Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Ireitag, öen 18. Hctober 
1895. . 
Morgen-Depeschen 
Kürzel, 18. Oct. Die Einweihung der 
neuen evangelischen Kirche ist heute in 
Anwesenheit des Kaiserpaares vollzogen 
worden. Den Feierlichkeiten wohnten der 
kommandirende General Graf v. Haeseler, 
der Statthalter von Elsaß-Lothringen Fürst 
zu Hohenlohe-Langenburg, der Staats 
sekretär v. Puttkamer, Vertreter der 
Militär und Civilbehörden und ein zahl 
reiches Publikuin bei. 
Berlin, 18. Oct. Die „Norddeutsche 
Allgemeine Zeitung" bemerkt in einem 
Leitartikel gegenüber einigen Blättern, die- 
anknüpfend an die kaiserlichen Worte 
„Wenn unser Volk sich doch ermannte!", 
zuerst ein Ermannen der Regierung 
forderten, im Kampfe gegen die umstürz-- 
lerischen Bestrebungen, daß die Einbringung 
der Umsturzvorlage vor fünf Monaten be 
wiesen habe, daß es keineswegs an 
der Initiative der Staasregiernng fehlt, 
sondern an einer Volksvertretung, die 
dieser Initiative folgt. Die Regierung 
habe damals mit ihren Erklärungen und 
mit ihrer Vorlage die Wege praktisch ge 
zeigt, auf denen dem kaiserlichen Ausrufe 
entsprochen werden könne. Die Behaup 
tung, daß es nur eines derartigen Voran- 
schreitens der Staatsregierung bedürfe, um 
einen Erfolg zu erzielen, habe sich als 
irrthümlich ertvicsen. Man werde also 
nicht in Abrede stellen können, daß es jetzt 
zunächst Sache des Volkes sei, sich zu er- 
mannen, und Sache der Blätter, nach 
ihrem besten Vermögen auf eine Beseitigung 
der Hemmungen und Friktionen bedacht 
zu sein, die auf diesem wie auf allen Ge 
bieten Bleigewichte an die Aktionen der 
Regierung hängen. Eine neue Initiative 
sollte man von der Regierung erst in dem 
Augenblicke fordern, wo man eine einiger 
maßen verläßliche Bürgschaft dafür über 
nehmen könne, daß ihr Boranschreiten 
nicht abermals von der Volksvertretung 
im Stiche gelassen werden wird. — Zu 
derselben Angelegenheit schreibt u. A. die 
„Post" : Soll das Volk sich ermannen, 
so muß nach der Natur unseres deutschen 
Volkes zunächst die Regierung selbst mit 
dem guten Beispiele vorangehen und so 
wohl da, wo sie die obrigkeitliche Gewalt 
übt, als in ihren Betriebsverwaltungen 
entschieden und planmäßig Farbe bekennen. 
Kommt dieses Moment der That nicht zu 
dem Kaiserlichen Wort hinzu, so wird 
auch dieses keinen dauernden Eindruck 
hinterlassen und so seine stärkende und 
Landtagswahl. Im 
treibende Kraft auf die betrestenden Volks- 
kreise nicht voll üben. (Vor allen Dingen 
ist es wichtig, sowohl nach Oben wie nach 
Unten ausnahmslos korrect vorzugehen 
gegen Hetzerei und Diebstahl, gleichviel in 
welcher Form und von welcher Persönlich 
keit ausgeführt. Red.) 
Leipzig, 18. Oct. 
2. Wahlkreis fielen auf Justizrath Schill 
(Ordngs.-Part.) 2368, auf Heinsch (Soz.) 
1954, auf Kleeberg (Antis.) 110 Stimmen. 
— Im 4. Wahlkreis ist Pinkau (Soz.) 
mit 3889 Stimmen gewählt. Ingenieur 
Schilbach (Ordngs. - Part.) erhielt 1434 
Stimmen. 
m zweiten Wahlkreis der Stadt 
Chemnitz wurde der Reichstagsabgeordnete 
Seifert (Soz.) mit 3900 von 6800 
Stimmen gewählt. — Im 31. Landwahl 
kreis (Landorte um Chemnitz und Limbach) 
ist Reichstagsabgeordneter Hofmann (Soz.), 
im 36. Landwahlkreis (Landorte um Stoll- 
berg) Stolle-Meerane (Soz.) gewählt. 
Dresden, 18. Oct. Landtagswahl. Ge 
wählt sind bisher: Behrens (Ordngs-Part.) 
und Fraetzdorff (Soz.) 
Bis jetzt sind 20 Wahlergebnisse be 
kannt. Es sind gewählt 10 Conservative, 
3 Nationalliberale, 5 Socialisten, 1 Fort 
schrittlicher und 1 Parteiloser. Es fehlen 
noch 7 Landkreise, die den Conservativen 
verbleiben dürften. Letztere werden also 
die Kammermehrheit behalten. Bemerkens 
werth ist die Niederlage der Antisemiten. 
Mannheim, 18. Oct. Der geflüchtete 
Bankkassirer Mayer von der deutschen 
Union-Bank wurde heute Vormittag in 
Interlaken, Schweiz, verhaftet. Man 
fand bei ihm noch drei Pastete mit Werth 
papieren vor. 
Frankfurt a. M-, 18. Oct. Der 
„Franks.-Ztg." wird aus Bochum ge- 
meldet, daßnach der Dortmunder „Tremonia" 
die Herrmannshütte bei Hörde 50 bis 
60 Arbeitern gekündigt hat. 
Bartenstein, 18. Oct. Der Musiker 
Horn aus Schippenbeil wurde von der 
hiesigen Strafkammer wegen Majestäts 
beleidigung zu einem Jahre Gefängniß 
verurtheilt und sofort verhaftet. 
Bielitz, 18. Oct. Heute früh wurde 
der Maschinenfabrikant Dante in Biala 
sowie seine Frau und zwei Kinder, ferner 
die Dienstboten, bewußtlos aufgefunden; 
durch ausströmendes Gas aus einem ge 
platzten Straßenrohr waren sie betäubt 
worden. Dante ist bereits gestorben. 
Wien, 18. Oct. Die Lokomotivführer 
beschlossen in einer aus allen Provinzen 
stark besuchten Versammlung die Ein 
reihung in die Beamtenkategorie zu er 
streben; Festsetzung des Gehalts, das mit 
600 Gd. beginnen soll und dann von drei 
zu drei Jahren bis zu 1200 Gd. steigen 
soll. Ferner soll erstrebt werden: jährlich 
14 Tage Urlaub, achtstündige Arbeitszeit 
bei Schnell- und zehnstündige bei gewöhn 
lichen Zügen, Fahrbegünstigung 2. Klasse, 
sowie Einführung eines Pauschalsystems 
von 40 Gld. für Lokomotivführer und 
40 Gld. für Heizer. 
Agram, 18. Dct. Der Banus ließ die 
Studentenverbindung auslösen, von welcher 
die Verbrennung der ungarischen Fahne 
in Scene gesetzt worden war. Ebenso 
wurde der weitere Gebrauch der Studenten 
sahne verboten, die durch die gestrigen 
staatsfeindlichen Demonstrationen entehrt 
wurde. 
London, 18. 
Bureau meldet 
Oct. Das Reuter'sche 
ans Konstantinopel vom 
17. d. M.: Heute ist das Jradeh des 
Sultans veröffentlicht worden, daß den 
zwischen der Pforte und den Botschaftern 
Englands, Rußlands und Frankreichs 
vereinbarten Reformplan für Ar 
menien genehmigt. 
London, 18. Oct. In einem Artikel 
über die Lage in der Türkei sagen die 
Times": Das Fallen der türkischen 
Werthe an den Börsen sei durch die 
Ueberzeugung begründet, daß die Muselmanen 
ihrem Hasse gegen die Christen durch 
einen Akt Ausdruck geben werden, der 
der Anfang eines äußerst dramatischen 
Kapitels sein dürfte. Alles deute aus 
einen Sturm hin, welcher die jetzige 
türkische Dynastie wegfegen würde. 
Ausland. 
Anffereuropäische Gebiete. 
China. Nach einer Meldung von Reut. 
Bur. aus Shanghai vom heutigen 
Tage erfolgte gestern eine Explosion ans 
dem Truppcntransportschiff „Kungpai" 
nahe Kinchau. 600 Personen sollen ge- 
tobtet sein. 
In San Salvador erregten gegen 300 
Anhänger und ehemalige Soldaten des 
vertriebenen Präsidenten Ezeta einen Aus 
stand, zogen sich aber vor 500 gegen sie 
ausgesandte Truppen der Regierung nach 
der Küste zurück, wo sie durch Zuzug sich 
auf 600 Mann verstärkten. In einem 
Treffen zwischen den beiden Parteien am 
11. September fielen 37 Soldaten und 62 
Aufständische. Trotzdem behaupteten die 
letzteren das Feld und trieben die Soldaten 
zurück, von denen gegen 200 Mann schließ 
lich unter dem Rufe: Tod dem Guiterre l 
Nieder mit der Regierung! zu den Auf 
ständischen übergingen. Am selben Tage 
noch erhielten aber auch die Soldaten eine 
Verstärkung und der Kampf entbrannte 
aufs Neue. Diesmal verloren die Aufstän 
dischen, und zwar blieb die Hälfte ihrer 
Leute; 19 ihrer Offiziere wurden auf 
telegraphischen Befehl aus San Salvador 
sofort standrechtlich erschossen. Auch der 
General der Aufständischen soll den Tod 
gefunden haben. Der Rest der Aufständischen 
ergriff die Flucht. 
Türkei. 
Nach einer Meldung der Times ans 
Konstantinopcl befürchtet man den Ausbruch 
einer gegen den Sultan gerichteten Be 
wegung. In der Stadt herrsche große 
Aufregung, und eine lebhafte Thätigkeit 
werde im Dardanellenfort Dardanos, 
Namazieh und Medjidieh entfaltet, wo 
neue Batterien errichtet und mit schweren 
Geschützen armirt werden. Die Garnison 
von Konstantinopel wurde um 3000 
Mann verstärkt, und weitere 10000 
Mann werden in der Provinz zum Ab 
marsch rach der Hauptstadt bereit ge 
halten. 
Konstantinopcl, 17. Okt. Man hat ge 
glaubt, die Unzufriedenheit der Moha 
medaner werde sich baldigst dergestalt 
äußern, daß die Dynastie werde fortgefegt 
und der Islam von der Knechtschaft, die 
nach der Erklärung der Mohamedaner seine 
Kräfte lähmt, befreit werden. — Eifrige 
Thätigkeit besteht in den Forts an den 
Dardanellen, große Aufregung herrscht 
in Konstantinopel, die Garnison ist um 
3000 Mann verstärkt, weitere 10 000 
Mann sind nach Konstantinopel beordert, 
neue Batterien werden errichtet und andere 
kriegerische Vorbereitungen getroffen. 
Frankreich. 
In Carmaux herrschte schon gestern 
Nachmittag unter den bisher vollkommen 
ruhigen Glasarbeitern große Aufregung 
weil der Fabrikdirektor R e s se g u i er 
Arbeiter aus Aldi hatte kommen lassen 
Gerüchtweise verlautete, der betreffende 
Eisenbahnzug sei entgleist. Resseguier und 
sein Schwager Mcffro machten Abends 
neun Uhr einen Rundgang, um die Stim 
mung der Arbeiterschaft zu erkunden, und 
kamen auch an dem in der Bahnhosstraße 
gelegenen Hotel Malaterre, einem der 
belebtetesten Punkte von Carmaux, vorbei, 
>vo jetzt die Sozialistensührer Jaurös, 
Toussaint, Groussier und G-rault wohnen, 
und daher jetzt das Rendezvous aller am 
Streik Jnteressirten ist. Unmittelbar vor 
dem Hotel glaubte Resseguier seinen Namen 
rufen zu hören, er wandte hastig den 
Kopf um, und in diesem Augenblicke fiel 
ein Revolverschuß. Ein Mann floh 
gegen den Bahnhof zu. Moffro gab aus 
einem Taschenrevolver gegen den Fliehenden 
zwei Schüsse ab, welche jedoch nicht trafen. 
Von den zahlreichen Promenirenden ver 
trat dem Flüchtling Niemand den Weg. 
Resseguier, dessen Ueberzieher am stark 
wattirten Schnltertheil von der Kugel 
durchlöchert wurde, erlitt nur eine unbe 
deutende Contusion. Der Präfekt erbat 
telegraphisch eine Eskadron Cavallerie. 
Es verlautetet hier, daß die zwei Deputirten 
Jaurès und Gèrault verhaftet worden sind. 
Paris, 17. Oct. Wie der Correspondent 
des „Figaro" in Carmaux seinem 
Blatte versichert, wurde bei einer gestern 
an dem Sitze des Streikcomitos vorge 
nommenen Haussuchung eine Quittung 
über einen aus Deutschland an das 
Comits gesandten Geldbeitrag beschlag 
nahmt. 
Paris, 17. Oct. Heute wurde ein 
Ehepaar verhaftet, welches ein 11 jähriges 
Mädchen angestiftet hatte, den eigenen 
Vater, einen Buchhalter, zu bezichtigen, es 
sei von ihm gemißbraucht worden. Der 
Vater saß 6 Monate unschuldig in Unter 
suchungshaft. Die Anstifter hatten es 
auf das Vermögen des Buchhalters, 
60000 Francs in Werthpapieren, abge 
sehen und sich während der Haft des un 
glücklichen Mannes bereits einen Theil 
davon angeeignet. Zwei Aerzte hatten 
sich gleichfalls aus Habgier dazu hergegeben, 
fälschlich zu bescheinigen, daß an dem 
Kinde ein Gewaltakt verübt sei. 
Oefterrerch-Ungarn. 
Aus Agram wird berichtet, daß auf 
ausdrücklichen Befehl des Kaisers Franz 
Joseph die kroatischen Universitäts- 
studenten von der Theilnahme an der 
Verabschiedung bei der Abreise des 
Kaisers auf dem Bahnhöfe wegen der 
Verbrennung der ungarischen Fahne aus 
geschlossen wurden. Der Universitätsrector, 
der um Zurücknahme des Befehls bitten 
wollte, wurde von dem Ministerpräsidenten 
Banffy und dem Banus nicht empfangen. 
Die Studenten beschlossen, eine Deputation 
McàMMWà 
13) Roman von B. Riedel-Ahrens. 
Als sic fort war, hatte Julie, nachlässig 
mit einem auf dem Tische liegenden Deffert- 
mcsser spielend, geäußert: 
„Für den Mittwoch werde ich schon 
Eugens wegen einige Einladungen ergehen 
lassen; wir haben Zeit, vorher ein paar 
Besuche abzumachen, und da besorge ich das 
gleich; ich denke, die Wirks auf Pleffen, 
Schimmelmanns und Radcnows, nicht wahr? 
Die anderen, welche uns in Berlin hochnäsig 
übersahen, lassen wir natürlich links liegen." 
„Du könntest auch den jungen Pastor 
Bcrg einladen; wir gehören zu der Gemeinde 
Westlund und er wurde mir von Dahlberg 
empfohlen." 
„Den Pastor? Ach, mir sind diese Leute 
zuwider. Auch der alte Erichsen ist so ein 
Dunkelmann ersten Ranges, ein verkappter 
Jesuit, hochmüthig bis zum Größenwahn und 
dabei sackgrob. Wäre cs nicht um seiner 
reizenden Tochter willen, ich würde das 
Haus nicht wieder betreten. 
„Mir ist er auch nicht sympathisch, aber 
Bcrg soll ein sehr tüchtiger, angenehmer 
Mann sein." 
Julie versprach, die Sache zu überlegen 
und stimmte hieraus, in ihrer sprunghaften 
Gemüthsart von einein plötzlichen Heiterkeits- 
auSbrnch ergriffen, eine lustige Melodie aus 
„Fatinitza" an, wobei sie ihren Gatten viel 
sagend keck anlächelte: 
Jeder Trinker ist anfangs nüchtern — 
Doch das giebt sich, doch das giebt sich 
Jedes Mädchen ist anfangs schüchtern - 
Doch das giebt sich, doch das giebt sich' 
Albrecht v. Ravens war es unmöglich, 
ich zu beherrschen und den Widerwillen, den 
ihm dieser gelegentliche Rückfall in die 
Bühnenthätigkeit der albernen Frau ein 
flößte, in seinen Zügen zu unterdrücken. 
Julie sah es, sie verstummte, und es war 
ein feindseliger Blick, der ihren Gatten aus 
den schwarze», unstätcn Augen traf. 
4' * 
4 
Bald nach Abendessen war auf Haralds 
holm Besuch eingetroffen, Pastor Waldemar 
Berg, welcher öfters ein Stündchen mit dem 
älteren Amtsbruder zu verplaudern pflegte 
und eines herzlichen Willkommens sicher sein 
durfte; gleich Nicolaus Erichsen besaß er 
eine hohe, kräftige Gestalt; der ausdrucksvolle 
Kopf mit seincni kurzgehaltencn Blondhaar, 
welches eine breite Stirn begrenzte, zeigte ein 
blasses, bartloses Gesicht, dessen weiche Züge 
einem ungewöhnlich charakterfesten Ausdruck 
den Mund widersprachen; aus den 
uni 
eines 
dunkelgrauen Augen sprach die Seele 
denkenden und feurigen Mannes. 
__ Die Nachricht, daß Leonore sich auf dem 
Schloß befinde, berührte ihn peinlich, und in 
sichtlicher Verstimmung zog er heute die 
Zeitungen mit den neuesten Nachrichten aus 
der Hauptstadt hervor, um einige Punkte mit 
Erichsen zu erörtern, - der grundsätzlich keine 
Tageblätter hielt. „Von den wichtigsten 
Fragen der Menschheit, welche die Politiker 
absichtlich unterdrücken, ist doch nichts in den 
Zeitungen zu finden," pflegte er zu sagen. 
„Immer find's nur nebensächliche, belanglose 
Dinge, die, mit Uebertreibungen aufgebauscht, 
den Anstrich von Bedeutung erhalten sollen, 
um am folgenden Tage widerrufen oder be 
richtigt zu werden. Taucht jedoch unerwartet 
mal ein M..mmenblitz des unterirdisch 
glimmenden, gewaltsam niedergehaltenen Feuers 
großer Ideen der Menschheit auf, so findet 
man sie sicher niit spöttischen Randbemerkun 
gen und dem Achselzucken der Beschränktheit 
begleitet." 
„Es geht bunt zu da draußrn," bemerkte 
Waldemar Berg weiter, nachdem sie längere 
Zeit über die Annahme oder Ablehnung 
eines neuen Gesetzes gesprochen, „mir ist 
vollständig unklar, wohin wir eigentlich 
steuern; selten habe ich die Politik mit 
solchem Interesse verfolgt, wie gerade jetzt. 
Tante Jutta, die nicht viel von der 
Unterhaltung verstanden hatte, war über 
ihrem Strickstrumpf eingenickt — Nahet 
weckte sie sankt, denn Sörcns und Marga 
ret traten herein, da die Stunde des Abend- 
segens herangerückt; er wurde gesprochen, 
die beiden Damen entfernten sich, doch 
Waldemar Bcrg wich und wankte nicht, 
er hatte sich vorgenommen, die Rückkehr 
Leonorcs abzuwarten. 
Bald daraus vernahm man denn auch 
das Rollen eines Wagens, der vor dem 
Hause hielt; Leonore stieg aus und wurde 
an der Thür von Rahel empfangen. Ich er 
warte Dich in Deinem Zimmmer, geh' nur 
erst hinein und begrüße Pastor Berg - 
der nicht eher gehen zu wollen scheint, als 
bis er Dich gesehen hat," flüsterte sie ihr zu. 
Sekundenlang stand Leonore unentschlossen, 
am liebsten wäre sie gar nicht mehr hiniri- 
gcgangen; da der Vater jedoch noch wachte, 
mußte sie ihni ans alle Fälle Gute Nacht 
sagen. 
Niemals war sie von der einfachen, rm 
Lampenlicht fast düsteren Umgebung so er 
kältend angemuthkt worden, als heute, wo 
sie soeben die glänzend erleuchteten und 
stilvollen Räume der vornehmen Welt ver 
lassen; gegen den Vater aber vermochte sie 
einen leisen Groll nicht zu unterdrücken, daß 
er sie eigentlich eigensinnig fern halten wollte 
von allem, was ihr das Leben allein schön 
und lebenswerth erscheinen ließ: den Stätten 
des Reichthums und freudigen, schrankenlosen 
Lebensgenusses! 
Noch lag in Leonorcs sanft geratheten 
Zügen der Ausdruck seliger Erinnerung an 
das Erlebte, als Pastor Berg, sich schnell 
erhebend, sie begrüßte; ihr Anblick ließ sein 
Herz stürmischer pochen, flüchtige Nöthe 
färbte ihm das Antlitz und aus den Augen 
glühte die brennende verborgene Leiden 
schaft. Leonore ließ es kalt, sie fühlte sich 
fast abgestoßen von seiner dringenden Be 
werbung um ihre Gunst, die er seit den 
drei Jahren seines Amtsantritts in West 
lund nun schon vergebens betrieben hatte. 
Um keinen Schritt war er während der 
langen Zeit seinem Ziele, das er unentwegt 
mit der ihm eigenen zähm Ausdauer ver 
folgte, näher gerückt; und er glaubte auch 
nicht an ein Mißlingen, sondern hegte die 
unerschütterliche Ueberzeugung, daß es seiner 
Energie gelingen würde, dieses Mädchen, 
das ihm das herrlichste und vollkommenste 
Weib auf Erden deuchte, sein zu nennen. 
Er zürnte Leonore innerlich und rechnete 
es ihr als eine Taktlosigkeit an, daß sic 
die Gefühle ihres Vaters gegen die Familie, 
welche einst so Entsetzliches über ihn ver 
dangt, mißachtend, sich in ihrem Kreise be 
lustigte; seine Mutter hatte ihm von den 
damaligen Ereignissen erzählt aber er wußte 
nicht, daß Nicolaus Erichsen den Inhalt 
der That des alten Ravens vor seinen Kin 
dern unerwähnt gelassen. — Vielcicht um 
den beiden Gelegenheit zu einem Wort ver 
traulichen Austausches zu geben, ging der 
alte Herr unter dem Vorwände, ein im 
Laufe des Abends erwähntes Buch von Sa 
vage zu holen, nach seinem Zimmer. 
„Sie haben sich gut auf Schloß Ravens 
burg unterhalten, Fräulein Leonore, Ihr 
Gesicht verräth das," äußerte Berg mit 
dem wohlklingenden Organ eines vorzüg 
lichen Kanzelredners, obgleich in seinem 
Ton ein Vorwurf nicht zu verkennen war. 
„Gewiß habe ich mich ausgezeichnet 
unterhalten, einfach köstlich," erwiderte sic, 
erfüllt von jenem aufsteigenden Trotze, der 
sich zuweilen diesem Manne gegenüber, 
ihrer bemächtigte, und alle Aussicht ist 
vorhanden, daß ich noch manche vergnügte 
Stnnde dort verleben werde — ich sowohl 
wie Rahel, denn die Baronin war so gütig, 
uns schon wieder ans den Mittwoch einzu 
laden." 
„Und Sie werden gehen?" fragte er, sie 
fest anblickend. 
„Aber selbstverständlich!" rief Leonore 
indem sie sich von dein weißen Capuchon 
befreite, in das Julie sie vorsichtshalber der 
kalten Nachtluft wegen gehüllt hatte. „Sind 
das liebenswürdige Leute! Ich war entzückt 
von der bezaubernden Güte der Baronin 
und habe sie trotz unserer kurzen Bekannt 
schaft schon ganz in mein Herz geschlossen." 
„Es scheint, als ob die Pforten Ihres 
Herzens sehr weit geöffnet ständen, um ge 
wisse Leute darin zu empfangen," bemerkte 
Waldemar Berg in bitterem Tone. „Wissen 
Sie auch, wer eigentlich die Baronin ist?" 
Als Leonore die Augen fragend zu ihm 
aufschlug, fuhr er fort: „Vor acht Jahre» 
habe ich sie als Student aus einer Berliner
	        
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