Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Morgen-Depeschen. 
Kick, 14. Nov. Die Marincstatisn -er 
Ostsee macht bekannt, daß nach Mittheilung 
vcS Hafenkapitäns Piraly in Holtenau 
Ser K a i s c r W i ļ h e l M - C a n a l bis 
aus Weiteres nur von Schiffen bis zu 
7,3 Meter Tiefgang befahren werden kann. 
Berlin, 14. Nov. DasSlaatsministerium 
trat gestern Nachmittag unter dem Vorsitze 
des Fürsten zu Hohenlohe zu einer Sitzung 
zusammen. 
Berlin, 14. Nov. Kabinetschef von 
Lucanus übersandte im Aufträge des 
Kaisers dem Arbeitsausschuß der Berliner 
Gewerbeausstellung ein Schreiben des 
Inhalts, daß der Kaiser dem Gange der 
Vorarbeiten für die Ausstellung mit Inter« 
esse folge. 
Berlin, 14. Nov. Ein neues Opfer des 
Bauschwindels ist der 57jährige Maler 
meister Eduard Müller geworden. Der 
selbe hatte sich durch große Verluste, die 
er bei verschiedenen Bauten erlitt, ein 
Nervenleiden zugezogen. Gestern Nach 
mittag erhängte er sich in seiner Wohnung 
an der Schnur seines Schlasrockes. 
Berlin, 14. Nov. Im Münchener 
Brauhaus sind die Brauer gestern in den 
Streik eingetreten, nachdem es der 
Agitationskommission der Brauereiarbeiter 
nicht gelungen ist, die Beseitigung der 
vorhandenen Mißstände und Differenzen 
zu erzielen. Dem Vernehmen nach werden 
auch die Hülfsarbeiter der genannten 
Brauerei an die Direktion Forderungen 
stellen. Das Münchener Brauhaus ist 
diejenige Brauerei, die sich s. Z. während 
des Bierboykvtts sofort auf die Seite der 
Arbeiterpartei gestellt hat, was 
tmc durchaus nicht unbedeutende Ver 
mehrung ihres Absatzes mit sich brachte. 
Wer Andern eine Grube gräbt, fällt früher 
oder später selbst hinein! 
Berlin, 14. Nov. Die telegraphische 
Meldung, wonach der frühere Abgeordnete 
von Bockum-Dolffs einen Selbstmordversuch 
gemacht haben sollt, beruhte auf eine Ver- 
Wechslung mit dem Rittergutsbesitzer Ehren- 
amtmann Franz von Bockum-Dolffs in 
Sasiendors. Dieser, der sich am Donners 
tag voriger Woche in einem Wäldchen in 
der Nähe seines Gutes mittels eines 
Revolvers mehrere Schüsse beigebracht 
hatte, ist am Sonntag-Morgen seinen Ver 
letzungen erlegen. Der Verstorbene hatte 
vor Jahren ein Duell; seit jener Zeit 
war er hochgradig nervös. 
Berlin, 14. Nov. Für die Glas 
arbeiter in Carmaux hat der sozial 
demokratische Wahlverem für den 6. 
Reichstags > Wahlkreis 200 Mk. — be> 
willigt. 
München, 14. Nov. Die sozialdemo 
kratische „Münchener Post" meldet aus 
Berlin: Die Abänderung des preußischen 
Vereinsgesetzes nach dem Muster des 
bayrischen wird von der Regierung mit 
aller Energie betrieben. Eine diesbezüg 
tiefte Vorlage ist bereits in der Ausarbeitung 
und wird dem Landtage sofort nach seinem 
Wiederzusammentritt zugehen. Die Vor 
lage enthält das Verbot der Theilnahme 
von Frauen und Minderjährigen an 
politischen Versammlungen, sowie eine 
Aenderung der Begriffsbestimmungen po 
litischer Versammlungen und politischer 
Vereine. Das entsprechende Beurtheilungs 
niaterial ist vom bayrischen Minister des 
Innern erbeten worden. 
Konstantinopel, U4. Nov. In der Sonn 
tag - Nacht vorgenommene Verhaftungen 
betrafen die Urheber der jüngst verbreiteten 
aufrührerischen Plakate. Die Gerüchte von 
einer neuen Großvezierkrisis erhalten sich 
Gestern fand eine Konferenz der Botschafter 
statt. Es heißt, daß ein neuer Schritt 
derselben bevorstehe. 
Montreux, 13. Nov. Bei dem Neu 
bau eines Hotels in Glion oberhalb Mon 
treux brach das -Gerüst zusammen. Hier 
bei stürzten 6 Arbeiter aus einer Höhe 
von 15 Metern herab. Drei waren sofort 
todt, 2 find im Krankenhause gestorben. 
Der Zustand des Letzten ist bedenklich. 
London, 14. Nov. Kaiser Wilhelm 
wurde von dem hiesigen Verein der Civil- 
Jngenieure zum Ehrenmitgliede ernannt. 
Attflösrrrrg des Wiener 
Gememdeeaths. 
Wien, 12. Nov. Wie nicht anders er 
wartet werden konnte, erfolgte bei der 
heute stattgehabten Wahl des Ersten Bürger 
meisters von Wien die Wahl des Dr. 
Lueger, und zwar mit 92 Stimmen. 
45 Stimmzettel wurden leer abgegeben. 
Dr. Lueger erklärte, er nehme die Wahl 
an. Hierauf verkündete der Bezirkshaupt, 
mann v. Friebeis Stamens des Statthalters 
die Auflösung des Gemeinderaths. 
Wien, 13. Nov. Die Auflösung des 
Gemeinderaths rief, trotzdem sie vorauszu 
sehen war, unter der Bevölkerung großes 
Aufsehen hervor. Die Anhänger Lueger's 
vertreten war, in der Nähe des Rathhauses 
zahlreich angesammelt und demonstrirten 
vor dem Rathhause, dem Parlaments 
gebäude und der Burg. Es ertönten 
Hochrufe auf Lueger, Abzugsrufe auf 
Badern und Schmährufe gegen das 
Parlament. Die Burgwache, die unter 
Gewehr getreten war, mußte den Burghof 
von Antisemiten, die aus Lueger Hochs 
ausbrachten, räumen. Es wurden zahlreiche 
Verhaftungen vorgenommen. 
Abgeordneter Pattai war der erste Ge 
meinderath, der das Rathhaus verließ und 
der Menge, die von der Polizei zurückge 
drängt wurde, die Wahl Lneger's und die 
Auflösung des Gemeinderathes verkündete. 
Die Menge brach in wilde Rufe der Ent 
rüstung aus. Die Polizei schritt ein und 
nahm abermals zahlreiche Verhaftungen 
vor. Die kaiserliche Burg war rings von 
einem starken Cordon polizeilich zu Pferde 
und zu Fuß eingeschlossen, der Einlaß in 
die Burghöfe wurde nur einzelnen gestattet. 
Es herrscht die größte Ausregung in der 
ganzen Stadt, da die Kunde von der Auf 
lösung sich blitzschnell überall hin verbreitete. 
Wien, 13. Nov. Eine Menge von etwa 
500 Personen, unter denen sich auch der 
Antisemitische Gemeinderath Schneeweiß 
befand,, drang vom Ballplatz aus durch 
einen Seiteneingang in den inneren Burg 
hof ein unter den Rufen: „Hoch Lueger!" 
Die Burgwache trat sofort in's Gewehr. 
Zehn Mann Jäger wurden mit aufge 
pflanztem Bajonett der Menge entgegen 
geschickt und drängten dieselbe wieder aus 
dem Burghof hinaus. Auf der Ring 
straße vor der Burg herrschte stürmische 
Bewegung in der Menschenmenge, doch ist 
auch viel neugieriges Publikum darunter. 
Wien, 13. Nov. Man ist auf die Ver- 
Hängung des Ausnahmezustandes gefaßt. 
Mrrslênd. 
Aufferenropäische Gebiete. 
Nach einer Depesche aus Granada 
(Mexiko) ist dort eine große S ch u l e ab 
gebrannt. In dem Gebäude befanden 
sich 150 Schüler, von denen viele nm- 
gekommen sind. Bis jetzt sind 31 
Leichen, darunter ein .Lehrer, geborgen. 
Es wird Brandstiftung vermuthet. Zwei 
Knaben, die von ihrem Lehrer Bestrafun 
gen erlitten hatten, sind verhaftet worden. 
Frankreich. 
Paris, 13. Nov. Das Ministerium 
hatten sich, obgleich die Polizei sehr starkIBourgeois sucht die gute Laune der 
Sozialisten, aus deren Unterstützung es in 
seiner schwierigen Position unbedingt an 
gewiesen ist, durch die weitgehendsten Con 
cessionen an die Streikenden in Car 
mau x zu erhalten. Das Ministerium 
spendete, wie verlautet, aus dem Dispo 
sitionsfonds 80 000 Fr. zur Gründung 
einer von Arbeitern zu leitenden 
Glasfabrik in Carmaux. Deren Zu 
standekommen ist gesichert, weil die Re 
gierung gestattet, alle von den französischen 
sozialistischen Gemeinderäthen unter dem 
Decktitel der Unterstützungen hilfsbedürftiger 
Familien bewilligten Summen dem Fabrik-' 
Unternehmern zuzuführen. 
In einer der berüchtigten Verbrecher 
höhlen zu Paris, in welchen für gewöhn 
lich das lichtscheue Gesindel Unterschlupf 
findet, kam es zwischen neun Verbrechern 
zu einem erbitterten Kampfe, der damit 
endigte, daß zwei von den übrigen sieben 
in buchstäblichem L-inne des Wortes niit 
Messern zerfleischt und zerhackt wurden 
Es ist leider der Polizei noch nicht ge 
lungen, die Mörder zu ergreifen. 
Serbien. 
Aus Belgrad erfährt der „Lokal>Anz.": 
In Vilajet Bijoglia (Macedonien) treten 
die fanatisirten mohammedanischen Alba 
nesen jetzt so drohend gegen die 
christlichen Dörfer auf, daß diese 
zu ihrem Schutze stark mit Gendarmerie 
besetzt werden mußten. Durch diese unent 
geltliche Einquartierung ist der Bevölkerung 
wieder eine große Last auferlegt worden. 
Norwegen. 
Zur Beilegung des schwedisch- nor 
wegischen Confliktes wird, wie man 
ans Christiania schreibt, eine Commission er 
nannt, die zu gleichen Theilen aus Norwegen 
und Schweden bestehen und schon im 
nächsten Monat zur ersten Tagung zu 
sammentreten soll. Es werden zwei Vor 
sitzende gewählt, ein Schwede und ein 
Norweger, die abwechselnd präsidiren, und 
die Unionskommission wird ebenso auch 
abwechselnd in Stockholm und Christiania 
tagen. 
JZàņd. 
— Zu der gestrigen Nachricht über die 
v. Wächter'sche Versammlung wird noch 
berichtet: Als s ond erbarer Sch wärm er 
stellt sich der ehemalige socialdemokratische 
Reichstagskandidat v. Wächter in der 
von etwa 2000 Personen besuchten Ver 
sammlung in Berlin heraus. Alle „Hun 
gernden, Frierenden und Arbeitslosen" 
waren eingeladen und die Verabreichung 
von Gratiskaffee und Schrippen in Aus 
sicht gestellt. Es wurde auch zu Beginn 
der Versammlung unter großem Gedränge 
Kaffee ausgeschenkt und mit Schrippen 
Fangball gespielt. Unter betäubendem Lärm 
kam die Bildung eines von Socialdemokraten 
besetzten Bureaus zu Stande. In seinem 
Bortrag legte v. Wächter zuerst ein 
Sündenbekenntniß ab; er habe eine sittliche 
Verirrung, die ihn zum Austritt aus der 
socialdemokratischen Partei veranlaßt hatte, 
gebüßt und wollte wieder öffentlich wirken. 
Redner sieht seine künftige Aufgabe darin, 
die Socialdemokratie davon zu überzeugen, 
daß das erhoffte Bruderreich sich nur aus 
dem „wahren" Christenthum (natürlich nach 
v. Wächter -v. Egidy 'schein Recept 
nicht nach den Lehren Jesu Christi) aus 
bauen taffe. — Die Diskussion wurde sehr 
stürmisch, Socialdemokraten, Spiritisten, 
Anhänger Egidy's u. a. vertraten und 
bekämpften alles Mögliche, unzählige Re- 
solutionen wurden eingebracht und wieder 
fallen gelassen, bis schließlich eine social 
demokratische Resolution mit einem Miß- 
trauensvotum gegen den Referenten 
zu Annahme gelangt. 
Berlin, 13. Nov. Zum Nachfolger 
Herrn von Kiderlen's, des preußischen 
Gesandten bei den Hansestädten, ist der 
bisherige Gesandte in Teheran, Graf von 
Wallwitz, designirt. 
Berlin, 12. Nov. Wegen Majestäts 
beleidigung ist gegen den Herausgeber 
des „Antisemitischen Generalanzeigers", 
Sedlatzek, ein Strafverfahren eingeleitet 
worden. In einem Artikel über das 
fünfhundertjährige Hohenzollernjubiläum 
wird allerlei von geheimen Oberen des 
jüdischen Weltbundes gefabelt, die durch 
auffälliges Eintreten für gewisse Neigungen 
des Kaisers Ausnahmegesetze gegen das 
Judenthum zu verhindern wüßten. 
— Ueber die zweijährigeDienstzeit 
äußerte sich im Finanzausschuß der bayeri 
schen Abgeordnetenkammer auf die Anfrage 
des Referenten Abg. Wagner der Kriegs 
minister Frhr v. Asch dahin, daß die Er 
fahrungen darüber noch nicht abgeschlossen 
seien. Die Bedenken dagegen entsprangen 
aus disciplinären Erwägungen, man glaubte 
mit zwei Jahren nicht auszukommen. 
Soweit es sich jetzt überblicken läßt, sind 
ungünstige Erfahrungen nicht ge 
macht. Für die Ausbildung des Mannes 
genügen die zwei Jahre, ob die Ausbildung 
kers seit 3^ 
PcolllllsKichsm's Wftr. 
35) Roman von B. Riedel-Ahrens. 
Etwa eine Stunde vor ihrer Ankunft 
auf der Ravensburg war Lilly nach Ju 
liens Schlafzimmer gerufen worden, wo 
diese die Schwester mit unheilverkündender 
Miene empfing; den ganzen gestrigen Tag 
hatte Julie unter so heftigen Kopfschmerzen 
gelitten, daß selbst die Nächstliegenden Inter 
essen unangerührt bleiben mußten. 
„Nette Geschichten das! Und gerade Dir 
vor der Nase darf so etwas Passieren, 
ohne das Du cs der Mühe werth hältst, 
mich davon zu benachrichtigen!" 
' „ Aber was ist denn nur wieder los?" 
fragte Lilly gedehnt. „Du beginnst j" den 
Tag in recht vielversprechender Laune." 
„Was los ist?" wiederholte Julie, 
während ihre Nase noch spitzer wurde und 
das Gesicht eine grünlichfahle Färbung 
annahm, ^ „nichts weiter, als das sic vor 
gestern abend eine halbe Stunde sich im 
blauen Salon natürlich über höchst inter 
essante w-mgc unterhalten haben, und er 
meine kostbare Magnolie, die mir Doktor 
Schramm schenkte — abgerissen, und — 
der Pfarrerstochter von Taubcnheim — 
wollte sagen von Haraldsholm", verbesserte 
sich Julie mit boshaft frivolem Gesichts 
zucken — „überreicht hat! Meine schöne 
Magnolie der — der Männcrfängcrin!" 
zischte sie, vor Aerger sprühend, hervor. 
„Mein Gott, woher weißt Du denn 
das von der armseligen Blume?" 
„Das kann Dir egal sein, genug, daß 
ich es weiß," gab Julie schroff zur Ant 
wort. Sie schämte sich doch, der Schwester 
ìn gestehen, sich in Minna eine Spionin 
erzogen zu haben, welche ihr Bericht über 
'Albrechts Thun und Lassen bringen mußte. 
„Wenn Du noch immer meinst, cs könne 
von einem Einverstandniß der beiden keine 
-liebe sein, wirst Du nach diesem wohl 
überzeugt sein müssen, wie ich es bin: — 
Ci- liebt die Person, ich lab's ja ans 
seinem Munde — und sie, — ich kenne 
die Madels von heutzutage besser — sic 
läßt sich's gefallen! Doch so wahr ich 
Julie v. Ravens heiße," setzte sie, mit der 
Faust bekräftigend v.sr ihre Brust schlagend, 
hinzu, „das nimmt kein gutes Ende." 
„Ach, cs ist ja nicht wahr," sagte Lilly 
wüthend, „wie kann man nur so vernagelt 
sein! Ein bißchen verdreht ist sie wohl, 
was Du aber schwatzest, ist der reine Unfinn." 
Julie zog in häßlichem Lachen die Lippen 
von dem falschem Gebiß. „Ich weiß, was 
ich weiß, und ich habe nicht umsonst sol 
chen Haß aus das Geschöpf. Vitriol möchte 
ich ihr in das glatte Gesicht gießen, und 
zwar von unten herauf, um ihr das Ko 
kettieren Ş mit meinem Manne zu verleiden!" 
„Pfui, schämen solltest Du Dich," cnt- 
gcgnete Lilly, indem sie der Schwester an 
geekelt dm Rücken kehrte. „Weiß Gott, 
währest Du nicht krank, es könnte einen die 
Lust anwandeln, Dich zu ohrfeigen." 
„Sinn werde auch Du noch schlecht mit 
mir," stöhnte Julie. „Ach Lilly — liebte 
ich ihn nicht so wahnsinnig, mir wäre 
alles gleich, aber zuzusehen, wie er in 
eine andere vernarrt ist, das bringt mich 
ganz außer mir, das ertrage ich nicht!" — 
„Weißt Du, Albrecht, was ich fürchte?" 
sagte Lilly gleich darauf zu ihrem Schwager, 
--.ich, fürchte, mit Jufie ist es nicht ganz 
richtig, sie phantasiert oder wird verrückt." 
Ş „Du kannst recht haben, Lilly," cr-Imädchcnhafte Knospe von dem Hauche solcher 
widerte Albrecht nachdenklich, „ihre Ge-1 Leidenschaft berühren zu lassen, welche die 
müthsverfassilng befindet sich allerdings insWelt eine strafwürdige nannte; cs durfte 
einem für die Unrgebung bis zur Üncr- 
träglichkeit gesteigerten Zustande; ich selbst 
bin nahe daran, verrückt zu werden." 
Armer Kerl," äußerte -Lilly mit gut 
müthiger Vertraulichkeit, „Julie ist meine 
Schwester, doch ich kann nicht anders, als 
Dir zugeben, so wie sic jetzt ist, ist sic ein 
schauderhaftes Kreuz für Dich. Ach, wer 
kommt denn da," fügte sie hinzu, ans 
Fenster eilend, uni genauer -hinzusehen, 
„eine junge Dame —Fräulein Erichsen." 
Nachdem Albrecht sich überzeugt hatte, 
daß sie es wirklich sei, ging er hinunter, 
um Rahel schon in der Halle zu begrüßen; 
doch ihres Entschlusses eingedenk, erwiderte 
sie sein zuvorkommendes Benehmen, das so 
deutlich die Anzeichen freudiger Ueberraschung 
zeigte, mit kalter Zurückhaltung. 
Er spürte cs; der Anblick Rahels führte 
ihm jedesmal noch lebendiger die Trost 
losigkeit seines Lebens vor Augen — in 
verkörpertem Bilde stand sie vor seinem 
Geist als das Ideal dessen, was er hätte 
erreichen können, und schmerzlicher noch 
empfand er das Elend der verhaßten Fesseln. 
Er war doch nur ein Mensch, ein Mann! 
Mußten denn durchaus diese beseligenden 
Gefühle erstickt werden, mußte er sein Herz 
immer wieder knechten? Er wagte zu hoffen, 
daß auch in Rahel eine Stimme für ihn 
spreche, daß in ihr — dem Weibe — der 
Funke glühe, den zur Flamme zn entfachen 
vielleicht in seiner Macht lag, dann würde 
sic leiden, wie er litt, ein unsichtbares süßes 
Band verknüpfte sie beide. Sollte er? 
Nein; es hieße schändlich handeln, die 
-nicht sein! — 
Tante Jutta und Leonore senden mich, 
Lim nach dem Befinden Ihrer Frau Ge 
mahlin zn fragen, Herr Baron." 
„Daraus soll ich wohl entnehmen, daß 
Sie unfreiwillig in Schloß Ravensburg er 
scheinen, Fräulein Rahel?" 
.Ich glaubte, Leonorens Bitte erfüllen zu 
müssen." 
„So, der Weg war also ein unangenehmer 
für Sie." 
„O nein," erwiderte sie, seine Aeußerung 
buchstäblich nehmend, „ich gehe gern den 
schönen Weg am Strande entlang." 
Da Lilly noch in einem nicht ganz sauberen 
Morgenkleide steckte, war sic fortgelaufen, um 
in passender Toilette zurückzukehren; Albrecht, 
welcher sie jedoch noch im Salon glaubte, 
der an das Zimmer seiner Frau stieß, führte 
sic dorthin. 
„Ich will mich nicht aufhalten," sagte sie 
beklommen, standhaft bemüht, seinen Blicken 
auszuweichen, „mein Auftrag ist bereits er 
ledigt, ich könnte gehen." 
„Mein Gott," äußerte er bestürzt, „habe 
ich denn irgend etwas begangen, daß Ihre» 
Unwillen in solchem Maße erregt — zürnen 
Sie mir, Rahel?" 
.Ich? Nein! Dazu ist kein Grund vor 
handen." 
Warum behandeln Sic mich denn heute 
mit solcher eisigen Kälte, da Sie doch wissen 
müssen, wie unendlich ein freundliches Wort 
von Ihnen mich beglückt; haben Sie, die so 
warm für die Blumen und Thiere empfindet, 
wirklich gar kein Mitleid mit einem Menschen, 
der so unsagbar elend ist?" 
Während er die letzten Worte sprach, 
hatten sich hinter ihnen — sic standen noch 
inmitten des Zimmers — die rolhcn Sammet- 
portieren geräuschlos auseinander gethan und 
in ihrem Rahmen erschien Julie, durch Minna 
sofort von Rahels Ankunft unterrichtet. 
Sic glitt unhörbar ans dem Teppich 
naher, musterte mit leicht geneigtem Kopfe 
die Beiden von oben bis unten, und dabei 
nahm ihr mageres Gesicht einen solchen 
Ausdruck vielsagenden Hohnes und gehässiger 
Wuth an, daß Rahel blaß wurde und ver 
wirrt grüßte. 
Die Damen von Haraldsholm sind so 
gütig, sich durch Fräulein Erichsen nach 
Deinem Befinden erkundigen zu lassen, Julie." 
„Wirklich?" fragte sie gedehnt, mit dem 
selben hohnvollen Ausdruck um die bläulichen, 
verzerrten Lippen. „Wirklich? Ich ver 
muthete, das Fräulein sei aus eigencui An 
triebe gekommen; wenigstens mußte ich das 
der äußerst inhaltvollen Unterredung nach, 
die niein Eintritt unterbrach, voraussetzen." 
„Es scheint mir," bemerkte Baron Albrecht 
betonend, „Du befindest Dich in einem Zu 
stande nervöser Gereiztheit, welche die absolute 
Ruhe Deines Zimniers erfordert." 
„Das käme Dir natürlich sehr gelegen," 
entgegnete Julie, während ihre dunklen Äugen 
Funken sprühten; „noch fühle ich mich in 
dessen wohl genug, um selbst zu bestimmen, 
wann ich der Ruhe bedarf und wann nicht." 
„Was meinen Sie, Frau Baronin, ich 
verstehe nicht," fragte Rahel starr. 
„Was ich meine?" wiederholte Julie 
bebend, und aus dem Anblick des reinen 
tod-blassen Mädchens neuen Haß saugend'
	        
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