Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

Aufruhr oder irgend welcher Rebellion 
nicht betheiligen. Die Vereinigung hat 
beschlossen, die Regierung aufzufordern, 
ihr Waffen zu liefern. Dem Vernehmen 
nach hat eine hier abgehaltene Versamm- 
lung von 300 Deutschen einen Ausschuß 
gewählt, der einen Plan für das Ver- 
halten während der politischen Campagne 
entwerfen soll. . _ , „ 
Daß es auch in Australien einen „Rhem" 
giebt, dürfte wenigen bekannt sein — es 
ist ein Nebenfluß des Murray und kann 
sich zwar mit seinem hochberühmten 
deutschen Namensbruder an Wasserfülle 
und Schönheit der Ufer nicht messen, aber 
auch er durchfließt eine liebliche, fruchtbare 
Ebene, zum größten Theil von Deutschen 
bewohnt. Jetzt freilich sieht es trübe dort 
aus; ein Landsmann schreibt von da her: 
„Seit langen Jahren sitze ich hier und 
habe schon manche traurige Zeit durch, 
gemacht, so schlimm wie Heuer ist es aber 
noch nie gewesen. Um Rheinthal, Sedan 
und Black Hill sieht es infolge der 
monatelangen Dürre trostlos aus. Alle 
Tage Sturm und dann wieder eine enorme 
Hitze. Der Weizen, unsere Hauptfrucht, 
ist gelb, ohne Körner angesetzt zu haben; 
überall wird er gemäht, um nur Futter 
für das Vieh zu gewinnen. Wie Mancher 
wünscht sich fetzt zurück an den grünen, 
deutschen Rhein, dem er dereinst verblendet 
den Rücken kehrte. ... Der Landwirth 
ist bei uns schlimmer dran, als irgendwo; 
für Darlehen werden 8, 10, ja 12 Prozent 
Zinsen gefordert, und dabei liegt die 
Hauptlast der Steuern auf seinen 
Schultern." 
Kuhland. 
Die Influenza tritt jetzt in Rußland 
in einer ganz neuen Form mit unerhörter 
Heftigkeit auf. Wie der „Köln. Volksztg." 
berichtet wird, machen sich bei den von 
ihr Befallenen zunächst alle Symptome 
einer starken Lungenentzündung bemerkbar 
der ganze Oberkörper brennt, auf dem 
Rücken und der Brust zeichnen sich große 
rothe Flecken ab, das ganze Nervensystem 
tritt in einen Zustand völliger Erschlaffung, 
sodaß junge kräftige Männer vorüber 
gehend geradezu zu Greisen werden. 
Schnupsenerscheinungen fehlen bei dieser 
Form der Influenza gänzlich. Die Aerzte, 
die anfänglich dieser neuen Form der 
Krankheit ziemlich rathlos gegenüber 
standen, suchen jetzt, da gewöhnlich nur 
eine Lunge stark angegriffen erscheint, 
durch Einreibungen mit Jod, Veratrin 
usw. die Entzündung auf die andere Lunge 
zu vertheilen, um möglichst jede Störungen 
von der Herzthätigkeit abzulenken. Viele 
Fälle, in denen es nicht gelang, das Herz 
intakt zu halten, haben tödtlich geendigt. 
Petersburg, 30. Dez. Hier brach ein 
großes Feuer in einem öffentlichen Hause 
aus. Fünf Mädchen und ein Mann 
sind total verbrannt. Einige Mäd 
chen wagten den Sprung vom Dach und 
wurden schwer verletzt in das Hospital ge 
bracht. Die Entstehung des Brandes ist 
aus das unvorsichtige Auslöschen einer 
Lampe zurückzuführen. In der Aufregung 
hatte Niemand daran gedacht, die Ver 
brannten, die sich in einer Mansarde be- 
fanden, zu retten. Die Brandstätte be 
lagert eine große Menschenmenge. 
Ueber ein verhütetes Attentat 
wird aus Odessa gemeldet: Einem dortigen 
Speditionsgeschäft wurden von einem ge 
wissen Nadretschny 84 Kolli Haare über- 
geben, die er mit 23000 Rubel versicherte 
und mit einer Nachnahme von 16000 
Rubel belegte. Da die Waarensendung 
verdächtig erschien, wurden die Ballen ge 
öffnet. Bei der Untersuchung fand man 
nur werthlose Wollabfälle und ein mit 
Brennstoff gefülltes Gepäckstück, das durch 
eine daran befindliche Zündschnur nach 
24 Stunden in Brand gesteckt werden 
sollte. 
Frankreich. 
Der österreichische Arzt Dr. Marmoreck 
ist jetzt mit einer bereits vor längerer Zeit, 
aber nur sehr vorsichtig angekündigten 
Entdeckung des neuen Serums gegen Kind- 
bettfieber, Rothlauf und Eiterungen her 
vorgetreten. Die in verschiedenen Pariser 
Hospitälern angestellten Versuche sind günstig 
ausgefallen. Man wendet auch dieses 
gleichfalls aus Pferden gewonnene Serum 
mit Erfolg gegen die Diphtherie an. 
Vor dem Schwurgericht zu Bastia 
landen dieser Tage eine Anzahl Personen, 
worunter ein Gendarm, unter der Anklage, 
einen armen Bettler getödtet zu 
haben, um den Preis zu erlangen, der 
auf einen gefährlichen Banditen gefetzt 
war. Um die Leiche unerkenntlich zu 
machen, hatten sie diese in dem Walde 
verbrannt, in dem der arme Teufel seine 
Hütte aufgeschlagen hatte. Sie lieferten 
die Leiche dann als die des Banditen aus. 
Hierbei kam eine andere Geschichte ans 
Tageslicht. 
Italien. 
Aufsehen erregen in Rom Enthüllungen 
über den Bestand der italienischen Arm e e 
Arsenale, welche das Blatt Don Chis 
ciotte bringt. Dasselbe behauptet, daß 
mehrere Bataillone der von Neapel nach 
Erythräa eingeschifften Truppen ohne ge 
nügende Ausrüstung und Kleidung ab 
gingen, weil es absolut am Nothwendigsten 
mangelte. Besonders aber fehlte es an 
Mänteln, Kopfbedeckungen und anderen 
Kleidungsstücken, so daß man gezwungen 
war, mit solchen der Bersaglieri-Truppen 
auszuhelsen. So kam es, daß mehrere 
Jnfanteriebataillone mit Bersaglieri-Hüten 
abfuhren. Diese Angaben sind bis jetzt 
nnwiderlegt geblieben. Es geht aus ihnen 
hervor, daß die italienische Armee leider 
nur auf dem Papier kriegsmäßig ausge- 
rüstet ist. Im Falle einer größeren kriegeri- 
schen Verwickelung könnten sich daraus die 
schlimmsten Rückwirkungen auf die Actions 
sähigkeit der Armee ergeben. 
Oesterreich-Ungar«. 
Wien, 30. Dez. Der bevorstehenden 
Begegnung des Präsidenten Faure mit 
dem Kaiser Franz Josef und der 
Königin Victoria in Nizza wird in den 
diplomatischen Kreisen keine Wichtigkeit bei 
gelegt, da die Zusammenkunft nur ein 
Höflichkeitsakt sein wird. Indeß verlautet, 
Kaiser Franz Josef werde auf der 
Rückreise Faure inParis besuchen. 
Das Gerücht, daß Cleveland, bevor er 
seine bekannte Botschaft an den Congreß 
richtete, sich der Zustimmung Rußlands 
dazu versichert habe, wird hier als ent 
schieden unrichtig bezeichnet. Der Zar er 
hielt die Kunde von dieser Botschaft erst 
durch das Ministerium des Auswärtigen, 
dem sie wieder von der Nordischen Tele- 
graphen-Agentur übermittelt worden war. 
Der Zar beschick sogleich Lobanow zu sich, 
um dessen Ansichten über die Botschaft zu 
vernehmen. Nach dem Weggehen Lobanow's 
betrat die junge Kaiserin das Gemach ihres 
Gemahls und gab nun der Besorgniß 
Ausdruck, daß der Königin Victoria die 
Freude an der bevorstehenden Krönung 
ihrer Enkelin durch den auftauchenden 
Conflict mit der Union getrübt werden 
dürfte. Dar Zar lachte jedoch zu dieser 
übertriebenen Besorgniß seiner Gattin und 
gab ihr die Zusicherung, daß es zu keinem 
Kriege zwischen England und der Union 
kommen werde. 
Inland. 
— In 
Sachen des Ceremonien- 
meisters von Kotze ist jetzt die Ent- 
chließung des Kaisers über das seitens 
des Zieten-Husaren-Regiments in Rathenow 
gefällte Urtheil ergangen. Es lautete, wie 
seiner Zeit gemeldet, daß Herr von Kotze 
des Offizierranges für verlustig erklärt 
wurde. Der Ceremonienmeister Freiherr 
von Schrader ist freigesprochen worden. 
Der Kaiser, dem als obersten Kriegsherrn 
die Bestätigung des Urtheils zusteht, hat 
ich demselben nicht angeschlossen. Er hat 
vielmehr mittels Kabinetsordre, wie jetzt 
authentisch feststeht, verfügt, daß das 
eitens des Osfiziercorps der Zietenhusaren 
in dieser Angelegenseit gefällte Urtheil 
seinem ganzen Umfange nach auf 
gehoben werde. Die Kabinetsordre 
verweist die Sache zur erneuten Verhand 
lung an das General-Commando des 
X. Armeecorps in Hannover, wonach es 
Sache des commandirenden Generals ist, 
als Gerichtsherr das Ehrengericht aus dem 
Officiercorps ihm eines der unterstehenden 
Truppentheile zu berufen. Beide Cere 
monienmeister werden demnach in Kürze 
wiederum vor einem militärischen Ehren 
gericht zu erscheinen haben. 
Wie uns weiter von sonst gut informirter 
Seite telegraphisch aus Hamburg gemeldet 
wird, erhofft der Kaiser die Frei 
sprechung des Ceremonienmeisters von 
Berlin, 30. Dez. Nach den hier vor 
liegenden Nachrichten aus Johannes 
burg (Südafrika) gewinnt es den An 
schein, als ob die Unruhestifter im ent 
scheidenden Augenblicke nicht den Muth 
gehabt hätten, den beabsichtigten Putsch in 
Scene zu setzen. Hier zweifelt niemand 
daran, daß die Cap-Politiker hinter der 
Bewegung stehen. Auf alle Fälle sind die 
deutschen finanziellen und wirtschaftlichen 
Interessen in Transvaal so groß, daß die 
Regierung dem Drucke der öffentlichen 
Meinung sich nicht entziehen würde, wenn 
eine Abänderung des dortigen status quo 
erfolgen sollte. 
— Fritz Friedmann, ein kompleter, durch 
und durch versumpfter Halunke, einer der 
Schlimmsten unter seinesgleichen, sweil ab 
solut grundsatz- und morallos, — Fritz 
Friedmann befindet sich unzweifelhaft be 
reits außer Schußweite. Mehr als das 
er ist bereits — so gut oder so schlecht es 
ging — „rehabilitirt". Ein kleines Blatt, 
das in inniger Verbindung mit Friedmann 
stand und das mit Vorliebe für Individuen 
gleichen Schlages die schmutzige Feder 
führt, ja sich mit einem erklärlichen Stolz 
das Leibblatt dieser „Gesellschaft" nennt, 
hat herausgefunden, daß Friedmann eigent 
lich unschuldig sei. Nach den Lehr 
sätzen der P h r e n o l o g i e, so docirt es 
unerfroren, sei kein Mensch, also auch 
Friedmannn nicht, dafür verantwortlich zu 
machen, daß er einen an or malen 
Schädel mit auf die Welt gebracht 
habe, der ihn zum Genie oder zum Ver 
brecher „vorausbestimmte." Alles, was 
Friedmann gethan habe, sei ja gerade nicht 
gut — wohl insonderheit deshalb, weil 
ein Schatten aus die „Auserwählten" fällt 
Wir sind sehr alte, nahe Freunde, und so 
theilte er ihn mir mit. 
„Die Geschichte trug sich zu, als er noch 
ein junger Leutnant war. Es war thatsächlich 
sein erstes Gefecht. Aus irgend welchen An 
lässen war er von seiner Kompagnie ge 
trennt worden; sie wieder zu erreichen, hatte 
er sich einem Linicnregimcnt angeschlossen, 
das an der äußersten Rechten des preußischen 
Flügels Stellung genommen hatte. 
„Die feindlichen Angriffe waren haupt 
sächlich gegen das linke Centrum gerichtet, 
und eine Zeitlang mar unser junger Leutnant 
nur ein fernstehender Zuschauer der Schlacht. 
Plötzlich indessen wendete sich der Angriff, 
und das Regiment befand sich in einer höchst 
wichtigen und kritischen Lage. Die Bomben 
begannen in uuangenchmer Nähe zu fallen, 
und es wurde die Ordre gegeben: „nieder!" 
Die Soldaten warfen sich zu Boden und 
warteten. Die Bomben wühlten rings herum 
die Erde auf und bedeckten sie mit Schmutz. 
Ein entsetzlicher, kneifender Schmerz regte 
sich in dem Magen meines jungen Freundes 
und griff langsam um sick. Kops und Herz 
schienen sich ihm zusammenzuziehen und zu 
erkalten. Ein Schuß riß seinem Nebenmann 
den Kops ab und spritzte ihm das Blut ins 
Gesicht: eine Minnie später riß eine zweite 
Granate einem armen Kerl, der vor ihm 
lag, den Rücken auf. 
„Sein Körper schien ihm überhaupt nicht 
mehr zu gehören. Ein seltsames, mehr und 
mehr einschrumpfendes Geschöpf hatte davon 
Besitz ergriffen. Er erhob den Kopf und 
blickte um sich. Er und drei andere Soldaten 
— die, wie er selbst, nie zuvor ein Feuer 
miterlebt hatten — schienen in dieser Hölle 
gänzlich allein zu sein. Sic befanden sich 
Sie sahen Einer den Andern an, diese 
vier, und lasen Jeder des Andern Gedanken. 
Ihre Büchsen ließen sie im Grase liegen 
und singen an, verstohlen auf dem Bauche 
vorwärtszukricchen, der Leutnant voran, die 
andern drei ihm nach. 
Etwa hundert Meter vor ihnen erhob 
sich ein kleiner steiler Hügel. Wenn sie den 
erreichen könnten, würden sie ganz versteckt 
sein. Sie stürzten vorwärts, hielten jedes 
mal nach etwa dreißig Metern inne, um 
still zu liegen und Athem zu schöpfen, stürzten 
dann wieder vorwärts, schneller als zuvor, 
und preßten ihren Körper an den durch 
schossenen Erdboden. 
Schließlich erreichten sie chen Fuß des 
Abhangs, schlichen ein kleines Stückchen um 
ihn herum, hoben den Kopf in die Höhe 
und sahen hinter sich. Da, wo sie waren, 
war es unmöglich, von den Preußen gesehen 
zu werden. 
Sic sprangen auf die Füße und verfielen 
in ein wildes Rennen. Ein Dutzend Schritte 
weiter, und sie standen einer österreichischen 
Fcldbatterie gegenüber 
„Der Dämon, der sich ihrer bemächtigt 
hatte, war stärker und stärker geworden, je 
weiter sie flohen. Sie waren nicht mehr 
Menschen, sie waren Bestien, toll durch die 
Furcht. Bon demselben Wahnsinn erfaßt, 
der andere, von panischem Schrecken ergriffene 
Geschöpfe antrieb, sich einen steilen Abhang 
hinunter ins Meer zu stürzen, warfen sich 
diese vier Männer mit dem Schwert in der 
Hand und wildem Geschrei auf die ganze 
Batterie; und die ganze Batterie, erschreck 
durch den plötzlichen unerwarteten Angriff 
und in dem Wahn, das ganze Bataillon 
käme über sie her, machte kehrt und stürzte 
am äußersten Flügel und die Bodengestaltung l in gänzlicher Auflösung den Hügel hinunter, 
verbarg sic vollständig vor ihren Kameraden.! „Angesichts der fliehenden Oesterreicher 
verließ ihn die Furcht von selbst, wie sie 
gekommen war, und er fühlte nur noch den 
einen Wunsch, dreinzuschlagen und umzu 
bringen. Die Preußen flogen hinter ihnen 
her und schlugen im Laufe auf sie ein; und 
als die preußische Kavallerie sie donnernd 
einholte, hatte mein junger Leutnant und 
seine drei Freunde zwei Kanonen erbeutet 
und ein halbes Schock Feinde niedergemacht 
„Am nächsten Tage wurde er in das 
Hauptquartier gerufen. 
„Wollen Sie so gut sein und in Zukunft 
daran denken, Herr Leutnant," sagte der 
Generalstabschcf, „daß Seine Majestät nicht 
verlangt, daß seine Offiziere auf eigene Ver 
antwortung hin Manöver ausführen und 
daß ein Angriff auf eine Batterie mit drei 
Mann nicht mehr Krieg ist, sondern ein 
verfluchter toller Bubenstreich. Sie sollten 
vor ein Kriegsgericht gestellt werden, Herr 
Leutnant!" 
„Dann setzte der alte Soldat, während 
sich sein Gesicht zu einem Lächeln glättete 
in etwas anderem Tone hinzu: „Indessen 
sind Schnelligkeit und Kühnheit, mein junger 
Freund, gute Eigenschaften, namentlich, wenn 
sie von Erfolg gekrönt sind. Wenn es den 
Oesterreichern einmal gelungen wäre, eine 
Batterie auf dem Hügel aufzustellen, wäre 
es wohl schwierig gewesen, sie herabzu 
werfen. Vielleicht wird Seine Majestät unter 
solchen Umständen über ihr eigenmächtiges 
Handeln hinwegsehen." 
„Seine Majestät sah nicht nur darüber 
hinweg, sondern verlieh mir auch den Orden 
pour Is márite," schloß mein Freund. Im 
Interesse der Armee hielt ich es für besser, 
nichts zu sagen und den Ordeu anzunehmen. 
Aber, Sie werden das verstehen, sein Anblick 
ruft nicht gerade angenehme Erinnerungen in 
mir wach." 
—, aber wer könne für e r b l i ch e Be 
la st u n g und Veranlagung? Eine saubere 
Moral! 
Welche moralische Verkommenheit ge 
hört allein schon dazu, unmittelbar vor dem 
Feste seine Familie, seine Gattin und die 
Kinder, zu verlassen und sie dadurch direkt 
der höchsten Bedrängniß und Noth zu über 
liefern, denn während in den anderen 
Wohnungen sich freudig Alles um den 
Tannenbaum versammelte, wurden im 
Heim des flüchtigen Rechtsanwalts Dr. 
Fritz Friedmann die Meubel abge- 
holt und mußten die Kinder bei fremden 
Leuten untergebracht werden! In unserer 
während der letzten Jahre recht beträcht 
lichen Skandal-Chronik hat selten eine 
Sache solch' allgemeines Aufsehen erregt 
wie die Flucht der genannten „Zierde des 
Vertheidigerstandes", wie er sich gern be 
zeichnen hörte. An dem Zusammenbruch 
einer Existenz ist Friedmann einzig und 
allein schuld und es zeugt nur abermals 
von seiner ungeheuren Einbildung und 
Selbstüberschätzung, wenn er sich bei seinem 
Bureauvorsteher als ein „von Hunden ge 
hetztes und verfolgtes Edelwild" darstellt. 
Berlin, 30. Dec. Der Königl. Musik- 
Direktor Felix Weingartner liegt der 
der „Berliner Börsen-Zeitung" an einer 
Blutvergiftung schwer krank darnieder. 
Als Ursache der Erkrankung wird Folgen 
des berichtet: Vor etwa acht Tagen streifte 
beim Dirigiren mit der rechten Hand 
die an der Rampe der Königlichen Opern 
bühne befindliche Verzierung, beobachtete 
aber die kleine Rißwunde nicht weiter, die 
in 24 Stunden verheilt war. Drei Tage 
päter stellte sich jedoch eine Geschwulst 
der Hand ein und nach weiteren 24 Stun 
den schwoll der rechte Arm an. Hoffent 
lich gelingt es den Bemühungen Professor 
Sonnenberg's, der den Erkrankten behandelt, 
verhängnißvvlle Folgen des Unfalles abzu 
wenden. 
Berlin, 31. Dez. Der Magistrat 
lehnte heute wiederum den Antrag der 
königl. Akademie der Künste wegen Be 
willigung einer Summe von 100 000 Mk 
aus städtischen Mitteln zur Unterstützung 
der im nächsten Jahre stattfindenden Jubi 
läumsausstellung der Akademie ab. 
dem Spandauer Forst wurden am 
heiligen Abend zwei Unteroffiziere durch 
den Oberförster verhaftet. Von den beiden 
Unteroffizieren gehört einer der Berliner 
Garnison an und der andere, ein Ober- 
jäger, war zur Schießschule kommandirt. 
Sie wurden dabei abgefaßt, als sie drei 
Stück Wild auf einen Wagen verladen 
wollten. Es hat den Anschein, als ob 
die Beiden die Jagd schon häufiger unbe 
rechtigt ausgeübt hätten. Die Untersuchung 
dürfte ergeben, wer der Abnehmer der ge 
wilderten Thiere war. Die Verhafteten 
wurden sofort nach dem Spandauer Militär- 
arrest gebracht. 
Wcttin, 27. Dec. Der des Mordes an 
dem Stadtkassenrendanten Böttcher ver 
dächtige Gerichlssekretär Häring soll sich 
im Ganzen Betrügereien in Höhe von 
etwa 60 000 Mk. haben zu Schulden 
kommen lassen. 
Durch eine Cigarre betäubt wurde 
ein Gutsbesitzer aus Schirwindt auf der 
Reise nach Rußland von einem fremden 
Mitreisenden im Coupee. In Wirballcn 
vom Schaffner aus tiefem Schlafe aufge- 
rüttelt, vermißte der Gutsbesitzer seine 
Brieftasche mit 10 000 Mk. Inhalt. Der 
Fremde war verschwunden. 
Mit dem Wunderdoktor Ast in Radbruch 
ist es stiller geworden, wer aber glaubt, 
die Sache wäre zu Ende, der täuscht sich 
Die Einnahme Ast's beträgt täglich 
mehrere hundert Thaler. Fast jeder 
Besucher bringt etwa von fünf und noch 
mehr Personen Haare mit und bezahlt 
hierfür im Durchschnitt pro Person 1 Mk 
Die Radbrucher erzählen, zweimal in der 
Woche trage Frau Ast das Geld im Hand 
korbe fort, natürlich von zwei handfesten 
Männern begleitet, um es in den nahe 
liegenden Städten zu deponiren. — Einer 
rücksichtsvollen Behandlung hat man sich 
beim Wunderdoktor nicht zu erfreuen 
Aber selbst in der bittersten Kälte warten 
noch heute die Gläubigen geduldig, bis sie 
vorgelassen werden. Eine Frau, welche 
s. Z. vor dem Hause des Schäfers schon 
mehrere Stunden gewartet hatte und die 
Kälte nicht mehr ertragen konnte, war 
kleinen Zimmern auf Stühlen dicht neben 
einander. Dieses sonderbare Nachtquartier 
kostet 20 Pfg., für die betreffenden Wirthe 
miner noch kein geringer Verdienst. Die 
Abgefertigten halten sich nicht länger in 
Radbruch auf, sondern eilen nach Winsen, 
um hier die verordnete Medicin aus der 
Apotheke zu holen. Die Mittel werden 
in Winsen auf Lager gehalten und sind, 
ebenso wie die Recepte, numerirt. In 
Radbruch selbst und in der Umgegend 
glaubt man wenig an die von dem sonder- 
ln 
die Scheune getreten, doch wurde sie von 
dem Sohne und der Frau des Wunder 
doktors erbarmungslos hinausgetrieben 
Ast prakticirt, je nachdem er dazu aufge 
legt ist, mitunter bis Abends 11 oder 
12 Uhr und noch länger. Mancher der 
Armen wartet den lieben langen Tag 
stets wenn die Thür zum Eintritt für 
einen neuen Schub geöffnet wird, stoßen 
die Kräftigeren die Schwachen und Zag 
haften zurück und wenn dann spät Abends 
der Schäfer zum letzten Male die Thür 
öffnen läßt, so verkündet er nicht etwa 
„Meine Herrschaften, kommen Sie morgen 
wieder, für heute wird die Thür zum 
letzten Male geöffnet!", sondern er läßt 
die Armen geduldig warten. Nach einiger 
Zeit wird aus dem Fenster gerufen: „Ast 
geht zu Bett!" — Nun wandern die Ab 
gewiesenen nach den beiden Gasthöfen, wo 
sie die Nacht vielleicht ohne Schlaf ver 
bringen. Sie hocken hier in den wenigen 
baren Alten verordneten Medicamente. In 
Winsen heißt es allgemein, wenn die 
Patienten des Schäfers auf dem Wege 
von der Bahn nach der Apotheke sich fast 
überstürzen: „Jetzt kommen Ast's Schafe." 
Das Haus des Wunderdoctors Ast sieht 
in seiner Ausstattung schrecklich aus. Die 
ämmtlichen Fenster sind von innen mit 
Säcken behängen; das Fenster, hinter 
welchem Ast kurirt, ist mit Pergament- 
mpier beklebt. 
Stuttgart, 27. Dec. Der hiesige Rechts 
anwalt Leopold Bacher ist in der 
Nacht vom Sonnabend an den Folgen 
einer Gasausströmung gestorben. Das 
Gas hatte sich in der Wohnstube, wo die 
Leitung aus Versehen nicht abgedreht war, 
entwickelt und strömte in das nebenan 
liegende Schlafzimmer Bachers, der Morgens 
als Leiche im Bette vorgefunden wurde. 
Die Kasse der Niedersächsischen 
Bank in Bückeburg gab im Jahre 1856 
Banknoten im Betrage von je 10 Thalern 
aus, welche eine Merkwürdigkeit zeigten. 
Einer der Bankbegründer, Manche sagten, 
der betheiligte Prinz von Hohenlohe, 
hatte den Einfall gehabt, die einzelnen 
Kassenscheine so zu zieren und zur Controle 
bezeichnen zu lassen, daß darauf Verse 
aus Volksliedern, bekannten Gedichten und 
deutschen Sprüchwörtern Wort für Wort 
niedergeschrieben standen. Eine gewisse 
Serie bildete den ganzen Satz. So war 
die Reihe 323, 300 bis 323, 307 folgen 
dermaßen gezeichnet: Auf dem ersten Schein 
trug der Revers in dem flatternden Band 
unterhalb des Wappens links die Nummer 
323,300, rechts das Wörtchen „Ich". Die 
wlgende Nummer trug: 323,301 — hab', 
ferner 323,302 — mein', 323,303 — 
Sach', 323,304 — auf, 323,305 = 
Nichts, 323,306 = gestellt, 322,307 ----- 
Juchhe I Da alle Noten der Nicdersächsischen 
Bank in gleich origineller Weise gezeichnet 
waren, so bildete ihre Gesammtheit jeden 
falls das originellste und kostspieligste 
Spruch- und Liederbuch der Welt. Man 
fand da: „Wer niemals einen Rausch ge 
habt, der ist kein braver Mann." Oder: 
„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, 
der bleibt ein Narr sein Leben lang!" 
Oder : „Willst Du immer weiter schweifen? 
Sieh das Gute liegt so nah. Lerne uur 
das Glück ergreifen, denn das Glück ist 
immer da!" 
Hamburg, 27. Decbr. Wegen Verdachts 
der Ermordung des zehnjährigen Knaben 
Hoogsteden in Rotterdam wurde dessen 
Onkel, der frühere Gastwirth van Beckel, 
hier verhaftet. 
Hamburg, 31. Dez. In der kleinen 
Reichenstraße Nr. 5 und 7 wüthet eine 
große Feuersbrunst, und zwar brennen 
zwei mit Oel, Sprit und Baumwolle ge 
füllte Speicher. Zwei Personen sollen 
verbrannt sein. 
Provinzielles. 
In der verflossenen Nacht ist in Esingen 
die große Scheune des Hofbesitzers Kölln 
mit sämmtlichen Getreidevorräthen voll 
ständig niedergebrannt. Man muthmaßt 
Brandstiftung. Das nahestehende Wohn- 
Haus konnte durch das Eingreifen der 
Feuerwehr gerettet werden. 
Kiel, 24. Dez. Der Geireidemarkt ist 
in Anbetracht der Festtage sehr still, doch 
sind Preise als ziemlich fest zu notiren. 
Es notirt pr- 1000 lex wie folgt: Weizen 
von 135 bis 140 Mk., Roggen von 105 
bis 115 Mk., Gerste von 110 bis 115 Mk., 
Hafer von 110 bis 115 Mk. 
Ein schrecklicher Unglücksfall ereignete 
sich in Flensburg in der Kappeler-Straße. 
Im Haufe des Kaufmanns Haase sollte 
der Sohn eines dort wohnhaften Arbeiters 
im Torfraum etwas Feuerung holen. In 
der Dunkelheit kam der Knabe einer Luke 
zu nahe und stürzte durch dieselbe in eine 
unten befindliche Grützmühle hinein. Der 
Knabe wurde schrecklich verstümmelt und 
konnte nur als Leiche hervorgezogen werden. 
Im Dorfe Osteroe bei Heide ,brach der 
einzige, elfjährige Sohn des Lehrers Habke 
auf dem Eise ein und ertrank. 
In der Süderelbe, Brunsbüttel gegen 
über ist ein englischer Dampfer festgerathen, 
welchem bei dem niedrigen Wasserstand 
infolge der schweren Ladung schon das 
Deck geborsten ist. Die Ladung wird in 
Leichter gelöscht, und man hält den Dampfer 
für verloren. 
? Süderdithmarschen, 30. Dez. Der 
Stand der Wintersaat ist in unserer Land 
schaft bis jetzt ein durchaus befriedigender. 
Auch sind die Arbeiten, welche im Herbste 
an den Ländereien vorgenommen zu werden 
pflegen, gut zu Ende geführt werden, in 
dem das Wetter der Bodenverarbeitung 
lange Zeit hindurch sehr günstig war. 
Die Preise für die Feldfrüchte stellen sich 
hier z. Z. folgendermaßen. Es kostet
	        
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