne rief, der erste October, desto ver
störter wurde sein Wesen, desto glühender
sein Auge, desto unheimlicher sein Reden
und Thun. Und jetzt ist Mathias Jlles,
der zwanzigjährige glückliche Ehemann,
wahnsinnig geworden; «r mußte in
die Landes-Jrrenanstalt gebracht und dort
sofort wegen gefährlicher Tollwuth gebunden,
und in die Zwangsjacke gesteckt werden.
Der Karlsbader Bürgerschullehrer Ham-
perl unternahm eine Ferienreise und blieb
Des JehltritLs Sühns.
Roman von Hippolyte Montauban
„Beim Weinhändler."
, .»Hätte mir's denken können. Du hast also gar nicht
griffen, daß dieser Mensch einen Grund hatte. Deine
Kundschaft zu suchen, das; Du ihm wie ein Thor in
^ Falle gegangen bist. . Er muß doch Fragen an Dich
fMerit haben, welche Dir hätten auffallen sollen. Nicht
Zufall hatte ihn in die Davys-Slraße geführt, ge-
ip zu jener Stunde, in welcher auch Du dort gewesen
şş- Das war alles wohlgeplant; er hatte einen Ge-
TM, welcher die Obiorge für Deine Pferde übernahm,
^i>rend der saubere Freund Dir heimlich einen L>chlaf-
^>k beibrachte."
«Jetzt geht mir ein Licht auf, Herr, o die Schufte."
^ «Meine Tochter ist ebenfalls. in eine Falle gelockt
r^deu, aber sie muß einen Brief erhalten haben; wie
ļ^’n derselbe in deren Hände gelangt sein? Der Schurke,
kochen Du Konstantin nennst, wußte, daß Du zu be
ginner Stunde in der DavlK-Straße sein werdest;
^aber hat er es erfahren. Warst Du es, der es ihm
«Nein, Herr, ich schwöre es."
tz- »Du hättest es auch nicht gekonnt, da das Fräulein
erst im letzten Augenblicke darüber verständigte.
Hti ? U î"uen Freund im Laufe des Tages nicht ge-
--Doch, ich traf ihn hier im Haufe."
itz, "Wie, der Schändliche hatte die Frechheit, biS hier
^auê zu dringen?"
schlug sich Louis plötzlich vor die Stirn. «Ich
iL s, ich hab's! Ich weiß setzt, wie er erfahren, daß
ssT Fräulein nach der Davys-Straße fahre. Als das
lei,, aus dem Hause trat, stand er bei mir, plötzlich
war er verschwunden; er muß sich hinter dem
ÌïL.f e ” oder der Stallthür versteckt und von dort auS
ìWort vernommen haben."
Graf stützte sinnend den Krpf in die Hand, er
ì kerne weiteren Fragen an Loris zr stellen; der
konnte sich entferne».
Wenige Augenblicke später griff auch der Graf nach
seinem Hut und verließ das Hans.
Den ersten Wagen anrufend, welcher vorüberfuhr,
ließ er sich nach der Davys-Straße bringen.
»Ist Frau Durand zu Hause?" fragte er die Por
tierin.
„Nein, sie ist aus."
„Dacht' ich's doch," murmelte er.
„Wann ist sie ausgegangen?"
„Gegen sieben Uhr abends," entgegnete sie, den
Fremden mit mißtrauischen Blicken messend.
„Wissen Sie wohin?"
„DieMicter haben mir keine Rechenschaft zugeben,"
entgegnete das Weib barsch, „sie gehen wohin sie wollen."
„Sie wissen aber vielleicht, zu welcher Stunde sie
zurückkehren wird?"
„Ich >veiß garnicht»; was wollen Sie überhaupt
von Frau Durand?"
„Ich habe nottoendig mit ihr zu sprechen."
„Nun, dann muffen Sie schon bis morgen warten:
Frau Duralld empfängt abends spät keine fremden Leute.
Nennen Sie mir Ihren Namen, und ich werde die Dame
einstiveile» vorbereiten."
„Nicht nötig, ich komine morgen wieder."
Der Graf kehrte nach dem Boulevard Haußmann
zurück; noch immer lvar keinerlei Nachricht von Aurora
eingetroffen. In der Voraussetzung, die Gräfin nicht zu
finden, war Herr von Lassen nach ihrer Wohnung ge
eilt ; ihre Abwesenheit bestärkte nur seinen Verdacht.
Die Unglückliche, sie hatte es gewagt, ihm ein zweites
Mal sein Kind zu rauben! Jetzt wollte er erbarmungs
los gegen sie vorgehen.
Nachdem die Gräfin Aurora bis zum Wagen ge
leitet, war sie, wie wir wisse», in ib-rc Wohnung zurück
gekehrt; dann hatte sie sich angekleidet, um Herrn van
Otlens jüngerer verheirateten Tochter einen Besuch ab
zustatten, da diese sie für den Abend eingeladen.
In qualvoller Unruhe verbrachte Herr von Lasson
die Nacht; als er endlich gegen sieben Uhr morgens aus
geben wollte, stürzte eben der Portier die Treppe her
aus. „Gnädiger Herr, man bringt den Wagen zurück."
Im Hose standen zwei Polizisten, Louis streichelte
seine schweißtriefenden Pferde. Der Graf bestürmte
die beiden Männer mit Fragen. Sie konnten nur be
richten, daß sie den Wagen im Bonlogner Wäldchen
- beim Morgengrauen gefunden, die Leitung der Pferde
war um einen Baum geschlungen gewesen. Sie hatten
das Fuhrwerk nach dem nächstgelegenen Polizei-Koni-
missariat führen wollen, als sie im Innern des Wagens
einen Zettel fanden, ans den in verstellter Handschrift
Frau v. Delormes Name und Adresse stand; daraufhin
brachten sie die Equipage dorthin; baten aber zugleich,
die Dame möge sich im Laufe des Tages nach dem Po
lizei-Kommissariate zur Vernehmung begeben.
„Frau v. Delorme vermag garnichts über den Fall
ausziffagcn," erklärte der Gras. „Durch Unachtsamkeit
unseres Kutschers sind Wagen und Pferde durchgegan
gen ; mir wünschen, daß der ganzen Sache weiter keine
Beachtung geschenkt werde; Ihnen aber sage ich meinen
besten Dank."
Die beiden Männer grüßten ehrerbietig und ent
fernten sich.
Der Portier, welcher kein Wort von dem Gespräche
verloren hatte, begriff nicht, was dem Herrn plötzlich
eingefallen sei, so zu handeln. Kopfschüttelnd kehrte er
ins Haus zurück, Herr von Lasso» aber fuhr abermals
nach der Davys-Slraße.
Die Portiert» kehrte eben vor dem Hause. „Ah, da
sind Sie schon wieder, mein Herr! Ich habe Frau Du
rand gesagt, daß ein alter Herr sie besuchen wollte, sie
wird somit nicht überrascht sein. Im dritten Stock
rechts."
Rasch eilte der Graf die Treppe hinan; sein Herz
pochte zum Zerspringen.
Da er keinen Glockenzug beinerkte, klopfte er an;
die Thür ging auf und er stand seiner Frau gegenüber.
„Sie, Herr Graf ?" rief sie überrascht, vor feinen dro
hende!» Blicken erschrocken zurückweichend. „Was hat
das zu bedeuten?"
Er schloß die Thür und blieb dann dicht vor ihr
stehen. „Elende," zischte er, „tvo ist meine Tochter?"
„Aurora ... ist sie fort?" stammelte die Gräfin.
„Heuchlerin! als wenn Sie nicht wüßte», wo sie sich
befindet. Gestern abend um fünf Uhr war Aurora hier
und als sie dies Haus verließ, wurde sie von zwei Ban
diten, Ihren Helfershelfern, geraubt!"
Totenbleich starrte die Gräfin ihn an, sie versuchte za
sprechen, aber die Stimme versagte ihr, sie fuhr mit de»
Armen in der Luft umher, als suche sie Stütze, aber
schon im nächsten Augenblick lag sie bewußtlos ihm zu
Füßen.
Das Entsetzen, welches sich in ihren Zügen abge
spiegelt hatte, war beredter, denn alles, was sie hätte
sprechen können. „Ich habe mich geirrt, sie ist» nicht
gewesen," murmelte der Graf; er warf einen mitleidiger»'
Blick auf die Unglückliche zu seinen Fußen, er beugt*:
sich nieder, um ihr beizustehen, aber plötzlich empor
schnellend, murmelte er: „Nein, nein, ich werde ihr
bessere Hilfe senden," und eilte die Treppe hinab.
Unten überraschte er die Portierin. indem er ihr
zurief, sie möge sofort zu Frau Durand eilen, welch«
ihrer Hilfe benötige, und rasch bestieg er seinen Wagen.!
„Wohin jetzt?" fragte er sich; da durchzuckte rhrrs
mit einem Male ein Gedanke — war sie es nicht, s»
konnte nur Adrian v. Bervon ihm seine Tochter geraubtt
haben; dann aber war Aurora vielleicht mit lhm im
Einverständnis! O entsetzlich! Und er preßte die Hände
an seine fieberhast pochenden Schläfen.
Er versuchte in seinem Baterherzen Entschuldign»-,
gen zu finden für Aurora; doch nein, sie ivar eines ssl-*
chen Verrates nicht fähig. Aber hatte sie nicht ohne seine
Erlaubnis ihre Erzieherin besucht?
Also nicht nur, daß sein Weib ihn vor Jahren ge
täuscht, verraten, entehrt, auch sein Kind, das er an
betete, weit mehr vielleicht noch als er die Mutter ver
ehrt hatte, — auch seine geliebte Aurora hinterging ihn.
Was sollte er thun? Sie ihrem Schicksal überlassen, wie
er es einst nrit seiner Frau gethan? Er stieß den Ge
danken mit Abscheu von sich. Mochte auch Aurora schul
dig sein, er fühlte nicht die Kraft in sich, sie zu verstoßen.
Bor allem galt es, sie wieder zu finden, Le denHände«
ihres Euisührers zu entreißen 37,16"