herausnahm und in die Front versetzte
Das rheinische Blatt, dessen Verbindungen
zur Regierung bekannt sind, bezeichnetes
zutreffend als das Mindeste, was ein
Minister verlangen kann, daß ihm niemand
gegen seinen Willen diejenigen Kräfte weg
nimmt, deren er zur Ausführung der ihm
gestellten Aufgaben zu bedürfen glaubt.
Es gäbe Leute, die da glauben: ein Kriegs
minister sei allmächtig. Wie es scheint
war er nicht einmal mehr Herr im
eigenen Hause.
Eine weitere Meinungsverschiedenheit
zwischen Kriegsministerium und Militär
kabinet besteht ohne Zweifel in der Frage
der Reform des Militär straf
Prozesses. Wie weit diese den Minister
Wechsel beeinflußt hat, ist für die Nicht
Eingeweihten noch nicht völlig zu übersehen
Es besiehe nach wie vor die feste Zuver
sicht, daß der Reichskanzler sein Versprechen,
betreffend die Militärstrafprozeßordnung,
werde einlösen können. Mit der bloßen
Zuversicht ist nichts bewiesen.
Der ganze Verlauf der Angelegenheit giebt
denen Recht, die von vornherein die baldige
Einbringung einer Reformvorlage bezweifelt
haben. Wenn General Bronsart v. Schellew
dorff Hoffnung gehabt hätte, in der Frage
des Militärstrafprozesses gegenüber dem
Chef des Militärkabinets durchzudringen,
so wäre er sicher im Amte ver
blieben.
Die Aussichtslosigkeit der Militärstraf
Prozeßreform ist dem Kriegsminister jeden-
falls schon vor längerer Zeit klar gewesen.
Im Reichstag hat er bekanntlich im März
1895 ausdrücklich für seine Person erklärt:
„Sollte ich erkennen, daß mir die Kräfte
fehlen, eine Strafprozeßordnung hier zur
Verabschiedung zu bringen, so werde ich
mich beeilen, Se. Majestät um meine
Verabschiedung zu bitten."
Die Reichstagsmehrheit und vor allem
das Centrum hat im Vertrauen auf die
Erklärungen des Reichskanzlers und des
Kriegsministers beim Militäretat und bei
der Vorlage über die vierten Bataillone
sich in diesem Jahre bewilligungslustiger
als in irgend einem anderen gezeigt. Das
Vertrauen der Reichstagsmehrheit ist ge
täuscht worden. Für das Zusammenwirken
zwischen Regierung und Parlament ist der
Vorgang sehr lehrreich.
Geheime Nebenregierungen sind über-
Haupt mit einem konstitutionellen
Staatswesen unverträglich. Wie-
derholt ist in der Geschichte des preußischen
Staates die materielle Einmischung des
Militärkabinets in die Regierungsgeschäfte
verhängnißvoll für die innere Entwickelung
geworden. Das Militärkabinet ist eine
Abtheilung des Kriegsministeriums und
hat in die Maßnahmen des Kriegsministers
ebensowenig wie ein anderer beliebiger
Untergebener hineinzureden. Bekanntlich
hat das Militärkabinet unter Kaiser Wil
helm I. seinen überwiegenden Einfluß ge
wonnen. Als 1883 der Kriegsminister
General v. Kameke von seiner Stellung
zurücktrat, wurde mit Rücksicht auf den
General v. Albedyll die Stellung eines
Chefs des Militärkabinets geschaffen, weil
dieser nach militärischen Grundsätzen mcht
Untergebener des jüngeren Kriegsministers
sein konnte. Später ließ man es bei der
einmal getroffenen Anordnung bewenden.
Vielfach haben die unverantwortlichen Rath-
geber dieser Hofkreise der Politik der ver
antwortlichen Rathgeber des Kaisers ent
gegengewirkt.
Die Bedenken gegen di; Wirksamkeit
des Militärkabinets werden durch die
Neubesetzung des Kriegs ministe
riums noch verschärft. Der Chef
des Militärkabinets steht als General der
Infanterie im Range höher als der
Minister, der Generallieutenant ist. Die
Annahme ist nicht von der Hand zu wer
sen, daß der Einfluß des Militärkabinets
dadurch noch verstärkt und dem General
lieutenant an der Spitze des Kriegs
Ministeriums nur die Aufgabe zugedacht
ist, parlamentarisch das zu vertreten, was
auf den Rath des Generals der Infanterie
an der Spitze des Militärkabinets be
schlossen worden ist. Wohl ist es möglich,
daß in Zukunft weniger Reibereien zwischen
dem Kriegsminister und dem Chef des
Militärkabinets vorkommen, aber a u
Kosten der Selbstständigkeit des
Ministers, der vor dem Lande die ver
fassungsmäßige Verantwortlichkeit zu tragen
hat. Unverantwortliche Rathgeber und
geheime Nebenregierungen widersprechen
der Verfassung des Reiches und des preu
ßischen Staates.
Aņslaà
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 18. August. Das Geschenk des
Kaisers Nikolaus II., der Säbel
Rakoczys, an das ungarische National
museum hat in beiden Theilen der Monarchie
das freudigste Echo geweckt. Die Wiener
Morgenblätter bezeichnen die Schenkung
als einen ebenso sympathisch berührenden
wie staatsklugen Akt. Dadurch, daß er
dem Besuche des Kaisers vorangehe, sowie
durch das Begleitschreiben des russischen
Botschafters Grafen Kapnist, gewinne er
eine hohe politische Bedeutung.
Unter Anderem schreibt die „Neue Freie
Presse": Dadurch, daß der Kaiser von
Rußland seinen Wunsch kundgiebt, mit
Oesterreich in herzlicher Freundschaft zu
leben, bezeugt er sein Vertrauen in die
ìiedlichen Zwecke des Dreibundes,
bezeugt er mittelbar die friedlichen Ten
denzen seiner eigenen Politik, zerstört er
die thörichten Hoffnungen jener, welche
von ihm die Entfesselung der Kriegsfurie
erwarten. Das „Neue Wiener Tagebl."
hebt hervor, Oesterreich-Ungarn werde das
Geschenk als ein Zeichen für die Herzlich
keit der Beziehungen beider Staaten mit
aufrichtiger Freude aufnehmen, da man
hierin eine neuerliche feste Gewähr für die
dauernde friedliche Lage mit Recht erblicken
dürfe. Noch wärmer sind natürlich die
Dankeskundgebungen der ungarischen Presse.
Wien, 18. August. Die Blätter feiern
das Geburtstagsfest des Kaisers in
schwungvollen Worten. Das „Fremden-
blatt" schreibt: „Sämmtliche Völker Oester-
reichs verehren und lieben den Kaiser als
ein leuchtendes Beispiel selbstloser Pflicht-
erfüllung, als den Begründer des neuen
Oesterreichs, den mächtigen Förderer des
geistigen Strebens und ernster fruchtbarer
Arbeit im Vaterlande. Oesterreich-Ungarn
gewann unter dem Scepter des Kaisers
FranzJoseph seine achtunggebietendeStellung
unter den Mächten Europas wieder. Die
Monarchen des Continents blicken in Ehr
furcht auf die erlauchte Person unseres
Herrschers, der seit fast 50 Jahren den
habsburgischen Thron ziert. Die Völker
Europas erblicken in ihm den alle Zeit
bewährten Hort des Friedens." Das „Neue
Wiener Tageblatt" schreibt: „Unserem
Kaiser wenden sich die Herzen aller Oester-
reicher zu, die an die Zukunft des Vater
landes glauben."
ķ
Rustlarrd
Petersburg, 19. August. Eine Kessel
explosion in der Obuchowskischen Eisen
und Stahlgießerei hat das Kesselhaus voll
ständig zertrümmert und die Nebengebäude
arg beschädigt. Zehn Arbeiter sind todt,
zwölf schwer verletzt.
Italien.
Rom, 18. August. Der von Massauah
in Neapel angelangte Dampfer „Giava"
brachte 10 Osficiere und 153 Soldaten in
die Heimath zurück. Von den Letzteren
waren 47 Gefangene Meneliks und 17
Gefangene Mangaschas und anderer Ras.
Der Soldat Vincenzo Arvia, der von
Menelik gefangen gehalten wurde, erzählte,
daß die Italiener sehr schlecht behandelt
werden. Arvia erhielt die Nachricht von
seiner Freilassung durch einen österreichischen
Priester, der in schlechtem Italienisch sagte:
„Kinder, ich bringe Euch die gute Nach
richt von Eurer Freilassung. Der Negus
hat anläßlich der Krönung des Zaren
bewilligt, daß 50 von Euch freigelassen
werden; er will der anmuthigen Kaiserin
von Rußland einen Gefallen erweisen."
Domencio Jervolino, der von Ras Ma-
konnen gefangen gehalten wurde, schildert
diesen als einen wüthigen, freundlichen
Mann, der die gefangenen Italiener gut
behandelt. Seine Unterfcldherren kümmerten
sich aber wenig um seine Befehle, nahmen
den gefangenen italienischen Soldaten die
Kleidungsstücke weg und mißhandelten die
nackten Leute in schrecklicher Weise. Als
Makonnen dies erfuhr, erklärte er, daß er
jedem, der die Italiener mißhandle, die
rechte Hand abhauen lassen werde; das
half. Jervolino rühmt die Mildherzigkeit
der schoanischen Frauen, die alles Mög
liche thun, um die Leiden der Gefangenen
zu lindern.
Norwegen.
Christiania, 18. August. Die unerwartete
Nachricht von der Ankunft Nansen's hat
die sonst so ruhigen Norweger in gewaltige
und freudige Erregung versetzt. Als am
Donnerstag die ersten Telegramme ein
trafen, war ganz Christiania in einen
stötzlichen Freundenrausch versetzt; auf
Straßen und Plätzen sammelten sich die
aufgeregten Bewohner. Die Cafts und
Restaurationen wurden nicht leer, und vor
den Zeitungsexpeditionen kämpfte man
wrmlich um die Extra-Ausgaben, die aus
den Fenstern der oberen Stockwerke hinaus-
geworfen werden mußten, da der Andrang
unten nicht zu bewältigen war. Wohl ist
der erste Trubel jetzt einer ruhigeren, herz
lichen Freude gewichen, aber noch bildet
Nansen's Rückkehr ein Thema, das jedes
Gespräch beherrscht; in den Straßen und
in den Häusern, auf den Schiffen und in
den Eisenbahnzügen ist die Parole: Frith-
jof Nansen! Wenn erst Nansen seinen
Einzug in Christiania hält, dann wird
das Feuer der Begeisterung von Neuem
auflodern, und der kühne Forscher wird
einen Triumph feiern, wie nie einer
zuvor. Nansen wird am nächsten Sonn
tag hier eintreffen. Er ist heute von
Bardo, wo gestern ein Fest ihm zu Ehren
gegeben wurde, mit dem Postschiff abge
fahren und trifft Dienstag in Hammerfest
ein. Man plant hier großartige Empfangs-
feierlichkeiten.
England.
Portsmouth, 18. August. Bei der
gestrigen Regatta gewann der „Meteor"
den Albert Cup Die „Britannia" ging
als zweite Jacht durch das Ziel.
London, 18. Augnst. Es verlautet, die
japanische Regierung will ihre' Kriegsschiffe
umbauen und die Firma Armstrong strebe
einen diesbezüglichen Contract an.
Jràņd.
Berlin, 18. August. Der bisherige
Kriegsminister Bronsart v. Schellen
dorff ist, wie die „N. A. Z." schreibt,
gestern hier eingetroffen; er verabschiedete
sich heute von den Beamten und Offizieren
des Kriegsministeriums. Der neue Kriegs
minister v. Goßler wird in den nächsten
Tagen zur Uebernahme der Amtsgeschäft
hier erwartet.
Berlin, 18. August. Der „Reichsanz."
veröffentlicht das Gesetz, betr. Abänderung
des Gesetzes über Erwerbs- und Wirth
schafts-Genossenschaften vom 1. Mai 1889,
sowie über den Geschäftsbetrieb in Consum-
Anstalten.
Berlin, 18. August. Dem Vernehmen
nach sind die preußischen Schulbehörden
ermächtigt worden, auch am 2. September
d. I. und künftig zur Betheiligung der
Schuljugend an der Feier des Sedan-
t a g e s den Schulunterricht an den öffent
lichen Volksschulen ausfallen zu lassen und
die Abhaltung einer Schulfeier an diesen
Tagen zu veranlassen.
— Das Welthandelsmonopol tn
Petr oleum ist durch die Verschmelzung
zweier bedeutender Petroleumeinfuhrhäuser,
die fast ganz Deutschland mit Petroleum
versorgen, wieder näher gerückt. Bekannt
lich erstrebt der amerikanisch - englische
Petroleumtrust, an dessen Spitze die
Millionäre Rockefeller und Rothschild stehen,
die Durchführung des Petroleumweltmono-
pols. Nach einer Meldung der „Deutsch.
Bolksw. Korresp." wendet der preußische
Finanzminister der Frage ein be
sonderes Interesse zu. Angeblich soll er
über Mittel nachsinnen, der Wirksamkeit
des amerikanisch-englischen Spekulanten
ringes im Augenblick der Gefahr energisch
enrgegenzutreten. Der zunächst liegende
Gedanke richte sich auf Verstaatlichung
der in Deutschland vorhandenen
Petr oleum quellen und Bewilligung
von Mitteln, um Bohrungen nach neuen
Quellen vorzunehmen; daß solche noch
vorhanden sind, beweisen die erfolgreichen
Bemühungen der Vereinigten Deutschen
Petcoleumwerke.
Für Sanitätsvorrichtungen bei
E i s e n b a h n u n f ä l l e n ist von den Eisen-
bahndirektionen bestens gesorgt, so daß
noch vor Ankunft des Arztes von den
Eisenbahnbeamten die erste Hülfe ge
leistet werden kann. Zufolge ministeri
eller Anordnung find auf den Stationen
und Haltestellen sog. Rettungskasten, Be
hälter mit Medikamenten, Instrumenten,
Bandagen u. s. w., in Bereitschaft, und
ebenso werden Rettungskasten auf den
Zügen mitgeführr. Um bis zum Ein
treffen des Arztes diejenigen Maßnahmen
treffen zu können, die geeignet sind, den
Verunglückten Hülfe und Linderung zu
bringen, werden die betreffenden Beamten,
die Stationsvorsteher und Zugführer von
Zeit zu Zeit von den Bahnärzten unter
richtet und zwar über Behandlung von
Wunden, Knochenbrüchen, Verrenkungen,
Ohnmachten, Verbrühungen u. s. w. In
neuerer Zeit hat der Minister empfohlen,
auch anderen Beamten die Theilnahme an
den ärztlichen Unterweisungen zu gestatten,
namentlich geeigneten Vorarbeitern und
Handwerkern in den Werkstätten. Die
Direktionen sollen die Namen solcher
Bahnbeamten, die durch häufigere Hülse-
leistung bei Eisenbahn-Unglücksfällen oder
durch besondere Geschicklichkeit sich hervor-
thun, durch die Amtsblätter bekannt geben
und ihnen in geeigneten Fällen Belohnung
in Geld gewähren.
— Ein Uebermensch stellt sich gegen-
wärtig den Besuchern der Berliner
Gewerbe.Ausstellung vor. Es ist
der Naturmensch Georg Drütschel aus
Lichtenfels in Bayern, von wo er in 16
Tagen nach Berlin zu Fuß gegangen ist.
Die zurückgelegte Strecke beträgt 634 Kilo
meter, deren er täglich mit seinem Reise
begleiter, einem riesigen Hunde, etwa 40
hinter sich gebracht hat. Bekleidet ist der
Naturmensch nur mit wollenem Wamms
und Hose, sein Bett besteht in einem
Sack, in den er hineinkriecht. Drütschel
will demnächst 3000 Kilometer Weges
zurücklegen und zwar gegen Reiter und
Velvciped, die er beide schlagen will.
Auf dem in Breslau abgehaltenen Ver-
bandstag des Central-Verbandes deutscher
Bäcker-Innungen gelangte ferner ein
Antrag der Innung „Concordia" in Berlin
zur Verhandlung: „Der Berbandstag
wolle beschließen, die Staatsregierung zu
ersuchen, die Nachtarbeitim Bäckerei-
gewerbe durch gesetzliche Bestim-
mungen zu verbieten." Der Referent
Bäckermeister Gemeinhardt (Berlin), be
merkte: Die Berliner Innung „Concordia"
sei sich der großen Tragweite dieses An
trages bewußt. Die Innung habe aber
den Antrag im Hinblick auf die immer
mehr um sich greifende Agitation der Ge-
sollen gestellt. Die Gesellen sagen es ja
offen, daß die bishigen Forderungen nur
der Anfang seien. Die „Concordia" habe
es daher für angezeigt gehalten, den Ge
sellen zuvor zu kommen und für Abschaffung
eines wirklich vorhandenen Mißstandes
hinzuwirken. Er frage, warum soll denn
gerade der Bäcker dazu verdammt sein,
des Nachts zu arbeiten. (Große Unruhe,
Rufe: Schluß! Schluß!) Er sei der
Meinung, die Nachtarbeit im Bäckergewerbe
entspreche nicht mehr den heutigen Zeit-
verhältnissen. (Große Unruhe.) Es sei
doch geradezu unwürdig, für wenige
Pfennige den Nachtwächter des Publikums
zu spielen. (Unruhe.) Die Nachtarbeit
trage zweifellos zum Ruin der Gesundheit
bei. (Unruhe, Ruse: Unsinn, bekommt
uns sehr gut!) Es dürfte eine Zeit
kommen, in welcher die Abschaffung der
Nachtarbeit als eine allgemein dringende
Nothwendigkeit werde gefordert werden.
(Stürmische Schlußrufe, heftige Unruhe.)
Die weiteren Worte des Redners blieben
in dem großen Lärm unverständlich. Es
wurde einem Antrage auf sofortigen Schluß
der Debatte zugestimmt und danach der
Antrag Gemeinhardt mit allen gegen
eine Stimme abgelehnt.
Eine contagiöse Augenkrankeit
herrscht seit einiger Zeit in mehreren
obcrschlesischen Ortschaften. Die Zahl der
amtlich gemeldeten erkrankten Personen
beläuft sich gegenwärtig auf 1100, die sich
auf Schulkinder und Erwachsene in nahezu
gleichem Verhältniß vertheilen. Davon
sind die meisten Erkrankungen schwerer
Natur. Mit Rücksicht auf den ernsten
Charakter der Epidemie sind jetzt zu deren
genauer Untersuchung auf Veranlassung
des Cultusministeriums Medizinalrath Dr.
Roth aus Oppeln, Kreisphysikus Sanitäts
rath Dr. Rinke und Landrath v. Falkenhayn
aus Tarnowitz auf einer Reise durch die
iuficirtcn Ortschaften begriffen.
Aus der französischen Fremden
legion entflohen und glücklich in Genua
gelandet ist der Sohn des Kutschers Ber-
§-m Z'anne drtnkler Gowallen.
Roman von Elfried v. Hohenstein. 48
Er gab sich selbst das Ehrenwort, nicht mehr
zu spielen, und als halte er dies nicht für genügend,
wiederholte er da» heilige Versprechen vor dem Bilde
Les Oheims, das in seinem'Zmnier hing und ihn mit
cşireugc», stolzen Augen anblickte. Ein Kauipf ohne
Gleichen mit der allmächtigen Leidenschaft begann.
Wenn die gewohnte Stunde, schlug sprang Albert keu
chend empor und starrte mit weit geöffneten, brennen
den Augen nach der Thür. Wie von einer Rieseilsaust
gepackt, zog cs ihn fort; aber er widerstand, knir
schend, wütend, sich selbst verachtend ob der Schwäche,
die ihn iiumcr wieder befallen, die ihn zwingen wollte,
sein Gelöbnis zu brechen.
Bis au die äußerste Grenze des Abgrundes war
er gelaunielt, aber nun klanimerte er sich mit der letz
ten, durch die Verzweiflung hundertfach verschärften
Kraft an sein Ehrenwort. Nun war cs Zeit, einer Hölle
zuni Trotz, das schwergcfährdete Erbe Pauls zu ret
ten. Es konnte, es durfte nicht zu spat sein! Stand es
denn wirklich so schlimm, so hoffnungslos traurig um
die Zukunft?
Nach langer, langer Zeit zum ersten Male wieder
begann Albert zu rechnen und seine Angelegenheiten
ernstlich zu prüfen, um Ordnung in dieselben zu brin
gen. Ach, das îoar eine entsetzliche Arbeit, bei der ihm
zu Mute wurde, wie einem der fühlt, daß ihm die Wo
gen im nächsten Augenblick über dem Kops zusammen-
rauschen werden.
Ein leises Klopfen störte ihn. Der Diener erschien
und brachie einen Brief. Welch' seltsame verschnörkelte
Buchstaben! Wie geziert und unsicher! Ach, die Unter
schrift fehlte! Waldenburg las und las wieder. Man
benachrichtigte ihn spöttisch mitleidig, daß Herr Richard
Reck häufig das Haus Sch . . gaffe Nr. 18, welches
von einer alten Frau Namens Ronipe bewohnt werde,
besuche, und daß dort auch eine junge, schöne, den hö
heren Ständen angehörende Dame aus- und eingehe,
und zwar gewöhnlich am Sonnabend zwischen sechs und
sieben Uhr abends. Auf eine nähere Beschreibung ver
zichte man und überlasse es Herrn von Waldenburg,
das interessante Rätsel zu lösen. Ec werde gut thun,
sich von der Richtigkeit dieser Mitteilungeu zu überzeu
gen. Es war ein von Bosheit uub Sarkasmus strotzen
des Schreiben.
„Anonyme Beschuldigungen! DoS lichtscheue Werk
eines feigen Wichtes, der zur verdienten Rechenschaft
gezogen zu werden fürchtet!" inurmclte Albert, drückte
mit verächtlichem Lachen das Papier zusammen und
schleuderte er in die entfernteste Ecke des Zimmers.
Dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch und be
gann die unterbrochene Arbeit von neuem aufzimeh-
nien. Sie war freilich nicht geeignet, angenehme Zer
streuung zu bieten. Mehrere Briefe, deren dringender
Ton sich kaum mehr in den Grenzen der HMchkeit hielt,
Rechnungen von schwindelnder Höhe lagen vor ihm,
und eisige Tropfen traten auf seine Stirne, während
er die Zahlen anstarrte, die sich unter seinem brennen
den Blick in Buchstaben zu verwandeln schienen. Er
glaubte sie in furchtbarer Deutlichkeit vor sich zu sehe»,
die Worte: „Der Ruin ist da, der Zusammeubruch
unvermeidlich."
Wirklich unvermeidlich? Eine einzige glückliche
Stunde kann alles ändern. Das Spiel hat Verderben
gebracht und kann auch Rettung bringen. Aber er will
nicht mehr spielen und gab sich selbst das Wort, der
Versuchung zu widerstehen. Freilich, was gelte» dem
jenigen solche Vorsätze, der fühlt, daß ihm der Boden
unter den Füßen schwindet und daß der Moment nahe
ist, wo die Wogen der Verzweiflung über seinem Haupte
zusammenschlagen werden?
Waldenburg schloß mehrere Schubfächer auf. Da
waren noch Goldrollen und Banknoten. Das genügte,
um verschiedene Abschlagszahlungen zu leisten und die
kleineren Quälgeister auf einige Zeit zur Ruhe zu brin
gen. Doch was half es, wenn er sich mit den Haupt
gläubigern nicht verständigen konnte? War Reinerz
zu keiner Verlängerung der Zahlungsfrist zu bewe
gen, so mußte Grünau verkauft werden. Bei diesem
Gedanken schlug sich Albert mit der geballten Hand
vor die Stirne. Das edle prächtige Schloß, welches
nun seit Jahrhunderten dem alten'Adelsgeschlecht an
gehörte und sich noch ferner von Generation ans Gene
ration vererben sollte! Es mußte gerettet werden, mußte
Paul erhalten bleiben. „Noch jetzt wäre eS möglich,
durch energisches Vorgehen, ernste Einschränkungen und
ein vernünftiges Uebereinkommen mit den Gläubigern,
das Aergste zu verhüten," sagte Richard vor ungefähr
einem Jahre.
Ja, aber nun waren die Verhältnisse total zer
rüttet und der günstige Zeitpunkt raschen Eingrei
fens verpaßt. Oder doch nicht? Er begann zu rechnen
und fuhr damit fort, bis ein dumpfer Druck im Ge
hirn ihn der Fähigkeit, die Gedanken auf einen be
stimmten Pnnkt zu vereinen, beraubte. Er hatte in
letzterer Zeit oft diese peinliche, unheimlicke Empfind
ung gehabt und war von ihr bis in die spätesten Sinn-
den der Nacht hinein verfolgt worden. Eine sonder
bare. beängstigende Erscheinung! Ettva der Vorbote
des Wahnsinns? Welcher Einfall! Lächerlich ! Seine
Nerven mußten doch ernstlich angegriffen sein; aber
von der Nervosität bis zum ... ach! da war er schon
wieder, der häßliche grausige Gedanke! Fort damit!
Auf dem Tische stand eine Karaffe mit schwerem
spanischen Wein. Er füllte wiederholt das Glas und
stürzte den Inhalt hinab. Gut! Der Feucrtrank ver
scheucht das bleicde, hohläugige Gespenst des Irrsinns,
das aus allen Ecken hervor zu stieren scheint. Aber die
innere Glut vermag der Wein nicht zu dämpfen, er facht
sie an, er verwandelt jeden Blutstropfen in geichmol-
zeueS Blei. Wie ein Lavastrom brennt es in den Adern,
und hinter der Stirn wird es so heiß, als ginge das
Gehirn in Flammen auf. Recht so! Rur nicht denken!
Nur vergeflen, auf Stunden wenigstens das Elend ver
gessen, das über seinem Haupte schwebt.
Wieder gießt Waldenburg das GlaS voll bis an
den Rand und schlürft die rubinrote Flüssigkeit mit
gierigen Zügen, um den quälenden Durst zu löschen,
dann lehnt er sich tiesausatmend zurück und schließt die
Augen; doch dre ersehnte Ruh: kommt nicht Sein Puls
schlägt heftig und erregt und troy der geschloffenen
Lider sieht er die verschiedenartigsten Bilder wie durch
emc Zauberlaterne hervorgebracht. Da blitzt und lc ach-
tet es, als ergösse sich goldener Regen aus einem Füll-
horu und überströme glitzernd und gleißend den grü-
nen Tisch. Es könnte ja auch so konnnen: er durfte nur
den Schreibtisch öffnen und das Letzte wagen; aber
nein, nem, »ein! Wer ist stärker, der Dämon de» Spiels
over die Willenskraft? Und nun funkelt es ihn an ivie
Pantherlichter. Das sind Melanies Augen, die ihn
fast um den Verstand gebracht, die eine wilde vermeh
rende Leidenschaft in ihm entzündet habeil. Leiden
schaft, nicht Liebe, denn was er jetzt für das Mädchen
fühlt, ist bei aller Bewunderung ihrer unvergleichlichen
Schönheit eine au Haß grenzende Empsiiidung, ein trotzi
ges Verlange«, sie niederzuzivingeii, ihren Stolz, der
sogar den seinen übertrifft, zu verivunden; denn hat
sie ihn nicht auch verletzt und gedemütiat, bei stder
Gelegenheit ? Ist sie nicht seine Feindin ? Aber ivaruin,
warum? Wie mit einer schönen schillernden Schlange
möchte er mit ihr käinpse» mid sie zertreten. — Bo«
ihr wandern seine unsteten Gedanken zu Rosa. Er sieht
das süße, bleiche, traurige Gesicht, den kleinen reizen- ,
den Mund, der das Lächeln längst verlernt hat, und
den schnlerzlichen,ûhî!chler!ien Blick. Heiße Sehnsucht
schleicht in seine Seele. Rosa hat er geliebt und liebt
sie noch, trotz aller seiner Verirrungen und trotzdem sie
neben ihn dahinwelkt. Und wenn er sie unglücklich
machte, so war gerade diese Liebe daran schuld, denn
er konnte es mcht ertragen, daß Richard ihrem Herzen
so nahe stand. Den von jeher schivankenden Glauben
an die schwesterliche Zuneigung hatte ihn Marowsky
längst schon vollständig benommen, an der Reinheit der
jungen Frau zweifelte er auch jetzt nicht; aber schon
das kuiiimervolle Aiitlitz und das stille klaglose Aus
harren auf dem Platz, auf welchen das Schicksal sie
nun einmal gestellt hatte, reizte, quälte und erbitterte
ihn. Sie wußte ja auch, ivie die Dinge lagen, und daß ,-
der Zusammensturz bald erfolgen wüicke, aber kein l
Wort des Vorwurfs kam je über ihre Lippen. 43.16*
»nwerben
Handlung
trotzdem
rests wie
>var. D
diese Na,
lings gel
Hildes
Dorfe H
Kratzberg
angenomi
gelesen
Absender
Nochnials
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setzten P
Folge da
fort die
zeige beiH
Gestern
legenheit
zur Vert
ru, den
haben,
seiner b
er mit
bestraft.
Vom
gymnas
inne
Untl
könn
wer!
die
der