Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

Gleichgewicht erhalten bleiben. Der Fall 
Delbrück, der Fall Jastrow, der Fall Förster 
— wenn das so weiter geht, schreibt der 
H so ist zu besürchten, daß das 
politische Interesse in weiten Kreisen auf. 
geht in der Besprechung dieser „Falle 
und das Kopsschütteln allgemein wird. 
Schon jetzt wird in Privatgesprächen dee 
Ansicht, diese „Falle" sollten alle einem 
und demselben Zwecke dienen, nämlich alle 
unbequemen „Scribenten" zur Ruhe zu 
verweisen, unbedenklich als zutreffend an 
erkannt Wer daran noch etwa zweifeln 
sollte der braucht nur die gestrige, be- 
kanntlich sreikonservative „Post" zu lesen, 
die zwar in der Frage der Behandlung 
der Sozialdemokratie die Ansichten, d,e 
Professor Delbrück in den „Preußischen 
Jahrbüchern" entwickelt hat, auf das schärsste 
zurückweist, aber das gegen ihn eingeleitete 
Strafverfahren als eine Schädigung des 
ohnehin so schwierigen Sammelns der 
staatserhaltenden Kräfte und die Strafver- 
folgung klipp und klar als einen politi 
schen Fehler bezeichnet. Spricht doch auch 
die „Post" die Meinung aus, in diesem 
Vorgehen sei der Versuch zu erblicken, der 
Kritik engere Schranken zu ziehen, d. h. 
also, die Ablehnung der Umsturzvorlage 
auf dem Verwaltungswege wett zu machen. 
Ein häßlicher Auftritt ist auf ein 
Berliner Friedhof bei der Beerdigung 
eines Zinimermanns vorgekommen. Die 
Frau des Verstorbenen war vor vier Jahren 
mit ihrem Liebhaber, einem Bauarbeiter, 
nach Amerika dur ch g e g ang en und Beide 
kehrten vor 6 Monaten nach hier zuruck. 
Von Seiten des Mannes wurde nun sofort 
die Ehescheidungsklage gegen die in 
Berlin lebende Ehebrecherin eingeleitet, doch 
starb der Gatte, bevor die Angelegenheit 
gerichtlich ausgetragen war. Als Frau 
B, die sich bereits alle Papiere verschafft 
hatte, um das Stcrbekassengeld zu erheben, 
nun am Sonntag > Nachmittag in Be« 
gleitung ihres Liebhabers zur Be> 
erdigung erschien, erregte dies die Wuth 
der anwesenden Kollegen und Freunde des 
Verstorbenen derartig, daß sie, nach der 
Ansprache des Predigers, als die Frau 
einen Kranz niederlegen wollte, derselben den 
Kranz über den Kopf stülpten und sie in das 
offene Grab zu stürzen versuchten. Dann wurde 
der Frau die Trauerkleidung vom Leibe 
gerissen und sie selbst lfurchtbar mißhandelt. 
Schließlich flüchtete die Frau in den Wagen 
des Geistlichen und auch hier wurde sie 
von der empörten Menge bedroht. Nicht 
viel besser kam der Liebhaber fort; er 
wurde zu seiner Sicherheit in den Leichen- 
fetter eingeschlossen. Schließlich traf 
eine Anzahl Gendarme und Polizeidiener 
auf dem Friedhofe ein, die acht Verhaftun- 
gen vornahmen. 
Tiefenort, 14. Nov. Eine wunderbare 
Rettung ist bei folgendem Vorfall in un- 
serem Kalibergwerke zu verzeichnen: Zum 
Zwecke der Anlegung eines neuen Schachtes 
befanden sich noch zwei Bergleute in der 
Tiefe, denen das Einstecken und Anzünden 
von 10 Patronen oblag. Sieben derselben 
befanden sich bereits in ihren Löchern, als 
die Zeit drängte, und die beiden Drittel 
führer auffuhren, ohne die drei letzten 
Patronen eingesteckt zu haben. Kaum be> 
fand sich jedoch der Förderkorb etwa einen 
Meter über der Sohle, als der erste Schuß 
sich schon donnernd löste. Die Felsstücke 
verletzten beide Bergleute. Während einer 
von ihnen wieder aus dem Korbe geschleu 
dert wurde, konnte der andere die Auffahrt 
glücklich fortsetzen. Der in der Tiefe in 
furchtbarster Lebensgefahr Schwebende ver- 
suchte nun, durch Klettern von der grausigen 
Stelle zu entfliehen, wo die Patronen 
steckten, allein vergeblich! Jetzt krachte 
auch schon der zweite Schuß, wodurch der 
Verunglückte abermals verletzt wurde. 
Von oben her konnte so rasch keine Hilfe 
kommen, und so schien ihm der Tod gewiß. 
Die Lichter waren infolge der Detonation 
sofort erloschen. Doch ein Hoffnungsstrahl 
blieb ihm noch. Vielleicht, daß sein Leben 
erhalten, wenn es ihm gelang, im Schachte 
die Stelle aufzusuchen, wo die Wirkung 
der Explosionen am geringsten war. Mit 
bewundernswerther Kaltblütigkeit und 
Geistesgegenwart führte er den Gedanken 
auch glücklich aus, so daß er durch die 
übrigen Sprcngschüsse nicht mehr getroffen 
wurde. Als dann später die Kameraden in der 
Erwartung, den zerstückelten Leichnam zu 
Tage zu fördern, ihn antrafen, wer beschreibt 
da ihre Freude, als sie den Todtgeglaubten 
zwar verletzt, aber immerhin lebend an- 
trafen und in Sicherheit bringen konnten. 
Sagan, 15. Nov. Wie seiner Zeit be 
richtet wurde, hatte die Frau des Handels 
manns Bergheim ihrem Dienstmädchen 
Speck auf das Abendbrodt gelegt, der 
die Nacht zuvor aus dem kranken Hals 
ihres Mannes gelegen hatte. Wegen 
dieser ekelhaften Geschichte stand jetzt Termin 
vor dem Strafrichter an. Es wurde fest 
gestellt, daß der Speck schon ganz schwarz 
und schmierig, also schon lange Zeit^ be 
nutzt gewesen war! Der Kreisphysikus 
erklärte die Verwendung des Specks nicht 
allein als ekelerregend, sondern auch im 
höchsten Grade gesundheitswidrig, und der 
Staatsanwalt führte aus, vaß ihm, als 
er die Sache vernommen habe, der Appetit 
zum Mittagessen vergangen wäre, wie möge 
erst der armen Waise zu Muthe gewesen 
sein!? — Frau Bergheim kam mit drei 
Tagen Gefängniß davon. 
Rostock, 13. Nov. Heute Nachmittag 
verbreitete sich hier, so meldet die „Rost. 
Zeitung", das Gerücht von einer Ent 
setzen erregenden Blutthat, die sich 
in der Umgegend Rostocks ereignet haben 
sollte. Es handelt sich um einen Raub- 
iword, der in der verflossenen Nacht im 
Dorfe Buchholz (D.-A. Schwaan) verübt 
worden ist. Dort wurde heute Morgen 
der Schuhmachermeister Hildebrand mit 
durchschnittenem Halse in seiner Werkstatt 
todt ausgefunden. Die Schiebladen einer 
Commode, die dem Ermordeten gehörte, 
waren durchwühlt unk zum Theil ihres 
Inhalts beraubt. Der Verdacht der That 
lenkte sich auf den Schuhmachergesellen 
Friedrich Werk, der bei dem Ermordeten 
gearbeitet hatte und heute Morgen ver 
mißt wurde. Wie sich ergab, hatte er 
sich heimlich entfernt. 
Krakow in Mecklenburg, 13. Nov. Eine 
hier kürzlich verstorbene alte Dame hatte 
ihren Nachlaß der Kirche ver- 
macht, und dies war dem Ortspfarrer, 
dem die Verfügung über den Nachlaß zu 
gesprochen war, bekannt. Die alte Dame 
wurde nun, da sie sich dem Trünke er 
geben und trotz Verwarnung nicht davon 
abgelassen hatte, ohne kirchliche 
Ehren bestattet. Aus diesem G runde 
hat die Kirchenvertretung die Erbschaft 
von ca. 800 Mk. ausgeschlagen. Ein nach 
dieser alten Dame verstorbener hiesiger 
Bürger ist aus demselben Grunde ohne 
kirchliches Geleit beerdigt worden. 
Harburg, 14. Nov. Ohne jegliche Ur 
sache überfallen und geschlagen wurde 
gestern Mittag ein hiesiger Lehrer, der 
sich von der Schule kommend auf dem 
Nachhausewege befand. Ein etwa SOjähriger 
Bursche, Namens Peters, der sich schon 
einige Zeit vorher in der Nähe des Schul 
hauses, um den Schulschluß abzuwarten, 
aufgehalten hatte, trat plötzlich an den 
Lehrer, der sich in der Gesellschaft von 
drei Collegen befand, heran und schlug ihn 
mit dem Bemerken ins Gesicht, das sei 
dafür, daß er seinen Bruder gezüchtigt 
habe. Der betreffende Lehrer hat den 
Bruder überhaupt nicht körperlich gestraft. 
Zum Glück ist der als Raufbold bekannte 
Bursche erkannt worden; er dürfte einer 
empfindlichen Strafe sicher sein. 
# Hamburg, 12. Nov. Das gestrige 
erste Debut des Herrn v. Egidy hat 
nicht den von ihm gewünschten Erfolg zu 
verzeichnen gehabt, obgleich der große 
Tütge'sche Saal vollständig gefüllt war. 
Der Redner erging sich, wie gewöhnlich, in 
zu große Breite und enthält sein Programm 
lediglich verflüchtigende Sätze ohne den 
Hinweis auf ein klares Endziel. Vor 
allen Dingen ist ihm darum zu thun, 
die alten Grundsätze christlichen Glaubens 
zu beseitigen und dafür ein „großes einiges 
Christenthum" solcher Menschen herzustellen, 
die, nach seinen eignen Worten, „das Be 
dürfniß eines weihevollen Lebens in sich 
fühlen und den Glauben an .Gott und 
ein christliches d. h. das wirkliche Ideal 
im Herzen tragen". — Was dieser Satz 
bedeutet, erfährt man erst, wenn man dem 
Redner weiter folgt. Egidy will, „daß 
die Kirche aufhöre dem Volk Glaubeusätze 
aufzudrängen, die mit dem Zeitbewußtsein 
in Widerspruch ständen." Dann ist es 
besser, überhaupt nicht von Christenthum 
mehr zu sprechen, sondern einfach den An 
spruch zu erheben : Kehrt zum Heidenthum 
zurück. — Moral und Sitte fördert und 
bekennt Buddhismus undMohamedanismus, 
dazu braucht man überhaupt nicht Christ 
zu sein. Das Christenthum bekennt den 
welterlösenden Christus und damit einen 
festen Glaubensgrundsatz. Mit diesem 
Bekenntniß steht und fällt das Christen 
thum. Wer als Christ leben will, ge 
braucht garnicht die neuen Ideen Egidy's, 
im Gegentheil sind sie ihm höchst überflüssig. 
Das Bekenntniß mag auch bewußter Weise 
die Mehrzahl der Anwesenden erfüllt haben, 
denn die freie Aussprache wollte nicht recht 
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