Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

herausnahm und in die Front versetzte 
Das rheinische Blatt, dessen Verbindungen 
zur Regierung bekannt sind, bezeichnetes 
zutreffend als das Mindeste, was ein 
Minister verlangen kann, daß ihm niemand 
gegen seinen Willen diejenigen Kräfte weg 
nimmt, deren er zur Ausführung der ihm 
gestellten Aufgaben zu bedürfen glaubt. 
Es gäbe Leute, die da glauben: ein Kriegs 
minister sei allmächtig. Wie es scheint 
war er nicht einmal mehr Herr im 
eigenen Hause. 
Eine weitere Meinungsverschiedenheit 
zwischen Kriegsministerium und Militär 
kabinet besteht ohne Zweifel in der Frage 
der Reform des Militär straf 
Prozesses. Wie weit diese den Minister 
Wechsel beeinflußt hat, ist für die Nicht 
Eingeweihten noch nicht völlig zu übersehen 
Es besiehe nach wie vor die feste Zuver 
sicht, daß der Reichskanzler sein Versprechen, 
betreffend die Militärstrafprozeßordnung, 
werde einlösen können. Mit der bloßen 
Zuversicht ist nichts bewiesen. 
Der ganze Verlauf der Angelegenheit giebt 
denen Recht, die von vornherein die baldige 
Einbringung einer Reformvorlage bezweifelt 
haben. Wenn General Bronsart v. Schellew 
dorff Hoffnung gehabt hätte, in der Frage 
des Militärstrafprozesses gegenüber dem 
Chef des Militärkabinets durchzudringen, 
so wäre er sicher im Amte ver 
blieben. 
Die Aussichtslosigkeit der Militärstraf 
Prozeßreform ist dem Kriegsminister jeden- 
falls schon vor längerer Zeit klar gewesen. 
Im Reichstag hat er bekanntlich im März 
1895 ausdrücklich für seine Person erklärt: 
„Sollte ich erkennen, daß mir die Kräfte 
fehlen, eine Strafprozeßordnung hier zur 
Verabschiedung zu bringen, so werde ich 
mich beeilen, Se. Majestät um meine 
Verabschiedung zu bitten." 
Die Reichstagsmehrheit und vor allem 
das Centrum hat im Vertrauen auf die 
Erklärungen des Reichskanzlers und des 
Kriegsministers beim Militäretat und bei 
der Vorlage über die vierten Bataillone 
sich in diesem Jahre bewilligungslustiger 
als in irgend einem anderen gezeigt. Das 
Vertrauen der Reichstagsmehrheit ist ge 
täuscht worden. Für das Zusammenwirken 
zwischen Regierung und Parlament ist der 
Vorgang sehr lehrreich. 
Geheime Nebenregierungen sind über- 
Haupt mit einem konstitutionellen 
Staatswesen unverträglich. Wie- 
derholt ist in der Geschichte des preußischen 
Staates die materielle Einmischung des 
Militärkabinets in die Regierungsgeschäfte 
verhängnißvoll für die innere Entwickelung 
geworden. Das Militärkabinet ist eine 
Abtheilung des Kriegsministeriums und 
hat in die Maßnahmen des Kriegsministers 
ebensowenig wie ein anderer beliebiger 
Untergebener hineinzureden. Bekanntlich 
hat das Militärkabinet unter Kaiser Wil 
helm I. seinen überwiegenden Einfluß ge 
wonnen. Als 1883 der Kriegsminister 
General v. Kameke von seiner Stellung 
zurücktrat, wurde mit Rücksicht auf den 
General v. Albedyll die Stellung eines 
Chefs des Militärkabinets geschaffen, weil 
dieser nach militärischen Grundsätzen mcht 
Untergebener des jüngeren Kriegsministers 
sein konnte. Später ließ man es bei der 
einmal getroffenen Anordnung bewenden. 
Vielfach haben die unverantwortlichen Rath- 
geber dieser Hofkreise der Politik der ver 
antwortlichen Rathgeber des Kaisers ent 
gegengewirkt. 
Die Bedenken gegen di; Wirksamkeit 
des Militärkabinets werden durch die 
Neubesetzung des Kriegs ministe 
riums noch verschärft. Der Chef 
des Militärkabinets steht als General der 
Infanterie im Range höher als der 
Minister, der Generallieutenant ist. Die 
Annahme ist nicht von der Hand zu wer 
sen, daß der Einfluß des Militärkabinets 
dadurch noch verstärkt und dem General 
lieutenant an der Spitze des Kriegs 
Ministeriums nur die Aufgabe zugedacht 
ist, parlamentarisch das zu vertreten, was 
auf den Rath des Generals der Infanterie 
an der Spitze des Militärkabinets be 
schlossen worden ist. Wohl ist es möglich, 
daß in Zukunft weniger Reibereien zwischen 
dem Kriegsminister und dem Chef des 
Militärkabinets vorkommen, aber a u 
Kosten der Selbstständigkeit des 
Ministers, der vor dem Lande die ver 
fassungsmäßige Verantwortlichkeit zu tragen 
hat. Unverantwortliche Rathgeber und 
geheime Nebenregierungen widersprechen 
der Verfassung des Reiches und des preu 
ßischen Staates. 
Aņslaà 
Oesterreich-Ungarn. 
Wien, 18. August. Das Geschenk des 
Kaisers Nikolaus II., der Säbel 
Rakoczys, an das ungarische National 
museum hat in beiden Theilen der Monarchie 
das freudigste Echo geweckt. Die Wiener 
Morgenblätter bezeichnen die Schenkung 
als einen ebenso sympathisch berührenden 
wie staatsklugen Akt. Dadurch, daß er 
dem Besuche des Kaisers vorangehe, sowie 
durch das Begleitschreiben des russischen 
Botschafters Grafen Kapnist, gewinne er 
eine hohe politische Bedeutung. 
Unter Anderem schreibt die „Neue Freie 
Presse": Dadurch, daß der Kaiser von 
Rußland seinen Wunsch kundgiebt, mit 
Oesterreich in herzlicher Freundschaft zu 
leben, bezeugt er sein Vertrauen in die 
ìiedlichen Zwecke des Dreibundes, 
bezeugt er mittelbar die friedlichen Ten 
denzen seiner eigenen Politik, zerstört er 
die thörichten Hoffnungen jener, welche 
von ihm die Entfesselung der Kriegsfurie 
erwarten. Das „Neue Wiener Tagebl." 
hebt hervor, Oesterreich-Ungarn werde das 
Geschenk als ein Zeichen für die Herzlich 
keit der Beziehungen beider Staaten mit 
aufrichtiger Freude aufnehmen, da man 
hierin eine neuerliche feste Gewähr für die 
dauernde friedliche Lage mit Recht erblicken 
dürfe. Noch wärmer sind natürlich die 
Dankeskundgebungen der ungarischen Presse. 
Wien, 18. August. Die Blätter feiern 
das Geburtstagsfest des Kaisers in 
schwungvollen Worten. Das „Fremden- 
blatt" schreibt: „Sämmtliche Völker Oester- 
reichs verehren und lieben den Kaiser als 
ein leuchtendes Beispiel selbstloser Pflicht- 
erfüllung, als den Begründer des neuen 
Oesterreichs, den mächtigen Förderer des 
geistigen Strebens und ernster fruchtbarer 
Arbeit im Vaterlande. Oesterreich-Ungarn 
gewann unter dem Scepter des Kaisers 
FranzJoseph seine achtunggebietendeStellung 
unter den Mächten Europas wieder. Die 
Monarchen des Continents blicken in Ehr 
furcht auf die erlauchte Person unseres 
Herrschers, der seit fast 50 Jahren den 
habsburgischen Thron ziert. Die Völker 
Europas erblicken in ihm den alle Zeit 
bewährten Hort des Friedens." Das „Neue 
Wiener Tageblatt" schreibt: „Unserem 
Kaiser wenden sich die Herzen aller Oester- 
reicher zu, die an die Zukunft des Vater 
landes glauben." 
ķ 
Rustlarrd 
Petersburg, 19. August. Eine Kessel 
explosion in der Obuchowskischen Eisen 
und Stahlgießerei hat das Kesselhaus voll 
ständig zertrümmert und die Nebengebäude 
arg beschädigt. Zehn Arbeiter sind todt, 
zwölf schwer verletzt. 
Italien. 
Rom, 18. August. Der von Massauah 
in Neapel angelangte Dampfer „Giava" 
brachte 10 Osficiere und 153 Soldaten in 
die Heimath zurück. Von den Letzteren 
waren 47 Gefangene Meneliks und 17 
Gefangene Mangaschas und anderer Ras. 
Der Soldat Vincenzo Arvia, der von 
Menelik gefangen gehalten wurde, erzählte, 
daß die Italiener sehr schlecht behandelt 
werden. Arvia erhielt die Nachricht von 
seiner Freilassung durch einen österreichischen 
Priester, der in schlechtem Italienisch sagte: 
„Kinder, ich bringe Euch die gute Nach 
richt von Eurer Freilassung. Der Negus 
hat anläßlich der Krönung des Zaren 
bewilligt, daß 50 von Euch freigelassen 
werden; er will der anmuthigen Kaiserin 
von Rußland einen Gefallen erweisen." 
Domencio Jervolino, der von Ras Ma- 
konnen gefangen gehalten wurde, schildert 
diesen als einen wüthigen, freundlichen 
Mann, der die gefangenen Italiener gut 
behandelt. Seine Unterfcldherren kümmerten 
sich aber wenig um seine Befehle, nahmen 
den gefangenen italienischen Soldaten die 
Kleidungsstücke weg und mißhandelten die 
nackten Leute in schrecklicher Weise. Als 
Makonnen dies erfuhr, erklärte er, daß er 
jedem, der die Italiener mißhandle, die 
rechte Hand abhauen lassen werde; das 
half. Jervolino rühmt die Mildherzigkeit 
der schoanischen Frauen, die alles Mög 
liche thun, um die Leiden der Gefangenen 
zu lindern. 
Norwegen. 
Christiania, 18. August. Die unerwartete 
Nachricht von der Ankunft Nansen's hat 
die sonst so ruhigen Norweger in gewaltige 
und freudige Erregung versetzt. Als am 
Donnerstag die ersten Telegramme ein 
trafen, war ganz Christiania in einen 
stötzlichen Freundenrausch versetzt; auf 
Straßen und Plätzen sammelten sich die 
aufgeregten Bewohner. Die Cafts und 
Restaurationen wurden nicht leer, und vor 
den Zeitungsexpeditionen kämpfte man 
wrmlich um die Extra-Ausgaben, die aus 
den Fenstern der oberen Stockwerke hinaus- 
geworfen werden mußten, da der Andrang 
unten nicht zu bewältigen war. Wohl ist 
der erste Trubel jetzt einer ruhigeren, herz 
lichen Freude gewichen, aber noch bildet 
Nansen's Rückkehr ein Thema, das jedes 
Gespräch beherrscht; in den Straßen und 
in den Häusern, auf den Schiffen und in 
den Eisenbahnzügen ist die Parole: Frith- 
jof Nansen! Wenn erst Nansen seinen 
Einzug in Christiania hält, dann wird 
das Feuer der Begeisterung von Neuem 
auflodern, und der kühne Forscher wird 
einen Triumph feiern, wie nie einer 
zuvor. Nansen wird am nächsten Sonn 
tag hier eintreffen. Er ist heute von 
Bardo, wo gestern ein Fest ihm zu Ehren 
gegeben wurde, mit dem Postschiff abge 
fahren und trifft Dienstag in Hammerfest 
ein. Man plant hier großartige Empfangs- 
feierlichkeiten. 
England. 
Portsmouth, 18. August. Bei der 
gestrigen Regatta gewann der „Meteor" 
den Albert Cup Die „Britannia" ging 
als zweite Jacht durch das Ziel. 
London, 18. Augnst. Es verlautet, die 
japanische Regierung will ihre' Kriegsschiffe 
umbauen und die Firma Armstrong strebe 
einen diesbezüglichen Contract an. 
Jràņd. 
Berlin, 18. August. Der bisherige 
Kriegsminister Bronsart v. Schellen 
dorff ist, wie die „N. A. Z." schreibt, 
gestern hier eingetroffen; er verabschiedete 
sich heute von den Beamten und Offizieren 
des Kriegsministeriums. Der neue Kriegs 
minister v. Goßler wird in den nächsten 
Tagen zur Uebernahme der Amtsgeschäft 
hier erwartet. 
Berlin, 18. August. Der „Reichsanz." 
veröffentlicht das Gesetz, betr. Abänderung 
des Gesetzes über Erwerbs- und Wirth 
schafts-Genossenschaften vom 1. Mai 1889, 
sowie über den Geschäftsbetrieb in Consum- 
Anstalten. 
Berlin, 18. August. Dem Vernehmen 
nach sind die preußischen Schulbehörden 
ermächtigt worden, auch am 2. September 
d. I. und künftig zur Betheiligung der 
Schuljugend an der Feier des Sedan- 
t a g e s den Schulunterricht an den öffent 
lichen Volksschulen ausfallen zu lassen und 
die Abhaltung einer Schulfeier an diesen 
Tagen zu veranlassen. 
— Das Welthandelsmonopol tn 
Petr oleum ist durch die Verschmelzung 
zweier bedeutender Petroleumeinfuhrhäuser, 
die fast ganz Deutschland mit Petroleum 
versorgen, wieder näher gerückt. Bekannt 
lich erstrebt der amerikanisch - englische 
Petroleumtrust, an dessen Spitze die 
Millionäre Rockefeller und Rothschild stehen, 
die Durchführung des Petroleumweltmono- 
pols. Nach einer Meldung der „Deutsch. 
Bolksw. Korresp." wendet der preußische 
Finanzminister der Frage ein be 
sonderes Interesse zu. Angeblich soll er 
über Mittel nachsinnen, der Wirksamkeit 
des amerikanisch-englischen Spekulanten 
ringes im Augenblick der Gefahr energisch 
enrgegenzutreten. Der zunächst liegende 
Gedanke richte sich auf Verstaatlichung 
der in Deutschland vorhandenen 
Petr oleum quellen und Bewilligung 
von Mitteln, um Bohrungen nach neuen 
Quellen vorzunehmen; daß solche noch 
vorhanden sind, beweisen die erfolgreichen 
Bemühungen der Vereinigten Deutschen 
Petcoleumwerke. 
Für Sanitätsvorrichtungen bei 
E i s e n b a h n u n f ä l l e n ist von den Eisen- 
bahndirektionen bestens gesorgt, so daß 
noch vor Ankunft des Arztes von den 
Eisenbahnbeamten die erste Hülfe ge 
leistet werden kann. Zufolge ministeri 
eller Anordnung find auf den Stationen 
und Haltestellen sog. Rettungskasten, Be 
hälter mit Medikamenten, Instrumenten, 
Bandagen u. s. w., in Bereitschaft, und 
ebenso werden Rettungskasten auf den 
Zügen mitgeführr. Um bis zum Ein 
treffen des Arztes diejenigen Maßnahmen 
treffen zu können, die geeignet sind, den 
Verunglückten Hülfe und Linderung zu 
bringen, werden die betreffenden Beamten, 
die Stationsvorsteher und Zugführer von 
Zeit zu Zeit von den Bahnärzten unter 
richtet und zwar über Behandlung von 
Wunden, Knochenbrüchen, Verrenkungen, 
Ohnmachten, Verbrühungen u. s. w. In 
neuerer Zeit hat der Minister empfohlen, 
auch anderen Beamten die Theilnahme an 
den ärztlichen Unterweisungen zu gestatten, 
namentlich geeigneten Vorarbeitern und 
Handwerkern in den Werkstätten. Die 
Direktionen sollen die Namen solcher 
Bahnbeamten, die durch häufigere Hülse- 
leistung bei Eisenbahn-Unglücksfällen oder 
durch besondere Geschicklichkeit sich hervor- 
thun, durch die Amtsblätter bekannt geben 
und ihnen in geeigneten Fällen Belohnung 
in Geld gewähren. 
— Ein Uebermensch stellt sich gegen- 
wärtig den Besuchern der Berliner 
Gewerbe.Ausstellung vor. Es ist 
der Naturmensch Georg Drütschel aus 
Lichtenfels in Bayern, von wo er in 16 
Tagen nach Berlin zu Fuß gegangen ist. 
Die zurückgelegte Strecke beträgt 634 Kilo 
meter, deren er täglich mit seinem Reise 
begleiter, einem riesigen Hunde, etwa 40 
hinter sich gebracht hat. Bekleidet ist der 
Naturmensch nur mit wollenem Wamms 
und Hose, sein Bett besteht in einem 
Sack, in den er hineinkriecht. Drütschel 
will demnächst 3000 Kilometer Weges 
zurücklegen und zwar gegen Reiter und 
Velvciped, die er beide schlagen will. 
Auf dem in Breslau abgehaltenen Ver- 
bandstag des Central-Verbandes deutscher 
Bäcker-Innungen gelangte ferner ein 
Antrag der Innung „Concordia" in Berlin 
zur Verhandlung: „Der Berbandstag 
wolle beschließen, die Staatsregierung zu 
ersuchen, die Nachtarbeitim Bäckerei- 
gewerbe durch gesetzliche Bestim- 
mungen zu verbieten." Der Referent 
Bäckermeister Gemeinhardt (Berlin), be 
merkte: Die Berliner Innung „Concordia" 
sei sich der großen Tragweite dieses An 
trages bewußt. Die Innung habe aber 
den Antrag im Hinblick auf die immer 
mehr um sich greifende Agitation der Ge- 
sollen gestellt. Die Gesellen sagen es ja 
offen, daß die bishigen Forderungen nur 
der Anfang seien. Die „Concordia" habe 
es daher für angezeigt gehalten, den Ge 
sellen zuvor zu kommen und für Abschaffung 
eines wirklich vorhandenen Mißstandes 
hinzuwirken. Er frage, warum soll denn 
gerade der Bäcker dazu verdammt sein, 
des Nachts zu arbeiten. (Große Unruhe, 
Rufe: Schluß! Schluß!) Er sei der 
Meinung, die Nachtarbeit im Bäckergewerbe 
entspreche nicht mehr den heutigen Zeit- 
verhältnissen. (Große Unruhe.) Es sei 
doch geradezu unwürdig, für wenige 
Pfennige den Nachtwächter des Publikums 
zu spielen. (Unruhe.) Die Nachtarbeit 
trage zweifellos zum Ruin der Gesundheit 
bei. (Unruhe, Ruse: Unsinn, bekommt 
uns sehr gut!) Es dürfte eine Zeit 
kommen, in welcher die Abschaffung der 
Nachtarbeit als eine allgemein dringende 
Nothwendigkeit werde gefordert werden. 
(Stürmische Schlußrufe, heftige Unruhe.) 
Die weiteren Worte des Redners blieben 
in dem großen Lärm unverständlich. Es 
wurde einem Antrage auf sofortigen Schluß 
der Debatte zugestimmt und danach der 
Antrag Gemeinhardt mit allen gegen 
eine Stimme abgelehnt. 
Eine contagiöse Augenkrankeit 
herrscht seit einiger Zeit in mehreren 
obcrschlesischen Ortschaften. Die Zahl der 
amtlich gemeldeten erkrankten Personen 
beläuft sich gegenwärtig auf 1100, die sich 
auf Schulkinder und Erwachsene in nahezu 
gleichem Verhältniß vertheilen. Davon 
sind die meisten Erkrankungen schwerer 
Natur. Mit Rücksicht auf den ernsten 
Charakter der Epidemie sind jetzt zu deren 
genauer Untersuchung auf Veranlassung 
des Cultusministeriums Medizinalrath Dr. 
Roth aus Oppeln, Kreisphysikus Sanitäts 
rath Dr. Rinke und Landrath v. Falkenhayn 
aus Tarnowitz auf einer Reise durch die 
iuficirtcn Ortschaften begriffen. 
Aus der französischen Fremden 
legion entflohen und glücklich in Genua 
gelandet ist der Sohn des Kutschers Ber- 
§-m Z'anne drtnkler Gowallen. 
Roman von Elfried v. Hohenstein. 48 
Er gab sich selbst das Ehrenwort, nicht mehr 
zu spielen, und als halte er dies nicht für genügend, 
wiederholte er da» heilige Versprechen vor dem Bilde 
Les Oheims, das in seinem'Zmnier hing und ihn mit 
cşireugc», stolzen Augen anblickte. Ein Kauipf ohne 
Gleichen mit der allmächtigen Leidenschaft begann. 
Wenn die gewohnte Stunde, schlug sprang Albert keu 
chend empor und starrte mit weit geöffneten, brennen 
den Augen nach der Thür. Wie von einer Rieseilsaust 
gepackt, zog cs ihn fort; aber er widerstand, knir 
schend, wütend, sich selbst verachtend ob der Schwäche, 
die ihn iiumcr wieder befallen, die ihn zwingen wollte, 
sein Gelöbnis zu brechen. 
Bis au die äußerste Grenze des Abgrundes war 
er gelaunielt, aber nun klanimerte er sich mit der letz 
ten, durch die Verzweiflung hundertfach verschärften 
Kraft an sein Ehrenwort. Nun war cs Zeit, einer Hölle 
zuni Trotz, das schwergcfährdete Erbe Pauls zu ret 
ten. Es konnte, es durfte nicht zu spat sein! Stand es 
denn wirklich so schlimm, so hoffnungslos traurig um 
die Zukunft? 
Nach langer, langer Zeit zum ersten Male wieder 
begann Albert zu rechnen und seine Angelegenheiten 
ernstlich zu prüfen, um Ordnung in dieselben zu brin 
gen. Ach, das îoar eine entsetzliche Arbeit, bei der ihm 
zu Mute wurde, wie einem der fühlt, daß ihm die Wo 
gen im nächsten Augenblick über dem Kops zusammen- 
rauschen werden. 
Ein leises Klopfen störte ihn. Der Diener erschien 
und brachie einen Brief. Welch' seltsame verschnörkelte 
Buchstaben! Wie geziert und unsicher! Ach, die Unter 
schrift fehlte! Waldenburg las und las wieder. Man 
benachrichtigte ihn spöttisch mitleidig, daß Herr Richard 
Reck häufig das Haus Sch . . gaffe Nr. 18, welches 
von einer alten Frau Namens Ronipe bewohnt werde, 
besuche, und daß dort auch eine junge, schöne, den hö 
heren Ständen angehörende Dame aus- und eingehe, 
und zwar gewöhnlich am Sonnabend zwischen sechs und 
sieben Uhr abends. Auf eine nähere Beschreibung ver 
zichte man und überlasse es Herrn von Waldenburg, 
das interessante Rätsel zu lösen. Ec werde gut thun, 
sich von der Richtigkeit dieser Mitteilungeu zu überzeu 
gen. Es war ein von Bosheit uub Sarkasmus strotzen 
des Schreiben. 
„Anonyme Beschuldigungen! DoS lichtscheue Werk 
eines feigen Wichtes, der zur verdienten Rechenschaft 
gezogen zu werden fürchtet!" inurmclte Albert, drückte 
mit verächtlichem Lachen das Papier zusammen und 
schleuderte er in die entfernteste Ecke des Zimmers. 
Dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch und be 
gann die unterbrochene Arbeit von neuem aufzimeh- 
nien. Sie war freilich nicht geeignet, angenehme Zer 
streuung zu bieten. Mehrere Briefe, deren dringender 
Ton sich kaum mehr in den Grenzen der HMchkeit hielt, 
Rechnungen von schwindelnder Höhe lagen vor ihm, 
und eisige Tropfen traten auf seine Stirne, während 
er die Zahlen anstarrte, die sich unter seinem brennen 
den Blick in Buchstaben zu verwandeln schienen. Er 
glaubte sie in furchtbarer Deutlichkeit vor sich zu sehe», 
die Worte: „Der Ruin ist da, der Zusammeubruch 
unvermeidlich." 
Wirklich unvermeidlich? Eine einzige glückliche 
Stunde kann alles ändern. Das Spiel hat Verderben 
gebracht und kann auch Rettung bringen. Aber er will 
nicht mehr spielen und gab sich selbst das Wort, der 
Versuchung zu widerstehen. Freilich, was gelte» dem 
jenigen solche Vorsätze, der fühlt, daß ihm der Boden 
unter den Füßen schwindet und daß der Moment nahe 
ist, wo die Wogen der Verzweiflung über seinem Haupte 
zusammenschlagen werden? 
Waldenburg schloß mehrere Schubfächer auf. Da 
waren noch Goldrollen und Banknoten. Das genügte, 
um verschiedene Abschlagszahlungen zu leisten und die 
kleineren Quälgeister auf einige Zeit zur Ruhe zu brin 
gen. Doch was half es, wenn er sich mit den Haupt 
gläubigern nicht verständigen konnte? War Reinerz 
zu keiner Verlängerung der Zahlungsfrist zu bewe 
gen, so mußte Grünau verkauft werden. Bei diesem 
Gedanken schlug sich Albert mit der geballten Hand 
vor die Stirne. Das edle prächtige Schloß, welches 
nun seit Jahrhunderten dem alten'Adelsgeschlecht an 
gehörte und sich noch ferner von Generation ans Gene 
ration vererben sollte! Es mußte gerettet werden, mußte 
Paul erhalten bleiben. „Noch jetzt wäre eS möglich, 
durch energisches Vorgehen, ernste Einschränkungen und 
ein vernünftiges Uebereinkommen mit den Gläubigern, 
das Aergste zu verhüten," sagte Richard vor ungefähr 
einem Jahre. 
Ja, aber nun waren die Verhältnisse total zer 
rüttet und der günstige Zeitpunkt raschen Eingrei 
fens verpaßt. Oder doch nicht? Er begann zu rechnen 
und fuhr damit fort, bis ein dumpfer Druck im Ge 
hirn ihn der Fähigkeit, die Gedanken auf einen be 
stimmten Pnnkt zu vereinen, beraubte. Er hatte in 
letzterer Zeit oft diese peinliche, unheimlicke Empfind 
ung gehabt und war von ihr bis in die spätesten Sinn- 
den der Nacht hinein verfolgt worden. Eine sonder 
bare. beängstigende Erscheinung! Ettva der Vorbote 
des Wahnsinns? Welcher Einfall! Lächerlich ! Seine 
Nerven mußten doch ernstlich angegriffen sein; aber 
von der Nervosität bis zum ... ach! da war er schon 
wieder, der häßliche grausige Gedanke! Fort damit! 
Auf dem Tische stand eine Karaffe mit schwerem 
spanischen Wein. Er füllte wiederholt das Glas und 
stürzte den Inhalt hinab. Gut! Der Feucrtrank ver 
scheucht das bleicde, hohläugige Gespenst des Irrsinns, 
das aus allen Ecken hervor zu stieren scheint. Aber die 
innere Glut vermag der Wein nicht zu dämpfen, er facht 
sie an, er verwandelt jeden Blutstropfen in geichmol- 
zeueS Blei. Wie ein Lavastrom brennt es in den Adern, 
und hinter der Stirn wird es so heiß, als ginge das 
Gehirn in Flammen auf. Recht so! Rur nicht denken! 
Nur vergeflen, auf Stunden wenigstens das Elend ver 
gessen, das über seinem Haupte schwebt. 
Wieder gießt Waldenburg das GlaS voll bis an 
den Rand und schlürft die rubinrote Flüssigkeit mit 
gierigen Zügen, um den quälenden Durst zu löschen, 
dann lehnt er sich tiesausatmend zurück und schließt die 
Augen; doch dre ersehnte Ruh: kommt nicht Sein Puls 
schlägt heftig und erregt und troy der geschloffenen 
Lider sieht er die verschiedenartigsten Bilder wie durch 
emc Zauberlaterne hervorgebracht. Da blitzt und lc ach- 
tet es, als ergösse sich goldener Regen aus einem Füll- 
horu und überströme glitzernd und gleißend den grü- 
nen Tisch. Es könnte ja auch so konnnen: er durfte nur 
den Schreibtisch öffnen und das Letzte wagen; aber 
nein, nem, »ein! Wer ist stärker, der Dämon de» Spiels 
over die Willenskraft? Und nun funkelt es ihn an ivie 
Pantherlichter. Das sind Melanies Augen, die ihn 
fast um den Verstand gebracht, die eine wilde vermeh 
rende Leidenschaft in ihm entzündet habeil. Leiden 
schaft, nicht Liebe, denn was er jetzt für das Mädchen 
fühlt, ist bei aller Bewunderung ihrer unvergleichlichen 
Schönheit eine au Haß grenzende Empsiiidung, ein trotzi 
ges Verlange«, sie niederzuzivingeii, ihren Stolz, der 
sogar den seinen übertrifft, zu verivunden; denn hat 
sie ihn nicht auch verletzt und gedemütiat, bei stder 
Gelegenheit ? Ist sie nicht seine Feindin ? Aber ivaruin, 
warum? Wie mit einer schönen schillernden Schlange 
möchte er mit ihr käinpse» mid sie zertreten. — Bo« 
ihr wandern seine unsteten Gedanken zu Rosa. Er sieht 
das süße, bleiche, traurige Gesicht, den kleinen reizen- , 
den Mund, der das Lächeln längst verlernt hat, und 
den schnlerzlichen,ûhî!chler!ien Blick. Heiße Sehnsucht 
schleicht in seine Seele. Rosa hat er geliebt und liebt 
sie noch, trotz aller seiner Verirrungen und trotzdem sie 
neben ihn dahinwelkt. Und wenn er sie unglücklich 
machte, so war gerade diese Liebe daran schuld, denn 
er konnte es mcht ertragen, daß Richard ihrem Herzen 
so nahe stand. Den von jeher schivankenden Glauben 
an die schwesterliche Zuneigung hatte ihn Marowsky 
längst schon vollständig benommen, an der Reinheit der 
jungen Frau zweifelte er auch jetzt nicht; aber schon 
das kuiiimervolle Aiitlitz und das stille klaglose Aus 
harren auf dem Platz, auf welchen das Schicksal sie 
nun einmal gestellt hatte, reizte, quälte und erbitterte 
ihn. Sie wußte ja auch, ivie die Dinge lagen, und daß ,- 
der Zusammensturz bald erfolgen wüicke, aber kein l 
Wort des Vorwurfs kam je über ihre Lippen. 43.16* 
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bestraft. 
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