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Mo. 171.
Donnerstag, den 25 Dutt
1895.
M or qen-D ep eschen
Berlin, 25. Juli. Dem „B. wird
aus London gemeldet, daß sich Kaiser
Wilhelm auf einige Tage von Cowes nach
Lvwther Castle (Westmorelandl zur Jagd
begiebt, wo er Gast des Lord Lonsdale sein
wird. Die Royal Dragoons werden zum
Empfang des Kaisers die Ehrenwache
stellen.
Berlin, 25. Juli. Die „Nordd. Allg.
Ztg." schreibt bezüglich der Typhuserkran
kungen beim 1. Bataillon des Kaiser
Franz- Garde - Grenadier - Regiments, daß
nach zuverlässigen Nachrichten von einer
Epidemie nicht die Rede sein könne. Es
befanden sich zur Zeit nur noch fünf
Typhuskranke des Regiments im Lazareth.
Es seien überhaupt in den letzten acht
Wochen im ganzen Regiment nur 15
Typhusfälle vorgekommen. Recherchen nach
der Ursache der Erkrankungen halten bisher
kein Resultat ergeben.
Berlin, 25. Juli. Der „Reichsanz."
veröffentlicht eine Bekanntmachung der
ReichSschulden-Verwaltung, worin mitge
theilt wird, daß fortgesetzt falsche Reichs
kassenscheine zu 50 Jt angehalten werden,
und Demjenigen, welcher einen Verfertiger
oder wissentlichen Verbreiter der Falsch-
stücke nachweist, eine Belohnung bis zu
3000 Jt zugesichert wird.
Berlin, 25. Juli. Der „Berl. Lok.<
Anz." meldet aus Konstantinopel: Bei
Suez (Egypten) wurden durch eine Kessel-
explosion in einer Dampsmühle vierzehn
Personen getödtet.
Berlin, 25. Juli. Wie die „Nat. Ztg."
erfährt, ist im Verlauf der durch die Gen
darmen hervorgerufenen Skandalscencn bei
der Bestattung Stambulows in Sofia dem
deutschen Vertreter Dr. v. Voigts-Reetz
nichts Unangenehmes widerfahren. — Bon
kompetenter Seite wird demselben Blatt
aus Konstantinopel bestätigt, daß die Ver
muthung, der Verfasser der mehrerwähnten
Schmähschrift gegen Slambulow dürfte der
Redakteur der „Correspondance de l'Est",
Newlinsky, sein, zutreffend war. Der
Genannte steht seil Jahren in den Diensten
des Prinzen Ferdinand.
Köln, 25. Juli. Die „Köln. Ztg."
meldet aus Petersburg: In der Antwort,
welche der Metropolit Clement mir nach
Bulgarien genommen hat, wird gefordert,
daß der Sohn des Prinzen von Coburg
orthodox werde, gleichviel ob der Papst
den Bannstrahl gegen den Prinzen
Ferdinand schleudere. Der Fürst von
Bulgarien werde in Petersburg, nachdem
das gesammte Ausland seine Haltung vor
und während Stambulows Ermordung aus
das Abfälligste beurtheilt, als eine Person-
lickkeit betrachtet, mit der man schon fertig
werden würde. Zwischendurch sei aber
auch der Name des Söhnchens des Fürsten
Alexander von Bulgarien mit dem Zusatz
aufgetaucht, neun Zehntel aller Bulgaren
würden ihm als Yen späteren Herrscher zu
jubeln, Rußland könne an seinem Sohn
gutmachen, was es an den Vater gesündigt.
Frankfurt a. M., 24. Juli. Die „Frkf
Ztg." meldet aus London: Der Peters
burger Korrespondent der „Times" hat
mit dem Präsidenten der Sobranje und
anderer. Mitgliedern der bulgarischen Kranz
deputation vor deren Abreise aus Peters
bürg eine Unterredung gehabt, in der sich
der Präsident sowie dessen College» über
die Ermordung Stambulows gar nicht
merklich berührt zeigten, dagegen die Ent
haltung der Regierung und der Armee an
der Theilnahme der Leichenfeier völlig bil
ligten. Ueber den Empfang der Deputa
tion durch den Zaren äußerte sich der
Ministerpräsident hoch erfreut.
Baden-Baden, 25. Juli. Bei der gest
rigen Aufführung des Schwankes „Einer
wie der Andere", von Eduard Kramer,
entstand im vierten Akt eine Panik unter
dem Publikum, da das Ballerkostüm der
Darstellerin der Anita, Elise Hofmann,
Feuer sing und die Dame sofort in Flam
men stand. Die mitspielenden Herren Koe-
ckert und Hausen erstickten jedoch die Flam
men mit Decken und Tüchern. Der Zu
stand der Dame ist nicht gefährlich; die
Entleerung des Theaters ging in aller
Ruhe vor sich.
Köln, 25. Juli. Aus Bochum meldet
die „Kölnische Zeitung": Auf der Zeche
„Dannenbaum", Schacht 1, sand eine Ex
plosion statt, bei welcher ein Arbeiter ge
lobtet und zwei Arbeiter schwer verletzt
wurden.
Bcrnburg, 25. Juli. Das Befinden der
Prinzessin Friedrich von Anhalt
hat sich deni „Anhalter Courier" zufolge,
derart verschlechtert, daß eine Katastrophe
stündlich zu erwarten ist.
Wien, 25. Juli. Die „Neue Freie
Presse" meldet aus Przemysl: Hier haben
4000 Arbeiter, Müller-, Steinmetz- und
Malcrgehülfen, Bau- und Straßenarbeiter,
die Arbeit niedergelegt. Militärpatrouillen
halten die Ordnung ausrecht.
Lemberg, 24. Juli. Der Universitäts-
Professor Dr. Sokolowski aus Kiew, wel-
cher als eifriger Sportsmann bekannt war,
hatte eine Distanzradfahrt von Kieiv nach
Wien unternommen, wurde aber an der
Grenze von Brody verhaftet und nach
Lemberg geschickt, weil seine Identität trotz
eines Geleitsbriefes des österreichisch-un
garischen Konsuls in Kiew angezweifelt
wurde.
Triest, 25. Juli. Gestern und vorgestern
ist über Triest und das ganze Küstenland
ein heftiges Unwetter mit starkem Sturm
niedergegangen. In Oberitalien fanden
verheerende Hagelschläge statt. In der
Provinz Udine sind zahlreiche Gemeinden
total ruinirt worden; die Anpflanzungen
sind auf meilenweite Strecken vernichtet.
Mehrere Menschenleben sind dabei zu
Grunde gegangen.
Rom, 25. Juli. Der „Jtal. Milit."
zufolge beschlagnahmten die Engländer
in den letzten Tagen infolge des Einsuhr-
Verbotes von Waffen nach Abessinien
2 0000 Gewehre, die durch die eng
lischen Besitzungen nach Abessinien einge
führt werden sollten.
Brüssel, 25. Juli. Da anläßlich des
Besuches der Königin in Spaa antiroyali-
stische Kundgebungen befürchtet werden, sp
ist das dortige Gensdarmeriekorps verstärkt
worden.
Konstantinopel, 25. Juli. Aus dem eng-
lischen Dampfschiff „Conch" fand eine Ex
plosion statt. Sieben Mann der Besatzung
wurden lebensgefährlich verwundet.
Sofia, 25. Juli. Ein deutscher
Offizier a. D, Richard von Mach,
welcher seit längerer Zeit in Sofia
Corespondent mehrerer großer auslvärtiger
Journale ist, veröffentlicht eine Broschüre
über die Lage in Macedonien. Er schildert
dieselbe ausführlich und sagt u. A., die
Macedonier hätten viel unter der Herr
schaft der Türkei zu leiden. Der Ver
faffer zweifelt nicht daran, daß es um
Macedonien zwischen Bulgarien und der
Türkei zum Kampfe kommen werde, er
glaubt, daß das Fürstenthum in diesem
Kampf nicht unterliegt, wenn die englische
Flotte die Heranziehung türkischer Streit
kräfte aus Asien verhindert und Serbien
sich neutral verhält. Im ungünstigen
Falle werde sich Bulgarien daraus ver
lasse«, daß eine andere Macht von außen
her dem Streit ein Ende macht oder
Rußland es rettet, womit sofort seine
Macht wiederhergestellt ist. Der Versaffer
meint nämlich, daß Fürst Ferdinand sich
für die Macedonier erklären müsse oder
man ihn zwingen werde, abzudanken.
Macedonien setze alle Hoffnungen auf
Rußland und es werde von diesem sicher
nicht in Stich gelassen werden.
London, 25. Juli. Nachdem General
Wolseley definitiv als Nachfolger des Her
zogs von Cambridge bezeichnet worden ist,
betrachten die Blätter das Projekt der Er
bauung eines Tunnels zwischen England
und Frankreich unter dem Kanal als nun
für lange Zeit begraben, da Wolseley aus
strategischen Gründen ein heftiger Gegner
dieses Tunnelbaues ist.
Paris, 25. Juli. In der Nähe des
Hafens von Toulon zerplatzte bei den dort
vorgenommenen Schießübungen auf dem
Panzerschiff „Bouvines" der Stoßboden
an einer Kanone, wobei ein Matrose so
fort getödtet und der Contre-Admiral
Chateaumiwis an Gesicht und Hals ver-
mundet wurde. Zwei Lieutenants erhielten
ebenfalls schwere Verletzungen; mehrere
Mann der Bedienung trugen leichtere Ver
wunden davon. Die Untersuchung wurde
sofort eingeleitet.
Paris, 25. Juli. Einer Meldung aus
Lens zufolge sind im Bergwerk zu Ostri-
court im Departeinent Nord 350 Tage
leute ausständig geworden, um eine Lohn
erhöhung durchzusetzen.
Dscheddah, 25. Juli. Ein Haufe von
150 Beduinen drang an Bord von fünf
hier in der Nähe liegenden Leichterschiffen
und plünderten sie. Dabei wurden 9 Neger
und sieben Matrosen schwer verwundet.
Vor 25 Jahre«.
Heute vor 25 Jahren richtete der König
von Preußen wenige Tage vor seiner Ab-
reise nach Mainz, wo er den Oberbefehl
über die gesammte deutsche Heeresmacht
übernahm, die folgende „Proklamation
an das deutsche Volk":
„Aus allen Stämmen des deutschen
Vaterlandes, aus allen Kreisen des deutschen
Volkes, selbst von jenseits des Meeres
sind Mir aus Anlaß des bevorstehenden
Kampfes für die Ehre und Unabhängigkeit
Deutschlands von Gemeinden und Korpo
rationen, von Vereinen und Privatpersonen
so zahlreiche Kundgebungen der Hingebung
und Opferfreudigkeit für das gemeinsame
Vaterland zugegangen, daß es Mir ein
unabiveisliches Bedürfniß ist, diesen Ein
klang des deutschen Geistes öffentlich zu
bezeugen, und dem Ausdruck Meine- könig
lichen Dankes die Versicherung hinzuzu
fügen, daß Ich dem deutschen Volke Treue
um Treue entgegenbringe und unwandelbar
halten werde. Die Liebe zu dem gemein
samen Vaterlande, die einmüthige Er
hebung der deutschen Stämme und ihrer
Fürsten hat alle Unterschiede und Gegen
sätze in sich geschlossen und versöhnt, und
einig, wie kaum jemals zuvor, darf Deutsch
land in seiner Einmüthigkeit wie in seinem
Recht die Bürgschaft finden, daß der Krieg
ihm den dauernden Frieden bringen, und
daß aus der blutigen Saat eine von Gott
gesegnete Ernte deutscher Freiheit und
Einigkeit sprießen werde."
Bei dem wenige Tage später, am 31. Juli,
erfolgenden Scheiden von der Residenz
nahm der König alsdann mit einem Akte
Königlicher Gnade Abschied von seinen
Preußen, indem er eine Amnestie für
sämmtliche politischen Verbrechen und Ver
gehen ertheilte. Der König schloß diesen
Erlaß mit den Worten:
„Mein Volk Iveiß mit Mir, daß Friedens
bruch und Feindschaft wahrhaftig nicht auf
unserer Seite war.
„Aber herausgefordert, sind wir ent
schlossen, gleich unsern Vätern und in
fester Zuversicht auf Gott den Kampf zu
bestehen zur Errettung des Vaterlandes-
Nach seiner Ankunft in Mainz, woselbst
der Großherzog von Hessen ihm das durch
Lage und alte Erinnerungen bemerkens«
werthe „Deutsche Haus" zur Verfügung
gestellt hatte, erließ der König am 2. August
den nachsteyenden Befehl: „An die Armeei"
„Ganz Deutschland steht einmüthig in
Waffen gegen einen Nachbarstaat, der unS
überraschend und ohne Grund den Krieg
erklärt hat. Es gilt die Vertheidigung
des bedrohten Vaterlandes, unserer Ehre,
des eigenen Heerdes. Ich ühernehme heute
das Kommando über die gesammten Ar
meen, und ziehe getrost in einen Kampf,
den unsere Väter einst ruhmvoll bestanden.
„Mit Mir blickt das ganze Vaterland
auf Euch. Gott der Herr wird mit unserer
gerechten Sache sein."
Würdig und zum Herzen sprechend,
ernst und schlicht ivaren die Worte, mit
denen, frei von prahlerischem Siegesruhm,
der 73jährige König sich an das deutsche
Volk und die Armee wandte; in scharfem
Kontrast hierzu stehen die Worte, die Kaiser
Napoleon an sein Volk und seine Armee
richtete, sie enthalten u. A. Folgendes:
„Preußen, dem wir während des Krieges
von 1866 und seit demselben die versöhn-
'' Am Lame litttt ôchiilì
Roman von Gustav Höcker.
(Nachdruck vcrboicu.)
1.
Das Herrenhaus war im Villenstile erbaut
und danach hieß das große Rittergut der
„Villenhof". Der Herr dieses schönen, in
der sruchlbarstcn Gegend der Mark Branden
burg gelegenen Besitzung, zu der sich noch
ein gleich großes Gut in Schlesien gesellte,
war Baron Wolfgang von Sturen. Er war
heute einundzwanzig Jahre alt geworden,
befand sich also in jcncni bcncidenswerthen
Alter, wo sich mit dem Feuer der Jugend
kraft der noch unerschütterliche Glaube an
die Zukunft vereinigt. Dennoch stand er in
ernstem Sinnen an einem Fenster seiner
Villa, und während er in den Hof hinaus
blickte, der eben im ersten Grün des Früh
lings schimmerte, lag eine gewisse Schwcrmuth
in seinem wohlgcbildelen Gesichte.
Wie hatte cs ihm nach diesem Tage ver
langt, nie aber hatte er das Glück so schön,
gefunden, als er es sich vorher vorgestellt.
Und nun, da die so lange ersehnte Stunde
seiner Volljährigkeit geschlagen, schien ihm
eine innere Stinune zuzustüster>i, daß er
dieselbe Unvollkoinnienheit des Glückes auch
in dem neuen Lebensabschnitte antreffen
werde, daß in dem schäumenden Becher der
Freude ein Tropfen fehle, welcher auf Erden
niche gebraut wird. . .
Wie noch nie zuvor fand er m dieser
Stunde ernsten Nachdenkcs eine Leerheit aller
irdischen Dinge,
„Noch vor wenigen Jahren," sagte er sich,
„bewegte sich hier mein Vater voll von
IPlänen und Hoffnungen; das Haus war
eine Stätte gastlicher Geselligkeit; hier auch
blickte das zärtliche Auge meiner Mutter
auf meine Wiege, hier überwachte sie mit
Stolz meine Knabenjahrc. Und nun sind
Barer und Mutter dahin; und der Ort, den
sie einst ihr Heim nannten, kennt sie nicht
mehr. Das wird auch einst mein Schicksal
sein, wenn die Spanne Zeit abgelaufen ist,
die man ein Menschcnalter nennt."
Das waren die düsteren Gedanken des
jungen Barons, vor dem doch Alles so hell
dalag.
Der Eintritt eines Dieners mit spärlichem,
grauen, schlicht nach vorn gekämmtem Haare
weckte ihn ans -seinen Träumereien.
„Gnädiger Herr, das Pferd ist vorgeführt,"
meldete der Alte,
Diese kurze Meldung genügte, um die
melancholische Stimmung im Nu aus Wolf
gangs Brust zu verscheuchen. Die fröhliche
Erinnerung an sein Freiwilligen-Jahr, welches
er als Husar in einer gemüthlichen, kleinen
Garnison in Schlesien abgedient, erwachte
lebhaft in ihm, er fühlte sich plötzlich wieder
ganz als Husar, griff nach Hut und Reit
peitsche, eilte hinaus und schwang sich auf
den ungeduldig im Kreise sich drehende»
Goldfuchs, mit welchem der Stallknecht
draußen wartete.
Fort ging cs im Galopp; anstatt dem
SIiorE zu, schlug der kühne Reiter die
Richtung guer durch den Park ein und setzte
über den Heckcnzaun hinweg. Er dachte
dabei nicht an die Landstraße, die sich jenseits
des Parkes hinzog, und auf welcher ein
Herr und eine Danie herangeriltcn kamen.
Das blitzartige Erscheinen eines Reiters an
einer Stelle, wo einen Augenblick vorher! auch auf dieser ruhigen Landstraße daraus
noch Alles einsam gewesen war, erschreckte gefaßt, die Leute wie Wahnsinnige über
die Dame und noch mehr ihr Pferd. Es
stieg kerzengerade in die Höhe und würde sich
rückwärts überschlagen haben, hätte nicht
Wolfgang, der schnell von seinem Pferde
gesprungen war, das scheuende Thier mit
kräftiger Hand beim Zügel gefaßt. Die
Dame ließ sich rasch vom Sattel herabgleiten,
wobei der junge Baron ihr beistand. Während
er sich entschuldigte, diesen Schrecken veran
laßt zu haben, betrachtete er die Reiterin mit
verstohlenen Blicken. Sie konnte kaum
zwanzig Jahre zählen. Die schlanke, un
muthige Gestalt war ihm durch das Be
mühen, sich im Sattel zu erhalten, noch an-
nluthigcr erschienen; die innere Bewegung
hob den Ausdruck des schönen Gesichts noch
mehr hervor. Unter dem Rembrandthute
mit weißer wallender Feder drängte das
reiche, dunkelblonde Haar hervor; aus den
großen, dunklen Augen leuchtete ein süd
ländisches Feuer, welches zu den sanften
Zügen des tadellos geformten Antlitzes einen
Contrast von eigenthümlichem Reize bildete.
Die Schönheit des jungen Mädchens frappirte
den Baron. Aber cs lag noch ein etwas
in ihren Zügen, in ihrem Wesen, in den
großen Augen und in dem Klange ihrer
Stimme, als sic seine Entschuldigung mit
einigen freundlichen Worten erwiderte, worüber
er sich vergebens Rechenschaft zu geben vcr-
nchte. Er hatte kaum Zeit gehabt, alle
diese Eindrücke in sich auszunchnien, als er
ich von einer rauhen Stimme angeredet hörte.
Es würde mich nicht gewundert haben,
mein Herr, wenn sie noch größeres Unheil
angerichtet hätten," sagte der Begleiter der
Dame in hartem Tone; „wer macht sich
Parkgehege fliegen zu sehen!"
Baron von Sturen warf einen raschen
scharfen Blick auf den Sprechenden, welcher
ruhig auf seinem Pferde sitzen geblieben war.
Es war ein alter Herr von hoher hagerer
Statur und starkem Knochenbau, der sich
auch in seinem eckigen Gesichte bemerkbar
machte. Zwischen den grauen Augen, welche
mit fast feindseligem Ausdruck auf Wolfgang
ruheten, ragte eine Habichtsnase hervor. Er
trug einen, für einen Reiter sehr unbcyuemen
Rock mit altmodischen langen Schößen und
hatte denselben an der Taille eng zugeknöpft.
Aus den Aermeln, die zu kurz waren, rag
ten skelctarlig die langen Arme und Hände
hervor. Ein hoher altmodischer Cylinderhut
bedeckte den Kopf mit dem spärlichen grauen
Haar. Wolfgang vermochte sich nicht mit
dem Gedanken zu befreunden, daß er in
dieser unsympathischen Erscheinung den Vater
der reizenden jungen Dame vor sich haben
könne. Dennoch bekämpfte er die gereizte
Stinlniung, in welche ihn die Anrede ihres
Begleiters versetzt hatte, und entgegncte
höflich: „Es thut mir sehr leid, daß ich die
Dame erschreckt habe; ich bitte nochmals um
Verzeihung. Sie haben sich noch nicht ganz
beruhigt," wandte er sich in einem Tone,
worin sich jugendliche Schüchternheit mit
Bewunderung mischte, an die schone Ama
zone. „Darf ich sie vielleicht bitten, sich auf
einen Augenblick in meinem Hause, ganz in
der Nähe zu erholen?"
„In Ihrem Haute!" sagte der alle Herr
mit besonderer Betonung, indem er den Ba
ron niit höhnischem Blick vom Kopf bis zu
den Füßen maß. „Ich danke Ihnen für
ihre Einladung, aber die Dame kann ihren
Ritt sehr wohl fortsetzen."
Die junge Dame blickte den Baron mit
einem freundlichen Lächeln an. „Ich fühle
mich durchaus nicht angegriffen," sagte sie
„und kann wieder zu Pferde steigen." In
etwas leiserem Tone, so daß der alte Herr
sic nicht hören konnte, dankte sie Wolfgang
für seine Güte. Dieser half ihr beim Auf
steigen und gab ihr die Zügel in der Hand.
A>s sie im Sattel saß, blickte sie auf ihn
herab, als wollte sic ihm etwas sagen, das
sic bisher unterdrückt habe, aber ihr unge
duldiger Begleiter setzte bereits sein Pferd in
Bewegung und, ohne daß das Wort ge
sprochen wurde, folgte sie ihm, dem Zürück-
blcibcnden freundlich zunickend.
Wolfgang stand bewegungslos da, den
Zügel seines Pferdes über einen Arm ge
schlagen, sein Auge unverwandt auf das rasch
ich entfernende Paar gerichtet. Der Gedanke,
das schöne Mädchen vielleicht nie wieder zu
ehcn, entlockte ihm einen tiefen Seufzer.
Jetzt erreichten die Reiter eine Stelle, wo
ein Nebenweg sich von der von Wald ein
gefaßten Landstraße abzweigte, sie bogen ab,
und bei dieser Gelegenheit wandte die Dame
ihr Antlitz auf einen Augenblick nach dent
Schauplatze des kleinen Vorfalls znrück.
Dann war sie seinem Auge entrückt.
Wer kann sic sein?" fragte er sich. „Und
was wollte sic mir zuletzt noch sagen? Es
bezog sich nicht auf den Unfall; ihr Blick,
ihr Lächeln verkündete zu deutlich eine andere
Gcdankcnrichtung. Wie ärgerlich, daß der
herbe alte Herr ihr das Wort abschnitt!
Sollte er wirklich ihr Vater sein? Es fällt
mir schwer dies zu glauben."
Wolfgang bestieg sein Pferd und ritt