Kaiser berief Herrn von Goßler nur zu
se -er eigenen Information nach Wilhelms
höhe, und dieser fuhr wieder ab, ohne sich
über den Zweck der Hinberufung vollstän
dig im Klaren zu sein. In jenen Tagen
ist eine ganze Zahl höherer Militärs nach
Wilhelmshöhe berufen worden. So weilte
dart beispielsweise am Donnerstag, den 13.
d. M., außer dem Generallieutenant von
Goßler auch der Kommandeur der 22
Division, Generallieutenant v. Collas, und
tags zuvor hatte der Kaiser mit dem Ge
nerallieutenant v. Bork aus Hannover eine
mehrstündige Unterredung. Der Kaiser hat
sich. wie er das bei der Besetzung höherer
Militärstellen stets thut, mit sämmtlichen
in Frage kommenden Generälen besprochen
und seine Entschließung dann ganz selbst
ständig getroffen.
Berlin, 18. August. Zur Frage der
Militärstrafprozeßordnung findet
sich in der neuesten Nummer der „Deut'
schen Juristenzeitung" der erste Theil eines
Aufsatzes vom Geh. Justizrath Obev
Auditeur a. D. Solms. Es wird darin
zunächst das gegenwärtige Verfahren aus
einandergesetzt und im Anschluß daran
ausgeführt: Es liegt auf der Hand, daß
das hier kurz geschilderte Militärgericht
liche Verfahren weder den wissenschaftlichen
Anforderungen noch dem rechtlichen Be-
dürfniß genügen kann. Abgesehen davon,
daß in dem gesammten Verfahren die
Entscheidung der wesentlichsten Fragen
ausschließlich in den Willen des Militär
befehlshabers gelegt ist und die vorgesehene
Controle sich praktisch vielfach als unzu
länglich erweist, ist es namentlich die
Stellung des Auditeurs bezw. unter-
suchungsführenden Officiers,
welche der Anfechtung unterliegt. Von
der selbstständigen Stellung eines Richters
kann bei ihnen keine Rede sein, sie haben
sich den Anordnungen der Gerichtsherren
auch dann zu fügen, wenn dieselben ihren
rechtlichen Ansichten widerstreben . . Die
Militär-Spruchgerichte in ihrer gegenwär
tigen Zusammensetzung bieten keine aus
reichende Garantie für eine zweckent
sprechende Rechtsprechung. Namentlich ist
dies der Fall bei solchen, in denen Ge
meine und Unterofficiere als Richter
mitzuwirken haben. Erstere befinden sich
durchgehends in einem Alter, welches nach
bestehendem bürgerlichen Recht ihre Theil
nahme an einer richterlichen Thätigkeit
ausschließt, und ihre geistigen Fähigkeiten
sind selten so weit entwickelt, daß sie der
Verlesung langer Verhandlungen mit aus
reichendem Verständniß folgen können.
Den zu Richtern berufenen Officieren kaun
die Anerkennung nicht versagt werden,
daß sie auch bei dem im Heere wenig be
liebten Gerichtsdienst ihr volles Pflicht-
gefühl einsetzen und den Ernst der Sache
voll und ganz zu würdigen wissen. Aber
auch an sie treten Ansprüche heran, denen
die menschliche Natur nicht gewachsen ist.
Man bedenke nur, welcher Anspannung
geistiger Kräfte es bedarf, um in lang
wierigen und schwierigen Untersuchungen,
dem meist monotonen Verlesen dickleibiger
Aktenbände, das Stunden, oft Tage lang
währt, die Spreu von den Körnern zu
sondern und sich ein richtiges Bild von
dem Verschulden des Thäters zu schaffen
Der Spruch eines militärischen Gerichts
erhält erst nach erfolgter Bestätigung und
Publikation die Rechtskraft. Bis dahin
hat er nur die Form eines Gutachtens
und entbehrt jeder rechtlichen Wirkung.
Gelangt er zur Aufhebung, so gilt er als
von scriptum, und die Richter, die dabei
mitgewirkt haben, erhalten keine Kenntniß.
Die hieraus sich ergebenden Folgen sind
leicht p übersehen . . . Die Befürchtung,
daß jede Aenderung dieses Verfahrens
nothwendig zu einer Schädigung der
Disciplin führen müffe, ist nicht ge
rechtfertigt. Auch darf man sich nicht
über die Stimmung in der Armee täuschen;
das Bedürfniß nach einer zeitgemäßen
Reform der Militärstrafrechts
pflege ist in derselben seit langer Zeit
rege, nur hindern die militärischen Ein
richtungen, daß das Verlangen nach Be
friedigung auch in die äußere Erscheinung
tritt.
Berlin, 19. August. Wie die „N. A.
Z." meldet, hat der Kaiser gestern das
Bürgerliche Gesetzbuch vollzogen,
Berlin, 19. August. Der preußische
Landtag soll diesmal früher als gewöhn
lich, und zwar nach den „B. P. N."
bereits EndeOktober einberufen werden.
Bestimmend ist dabei die Absicht, eine
Verständigung mit dem Landtag über die
" esoldungs Verbesserung der Be
amten so zeitig zu erzielen, daß die
sämmtlichen neuesten Gehaltspositionen in
den Entwurf des Etats für 1897/98 ein
gearbeitet werden können. Es wird an
genommen, daß bei diesem Verfahren die
parlamentarischen Verhandlungen über die
Gehalsverbesserungen vor der Weihnachts
pause zum Abschluß gelangen können,
odaß die Anspannung aller Kräfte die
entsprechende Gestaltung der Einzeletats
noch zeitig genug erfolgen kann, um die
Vorlegung des Etats zu Mitte Januar
oder spätestens einige Tage darnach zu
ermöglichen.
Berlin, 19. Aug. Der preußische Minister
des Innern hat sich anläßlich einer Reihe
von Einzelfällen veranlaßt gesehen, die
ihm Nachgeordneten Behörden darauf hin
zuweisen, daß als F e l d z u g s t h e i l -
n e h m e r im Sinne des Reichsgesetzes
vom 22. Mai 1895 nur diejenigen Veteranen
gelten, die thatsächlich an einem Gefecht
theilgenommen oder in einem zu einem
Feldzug ausgerückten Truppentheil gestanden
haben. Der Aufenthalt während eines
oder mehrerer Kriegsjahre in der Garnison
kann hiernach nicht als Theilnahme am
Feldzug angesehen werden, und die betreffen
den Jahre kommen auch bei der Anrechnung
nicht in Betracht. Es ist daher in Zukunft
bei jedem Antrag auf Gewährung der
gesetzlichen Beihilfe von 120,.// der Nachweis
zu liefern, daß und wann der Antragsteller
mit seinem Truppentheil zum Feldzug
ausgerückt ist, bezw. welche Schlachten oder
Gefechte er mitgemacht hat. Eine Fest
stellung nach dieser Richtung hin dürste
wohl nur in seltenen Fällen auf Schwierig
keiten stoßen.
Berlin, 19. August. Das Kaiserliche
Gesundheitsamt macht bekannt, daß, nach
dem die Sammelforschungen über die
Wirksamkeit des Diphtherieheilserums
ein vorläufiges günstiges Ergebniß
gehabt haben, fortan die Heilanstalten mit
den der Sammelforschung dienenden Ar
beiten nicht mehr belastet werden sollen,
und von der Einsendung bezüglicher sta
tistischer Ausweise abgesehen werden soll.
Berlin, 19. August. Das unerfreuliche
Vorkommniß der Ungültigkeitser
klärung der ersten Ziehung der Aus
stellungslotterie ist begreiflicher Weise
in aller Munde und erregte nicht nur
hier, sondern auch überall da, wohin der
Telegraph die Kunde dieses sensationellen
Ereignisses trug, berechtigtes Aufsehen.
Sind doch die 500000 Loose der Series.
über alle Welt verstreut, und es ist nur
zu erklärlich, daß die Nachricht mit sehr
gemischten Gefühlen aufgenommen wird.
Bei den glücklichen Gewinnern, namentlich
der Haupttreffer, erregte sie selbstverständ
lich Betrübniß und Aerger, während die
488 518 Durchgefallenen sich mit einer
gewissen freudigen Befriedigung dem Ge
danken hingeben, daß ihnen durch das
unaufgeklärte Vorkommniß nun eine neue
Gewinnchance geboten und Frau Fortuna
sich ihnen diesmal vielleicht wohlgesinnter
erweisen wird. Und doch — merkwürdige.
Widerstreit der Gefühle — spricht man
selbst in den Kreisen der Loosbesitzer mit
tiefem Bedauern von dem so schwer ge
täuschten Arbeiter, dem die launische
Glücksgöttin das große Loos in den
Schooß warf, um es ihm ebenso schnell
wieder zu entreißen. Das ist hart, sehr
hart, und man versetzt sich unwillkürlich
in die Lage des Mannes, dem sich Plötzlich
ein weiter Horizont des Glückes aufthat,
und der im Besitz des ihm so unverhofft
zugefallenen Capitals die Zukunft für sich
und die Seinigen im rosigsten Lichte sah.
Wie selten schüttet das Glück auf den Be
dürftigen eine solche Gabe aus, wieviel
seltener wird sie einem der Beschenkten
auf solch tückische Weise wieder entrissen,
und dieser Eine mußte diesmal gerade
einer der Wenigstbegüterten sein, der in
harter Arbeit um seine Existenz kämpfte
und nun mit dem schmerzlich bitteren Ge
fühl weiter kämpfen muß, daß ihm Fortunas
Becher, den er schon mit vollem Recht
leeren zu dürfen glaubte, so unerbittlich
von den Lippen gerissen wurde. Daß
über das leidige Vorkommniß überall sehr
abfällig geurtheilt wird, finden wir be-
greiflich. Steht doch so viel fest, daß die
ganze Ziehung nicht mit der nöthigen
Präcision» nd Aufmerksamkeit durch
geführt wurde. Zahlreiche Augenzeugen
bekunden, daß der Waisenknabe, der die
Gewinnloose zog, dies nicht, wie es Vor-
schrift ist, mit aufgestülpten Aermeln that.
So liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß
das fehlende Gewinnloos in des Knaben
weitem Rockaufschlag verschwand. Auch
daß er stets das zweite und dritte Loos
zog, ehe das erste verlesen und aufgeklebt
war, kann nicht bestritten werden, und es
ist zu hoffen, daß diesen Ungehörigkeiten
bei den künftigen Ziehungen energisch ge-
steuert wird. Denn wenn auch so viel
feststeht, daß man mit dem redlichsten
Willen das Geschäft der Ziehung vorbe
reitete und jeder Gedanke an eine absicht
liche Unregelmäßigkeit hier ausgeschlossen
war, so ist doch die Thatsache, daß eine
Wiederholung stattfinden muß, kein be
sonders erfreulicher Abschnitt in der bisher
so ehrenreichen Geschichte der Gewerbe-
Ausstellung.
Die goldene Amts kette des Ober
bürgermeisters von Spandau wird die
Stadtverordneten-Versammlung in dieser
Woche nochmals beschäftigen. Die Aller,
höchste Kabinetsordre zur Anlegung der
Amtskette ist zwar eingegangen, es fehlen
aber noch die Mittel zur Beschaffung dev
selben. Es waren von den städtischen
Körperschaften ursprünglich 300 Mark
für zwei silbervergoldete Ketten, eine für
den Oberbürgermeister und die andere für
den Stadtverordnetenvorsteher, bewilligt
worden; inzwischen ist aber nur dem Ober
bürgermeister gestattet worden, eine Aus
zeichnung anzulegen, und zwar die goldene
Amtskette; diese kostet aber 500 Mark
und diesen Betrag soll nun die Stadtver
ordneten-Versammlung erst noch bewilligen
Gegen die 300 Mark hat seiner Zeit ein
Drittel der Stadtverordneten gestimmt.
Königsberg, 19. Aug. In Szittkehmen
entlud sich ein schweres Gewitter, wobei
die 62jährige Mutter des Besitzers Gallic
not vom Blitz getödtet wurde.
Anläßlich des Besuches des deut
schen Kaiserpaares in Görlitz ,im
September herrscht bei allen Behörden längst
der preußisch-sächsischen Grenze eine fiebev
hafte Thätigkeit. An den Tagen des
Kaisermanövers, vornehmlich aber am 7.
September, wird wohl die schwerste Ver-
antwortung auf den Eisenbahnbeamten
ruhen, die aus verschiedenen größeren
Stationsorten zahlreiche Verstärkung er
halten und deren Leitung die obersten
Chefs selbst in die Hand genommen haben.
Der Güterverkehr wird vollständig einge
stellt, da außer den Hofzügen die Militär-
züge und regulairen Schnell- und Personen
züge die Strecke befahren. Das Zaren
paar von Angesicht zu sehen, wird fast
unmöglich sein, denn das Manöverterrain
einschließlich der Bahnhöfe wird militärisch
abgesperrt. Auf jedem Bahnhof, den der
Zug passirt, kommen Militär- und Gen
darmerie-Posten, die ein- und ausfahrenden
Züge müssen vor dem Bahnhof so lange
halten, bis der Zarenzug ven Bahnhof
durchfahren hat. Reisende, selbst die nicht
zum Dienst befohlenen Beamten, dürfen
die Bahnsteige nicht betreten und alle
Ein- und Ausfahrtsweichen, Telepraphen-
bureaux und die Strecken werden mit dem
zuverlässigsten Beamtenpersonal besetzt.
Das Verbot des Betretens wird sich auch
auf die Bahnhofsrestaurationen erstrecken
und auf einzelnen preußischen Grenzstationen
werden in Folge der getroffenen Schutz,
maßregeln Umbauten vorgenommen. Der
Görlitzer Bahnhof, der in eine großartige
Empfangshalle umgewandelt wird, ist
während des Aufenthaltes des Kaisers und
des Zaren für den übrigen Verkehr voll
ständig gesperrt. Alle disponiblen Ma
schinen und Wagen der in Frage kommen
den Eisenbahn - Directionen sind für die
Manövertage bei Görlitz-Breslau in Be
reitschaft zu halten. Den Hofzügen werden
sogenannte Vor- und Nachläufer beige
geben.
Zu den Kaisertagen in Breslau
werden außer den bereits genannten fürst
lichen Personen noch die Prinzen Leopold
und Ludwig von Bayern eintreffen. Die
Haupttage der großen Manöver werden
sich vom 10. bis 12. September auf den
Schlachtfeldernvon1813beiBautzen
abspielen. An diesen Tagen begiebt sich
der Kaiser von Görlitz nach Pommritz.
Zwischen Zschorna und Kohlwesa beiHochkirch
wird ein großes Biwak abgehalten werden.
In der gestrigen Sitzung des in Bres
lau abgehaltenen Verband stages der
deutschen Bäckerinnungen gab die
Neuorganisation des Handwerks Anlaß zu
sehr lebhafter Debatte. Geh. Oberregierungs,
rath Dr. Sieffert erklärte auf eine An
frage, die Zwangsorganisation sei
für das gesummte Handwerk vorge
sehen, die Regierung habe nur geglaubt,
die außerhalb des Handwerks stehenden
freien Innungen nicht stören zu sollen.
Die meisten Redner erklärten sich für d i e
Zwangsorganisation, bezeichneten
aber die Vorlage als noch verbesserungs
bedürftig. — Der Verbandstag faßte
heute eine längere Resolution, worin er
klärt wird, daß die Zwangsorgani-
sation de s Handw erks eine bedeutende
und sehr nützliche Förderung zu dessen
Hebung ist, und worin die Hoffnung aus
gedrückt wird, daß es der bevorstehenden
Handwerkerconferenz gelingt, die Mängel
in dem Entwurf zu beseitigen. Des
weiteren bezeichnet die Resolution den Be -
f ähigungsnachw eis alsüb er flüssig,
dagegen sei es nothwendig, daß das Recht,
Lehrlinge zu halten, nur denjenigen
zuerkannt werde, die eine Gesellen- und
Meisterprüfung abgelegt haben. Endlich
wird die Errichtung eines deutschen
Reichs-Handwer ksamts gefordert.
Ferner wurde in einer Resolution die
Sonntagsruhe als das Bäckergewerbe
'chwer schädigend bezeichnet und
die Erwartung ausgesprochen, das die
Regierung ven Bäckern den Verkauf ihrer
selbsterzestgten Waare an Sonn- und Feier
tagen wenigstens bis 5 Uhr gestatten
werde.
In dem Personenzuge, der von Inster
burg um 9,50 Uhr nach Königsberg abging,
gerieth am Donnerstag zwischen Waldhausen
und Norkitten durch Funken von der Loco
motive ein Wagen vierter Klasse in
Brand. Die Passagiere waren zwar in
großer Angst, Niemand aber hatte, wie
die „Elbinger Ztg." mittheilt, aus Furcht
vor Strafe den Muth, die Nothbremse zu
ziehen. In Norkitten wurde das Feuer
gelöscht.
Stolp, 19. August. In Bad Kolberg
wurde der 30jährige, jung verheirathete
Kaufmann Salo Nothmann aus Breslau
auf Requisition des Breslauer Staats
anwalts verhaftet. Nachdem das Vorver
hör auf der Polizeistatiou beendet war,
zog der Verhaftete plötzlich ein Taschen
messer hervor und durchschnitt sich die
Kehle. Sein Zustand ist hoffnungslos.
Bei Schießübungen des 24. Infam
terieregiments in der Nähe von Wittstoik
wurde eine ältere Frau, die sich durch die
Postenkette hindurchgeschlichen hatte, um zu
ihrem im Schußbereich der Truppen bele-
genen Garten zu gelangen, der „N. R.-Z."
zufolge durch eine Kugel tödt lich ge>
troffen.
Ein verhängnißvoller Zusammenstoß
zwischen einem Eisenbahnzuge und
einem Arbeitswagen fand Montag'
Nachmittag in der Nähe von Passendorf
statt. Als der von Halle abgelassene Per
sonenzug Nr. 4 die Passendorfer Chaussee
kreuzte, fuhr in schneller Gangart ein
schwer beladener Arbeitswagen über das
Geleise. Die Maschine erfaßte das Fuhr
werk und zertrümmerte dasselbe vollständig;
der Kutscher sowie die beiden Pferde
wurden auf der Stelle getödtet, die
Lokomotive leicht beschädigt. Der Zug
erlitt durch den Unfall eine halbstündige
Verspätung.
Ueber ein Erlebniß, wie es sonst eigent
lich nur in Büchern vorzukommen pflegt,
wird aus Leipzig Mittheilung gemacht
Vor einiger Zeit entfernte sich ein Zog'
ling einer dortigen Unterrichtsanstalt, ohne
von seinen Angehörigen vorher Abschied
genommen zu haben, und langte nach
mancherlei Fährlichkeiten in der Schweiz
an, wovon die Familie Kenntniß erhielt.
Die Schwester des jungen Mannes machte
sich nunmehr auf den Weg und zwar nach
Zürich, in welcher Stadt sich ihr Bruder
aufhalten sollte, um denselben wieder nach
Hause zu bringen. Sie logirte sich in
einem dortigen Gasthause ein, von wd
aus sie die erforderlichen Schritte unter
nahm, um den Gesuchten zu finden. Den
Bruder fand sie nicht, wohl aber einen
Bräutigam. Der Besitzer des Gasthauses
nämlich, ein Junggeselle, hatte Gefallen
an der jungen Dame gefunden und trug
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Segen ihn
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schickte, ft
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banne,
shrüchi
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Im Manne dunkler Gewalten.
Roman von Elfried v. Hohenstein. 50
Aber von ihm einen Freundschaftsdienst annehmen,
oder auch nur einen Rat? Nein und tausendmal nein!
So demütigt sich kein Waldenburg! Lieber in den Stru
del hinab gerissen werden, lieber verhungern, als die
helfende Hand eines großmütigen Feindes ergreifen!
So hatten sie alle gedacht, die mit stolzen, trotzigen
Menen in der Ahnengallerie von den Wänden herab
blickten, und so dachte auch er. — Es gab nur zweier
lei, was geschehen konnte oder mußte; entweder Rein
erz ließ sich zu einem neuen Uebereiiikommen bewegen
— natürlich indem seine habgierigsten Forderungen be
willigt wurden, oder der Bankerott mußte angemeldet
werden. Waldenburg mußte die Frist verlängern, gleich
viel um welchen Preis. Vielleicht bewährte sich doch noch
das alte Sprichwort: „Kommt Zeit, kommt Rat." Also
nicht gezögert!
Wie seiner Sinne nicht mächtig, taumelte Walden
burg mit unsicheren Schritten der Thüre zu, da raschelte
etwas hinter seinem Fuße; cs war ein eigentümlicher
Ton, der seltsam auf seine erregten Nerven wirkte, der
ihn zwang, stille zu stehen und nieder zu blicken. Und
als er gesehen, was er da zertrat wie einen giftigen
Wurm, lachte er wieder unheimlich und schneidend und
stemmte den Fuß mit aller Gewalt auf den Boden. Aber
das glatte, niattglänzende Papier war doch nicht zu ver
nichten, der stunime und dennoch so beredte Ankläger
spottete des zornigen Thäters. Da faßte Waldenburg
mit zitternder Hand darnach und schleuderte den Ballen
indas offenstehende Fach des Schreibtisches, dann schellte
er, verlangte Hut und Ueberrock und eilte fort. Es dul
dete ihn nicht im Hause; die vier Wände erschienen ihm
wie die Mauern eines Gefängnisses. Wie in früherer
Zeit fühlte er sich von dem Verlangen, planlos umher
zu irren, ergriffen und fortgetrieben.
Der Sturm nahm an Gewalt zu, und die Schnee
flocken rieselten dicht herab. Albert dachte nicht daran,
sie abzuschütteln. Er wanderte weiter durch elegante
Stadtviertel und durch von kleineren Geschäftsleuten
und Arbeitern bewohnte, und befand sich plötzlich an
der Ecke der Sch .. straße, ohne zu wissen, ob sein Wille
oder der Zufall ihn hingeführt. Bor einem kleinen Hause
stand eine gewöhnliche Mietskutsche.
Waldenburg ging vorüber, blickte nach der Hausthür
und las: Nr. 18. Er konnte nicht umhin, den Kutscher
anzurufen und zu fragen: „Haben Sie nicht eine Dame
hierher gefahren?"
„Jawohl!" erwiderte der Mann.
„Ist sie noch anwesend?"
„Ich soll warten."
Albert trat in den schmalen Flur und stieg die
Treppe hinauf, nicht hastig und stürmisch, sondern laug-
samen, schweren Schrittes. Schwer stützte sich auch seine
Hand ans das Geländer, und wiederholt blieb er stehen :
einmal, um mit seltsamem Blick ein altes Heiligenbild
anzustarren, dessen Rahmen verblichene Rosen und
schwarz gewordene Silberranken schmückten, und dann,
um einen langen klaffenden Riß in der Mauer zu be
trachten. Nicht als ob ihn diese Dinge interessiert hät
ten, aber er fühlte, daß unbeschreibliche Wut in ihm
gärte, daß alles ihn zu einer wahusinnigen That drängte,
daß er im Begriff war, sich zu etwas Furchtbarem,
Grauenhaftem hinreißen zu laffen, und er fürchtete seine
eigene, bis in's Maßlose gesteigerte Heftigkeit und den
Augenblick, wo das Weib milder Duldermiene, das sich
scheinheilig in den strahlenden Mantel der Tugend hüllte,
entlarvt vor ihm stehen würde.
Der Sturm fuhr heulend um das Haus, fing sich
indem kleinen dreieckigen Hof und rüttelte an den Dach
rinnen. Irgendwo mußte ein Fenster nicht ordentlich
schließen, odereine Scheibe zerbrochen sein, denn eisiger
Zug bewegte raschelnd die verblichenen Blumen-Guir-
landen. Unter dem verwitterten Heiligenbild brannte
eine Lampe, die zugleich dem Zwecke diente, die Treppe
zu beleuchten. Die Flamme schwankte hin und her,
warf, bald hochaufflackernd, bald sich verdüsternd, röt
liche Lichter auf die Wände und ließ das gemalte Ant
litz, das sich seltsam von dem fast schwarzen Hintergrund
abhob, zuweilen verzerrt und drohend erscheinen.
Das alles beobachtete Waldenburg, während jede
Fiber in ihm zuckte, und dabei zählte er mechanisch die
Stufen, die noch zu ersteigen waren, bis zu der Thür
mit dem Messingtäfelchen, worauf: „Frau Rompe" ge
schrieben stand.
Plötzlich wurde die Thür geöffnet und im nächsten
Moment vom Luftzug zugeworfen. Zu gleicher Zeit ver
losch das unruhige Flämmchen.
Albert war zurückgetreten. Er hatte nur flüchtig
einen pelzverbrämten Mantel gesehen und den leisen
Schrei eines weiblichen Wesens vernommen. Die Er
schrockene mußte aber ihren Weg gut kennen, denn sie
fand ihn trotz der Dunkelheit. Ihr seidenes Kleid rauschte
über die ausgetretenen Stufen und streifte den an der
Mauer lehnenden Mann. Da überwältigte ihn sein lei
denschaftliches Naturell. Er hielt den Arm der Vor-
übereilenden fest und sagte mit unterdrückter Stimme:
„Rosa, was führt Dich in dieses Haus, wo Richard
Reck aus-und eingeht?"
Ein zorniger Aufschrei antwortete ihm, und als es
nun wieder hell wurde, weil jemand Licht auf den Vor
saal stellte, taumelte er fast zurück und stammelte ver
wirrte unzusammenhängende Entschuldigungen, denn
wie eine beleidigte Fürstin, den Kopf etwas zurückgebo
gen, die schwarzen Augen flammend vor Entrüstung,
stand Melanie vor ihm und fragte zürnend: „Was be
deutet das ? Stehen die beiden Namen, welche Sie eben
nannten, in Beziehung zu dieser unerwarteten Scene,
so schenkten Sie einer erbärmlichen Verleumdung Glau
ben."
„Es handelt sich allerdings, tvie ich jetzt sehe, um
einen Bubenstreich, dessen Urheber ich zur strengsten
Rechenschaft ziehen muß," gab Waldenburg zu. Er be
reute bitter, sich ihr gegenüber verraten zu haben. „Ver
zeihen Sie mein unbefugtes Eindringen, welches für
den Gipfel der Unverschämtheit gelten müßte, hätte ich
ahnen können, Sie hier zu finden. Den anonymen Brief
schreiber werde ich entdecken, und dann soll er seine That
büßen."
Der Ausdruck ihrer Züge blieb finster und abwei
send. Langsam stieg sie die Stufen wieder empor, ihn
durch eine Geberde auffordernd, ihr zu folgen.
Er wollte mit erneuten Entschuldigungen ablest'
nen, aber sie wiederholte die Aufforderung in eine!"
Tone, der keinen Widerspruch zuließ.
Eine Dienerin öffnete auf den ersten Klingt
zug. Melame klopfte an die nächste der drei in de"
schmalen Korridor mündenden Thüren. „Herein!" rick
eine Frauenstimme. Das Gemach, in welches Alben
jetzt blickte, war einfach aber traulich eingerichtet.
dem mit braunem Stoff überzogenen, etwas altmostst
scheu Sopha stand ein mit Büchern und Schreibhefte"
bedeckter Tisch, an welchem ein ungefähr zwölfjährig^
Mädchen eifrig schrieb, sich jetzt aber erschrockeuumsav
Die au ihrer Seite sitzende alte Dame erhob sich,
den Eintretenden entgegen zu gehen.
„Gestatten Sie mir, Ihnen in Herrn von
bürg, der sich ebenfalls lebhaft für unseren Schützling
interessiert, einen Bekannten von Onkel und Tante, ft
wie von Herrn Reck vorzustellen," sagte Fräulein
ton und fuhr, zu Albert gewendet, fort: „Frau Ober'
lehrer Rompe, Taute Beates Freundin und die gütige
liebevolle Erzieherin dieser Waise, der auch Sie Jh?.
Teilnahme schenken Gern will ich Ihnen alles mittt''
len, was das Kind betrifft. Zwei Jahre sind verflösse"-
seit . . ."
„Bitte, liebes Fräulein, ich habe eS nicht gech
wenn vor Helene davon gesprochen wird." unterbra»
die alte Frau mit leiser Stimme. „Indem ich sie >"f
den Schularbeiten fortfahren lasse, lenke ich ihre A"!'
merksanlkeit ab."
Melanie nickte. Noch zwei andere in einer Reihe tft
gende Zimmer waren geöffnet, sie schritt in das letzte
während Waldenburg ihr folgte. Dort erzählte sie tt)" 1 '
wie Richard sich bc§- verwahrlosten Kindes ang-noA
men und Beate für dasselbe ein Unterkommen ge'"ck-
und später bei der Lehrerswitwe Rompe gefunden
„Ich, Reck und die Tante besuchen abwechselnd dm
Mädchen und freuen uns, daß aus der Halbverwilder
ten ein intelligentes, fleißiges und gute Anlagen ze^
gendes Wesen wird. welches warme Dankbarkeit um
Anhänglichkeit beweist. 43,1b
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