Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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1895 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 11- Nov. In Bezug auf die 
in den letzten Tagen durch die Presse ge 
gangenen Mittheilungen über Verhand 
lungen, welche im preußischen Staats- 
Ministerium in Sachen der Militärstraf 
gerichtsverordnung stattgefunden haben 
sollen, wird der „Nat. Ztg." geschrieben, 
die Nachrichten hierüber könnten nur durch 
Indiskretion ihren Weg in die Oeffentlich- 
keir gefunden haben. Demgemäß hätten 
fie keinen Anspruch auf absolute Richtig 
keit. Nur das Eine dürfe als sicher an 
genommen werden, daß sich das Staats 
Ministerium thatsächlich mit dieser Ange- 
legenheit beschäftigt habe. In dem 
Schreiben heißt es weiter, was wohl die 
Indiskretionen bezweckten, die den Anlaß 
zu der gegenwärtigen Behandlung der 
! Frage betreffend die Militärstrafgerichts. 
Verordnung in der Tagespresse gegeben 
hätten. Sollten sie von Stellen ausgehen, 
welche die neue Militärgerichtsverordnung 
nicht zu Stande kommen lassen möchten ? 
Man solle doch nicht vorzeitig Dinge in 
die Oeffentlichkcit bringen, zu denen erst 
dann Stellung genommen werden könne 
wenn sie völlig ausgereist seien. Andern 
falls liege die Gefahr vor, daß die Sache 
unnöthig aufgehalten werde. 
Berlin, 11. Nov. Bei den heutigen 
15 Ergänzungswahlen der 2. Abtheilung 
zur T t a d t v er o r d n et e n > B e r s a m m - 
lung sind sämmtliche liberalen Kandidaten 
gegen kleine Minderheiten gewählt worden. 
Berliu, 11. Nov. Unter pockenähnlichen 
Erscheinungen sind im städtischen Krcmken- 
Hause am Friedrichshain abermals zwei 
Personen erkrankt, und zwar zwei Kandi 
daten der Medizin, die zu ihrer Ans- 
j dildung im Krankenhause beschäftigt waren. 
1 Ob es sich wirklich um schwarze Pocken 
I handelt, ist noch nicht festgestellt. Im 
' Ganzen sind bis jetzt neun Personen er 
krankt. 
Posen, 11. Nov. Der „Posener Ztg." 
zufolge wird der Landrath des Kreises 
Plessen, Herr von Ro«ll, der Nachfolger 
von Hammerstein's in der Chefrcdaetion 
der „Kreuzzeitung". Herr von Roöl war 
früher Landrathsamts-Berwcser des Mese- 
ritzer Kreises. 
Ottensen, 10. Nov. Ein heftiges Feuer 
zerstörte gestern die Maschinenfabrik von 
: Dietz und die Dachpappen- und Thcerfabrik 
von Steinte & Co. Beide Fabriken wurden 
bis aus die Grundmauern zerstört. Der 
' Schaden ist bedeutend. 
Danzig, 11. Nov. Der Abgeordnete 
Rickert ist anläßlich seines 25jährigen 
Abgeordneten'Jubiläums zum Ehrenbürger 
der Stadt ernannt worden. 
Darmstadt, 11. Nov. Der mit seiner 
Frau im Ehescheidungsprozeß stehende 
Landwirth Busch er aus Eich drang 
gestern Abend in die Wohnung seiner 
Schwiegermutter, der Wachmeisterswittwe 
Eyerdamm, ein und tödtete sie durch einen 
Schuß in den Kops. Ans seine fliehende 
Frau schoß er, ohne zu treffen. Bei der 
Station Bessungen ließ der Verbrecher 
sich durch einen Eisenbahnzug überfahren. 
Mainz, 11. Nov. Gestern Nachmittag 
stürzte gegen 2 Uhr in der Feldberg, 
straße ein nahezu vollendeter Neubau 
ein. Die bei dem Neubau beschäftigten 
Arbeiter konnten sich bis auf einen Dach 
decker noch rechtzeitig retten. Dieser liegt 
unter den Trümmern begraben. 
Bonn, 1l. Nov. Von der hiesigen 
Strafkammer wurde der Dr. med. Sch. 
wegen Beleidigung des Landesdirektors der 
Rheinprovinz und dessen Bruders, des 
Landgerichts-Präsidenten Klein zu sechs 
Wochen Gefängniß verurtheilt. Der An 
geschuldigte hatte aus Anlaß des Alexianer- 
Prozesies unfläthige Briefe an den Landes 
direktor geschrieben, worin er denselben der 
Pflichtverletzung und Heuchelei beschuldigte. 
Budapest, 11. Nov. Wie aus Martoii- 
falda berichtet wird, haben daselbst ver- 
uiummte Räuber das Gemeindehaus über 
fallen, den Ortsvorsteher, den Gemeinde- 
kassirer und deren Frauen mißhandelt und 
geknebelt, die Gemeindekasse gesprengt 
und das ganze Geld geraubt. Die Räuber 
sind entkommen. 
Wien, 11. Nov. Der hiesige Professor 
für klassische Philosophie, Privatdozent an 
der Universität, Dr. Schmeckler, erkrankte 
plötzlich an Versvlgu ngswahnsinn; 
er wurde unter ärztlicher Beobachtung 
gestellt. 
Muslmà 
Atttzerenropäische Gebiete. 
China. Ein Aufstand der chinesischen 
Mohammedaner macht Fortschritte. 
Die Stadt Lantscheu, die Residenz der 
Provinz Kansn (Nordchina), ist von den 
Insurgenten erobert worden. Die Insur 
genten schlagen überall die chinesi 
schen R e g i e r u n g s t r u p p e n; sie be 
absichtigen ein unabhängiges Königreich zu 
bilden. Aus Kaschgar und den anderen 
Provinzen sollen Truppen gegen die In- 
surgenten ausrücken. Die geheimen Ge 
sellschaften in Centralchina vereinigen sich 
mit den Mohammedanern. 
Shanghai, 9. Nov. Der Mercury 
meldet den Ausbruch einer Meuterei unter 
den chinesischen Soldaten in Kiu-Kiang, 
welche sich weigern, die Waffen auszu- 
liefern, und ihren Vorgesetzten, die ihnen 
gegenüber machtlos sind, Trotz bieten. 
Die Lage ist bedenklich. Die Eingeborenen 
sind von einer Panik ergriffen, die wohl 
habenderen von ihnen verlassen die Stadl, 
die Ausländer haben sich bewaffnet und 
sind aufgefordert, für den Nothfall bereit 
zu sein. 
JtKlieu. 
Rom, 9. Nov. Ter Vesuv ist wieder 
in gefahrdrohender Thätigkeit. Die Lava 
ströme überschreiten die Fahrstraße von 
Torre del Greco, die nach Ercolani führt. 
Man ist der Ansicht, daß der neue Aus 
bruch mit dem Erdbeben, welches hier 
stattfand, in Verbindung zu bringen ist. 
Rom, 9. Nov. Eine fürchterliche 
Tragödie fand heute ihren Abschluß. 
Ein junger Sattlergehülfe Sabbatini be 
helligte gestern ein junges Mädchen auf 
der Straße mit obscönen Anträgen. Als 
der dazu kommende Bräutigam des Mäd- 
chens den frechen Burschen darob energisch 
zur Rede stellte, rieß dieser einen Dolch 
aus der Tasche und stach das Mädchen 
wie den jungen Mann nieder. Der 
Letztere starb eine Stunde später, während 
das am Unterleib schwerverletzte Mädchen 
noch niit dem Tode ringt. Der Mörder 
entfloh und konnte von der Polizei nicht 
aufgegriffen werden. Heute Mittag nun 
stürzte sich der von Reue ergriffene Mörder, 
ein zwanzigjähriger Bursche, von der 
Terrasse des Pincio herab und war ein 
paar Augenblicke darauf eine Leiche. 
Als vor einigen Tagen ein Fremder in 
Venedig sich damit unterhielt, die wohl 
bekannten Tauben des San Marco-Platzes 
zu füttern, fiel aus seinem Ringe ein 
werthvoller Diamant. Er bemerkte den 
Verlust und sah auch, wie eine der Tauben 
den Stein aufpickte. Als er die Taube 
greifen wollte und daraus losstürzte, flog 
der ganze Schwarm fort und mit dem 
selben sein werthvoller Stein, wohl auf 
Nimmerwiedersehen. 
Monaco. 
In Monte Carlo erhängte sich Frtc- 
d rich Haffts nach einem Spielverlust 
von vierzigtausend Francs. Der Leichnam 
wurde, wie üblich, in aller Heimlichkeit 
verscharrt. 
Spanien. 
Bilbao, 8. Nov. An einem Fenster der 
Herberge des Santa Isabel - Klosters in 
Gordiejuela explodirten zwei Dynamit- 
patronen. In dem Zimmer, zu welchem 
das Fenster gehört, wohnt der Capian des 
Klosters. Das Dynamit verursachte in dem 
Gebäude großen Schaden und veranlaßte 
einen Brand, der jedoch bald gelöscht wurde. 
Die Oberin des Klosters wurde, als sie 
die Detonation hörte, vom Schlage getroffen. 
Türkei. 
Konstantinopel, 9. Nov. Der neue 
Groß v ezier wird als ein Anhänger der 
großherrlichen Selbstregierung geschildert, 
aber ohne wirklich Widerstand zu zeigen, 
auch nicht gegen die Wünsche der Groß 
mächte. An der Börse spielten sich heute 
wieder erregte Scenen ab wegen der total 
falschen Liguidationskurse. 
ArņnļrctÄ. 
Paris, 9. Nov. Ministerpräsident 
Bourgeois empfing Abends in halb 
stündiger Audienz den Rath des Frei 
maurerordens. Die Begrüßung war 
säst demonstrativ herzlich. Das ganze 
Ministerium hat nur zwei Minister, die 
nicht Freimaurer sind. 
Paris, 9. Nov. Der Untersuchungsrichter 
Rempler wurde mir einer nenen Unter 
suchung der Südbahn-Affaire betraut. Seine 
Action wird nächste Woche beginnen, vier 
Verhaftungen sind in Aussicht genommen. 
Belgien. 
Eine unheimliche Entdeckung, 
der ein schweres Verbrechen zu Grunde 
liegt, wurde in dem Auctionssaal der 
Eisenbahnverwaltung des Ortes Cnreghcm 
(Belgien) wo in gewissen Zeiträumen die 
nicht bestellbaren Colli öffentlich versteigert 
werden. So sollte auch die Kiste 68 mit 
der Aufschrift „Inhalt Kleidungsstücke" 
geöffnet werden. Die Beamten fuhren 
jedoch entsetzt zurück, als sie den Deckel 
geöffnet hatten. Ein Frauen-Skelett, sowie 
der Leichnam eines etwa ein Jahr alten 
Kindes bot sich ihren entsetzten Blicken. 
Die gerichtliche Untersuchung der Sache 
ist eingeleitet. Durch diese wurde constatirt, 
daß vor Kurzen! eine Frau jene mysteriöse 
Kiste reclamirt, jedoch ivegen mangelnder 
Ausweisung nicht erhalten hatte — Nach 
einer späteren Meldung soll der Absender 
jener Kiste der Besitzer einer Jahrmarkts 
bude sein, welcher seither spurlos ver 
schwunden ist. 
Holland. 
Aus Rotterdam wird berichtet, daß die 
holländischen Staatsbahnen im Monat 
Dezember den Zonentarif einführen. 
Oefterreich-Ungarn. 
Graz, 9. Nov. Heute gelangte eine 
interessante Strafverhandlung zum Abschluß, 
welche die Führer der hiesigen antisemiti 
schen Gewerbepartei in wenig günstigem 
Lichte zeigte. Angeklagt waren der 
Gründer des antisemitischen „Extrablattes", 
Ferdinand v. Schoenhofer, und dessen 
Redakteur, Gemeinderath Feichtinger, auch 
„Grazer Lueger" genannt. Schoenhofer 
wurde wegen Bankerott zu vierzehn Tagen 
Arrest, .Feichlinger wegen Beamten 
beleidigung und Beleidigung einer jüdischen 
Tischgesellschaft zu 200 Gulden Geldstrafe 
eventuell zehn Tagen Haft verurtheilt. 
Eine Reis etasche mit 33 000 Frcs. 
und Schriften wurde in der Nacht zum 
Freitag einer Dame in dem von Zürich 
kommenden Schnellzug in Linz aus 
dem Wagen erster Klasse gestohlen, während 
die Beraubte im Schlafwaggon der Ruhe 
pflegte. Verdächtig sind zwei russische 
Damen, die, als der Diebstahl entdeckt 
wurde, das Kupee verließen. 
Dänemark. 
Unter den vielen kostbaren Geschenken, 
die die russische Kaiserin-Wittwe, wie ge 
wöhnlich, vor ihrer Abreise aus Kopen 
hagen an die Mitglieder der dänischen 
Königsfamilie vertheilt hatte, befindet sich 
auch ein besonders werthvoller Ring, den 
sie ihrem Vater, dem König Christian, 
schenkte. Dieser Ring hat eine inter 
essante Vorgeschichte. Bei dem Attentat, 
dem Alexander II. zum Opfer fiel, 
wurden ihni mehrere Finger seiner rechten 
Hand verstümmelt; nur der kleine Finger 
blieb unverletzt, und an diesem saß ein 
Diamantenring, der, als der Zar starb, 
vom Thronfolger abgenommen wurde. 
Alexander III. trug diesen Ring bis zu 
seinem Tode. An seinem Sterbelage löste 
die Kaiserin den Ring von seiner Hand 
und hat ihn seither selbst getragen, bis sie 
die werthvolle Reliquie jetzt ihrem Vater 
schenkte. Der Ring ist mit einem außer 
gewöhnlich großen Diamanten geschmückt. 
Jnlmrd. 
— Ueber das Bild des Kaisers, 
das er dem Kaiser von Rußland ge 
schenkt hat, bringt die „Nord. Allg. Ztg." 
McàiisMlMsWĢer. 
32) Roman von B. Riedel-Ahrcns. 
Am nächsten Morgen, dem Vcrlobungs- 
tage, befand sich Julie in allerunglücklichster 
Slimmung; nicht allein der Schmerz in der 
Brust nahm stetig zu, sondern auch jener 
immer tiefer nagende Zwiespalt, der sich da 
mals bald nach dem Wechsel der äußeren 
Lebensstellung in ihr festgenistet hatte; aus 
dir Region des Lasters und falschen Glanzes 
plötzlich in die reinere Luft als Albrechts 
Gattin versetzt, erkannte sic mehr und mehr, 
daß ihrem Wesen die Schlacken jener Zeit 
unaustilgbar anhafteteten, daß es nicht gelang, 
die häßlichen Flecken der Vergangenheit aus 
zulöschen und eine unüberbrückbare Kluft sie 
von dem Gatten trennte. Albrecht hatte sie 
zu sich erhoben, doch, sie gehörte trotzdem 
"'chi in seinen Kreis; einige Familien zogen 
sich gänzlich zurück, die übrigen Damen aber, 
wenn sic „urï, so gleißnerisch freundlich 
waren, kehrten in ihrem Benehmen gegen 
ouue einen Ton heraus, den sie nur für sie 
m Bereit; chaft hielten — nur eine Nuance, 
iebocf) 10 îchars markiert, daß kein schonungs 
loses Wertste hätte nachdrücklicher ausschließen 
können. Da klagte sic dann das Schicffal 
an, welches sie auf niedriger Stufe geboren 
sein ließ, und wurde voll Groll und Bitter 
keit, ohne auch sich selbst. einen Theil der 
Schuld beizumessen; und diese Unzufriedenheit 
schuf allmählich eine Verdunkelung in der 
verwahrlosten Frauensccle, die ihren Ausweg 
in wüsten Anfällen launenhafter Verstimmung 
kund gab. 
Ganz besonders aber traf ihre Abneigung 
alle Diejenigen, welche alle Vorzüge eines 
guten Muses, der Geburt und sorgfältiger 
Erziehung, die sie hatte entbehren müssen, 
genossen, und an deren Umgang Albrecht 
cfallen fand. Da loderte, verbunden mit 
scheelem Neide, sofort die brennende Eifersucht 
auf, welches aus Julie das meaärenhafte 
Zerrbild des Weibes schuf. 
Das war nun gegenwärtig ganz besonders 
der Fall; sie kannte das Interesse Albrechts 
für Nahet Erichsen, er hatte es ja, gereizt, 
in seiner harmlosen Weise offen gestanden. 
Jetzt hatte sie wenigstens eins durchgesetzt 
- sie wollte fort von hier — aus der Nähe 
des gefährlichen Geschöpfes, zurück nach Berlin; 
auch verursachte der ewige Nordwind unauf 
hörliche Erkältungen, und da Doktor Schlamm 
ihr schließlich auch noch beipflichtete, so blieb 
Albrecht nichts übrig, als die Vorbereitungen 
für die Reise, welche nach Ablauf einer 
Woche unternommen werden sollte, einzuleiten. 
Es kochte in ihm; gerade jetzt, wo ein lebender 
Lichtstrahl in seine Finsterniß gedrungen und 
er sich die Ravensburg mit ihrem ausgedehnten 
Landbesitz zu einem Felde frisch zu beginnen 
der Thätigkeit ansersehen hatte. 
Julie klingelte — die Zofe Minna er 
schien. Fräulein Lilly möge sofort zu ihr 
kommen. — 
„Morgen, Jnlchen, ich wollte so wie so 
eben zu Dir eindringen. Die Köchin ist 
außer Rand und Band und hat sich mit 
Minna geprügelt! Du hättest Befehl er 
lassen, vor elf nicht gestört zu werden, und 
noch hätte sie keine Ahnung davon, was 
heute abend zur Verlobungsfeier auf die 
Tafel sollte. Hahaha, die beiden wüthenden 
Frauenzimmer gingen wie ein Paar Kampf- 
Hähne aufeinander los — ich habe mich 
krank gelacht." 
„Während ich mich hier todt ärgere! 
Wie ist es Dir überhaupt möglich, so ver 
gnügt zu sein, bei Deinen Aussichten?! 
Engen heirathet Dir vor der Nase eine 
andere, obgleich Du stark auf ihn gerechnet 
hast; mir macht man ja doch nichts weiß. 
Was soll eigentlich aus Dir werden, 
Du bist siebenundzwanzig Jahre alt und 
kannst doch nicht ewig Verkäuferin spielen?" 
Lilly zuckte die runden Schultern. „Du 
lieber Gott, was nützt es, daß ich mich 
todt gräme, dafür giebt mir doch keiner 
was. Schlecht ist's ja von ihm — aber 
ein Versprechen hat er mir nie gegeben — 
im Gegentheil. Ich bin einmal so ein Pech 
vogel. Was mich jedoch jetzt zum Ber- 
rücktwerdcn ärgert, ist, daß ich den wunder 
hübschen Menschen, den Erichsen, so habe 
ablaufen lassen, das ist ja der Sohn des 
Pastors, Leonorens Bruder." 
Hier schlug sich Lilly mit der geballten 
Faust vor die Stirn. 
„Weißt Du, Jnlchen, der hätte angebissen, 
er war verliebt und ist dumm. Und ich bin 
so dumm und gebe ihn um Eugens willen 
auf! Aber ich treffe ihn schon noch wieder, 
er kommt öfter nach Berlin und dann 
halte ich ihn fest." 
„Ein Glück, daß Du endlich Vernunft 
annimmst; was für brillante Parthien hast 
Du verscherzt — da war der Kapellmeister 
Seidel " " 
„Der brillant? Nein, Jnlchen, der paßt 
mir nicht. Als anständiges Mädchen will 
ich einen ordentlichen Mann haben, und 
Du sollst sehen, ich werde eine brave Frau; 
das ist mein fester Vorsatz, und besonders, 
sollte cs mir gelingen, Axel Erichsen zu 
kriegen, wahrhaftig, dem Engel wollte ich 
eine musterhafte Gattin werden! Na, wer 
weiß. So wie Du, richte ich mir meine 
Ehe auf keinen Fall ein." 
„Ich! Einrichten! Als ob sich gegen 
mich alles verschworen hätte! Nun wieder 
diese dumme Verlobung — daS ist na 
türlich erst recht Wasser aus Albrechts 
Mühle, da kann er sich eine Güte thun in 
dem Anblick der Schönen, in die er sich 
vergafft hat." 
Lilly starrte ihre Schwester an, ungläu 
big erstaunt, und brach in ein ungezwun 
genes Lachen aus. 
„Weißt Du, Jnlchen — nimm mir's 
nicht übel, aber Deine Eifersucht ist schon 
nicht mehr schön; Du bist verrückt." 
„Danke." 
„Sag mal, chat er denn ein einziges 
Wort von Liebe mit ihr gewechselt, oder sie 
sonstwie ausgezeichnet? Doch nichts von 
alledem; ich begreife Dich nicht." 
„Weil Du dumm bist, Lilly; Du solltest 
wissen, daß die Männer vor den Frauen, 
welche sie lieben, noch eine andere Sprache 
haben als Worte — die liegt in der Art 
und Weise ihrer Huldigungen. Freilich, 
uns gegenüber," fügte sie höhnisch und er 
bittert hinzu, „giebt man sich nicht die 
Blühe solcher zarten Sprache, für uns giebt 
kaum Worte, die roh genug ihre Wünsche 
anssprcchm — ja, ich habe viel gelernt 
unter der vornehmen Sippschaft! Siehst 
Du. und mit solchen zarten Huldigungen 
umgirrt er das Täubchen aus dem Pfarr- 
hause." 
„Ach, dann laß ihn doch, Jnlchen. Ich 
nehme kein Blatt vor den Mund, und 
sage Dir deshalb: Du bist einfach gräßlich 
geworden seit einiger Zeit, und thust wahr 
haftig nicht viel, Albrecht das Leben zu 
erheitern. Er dauert mich oft furchtbar, und 
ich möchte nicht immer bei Euch bleiben — 
bloß um nicht mit ansehen zu müssen, wie 
Du ihn auälst." 
„So gehe doch, ich halte Dich nicht." 
„Natürlich gehe ich," erwiderte Lilly, die 
sich Juliens Unliebenswürdigkeit durchaus nicht 
zu Herzen nahm, lachend. „Mach' jetzt nur 
rasch, daß Du 'raus kommst und anordnest, 
es giebt heute viel zu thun! Ich werde auch 
helfen, es soll schon Alles klappen. Eigentlich 
widerstehts mir's ja, aber überlege ich die 
Sache recht, — ist Leonore Erichsen auch 
nicht zu beneiden -—- sie wird ihre Noth 
kriegen mit Baron Eugen — der ist noch 
lange nicht der Beste! Schon wie er seinen 
Burschen behandelt, hundsgemein, sag ich 
Dir, — wie ein Stück Vieh." 
„Und doch warst Du in ihn vernarrt." 
„Nun ja," entgegnete Lilly, die schalkhaften 
braunen Augen noch weiter öffnend, „was 
hat denn Liebe mit dem Charakter z» thun?" 
Der Abend verlief ohne besonderen Zwischen 
fall, die bewährte Köchin hatte ihre Sache 
schließlich zur vollen Zufriedenheit beserrst, 
der Hausmeister das Beste aus dem Krkcr 
geliefert; dennoch lag ein Druck auf Allen, 
der keine Fröhlichkeit aufkommen ließ; bei 
einem Toaste, den Albrecht ausbrachte, zer 
sprang das Glas in Eugens Hand, als er 
mit Leonore anstieß, der rothe Wein stoß 
über das Tischtuch. Tante Jutta wurde blaß 
und dachte voll heimlicher Angst: „daö be 
deutet Trennung — sollte denn eins von 
den Beiden schon binnen Jahresfrist sterben?" 
Einmal veranlaßte auch Julie eine Störung, 
sic wurde ohnmächtig und mußte nach ihrem 
Zimmer geschafft werden; cs waren dft
	        
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