Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Montag, den 16. December 
1895 
Morgerr-DePescheu 
Kiel, 16. Dec. Der Kaiser ist in Be> 
gleitung des Admirals Knorr und des 
Staatssecretärs des Reichsmarineamts nach 
Altona abgereist. 
Berlin, 16. Dec. Dem Reichstage ist 
der Entwurf eines Gesetzes, betr. Aende 
rungen und Ergänzungen des Gerichts- 
versassungsgesetzes und der Strafprozeß 
ordnung, nebst Begründung zugegangen. 
Berlin, 16. Dez. Der Reichstagsabg 
Udo zu Stollberg ist, wie die „Kreuzztg." 
vernimmt, auf seinem Gute Groß-Cammin 
beim Schlittschuhlaufen heftig gefallen und 
verletzte sich am Knie derart, daß er einen 
Gipsverband tragen muß und deshalb an 
den Reichstagssitzungen nicht theilnehmen 
kann. 
Berlin, 16. Dez. Amtlich wird bekannt 
gemacht, daß der Fernsprechverkehr mit 
Markirch eröffnet ist. Ein gewöhnliches 
Drei-Minuten-Gespräch kostet eine Mark. 
Berlin, 16. Dez. Zur Haftentlassung 
Bruno Wille's wird gemeldet, daß Dr. 
Wille aus der Haft beurlaubt, aber nicht 
definitiv entlassen worden ist. Der Auf 
schub der weiteren Haftstrafe erfolgte bis 
zu Entscheidung des von Wille angerufene 
Oberverwaltungsgerichts. Wille hat sich 
schriftlich vor dem Amtsvorstande ver 
pflichtet, inzwischen Vorträge vor Kindern 
nicht zu halten. 
Berlin, 16. Dec. Zur Förderung der 
im nächsten Jahre hier stattfindenden Aus 
stellung des Vereins der Spiritusfabrikanten 
in Deutschland hat der Reichskanzler eine 
Beihülfe von 10000 Mk. aus Reichsmitteln 
zur Verfügung gestellt. Ein angemessener 
Theil dieses Betrages ist zur Bildurg eines 
Fonds behufs Prämiirung hervorragender 
Leistungen auf dem Gebiete der Ausstellung 
bestimmt. W'ê- UI 
Berlin, 16. Dec. Die Abgg. Metzner 
(Neustadt) Wattendorf und Fischer haben 
zur zweiten Berathung des Gesetzwurfs, 
betr. die Erwerbs- und Wirthschaftgenossen- 
schasten, zu § 145 a Abs. 2 folgende Ab 
änderung beantragt: „Gleiche Strafe trifft 
das Mitglied, welches aus dem Konsum- 
Verein bezogene Waaren an Nichtmitglieder 
abgiebt oder seine zum Waarenverkauf 
u. s. w." 
Köln a. Rh., 16. Dez. In der ver 
gangenen Nacht überfielen drei erwachsene 
Söhne ihren im Bett liegenden alten 
Vater, brachten ihm mehrere tödliche 
Verletzungen bei, raubten ihm einen 
größeren Geldbetrag und entflohen dann. 
Einer der Verbrecher wurde alsbald er 
griffen und in das Gefängniß gebracht, 
wo man ihn heute Morgen erhängt vor 
fand. Der Tod muß bereits vor einigen 
Stunden eingetreten sein. 
Köln, 16. Dec. Gegen den Direktor der 
Brauweiler Anstalt, Schellmann, stellte 
der im Brauweiler Prozesse angeklagte 
Redakteur Hofrichter einen Strafantrag, 
weil ersterer ihn mit Bezug auf den in- 
criminirten Artikel einen ehrlosen und 
pflichtlosen Menschen genannt hat. Die 
Zeugenvernehmung begann heute Vormittag 
Direktor Schellmann beantragte, den Geh. 
Ober-Regierungsrath aus dem Ministerium 
des Innern Dr. Krone als Sachverständi 
gen zu laden. 
Essen, 16. Dec. Die Sonnabendnummer 
des hiesigen „Allgemeinen Beobachters" 
wurde wegen eines Artikels unter der 
Ueberschrist „Ruf nach Recht und Ge 
rechtigkeit" beschlagnahmt. In diesem Ar- 
tikel soll eine Beleidigung der hiesigen 
Staatsanwaltschaft enthalten sein. 
Hannover, 16 Dez. Der Kaufmann 
Franklin Sinclair aus Philadelphia wurde 
heute wegen schweren Raubes, begangen 
in der hiesigen Filiale der Reichsbank, zu 
zehn Jahren Zuchthaus verurtheilt. 
London, 16. Dec. Die in der Hard- 
wickgrube eingeschlossen, 4 Tage abgesperrt 
gewesenen 500 Grubenarbeiter wurden 
sämmtlich gerettet. 
Brüssel, 16. Dec. Wie hiesige Blätter 
melden, soll der Kriegsminister Brassine 
im letzten Ministerrath erklärt haben: 
„Meine Herren, Sie werden meinen An 
sichten zustimmen, oder ich werde gehen. 
Sie werden jedoch weder in der aktiven 
Armee, noch in der Reserve einen Offizier 
finden, welcher das Kriegsministerium über- 
nimmt, ohne daß die persönliche Wehr 
pflicht eingeführt wird. 
Rom, 16. Dez. Das Befinden des 
Ministerpräsidenten Crispi ist noch ungün 
stiger, wenn auch nicht besorgnißerregend 
Die Bronchitis ist von leichten Fieber- 
erscheinungen begleitet. 
Rom, 16. Dez. Der „Tribuna" wird 
von ihrem Korrespondenten aus Afrika 
gemeldet, daß sich die Armee der Schoaner 
noch immer in Amba Aladji befindet, um 
die Toten zu begraben Die Zahl der 
getödteten Abessynier soll sich auf 5 bis 
8000 belaufen. 
Rom, 16. Dez. General Arimondi 
begab sich, nachdem die Schoaner bereits 
über Makalle vorgerückt waren, nach 
Asmara, um alle strategische Punkte in 
Verteidigungszustand zu versetzen. Es soll 
so dem Hauptheer der Schoaner das 
Vorrücken über Adua und der Angriff auf 
Adigrat unmöglich gemacht werden. Die 
Regierung gedenkt 25 300 Mann nach 
Massauah zu senden und sie unter den 
Oberbefehl des Generals Baldissera zu 
stellen. 
Prag, 15. Dec. Der städtische Rech- 
nungsdirektor Lexa erhängte sich in seinem 
Amtsbureau, nachdem er mit dem Stadt 
verordneten > Collegium über das Budget 
konferirt hatte. Man glaubt, daß er den 
Selbstmord in einem Anfall von Geistes 
störung begangen hat. 
Oedcnburg, 16. Dec. In der Straf 
anstalt Hierselbst erhängte sich der wegen 
Tödtung seiner Frau zu längerer Strafe 
verurtheilte Pferdedehändler Sarpozy. 
Budapest, 16. Dec. Die Inhaber der 
bekannten Firma für photographische 
Apparate Tuerkel und Schlesinger, Max 
Schlesinger und sein stiller Compagnon, 
der Wiener Advokats-Kandidat Dr. Langer 
wurden heute wegen verschiedener Wechsel- 
schwindeleien, die an hunderttausend Gulden 
betragen, verhaftet. Die hiesige Firma, 
sowie deren Wiener Niederlage sind vor 
einigen Tagen in Konkurs gerathen. Die 
hiesigen Passiven betragen allein hundert 
tausend Gulden, Aktiven sind keine vor 
handen. Der Leiter des Wiener Geschäftes, 
Tuerkel, ist flüchtig. 
Konstantinopel, 15. Dec. Said Pascha 
wurde vom Sultan in längerer Audienz 
empfangen und erhielt nochmals die feste 
Zusicherung, daß ihm der Sultan persön 
lich verzeihe und für seine absolute Sicher- 
heit einstehe. Ferner versprach ihm der 
Sultan, daß er seine Pension von monat 
lich 400 Pfd. türkisch regelmäßig ausge 
zahlt erhalte und nicht mehr im Staats 
dienste verwendet werden soll. 
Konstantinopel, 14. Dec. Die zweiten 
Stationsschiffe Englands und Italiens 
sind hier eingetroffen. Das französische 
und österreichisch-ungarische zweite Stations 
schiff werden morgen erwartet. 
Nach Privatdepeschen aus Konstantinopel 
war die gestrige Panik so groß wie bei 
dem letzten Erdbeben, ein Beweis für die 
dort Herrs chende Spannung. Dem Standard 
zufolge wird die britische Botschaft in 
gründlichen Vertheidigungszustand versetzt, 
und die anderen Botschaften treffen ähn 
liche Maßregeln, obgleich Gewaltakte nicht 
ernstlich erwartet werden. Wie die Times 
erfahren, wünscht der Sultan jetzt Zia 
Pascha, den Deutschland bekanntlich als 
Botschafter ablehnte, nach London zu 
schicken an Stelle von Kostaki Pascha. Die 
Entente der Mächte besteht darin, daß bei 
jedem Vorfall die Botschafter in einer 
Conferenz gemeinsame Action zu beschließen 
suchen und keine Macht separat handeln 
soll, bis in der Conferenz festgestellt ist. 
daß eine gemeinschaftliche Maßregel un 
erreichbar sei. 
Das Entscheidende 
über Herrn v. Kölle c's Entlassung ist 
der „Frs. Ztg." zufolge nun Folgendes 
gewesen: Herr v. Köller hat bei der Hof- 
jagd in Setzlingen in nervös erregter 
Weise sich gegenüber dem Flügel 
adjutanten des Kaisers, General von 
Plessen, und dem Chef des Militär- 
kabine ts, General von Hahnke, über 
seine Ministerkollegen aus Anlaß jener 
Untersuchung beschwert und dabei auch 
seine vom Kriegsminister abweichende An 
sicht in Bezug auf den Militärstrafprozeß 
dargelegt. Nun hat schon bisher mehrfach 
verlautet, daß die militärische Umgebung 
dem Zustandekommen einer Reform des 
Militärstrafprozesses auf Grundlage der 
Forderungen des Reichstages widerstrebe. 
Herr v. Köller hat seine Mittheilungen 
jedenfalls nicht in der Absicht gemacht, da 
mit die Herren Militärs am Hofe die 
selben in die tiefste Tiefe ihres Busens 
versenken möchten. 
Von dieser Rederei des Herrn v. Köller 
bei der Hofjagd haben die übrigen Minister 
Kenntniß erhalten. Man kann es den 
selben nach anderen Vorgängen bei Hof 
jagden nicht verübeln, daß sie dieses Ver 
halten ihres Kollegen sehr ernst genommen 
haben. Kurzum, Fürst Hohenlohe ist bei 
Herrn von Köller erschienen und hat ihm 
mitgetheilt, daß nach diesen Vorgängen in 
Setzlingen das Vertrauen zu ihm verloren 
hätten. Dadurch war Herr v. Köller 
moralisch gezwungen, seine Entlassung ein 
zureichen, und der Kaiser war vor die 
Wahl gestellt, Herrn v. Köller oder das 
ganze übrige Ministerium zu verabschieden. 
Das Verhalten des Fürsten Hohenlohe 
in diesem Fall war ein durchaus korrektes. 
Die Erfahrungen Caprivis mögen ihn 
nicht wenig zu diesem energischen Auf- 
treten veranlaßt haben. Das Verhalten 
des Fürsten Hohenlohe in diesem Fall 
war auch ein dem Kollegialvcrhältniß des 
Staatsministeriums durchaus entsprechendes. 
Fürst Hohenlohe berichtete nicht über Herrn 
von Köller direkt an den Kaiser, sondern 
machte Herrn v. Köller selbst seine Er 
öffnungen. In Folge dessen wurde Herr 
v. Köller nicht kurzweg vom Herrn von 
Lucanus geholt, sondern in die Lage ge 
bracht, selbst die Initiative zu ergreifen. 
Anders wurde seiner Zeit bekanntlich bei 
der Entlassung des Landwirthschastsministers 
von Heyden und des Justizministers von 
Schelling verfahren. 
Der Kaiser mag von dem Entlassungs 
gesuch des Herrn von Köller überrascht 
gewesen sesn. Vielleicht aber hat der 
Kaiser nur deshalb eine vorläufige Be 
urlaubung eintreten lassen, weil er noch 
an die Möglichkeit eines Ausgleichs 
glaubte, oder vielleicht auch, weil er, im 
Begriff zur Jagd zu reisen, die formelle 
Erledigung der Sache bis zur Rückkehr 
und zur Ausfindigmachung eines Nach 
folgers vertagen wollte. Nach der Rück 
kehr des Kaisers ist dann alsbald die An 
gelegenheit in glatter Weise erledigt 
worden. Der Kaiser hat ebenso die Ent 
lassung genehmigt wie den von dem 
Fürsten Hohenlohe genehmigten Vorschlag 
eines Nachfolgers. Auch daß der Nach 
folger von dem Vorsitzenden des Ministeri 
ums präsentirt und nicht vom Civilkabinet 
ohne Mitwissen der Minister ausgesucht 
wird, ist ein korrektes Verfahren. Es ist 
mit diesen Vorgängen ein Präjudiz für 
ein konstitutionelles Verfahren bei 
Ministerentlassungen und Ministerernen 
nungen geschaffen worden, welches hoffent 
lich auch künftig in ähnlichen Fällen fest 
gehalten wird. 
Deutscher Reichstag. 
Berlin, 14. Decbr. 
Eingegangen ist das Margarinegesetz und die 
Justiznovelle. 
Das Haus ist sehr schwach besetzt. 
Die erste Berathung des Gesetzentwurfs zur 
Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes wird 
fortgesetzt. 
Abg. Dr. Vielhagen (Antis.): Darin sind wir 
ja alle einig, daß die Mißstände aus diesem Ge 
biete beseitigt werden müssen. Streitig ist nur 
die Form, in der es geschehen soll, und die vor 
geschlagene Form ist nicht einwandssrei. Ich will 
das Gesetz nicht, wie Abg. Singer, ein Klaffen 
gesetz nennen, aberestrisstdochauchnichtdieJnter- 
effen der gesammten Bevölkerung. Mit dem Princip 
des § 9 bin ich, wie alle Vorredner, einverstanden, 
aber die Art der Aussührung ist nicht annehm 
bar. Wird dieser Paragraph nicht geändert, dann 
würde meine Partei dem Gesetze nicht zustimmen 
können. Aus Gerechtigkeitsgefühl bitte ich das 
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AicoàsMşşeil's Wicr. 
61) Roman von v. Riedel-AhrenS. 
„Ganz recht," erwiderte Nicolaus Erichsen 
mit derselben kalten Ruhe. „Sie vergessen 
wieder,. daß ich im Namen meiner Tochter, 
rede, die hoffentlich unter Ihren Händen 
noch^nicht tief genug gesunken ist, um nicht 
die Scheidung zu fordern, welche sie ans so 
unwürdigen Fesseln befreien wird." 
„Unsinn, mein Herr — Leon ore denkt 
nicht im entferntesten daran, und zweitens 
würde ich unter keiner Bedingung einwilligen; 
ich bin in der That erstaunt, zu hören, daß 
gerade Sie, ein Diener Gottes, der Liebe 
und Versöhnung predigen sollte, hier Feind 
seligkeit und sogar Scheidung zuwege bringen 
möchte, eine Handlungsweise, die mir schlecht 
mit den Pflichten Ihres Amtes zu harmo- 
niren scheint." 
„Weil es eine Grenze giebt, wo die Be- 
sugniß und das Recht des Gatten dem Weibe 
gegenüber aufhört," entgegnete Nicolaus 
Erichsen hoheitsvoll. „Da Sie nicht soviel 
Verstand und Bildung besitzen, um einzu 
sehen, daß Sie der Mutter Ihres Kindes, 
ganz abgesehen von dem liebevollen Zartsinn, 
eine menschenwürdige Behandlung schulden, 
so ist es überhaupt ganz unnütz, mit Ihnen 
zu verhanden. Sie haben bewiesen, daß Sie 
unfähig sind, ein edles Weib zu schätzen, 
indem Sie dort mit bestialischer Rohheit die 
Peitsche gebrauchten, wo zweifellos ein mah 
nendes Wort genügte! Diese That des 
Wahnsinns legt mir die Pflicht auf, Leonore 
von Ihnen zu befreien, in dem ich die Scheidung 
einleite." 
^ „Nur nicht allzu eilig, Herr Pastor 
äußerte Eugen mit scheinbarem Uebermuth, 
der ihm jedoch nicht mehr vom Hsrzen kam, 
„Leonore wird sich weigern und ich noch mehr; 
unterlassen Sie es also lieber, einen unnützen 
Skandal anzuzetteln, der, später verpufft, Sie 
selbst m ziemlich sonderbarem Lichte erscheinen 
lassen würde." 
„Genug des überflüssigen Wortwechsels," 
sagte der Greis äußerlich gefaßt, während es 
in seinem Innern tobte, „Sie willigen nicht 
in die Scheidung, sondern wollen fortfahren, 
Ihre Gattin zu mißhandeln, im Falle sie 
betn Tode entrinnt, an dessen Rand Sie die 
Unglückliche gebracht; noch nicht genug mit 
diesem, wollen Sie ungestraft weiter sündigen, 
weil es in Ihrem Innern keinen Glauben an 
eine strafende Gottheit, keine Ehrfurcht vor 
kern Genius des Weibes, keine Hoheit der 
Gesinnung giebt, das alles sind Ihnen nur 
werthlose Scheinbegriffe. Sie denken in 
Ihrer jämmerlichen Ueberlegenheit eines nieder 
gehenden Zeitalters, sich gar nicht genug thun 
zu können in der Erniedrigung der Frau — 
und darum, Eugen v. Ravens, ist es meine 
Pflicht, Dir das anvertraute Gut, meine 
Tochter, zu entreißen; gesund an Leib lind 
Seele, im Ueberströmen reicher Jugendkraft 
kam sie zu Dir, und wie finde ich sie wieder? 
Elend, gebrochen, dem Tode nahe. Was hast 
Du aus Leonore Erichsen gemacht? Ja, ich 
bin ein Diener Gottes und alt geworden im 
Amte — doch niemals habe ich die Größe 
meines erhabenen Berufes mit tieferem Be 
wußtsein empfunden, als heute, wo ich mich 
zum Richter erhebe vor Dir, dem Seelen 
schänder meiner Tochter." 
Es giebt Worte, die einen Blitzstrahl in 
das Innere schleudern, der ans Minuten 
das Dunkel der Seele lichtet und einen 
Blick in ihre finsteren Abgründe gewährt; 
dann stutzt der Mensch wohl plötzlich vor 
der eigenen Verworfenheit und sieht sich 
im Lichte der Wahrheit, bis ihr Schein 
im wirren Trubel der Welt wieder ver 
lischt. 
So ging es Eugen. Eine Stimme, die 
noch nicht ganz erstorben, erhob sich wider 
ihn — er fand keine Entgegnung auf die 
Anklage Nicolaus Erichsens, der jetzt das 
Zimmer verließ. — 
Letzterer wollte handeln, ungestüm drängte 
es ihn, womöglich sogleich die ersten Schritte 
zu unternehmen; seine Stirn brannte, die 
Wände dieses Hauses drohten ihn zu er 
drücken — hinaus ins Freie, um zu athmen! 
Er verließ das Haus und ging die Wil 
helmstraße hinunter den Linden zu, un 
willkürlich zerstreut nach rechts und links 
schauend, da das ungewohnte Getriebe der 
Großstadt, die blendende Lichtfülle der Pa 
läste, das Wogen der Menschen und Wa 
gen seine Blicke anzog. Wie die Feenpracht 
des blendendsten Luxus und buntbewegten 
Getümmels abstach gegen die düstere Schwer- 
muth, der schneesturmdurchtobten Haide, wie 
er sie verlassen! 
Es hatte zu schneien anfgehört, die Luft 
war mild und still. 
Lange irrte er umher — endlich, nach 
seiner Wohnung im Kaiserhof zurückgekehrt, 
fand er Albrecht vor, der von Rahel und 
Fräulein Jutta ausgesandt worden, den Vater, 
um den man sich ängstigte, auszusuchen; 
eö wurde sofort ein Bote mit beruhigender 
Nachricht an Leonore geschickt, während 
Nicolaus Erichsen sich mit seinem zukünftigen 
Schwiegersohn über die Ereignisse des Abends 
aussprach. 
Kaum eines Wortes mächtig vor Ent 
rüstung, Scham und tiefer Bewegung, hörte 
Albrecht den Bericht über die Handlungs 
weise seines Bruders gegen Leonore an. 
„Es giebt keinen Zweifel darüber," 
nieinte er. „Eugen wird sich auf sich selbst 
besinnen und in die Scheidung willigen, im 
Falle Leonore selbst sie verlangen sollte." 
„Im Falle Leonore selbst sie verlangen 
sollte," das Wort ließ ihn verstummen; er, 
der sich rühmte, ein Menschenkenner zu 
sein, schwankte wieder in seiner Hoffnung; 
es ist etwas Großes um den Stolz eines 
edlen Weibes, doch größer noch ist ihr lie 
bendes Verzeihen. — 
Vierzehn Tage sind seit jenem Abend ver 
gangen. Leonore ist auf dem Wege der Ge 
nesung und sitzt heute zum erstenmal am 
Fenster im milden Märzensonnenschein. Ge- 
nesung! segensreiches Wort! Doch ihre Blicke 
schweifen traurig in die heitere Himmelspracht 
da draußen; gebrochen an Leib und Seele, 
berankt an allem, was ihr die überquellende 
Lebenslust an süßem Glück und holdem 
Wahn versprochen — ruht nun auch ihr 
Kind, das sie für alle Täuschungen ent 
schädigen sollte, unter dem kleinen Hügel des 
Kirchhofes. 
Den heutigen Tag hat auch Nicolaus 
Erichsen zu einer ernsten Unterreduug mit 
Leonore bestimmt, nachdem man bis dahin 
alles vermieden, was sie an die Ereignisse 
vor ihrer Krankdeit erinnerte. Beim Eintritt 
des Vaters zog ein mattes Lächeln der 
Freude über ihr Antlitz und sie küßte demüthig 
seine herabhängende Hand. 
„Ich bin so glücklich, daß Du von Haralds 
holm gekommen bist, und möchte Dir heute 
noch einmal von ganzem Herzen dafür danken." 
Nicolaus Erichsen setzte sich auf einen 
Stuhl ihr gegenüber. 
„Du bist verändert, Leonore — Dein 
Körper hat stark gelitten, und es will mir 
scheinen, als ob auch Deine Seele unter 
einer schweren Last leide." 
„Du hast recht, mein Vater," antwortete 
sie leise. 
„Ich wußte es, daß es so kommen würde; 
Du sollst jetzt auch keine Vorwürfe von mir 
hören; die Erfüllung dessen, was ich Dir 
vorausgesagt, ist hart genug für Dich; aber 
ich wünsche, daß Du mir Vertrauen schenkest 
— denn längst hätte ich Berlin wieder ver 
lassen, wenn es nicht in meiner Absicht 
läge, Dir zu helfen." 
„Ich bin Dir so dankbar, Vater." 
„Sieh mich an, Leonore; Du bedarfst 
des Schutzes, nicht wahr?" 
Aber die dunklen Wimpern der jungen 
Frau senkten sich unter dem forschenden 
Blick noch tiefer auf die erglühten Wangen. 
„Wäre es nicht richtiger, Du ließest hier 
vor Deinem Vater die falsche Scham bei 
Seite? Ich weiß, daß Du des Schutzes 
bedarfst, und zwar vor Deinem Gatlen." 
Als sie auch dann noch hartnäckig schwieg, 
äußerte er eindringlich, immer die Augen 
fest auf das junge bebende Weib geheftet: 
„Sind die Wunden an Deiner Schulter 
chon geheilt, Leonore?" 
Sie zuckte unter der schonungslosen Er 
wähnung zusammen nnd krümmte sich, als 
ob sie den Schmerz noch einmal empfände. 
„Du weißt ..." 
„Alles," vollendete er tonlos 
Sie blickte sekundenlang wie abwesend vor 
sich hin, bis plötzlich eine düstere Flamme 
in ihren Augen aufzuleuchten begann. (F. f.)
	        
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