Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Bezugspreis: 
Vierteljährlich 2 j(.—, frei ins Haus geliefert 
2 Ji 15 <?, 
für Auswärtige, durch die Post bezogen 
2 Ji 25 9) 
incl. Postprovision 2C., jedoch ohne Bestellgeld. 
ZnsertionsprciS: pro Petitzeile 15 ä. 
Aeltestes nnb gelegenstes Kl alt tnt Kreise Uendsdnrg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
88stev Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses BlatteS vorbehalten. 
A-ls Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie das 
Blatt „Mode und Heim" gratis beigegebm. 
3300 Abonnenten. 
WO. 303. 
Montag, den 30. December 
1895 
ttferc geehrte» auswärtige» Abon- 
-. nenten ersuchen wir im Hinblick 
auf den bevorstehenden Quartalswechsel, 
die Erneuerung des Abonnements bei den 
kaiserl. Postämtern baldmöglichst beschaffen 
zu wollen, wenn mit Sicherheit auf die 
rechtzeitige Lieferung des Blattes gerechnet 
werden soll. Dickaiserl. Postämter sind gegen 
Schluß des Quartals erklärlicher Weise 
derartig mit Arbeiten überhäuft, daß die 
in 'icn letzten Tagen eingehenden Be 
stellungen ans sofortige Erledigung nicht 
sicher rechnen können. Die erst im neuen 
Quartal eingehenden Bestellnugen, welche 
Nachlieferung schon erschienener Nummern 
erfordern, werden nur gegen eine Extra- 
vergütung von 10 Pfg. 'für die Nach 
lieferung von Seiten der Post angenommen. 
Die Expedition. 
Morgeu-Depeschen 
Berlin, 30. Dec. Freiherr v. Hamm er> 
şikiņ 'st in Athen verhaftet worden. 
Athen, so. Dec. Tic Verhaftung des 
Freiherrn von Hamnierstein bestätigt sich. 
Seit mehreren Monaten lebte derselbe hier 
ganz allein und verkehrte häufig im deutschen 
Club. Bei seiner Verhaftung weinte 
Hammerstein heftig. 
Berlin, 30. Dec. Zur Verhaftung des 
Freiherrn v. Hamnierstein meldet die „Rat. 
Ztg. folgende Einzelheiten: Freiherr von 
Hammerstein ist in Athen ergriffen und 
auf einen italienischen Posidampfer gebracht 
worden. Der steckbrieflich Verfolgte wurde 
auf Grund einer zugleich mit dem Signale 
ment übersandten Photographie in Athen, 
wo er sich seit Wochen unter einem falschen 
Namen aushielt und Verkehr suchte, er 
kannt. Obgleich zwischen Deutschland und 
Griechenland kein entsprechender Aus 
lieferungsvertrag besteht, leistet doch die 
griechische Polizei dem von Berlin ent 
sandten Polizeikommissar Wolff auf Ver- 
anlassung des deutschen Konsulats hilfreiche 
Hand. Ter italienische Postdampfer, auf 
dem sich Freiherr v. Hammerstein befindet, 
hat am Freitag.Nachmittag den Piräus 
verlassen und trifft voraussichtlich in der 
Nacht vom Sonntag zum Montag in 
Brindisi ein. Es darf angenommen werden, 
daß dann die Auslieferung an Deutschland 
auf Grund des deutsch-italienischen Ver 
trages erfolgt. 
Berlin, 30. Dec. Die Prinzessin Friedrich 
Leopold, die bekanntlich auf-der Eisdecke 
des Griebnitz-Sees beim Schlittschuhlaufen 
einbrach, befindet sich bereits wieder außer 
Bett; es erscheint jede Gefahr für ihre 
Gesundheit ausgeschlossen. Die Prinzessin 
Friedrich Leopold ist eine Schwester der 
Kaiserin. 
Berlin, 30. Dec. Der Kaiser ließ auf 
den Sarg des verstorbenen Generals der 
Infanterie, Freiherrn von Meerscheidt- 
Hüllesem ein kostbares Blumen-Arrange 
ment niederlegen. Uebrigens wird zu dem 
Ableben des Generals noch gemeldet, daß 
der Kaiser dem Verstorbenen zum Weih- 
nachtsgeschenk sein Portrait in Lebensgröße 
übersandt hatte, wofür sich der General 
noch persönlich bedankte. 
Berlin, 30. Dec. Landgerichtsdirektor 
Brausewetter, dessen Zustand sich inzwischen 
wieder verschlimmert hat, hat nun doch 
Aufnahme in einer Privatheilaiistalt nach 
gesucht. 
Berlin, 30. Dec. Der bekannte ameri 
kanische Schriftsteller Poultney-Bigelow ist 
hier eingetroffen, um, wie man erfährt 
im Aufträge des Newyorker Staats- 
Jnsurance-Departements der preußischen 
Regierung mitzutheilen, daß die Newhorker 
Staatsregierung den deutschen Bersicherungs- 
Gesellschaften den Geschäftsbetrieb im 
Newyorker Staate untersagen werde, wenn 
die preußische Regierung die Maßregelung 
der amerikanischen Gesellschaften nicht bis 
zum 1. Februar 1896 aufheben sollte 
(Wir halten das Manifest in dieser 
Form für unzutreffend. Red.) 
Berlin, 30. Dec. Zur Kotze«Affaire 
schreibt die „Kreuzztg.", das bisherige 
Verfahren habe mit der endgültigen Ent 
scheidung abgeschlossen, daß ein neues 
ehrengerichtliches Verfahren einzuleiten sei, 
welches sich gleichzeitig auf das Verhalten 
des Ceremonienmeisters v. Schrader in 
dieser Angelegenheit erstrecken wird. 
? Kiel, 30. Dec. Bei dem Termin am 
Sonnabend behuss öffentlichen Verkaufs 
des südlich vom Kaiser Wilhelm-Kanal be- 
legenen Theil des Gute s Projensdorf 
wurden drei Gebote abgegeben und zwar 
vom Reichsgutverwalter Stahl zu Pro- 
jensdorf 270 000 Mk., vom Gutsbesitzer 
Gülich 300000 Mk. und dem Bürger 
meister Lorey als Vertreter der Stadt 
Kiel 296 000 Mk. Der Zuschlag wird 
erst später ertheilt werden. 
Budapest, 30. Dec. Unter dem dringen 
den Verdachte, den Gemeindenotar von 
Nagy-Pel ermordet zu haben, wurden 
mehrere angesehene Gutsbesitzer sowie der 
Seelsorger der Gemeinde verhaftet. 
Triest, 30. Dec. Bei dem Schiffsunglück, 
welches den französischen Dampfer „Emile 
Heloise" dadurch betroffen hat, daß er von 
dem holländischen Dampfer „Bellerophon" 
angerannt und durchschnitten wurde, sind 
24 Passagiere und 10 Mann der Schiffs 
bedienung ertrunken. Der Capitän, 6 Ma- 
trafen und 20 Passagiere wurden gerettet. 
An dem Unglück soll der holländische 
Dampfer die Schuld tragen. 
London, 30. Dec. Wie die „Times" 
aus Konstantinopel erfahren, habe der 
dortige französische Botschafter die Meldung 
erhalten, daß 2000 von Zeitun nach 
Mersina geflohene Armenier von den 
Türken umgebracht wurden. 
Madrid, 30. Dec. Eine Feuersbrunst 
zerstörte den Stiergefecht > Cirkus in San 
Sebastian. Der Schaden wird auf eine 
halbe Million Pesetas geschätzt. Drei 
Stiere sind verbrannt; ein Stier durchlief 
mit starken Brandwunden die Straßen und 
stürzte sich schließlich ins Meer. 
Paris, 30. Dec. Die angekündigte 
Arion-Herz'sche Panamaliste beginnt die 
France heute zu veröffentlichen, und das 
Blatt erklärt, daß es bereit sei, die Echt 
heit der Liste vor Gericht zu ei weisen. 
Von den 104 Deputirten, die angeblich 
durch Arton bestochen sein sollen, werden 
zunächst genannt: 26 Radicale, 12 Oppor- 
tunisten und ein Bonapartist. Darunter 
finden sich die Namen: Floquet, Boissy 
d'Anglas, Tony Rövillon, Maret, Camille 
Dreyfus, Antide Boyer und andere. Der 
Ackerbauminister Viger, der auch auf der 
Liste verzei chnct ist, erklärte in den Kammer- 
Couloirs, er finde es unter seiner Würde, 
auf diesen schlechten Scherz zu reagiren. 
Ernster fassen drei andere ebenfalls ge 
nannte Deputirte, Julien, Boissy d'Anglas 
und der Pariser Deputirte Frebault die 
Angelegenheit auf. Sie reichten sofort 
bei Gericht Klage ein. Der Senator 
Floquet erklärte, daß er seinerzeit alles 
Wissens werthe bekannt gegeben und heute 
nichts hinzuzufügen habe. Der Eindruck 
der Veröffentlichung im Publikum ist nur 
gering. 
Konstautinopcl, 30. Dec. Für vier in 
der Türkei getödtete amerikanische Missionäre 
verlangen die Vereinigten Staaten von 
Nordamerika eine hohe Geldentschädigung. 
Es ist nicht unmöglich, daß die anierikanische 
Regierung zur Sicherung ihrer Forderung 
durch den Admiral Freemantle in den 
türkischen Gewässern einen Druck ausüben 
und ein Pfand zu erlangen suchen iverde. 
Newyork, 30. Dec. Etwa 30 Meilen 
von Havannah fand, wie ein Telegramm 
von dort meldet, zwischen den Insurgenten 
unter Gomez und 4000 Spaniern ein 
Gefecht statt, in dem die letzteren große 
Verluste erlitten und geschlagen wurden. 
Gomez marschirt in Eilmärschen auf 
Havannah los, wo große Vertheidigungs 
vorbereitungen getroffen werden. 
Newyork, 30. Dec. Nach einer Meldung 
des „Newyork Herald" aus Caracas fan- 
den dort wieder große Manifestationen 
statt, in denen besonders der Präsident 
Cleveland gefeiert wurde. Der venezuelische 
Minister des Innern Castilho erklärte, 
Venezuela würde keinen Zoll breit Landes 
abtreten; es müßte denn gerade durch 
Waffengewalt dazu gezwungen werden. 
Washington, 30. Dec. Die Regierung 
soll fest entschlossen sein, eine Anleihe von 
100 Millionen Dollars aufzunehmen. Da 
für sollen Bonds ausgegeben werden. 
Baltimore, 29. Dec. Während der Vor 
stellung der hebräischen Oper im Front- 
street'Theater entstand infolge falschen 
Feuerlärms eine Panik: alles stürzte zu 
den Ausgängen. 24 Personen wurden 
im Gedränge getödtet, 40 schwer ver 
letzt. 
Ausland. 
Anhereuropäische Gebiete. 
Änf Vorposten. 
New Aork, 29. Decbr. Edison soll Ein 
richtungen erfunden haben, welche Kriege 
unmöglich machen. Eine Maschine, welche 
auf große Entfernungen mit 5000 Volt 
geladenes Wasser fortschleudert, wirst eine 
Armee wie Spreu nieder und um eine 
belagerte Stadt werden elektrische Kabel 
versteckt gelegt, die eine feindliche Annähe- 
rung unmöglich machen. Weiter sollen elek 
trische Ketten auf eine vorrückende Armee 
gefeuert werden können, die wie große 
Schlangen durch die Luft fahren und jeden 
mit Tod und Verderben bedrohen. Dieser 
Bericht wird noch viel weiter ausgesponnen 
und Einrichtungen geschildert, welche wahr 
haft erschreckend wirken. Vorläufig halten 
wir das Ganze für eine Reporterente, 
hervorgegangen aus dessen überreizter 
Phantasie, die bereits Amerika und England 
in Hellem Kriege sieht. 
Oefi erreich-Nugar«. 
Prag, 28. Dec. Bei der heutigen Er 
öffnung der neuen Landtagspcriode kam 
es zu einem Skandal. Als nach dem 
Oberstlandmarschall Fürsten Lobkowitz der 
Statthalter Gras Thun namens der 
Regierung den Landtag begrüßen wollte, 
gab der Führer der Jungczechen Dr. Engel 
die Erklärung ab, daß seine Partei diesem 
Statthalter nicht angehören wolle. Alle 
90 jungczechischen Abgeordneten inscenirten 
darauf einen unbeschreiblichen Tumult. 
Sie ballten drohend die Fäuste, schrieen 
dem Statthalter zu, er möge sich entfernen, 
er sei kein würdiger Vertreter der Krone, 
und überhäuften ihn mit Beleidigungen. 
Hierauf verließen sie ostentativ den Land 
tag und kamen erst nach der Rede des 
Statthalters wieder. 
Frankreich. 
Paris, 28. Dez. In der Kirche Sainte 
Marguerite ereignete sich eine aufregende 
Scene. Der dreißigjährige Schuhmacher 
Antoine Philippe feuerte gegen zwei, die 
Sacristei verlassende Abbes mehrere Re 
volverschüsse ab. In der Kirche be- 
fanden sich etwa zehn Andächtige, welche 
den Bedrängten zu Hilfe eilten. Ein Abbe 
wurde leicht verletzt, eine zweite Kugel 
ging fehl. Philippe gab an, er hasse die 
Geistlichkeit von Kindheit an. Er sei 
heute in die Kirche gekommen, um die 
Lokalität für den morgigen Sonntag zu 
studiren und den Prister in seinem vollen 
Drnate am Hochaltare niederzuschießen. 
Da ihm aber zwei Abbes in die Schuß 
linie gekommen wären, so hätte er der 
Versuchung nicht widerstehen können. Man 
nimmt an, es mit einem Wahnsinnigen zu 
thun zu haben. 
Jtalie«. 
Rom, 28. Dez. In Folge der Regen 
güsse in den letzten Tagen ist der Tiber 
so angeschwollen, wie nieseit 1870. 
Der Pegel an der Ripetta zeigt 13 Meter. 
Bei San Paolo und Ponte Molle sind 
alle Felder überschwemmt; im tiefliegenden 
Pantheon quillt das Wasser aus den 
Fugen des Marmorbodens und ergießt sich 
in das Atrium. — Wären die Quaibauten 
innerhalb der Stadt nicht vollendet, so 
würde halb Rom heute unter Wasser 
stehen. — Der Strom umschäumt die 
Pfeiler der Brücken mit furchtbarer Ge 
walt; er führt in seinem Gewässer Baum 
stämme, Theile fortgerissener Hütten, Mo 
bilien u. s. w. mit. — Von den Brücken 
und Ufern staunt eine große Menschen 
menge das grandiose Schauspiel an. Es 
wird noch ein größeres Steigen signalisirt; 
den höchsten Wasserstand erwartet man 
heute Nacht gegen 11 Uhr. 
lWeilinechtseniineruiigstines französisch. Offiziers.) 
In der Nacht zum 25. Dezember 1870, 
nachdem die Belagerung von Paris mit 
ihrem Gefolge von Leiden, von Entbehrungen, 
von Todtcnklagm und unglücklicherweise auch 
von Ausbrüchen des Hasses bereits lange 
Wochen ausgedauert, hatte ich Wachtdicnst 
in den Verschanzungen. Meine Compagnie 
bestand aus Pariser Mobilgarden, gute Jungen, 
die zu jeder That, die Muth erforderte, bereit, 
nur nicht stark in der Disziplin waren. Der 
Frost ging scharf diese Nacht; der klare, 
herrlich ausgestirnte Himmel schien förmlich 
zu schauern; der zarte Halbmond beleuchtete 
eine gespenstisch dreinschauende, weile, schnee 
bedeckte Ebene und der Laufgraben der 
Deutschen lag dem unsern so nahe, daß 
wir ihre „Wer'da?" und das Klirren ihrer 
auf den eisigen Erdboden schlagenden Gewehre 
vernahmen, während sie wahrscheinlich die 
„Qui vive‘ : -9iitfe unsrer Schildwachen ebenso 
deutlich hörten. 
Es war beinahe Mitternacht geworden und 
ich stampfte auf dem Fußboden umher, um 
mich ein bischen zu erwärmen, als ein 
strammer Bursche mit feinen Zügen und 
cincni intelligenten und energischen Gesicht 
aus der Reihe der übrigen Mobilgarden trat 
und eine kuriose Bitte an mich richtete: 
„Herr Kapitän," sagte er, „dürfte ich für 
einen Augenblick die Wache verlassen?" 
„Unsinn! Treten Sie sofort in's Glied 
zurück. Glauben Sie, mir sei weniger kalt 
als Ihnen? Warten Sie nur: Wemi's nach 
her in's Feuer geht, wird Ihnen schon 
; wärmer werden." 
Er rührte sich nicht, immer noch in dienst 
licher Haltung die Hand am Gewehr: 
„Herr Kapitän, ich bitte Sie, erlauben 
Sie mir's. Die Sache wird nur ein paar 
Augenblicke brauchen. Ich versichere Sic, 
Sie sollen es nicht bereuen." 
„Den Teufel auch, wer sind Sie eigentlich 
und was wollen Sic denn? 
Wer ich bin? Der X . . ." — Und er 
nannte einen Namen, der damals in der 
musikalischen Kunst sehr berühmt war. — 
„Was ich will, das muß, bitte, mein Ge 
heimniß bleiben." 
„So, dann lassen Sie mich in Ruhe; ver 
schonen Sie mich mit solchen Lüderlichkeiten! 
Wenn ich Einen heute Nacht nach Paris lasse, 
sehe ich nicht ein, warum ich nicht die ganze 
Kompagnie hinschicken soll." 
„Ach, Herr Kapitän!“ erwiderte er lächelnd, 
ich will gar nicht nach Paris, ich will nach 
dieser Richtung" — und er wies nach den 
deutschen Truppen hinüber. — „Ich bitte nur 
um zwei Minuten Urlaub." 
Seine Haltung und seine Sprache hatten 
meine Neugierde rege geinacht. Ich entschloß 
mich, ihm die gewünschte Erlaubniß zu geben, 
nicht ohne zu bemerken, daß er sich wahr 
scheinlich den Tod holen werde. 
Er sprang sogleich ans dem Graben 
heraus und ging fünf Schritte dem Feind 
entgegen; in dem Schweigen der Nacht 
hörte man den Schnee unter den Füßen 
knarren und wir folgten mit den Augen 
der schwarzen Silhouette, die durch den 
vom Monde geworfenen Schatten unheimlich 
verlängert wurde. Dann blieb der Mann 
stehen, grüßte militärisch und intonirtc mit 
kräftiger, tiefer Stimme und aus voller 
Brust daS schöne Weihnachtslied von Adam: 
„Minuit chrátiens, c’est l’heure solenneile 
Ou l’Homme-Dieu descenditjusqu’ä nous...“ 
Das geschah so unerwartet, war so einfach, 
der Gesang gewann durch die äußeren Um 
stände, durch die Nacht und in dieser Um 
gebung eine solche Größe, eine solche Schön 
heit, daß wir alle, wir, die Pariser, Zweifler 
und Spötter, bewegt an den Lippen des 
Sängers hingen. Und von seiten der Deutschen 
mußte ein ähnliches Gefühl vorwalten: 
Denn gewiß dachte mehr als einer da drüben 
an die Heimath, an seine Familie, die zu 
Hause um den Kachelofen saß, an die frohen 
Kinder, die um den brennenden Christbaum 
herum hüpften. Man vernahm nicht das 
kleinste Geräusch, keinen Schritt, keinen Ruf, 
kein Geklirr der Waffen. 
Als mein Sänger sein Weihnachtslied 
mit seiner männlichen Stimme bedächtig ge 
endet hatte, salutirte er noch einmal, drehte 
sich auf seinen Absätzen herum und schritt, 
ohne sich zu beeilen, unserer Verschanzung zu. 
„Herr Kapitän, ich melde mich zurück," 
sagte er, bedauern Sie Ihre Erlaubniß?" 
Ich hatte noch nicht Zeit gehabt, zu 
antworten, als drüben, auf der' Seite der 
Deutschen, die hohe Gestalt eines Ar 
tilleristen sichtbar wurde. Und der Artillerist, 
den Helm auf dem Haupte, trat mm seiner 
seits vor, ging uns fünf Schritte entgegen, 
gerade wie cs der Andere gethan hatte, 
machte Halt, grüßte kaltblütig und, inmitten 
dieser Winteruacht, inmitten aller dieser 
waffcnstarrcnden Männer, die seit Monaten 
an nichts anderes dachten, als sich gegen 
seitig zu vernichten, hub er aus voller Kehle 
ein schönes deutsches Weihnachtslied zu singen 
an, eine Hymne der Dankbarkeit und des 
Glaubens an das arme Jesuskind, das vor 
achtzehnhundcrl Jahren zur Welt gekommen 
war, um den Menschen die Liebe zu bringen 
und anzubefehlen und dem man seither so 
schlecht gehorcht hatte. 
Ich habe selbstverständlich sofort befohl'n, 
daß . man den Mann gewähren lasse und 
ja nicht auf ihn schieße. Er sang bis zu 
Ende und als er an den Refrain: „Weih 
nachtszeit! Weihnachtszeit!" kam, 
da durchschnitt ein einziger lauter Schrei 
die Luft und „Weihnachtszeit!" ertönte 
es von drüben her, von der feindlichen 
Wache. Und wie aus einem Munde ertönte 
cs in unserer Verschanzung : „Noel, Noel!“, 
und einen Augenblick lang waren die beiden 
feindlichen Hereshaufcn in einem gemeinschaft 
lichen Gedanken vereinigt. 
Nach einem Zeitraum von fast 2000 
Jahren und inmitten der waffenstarrendcn 
Heeresmächte übte die Geburt des Christus 
kindes also noch eine so fried cnverhcißendc 
Wirkung aus. 
Der Artillerist trat langsam in die Reihen 
seiner Landsleute zurück und verschwand im 
Graben. Einige Stunden später flogen die 
Kugeln wieder herüber und hinüber. (Frkf. Ztg.) 
Am 2. Januar beginnt der bereits 
angekündigte neue größere Roman 
von C. v. Waldt-Zedtwitz: 
Wer liegt? 
Die Redaktion. 
Romansprache und Druckfehlerkobold. 
Im „B. T." wird gegenwärtig der Roman 
„Der Stern der Glücks" von Nataly v. 
Eschstruth abgedruckt. In der Nummer 
vom 15 November heißt es dort sehr 
hübsch: „Jetzt, als er endlich, ungesehen 
und ungehört von Fremden, seine Erwählte 
im Arme hielt, dieweil der Magen im 
schässten Tempo dem Restaurant entgegen 
sauste, brach sich die Erregung in tausend 
liebeglühenden Worten Bahn." Die Liebe 
scheint Roman Ermönyis — so heißt „Er" 
— außerordentlich hungrig gemacht zu 
haben. — Auch der Druckfehlerkobold kann 
sehr boshaft sein. So meldet das Abend 
blatt der „N. Fr. Pr." vom 20. November: 
„Am 22. November begeht der Groß- 
industrielle Herr Ludwig Moser, k. und k. 
Hofglasfabrikant und Kultusvorsteher in 
Karlsbad, die Feier seiner silbernen Joch 
zeit." - Wie nan nur so indiskret sein 
kann. („Kladderadatsch".) 
Ein guter Kern. „. . . . Der junge 
Schulze soll einen sehr reichen Onkel haben! 
— „Sehen Sie, ich sagt' es ja immer: 
trotz jeiner Bummelei ist ein guter Kern 
in ihm!" 
Kränklich Arzt: „Worüber klagen Sie?" 
Patient: „Ueber die Nerven; die kleinste 
Kleinigkeit regt mich auf: ich brauche blos 
einmal in Konkurs zu kommen — gleich 
bin ich nervös!" 
Theures Andenken. Frau A.: „In 
dem Medaillon haben Sie wühl ein theures 
Andenken?" — Frau B.: „Ja, da ist eine 
Locke von meinem Manne drin." — 
Frau A.: „Na, Ihr Mann lebt aber doch 
noch." — Frau B.: „Ja, aber seine Haare 
leben nicht mehr."
	        
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