Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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-» 88ster Jahrgang. 
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mo. 262. 
Ireitcrg, den 8. Wovernber 
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Berlin, .7.' Nov. Bei der heutigen 
Truppenvereidigung der Rekruten der 
Berliner, Charlottenburger, Spandatier 
und Lichterfelder Garnisonen, die um II 
Uhr im Lustgarten stattfand, hielt der 
Kaiser an die Truppen eine Ansprache, in 
welcher er diese aus die besondere Ehre 
aufmerksam machte, daß sie iw Gardecorps 
und unter den Augen des Kaisers ständen. 
Sodann sagte der Kaiser etwa Folgendes: 
„Ich erwarte von Euch, daß Ihr Euch 
voll und ganz dem Dienste hingebt. Los- 
gelöst von allen Beziehungen müßt Ihr, 
die Ihr soeben mir den Eid der Treue 
geschworen habt und somit meine Soldaten 
geworden seid, jederzeit meines Winkes ge- 
wärtig sein. Besonders erhebend für Euch 
ist es, daß Ihr in diesem Jahre dient, in 
dem Erinnerungsjahrc des großen Krieges, 
in welchem Eure Väter unter den Augen 
des großen Kaisers Wilhelm, meines Groß 
vaters, sür die Ehre des Vaterlandes ge 
kämpft haben. Auch Ihr müßt jederzeit 
bereu sein, sür die Ehre des Vaterlandes, 
sür die Ehre Eures Königs, für Eure 
eigene Ehre einzustehen. -Wenn der Ver 
sucher an Euch herantritt, so weist ihn 
zurück, er ist Euer unwürdig. Alles, was 
für Euch geschieht, ist zu Eurem Besten. 
Zeigt Euch würdig, meine Gardisten zu 
sein zu Hause und im Heere." Darnach 
brachte der Commandeur des Gardecorps 
ein dreifaches Hoch aus den Kaiser aus. 
— Itzehoe, 8. Nov. Gräfin Konradine 
zu Rantzau aus dein Hause Breiteuburg, 
Conventualin des adligen Klosters Preetz 
ist nach schwerem Leiden gestorben. Die 
Einsegnung findet statt im Trauerhause 
zu Itzehoe, den 9. November, Abends 6 Uhr, 
die Beisetzung zu Rohlftorff, den 10. Novbr.. 
Nachmittags V/, Uhr. 
Berlin, 7. Nov. Zu de., uinlauseuden 
Zeitungsnachrichten über den Stand der 
Berathungen bezüglich einer neuen Straf 
prozeßordnung schreibt der „Reichsanz." 
anläßlich einer Nachricht des „Hann. Cour." 
daß die Angabe, der Kriegsminister habe 
im ^Reichstag eine Vorlage im Sinne der 
^-Öffentlichkeit des Militärstrasprozesses in 
Aussicht gestellt, absolut falsch sei. Der 
Kriegsminister habe sich im Reichstag mit 
.einer silbe über die Frage der Oessent- 
.ichkeit geäußert. Von einer Frage über 
Abänderung des Militärstrasgesetzbuches sei 
überhaupt nicht die Rede gewesen. Alles 
was über den Verlaus der Verhandlungen 
über die Militärstrasprozeßordnung jm 
Staatsministerium im „Hann. Courier" 
erzählt werde, sei thatsächlich unrichtig, wie 
auch die Angabe über an Allerhöchster 
Stelle bereits getroffene principielle Ent 
scheidungen. 
Dortmund, 8. Nov. Der Reichstags- 
abgeordnete Dr. Lütgenau, Redakteur 
der socialdemokratischen „Arbeiter-Zeitung" 
ivurde heute von der hiesigen Strafkammer 
wegen M a j e st ä t s b e l e i d i g u n g gegangen 
durch den Abdruck des Artikels: „Wieder 
eine Kaiserrede" zu 5 Monaten Gefängniß 
verurtheilt. 
Wien, 8. Nov. Reetor Ahlwardt ist 
der gestrigen ans Dr. Luegers Namens 
tag angesetzten antisemitischen.Siegesfeier 
infolge der Drohung zahlreicher Ginge- 
ladenen, im Falle seines Erscheinens sich 
zu entfernen, ferngeblieben; er reiste noch 
in der Nacht nach Dresden ab. 
Paris, 8. Nov. Die Nachricht, daß die 
Regierung gegen alle Parlamentarier und 
Verwalter der Südbahn eine neue Unter 
suchung eingeleitet hat, erregt hier unge- 
heure Sensation. Wie noch gemeldet wird, 
ist der Gouverneur Christofle vom 6i-sckit 
sonder seines Postens enthoben und an 
seiner Stelle Labery zum Gouverneur er 
nannt worden. 
Mttslrrnd. 
AufterLuroPäische Gebiete 
Laut Telegramms aus Quebec strandete 
der 1809 Registertons große deutsche 
Dampfer „Canadia", von Hamburg nach 
Montreal unterwegs, bei Metis. * Das 
Schiff soll ein schweres Leck haben. Es 
wurde umgehend Hilfe abgesandt. 
Detroit, 6. Nov. Heute früh 6'/.. Uhr 
stürzte infolge einer Ke sselexp l os i o n 
ein Theil des Gebäudes der Zeitung 
„Journal" ein. Biele Personen wurden 
verschüttet; bisher sind vier Leichen ge- 
borgen worden. In dem Gebäude waren 
viele Mädchen und Frauen beschäftigt; 
man glaubt, daß sich in dem eingestürzten 
Theile 25 Personen befanden. Die Trümmer 
gerieihen in Brand; die aufsteigenden 
Rauchwolken erschweren die Rettungs- 
arbeiten. 
Türkei. 
Koiistaiitinopel, 7. Nov. Die Lage wird 
täglich gefährlicher; Die Botschafter ver 
hehlen nicht, daß in ganz Armenien 
fanatische Ruhestörungen stattfinden und 
das Leben aller Christen in Gefahr sei. 
In Konstantinopel erhalten sich hartnäckig 
die Gerüchte vom Vorgehen der türkischen 
Revolutionspartei. Montag sollen wieder 
Militärschüler verhaftet sein. In den 
Moscheen und an anderen Plätzen Stambuls 
sind wieder aufrührerische Plakate ange 
heftet. Drohbriefe wurden an hervor 
ragende Türken geschickt. Letzten Freitag 
wurde den türkischen Zeitungen ein officielles 
Communique zugestellt, der Sultan beab 
sichtige, entweder eine neue Constitution 
zu proklamiren oder den Beschluß aufzu 
heben, wodurch der Artikel der von 
Midhat Pascha herrührenden Constitution, 
betreffend die repräsentative Kammer, 
außer Kraft gesetzt wurde. Vor der Ver 
öffentlichung wurde das Communiqus zurück 
gezogen. Dasselbe wurde jedoch bekannt 
Montag Abend arretirte die Polizei 
eine große Anzahl Moslim in Stambul. 
Die mohamedanische Bevölkerung wider 
setzte sich den Verhaftungen. Neun Per 
sonen wurden getödtet, viele verwundet. 
Koiistantiiiopel, 7. Nov. Ein eigenthüm 
liches Gerücht durchschwirrte heute dic 
Stadt. Eine Kaserne, die sogenannte 
elimje-Kaserne, wurde von den Soldaten 
entleert. Jm Publikum erzählt man, dies 
hänge damit zusammen, daß Platz gemacht 
wurde sür russische Soldaten, die 
zur Verstärkung des türkischen Militärs 
hierher kämen. Ferner erzählte man im 
Anschluß hieran, daß zwischen Rußland 
und der Türkei ein geheimer Vertrag 
förmlich abgeschlossen worden sei. Wenn 
dieses Gerücht auch als Heller Unsinn be 
zeichnet werden darf, ist es doch sympto 
matisch für die herrschenden Ideen. That 
sache ist, daß unter den Türken gegen 
wärtig Sympathien sür Rußland herrschen, 
tute man sie niemals für möglich gehalten 
hätte. In allen türkischen Sekten hört man 
laut die Ansicht, daß der aufrichtigste 
Freund der Türkei und ihr wahrer Be 
schützer Rußland sei. 
O f ft erreich-Ungli r n 
Wien, 6. Novbr. Die kaiserliche Ent- 
schließung, durch welche Dr. Lueger 
als Wiener Bürgermeister nicht bestätigt 
ivird, ist heute bekannt geworden ; sie machte 
im Parlamente das größte Aussehen. Als 
Dr. Lueger Nachniittags im Parlamente 
erschien, sagte er sichtlich erregt im Freundes 
kreise: „Gratulirt mir! Ich bin 
nun ein freier Mann! Jetzt geht 
ein frischer fröhlicher Krieg an! Jetzt 
w i r d m a n m i ch kennen lernen! 
— Was diese Drohung bedeuten soll, weiß 
kein Mensch. Will Herr Lueger eine anti 
semitische Revolution veranstalten? So 
lange die Bestätigung seiner Wahl noch 
unentschieden war, geberdete er sich doch 
als ein kaisertreuer Vaterlandsfreund! 
Wien, 7. Nov. Die „Presse" bemerkt 
in einer Besprechung über die Nicht be- 
stätigung Dr. Lueger's zum Bürger 
meister: Lueger besitze weder! Unpartei 
lichkeit noch Objectivität, weder Ruhe noch 
Besonnenheit; er sei ein prononcirter 
Parteimann und als Sieger aus einem 
erbitterten, zügellosen Wahlkampfe, den 
selbst entfacht zu haben er sich rühmt, her 
vorgegangen. Das Schicksal des Gemeinde 
raths beruhe nunmehr in der Stellung 
nahme, welche die Mehrheit desselben jetzt 
einnehmen werde. 
Wien, 7. Nov. Die Aufregung der 
antisemitischen Bevölkerung über die Nicht- 
bestätigung Lueger's kam in den Gast- 
Häusern und Cafes zu lebhaftem Ausdruck. 
Ueberall wurde verkündet, Lueger müsse 
wiedergewählt werden. Das antisemitische 
Parteiblatt schreibt heute: „Wir nehmen 
den uns angebotenen Kampf auf, wir 
halten fest an dem Manne unserer Wahl 
und werden beweisen, daß wir Herren 
im eigenen Hause sind." (Das ist 
eine Sprache, welche Socialdemokraten 
ungestraft nicht führen dürften.) 
Nunmehr wird eine neue Bürgernieister- 
wahl in nächster Woche stattfinden. Dis 
Weitere hängt davon ab, ob die anti- 
semitische Mehrheit des Gemeinderaths 
einen anderen Bürgermeister wählt. Dem 
Vernehmen nach ist bei der Wiederwahl 
Luegers eine sofortige Auflösung 
des Gemeinderaths zu erwarten. 
In Gyoma wurde eine ganze Fa 
milie durch Beilhiebe ermordet 
und beraubt. 
Rußland. 
Die 2000 Einwohner zählende Stadt 
Wcljaminowo ist vollständig nieder- 
gebrannt. 
England. 
Eine hochfeine „Schmiere" giebt jetzt 
in Edinburg, Glasgow und anderen 
schottischen Städten Vorstellungen und wird 
sich wahrscheinlich auch in London sehen 
lassen. Der Direktor und erste Heldenlieb 
haber dieser wandernden Truppe, die je 
doch nicht auf Theilung, sondern nur für 
wohlthätige Zwecke spielt, ist Lord 
Rosslyn, dem Lady Marjoribanks als erste 
Liebhaberin und der Karl von Kilmorey 
als Intrigant zur Seite stehen. Alle Da- 
men und Herren der Truppe gehören den 
immer. 
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NicoļàKiàWŞr. 
30) Roman von B. Riedcl-Ahrens. 
7. 
„Kiwitt! Kiwitt!" 
Ein letzter Sonnenstrahl zieht leuchtend 
über die Haide hin: Westtunds Kirchturm 
glüht noch im rother Schein der sinkenden 
Sonne und wie tieferes Erröthen liegt es auf 
den stolzen Stämmen am Waldessaum; die 
Wellen der Nordsee sind goldig übergössen 
und brausen ihr ernstes Licd durch die er 
habene Stelle der Natur. 
In der Haide und im Buchenwalde schwebt 
ein belebender Hauch; wem ex die Wange 
umfächelt, der hebt das Haupt, athmet tiefer 
die balsamische Luft und in seinem Herzen 
spricht es: Frühling! Am Boden wird es 
grün, Hinunelsschlüssel und Anemonen sprossen 
«n geschützten Stellen empor — schwellende 
harftge Hülle - empor 
î um "ìcht, die Sonne lockt. 
Am Waldsaum ruft der Totenvogel, sagen 
die abergläubischen Leute der armen Haide. 
Die Sonne sinkt - die Schatten werden 
länger, der purpnrrote Schinimer auf den 
Stäninien erlischt. 
Bon all dem bemerken die beiden jugend 
lichen Gestalten, die auf dem Hauptwcgc, der 
sich unter den Buchenkronen am Mceres- 
strande hinzieht, langsam dahinschreiter., 
nichts. — 
„Nun weißt Du alles, Leonore." 
Sie bleibt stehen. Ihr ist's, als ziehe die 
schmcrzbelasletc Seele sie kies, lief in den 
feuchten Erdboden hinab; ihre Stirn sinkt 
gegen die Schulter des Mannes, der die 
Geliebte zärtlich umfaßt. 
oberen Zehntausend an und sollen ganz 
Vorzügliches leisten. 
Dänemark. 
Aus Kopenhagen schreibt man: Der 
Verkehrsminister Jngerslev hat im Reichs- 
lag eine Vorlage eingebracht, wonach 
Dänemark das Land sein würde, in welchem 
man am billigsten reist. Das System 
der Doppelbillets zu ermäßigten Preisen 
soll abgeschafft werden und die Grundtaxe 
6.5 Oere (1- Klasse), 4,0 Oere (2. Klasse) 
und 2,5 Oere (3. Klaffe) pro Kilometer 
nicht übersteigen mit einer Minimalbezahlung 
von bezw. 40, 25 und 15 Oere. Für 
längere Reisen sollen die Preise noch weiter 
ermäßigt werden. Wenn die Vorlage an- 
genommen wird, wird der höchste Preis 
für eine Reise hier im Lande nur 6 Kronen 
gleich Mk. 6.80 (3. Klasse) betragen. Das 
nennt man ein einsichtige Eisenbahn- 
verwaltung. 
Italien. 
Das Erdbeben am vergangenen Donners 
tag hat in Rom keinen andern nennens- 
werthen Schaden angerichtet, als das zahl- 
reiche Fremde abgereist sind und daß die 
Bevölkerung Roms 840 000 Lire im Lotto 
verloren hat. Alle Welt spielte am 
Sonnabend die Nummern des Erdbebens: 
I (das Erdbeben fand am 1. November 
stakt). 4 und 38 (früh 4 Uhr 38 Minuten), 
II (kabbalistische Lottomimmer für Erd- 
beben), 90 (Lottonummer für Furcht).. 
Während sonst die wöchentlichen Lottoein. 
sütze in Rom 250 000 Lire selten über- 
schreiten, von denen im Durchschnitt 
150 000 Lire zurückgewonnen werden, 
stiegen am Sonnabend die Einsätze um 
mehr als das Dreifache und Niemand ge 
wann auch nur einen Soldo zurück. Die 
Finanzintendantur, wo jeden Sonnabend, 
Nachmittags 5 Uhr, die Ziehung der 
Lottvnummern vorgenommen wird, war 
schon am Vormittage von einer großen 
Menschenmenge umlagert. Als die Thore 
zu dem Lottohofe geöffnet wurden, war 
der weite Raum im Nu von sieges 
sicheren Spielern angefüllt. Schlag 
5 Uhr erschien der Waisenknabe, die die 
Nummern zu ziehen hatte. Man begrüßte 
ihn mit Händeklatschen und beifälligem 
Gemurmel. Als er aber eine „falsche" 
Nummer nach der andern zog, wurden, 
bald Zeichen des Mißfallens laut und als 
auch der fünfte und letzte Zug keine der 
Erdbebenziffern brachte, ging ein wahrer 
Höllenlärm los. Man schrie, daß ein Be- 
trug vorliege, daß die Lottoverwaltnng die 
„sich will sterben, Eugen; ich kan» das 
nicht tragen — o — das nicht. Verstoßen 
aus dem Eltcrnhause, ohne Segen verbann! 
— so kann ich nicht leben. Und da ich 
auch ohne Dich nicht leben kann, bleibt mir 
nur der Tod." 
„Fasse Dich erst, mein Alles, mein Lieb 
ling, und überlege ruhig. Entscheidest Du 
gegen mich — ist natürlich auch mein Loos 
bestimmt; da das Leben ohne Dich keinen 
Werth mehr für mich hat, so schieße ich mir 
eine Kugel durch den Kopf; entscheidest Du 
hingegen für mich, bleibt uns vorbehalten, 
Deinen Vater nach und nach doch zu ver 
söhnen. Mein Gott," fügte Eugen stirn- 
runzclnd hinzu, „er kann doch kein so grau 
samer Tyrann sein, Dir seine Verzeihung 
dauernd zu verweigern." 
„Das ist ja gerade der Punkt, der mich 
1» namenlos bedrückt," entgcgnete sie, die 
schmalen Hände ringend, zuckend unter der 
furchtbaren Gewalt des Kampfes. „Verstoßen! 
Kannst Du das fassen? Es ist ja furchtbar, 
was er gelitten haben mag, aber * 
Sie brach ab „nd setzte dann nach einer 
Weile leiser hinzu: „Mich zu verstoßen, ist 
doch zu hart, zu hart." 
„Entschieden," behauptete Enge» mit dem 
ganzen Aufwand seiner moralischen Entrüstung, 
welche die Feindseligkeit gegen des Geistlichen 
ihm eingab, „darum darfst Du auch getrost 
dem Zuge Deines Herzen folgen — mußt 
ihm folgen, Lconorc, oder wolltest Du der 
ungerechten Härte Deines VatcrS wegen Dich 
und mich znn> Opfer bringen? Sieh, er 
flucht Dir ja nicht, sondern läßt Dich gehen, 
ohne ein Wort dazu zu sagen; bist Du aber 
erst mein Weib, versuchst Du mit allen 
Mitteln, ihn zu versöhnen. Sage Ja! Stoße 
mich nicht in Tod und Verzweiflung dadurch, 
daß Du Dich von mir wendest!" 
Und er redete auf sie ein, bis cs ihm 
gelungen war, sie vollständig von der Selbst 
sucht der Gründe des Vaters zu überzeugen 
und ihren Unwillen gegen ihn zu erwecken; 
schincichclnd drang seine Stimme in ihr Herz 
— flehender noch sprachen seine Augen; ihr 
ganzes Sein ging in dem bestrickenden Banne 
dieses Mannes ans, den sie mit der vollen 
Kraft einer reinen, begeisterten Seele, mit 
dem bethörenden Rausch ihrer frühlingsfrischen 
Jugend liebte; und indem er Knß um Kuß 
auf ihre Lippen hauchte, nahm er auch von 
ihnen das Wort: 
„Ich gehöre Dir, Engen, und werde Dein 
Weib!" 
Gefaßter besprachen sie hierauf während 
des Heimweges die zu den Vorbereitungen 
nothwendigen Schritte; die Verlobung sollte 
in den nächsten Tagen im kleinsten Kreise 
gefeiert werden und nach möglichst kurzer 
Frist die Trauung folgen; eine Hochzeitsfeier 
aus Haraldsholm sei selbstverständlich aus 
geschlossen, und da Albrecht mit seiner Frau 
wahrscheinlich schon in den nächsten Wochen 
nach Berlin zurückkehre, könne sie auch auf 
der Ravensburg nicht stattfinden, es bliebe 
also nichts, als nach der Trauung in Wcst- 
lunds Kirche durch Pastor Berg sofort ab 
zureisen. 
Als Eugen den Namen nannte, zuckte 
Leonore unwillkürlich zusammen; gerade er 
sollte sie trauen? Welch ein Verhängniß! 
Und doch blieb nichts anderes übrig, da der 
Vater sich nicht herbeilassen würde, die heilige 
Handlung vorzunehmen. 
Eugen bemerkte ihr plötzliches Verstummen; 
schon an jenem ersten GcsellschastSabmd war 
ihm bei Gelegenheit der Schlittenfahrt in dem 
Auftreten des jungen Geistlichen für die 
Tochter seines älteren Freundes etwas auf 
gefallen, das ihm stark mißfiel. 
„Hat der Pastor vielleicht Absichten auf 
Dich gehabt?" fragte er in eifersüchtiger 
Regung. 
„In," antwortete Leonore offen, „drei 
Jahre lang har er unermüdlich um mich 
geworben." 
„Und Du?" 
„Ich habe nichts für ihn empfunden," 
gab sie erröthend zurück. „Doch wenn ich 
jetzt, wo ich die Liebe kennen lernte, bedenke, 
wie hart meine Behandlung oft gegen ihn 
gewesen, so thut mir das von Herzen leid 
— denn er ist ein guter Mensch." 
Wenn Leonore, die an seinem Arm da- 
hinschritt, jetzt den Blick erhoben hätte, 
da würde sie um Eugens Lippen jenes 
häßliche satanische Lächeln gesehen haben, 
von den, Lilly behauptet, daß es ein bös 
artiges sei; nun aber hielt sie das Haupt 
gesenkt, und der Bioment, welcher ihr viel 
leicht eine» tieferen Einblick in das Innere 
des Barons gewährt haben würde, ging 
vorüber. — 
Diese Nacht verbrachte Nicolaus Erich 
sen viele Stunden schlaflos auf seinem La 
ger; in ihm bohrte ein Schmerz, der um 
so heftiger war, je uiehr er ihn zu ver 
bergen strebte; und nebenbei versenkte er sich 
in das unergründliche Problem des weib 
lichen Innern. Leonorens unbändiger Hang 
nach dem giftigen Born des Genusses er 
füllte ihn mit Unwillen und Zweifel an 
der idealen Natur des Weibes,^ woran .er 
fest geglaubt; er war bemüht gewesen, 'in 
seinen Kindern dreses Ideal zu ziehen, zu 
pflegen, zu schützen, indem er ihren Sinn 
stets auf das Schöne und Erhabene ge 
lenkt und sie vor dent zerstörenden Hauch 
der Außenwelt zu behüten gesucht. Lag 
feinem Glauben ein Irrthum zu Grunde? 
Schlummerten in den Tiefen der weib 
lichen Seele doch nur jene Eigenschaften 
der Oberflächlichkeit, die es die Beute des 
ersten besten heranbrausenden Sturmwindes 
werden ließen, wie so manche der neuzeit 
lichen Dichter behaupteten? 
Und ruhelos ging mich Leonore in ihrem 
Zimmer auf und ab) während Rahel noch 
regungslos dasaß unter dem Eindruck dessen, 
was ihr die Schwester soeben aus der 
Unterredung mit Eugen ani Nachmittag 
erzählt. ö 
„Nahet, Du wendest Dich nicht von 
nur?" fragte sie unter fließenden Thränen. 
„Nein, meine Leonore — wie käme ich 
wohl dazu? Du hast ja nichts gethan." 
„Ich danke Dir für dieses Wort, das 
ich Dir nie vergesse! Siehst Du, Rahel, 
wenn jemand, wie Du, so gar nichts von 
der Liebe weiß, und nicht ihre alles be 
siegende Macht ahnt, dec könnte nur zu 
leicht geneigt sein, mich zu verdammen, 
daß tch Vater auf solche Weise verlasse. 
Daß Du es aber doch nicht thust, beweist 
mir wieder, welch ein goldenes Herz ich in 
meiner Schwester besitze." 
Rahel wandte das Gesicht zur Seite; 
sie schönite sich der dunklen Räthe, die tn 
ihre Wangen gestiegen war. 
„Bist Du denn auch überzeugt, daß Eu 
gen Dir alles, was Du hier anfqiebst, er 
setzen wird?" 
„Wenn auch nicht alles, doch unendltch 
viel, Rahel; er ist von nun an meine
	        
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