Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

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Wo. 208. 
Sonnavenö, ösn 5. September 
1896. 
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Morgen-Depeschen. 
Breslau, 4. Sept. Unmittelbar nach 
dem Eintreffen des kaiserlichen Extrazuges 
lief der aus Potsdam kommende Zug 
mit der Kaiserin ein. Zum Empfange 
der Majestäten waren der kommandirende 
General Erbprinz von Sachsen-Meiningen, 
der Kommandant von Breslau, der Ober- 
Präsident Fürst Hatzfeld, der Regierungs. 
Präsident von Heydebrand und der Lufa, 
der Polizeipräsident und die Vertreter der 
Stadt anwesend. Nach der Bgrüßung des 
Kaiserpaares, fuhr die Kaiserin in einer 
sechsspännigen Equipage, ihr zur Seite saß 
die Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, 
nach dem Denkmalsplatze. Der Kaiser 
folgte zu Pferde, escortirt von einer 
Schwadron des schlesischen Leibkürassier, 
regiments, dessen Uniform der Kaiser trug. 
Auf dem Wege dorthin wurde das Kaiser 
paar von einer dichtgedrängten Menschen- 
menge jubelnd begrüßt. Am Festplatze 
angekommen, begann sofort die Feier mit 
dem Vortrage einer vom Flügel'schen 
Gesangverein ausgeführten Hymne. Infolge 
der wenig günstigen Aufstellung des Gesang- 
Vereins verhallte der Vortrag fast gänzlich. 
Nach Beendigung des Gesanges ergriff 
der Oberpräsident a. D. Wirkl. Geh. Rath 
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von Seydewitz das Wort zu einer Ansprache 
an den Kaiser. 
Breslau, 4. September. Nach der 
Enthüllung des Denkmals für Kaiser 
Wilhelm I. begaben sich die Majestäten 
nach dem Rathhause, wo ihnen Namens 
der städtischen Behörden Oberbürgermeister 
Bender mit einer Ansprache den Ehren- 
trunk kredenzte. Der Kaiser erwiderte 
Folgendes: „Durch das Schwert meiner 
Maßen Vorfahren erworben und von 
deren Nachfolgern ausgebaut, gehegt und 
gepflegt als eine der schönsten Provinzen 
unseres Königsreichs, so habe auch ich 
Schlesien von meinen Vorfahren über 
nommen. Erfüllt von dem historischen 
str. J (Verth dieses Platzes, geweiht durch An- 
• “ aken aus früheren und aus späteren 
.en werde auch ich niemals erschlaffen 
i nicht ruhen in meiner Sorge für 
ver- I chlesiens Wohl und mich bemühen, den 
i. v delstein so schön, so blank und strahlend 
,u erhalten, wie er mir überkommen ist. 
eine ,Fch trinke auf das Wohl meiner Haupt- 
ller, anp Residenzstadt Breslau, der Bürger- 
à die uns soeben einen herzlichen 
>. Empfang bereitet hat, für dessen herzliche 
*> ’’nb künstlerische Schönheit die Kaiserin 
nd ich unsern herzlichsten Dank aussprechen, 
iliöge Gottes Segen über der Stadt 
walten, möge sie blühen und gedeihen und 
sich ausbreiten nach jeder Richtung hin. 
Das ist wem sehnlichster Wunsch!" — 
Hierauf machte der Kaiser einen Rund- 
gang im Rathhause und besichtigte die 
im Fürstensale aufgestellten Kleinodien und 
die alten Urkunden der Stadt. Der 
Kaiser richtete wiederholt Anfragen an 
den ihn geleitenden Oberbürgermeister. 
Sodann stieg der Kaiser wieder zu Pferde 
und die Kaiserin in ihren sechsspännigen 
Wagen und besichtigten alle vier Seiten 
des Ringes, jubelnd von den dort auf- 
gestellten Schulkindern begrüßt. Dann 
begaben sich die Majestäten in das Kgl. 
Nesidenzschloß, wo um 7 Uhr für die Ver- 
treter der Stadt und der Provinz Gala- 
tafel stattfindet. 
I Berlin, 4. Sept. Der „Reichsanz." 
veröffentlicht eine größere Anzahl von 
Auszeichnungen, welche anläßlich der An- 
Wesenheit des Kaisers in Schlesien ver- 
liehen wurden. Fürst von Hatzfeld-Trachen- 
berg, Oberpräsident von Schlesien, erhielt 
das Großkreuz des Rothen Adlerordens, 
Wirkl. Geh. Rath von Seydewitz die 
Brillanten zum Rothen Adlerorden erster 
Klasse mit Eichenlaub, Graf von Pückler- 
Lunghauß, General-Landschastsdirektor von 
Schlesien, den Rothen Adlerorden erster 
Klasse, Dr. von Heydebrand und der Lasa, 
Regierungspräsident zu Breslau, die könig- 
liche Krone zum Rothen Adlerorden zweiter 
Klaffe mit Eichenlaub, Dr. Bienke, 
Polizeipräsident zu Breslau, die königliche 
Krone zum Rothen Adlerorden dritter 
Klasse mit Schleife, Dr. Kopp, Kardinal- 
Fürstbischof von Breslau die Brillanten 
ìum königlichen Kronenorden erster Klasse, 
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Dr. von Bitter, Regierungspräsident zu 
Oppeln, Dr. von Hagen, Regierungs 
Präsident zu Liegnitz und Schwarz, General 
komniissionspräsident zu Breslau erhielten 
den königlichen Kronenorden zweiter Klasse 
mit dem Strauß, Dr. Dahn, Geh. Justiz- 
rath und ordentlicher Proffessor an der 
Breslauer Universität wurde mit dem 
königlichen Kronenorden zweiter Klasse 
ausgezeichnet, Oberbürgermeister zu Breslau, 
Bender, mit dem königlichen Kronenorden 
dritter Klasse, die Prinzessin Friedrich 
Wilhelm zu Hohenlohe - Jngelfingen auf 
Kascheiitin mit der ersten Klasse der zweiten 
Abtheilung des Luisenordens mit der 
Jahreszahl 1865, die Wittwe des General- 
lieutenants z. D. von Rantzau zu Görlitz 
mit der zweiten Klasse der zweiten Ab 
theilung des Luisenordens mit der Jahres 
zahl 1865. Dem Erb - Oberkämmerer 
Grafen Andreas von Maltzan wurde das 
Prädikat „Exellenz" verliehen, dem Grafen 
Fred von Frankenberg und Ludwigsdorf, 
Mitglied des Herrenhauses und des Stadt 
raths und dem Professor Ferdinand Grafen 
von Harrach den Charakter als Wirklicher 
Geheimer Rath mit dem Prädikat 
„Exellenz." 
Berlin, 5. Septbr. Die „Berl. Pol. 
Nachr." dementiren eine Meldung von einer 
angeblichen Erkrankung des Finanzministers 
Dr. Miguel. Er befinde sich in erfolg 
reicher Kur seit 3 Wochen in Wiesbaden 
und nicht auf der Besitzung seines Schwieger- 
>ohnes in Schlesien. Ueberdies sei sein 
Urlaubsgesuch auch nicht am 1. September 
abgelaufen, sondern dauere noch bis zum 
8. ds. Mts. 
Rom, 5. Septbr. Der Papst sandte 
dem Zaren anläßlich des Todes Lobanows 
ein Beleidsschreiben. — Die Trauung des 
Kronprinzen soll in der Kirche Santa 
Maria Segli Angoli stattfinden. 
Madrid, 5. Sept. In Barcelona und 
Saragossa sind ernste Unruhen ausgebrochen. 
Das Gerücht, Rekruten hätten den General 
Gonzales Tablas ermordet, ist falsch. 
San Franzisco, 5. Septbr. Bei der 
Explosion einer Pulverfabrik wurden 20 
Arbeiter getödtet und 25 verwundet. Bisher 
sind 15 Leichen geborgen. 
Newyork, 5. Septbr. Aus Jndianopolis 
wird der „Frkf. Ztg." telegraphirt: Das 
Programm der golddemokratischen National 
konvention spricht sich für die reine 
Goldwährung aus. Der internationale 
Bimetallismus wird nicht erwähnt. 
Ausland. 
Kntzland. 
Warschau, 3. Sept. Weiteren Meldungen 
zufolge fühlte sich Graf Schuwalow am 
2. September 4 Uhr nachmittags plötzlich 
unwohl, und zu derselben Zeit trat eine 
Lähmung der linken Hand und des linken 
Fußes ein. Unverzüglich gesetzte Blut- 
egel brachten eine gute Wirkung hervor. 
Heute ist die Gefühlssähigkeit der linken 
Seite sichtlich gebessert. Im allgemeinen 
bietet der Zustand keine Gefahr. Der 
Patient hütet jedoch noch das Bett. 
Frankreich. 
Paris, 4. Sept. Ueber das Erdbeben 
in Arras wird weiter gemeldet: Um 9 Uhr 
Abends wurde die Stadt und die Umgebung 
heftig erschüttert. Man vernahm ein 
Geräusch, welches dem unheimlichen Sausen 
eines Sturmes gleich war. Zahlreiche 
Zimmerdecken und Schornsteine stürzten 
à. Die Einwohner flüchteten aus ihren 
Häusern, die Panik war unbeschreiblich, 
■v?» einem Krankenhause versuchten die 
Kranken auf alle mögliche Art und Weise, 
in's Freie zu gelangen. In ganz Nord- 
frankreich wurde das Erdbeben mehr oder 
weniger deutlich wahrgenommen. 
Italien. 
Rom, 3. Sept. König Menelik exercirt 
Artillerie ein und trifft noch andere Vor- 
bereitungen zu einem neuen Kriege gegen 
Italien. 
Inland. 
Dresden, 3. Sept. Bei seiner Rückkunft 
von der Albrechtsburg wurden dem Kaiser 
lebhafte Huldigungen von der Bevölkerung 
dargebracht. Die ganze Feststraße zwischen 
dem Bahnhof und dem Schloß war groß- 
artig illuminirt. Undurchdringliche Menschen- 
mauern bildeten hier Spalier. Die Brühl- 
sche Terrasse, die Elbufer und die Dächer 
der Häuser waren mit Menschen besetzt. 
Es herrschte ungeheuerer Jubel, die Hoch 
rufe wollten nicht enden. In den Straßen 
sang die Menge patriotische Lieder. 
Röderau, 3. Sept. Die große Truppen 
schau über das sächsische Armeecorps ver 
regnete theilweise. Die mächtigen Tribünen 
waren dicht besetzt, alle Plätze ausverkauft, 
6000 Veteranen mit vielen Fahnen standen 
vor der Haupttribüne. Der Paradeplatz, 
der größer ist als das Tempelhofer Feld, 
war von Menschenreihen eingefaßt. Hunderte 
von Wagen mit Zuschauern hielten dahinter 
In der Parade standen drei Infanterie 
Divisionen mit elf Regimentern und drei 
Jäger-Bataillonen im ersten Treffen, im 
zweiten die zusammengestellte Cavallerie- 
Division mit sieben Regimentern, wobei 
die vierte Garde-Cavallerie-Brigade, drei 
Artillerie-Regimenter, das Trainbataillon 
und die Pioniere. Die Feldgendarmerie 
und die Artilleristen bildeten Chaine. 
General < Feldmarschall Prinz Georg zu 
Sachsen commandirte die Parade, der 
viele Fürsten, Prinzen und ausländische 
Officiere beiwohnten. Kaiser Wilhelm 
führte dem König Albert sein Infanterie- 
Regiment Nr. 101 vor, der König dem 
Kaiser seine Regimenter. Der Kaiser ritt 
auch zu den Veteranen. Die Kritik war 
sehr eingehend und lautete sehr schmeichel 
haft für die Sachsen. 
- Den Entwurf eines Gesetzes 
betr. die Abänderung von Arbeiter- 
versicherungsgesetzen veröffentlicht 
der „Reichs-Anzeiger". Der seltsame Titel 
deckt im Wesentlichen nur eine Aenderung 
des Jnvaliditäts- und Altersversicherungs 
gesetzes, für die man eine bisher un 
gebräuchliche Form gewählt hat. Artikel 1 
des neuen Gesetzentwurfs lautet nämlich: 
„Das Gesetz betreffend die Jnvaliditäts- 
u. Altersversicherung vom 22. Juni 1889 
wird in der aus der Anlage ersichtlichen 
Weise abgeändert." Die Anlage enthält 
das ganze Jnvaliditäts- und Altersver 
sicherungsgesetz in der neu vorgeschlagenen 
Fassung. Ob diese Form zweckmäßig ist, 
werden Bundesrath und Reichstag zu ent 
scheiden haben. — Die „Anlage" nebst 
der dazu gehörenden allgemeinen Begrün 
dung füllen beinahe drei Beilagen des 
amtlichen Blattes. Die beiden wichtigsten 
Aenderungen betreffen die Bestimmungen 
über die Bertheilung der Rentenlast 
und das Verfahren bei der Entrichtung 
der Beiträge. Die jetzige Art der Ver- 
theilung der Rentenlast, bei welcher nur 
die Zahl und die Höhe der geleisteten Bei- 
träge in Betracht kommt, soll dahin ge 
ändert werden, daß auch die vom Lebens- 
alter abhängige Verschiedenheit ihres Ver- 
sicherungswerthes berücksichtigt wird. Es 
soll in Zukunft jede Versicherungsanstalt 
dauernd mit einem Viertel der von ihr 
festgesetzten Rente belastet werden, während 
drei Viertel von der Gesammtheit aller 
Versicherungsanstalten und der zugelassenen 
besonderen Kasseneinrichtungen getragen 
werden sollen. Es soll damit der Ver 
schärfung der Ungleichheit in der Ver 
mögenslage der einzelnen Versicherungs 
anstalten vorgebeugt werden. Die un 
günstige Vermögenslage einzelner Anstalten 
entspringt indessen hauptsächlich der mangel- 
haften Erfüllung der Verpflichtungen durch 
Arbeitgeber und Versicherte. — Das 
Markensystem soll beibehalten werden. 
Es hat sich nichts Besseres, was an seine 
Stelle hätte treten können, ermitteln lassen. 
—■ Dem Geh. Oberregierungsrath Dr. 
Königs, der vorgestern Nacht nach 
längerem Leiden gestorben ist, hat der 
„Vorwärts" einen sehr wohlwollenden 
Nachruf gewidmet, worin Dr. Königs 
als einer der verdientesten Beamten im 
preußischen Handelsministerium, als einer 
der wenigen, dem es mit einer entschiedenen 
Sozialpolitik wirklich fernst war, gerühmt 
und weiter gesagt wird: 
„Der unüberwindliche Widerstand gegen 
alle seine Bestrebungen im Interesse der 
Arbeitsklasse hat seine Anlage zu einem 
Nervenleiden ungünstig beeinflußt. So 
starb er viel zu früh und schied unbefriedigt 
aus seinem Wirkungskreise, indem er seine 
Ideale nicht verwirklichen konnte.Oekonomisch 
unabhängig gestellt, hat er seit dem ersten 
Auftreten seiner Krankheit auf sein 
Gehalt vollkommen verzichtet, was ihn 
nicht hinderte, stets in eifrigster Weise 
thätig zu sein." 
Die Bismarck'schen „Neuesten Nachr." 
bemerken hierzu: 
„Eine derartige Anerkennung seitens der 
Sozialdemokratie für denjenigen Beamten, 
der die rechte Hand des Ministers von 
Berlepsch war, sollte nach mehr wie einer 
Richtung zu denken geben." 
Das Blatt wird vermuthlich sicher 
überrascht sein, im „Reichs-Anzeiger" heute 
zu lesen: 
„Dr. Königs verband mit reichem Wissen 
eine schöpferische Initiative und mit 
unermüdlicher Arbeitskraft nie rastenden 
Fleiß. Insbesondere hat er bei der Be 
arbeitung der allgemeinen sozialen und 
Arbeiterfragen, sowie des Gewerbegehilfen-, 
Gesellen- und Lehrlingswesen Vorzüg 
liches g e l e i st e t. Die durch seinen 
Tod gerissene Lücke wird schwer wieder 
auszufüllen sein." 
— Die Streitigkeiten in der Redaktion 
des „Vorwärts" scheinen doch den Zweck 
zu haben, den alten Liebknecht hinaus- 
zugrauleu; denn ein sozialdemokratisches 
Provinzblatt schreibt schon offen, daß es 
für Liebknecht noch andere Möglichkeiten 
gebe, der Partei zu dienen, und daß er 
die Chefredaktion des „Vorwärts" gut 
und gern einem andern überlassen könne. 
Wer der andere sein werde, wird auch 
schon angedeutet, nämlich Dr. Adolf Braun, 
für den schon der Umstand sprechen dürfte, 
daß er Herrn Singer in der Abstammung 
näher steht, als Herr Liebknecht. — Zu 
der Angelegenheit schreibt übrigens der 
„Brest. General-Anz." : „Der vor nicht 
langer Zeit in Berlin verstorbene Professor 
von Gizycki, der frühere Herausgeber der 
„Ethischen Kultur", stand der Sozial- 
demokratie sehr nahe, noch mehr aber 
sympathisirte seine temperamentvolle junge 
Frau, Lily von Gizycki, die viel genannte 
Vorkämpferin für die Ideale der Frauen 
emanzipation, mit sozialdemokratischen Be 
strebungen. Die Dame besuchte nun bald 
nach dem Tode ihres Gatten Frau Lieb 
knecht und erklärte ihr, daß sie sich nun 
ganz auf den Boden der sozialdemokratischen 
Partei zu stellen beabsichtige. Ferner bat 
sie Frau Liebknecht, diese möge ihr einen 
Lehrer empfehlen, der sie in die National 
ökonomie und die sozialdemokratischen 
Lehren einführen könnte. Und Frau Lieb 
knecht bezeichnete der jungen Dame als die 
geeignetste Person den — Redakteur des 
„Vorwärts", Dr. Adolf Braun, der jetzt 
an der Spitze der Palastrevolution steht. 
Doch schien der Unterricht in volkswirth- 
schaftlichen Dingen, den Dr. Braun der 
schönen und leidenschaftlichen Frau von 
Gizycki gab, die Nebenrolle zu spielen, 
denn man hörte bald von einer Heirath 
zwischen Lehrer und Schülerin. Frau von 
Gizycki, geb. Kretschmann, die Tochter eines 
preußischen Generals, wurde die dritte 
Frau des „Genoffen" Dr. Braun, der, 
ein Apostel der freien Liebe, sich von seiner 
zweiten Frau hatte scheiden lassen. Diese 
Verehelichung hat nicht wenig dazu bei 
getragen, Dr. Adolf Braun einen starken 
Rückhalt in der Partei zu verschaffen, als 
für die Sozialdemokratie der Uebertritt 
der begabtesten Streiterin für die Frauen 
rechte, der Frau von Gizycki, zu ihrer 
Fahne einen großen Gewinn bedeutete. 
Herrn Dr. Braun ist durch seine Ver- 
ehelichung mit einer preußischen Generals- 
tochter der Kamm mächtig geschwollen, um 
ihn schaaren sich die so viel geschmähten 
Akademiker der Partei." 
— Unter der Überschrift „Wie lange 
noch?" veröffentlicht Herr Pastor Dam- 
mann in Essen einen Aufruf in der von 
ihm herausgegebenen Zeitschrift „Licht und 
Leben" den folgenden Passus: 
Eben lese ich in der Zeitung unter den 
„letzten Telegrammen": „Paris 18. Aug. 
Der Sultan verlieh der Frau und der 
Tochter des Präsidenten Faure den Groß- 
kordon des Schefakat- (Barmherzigkeits-) 
Ordens." Welcher Hohn, daß der regierende 
Sultan Abdul Hamid II. an christliche 
Potentaten oder deren Frauen Barm 
herzigkeits-Orden austheilt! Noch betrüben 
der als dieser Hohn ist die Thatsache, daß 
man „christlicherseits" diese Orden annimmt. 
Was sich doch die sogenannten „Christen" 
heutzutage bieten lassen! Wie, wenn der 
Sultan Abdul Hamid II. den Plan faßte, 
eine Rundreise durch Europa zu machen, 
um die europäischen christlichen Fürsten 
zu besuchen? Ich bin überzeugt, man 
würde sich gegenseitig in Höflichkeiten über 
bieten, und während in Armenien -'»f 
Befehl des Sultans, die „Christenhunde" 
zu tausenden, unsäglich gefoltert und ge 
martert, verstümmelt, gepeinigt, durchbohrt, 
geköpft, ersäuft, verbrannt, geschändet werden, 
während in Hunderten von Städten und 
Dörfern Greuel über Greuel geschehen, so 
gräßlich, daß starke Nerven dazu gehören, 
sie zu lesen und auszudenken, während in 
den noch stehen gebliebenen Kirchen mos- 
lemitische Priester auf den Kanzeln stehen 
und den unter Dolch und Schwert „Neu- 
bekehrten" die Vorschriften der muhammeda- 
nischen Religion lehren und die Muezzin 
von den Thürmen, die man der Glocken 
beraubt, die „Gläubigen" zum Gebet rufen, 
während durch das 7000 Quadratmeilen 
große Land vom Kaspischen Meere bis 
nach Kleinasien ein Heulen, Jammern, 
Schreien, Wimmern zu Gott aufsteigt, u..d 
der Himmel von brennenden Dörfern und 
die Erde von geschlachteten Menschen blut- 
roth gefärbt ist, würde vielleicht Se. Majestät 
der Sultan an europäischen christlichen 
Höfen Paraden abnehmen und in Bankett 
sälen und Opernhäusern gefeiert und jeden 
falls von der gaffendenMenge bejubelt werden. 
Die Politik verdirbt den Charakter, hat 
ja wohl Bismarck gesagt; aber sie richtet 
noch größeres Unheil an: Sie allein ist 
Schuld daran, daß den aller Beschreibung 
spottenden und zum Himmel schreienden 
Greueln in Armenien kein Ende gemacht 
wird. Um der Politik willen bleibt der 
Sultan der „Rühr-mich-nicht-an". 
— Die Hälfte der Zahlmeister 
der 4. (Halb-) Batailloue, die mit 
der Umformung der 173 Halbbataillone 
zu Vollbataillonen überflüssig wird, sollen, 
wie die „Pos. Ztg." meldet, einstweilig in 
den Ruhestand unter Gewährung von 
Wartegeld gesetzt werden. Das Wartegeld 
beträgt drei Viertel des Gehalts einschließ, 
lich Wohnungsgeldzuschuß. 
— Wegen Soldatenmißhandlung wurde 
der Unteroffizier R e m m e r s vom 26. 
oldenburgischen Artillerie-Regiment zu vier 
Monaten, wegen Meineids der Artillerist 
Lübben von demselben Regiment zu neun 
Monaten Festungshaft verurtheilt. Lübben 
hatte in einer Angelegenheit falsch ge 
schworen. In Folge dessen war der 
Artillerist Mohrmann mit Inbegriff anderer 
Vergehen zu 37, Jahren Zuchthaus ve.- 
urtheilt, nach 14monatiger Haft aber wieder 
entlassen worden. 
— Die Nachricht, daß das Detail- 
reisen in Manufacturwaaren, Wäsche und 
Bekleidungsgegenständen ohne jede Ein- 
schränkung gestattet werden soll, ist 
mindestens verfrüht. Der Bundesrath, 
der die Ausnahmen vom Verbot des De- 
tailreisens festzusetzen hat, hat seit dem 
Schluffe des Reichstages keine Sitzungen 
gehalten, kann also eine solche Erlaubniß 
noch nicht gegeben haben. 
- Eine neue Entdeckung im An 
schluß an Experimente mit Röntgen- 
Strahlen machte der NaturforscherBacquerel. 
Wenn man, diesem Entdecker zufolge, aus 
eine photographische Platte ein Hvlzkästchen 
stellt, in dem sich z. B. ein Schlüssel be- 
findet, und das Holzkästchen mit Uran- 
glas bedeckt, oder das Element selbst, 
nämlich Uran, darüber streut, so wirkt 
das Uran, das zu den stark fluorescirenden 
Körpern gehört, fast wie Röntgen-Strahlen. 
Rach einigen Stunden sind die ziemlich 
scharfen Contouren des Schlüssels auf der 
entwickelten Platte zu sehen. Angesichts 
dieser Erscheinung steht die Wissenschaft 
nun vor einem neuen Räthsel, das vor 
läufig ebenso unerklärlich ist, wie dasjenige 
der Röntgen-Strahlen selbst. 
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