Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Blatt „Mode uird Heim" gratis bcigegebcn. 
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Aeltestes mid gelrsenstes Klatl im Kreise Uendsvurg. 
lgesnummer werden bis 12 U 
88ster Jahrgang. 
Wo. 302. 
Sonnabend, den 28. December 
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nenten ersuchen wir im Hinblick 
auf den bevorstehenden Quartalswechsel, 
die Erneuerung des Abonnements bei den 
kaiserl. Postämtern baldmöglichst beschaffen 
zu wollen, wenn mit Sicherheit auf die 
rechtzeitige Lieferung des Blattes gerechnet 
werden soll. Die kaiserl. Postämter sind gegen 
Schluß des Quartals erklärlicher Weise 
derartig mit Arbeiten überhäuft, daß die 
in den letzten Tagen eingehenden Be 
stellungen auf sofortige Erledigung nicht 
sicher rechnen können. Die erst im neuen 
Quartal eingehenden Bestellungen, welche 
Nachlieferung schon erschienener Nummern 
erfordern, werden nur gegen eine Extra- 
vergütung von 10 Pfg. für die Nach 
lieferung von Seiten der Post angenommen. 
Die Expedition. 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 28. Dez. Der Staatssekretär 
der südafrikanischen Republik Präioria, 
Dr. Leyds, ist, wie die „Rat. Ztg." meldet, 
in Berlin eingetroffen, um hiesige Aerzte 
wegen eines Halsleidens zu konsultiren. 
Es ist nicht ausgeschlossen, daß derselbe 
gleichzeitig mit den Missionen betraut 
worden ist, die deutsche Regierung auf die 
Gefahren aufmerksam zu machen, welche 
der Republik seitens der von der Kap. 
kolonie aufgestachelten Ausländer drohen. 
Berlin, 28. Dez. Im „Reichsanz." 
wird folgende Bekanntmachung des Reichs 
kanzlers veröffentlicht: Rach Allerhöchster 
Bestimmung des Kaisers wird vom 18. 
Januar k. I. zur Erinnerung an die vor 
25 Jahren erfolgte Neubegründung des 
Deutschen Reichs eine Feierlichkeit im 
Königlichen Schlosse Hierselbst stattfinden, 
zu welcher unter Anderen auch die da 
maligen Reichstagsmitglieder eingeladen 
werden sollen. Demzufolge werden die 
jenigen Herren, welche dem Reichstage des 
Norddeutschen Bundes Ende 187O oder 
dem ersten Deutschen Reichstag 1871 an- 
gehört haben und gegenwärtig nicht Mit- 
glieder des Reichstags sind, hierdurch er. 
sucht, ihre Adresse bis zum 3. Januar 
k. I. dem Reichsamt des Innern einzu- 
senden. 
London, 28. Dez. Dem Reuter'schen 
Bureau liegt ein Telegramm aus Konstan 
tinopel vor, wonach sich die Meldung von 
der Einnahme Zeituns durch die türkischen 
Truppen bestätigt. 
Genua, 27. Dez. Ein der Küsten- 
Compagnie gehöriger Dampfer „Emile 
Höloise", der den Dienst zwischen Böne 
und Algier verrichtet, wurde gestern in 
Algier von dem Steamer „Bellerophon", 
der unter holländischer Flage gesegelt sein 
soll, angerannt und sofort in den 
Grund gebohrt. Mehr als 3O 
Personen werden vermißt. 
London, 28. Dez. Die dem Parlaments- 
Mitglied Coddington in Blackburn gehörige 
Spinnerei, die 600 Webstühle beschäftigte, 
hat wegen Mangel an Aufträgen infolge 
der indischen Baumwollzölle den Betrieb 
eingestellt. Dem „Weberverbande" zu 
folge stehen in Lancashire gegenwärtig 
10000 Webstühle still. 
Konstantinopel, 28. Dez. Amerika soll, 
wie hier gerüchtweisesverlautet, das Prinzip 
der Schließung der Dardanellen für 
fremde Kriegsschiffe nicht anerkennen 
wollen. 
MusLemd. 
Außereuropäische Gebiete. 
New-Iork, 27. Dez. Nach einer Depesche 
der „New-Iork World" aus Caracas hat 
vorgestern dort eine große Kundgebung 
gegen die Engländer stattgefunden. 
Der Minister des Innern hielt eine Rede, 
in der er betonte, Venezuela würde sich 
nur einem Schiedsgericht unterwerfen oder, 
falls dies nicht bewilligt würde, zu den 
Waffen greifen. 
New-Iork, 27. Dez. Der Konflict 
zwischen England und Nordamerika 
wegen Venezuela scheint in ein neues 
Stadium getreten zu sein. Der frühere 
Präsident von Venezuela, General 
Guzmann Blanco, hat dem Pariser 
Korrespondenten des Neuen Wiener Journals 
gegenüber, wie bereits in einem Privat- 
Telegramm unseres Korrespondenten ge- 
meldet, sensationelle Erklärungen über ein 
russisch-amerikanisches Kriegsbündniß gegen 
England abgegeben. 
„Für mich", sagte der gewesene Präsident von 
Venezuela, „ist es so gut wie ausgemacht, daß 
die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 
Rußland bereits einig sind betreffs eines ge 
meinsamen Vorgehens gegen England, und zniar 
in der Weise, daß Rußland, während ivir Ameri 
kaner die neue Welt gegen die Briten ver 
theidigen, einen Angriff auf die Besitzungen Eng 
lands in Indien unternimmt." 
General Guzniann hielt den Pariser 
Korrespondenten ausdrücklich zur Veröffent 
lichung dieser Erklärung autorisirt. In 
der That scheint der General gut unter- 
richtet zu sein, denn von russischer Seite 
erhält das „B. T." gleichzeitig eine weit 
gehende Bestätigung dieser Nachricht. In 
Sachen des Konfliktes zwischen den Ver 
einigten Staaten Nordamerikas und Eng 
land hat die amerikanische Regierung hier 
sondirt, welchen Standpunkt die russische 
Regierung in dieser Frage einnimmt. Die 
Antwort der russischen Regierung ist für 
Nordamerika außerordentlich günstig. Wir 
können sagen, daß die russische Regierung 
völlig den Standpunkt Clevelands theilt 
und daß auch bereits beschlossen ist, diesen 
Standpunkt zum Mindesten auf diploma 
tischem Wege nachdrücklich zu unterstützen. 
Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß die 
Vereinigten Staaten Nordamerikas in 
ihren gegenwärtigen finanziellen Schwierig 
keiten in der einen oder anderen Form 
eine weitgehende Unterstützung Rußlands 
erhalten. 
Dennoch giebt man auf beiden Seiten 
die Hoffnung auf eine friedliche Lösung 
nicht auf. 
Jokohama, 27. Dec. Der Kreuzer 
Kwanping", welchen die Japaner den 
Chinesen im japanisch-chinesischen Kriege 
weggenommen hatten, ist bei den Pescadores- 
Inseln am 21. December . gescheitert; 
mehrere Officiere und etwa 60 Mann 
werden vermißt. 
England. 
London, 27. Dec. Der Johannes- 
burger Correspondent der „Rand Calle 
Agency" kabelt, daß nach Mittheilungen 
einer competenten Persönlichkeit alles zum 
Bürgerkriege bereit sei und dieser als be 
vorstehend erachtet werde. Ein Manifest 
der nationalen Vereinigung an das Volk 
von Transvaal fordert die Errichtung einer 
wahren constitutionellen Republik mit freier 
und gerechter Vertretung, Gleichstellung 
der holländischen und englischen Sprache, 
unabhängige Gerichte und Freihandel für 
afrikanische Produkte. Einflußreiche Ein- 
wohner bemühen sich, gegenüber den Ge- 
rüchten über den Plan einer Erhebung der 
Fremden in Transvaal die öffentliche 
Meinung zu beruhigen. George Albu hielt 
eine Ansprache, in der er zugab, daß eine 
Reform der Regierung nöthig sei, jedoch 
die Anwendung von Gewalt bekämpfte; 
diese würde nur Blutvergießen und Plün 
derung des Eigenthums der Einheimischen 
und Fremden durch die verbrecherischen 
Klassen Johannesburgs herbeiführen. Albu 
appellirte an den gesunden Menschenverstand 
der Fremden; sie möchten die schrecklichen 
Folgen einer Revolution erwägen, bevor 
sie handelten. Die Rede wurde mit großem 
Beifall aufgenommen. (S. auch Morgen- 
Dep. unter Berlin) 
Bulgarien. 
Sofia, 27. Dec. In einer Privat 
versammlung der Regierungsmajorität er 
klärte Stoilow, die russische Ver 
söhnung s frage gehe sehr gut vor- 
wärts. Fürst Ferdinand sei entschlossen, 
den Prinzen Boris taufen zu lassen, auch 
wenn der Zar nicht Pathe sein würde, 
worüber noch Verhandlungen schweben. 
Die Regierung hoffe, daß ein russischer 
General, wahrscheinlich General Obrutschew, 
bei der Taufe zugegen sein werde. Die 
russische Regierung habe den Botschafter 
Nelidow in Konstantinopel angewiesen, 
für den bulgarischen Exarchen vom Sultan 
die Bewilligung für die Reise nach Sofia 
zu erwirken, was bereits geschehen sei. 
Frankreich. 
Paris, 27. Dec. Das Geschenk Kaiser 
Wilhelms (das bekannte Bild) an Faure 
war am Weihnachtstage in Elvsöe Gegen- 
stand großer Aufmerksamkeit aller Besucher. 
Wo das Bild dauernd seinen Platz er 
halten soll, ist noch nicht entschieden. — 
Der Herzog von Leuchtenberg übergab dem 
Präsidenten zu Weihnachten einen eigen 
händigen Brief des Zaren, welcher in 
schmeichelhafter Weise der gemeinsamen 
russisch-französischen Intervention in Ost 
asien gedenkt. — In Sissons bei Laon 
beginnen nächste Woche die Arbeiten zur 
Errichtung des neuen Zelt- und Baracken 
lagers, welches schon im Frühling theil- 
weise bezogen werden soll. 
Inland. 
— Zur Weihnachtsfeier in der 
kaiserlichen Familie verlautet: 
Der Kaiser hat unter Anderem von seiner 
Gemählin sechs Limonadenbecher aus kost 
barem englischen Porzellan mit den dazu 
gehörigen goldenen Löffeln erhalten, ferner 
zwei Oelgemälde, Landschaften, sechs deco- 
rirte Porzellantellcr mit Scenen aus dem 
Marineleben und eine Stutzuhr, deren 
convexes Uhrglas das Zifferblatt bedeutend 
vergrößert. Die Kaiserin wurde von ihrem 
Gemahl mit einem großen Oelgemälde, 
eine Scenerie an der Seeküste darstellend, 
beschenkt; außerdem erhielt sie einen alter- 
thümlichen kostbaren Halsschmuck, der an 
einer Kette zu tragen ist. Unter den zahl 
reichen Geschenken, welche die Kaiserlichen 
Prinzen erhielten, interessiren besonders 
die Gewehre und Trommeln. Die Gewehre 
sind verkleinertes Modell 88, zu Spandau 
ausgeführt, und in allen Theilen dem 
deutschen Ordonnanzgewehr völlig gleich. 
Als das Kaiserpaar am ersten Feiertage 
im Park von Sanssouci spazierte, spielte 
sich eine hübsche Scene ab. Der Posten 
am Hauptwege, da, wo der abgesperrte 
Theil beginnt, wurde bei dieser Gelegenheit 
vom Kaiser gefragt, ob er wohl Geschenke 
annehmen dürfe. Der Posten verneinte. 
„Aber", fuhr der Kaiser fort, „wenn ich 
etwas gebe, was dann?" „Auch dann nicht; 
wenn Majestät aber das Geschenk in's 
Schilderhaus legen, dann darf ich es nach 
Ablösung mitnehmen!" Der Kaiser freute 
sich dieser Antwort und sagte, daß er jetzt 
eins hinlege; er faßte in's Portemonnaie, 
legte ein Geldstück in's Schilderhaus und 
meinte, der Posten solle es nicht vergessen. 
Das Kaiserpaar ging weiter; da unmittel- 
bar hernach die Ablösung kam, sahen 
Kaiser und Kaiserin sich um, ob der Posten 
auch das Geschenk mitnahm, was dieser 
selbstredend nicht vergaß. Der Kaiser hatte 
ein Zehnmarkstück gespendet. 
Berlin, 27. Dez. Bon einem Unfall, 
der die Prinzessin Friedrich Leopo ld 
betroffen hat, wird dem „Lok.-Anz." aus 
Babelsberg gemeldet: Die Prinzessin ver 
gnügte sich heute Vormittag 11 Uhr mit 
Schlittschuhlaufen auf dem bei Potsdam 
belegenen Griebnitz - See in Begleitung 
ihrer Gesellschaftsdame Frl. v. Colmar, 
als sie plötzlich an der am See befindlichen 
Dampfer-Anlegestelle einbrach. Auch Fräul. 
v. Colmar, die sich in ihrer unmittelbaren 
Nähe befand, traf dasselbe Schicksal. Der 
Unfall wurde glücklicherweise von dem 
Maschinisten Hankwitz sofort bemerkt; er 
eilte augenblicklich mit einer Stange herbei, 
die er über die Einbruchsstelle auf das 
Eis legte, sodaß die beiden Verunglückten 
sich an dieser festhalten konnten. Bei seinen 
Bemühungen um das Leben der Prinzessin 
und ihrer Hofdame war der brave Maschinist 
jedoch auf seine eigene Person so wenig 
bedacht, daß er auch ins Wasser stürzte. 
Nun eilte der Sohn des Hankwitz mit 
einer Leiter hinzu und ihm gelang es nach 
vielfachen Bemühungen, zuerst seinen alten 
Vater, dann Fräulein v. Colmar und 
zuletzt die Prinzessin Friedrich Leopold, 
die es am längsten auszuhalten erklärte, 
aus dem nassen Element wieder heraus« 
zubefördern. 
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Eine fixe Idee? 
Bon Martin Böttcher. 
Der Winter, der gestrenge Herr, alterte 
schon sehr; aber er dachte noch nicht daran, 
den Hcrrschermantel in die milde Hand des 
Nachfolgers zu legen. Noch nicht! Wie eine 
kalte Bettdecke — dicht und schwer — lag 
der Schnee auf den zarten Keimen, die sich 
in jugendlichem Uebcrmuth hervorgcwagt 
hatten, den jungen Herrscher zu begrüßen, der 
sich neulich zum Regierungsantritt gemeldet, 
aber sofort zum Lande hinausgejagt worden 
war vom gestrengen alten. — Und wie große 
Daunen — durch ein ungestümes, zorniges 
Schütteln aufgewirbelt — tausend und aber 
tausend an der Zahl — flogen die Schnee- 
stocken durch die Luft und senkten sich nach 
und nach auf die Decke herab und machten 
sic immer dichter und schwerer. — Jawohl, 
der Winter war zornig! Aber hatte er nicht 
auch alle Ursache, es zu sein? Es geschah 
ihnen recht, den zarten Keimlein: — Un 
artige Kinder müssen ins Bett!. 
Im Wohnzimmer halle man einen künst 
lichen Lenz hervorgezaubert. — Der große 
Dfen verbreitete eine milde Wärme über den 
ganzen Raum und Hyacinthen, Narcissen, 
Konvalaria und andere Frühlingsblumen 
standen in Töpfen nnd erfüllten ihn mit 
ihrem Duft. — Vater und Tochter waren 
ackern. Auf seinem Antlitz lag etwas wie 
Frühlingssonnenschein; aber sichtbar bemühte 
rr sich, seine Freude zu verbergen; denn er 
stand am Fenster, anscheinend ganz versunken 
in aufmerksame Betrachtung der wirbelnden 
Schneeflocken. Er hatte sich einige Male 
geräuspert, als ob er etwas zu sagen hätte, 
aber nicht wüßte, wie er anfangen sollte. - 
Ihr Antlitz trug das Gepräge ruhigen 
Ernstes, verrieth aber zugleich durch einen 
zerstreuten, träumerischen Ausdruck, daß ihre 
Gedanken weit ab weilten von den Blumen, 
über welche sie sich eben neigte, um sie zu 
ordnen. 
Er räusperte sich wieder, wandte sich aber 
nicht um. — „Ich werde alt und hinfällig 
und bedürfte eigentlich eines Helfers oder Ab 
lösers," begann er — etwas unbeholfen und 
tastend, wie es in der Regel der Fall ist, 
wenn man sich bemüht, ein Anliegen recht 
fein einzuleiten. 
Es erfolgte keine Antwort, aber eine weiche 
Hand streichelte theilnehmend und liebkosend 
sein dünnes, weißes Haar. 
„Aber wo finde ich einen solchen — wer 
wird mich ablösen? — Ja, wenn „er" bald 
zurückkehrte, dann — dann ..." fuhr er 
ebenso unbeholfen und tastend fort, wie er 
angefangen hatte. 
Der Satz wurde nicht beendet. Er wurde 
von der Tochter unterbrochen, welcher die 
übermäßig starke Betonung des Wortes „bald 
sofort aufgefallen war. — Die so lange ge 
täuschte Hoffnung und die Sehnsucht nach 
deren Erfüllung hatte ihr das Gehör geschärft. 
„Wenn er bald zurückkehrte", wiederholte 
sie mit athemloscr Eile. „Du hast sonst immer 
durchblicken lassen, daß Du die Möglichkeit, 
die Du eben aussprachst, bezweifeltest. 
Weißt Du etwas, sage, weißt Du etwas, 
oder ahnt Dir etwas? — Ich bin stark 
genug, eine große Freude tragen zu können." 
Nun wandte er sich um und blickte forschend 
hinein in das glühende Antlitz. 
„Ich weiß, antwortete er, „daß mein 
Zweifel feige war, und daß die Möglichkeik 
der Erfüllung Deiner starken Hoffnung, die 
ich bis jetzt für weibliche Schwäche, für eine 
krankhafte Illusion hielt, nicht ausgeschlossen 
ist- Ein Schiffbrüchiger kann gerettet 
werden, selbst wenn das Unglück auf hoher 
See geschieht, und — und ein Kranker kann 
wieder gesund werden, selbst wenn die Krank 
heit ein Stadium erreicht hat, in dem es uns 
Menschen unmöglich erscheint. Das haben 
wir ja erfahren. — Wenn er nun krank ge 
wesen wäre — wenn er wie Du lange Zeit 
mit umnebelten Sinnen gelegen hätte und 
aus diesem Grunde nicht im Stande gewesen 
wäre, uns Nachricht zu geben . . . Wir 
wollen uns den Fall denken, ..." 
„Vater, Vater!" unterbrach ihn die Tochter. 
„Du weißt etwas! Laß mich nicht länger in 
der tödtendcn Ungewißheit bleiben! — Ich 
wiederhole es: Ich bin stark genug — alles 
zu tragen." 
Es hatte nun keinen Zweck mehr, sich der 
Umwege ferner zu bedienen. 
„Ich weiß, daß Deine starke Hoffnung 
nicht zu schänden werden wird," antwortete 
er. „Ich weiß es ganz gewiß, obgleich mir 
eine Nachricht über ihn zugegangen ist, die 
nicht so gut ist, wie ich cs gewünscht hätte. 
Doch, sie hätte auch hundertmal schlimmer 
lauten können: Er lebt! Er wurde vom 
Ertrinken gerettet, ist aber krank, sehr krank." 
„Ich bin stark genug, eine große Freude 
tragen zu können!" hatte sie gesagt. Nun 
zeigte es sich aber, das selbst das sehr ge 
mischte Gefühl, unter dessen Einwirkung sie 
gestellt worden war, fast drohte, sie zu über 
wältigen. 
Die Thatsache, daß er lebte, nahm augen 
blicklich alle ihre Gedanken und Gefühle so 
ausschließlich in Anspruch, daß sie einstweilen 
gar nicht daran dachte, über die näheren 
Umstände eingehendere Anfschlüsse zu begehren. 
Diese Umstände wurden aber ohne Auf 
forderung mitgetheilt und konnten mit wenigen 
Worten erzählt werden: 
Der junge Mann war in der Verwirrung 
kurz nach der Katastrophe — die in der 
Nähe der nordamerikanischen Küste stattfand 
und durch einen Zusammenstoß herbeigeführt 
wurde — von dem schncllsinkenden Schiffe 
in der Absicht über Bord gesprungen, das 
Leben vorläufig durch Schwimmen zu erhalten. 
Er war mit anderen Unglücksgcnoffen sofort 
von einem der Schiffsboote aufgenommen 
worden und dann in den Dampfer an Bord 
gekommen, der „Fortunas" Untergang ver 
ursacht hatte. Aber eine schwere Verwundung 
am Hinterkopf, herbeigeführt durch einen 
starken Stoß — vielleicht gegen die scharfe 
Kante eines Wrackstücks, vielleicht gegen die 
Planken des sinkenden Schiffes, gegen welches 
ihn die wildbewcgten Wellen mit einem 
heftigen Wurfe geschleudert haben mochten 
— hatte ihm das Bewußtsein geraubt und 
würde augenblicklich sein Schicksal besiegelt 
haben, wenn nichl der Rettnngsgürtel ihn 
am Versinken gehindert und wenn nicht die 
Hülfe in unmittelbarer Nähe gewesen. So 
bald wie möglich war er in einem Hospital 
des fremden Landes untergebracht worden. 
Hier kannte ihn Niemand, und von hier 
aus hatte man einstweilen seinen Ange 
hörigen in der Hcimath keine Nachricht 
übermitteln können, da nichts bei ihm vor 
gefunden worden war, was auf deren Spur 
hätte leiten können, und da er in seiner bc- 
daucrnSwerihen Verfassung lange selber nicht 
im Stande war, nähere Aufschlüsse zu geben. 
— Die Beschädigung hatte sich nämlich als 
ein Schädclbruch herausgestellt, der wieder 
einen Gehirndruck verursacht, welcher nun 
seit Monaten seine Sinne umnebelt hatte. 
Nun hatten sie sich mittlerweile etwas ge 
klärt, und ein Hospitalsarzt hatte einen der 
ersten lichten Augenblicke des Patienten be 
nutzt, denselben nach der Adresse seiner An 
gehörigen zu fragen. Sie war ihm mitgetheilt 
worden und darauf hatte er gleich geschrieben 
Ein Spiel des Zufalls — eine auffällige 
Aehnüchkeit — hatte zu einer Verwechse 
lung des bewußtlosen Unbekannten mit 
einem anderen nur oberflächlich nach Namen 
und äußere Erscheinung bekannten Passagier, 
der ertrunken war, die Veranlassung ge 
geben, und so war durch Fahrlässigkeit auch 
eine verhängnißvolle Verwechselung von 
Namen in die Liste über Verunglückte und 
Vermißte hineingekommen. — — Ein 
Şpiel des Zufalls hatte auch Sorge getragen, 
dm Irrthum zu berichtigen. Man hatte 
nämlich eine Leiche gefunden, deren Identität 
mit dem erwähnten Passagier durch unum 
stößliche Beweise dargethan werden konnte. — 
Aber wer von den vielen, die auf der Liste 
als Vermißte bezeichnet waren, mochte nun 
derjenige sein, welcher im Hospital lag mit 
umnebelten Sinnen? Man hatte sich 
mit der Beantwortung dieser Früge gedulden 
müssen, bis man die Aufklärung ans dessen 
eigenen Munde empfangen konnte. 
Der Brief enthielt eine Bitte um möglichst 
schonende Mittheilung seines Inhaltes an 
diejenige, für welche derselbe zunächst bestimmt 
war. Der erste bewußte Gedanke des Kranken 
hatte also bei ihr geweilt. 
Er konnte ja nicht wissen, daß die bittere 
Erfahrung den alten Kaufherrn Vorsicht 
gelehrt — auch in Dingen, die nicht zum
	        
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