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Wo. 296.
Donnerstag, öen 19. Decembers
1895
MorgeN'Depesche»
Berlin, 19 Dec. Der Entschluß des
Kaisers, den Fürsten Bismark in Friedrichs
ruh zu besuchen, war, wie die „Nat.-Ztg."
hört, als der Kaiser Berlin verließ, hier
Niemandem bekannt, dem Gefolge wurde
erst bei der Rückreise von Altona aus dem
dortigen Bahnhöfe mitgetheilt, daß der
Zug in Friedrichsruh halten werde. Die
Begrüßung daselbst machte aus Augenzeugen,
welche auch bei den früheren Begegnungen
anwesend waren, den Eindruck besonderer
Herzlichkeit. Es ist mit gutem Grunde
anzunehmen, daß die Unterredung, welche
der Kaiser und Fürst Bismarck ohne
Zeugen hatten, sich hauptsächlich auf die
orientalische Angelegenheit bezog. Fürst
Bismarck hat in bestimmte Aussicht gestellt,
daß er, wenn sein Gesundheitszustand es
erlaube, zur Feier des Gedenktages der
Reichsgründung am 18. Januar nach
Berlin kommen werde.
Berlin, 19. Dec. Wie wir hören, wird
der preußische Landtag zum 15. Ja-
nuar k. Js. einberufen werden. Die dies
bezügliche Allerhöchste Kabinetsordre wird
in diesen Tagen veröffentlicht werden.
Berlin, 18. Dec. Heute Nachmittag
hat der Arbeiter Heinrich Riedel durch
Erhängen seinem Leben ein Ende gemacht,
nachdem er vorher sein 14 Monate altes
Söhnchen am Bettpsosten aufgehängt hatte.
Als Grund zu der That gelten Nahrungs
sorgen.
Husum, 19. Dec. Auf der Insel Nord -
strand ist bei 20 Stück Vieh, darunter
jütische Ochsen, die M a u l - u n d K l a u e n -
seuche amtlich festgestellt. Der Landrath
verfügte die Sperre der Insel.
Brüssel, 19. Dez. Während der heutigen
Debatte über das Armenbudget ereignete
sich ein heftiger Zwischenfall zwischen dem
sozialistischen Abgeordneten Defult und dem
Kriegsminister. Defult erklärte dem General:
„Ihre Armee taugt nichts. Sie sind ein
Spielzeug der katholischen Mehrheit."
Darauf erwiderte der Kriegsminister:
„Sie sind ein frecher Mensch; Sie werden
mir außerhalb der Kammer Rede stehen."
Am Schlüsse der heutigen Sitzung protestirte
der Kriegsminister entrüstet gegen die
gestrige Rede Vandervelde's, welcher gesagt
hatte, der Tag sei nahe, wo die Soldaten
die Waffen gegen die Bourgeoisie gebrauchen
würden. Den Ausführungen des Kriegs
ministers wurde aus der rechten Seite des
Hauses lebhafter Beifall gezollt.
Wien, 19. Dez. Bei einer Reparatur
an einem Brunnen in dem Vororte Döbling
wurden fünf Arbeiter durch den Einsturz
des Brunnens verschüttet. Drei Arbeiter
wurden gerettet, die beiden anderen werden
voraussichtlich bis zur Beendigung der
Rettungsarbeiten nicht mehr am Leben sein
ernste Lage geschaffen hat. Der Daily-
Chronicle > Correspondent glaubt, Monate
oder Jahre könnten vergehen, ehe die
Commission ihren Bericht erstattet und der
Streit in ein ernstes Stadium tritt.
Die Times erklären: Es ist unmöglich,
den Ernst der zwischen England und den
Vereinigten Staaten entstandenenDifferenzen
zu verhüllen. Obwohl überzeugt, daß ein
Bruch zwischen den beiden großen englisch
sprechenden Gemeinwesen ein Unglück nicht
nur für sie selbst, sondern für die ganze
civilisirte Welt wäre, sind wir zu dem
Schluß gezwungen, daß die Concessionen
welche England zu machen in befehlendem
Tone aufgefordert wird, solcher Art sind,
daß keine sich selbst achtende Nation sich
ihnen unterwerfen kann. Wir können
kaum glauben, daß die in Cleveland's
Botschaft angedrohten Schritte von der
amerikanischen Regierung ernstlich ergriffen
werden, doch wenn dem so ist, dann wird
es uns obliegen, ohne agressive Maßregeln
zu ergreifen, unsere Reichsinteressen zu
schützen und für unsere Rechte einzustehen."
— Der Standard erklärt: „Nur eine
Antwort ist möglich: Wir lehnen ab, uns
zu demüthigen, und verweigern die An
nahme der Entscheidung der Unions
Executive in einer Angelegenheit, die
durchaus außerhalb ihrer Jurisdiction
liegt." — Die liberalen Blätter führen
eine ruhigere Sprache.
Die in Nordamerika bestehende irische
National-Allianz hak ein Manifest
erlassen, in welchem sie den Vereinigten
Staaten im Fall eines Krieges mit Eng
land die Dienste von 100000 Soldaten
an bietet
Cleveland s Erklärung
an England.
Die latente Spannung, die seit einiger
Zeit zwischen England und den Vereinigten
Staaten von Nordamerika wegen des
englisch-venezuelischen Conflictes besteht,
und die auch in der Botschaft des
Präsidenten Cleveland bei Eröffnung des
Congresses angedeutet wurde, hat jetzt eine
bedenkliche Verschärfung erfahren. Präsident
Cleveland hat sich gestern Abend veranlaßt
gefühlt, in Betreff der Venezuelafrage eine
neue Botschaft (die wir gestern Abend im
Abendtt legramm gebracht haben) an den
Congreß zu richten, die offenbar absichtlich
einen geradezu herausfordernden Ton
gegen England anschlägt.
Ueber die Stimmung in London be-
richtet der „L. A.": Cleveland's Botschaft
hat hier wahre Ueberraschung her-
vorgerufen. Unter den ernsten Politikern
herrscht jedoch die Ansicht vor, daß der
Zwischenfall schwerlich zu ernsten Folgen
führen dürfte.
Der New-Iorker Times-Correspondent
sagt: Der Schlußpassus der Botschaft sei
in Europa vielleicht unmöglich, außer
wenn die sie aussprechende Macht den
Krieg für unvermeidlich hält, doch könne
nicht der gleiche Schluß aus Cleveland's
Botschaft gezogen werden. Trotzdem sei
kein Zweifel, daß die Botschaft eine sehr
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
New-Jork, 18. Dez. Die Morgen
blätter geben die Aeußerungen der Presse
des ganzen Landes über die Botschaft
des Präsidenten in Betreff der
venezuelischen Frage wieder. Alle
Zeitungen außerhalb New-Jorks ohne
Unterschied der Partei billigen diejjBot-
schaft. Es werden auch Zustimmungs
äußerungen verschiedener Politiker vcr-
öffentlich. Die „New-Jork World" nennt
die Botschaft einen schweren Fehler.
England sei auf dieser Hemisphäre keine
fremde Nation und besitze auf dem
amerikanischen Contigent mehr Gebiet als
die Vereinigten Staaten. Der „Herold"
äußert sich nicht über die Botschaft selbst,
spricht aber die Hoffnung aus, der Streit
werde beigelegt werden, ohne daß die freund
schaftlichen Beziehungen beider Länder ge
stört würden.
New-Uork, 18. Dez. Auf dem zur
American-Linie gehörenden Dampfer „St.
P a u l" explodirte heute früh das Haupte
dampfrohr. Von den im Maschinenraum
anwesenden 14 Personen wurden 5 ge
tödtet und 6 verwundet. Der Dampfer
kann erst nach einigen Tagen auslaufen.
New-Jork, 17. Dez. Zwischen den
Schneidermeistern und den Arbeitern im
Schneidergelverbe sind wiederum Zwistig-
keilen ausgebrochen. Der Streik ist den
Arbeitg.bern auf morgen angedroht worden.
18000 Arbeiter hier und in Brooklyn
werden am Ausstände theilnehmen.
Washington, 18. Dez. In einer Zu
sammenkunft der republikanischen Se
natoren wurde einstimmig des Präsidenten
Clevelands Haltung betreffs der
Venezuela-Frage gebilligt und ihm das
vollste Vertrauen seiner politischen Gegner
ausgedrückt, soweit diese Frage in Be
tracht kommt.
Philadelphia, 18. Dez. Alle Pferde
eis enbahnen sind außer Betrieb gesetzt,
mit Ausnahme derer zu einer vom Aus
stande nicht betroffenen Gesellschaft gehörigen.
Dreihundert Wagen wurden von den
Streitern zertrümmert, ehe das Zerstörungs
werk aushörte. Die Gesellschaften zeigen
an, daß sie morgen den Betrieb wieder
aufnehmen werden; man erwartet sodann
ernste Zusammenstöße.
Angenehme Lebens mittel preise Herr-
schen in Otjimbingwe, dem Hauptorte von
Deutsch-Südwestafrika. Danach kostet dort
eine Flasche Bier à V 4 Liier 2 Mk., eine
Flasche Kognak 10 Mk., ein Pfund Tabak
5 Mk., ein Pfund Zucker 1 Mk., ein
Pfund Kaffee 2 Mk., ein Pfund Zwieback
1 Mk. Dabei sind dies noch Engrospreise.
Die Preisangaben sind dem Buche von
Francois „Nama und Damara" entnommen.
England.
London, 16. Dec. Die Glühlampe
in der Uhr ist, wie die „K. V. Z."
mittheilt, das neueste Produkt einer eng
lischen Firma und wird voraussichtlich bald
ein begehrter Artikel werden. Die Glüh
lampe ist zwischen Zifferblatt und Uhrglas
im Gehäuse befestigt, ein Mal mit diesem
selbst und das andere Mal mit einem
isolirten Kontakte an der Uhr verbunden.
Eine kleine Taschen-Batterie liefert dem
Lämpchen die erforderliche Elektricität, und
eine am Knopfe der Uhr befindliche Ein-
schaltungs-Vorrichtung ermöglicht ein leichtes
Einschalten, so daß man sich in der Dunkel
heit schnell über die Zeit informiren kann.
Die Uhr selbst ist durch das Einsetzen der
Glühlampe nicht größer geworden, da der
von dem Lämpchen beanspruchte Raum
ein äußerst geringer ist.
Holland.
Aus Amsterdam geht den „B. T."
folgende Meldung zu: Den holländischen
Bergern, die bekanntlich die bei Nieuwediep
gestrandete deutsche Kaiserjacht „Meteor"
flott machten, wurden 12000 Gulden
Hülfslohn zuerkannt.
Belgien.
In Belgien haben die neugewählten
Gemeinderäthe den Eid der Treue
gegen den König und des Gehorsams
gegen die Verfassung und die Gesetze des
belgischen Landes zu schwören. In Brüssel
fordern das leitende Organ der so
zialistischen und republikanischen Gemeinde-
räthe auf, im Hinblicke das ihnen ander-
traute Mandat, den auferlegten Eid zu
leisten. Aber, so fügt das Blatt hinzu,
„dieser durch den Zwang entrissene Eid,
wie alle durch die materielle oder moralische
Gewalt erlangten Dinge, bindet nicht
das Gewissen derjenigen, die ihn über
sich ergehen lassen."
Zusammengestürzt ist in der Nacht
zum Dienstag in Antwerpen der rechte
Flügel des Speichers Saint-Phänix. Ein
Balken des sechsten Stockwerkes gab unter
der Last der Säcke Kaffee und Zucker nach,
und so stürzten diese aufgehäuften Waaren,
alle in den unteren Stockwerken nieder-
gelegten Waaren zermalmend, bis zum
Erdgeschosse herab.
Septerreich-Ungarn.
Wien, 18. Dec. In der gestrigen
Sitzung des Abgeordnetenhauses kam es
wieder zu wüsten Scenen, die jeder Be
schreibung spotten. Wiederholt ermahnte
der Präsident die antisemitischen Abge
ordneten, die in der Verrohung des Tones
weiter gingen, als man nur ahnen mag,
doch das zu thun, was sich für gebildete
Menschen geziemte. Vergebens. Abg. Dr.
G e r st m a n n betrug sich, wie es kaum in
der wüstesten Kneipe vorkommt und be
antwortete die Mahnung des Präsidenten
mit dem Ruf: das sei die reinste Feldwebel-
wirthschaft! Kurzum, wenn dieser Ton
in den Parlamenten Sitte werden sollte,
was wir nicht erwarten, so wäre es besser
kein Parlament zu haben.
Serbien.
Belgrad, 18. Dez. Der berüchtigte
Arnautenhäuptling! M u l a z e k a wurde
nach längerer Verbannung in Konstan
tinopel frei und in die Heimath entlassen.
Kaum dort angekommen, stellte er sich an
die Spitze seiner Bande und erklärte seinen
Feinden, mehreren hohen türkischen Be
amten und einigen Serben aus Dörfern
der Umgegend von Jpek, daß er einen
Rachezug wegen seiner durch ihre Be
schwerde veranlaßten Verbannung beginnen
werde.
Inland.
— 2345 Petitionen sind bereits dem
Reichstage zugegangen. Davon beziehen sich
959 auf die Aufhebung des Jmpsgesetzes
und Beseitigung des Impfzwanges; 636
aus eine vollständige Organisation des
Handwerks und eine vorläufige Zurück
weisung einer Erweiterung der Unfall
versicherung auf das Handwerk; 291 der
Barbiere rc. aus die Sonntagsruhe; 57
auf die Währungsfrage; 53 auf Beseitigung
der den Frauen durch die Vereinsgesetze
anferlegten Beschränkungen; 31 auf Ein
führung eines Zolles auf Wolle, Lumpen rc.;
12 auf das Börsengesetz; 7 auf das bürger
liche Gesetzbuch.
— Herr von Arnim-Güterberg
figurirte bekanntlich bei der Verhandlung
im Landesökonomiekollegium über das
Zuckersteuergesetz als Vertreter der
landwirthschaftlichen Interessen der Pro
vinz Brandenburg. Herr v. Arnim, der
sich für möglichst große Liebesgaben im
Landesökonomiekollegium aussprach, ist
Hauptaktionäpund Vorsitzender der Stras-
burger Zuckerfabrik. Diese Zucker
fabrik hat 1893 29 pCt. und 1894 40
pCt. Dividende gezahlt. Jetzt verlan
gen die Interessenten der Zuckerfabrik von
der Stadt Strasburg einen Zuschuß von
100—120 000 Mk. zum Bau einer Klein
bahn. Diese Kleinbahn kommt fast aus-
schließlich den Großgrundbesitzern zu gute,
insbesondere wiederum besagtem Herrn
v. Arnim-Güterberg, dessen Güter die
Bahn durchschneiden würde. Wenn dieser
Herr auch picht als Unternehmer der Klein
bahn auftritt, sondern die Zuckerfabrik, so
agitirt derselbe doch als Vorsitzender und
Hauptaktionär der Fabrik sehr lebhaft für
das Zustandekommen des Projekts. Im
Kreistag ist ein Zuschuß abgelehnt. Herr
v Arnim bewirbt sich aber jetzt um einen
Zuschuß der Provinz Brandenburg.
— Als Zickzackkjurs bezeichnet das
„Volk" die Erlasse des Oberkirchen
raths vom 20. Februar 1879, vom 17.
April 1890 und jetzt wiederum von 1895.
„Die Zeiten ändern sich! Vor 16 Jahren
wurde den Geistlichen verboten, in Ver
sammlungen zu gehen, und ihnen die
innere Mission mit Ausschluß jeder öffent-
lichen sozialen Wirksamkeit als Thätigkeits-
selb überwiesen. Vor 5 Jahren wurde
ihnen empfohlen, in Versammlungen
mit den Arbeitern zu diskutiren und öffent
liche Mission zu treiben. Und heute ist
die Kirche wieder auf dem Standpunkt von
1869 angelangt." Die Gründe des neuen
Erlasses des Evangelischen Oberkirchenraths
seien einfach unbegreiflich. Es sei noch
nicht für Jedermann ausgemacht, daß alle
Beschlüsse des Oberkirchenraths von vorn
herein dem Christenthum mehr dienen als
die Thätigkeit niancher Geistlichen in
„tumultuarischen" Volks-Versammlungen
Christen würden nicht durch Angriffe
kompromittirt. „Und wenn wir uns recht
besinnen, haben auch die Apostel, die
Märtyrer und überhaupt die ersten
Christen sich weder Angriffen entzogen,
weil sie dadurch „kompromittirt" zu werden
glaubten, noch hat sie die Besorgniß vor
„tumnltuarischer Agitation" davon abge
halten, ihre Anschauungen überall hin,
auch oder vielmehr gerade in die feindlich
sten Volksmassen hineinzutragen." Damals
kämpften sie indessen für die Ehre Jesu
C h r i st i, nicht für irgend eine Schwarm-
ide e. Das ist denn doch etwas anderes. Es
war der Glaube an den Auferstandenen
in ihnen mächtig und das gab den Muth.
- Ein ganz merkwürdiger Rechtsfall,
bei welchem eine Entscheidung des Reichs
gerichts durch eine Strafkammer gewisser-
maßen aufgehoben wurde, beschäftigte gestern
die IV. Strafkammer des hiesigen Land
gerichts I. Diese hatte vor einiger Zeit
einen Handlungsreisenden Kaulitz wegen
Betrugs bezw. Unterschlagung zu drei Mo
naten Gefängniß unter Anrechnung von
2 Monaten Untersuchungshaft verurtheilt.
Der Verur theilte, welcher aus der Unter-
uchungshaft herauskommen wollte, erklärte
zu Protokoll, daß er auf ein Rechtsmittel
verzichte. Er wurde auch entlassen und
erschien bald darauf in der betreffenden
Gerichtsschreiberei, wo er einen Antrag
auf Revision zu Protokoll gab. Da die
Akten der Gerichtsschreiberei noch nicht
vorlagen, so wurde die Revisionsanmeldung
anstandslos angenommen und an's Reichs-
gericht weiter befördert.
Das Reichsgericht übersah nur die Bemerkung
des Protokolls, daß auf fernere Rechtsmittel ver
zichtet worden sei, und hob aus materiellen
Gründen das erste Erkenntniß auf, die Sache
zur anderweiten Verhandlung an die Vorinstanz
zurückverweisend. Die IV. Strafkammer befand
sich bei dieser Sachlage in einer schwierigen
Situation, da hier ein formell rechtskräftiges
Erkenntniß vorlag, welches der oberste Gerichts
hof auf Grund eines Irrthums aufgehoben hatte.
Der Vertheidiger vertrat den Standpunkt, daß
die Strafkammer sich um einen etwa begangenen
Irrthum des Reichgerichts nicht zu kümmern
habe. Thatsächlich bestehe das erste Urtheil nicht
mehr, da es durch den obersten Gerichtshof auf
gehoben sei, und die Strafkammer habe nichts
weiter zu thun, als der vom Reichsgericht ge
gebenen Directive zu folgen.
Der Gerichtshof stellte sich nach längerer
Berathung auf einen entgegengesetzten
Standpunkt. Er war der Meinung, daß,
da nach Ausweis des Protokolls ausdrück
lich auf die Einlegung eines Rechtsmittels
verzichtet worden sei, ein rechtskräftiges
Urtheil vorliege, welches durch das Reichs
gericht nicht mehr aufgehoben werden könnte.
Der Gerichtshof erkannte deshalb auf Ein
stellung des weiteren Verfahrens. — Der
Vertheioiger ivird gegen diese Entscheidung
abermals Revision einlegen und es wird
interessant sein, zu erfahren, in welcher
Weise das Reichsgericht diesen Zwiespalt
lösen wird.
Berlin, 18. Dec. Die Beleidigungs
klage des Rechtsanwalts Blum-Leipzig
gegen den Redakteur des „Vorwärts",
Dierl, ist kostenpflichtig abgewiesen, da die
Artikel des „Vorwärts", die Blum's Be
weisführung über die Beziehungen der
deutschen Socialdemokratie zu Boulanger
behandelten, den kritisirten Thatsachen ent
sprechen und ihnen ter Schutz des § 193
zugestanden wird.
Berlin, 18. Dec. Infolge des Bruches
eines Hauptrohres der Wasserleitung in
der Prinzenstraße entstand heute früh eine
große Ueberschwemmung. Aus dem
geplatzten Rohr ergoß sich ein 5 Meter
hoher Wasserstrahl; die umliegendenStraßen
wurden unter Wasser gesetzt. Die Keller
bewohner retteten nur das na ckte Leben.
Ein Haus in der Skalitzerstraße ist poli
zeilich gesperrt, weil sein Einsturz be-
fürchtet wird. Der Schaden an Waaren
in den Kellern ist beträchtlich. Die Feuer
wehr arbeitete mit 2 Dampfspritzen, um
das Wasser nach dem Kanal zu pumpen.
Für die Stellung der Lehrerinnen
ist bemerkenswerth eine Entscheidung,
welche das Oberlandesgericht zu Naum-
bnrg a. Saale gefällt hat. Eine Lehrerin
in Aschersleben, die mit ihrer Amts
entlassung aus Anlaß ihrer Ver-
heirathung nicht einverstanden war,
hatte gegen die Gemeinde Aschersleben
beim Landgericht Klage erhoben. Das
Landgericht fällte ein der Klägerin günstiges
Urtheil. Das Oberlandesgericht in Naum
burg hat jetzt die gegen das landgerichtliche
Urtheil eingelegte Berufung zurückgewiesen.
In dem Erkenntniß wird nach der
„Saaleztg." ausgeführt, daß die Lehrerin
durch ihre definitive Anstellung an einer
öffentlichen Lehranstalt die Rechte und
Pflichten eines Staatsdieners er-
halten und damit das Recht auf die ihr
zugesicherten Amtseinkünfte als ein wohl
erworbenes erlangt habe. Dieses Recht
kann ihr nicht einseitig entzogen werden,
sondern nur durch freiwillige Auflösung
des Dienstverhältnisses oder in Folge einer
rechtskräftigen richterlichen Verurtheilung
zu einer den Verlust des Amtes nach sich
ziehenden Strafe, oder im Wege des
Disziplinarverfahrens. Hieraus folgt aber,
daß die Entlassung der Klägerin und die da
mit verbundene Entziehung des Gehaltes,
insofern sie vom Megistrat zu Aschersleben
und der königl. Regierung zu Magdeburg
ausgesprochen ist, der Rechtswirksamkeit ent
behrt. Die Klägerin hat daher Anspruch auf
Weiterzahlung des Gehalts.
Aus Thüringen, 17. Dec. Die thüringer
Glasin du st rie gilt nicht nur in deutschen
Landen, sondern besonders auch im Aus
lande als hochentwickelt. Und dock ist das
Loos der thüringer Glasbläser in den
meisten Fällen kein beneidenswerthes.
Während einst die Künstler in der Glas
bläserei Mühe hatten, den eingegangenen
Aufträgen gerecht zu werden, werden jetzt