Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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MS. 241. 
Dienstag, den 15, (Actober 
1895. 
Morgen-Depeschen. 
Wiesbaden, 15. Oct. Der Kaiser tra^ 
hier präcise 6 Uhr 50 Min. auf dem 
hiesigen Taunusbahnhof mittels Extrazuges, 
bestehend aus 6 Wagen, ein. Da offizieller 
Empfang verbeten worden war, war au- 
dem Bahnhof nur der Polizeichef, Polizei- 
direktor Dr. Schütte, anwesend. Der Kaiser 
trng die Uniform der Gardekürassiere und 
hatte den Hohenzollernmantel umgelegt. 
Er bestieg sofort die zweispännige offene 
Hofequipage, und fuhr direkt nach dem 
Theater. Zur Linken des Kaisers saß der 
Flügeladjutant Gras Moltke. Der Monarch 
erwiderte die Grüße der zahlreich in der 
festlich geschmückten Wilhelmstraße Spalier 
bildenden Menge. 
Berlin, 15. Oct. Ein Konstantinopeler 
Drahtbericht der „Köln. Ztg." versichert 
bei der Pforte sei die Nachricht einge- 
rroffen, zwei englische Kriegsschiffe hätten 
die türkische Stadt Zabar a ans der Halb 
insel Kator beschossen und zerstört. Eng 
land will eine Reihe von Jahren die 
Lchntzherrschaft über die türkische Insel 
Hohrein an der Ostküste Arabiens aus- 
üben, die wegen ihrer Pcrlenfischerei große 
Bedeutung habe. Die Stadt Zabara liegt 
in der Nähe diessr Insel. Der unmittel 
bare Anlaß zu dem jetzigen Vorgehen der 
Engländer ist nicht bekannt. 
Berlin, 15. Oct. In der Liebenwalder- 
straße machte gestern ein Sohn einen 
Mordversuch auf seinen leiblichen 
Vater. Ein Stich, in die Brust geführt, 
blieb wirkungslos, weil das Messer stumpf 
war. Erst als der unnatürliche Mörder 
dem Vater ein zweites Messer in den 
rechten Oberarm stieß und bis auf die 
Mitte aufschlitzte, brach ver Verletzte zu 
sammen. Der Mörder, durch Hinzueilende 
ergriffen, konnte nur mit Mühe vor der 
Lynchjustiz der Menge bewahrt bleiben. 
Berlin, 15. Oct. Wie der Korrespondent 
der „Franks. Ztg." erfährt, bezeichnete der 
Reichskanzler den Bankdirektor Dr. Petri 
als den geeignetsten Vertreter für den 
Unterstaatssekretärsposten in Elsaß. Loth 
ringen, Abtheilung für Justiz und Kultus. 
Die Kandidatur ist bisher auf Schwierig 
keiten gestoßen. 
Berlin, 15. Oct. Gegen den Vorsitzenden 
des sozialdemokratischen Parteitages, Singer, 
ist, wie der Staatsbürger-Zeitung aus 
Breslau gemeldet wird, ein Strafverfahren 
wegen Beleidigung des Breslauer Polizei- 
Präsidiums eingeleitet worden. Die Be- 
leidigung wird in einigen Bemerkungen 
gefunden, mit denen Singer Maßnahmen 
der dortigen Polizeibehörde kritisirte. 
Köln a. Rhein, 15. Oct. Heute Vor 
mittag begannen vor dem hiesigen Schwur- 
gericht die Verhandlungen in Sachen des 
Mülbeimer Krawalls. Die Hanptexzedenten, 
gegen welche Anklage wegen Aufruhrs und 
Landfriedensbruch erhoben worden ist, wur 
den zunächst vernommen. Unter ihnen be- 
findet sich auch ein lljähriger Junge, der 
von einem Gendarmen einen Schuß in 
den Leib erhielt. Die meisten Angeklagten 
leugnen, nur einzelne geben zu, an der 
Demolirung theilgenommen und die Polizei 
angegriffen zu haben. Zur Vertheidigung 
sind 11 Rechtsanwälte herangezogen und 
80 Zeugen geladen. Die Verhandlungen 
werden 4 Tage dauern. 
Wien, 15. Oct. Der frühere Minister 
Präsident Gras Taaffe ist auf seinem 
Schlosse Ellischan sehr schwer erkrankt. 
Agram, 15. Oct. Mittags fanden vor 
deni Gebäude der serbischen Bank große 
Skandale statt, weil die Bank, die anläß 
lich der Hierherkunft des Kaisers geflaggt 
hatte, neben den kroatischen und schwarz 
gelben Flaggen auch die serbische National 
sahne gehißt hatte. Eine große Volks- 
menge stürmte das Bankgebäude, sodaß 
die Polizei einschreiten und die serbische 
Fahne entfernt werden inußte. Sodann 
zog die Menge nach der serbischen Kirche, 
wo ebenfalls die serbische Fahne eingezogen 
Iverden mußte. 
Budapest, 15. Oct. In die Wohnung 
des Kaufnianns Rosenbaum in Nyirbozdany 
drangen drei maskirte Räuber ein, welche 
Rosenbaum niederschössen und einen Sohn 
desselben tödtlich verletzten. Die Räuber 
entkamen mit der eisernen Geldkasse. 
Petersburg, 15. Oct. Gutem Vernehmen 
nach hat sich das Befinden des Großfürsten- 
Thronfolgers seit der Untersuchung durch 
Professor Leyden in diesem Sommer nicht 
wesentlich verändert. 
Athen, 14. Oct. Wegen der Entlassung 
der Reserven griffen die Oppositionsblätter 
die Regierung heftig an. Sie fordern die 
ofortige Bereitstellung von Geldmitteln 
ür eine eventuelle Mobilisirnng. 
Mailand, 15. Oft. Die Seidenplüsch- 
jabrik von Raedelli & Fenzi in Secco 
brannte vollständig nieder. Der Schaden 
beträgt eine halbe Million. 
Stockholm, 14. Oct. Der Gesundheits 
zustand der Kronprinzessin von Schweden 
hat sich verschlechtert. 
Zur im in kr Türkei. 
Die politische Situation in der Türkei 
ist nach wie vor eine höchst gespannte, ob 
gleich die Unruhen abgenommen haben. 
Es liegen Privatmeldungen vor, denen 
zufolge man im Mldiz-Kiosk bereits Vor 
bereitungen treffe, um für den Fall, daß 
die englische Flvtte die Dardanellen forciren 
oder ein Aufstand in Konstantinopel aus 
brechen sollte, die Frauen des Sultans 
mit ihren Kindern nach Adrianopel senden 
zu können. Ein Gerücht will sogar wissen 
der Sultan selber werde vor den Eng 
ländern nach Adrionopel gehen und es 
dem Großvezir überlassen, mit den Eng 
ländern zu verhandeln. 
Die in der Presse bereits ausgesprochene 
Ansicht, daß die russischen Truppen im 
Kaukasus bereit stehen, in Armenien ein- 
znmarschiren, wird als vollkommen 
glaubwürdig bezeichnet. Rußland sei näm- 
lich entschlossen, falls die englische Flotte 
vor Konstantinopel erscheinen sollte, unver 
züglich in Armenien einzumarschieren, um 
nicht sein Prestige bei den Christen des 
Orients einzubüßen, die natürlich sagen 
würden, England allein habe die Armenier 
befreit. Es herrsche nicht nur unter den 
Armeniern der Türkei, sondern auch unter 
denen Rußlands eine gewaltige Aufregung. 
Die Armenier verlangen, Rußland möge 
doch etwas für ihre Glaubensbrüder im 
türkischen Reiche thun, und es haben schon 
mehrere armenische Deputationen in dieser 
Angelegenheit beim Katholikos in Etsch- 
miadzin vorgesprochen. 
MrMâà 
Außereuropäische Gebiete. 
Rcw-York, 13. Oct. Admiral Carpenter 
niachte dem Marineministerium die Draht- 
Meldung, daß die Lege in Korea sehr 
beunruhigend ist. Tie der sogenannten 
Königspartei angehörigen Offiziere hätten 
sich in die amerikanische Gesandtschaft ge- 
flüchtet. Es läuft ein Gerücht, daß die 
Königin ermordet sei. Der Bericht meldet 
weiter, daß auf Ersuchen des Geschäfts- 
rrägers der Bereinigten Staaten nach 
Lönl eine Abtheilung Marine-Infanterie 
vom Kreuzer „Yorktown" gesandt wurde, 
der gegenwärtig in Chemulpn ankert, wohin 
auch der Aviso „Petrel" von Tschifn ab- 
gehen wird. 
New-York, 14. Octbr. In Pittsburg 
stürzte ein Wagen der elektrischen Straßen- 
NicowsMMWter. 
10) Roman von B. Riedel-Ahrens. 
bahn, über den der Führer die Controle 
verloren hatte, über den Damm. Drei 
Personen wurden getödtet, neun schwer 
verletzt. 
Rußland. 
Auf dem Friedhose zu Lodz in Polen 
erschoß ein wohlhabender Mann den 
Bräutigam seiner Tochter, weil er einer 
Verbindung derselben abgeneigt war. 
Italien. 
Rom, 14. Oct. Dem Popolo Romano" 
zufolge dürfte der König von Portugal 
nicht mehr nach Rom kommen. Das 
Blatt schreibt: Nachdem König Humbert 
den König Karl hatte wissen lassen, daß 
er ihn im Quirinal empfangen würde, 
und nachdem der Papst erklärt hatte, daß 
er in diesem Falle den König von Portugal 
nicht empfangen würde, glaubte König 
Karl über die Schwierigkeiten hinwegzu 
kommen, indem er vorschlug, daß er König 
Humbert in Monza und darauf den Papst 
in Rom besuchen wolle. Der König von 
Italien wollte jedoch auf diesen Ausweg 
nicht eingehen, der wie eine Capitulation 
dem Vatican gegenüber erschienen wäre. 
Spanten. 
Cadix, 14. Oct. Anläßlich einer Pro 
cession kam es zu Ruhestörungen, indem 
ein Bolkshanfe die Procession zu verhindern 
suchte. Die Gendarmerie zerstreute die 
Menge, wobei einige Personen verwundet 
wurden. Die Ruhe wurde wiederhergestellt. 
Barcelona, 13. Oct. Die Studenten 
erneuerten ihre Kundgebungen, sodaß 
die Gensdarmerie mit der Waffe ein- 
schreiten mußte. Die Ordnung wurde 
wiederhergestellt und zwei Studenten ver 
haftet. Die Behörden entschieden sich für 
strenge Durchführung ihrer Maßnahmen. 
Die Wittwe des Marschalls Mac-Mahon 
reiste vor etwa einem Monat von Madrid 
nach Barcelona in einem Salonwagen. Die 
Dame war sehr unwohl und mußte während 
der Fahrt öfters die Hilfeleistung des dienst- 
thuenden Schaffners in Anspruch nehmen. 
Als die Kranke in Barcelona, dem Ziel 
ihrer Reise, ausstieg, wollte sie unter 
großen Dankesbezeigungen dem Schaffner 
ein ansehnliches Trinkgeld in die Hand 
drücken; der Mann schlug jedoch jede Be- 
lohnung ab mit der Bemerkung, er habe 
nichts als seine Pflicht erfüllt. Kurz nach 
ihrer Ankunft in Barcelona verschied die 
Herzogin von Mac-Mahon, und als ihr 
Testament geöffnet wurde, da stand der 
Schaffner auch darin und war mit 
10 000 Pesetas bedacht. 
Von Neuem lag der Friedhof einsam und 
cs wurde dunkler; nur die rothen Blumen 
leuchteten noch aus dem Schnee des Grab 
steins, und tief unten jenseits der Nordsee 
glühle am Horizont ein schmaler purpurner 
Streifen ans. Ueber der öden Stätte schwebte 
die Ruhe des Todes. 
Da nähern sich Huftrittc; noch einmal 
steigt ein Mann vor der Friedhofsthür hastig 
vom Pferde, schreitet bis zum Hügel wo 
die Mutter Rahels schläft, nimmt vorsichtig 
eine der Blunien an sich und verbirgt sie 
sorgfältig zwischen den Blattern seiner Brief 
tasche; hierauf entfernt er sich rascher noch 
als er gekommen. 
Im Galopp, wie von etwas Unsichtbarem, 
er entrinnen mußte, getrieben, ritt Baron 
Albrecht durch die Haide weiter; hier und 
r ?*.. l ?.9j cn ìn der Ferne gespenstisch die 
schwärzlichen Umrisse eines Bauernhauses mit 
inait erleuchteten Fenstern hervor. Was war 
geschehen . Im Grunde nichts, er hatte ein 
eigenartiges Mädchen kennen gelernt. Und 
doch war plötzlich mit'einer Gewalt wie er 
sie zermalmender noch nicht empfunden die 
Erkenntniß über ihn gekommen, daß êr an 
eine Frau gekettet war, die ihn herabzog; 
er hatte die Ergänzung seines liebedürstigen 
Ichs zu finden geglaubt, um nur zu bald 
?u entdecken, daß er durch seine Ehe in ein 
Labyrinth gerathen, in dessen Irrgängen cr 
sich rettungslos verlor. — 
Als Rahel kurz nach ihrer Ankunft 
Lconore von Frau Bergs Einladung zum 
Sonntag erzählte, meinte diese: „Sage lieber 
nichts davon zum Vater; er befürwortet die 
Werbung Bergs um mich, und ich möchte 
thin die Enttäuschung ersparen, da niemals 
etwas aus der Sache wird." 
„Aber warum nicht, Lconore? Er ist 
wenn auch nicht hübsch, doch ein sehr guter 
Mensch, und als Frau Pastor bliebst Du 
in unserer Nähe!" 
„In der Haide! Das ist's ja eben." er 
widerte Lconore wegwerfend. „Nein, Nahet, 
ich möchte um die Welt nicht immer hier 
leben, und gar als würdige Frau Pastor, 
unter den Flügeln der geschwätzigen Alten, 
mein ganzes Ideal im Klößekochen oder der 
Zucht möglichst fetter Hühner, Gänse und 
Schweine finden — das geht denn doch 
über die Hutschnur, wie Axel sagt. Entsetz 
lich ! Nein, nein, das ist abgethan, und 
sieht Herr Pastor Berg das nicht ein — so 
samt ich ihm die Enttäuschung nicht ersparen," 
fügte Lconore entschlossen hinzu, während sie 
die Geranien in einer Glasschale ordnete. 
Ņahel sah ihr zu. 
»Als ich heute im Dorfe war, begegnete 
mir Baron v. Ravens," äußerte sie nach 
einer Weile. 
"Şoo?"- stieß Lconore überrascht hervor. 
„Auf dem Friedhof, lind weißt Du, 
woran ich denken mußte, als er so jung 
und vornehm, angehaucht von einer leisen 
Schwcrmuth, in seinem kleidsamen Jaqd- 
anzugc vor mir stand?" 
„Nun?" 
» "-An den Königssohn. Du weißt doch, 
Märchen, das wir als Kinder, 
’ dlpfelbaum i-tzeiid, erfunden hatten, wenn 
Sonne des Abends auf dem alterr 
Schlosse drüben am Meere lag und cs qol- 
dig überstrahlte. Da dachten wir uns, dort 
Schweiz. 
Ein unsicherer Cantonist scheint der 
Raubmörder Kögel zu sein, der, 
wie seiner Zeit mitgetheilt, zu Thun in 
der Schweiz im dortigen Gerichtsgesängniß 
sitzt. Da Kögel bestimmt weiß, daß seiner 
in Deutschland mit Sicherheit die Todes 
strafe harrt, so hatte er bereits seit sechs 
Wochen den Plan gefaßt, um jeden Preis 
das Weite zu suchen. Allein die Behörden 
hatten das vorhergesehen. Da sie über 
dies fürchteten, er werde einen Selbstmord 
begehen, so hatten sie ihn mit zwei anderen 
Gefangenen in eine besonders feste Zelle 
gesperrt. Schließlich war es Kögel ge- 
lungen, diese zur Flucht zu bereden, und 
alle drei machten sich daran, ein großes 
Loch in die Decke zu brechen, um von 
dort den Boden zu gewinnen und sich 
dann an selbstgefertigten Seilen in den 
Hos zu lassen, von wo aus die Entweichung 
Nachts nicht schwierig gewesen märe. Zu 
fällig aber wurden sie durch einen Aus 
setzer bei der Arbeit überrascht. Seither 
sitzt Kögel an Händen und Füßen ge 
fesselt unter steter Aussicht in einer sogen. 
>chweren Zelle, aus der an ein Entkommen 
nicht zu denken ist. 
Frankreich. 
Paris, 14. Oct. Die von Bonapartisten 
im Tivoli-Saale veranstaltete Jenaicier 
endete mit einer regelrechten Keilerei. Zwei 
Socialisten, Letrillard und Liegeois, welche 
nach den Napoleon verhimmelnden Reden 
eine andere Meinung zum Ausdruck brachten, 
wurden niedergeworfen und mit Bleistöcken 
gejchlagen. Die Feier selbst verlief bedeu 
tungslos. Die seit dem Nortonprocesse in 
der guten Gesellschaft unmöglich gewordenen 
Miltevoye und Marquis Mor5s variirten 
das Thenia von den beiden armen Fran 
zosen kindern Elsaß und Lothringen bei 
ihrer Stiefmutter Germania. Dann wurden 
Hochs auf Duchesne ausgebracht, und daniit 
Ivor die Feier beendet. 
Paris, 14. Octbr. Bei der Enthüllung 
des Kriegerdenkmals in Lepny sagte der 
Exminister Tupuh, daß das verstümmelte 
Frankreich nach einem Vierteljahrhundert 
der Sammlung Freunde und Verbündete 
gewonnen habe, die ihm seine Resignation 
weniger peinlich und seine Hoffnungen 
begründeter machen. In der umgebenden 
Menge stehe vielleicht ein Kind, das einer 
der Rächer der nationalen Rechte des 
Vaterlandes sein werde. Möge Gott wallen, 
daß wir einst Frankreich in früherer Gestalt 
wiedersehen, getröstet durch die Rückkehr 
müsse wieder, wie in längstvergaiigmeii 
Zeiten, der einsame verbannte Königssohn 
wohnen, und sobald wir groß geworden, 
sollte er kommen, und eine von uns beiden 
wählen, als Gemahlin in seine stolze Burg 
zu führen. Wie beglückte uns der Traum 
und wie felsenfest glaubten wir an seine Er 
füllung !" 
Lconore lächelte zerstreut dem lieblichen 
Bilde der Jugenderinnerung zu. 
„Du hast Recht, Rahel, aber leider 
scheint das Leben nicht viel anderes zu 
bringen als die Enttäuschung aller Hoff 
nungen und holden Träume; der Königs 
sohn ist bereits gebunden — so wird es 
auch mit der Erfüllung unseres schönen 
Märchens nichts." 
* 
„Sind Briefe für mich angekommen 
Julie?" fragte Albrecht v. Ravens drei 
Tage später, als er, von seinem Jagdaus 
flug zurückgekehrt, den Salon seiner Frau 
betrat; die Baronin lag auf einer mit per 
sischem Stoff bezogenen Chaiselongue, vor 
der als Teppich ein weißes Bärenfell ge 
breitet lag; auf die kostbaren schwarzen, 
mit Elfenbein ausgelegten Möbel, roth- 
geblümten Gobelintapeten, schweren Sammet- 
portieren, Fayencekrüge mid reizende Basen 
aus venetianischem Glas fiel freundlich 
durch die Bogenfenster der Längsseite das 
blaffe Nachmittagssonnenlicht. 
Julie hatte in einem französischen Roman 
gelesen, der, ihrer gelangweilten, mürrischen 
Miene nach zu schließen, dem Zweck ihrer 
Unterhaltung schlecht entsprochen. 
„Endlich! ich glaubte wahrhaftig, Du 
wärest nach Berlin zurückgereist — und 
sjätteft nach hier in dem Eulenncste to al 
vergessen — ähnlich sieht Dir das. Wie 
rücksichtslos! Da ist mir mal wieder klar 
geworden, wie groß die Sehnsucht nach 
Deiner Frau ist." 
„Trebitz bestürmte mich derartig, daß an 
ein Loskommen nicht zu denken war — 
außerdem befanden sich Stadinger und 
Graf Pfeil dort — es ging wirklich nicht 
anders — also die Briefe." 
„Es sind mehrere da, sie liegen dort 
auf meinem Schreibtisch; auch von Eugen 
ist einer dabei, denke Dir, ihm ist ein Un 
fall zugestoßen," bemerkte Julie, die heute 
im Tageslicht so gelb aussah, daß selbst 
die Künste der Toilette nicht darüber hin 
wegzuhelfen vermochten. 
„Ein Unfall?" wiederholte der Baron 
bestürzt, „was ist ihm denn passirt?" 
„Ach, es iļt nicht so schlimm, lies nur 
selbst," entgegnen seine Frau noch inmicr 
verdrießlich, indem sie mit einer Geberde 
des Umnuths das Buch aufhob und von 
neuem zu lesen begann. 
Der Leutnant der Garde-Artillerie, Engen 
von Ravens, schrieb: 
„Mein lieber Bruder! 
Gestern erhielt ich Deinen Brief, der mir 
Eure glückliche Ankunft auf Ravensburg 
meldet. Da ich die Adresse, welche Du mir 
fllc Euren Abstecher »ach Paris aufgegeben, 
verloren hatte, so kann ich Dir erst heute, 
nachdem bald vier Wochen seit Deiner Ab 
reise von Berlin verflossen, von einem kleinen 
Malheur berichten, das mich betroffen und 
meine baldige Ankunft in Ravensburg znr 
Folgc haben wird. Hoffentlich bist Du der 
vrrdammtcn Sprengbombe, die das Pech 
veranlaßt hat, nicht allzu gram, daß sie 
die Ursache geworden, Dir durch meine 
Gesellschaft die gewiß schauderhafte Lange 
weile dort oben am Nordmeer eine Zeit 
lang vertreiben zu helfen. Also höre und 
staune. 
Mir war am 30. November der Befehl 
zu Theil geworden, mit einer Abtheilung von 
vierzig Mann Schützengräben auszuwerfen, 
und da es seit einer Woche stark gefroren 
hatte, so mußte ein kleines Kommando des 
Pionierbataillons den harten Boden mit 
Pulver sprengen, zu welchem Zwecke eine 
Mine mit etwa zwanzig Kilo gelegt worden 
war. Nun ritt ich an diesem Tage einen 
jungen Fuchshengst, ein rabiates Biest, das 
mir Markstedt aufgeschwatzt hat; ich wollte 
natürlich nicht merken lassen, daß mir der 
Hengst zu schaffen machte, und hielt ihn 
steif zwischen Sporen und Kandare. Als 
jedoch die Bombe losging, scheute er, bäumte 
sich kerzengerade aus und — ging, hast Du 
liicht gesehen, mit mir durch und stürzte in 
den nächsten breiten Graben, bei welcher 
Gelegenheit ich unter ihm zu liegen kam und 
eme» . doppelten Armbrnch erlitt, abgesehen 
von einigen leichteren Verletzungen am Kopse. 
Ich mußte bewußtlos nach Hause getragen 
werden, doch erwies sich die Geschichte nicht 
so schlimm, so daß ich heute, eine nach 
haltige Steifheit des linken Armes ausge 
nommen, bereits wieder ganz wohl fühle. 
Unser alter SanitätSraih will das zwar nicht 
wahr haben und beiiutzle die Gelegenheit, 
mich einmal ordentlich in die Kur zu nehmen. 
Er behauptet starrköpfig, mein Nervensystem 
sei in hohem Grade angegriffen, ich bedürfe 
ans alle Fälle eines längeren Aufenthaltes in 
frischer Lust, ani liebsten an der See, und 
da mir der alte Faselhans bei unterlassener 
chonung ein so wenig einladendes Bild von
	        
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