Dm 2. September.
Was habe ich erlebt! Ich öffne den an
Dich bereits geschlossenen Brief noch einmal,
um das Geschehene zu erzählen; welche
Freude ist mir geworden — denke nur . . .
Doch halt, alles hübsch der Reihe nach
mittheilen, da es nothwendig ist, daß ich
etwas weit aushole und Verzeihung, Rahcl,
falls ich gelegentlich einmal boshaft werde,
aber die Lust, boshaft zu werden, wandelt
einen hier wahrhaftig zuweilen an! —
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Krfcheinļ tägLich.
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-» 88ster Jahrgang.
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Wo. 280.
Sonnabend, den BO. November
1895
MorqsrrDepeschen
© Kiel, 30. Nov. Die kürzlich von
uns gemeldete beschleunigte Indienststellung
der kaiserlichen Jacht „Hohenzollern"
hängt, sicherem Vernehmen nach, mit einer
beabsichtigten Reise der kaiserlichen Familie
nach dem Mittelmeer zusammen. Die Ver
waltung der kaiserlichen Werft hat Befehl
erhalten, die Jnstandsetzungsarbeiten derart
zu beschleunigen, daß die kaiserliche Jacht
„Hohenzollern" Mitre Februar fahrbereit
aus dem Strome liegt. Ob die kaiserliche
Familie wiederum in Abbazia Aufenthalt
nehmen wird, darüber ist hier noch nichts
Näheres bekannt.
Berlin, 26. Nov. Gestern Abend gegen
>/2? Uhr erfolgte in Neugattersleben die
Ankunft des Kaisers. Heute früh 9 Uhr
begann die Jagd. Die Abreise des Kaisers
von Neugattersleben sollte heute Abend nach
S Uhr stattfinden.
Berlin, 30. Nov. Wie bereits bekannt,
begicbt sich der Kaiser am Montag-Bor-
mittag nach Breslau, um der 25 jährigen
Gedenkfeier der Schlacht bei Loigny-Poupry
beim Leibkürassierregimente beizuwohnen.
Der Kaiser wird am Dienstag, den 3. De
zember, Abends nach Wildpark zurückkehren.
Berlin, 30. Nov. In Bestätigung
unserer gestrigen Nachricht ist die „Post"
ermächtigt, ausdrücklich zu erklären, daß
Alles, was in der Meldung der „Frkf.
Ztg." dem Freiherrn v. Stumm über den
Kaiser in den Mund gelegt wird, als
völlig unwahr und im Wesentlichen als
geradezu erfunden bezeichnet werden muß.
Berlin, 30. Nov. Der sozialdemokratische
Reichstagsabgeordnete Schippet hat auf
Aufforderung der Staatsanwaltschaft seine
zweimonatliche Gefängnißstrafe in Plötzen-
see gestern angetreten.
_ Berlin, 30. Nov. Das Polizeipräsidium
giebt die Schließung von 11 sozial
demokratischen Vereinen bekannt,
und zwar von sechs Wahlvereinen, der
Preßcommission, der Agitationscommission,
der Localcommission, des Vereins öffent-
kicher Vertrauensmänner und des Partei-
vorstandes der socialdemokratischen Partei
Deutschlands, auf Grund des § 8 der
Verordnung über die Verhütung eines die
gesetzliche Freiheit und Ordnung gefähr
denden Mißbrauchs des Bersammlungs-
und Vereinigungsrechts vom 11. März 1850.
Frankfurt a. M., 30. Nov. Wie die
„Frkf. Ztg." aus Marburg berichtet, ist
Prof. Stengel zum Sommersemester 1896
nach Greifswald versetzt worden.
Stettin, 30. Nov. Dem freireligiösen
Lehrer Caesar aus Berlin wurde, wie die
„Stettiner Abendzeitung" meldet, die ihm
von der hiesigen Schulinspektion ertheilte
Erlaubniß für den Jugendunterricht wieder
entzogen, und zwar auf Antrag des Polizei
Präsidiums. Die Erlaubniß hier war dem
Lehrer ertheilt worden, nachdem ihm dieselbe
in Berlin bereits entzogen war.
London, 30. Nov. Infolge der zahl
reichen, durch die letzten Stürme verur
sachten Schiffsunfälle ist hier ein großes
Syndikat von Seeversicherern in
Zahlungsschwierigkeiten gerathen.
Brest, 29. Nov. Bei dem gestern Abend
von der Stadtvertretung gegebenen Punsch
brachten die Offiziere des russischen Ge
schwaders warm empfundene Trinksprüche
aus. Es herrschte große Begeisterung. Als
die russischen Offiziere das Festlokal ver
ließen, wurden sie im Triumph nach
ihrem Logis getragen.
Wien, 30. Nov. Die Kleinmünchener
Baumwollspinnerei bei Linz brannte in
vergangener Nacht theilweise nieder.
Venedig, 30. Nov. In Mittel- und
Ober - Italien ist die Temperatur ganz
außergewöhnlich gesunken. In Turin fiel
das Thermometer bis auf 12 Grad 6
unter Null.
Mrrsland.
Arrhererrropäische Gebiete.
Colon, 29. Nov. Ein hiesiger Arzt hat
ein Heilmittel gegen den Aussatz
entdeckt und zwölf Aussätzige im vorge
rückten Stadium der Krankheit vollständig
geheilt. Die Resultate werden offiziell an
die Fakultäten der Hochschule in Newyork,
Paris, Berlin, Bologna und Toledo über
mittelt.
Eine Hochzeit in den obersten Kreisen
hat wieder einmal in Newyork stattgefun
den, welche durch eigenthümliche Umstände
besonderes Aufsehen erregt. Die Tochter
des hundertfachen Millionärs John D.
Rockefeller, welcher erst kürzlich, wie
gemeldet, drei Millionen Dollars der Uni
versität in Chicago geschenkt, sollte mit
Herrn Harold Mc. Cormick von Chicago
verheirathet werden. Da aber der Bräuti
gam kurz vor dem Hochzeitstage ernstlich
erkrankte, so sollte der Trauungsakt ver
schoben werden. Hiervon aber wollten die
Brautleute nichts wissen, und so begaben
sich denn am vorbestimmten Tage der
Vater und die Braut mit wenigen intimen
Bekannten in das Krankenzimmer
des Bräutigams, wo die Trauung
unter den einfachsten Ceremonien vor sich
ging. Die Braut bekam am Tage der
Hochzeit das kleine Vermögen von 100
Millionen Mark baar ausbezahlt.
Spanien.
Zu jener furchtbaren Explosion
in Palma, durch welche, wie schon ge>
meldet, eine Patronenfabrik in die Luft
flog und wobei, wie sich jetzt herausstellt,
siebzig Menschen den Tod fanden, wird
weiter ausführlich berichtet:
Ganz Palma ist in tiefe Trauer Oer'
setzt durch das entsetzliche Unglück, von
dem dieser Ort heimgesucht wurde. Mehr
als 120 Personen, Männer und Frauen,
waren damit beschäftigt, in einem „Haus
des Königs D. Jaime" benannten, am
Stadtgraben gelegenen Gebäude Patronen
zu entladen. Da die Patronen-Entladung
höchst gefährlich ist, wurden die Arbeiter
mehrere Male von den als Wache aufge
stellten Artilleristen ersucht, mit der größten
Vorsicht zu Werke zu gehen, um ein Un-
glück zu verhüten. Das Unglück kam aber
doch und nahm einen Umfang an, der
jeder Beschreibung spottet! Wie jene
Katastrophe geschah, hat sich bisher noch
nicht genau feststellen lassen, am wahr-
scheinlichsten ist, daß ein Arbeiter, allen
Warnungen zum Trotz, sich eine große
Unvorsichtigkeit zu Schulden kommen ließ,
indem er eine von den Patronen mit dem
Hammer bearbeitete; das Geschoß
explodirte, und im Nu waren auch die
anderen Patronen und eine beträchtliche
Menge Pulver explodirt. Die Detonation
war entsetzlich; hundert zu gleicher Zeit
abgeschossene Kanonenkugeln hätten nicht
eine solche Erschütterung hervorbringen
können. Personen die das furchtbare Un-
glück überlebt haben, sahen in den ersten
Augenblicken verstümmelte Rümpfe und
Köpfe, Arme und Beine durch die Luft
fliegen, und viele von den zerrissenen
Körpertheilen wurden durch die Gewalt
der Explosion weit über den Stadtgraben
geschleudert. Dann sah man nichts mehr,
denn eine dichte Rauchwolke, eine Folge
der Pulver-Explosion hüllte alles ein, und
aus dem Patronenlager brachen Flammen
hervor. Die ganze Schwere des Unglücks
zeigte sich erst, als einige Stunden später
Tausende von Personen den Ort der Kata
strophe umstanden und unter der Leitung der
Behörden sich an den Rettungs- und Auf
räumungsarbeiten betheiligten. Im Stadt
graben waren formlose Körpertheile fuß
hoch aufgeschichtet. Ueberall sah man
Leichen, die so verstümmelt waren, daß sie
sie sich nicht indentificiren ließen. In den
ersten Nachmittagsstunden fand man 51
Todte, 37 Frauen und 14 Männer; aber
die Zahl der Todten stieg bereits
gegjen Abend auf 70, da viele Ber
mundete im Hospital starben. Nach vor
läufiger Feststellung beträgt die Zahl der
Verwundeten 40, und zwar 35 Frauen
und 5 Männer. Die explodirten Patronen
gehörten zu dem alten Kriegsmaterial, das
unlängst von der Regierung an einen
Patronenfabrikanten verkauft wurde.
Madrid, 29. Nov. Der Untersuchungs
richter setzte 15 Gemeinderäthe in
A n k l a g e z u st a n d. Man glaubt, daß der
Prozeß aufsehenerregend wird. Es werden
sehr bedeutsame Aufdeckungen erwartet.
Türkei.
Konstantinopel, 28. Nov. Aus authen
tischer Quelle verlautet, daß alle Nach-
kommen und Verwandten des verstorbenen
Sultans Abdul Aziz, welche aus der
asiatischen Seite ihre Residenz hatten, auf
Befehl des Sultans Abdul Hamids aus
das europäische Ufer gebracht wurden.
Hier verweilen sie in einem besonderen
Konak und werden streng bewacht. Dies
geschah aus Furcht, daß sie sich mit der
zunehmenden revolutionären Bewegung der
Jungtürken verbinden könnten. Auf Be
fehl seiner Regierung theilte der russische
Botschafter, Baron Nelidow, dem Sultan
mit, daß, wenn in Konstantinopel Un
ruhen a usbrechen würden, so würden
die Flotten sofort zur Stelle beordert
werden.
Frankreich.
Paris, 28. Nov. Der Genosse Alton's
bei der Vertheilung der Panama - Checks,
Sonligoux, wurde heute verhaftet.
Die Verhaftung gelang durch Winke, welche
seine verlassene Geliebte, Frau Delattre,
der Polizei gegeben hatte. Die Frau hatte
aus Sonligoux' Schreibtisch Listen der
vertheilten Checks entnommen und der
Polizei überantwortet. Auf diesen Listen
sind auch Parlamentarier verzeichnet,
doch behauptet Sonligoux, diese Namen
seien von fremder Hand nachträglich auf
geschrieben worden. Man spricht von be
vorstehenden weiteren Verhaftungen.
Inland.
— Durch einen Gnadenakt des
Kaisers ist der Posthülfsbote Herkert
vom PvstamtWildpark-Potsdam hoch erfreut
worden. H. hatte auf einem Botengang
einen Geldbrief mit 432 Mk. verloren und
der Betrag sollte ihm vom Gehalt abge
zogen werden. Zufällig erfuhr der Kaiser
von der Sache und forderte Bericht ein.
Da dieser für den Beamten, der auch die
Briefe nach dem Neuen Palais bestellt,
günstig ausfiel, befahl der Kaiser, daß der
Betrag aus seiner Privatschatulle dem
Postfiskus bezahlt werde.
— Durch einen Gnadenakt des
Kaisers ist einem jungen Manne die
Aufnahme in eine Anstalt ermöglicht wor
den. Der Bedauernswertste, ans Jauer ge
bürtig, ist fast ganz erblindet, außer-
dem hat er das Gehör vollständig ver
loren. In seiner Noth wandte er sich in
einem Immediatgesuch an den Kaiser, in
welchem um unentgeltliche Aufnahme in
eine Heilanstalt gebeten wurde. Da der
eingezogene Bericht zu Gunsten des Bitt
stellers ausgefallen ist, wurde vom Kaiser
angeordnet, daß der Kranke zur Wieder
herstellung seiner Gesundheit der König!.
Universitätsklinik zu Breslau überwiesen
werde.
Berlin, 29. Nov. Trotz der Gegen
vorstellungen des Sultans bestehen die
Großmächte auf der Zulassung der zwei
ten Station sschisfe. Die Nachricht der
„Daily News", die Dreibundmächte hätten
aus diesen Anspruch verzichtet, ist grund
los, wie schon die Erklärungen des
italienischen Ministers des Auswärtigen
im Parlament beweisen.
Unsere gestrige Depesche, daß auf Grund
des § 16 des Vereinsgesetzes die vorläufige
Schließung von 8 socialdemokratischen
Wahlvereinen in Berlin angeordnet sein
soll, nachdem § 8 desselben Gesetzes von
diesen verletzt worden, hat sich bestätigt.
Es treten demnach wesentlicheBeschrünknngen
im bisherigen Versammlungsrecht der Ver
eine ein. Die Atz 8 und 16 des preußischen
Vereinsgesetzes von 1850 enthalten für
politische Vereine die Beschränkung, daß
sie a) keine Frauenspersonen, Schüler und
Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen und
d) nicht mit anderen Vereinen gleicher
Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung
treten dürfen, .insbesondere nicht durch
Comitees, Centralorgane oder ähnliche
Einrichtungen oder durch gegenseitigen
McolailsKilMs Mer.
48) Roman von 8. Riedel-Ahrens.
„Berlin, den 30. August.
Meine Rahel!
-in hast den Wolken, die nach Süden
ziehen, Grüße aufgetragen an mich; ach, wie
ost schon habe ,ch zu dem schmalen Stückchen
Himmel, das man zwischen den Häuserreihen
zu sehen bekommt, emporgeblickt und die
Wolkenmasscn, welche von Norden her über
Riesenstadt hinzogen, als Boten von der
Heimatb begrüßt. — Die Frauenseele ist
solch ein Geheimniß, Rahel; in ihr flutet
alles Licht des Himmels, doch auch die
Schatten der Hölle reichen aus der Tiefe zu
ihr hinein; solch eine Welt von Farben,
Tönen und Empfinden, in Millionen unaus
sprechbaren Reflexen. Wie einfach und ver
ständlich ist dagegen fast immer der gradsinnigere
..,ann — wenngleich ich Eugen gegenüber
ebenfalls vor einem Rächsel stehe; hier fit
das Leben viel zu geräuschvoll, um einen in
Ruhe nachdenken zu lassen.
Ich werde jetzt oft irre an mir selbst:
das Leben hier bäumt sich j« solchem
Kampfe ans gegen meine Erziehung An
schauung und Begriffe; Eugen behauptet
eben diese Erziehung habe mich einseitig',
überspannt und ungenießbar geniacht. Ist
daS wahr? Eugen hat vielleicht recht, mich
anspruchsvoll und launenhaft zu nennen,
denn was mir in der Haide als des Le
bens höchste Errungenschaft erschien, sein
Besitz im Glanze des Reichthums und der
Zerstreuungen Berlins, beginnt nun, da es
mein geworden, an Reiz zu verlieren; ich
sehe neben dem Prunk und Schimmer auch
aU das namenlose Elend, welches dem
Menschen den Glanz verdunkeln muß. So
viel steht fest: ich gerathe innerlich mit allem,
das an mich herantritt, in Konflikt — es
erscheint mir häßlich, roh und unmoralisch;
der zarte Ton der Liebe im Vatcrhause hat
mich verwöhnt, denn abgesehen von den ver
logenen, gleißnerischm Umgangsformcn der
Gesellschaft, herrscht hier für den Hausge
brauch solch ein häßlicher Ton, der soviel
Rohheit aufdeckt, daß ich manchmal schaudere;
und doch fühlen die meisten sich froh und
zufrieden in der erstickenden Lust!
Och muß es ebenfalls lernen, Rahcl, soll
nicht zwischen mir und Eugen ein unheil
barer Riß entstehen; es ist Pflicht, mich an
seine Welt zu gewöhnen, in die ich ihm
freiwillig gefolgt bin; das geht natürlich
nicht so rasch — das kostet Schweiß und
Blut, die Ueberwindung fordert zu große
Kraft; ich sprach zu ihm davon und bat,
er möge geduldig sein — Geduld ist aber
seine schwache Seite - — und so bin ich
nun entschlossen, mich blindlings mit ihm
in den Strudel zu stürzen — er ist mein
Gatte, mag ich denn leben oder sinken mit
ihm! — Aber heute, uni diese Stunde bin
ich die alte Leonorc und im Geiste bei
Dir, meine Schwester! Horch! Unter
meinem Fenster zieht eine Abtheilung Sol
daten mit klingendem Spiel vorüber, die
Musik berauscht mich bis zur Begeisterung
und weckt die Sehnsucht nach Euch Reinen
lebendiger. Meine Haide im Sturm und
Sonnenschein, wie hab ich Dich so lieb!
Rahel, ich möchte mit ausgebreiteten Armen
und fliegendem Haar fortlaufen, weit weg
— zu ihr, zu Euch, möchte mich um
wirbeln lassen vom brausenden Orkan einer
finsteren Stnrmcsnacht, mochte niedertauchcn
in die hochaufschäumcnden Wogen der Nord-
sce, um mir die Seele von irgend etwas,
das mich quält und das doch so süß ist —
rein zu waschen! Rahcl, Du Glückliche,
kannst mich nicht verstehen.
Den 1. September.
Weißt Du noch, wie wir als kleine Mädchen
ein großes Verbrechen begangen zu haben
glaubten, als wir von unwiderstehlicher Sehn
sucht nach den Birnen im Garten des Bauern
Veit verlockt — heimlich den Baum erkletter
ten und uns satt aßen an der schönen Frucht?
Gleich darauf begann ein furchtbares Gewitter
zu toben und unsere kleinen Herzen wurden
von heftigem Schrecken gepackt, weil wir
dachten, daß sei ein Zeichen des Zornes
Gottes, der uns für den begangenen Frevel
strafen wollte; bebend vor Entsetzen beriethen
wir, was zu beginnen sei, ihn zu versöhnen.
Da schlichen wir uns in die Kirche, knieten
am Altar nieder und beteten, Gott niöge
uns die schreckliche Sünde vergeben, wir
würden cs auch niemals wieder thun. Es
war ein bedeutungsvoller Nachmittag, den ich
nie vergesse; als wir wieder ins Freie traten,
hatte das Gewitter sich verzogen, die Haide
strahlte weithin bis zuni goldüberfluteten
Meer in purpurfeuchtem Schimmer. Und da
war es, als erschließe sich mir plötzlich
neben der eigentlichen, alltäglichen Welt noch
eine zweite poesievollcre, in der ich fortan
leben durste und von der Niemand etwas
wußte, als nur Du, ich wurde mir der
Schönheit der Natur gleichsam bewußt, und
der Gewißheit, daß dort drüben, wo der
feurige Sonncnball im Westen sank, noch
eine köstliche Heiniath liege, die uns erwartete.
Das war der Abend, wo wir das Märchen
vom Königssohn ersannen.
Sich, Rahel, so wie an jenem Nacst-
mittage, so möchte ich auch jetzt zuweilen in
der Kirche zu Westlund knicen; so thue ich
cs im Geist. Dann sehe ich mich wieder
als Braut an Eugens Seite; die feierlichen
Klänge der Orgel sind verhallt — heilige
Stille — Waldemar Bergs gedämpfte Stimme
wird vernehmbar; traumhaft wie damals
sehe ich wieder seine hohe Gestalt — ich lese
den Tod auf seinem Antlitz, den er im
Herzen trug, und Ströme von Thränen weint
meine Seele dem so hart Verschmähten nach.
Rahel, Eugen ist nicht der Königssohn. —
Du begreifst mich, ich weiß; alle Töne,
die ich anschlage, finden auf den Saiten
meiner Schwester ein verständnißvolles Echo;
weshalb schreibst Du seit einiger Zeit so
wenig von Dir selbst?
Triffst Du Albrecht hin und wieder?
Eugen erhält oft Briefe von ihm; er bleibt
in der Ravensburg und steht im Begriffe,
weitgehende Pläne zu verwirklichen.
Lebe wohl für heute; Am Nachmittag
gehen wir in den zoologischen Garten, wo
sich mehrere uns bekannte Familien ver
sammeln; dort ist cs wunderhübsch und wir
genießen das Koncert. Bald nichr von
Deiner Leonorc.
Wir saßen also alle um zwei zusammen
gerückte Tische vor der Halle im zoologischen
Garten, die Musik schallte zu uns herüber.
Das Orchester hatte eben die Ouvertüre zu
„Rienzi" begonnen und unwillkürlich lauschte
ich mehr den bestrickenden Tönen des großen
Meisters, als den Lobeserhebungen der Frau
von Gorte über die ungewöhnlichen Vorzüge
ihres ältesten Sprößlings, als meine Auf
merksamkeit ans einen Herrn gelenkt wird,
der sich in einiger Entfernung von uns an
einem leeren Tisch niederläßt.
Im selben Augenblicke, Rahel, wäre ich
fast emporgeschnellt und hätte laut seinen
Namen ausgesprochen, doch besann ich mich
zum Glück noch zu rechter Zeit des ge
sitteten und hochanständigen Kreises, in dem
ich mich befand. Als er sich gesetzt hatte,
den Hut von seinem blonden Haupte nahm
und, das Kinn in die Hand gestützt, Um
schau hielt, da sah ich in das geistvolle
Antlitz Waldemar Bergs, — doch seine
Augen, die träumerisch über die Gegenstände
hinwegblickten, hatten mich nicht gleich be-
merkt.
Ich bin dunkelroth geworden, so daß es
meiner Nachbarin nicht entging, und ob
gleich ich das wußte, zog cs mich doch mit
niagischcr Gewalt, immer wieder hinübcr-
zusehen, bis auch er mich gewahrte; er hob
sich halb von seinem Platze und grüßte,
kam' jedoch nicht zu uns. Frau von Gorte,
welcher der kleine Vorgang nicht entgangen
war, begann sofort, mich mit dem „stmmnen
Anbeter ans respektvoller Entfcrung" zu
necken, so daß ich vor Verwirrung nicht
aus noch ein wußte, als plötzlich etwas noch
Merkwürdigeres geschah; es fing nämlich
so zu sagen aus heiterem Hiinmel an zu