Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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ş Mendsburģer 
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88ster Jahrgang. 
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Wo. 279. 
Ireitcrg, den 29. Wovember 
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Morgen-Depeschen 
Scrliit, 28. Nov. Der Reichstagsabge- 
vrSnetc v. Stumm erklärte auf eine An 
frage, daß der ihm zugeschriebenen, in der 
Presse verbreiteten Aeußerung, er werde 
den Kaiser zu einem Kampfe gegen die 
Sozialdemokratie auf Leben und Tod zu 
veranlassen suchen, auch nicht annähernd 
etwas Wahres zu Grunde liege. Die 
Aeußerung beruhe im Wesentlichen aus, 
Erfindung. (Wir hatten dies Dementi 
sofort vorausgesetzt. Red.) 
Dresden, 29. Nov. Die heute Abend 
erschienene „Deutsche Wacht" meldet aus 
angeblich guter Quelle, daß nach einer 
Aeußerung des Kaisers der Rücktritt des 
Staatssecretärs Dr. von Boettichsejr 
unmittelbar bevorstehe. Der Kaiser stehe 
in der Handwcrkerfrage voll und ganz 
auf dem Boden der Berlcpsch'schen Ent 
würfe und erblicke in der Vorlage der 
Boetticher'schen Handwerkskammergesetze 
eine Durchkreuzung dieser Pläne. Außer 
dem habe das Boetticher-Jnterview im 
„Lokal-Anzeiger" höchst peinlich berührt 
Berlin, 39. Nov. Wie die „Nordd 
Allg. Ztg." bestätigt, dürfte der Kaiser 
die Eröffnung des Reichstags voraussicht 
lich nicht persönlich vollziehen, da er am 
einer Reise nach Schlesien von Berlin 
abwesend sein wird. 
Berlin, 29. Nov. Der Ausschuß der 
preußischen Centralgenossenschaftskasse trat 
heute Mittag 12 llhr mit den Vertretern 
des Handwerks zusammen, um die Stellung 
des Handwerks zur Kasse zu besprechen. 
Der Handelsminister Frhr. v. Berlepsch 
war auch zu dieser Konferenz erschienen. 
Berlin, 29. Nov. Wie der „Franks. 
Ztg." aus Rom berichtet wird, hätten 
die englischen Botschafter in Wien, 
Berlin und Rom den Auftrag erhalten, 
gleichlautende Erklärungen abzugeben, die 
auf eine größere Annäherung an 
die Mächte des Dreibundes 
schließen lassen dürften. Wie cheit diese 
Erklärungen, denen natürlich eine große 
Tragweite zugeschrieben wird, gehen, da- 
rüber verlautet noch nichts. 
Wien, 29. Nov. Das Abgeordneten 
haus beschloß mit 120 gegen 51 Stimmen 
die Auslieferung Dr. Luegers wegen 
Eh reu beleidigung. 
1. Tarnopol, 29. Nov. Hier fand eine 
undOîii Zusammenrottung von etwa 130 Bauern 
L. an ^ statt, welche mit ihren Frauen und Kindern 
h auf der Auswanderung nach Brasilien be 
griffen sind. Da ihnen auf der Bahn die 
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Verabfolgung von Fahrkarten verweigert 
wurde, zogen sie vor das Gebäude des 
Bezirkshauptmanns, von dem sie stürmisch 
die Aushändigung von Reisepässen ver 
langten. Die Polizei vertrieb die Excedenten 
Paris, 29. Nov. Als seinen letzten 
Willen bekundete Alexander Dumas, daß 
an seinem Leichenbegängniß weder offizielle 
Ehrenbezeigungen, noch jmilitärische Ehren 
stattfinden sollen. Die Blätter widmen 
dem Verstorbenen lange Nachrufe. (S. unter 
Paris. Red.) 
Padua, 28. Nov. Um ein Uhr Nachts 
wurde ein Erdbebenstoß, begleitet von 
unterirdischem Donner, verspürt. Die Bei 
völkerung ist beunruhigt. 
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Schwarmgeister nannte man zur Reform a 
tionszeit diejenigen Männer, welche die von 
Luther gepredigte geistliche. Freiheit à la 
Thomas Münster auf das Wirth 
chaftliche Gebiet zu verpflanzen und die 
religiöse Bewegung mit der damaligen 
wcialen Währung zu verquicken suchten 
Wie unsanft Luther diese Leute abgeschüttelt 
hat und welch unrühmliches Ende sie ge 
nommen haben, ist bekannt. Mit den 
Schwarmgeistern jener Zeit haben manche 
jüngere evangelische Geistliche Naumann'scher 
Richtung, die man besser „christliche 
Socialisten" als „Christlichsociale" 
nennt, einige Aehnlichkeit. Sie sind nicht 
ganz so radikal wie jene und deshalb nicht 
o unmittelbar gefährlich; aber sie können 
wch durch die Verwirrung der Geister, die 
ie ohne Zweifel anstiften, höchst bedenklich 
werden. Die Grenzlinie zwischen berech 
tigtem christlichen Socialismus und unrich 
tiger, christlich sein wollender „Socialisterei" 
ist leicht zu ziehen. Der social denkende 
Christ sucht die wirthschaftlichen Gegensätze 
u versöhnen, hütet sich vor aller 
Parteilichkeit und Einseitigkeit, betont ebenso 
die Rechte wie die Pflichten aller und 
wird niemals vergessen, daß über den welt 
lichen Dingen die ewigen stehen, daß das 
Hoffen und Harren der Menschen niemals 
auf Erden ganz befriedigt werden kann. 
Der christliche Socialist aber stellt sich auf 
die Seite der Unbemittelten und verficht 
deren Rechte, ohne sie an ihre Pflichten 
zu gemahnen. Statt die Kluft zu über- 
brücken, erweitert er sie, statt auf die 
christliche Gemeinschaft hinzuweisen, 
verlangt er Gründung von Kampfes- 
gemeinschaften einzelner Stände, statt endi 
lich die Blicke von der Erde und ihren 
Wirrnissen zum ewigen Frieden zu richten 
schiebt er die irdischen Kampfesfragen 
ausschließlich in den Vordergrund. 
Was wir den Schwarmgeistern vorwerfen, 
das ist zunächst der bedauerliche Mangel 
an v olkswirt hschaftlicher Bildun 
und geschichtlicher Schulung 
Die meisten haben auf der Universität die 
sociale Frage obenhin kennen gelernt, viel 
leicht eine kleine Vorlesung darüber gehört, 
vielleicht auch in studentischen Vereinigungen 
sich mit der Sache beschäftigt; andere haben 
es dann für ihre Pflicht erachtet, social 
demokratische Blätter und Zeitschriften zu 
lesen, haben wohl auch „Das Kapital" von 
Marx durchgeblättert; noch andere sind ein 
paar Monate verkleidet in Fabriken oder 
auf der Landstraße gewesen, und nun 
glauben sie sich im Vollbesitz des gcsammten 
Rüstzeugs zur Lösung der socialen Frage. 
Sie schauen mit hochmüthiger Verachtung 
auf die ältern Amtsgenossen herab, die sich 
damit begnügen, in ihrer Gemeinde die 
ociale Frage im kleinen zu studieren und 
zu lösen. Sie meinen alle die alte Pastorale 
Weisheit sich an den Schuhsohlen abgelaufen 
zu haben, sitzen auf dem hohen Pferde 
prechen und schreiben über alles, und doch 
ist die ganze Arbeit nichts als Dilettanten 
arbeit. Dazu kommt der gründliche Mangel 
an geschichtlichem Sinn. Wer am öffentlichen 
Leben selbstthätig theilnehmen will, muß 
mmer und immer wieder zur Lehrmeisterin 
Geschichte zurückkehren. Jede Neuerung, 
die nicht an das geschichtlich Gewordene 
anknüpft, ist im besten Falle eine kurze 
Episode, die keinen Segen und keine Wirkung 
zurückläßt. Von der Geschichte aber halten 
unsere Schwarmgeister nichts. Geschichtliche 
Rechte verachten sie mit herrischem Dünkel, 
geschichtliche Gliederung verspotten sie. Mit 
diesem Mangel an geschichtlichem Sinn 
geht die grenzenlose Einseitigkeit 
Hand in Hand. Für die meisten von ihnen 
giebt es nur Industriearbeiter auf der einen 
und Geldprotzen auf der andern Seite. 
Für den Werth und die Wichtigkeit des 
Mittelstandes haben sie kein Herz 
und kein Verständniß, für die wirthschaft, 
liche und sittliche Bedeutung des Besitzes 
haben sie kein Auge. Die Verhältnisse der 
Industriearbeiter übertragen sie mit kecker 
Leichtigkeit auf die ganz anders gearteten 
Landverhältnisse. Sie übersehen vollkommen, 
daß hier auf dem Lande die Grenze zwischen 
Arbeitgeber und Arbeiter gar nicht scharf 
zu ziehen ist, daß die meisten 'Arbeiter 
selb st kleine Besitzer und zu Zeiten und 
noch Befinden wieder Arbeitgeber sind 
Es war die größte und verhängnißvollste 
Narrheit, das Koalitionsrecht für die länd 
lichen Arbeiter zu fordern. Gerade diese 
Forderung erwies den vollständigen Mangel 
an volkswirthschaftlicher Erfahrung, an 
geschichtlicher Kenntniß und andererseits 
den bedenklichen Zug einseitiger Vorein 
genommenheit. 
Man hat wohl dem Geistlichen im all 
gemeinen das Recht bestritten, an den 
socialen Kämpfen theilzunehmen. Das ist 
wiederum viel zu weit gegangen, sagt die 
D. T." Wohl hat der Geistliche die 
nächste Aufgabe und die wichtigst 
Aufgabe in seiner Gemeinde zu lösen 
Hier giebts für die meisten so viel zu thun 
daß sie draußen kaum Arbeit zu suchen 
brauchen. Hier darf er nicht einseitig die 
Rechte des einen verfechten und den 
andern nur an seine Pflicht gemahnen 
auch hier muß Versöhnung das erste und 
letzte Ziel sein. Nicht i m Kampfe soll der 
Geistliche stehen, sondern über dem 
Kampfe, — nicht die Sache des einen 
gegen den andern führen, sondern lediglich 
die Sache des Christenthums gegen beide 
Wenn jeder Geistliche in seinem Kreise 
diese Aufgabe mit ganzer Seele erfaßte 
und mit ganzer Kraft durchführte, würde 
die sociale Frage im ganzen nicht so brennend 
'ein, wie sie ist. Aber dem Geistlichen von 
vornherein verwehren zu wollen, daß er 
auch den großen wirthschaftspolitischen 
Fragen und Kämpfen draußen theilnehme, 
ist unrecht. Nur zweierlei möge und muß 
berücksichtigt werden: Auch in diesem 
Kampfe darf der Diener des Wortes Gottes 
nie vergessen, daß er Friedensbote sein, 
daß er beruhigen und nicht anreizen, 
stmmeln und nicht trennen soll. Und dann 
möge sich jeder prüfen, ob gerade er den 
Beruf hat, über seine Gemeinde hinaus 
wcial und politisch thätig zu sein! Dazu 
gehört nicht nur reiche Kenntniß und große 
Erfahrung, nicht nur volle, innere Ge 
'chlossenheft und reife Seelenruhe, nicht 
nur Klarheit und Klugheit, sondern auch 
vor allen Dingen stete Selbstprüfung und 
volle Selbstlosigkeit. Von den modischen 
Schwarmgeistern scheint uns kaum einer 
alle diese Vorbedingungen zu erfüllen. 
Ausland. 
Aņffererrropiiische Gebiete. 
Ncwyork, 28. Nov. Die größte Sing, 
spiel Halle der Welt ist gestern Abend 
hier unter dem „Olympia" eröffnet wor- 
den. Es waren 15 000 Menschen an- 
wesend. Heute früh explodirte dort der 
Kessel der Centralheizung. Die Explosion 
richtete bedeutenden Schaden an, sechs 
Personen wurden getödtet. 
Milwaukee, 28. Nov. Peter Mc. Geock, 
der Besitzer der größten hies. Schweine 
schlachterei und zehnfacher Dollar- 
Millionär, hat sich erschossen. Er hatte 
erst vor Kurzem den Plan gefaßt, für 
seine Vaterstadt ein großes prächtiges 
Opernhaus zu bauen und es ihr zum 
Geschenke zu machen. 
Türkei. 
Konstantinopel, 28. Novbr. Wie aus 
E r z e r u m gemeldet wird, sind dort 
gestern neue Gewaltthätigkeiten verübt wor- 
den, wobei fünf Armenier getödtet und 
äeben verwundet wurden. Diese Nachricht 
machte hier einen sehr peinlichen Eindruck, 
da allgemein angenommen wird, daß die 
Wiederkehr der Metzeleien nicht ohne 
Folgen bleiben könnte. 
Frankreich. 
Paris, 28. Nov. Der berühmte franzö- 
ische Schriftsteller Alexander Dumas 
ist einem vor einigen Tagen erfolgten 
Schlaganfall nunmehr erlegen. Sein Tod 
trat überraschend schnell nach einem Tage 
hoffnungsreicher Besserung ein. Noch um 
echs Uhr Abends plauderte er in voller 
Geistesgegenwart niit Frau und Tochter, 
kurz vor sieben Uhr begehrte er den Thee, 
mhrte die Tasse allein zum Munde, was 
er bisher nicht vermocht hatte. Er that 
einige kräftige Züge, die ihm sehr gut zu 
bekommen schienen. Hierauf schloß er die 
Augen, anscheinend, um auszuruhen. Plötz 
lich aber, einige Minuten darauf, durch 
lief ein Zucken seinen Körper, das ihn ein 
Mal emporwarf, und nach einem schweren 
Seufzer war es zu Ende. 
Monaco. 
Nachdem er 700 000 Francs verspielt, 
kürzte sich ein Seidenwaarenfabrikant aus 
Lyon von der Brücke bei Monte Carlo 
in die Tiefe. Er blieb zerschmettert liegen. 
„Hinter den Coulissen in Monte Carlo" 
betitelt Mr. I. I. Waller einen Aufsatz 
in der Weihnachtsnummer der „Pall Mall 
Magazine". Den Umsatz, der alle Jahre 
in den Spielsälen von Monte Carlo ge- 
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NicolllilsKilhsmMöÄer. 
47) Roman von B. Riedel-Ahrcns. 
Schließlich zündete sich Axel eine Zigarre 
an und warf wie von ungefähr die Be 
merkung hin: „Verkehrt denn Lilly Kronach 
bei Euch?" 
„Ja, sie war gestern da." 
„Was hältst Tu von ihr, Leonore?" ftagtc 
er nach längerer Pause. 
„Was ich von ihr halte? Uni ein bc- 
stimmtes Urtheil zu fällen, ist sie mir noch 
zu fremd; wie kommst Du darauf, Axel?" 
„Nun, ich meine nur so," entgegnete er, 
die Asche von seiner Cigarre streifend, nach 
denklich. „Ach, Du kannst es auch erfahren 
— wir trafen uns nämlich in Leipzig; man 
geräth manchmal halb wider Willen in eine 
Geschichte hinein — das Mädel thut mir 
leid; weißt Du, sie hat wirklich ein gutes 
jnei'3, ich bin überzeugt, ein Mann würde 
glücklich mit ihr werden." 
„Axel, Du willst sie doch nicht hei 
rathen?" entfuhr cs Leonore unwillkürlich, 
betroffen. Sie wünschte Lilly Kronach alles 
mögliche Gute, doch als Frau ihres ein 
zigen, geliebten Bruders hätte sie um alles 
nicht diejenige sehen mögen, welche von Eu 
gen so wegwerfend bei Seile geschoben war. 
„Ist Dir etwas Nachtheiligcs über sic 
bekannt?" 
„Nein, das nicht — aber . . . ." 
„Du möchtest sie nicht zur Schwägerin 
haben — wie? — Nun, so rasch geht es 
auch nicht ; über die Zeit der Jugmd- 
ksclcieii bin ich mit meinen dreißig Jahren 
hinaus, von meiner zukünftigen Frau ver 
lange ich, wenn sie auch sonst keinen 
Pfennig besitzt, zum wenigsten eine tadel 
lose Vergangenheit, und so lieb und werth 
wie mir Lilly, offen gestanden, ist — da 
rükr könnte ich, glaube ich, nicht hinweg 
kommen. 
„Ich kann Dir darüber keine Ausktmft 
geben, Axel, bin übrigens froh, daß Du 
die Sache so ruhig nimmst; prüfe sie gründ 
lich, ehe Du Dich entschließest, und prüfe 
Dich auch selbst — der Schritt ist so 
viel, viel ernster und folgenschwerer, als 
man denkt." 
Er merkte, Leonore wollte nicht ganz 
mit der Sprache heraus — und Axel war 
zu feinfühlend, um weiter in sic zu dringen; 
so blieb ihm denn, wollte er der Angelcgm- 
legenhcit auf den Grund kommen, nichts 
übrig, als gelegentlich Eugen selbst zu fra- 
gen — stand er doch auf einem Fuße mit 
demSchwager, der nahe an Freundschaft 
stretfte. Eugen hatte auf der Hochzeitsreise 
BteB in Prag mit Axel verlebt, und 
solchen Geschmack an ihm gefunden, daß er 
häufig gegen die junge Frau geäußert: 
„Ein famoser Kerl, Dein Bruder — ein 
ganz brillanter Bursche." Er erschien ihm 
von der ganzen „Haraldsholmcr Sippe" der 
einzig „Genießbare". 
Als Axel einen Geschäftsgang unter 
nommen hatte, und Eugen sich endlich miß 
gestimmt infolge seiner dumpfen Kvpf- 
chmerzm im Salon blicken ließ, kam Leo- 
norc von den besten Absichten erfüllt, ans 
ihn zu. „Axel ist da, Eugen — sei wieder 
gut; laß die bösen Worte von gestern 
zwischen nns vergessen sein, damit mein 
Bruder nicht den Zwist bemerke— willst Du ?" 
„Axel soll mir willkommen sein — wenn 
Du mich jedoch für so charakterlos halst, 
ohne weiteres eine derartige Auslassung zu 
übergehen, so irrst Du Dich," antwortete er 
äußerlich kalt. „Danke es Lilly, daß ihre 
Gegenwart Dir das ersparte, was auf den 
Ausdruck: feige und verächtlich gehörte: 
eine Ohrfeige gehörte darauf." 
„Engen!" Wie ein Schrei, als habe ein 
Schlag ins Gesicht sie getroffen, kam das 
Wort von ihren Lippen. „Nimm das zu 
rück, Du besitzest nicht das Recht, solche 
Sprache gegen mich zu führen!" 
Ich zurücknehmen? Ha, Da kennst Du 
mich schlecht, Du bist cbm viel zu uner 
fahren und beschränkt, um zu wissen, wie 
ein Mann meiner Art behandelt werden 
muß, und Deine Unwissenheit in Hinsicht 
dieses Punktes wäre Mitleid erregend, müßte 
man sie für mich und mein häusliches Be 
hagen nicht sogar dcprimircnd nennen." 
Mit solchen verblüffenden Bemerkungen 
türzte er dann Leonore von neuem in ein 
Chaos marternder Zweifel und Befürchtun 
gen. Hatte er recht? War sie vielleicht 
doch der schuldige Theil? Eugen aber pfiff 
einen Gassenhauer, ließ sein Pferd satteln 
und unternahm einen Spazierritt in den 
Thiergarten. 
Allmählich stahl sich aus diese Weise eine 
heimliche Angst vor dem Galten in Leo- 
norms Herz, sic begann die immer derbe 
ren Ausschreitungen ihr gegenüber zu fürch 
ten — er hatte - sich in' die Rolle eines 
Haustyrannm, vor dem alles zittert, hinein 
gelebt; um seinen Unwillen nicht zu reizen, 
hielt sic es für ihre Pflicht, sich allen An- 
ordcrungcn zu fügen, ihn aber stachelte 
'olchc Nachgiebigkeit zu stets erweiterter 
Ausdehnung seiner Herrschergelüste an, so 
daß Leonore auf dem Wege war, ein gänz 
lich willenloses Werkzeug seiner Laune zu 
werden; eine Schwäche, die wiederuni den 
Rest seiner Leidenschaft beeinträchtigte, und 
um so mehr, da er ihrer Hingebung und 
Liebe sicher war, sobald es ihm einfiel, die 
Versöhnung zu suchen. 
11. 
Ein Tagewerk der Sonne. Geht sic zur 
Ruhe? Nie. Wie gleicht der ewigen Liebe,die nicht 
schläft, scheidet sie nur, um den Schlummer 
der müden Menschenkinder nicht zu stören. 
Ihr Antlitz leuchtet in ewigem Strahle 
Millionen anderer Welten voll segmspmdmder 
Kraft, und was für Wunder mag sie dort 
in's Leben rufen? 
Ganze Ströme heißen, goldenen Lichtes 
senden sie auf die in rothbräunlichm Blätter- 
chmuck prangende Haide. 
Am Fenster seines Arbeitszimmers steht 
Waldemar Berg und spät hinaus nach der 
Richtung von Haraldsholm, ob Rahcl nicht 
dort sichtbar werde; die Beiden haben seit 
Leonorms Heirath ein freundschaftliches 
Bündniß geschlossen — sie fühlt Theilnahme 
für dm Verschmähten, ihn zieht es zu der 
Schwester der einst Geliebten. Rahel, die 
öfter zu Frau Berg gegangen, hatte bemerkt, 
mit welchem Interesse, obgleich schweigend, 
er zuhörte, wenn sie von Leonore erzählte. 
Nun trat er seine Fericnrcisc an, die ihn 
diesmal nach dem Süden führen sollte — 
über Berlin. Rahel wußte aber auch, daß' 
er nicht wagen würde, wie sehr es ihn auch 
trieb, die Schwester aufzusuchen und, ihm einen 
Vorwand zu verschaffen, hatte sie ihn gebeten, 
ihr einen Brief zu überbringen, ini Falle 
Neigung oder Zufall ihn nach der Wilhelm 
straße führen sollte. 
Seltsames Phänomen; von allen Tages 
stunden ist es die Mittagszeit, wo die Sonne 
fast senkrecht auf die Haide hernieder brennt, 
welche ihn die trostloseste dünkt, zu keiner 
anderen Zeit empfindet er so schneidend die 
Leere seines gegenwärtigen Lebens, dm 
brennenden Durst nach dem verlorenen Glück. 
Diese blendende Lichtfülle, die mitleidslos 
alle Flecken und Falten preisgiebt, läßt ihn 
krasser noch den Schmerz der trauerumflorten 
Seele empfinden. Die Menschen sprechen 
von dm zum Verbrechen treibenden schauer 
lichen Stunden der einsamen Nacht — fürchter 
licher aber als jene, wo doch die Nähe 
Gottes aus dm tröstenden Sternen leuchtet, 
ist Waldemar Berg die öde Mittagszeit, wo 
der Schrei des bedrängten Herzens ersticken 
muß, und es scheint, als habe Gott dm 
Menschen verlassen. — Jetzt taucht Rahel 
unter dem hellen Sonnenschirm auf, sie weist, 
die Abreise ist auf dm heutigen Nachmittag 
rstgesetzt; Waldemar geht ihr bis zur Gartcn- 
ffortc entgegen. 
„Wie gut Sie sind, Fräulein Rahcl, dm 
weiten Weg im Sonnenbrand zu unternehmen." 
Rahcl meint, sie hätte ihre Stunden zu 
geben und müsse so wie so ins Dorf. 
„Ich habe auch einen Gruß an Sie zu 
bestellen," äußerte er nach kurzem Austausch. 
„Von wem?" 
„Von dem Baron von Ravens." 
Statt einer Entgegnung zog sie wie ge 
wöhnlich, sobald sein Name genannt wurde, 
die Braum finster zusammen. 
„Was haben Sie nur gegen den Baron, 
Fräulein Rahel? Er ist wirklich, was ich 
Äther nicht gedacht hätte, ein ausgezeichneter 
Mensch, und die Freundschaft, die uns jetzt 
verbindet, ruht meinerseits auf unbegrenzter
	        
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