England.
London, 14. Octbr. Es wird befürchtet,
daß es wie in Glasgrw auch in Newcastle
zum Streik unter den Schiffsbauern
kommen wird, es würden dann 120000
Mann an der Nordküste Englands feiern.
In Belfast versuchte die Geistlichkeit zu
interveniren.
Inland.
— Der russische Reichskanzler Fürst
L o b a n o w trifft heute Abend um 6 Uhr
in Berlin ein und wird voraussichtlich
morgen Mittag vom Kaiser in Hubertus
stock empfangen werden.
— Zu dem Erlaß des Staats
ministeriums in der Angelegenheit des
Ministers Herrn v. Bötticher sagt das
„B. T.": Es entspricht durchaus den Ge
wohnheiten der sogenannten conservativen
Presse (oft nur persönliche Organe
irgend eines leitenden Beamten. Red.),
die für Herrn von Hammerstein den
Mantel der christlichen Liebe stets in Bereit
schaft hält, die ihr unbequemen politischen
Staatsbeamten mit Hilfe jener Kunst in
Verruf zu bringen, die in dem edlen Jago
ihren Schutzpatron verehrt. Manches Blatt
hat denn auch Wunders geglaubt, wie fein
sie die giftige Mischung dosirt habe, die sie
aus der Zukunfts-Apotheke bezogen hat.
Nun kommt das gesammte preußische Staats-
Ministerium, um durch eine geharnischte
Erklärung die Taktik dieser Leute zu durch
kreuzen. Wer aber glauben sollte, daß damit
die Basilios der modernen Demagogie, die
sich so gern mit ihrem lauteren Deutschthum
(ganz in den Wendungen und Worten des
verflossenen Freiherrn von Hammerstein)
zu brüsten wissen, wer da glauben sollte,
daß die Hintermänner jener Blätter nun
in sich gehen und ihr Unrecht bekennen
würden, der dürfte sich einer schmählichen
Selbsttäuschung ausgesetzt sehen. Diese
Herren sind nicht zu überzeugen,
und man darf darauf rechnen, daß jene
verleumderischen Ausstreuungen über kurz
oder lang an anderen Stellen aufs Neue
auftauchen. Ohne Rücksicht auf Wahrheit
oder Lüge greifen sie die Gegner hinterrücks
ohne Weiteres an, je mehr Lüge, desto besser.
— Zur Hammersteinchronologie
wird darauf aufmerksam gemacht, daß
Stöcker Freih. v. Hammerstein „bis zum
Frühjahr" für einen „durchaus ehren-
werthen Mann" gehalten hat. Gleich darauf
brach dann, wie Stöcker schreibt, die Kata
strophe herein und offenbarte uns allen die
erschütternden Thatsachen u. s. w. Während
also nach Herrn Stöcker alle Konservativen
gleich nach dem Frühjahr über Freih. von
Hammerstein ins Klare kamen, ist dem
Grafen Mirbach nach seiner Erklärung in
der „Kons. Korresp." noch im Juni von
einem einflußreichen Mitglieds des Aufsichts
raths versichert worden, daß ein doloses
Handeln des Freih. v. Hammerstein nicht
vorliege. Am 5. Juli aber konnte Herr
v. Hammerstein selbst in der „Kreuzztg."
noch erklären, er gehe nur in die üblichen
Sommerferien. — Stocker's Intriguen
haben allem Anschein nach am Hofe eine
starke Verstimmung erzeugt. Allerlei Be
merkungen des Stöcker'schen „Volk" lassen
erkennen, daß man in den Kreisen des
Hospredigers a. D. allerlei Unannehmlich
keiten zu befürchten scheint. Ein Berliner
Korrespondent der Augsburger „Abendztg."
berichtet, daß der Kaiser seine schärfste
Mißbilligung über die Stellungnahme
der „Kreuzzeitung" für Stöcker ausgesprochen
habe.
— Ein Berichterst atter meldet:
Die Hammerstein briefe, 1242 an
der Zahl, incl. Abschriften amtlicher Akten-
stücke, sind nach verschiedenen Materien in
14 Mappen vom Freiherrn von Hammer-
stein selbst geordnet, von einem bekannten
sozialdemokratischen Schriftsteller gekauft
und von diesem seiner Partei überant
wortet worden.
— Das große Ereigniß des sozialisti
schen Parteitages ist die Ablehnung
des „ A g r a r p r o g r a m m s" und damit
eine gewaltige Niederlage Bebels.
Mit einer Majorität von 5 zu 2 ging
der Breslauer Parteitag über den Vor
schlag der Kommission, für den Bebel sich
heftig ins Zeug gelegt hatte, zur Tages
ordnung über, indem er sich für den An
trag Kautsky erklärte: Ablehnung des
Agrarprogramms der Kommission, weil
dasselbe dem Ausbeuterstaat neue Macht
mittel zuweise, den Klassenkampf des
Proletariats erschwere und dem kapitalisti
schen Staate Aufgaben zuweise, die nur
ein Staatswesen ersprießlich durchführen
kann, in dem das Proletariat die politische
Macht erobert hat. In der Minderheit
stimmten unter Anderen Bebel, Liebknecht
und Schönlank, gegen sie in der Mehrheit
unter Anderen Auer, Singer, Stadthagen
und Wurm. '
In einer wichtigen Frage, man kann
vielleicht sagen, der für sie wichtigsten,
ist die Sozialdemokratie in sich uneinig.
Ihr hervorragendster Führer — das ist
und bleibt Bebel, wenn es auch Leute in
der Partei giebt, die auf einem höheren
Grad der wissenschaftlichen Bildung stehen
— steht mit seiner in der Minorität ge
bliebenen Ansicht einer überwältigenden
Majorität gegenüber, in der sich ein großer
Theil der literarischen Vorkämpfer der
Partei befindet. Der Vorgang sollte zu
denken geben. Er zeigt, daß die Sozial-
demokratie bei ihrem Bestreben, immer
weiter vorwärts zu dringen, auf Hinder
nisse stößt, die in der Natur der mensch
lichen und wirthschaftlichen Verhältnisse
begründet sind.
Derart ist die Verhandlung der Sozial
demokratie über das Agrarprogramm am
entgegengesetzten Ende ange
kommen von dem Ausgangspunkt, den
auf dem Frankfurter Parteitag die Anträge
v. Vollmar - Schönlank genommen
hatten. Jene Anträge sprechen von einer
Lösung der Agrarfrage durch „Zurückgeben
von Grund und Boden an die Produzenten."
In Breslau aber ist umgekehrt alles ver
worfen worden, was auch nur geeignet er
schien, den Kleinbauern gegenwärtig in
Besitz zu erhalten. Ausdrücklich hieß es
in dem damaligen Antrag v. Vollmar-
Schönlank: „Der Bauernschutz soll den
Bauern als Steuerzahler, als Schuldner,
als Landwirth vor Nachtheilen bewahren."
Ter Breslauer Beschluß verwirft über
haupt jeden Bauernschutz, und will nur
den Arbeiterschutz gelten lassen.
Vollmar und Grillenberger waren
bekanntlich auf dem Breslauer Parteitag
nicht anwesend. Wie werden dieselben
sich nun zu diesem Beschlusse stellen? Da
mals, nach dem Frankfurter Parteitag,
klafften nur die Gegensätze auseinander
zwischen norddeutschen Sozialdemokraten
einerseits und süddeutschen Sozialdemokraten
andererseits. Jetzt geht auch der Riß
mitten durch die norddeutsche Sozial
demokratie, ja sogar durch die Berliner
Führung der Sozialdemokratie. Auer
und Singer stehen auf der Seite der
Mehrheit des Breslauer Parteibeschlusses,
Bebel und Liebknecht gehören zur Opposition
Können danach Bebel und Liebknecht noch
fernerhin in der Führung der Partei ver-
bleiben, oder werden beide nunmehr ihre
auf dem Grunde Ihrer Seele eine Stimme
für mich und unsere Schützlinge sprechen wird."
Diese Stimme sprach nun allerdings für
Rahel sogar recht lebhaft, er fühlte sich in
neue Bahnen gelenkt, und um ihr zu be
weisen, daß er keineswegs der moralisch ver
kommene Mensch sei, für den sie ihn zu
halten schien, war er auch bereit, das einzu
gestehen; denn Albrecht v. Ravens, der stets
die Natur geliebt hatte, war ein Weltmann,
dessen zur Zeit erschlaffte Sinne durch eine
idealistisch angehauchte Seele geadelt worden.
„Sie dürfen sich rühmen, Fräulein Erichsen,
mir das Vergnügen an der bevorstehenden
Jagd bei dem Baron v. Trebitz gründlich
verdorben zu haben," äußerte er, gutmüthig
lächelnd. „Da ich jedoch meinen Freund
nicht vergebens warten lassen möchte, so
verspreche ich Ihnen hiermit feierlichst,
höchstens einen alten Fuchs auf's Korn zu
nehmen, der durch seine zahllosen Schand
thaten die Todesstrafe zum mindesten verdient
hat. Sind Sie nun mit mir zufrieden?"
„Ja," antwortete Rahel, angenehm über
rascht, strahlend, „einen so schönen und
leichten Sieg hatte ich natürlich nicht er
wartet, empfangen Sie meinen innigsten
Dank, Herr Baron. Nun wird es aber
auch die höchste Zeit, den Heimweg anzu
treten — also Waidmanns Heil für den
alten Fuchs!" '
Sie beugte sich auf das Grab der Mutter
und legte ihre von Frau Berg erhaltenen
Geranien auf den Stein im Schnee.
Albrecht v. Ravens reichte Rahel die
Hand zum Abschied; ihm, dem gewandten
Salonmenschcn, dem es noch kaum passirt
war, einer jungen Dame gegenüber Unsicher
heit zu empfinden, geschah es heute, daß er,
unzufrieden mit sich selbst, vergebens nach
einer passenden Aeußerung suchte. Alles,
was er sagen wollte, erschien ihm banal und
farblos, er fühlte, um nicht vor Rahel
Erichsen mit der werthlosen Münze der kon
ventionellen Sprache und Umgangsformen
kläglich abzufallen, daß er diesem Mädchen
das Beste, was er in seinem Innern besaß,
bieten mußte — und das war jedenfalls
eine gewisse einfache Aufrichtigkeit, die seinem
Wesen eigen.
„So trennen Sie sich also nicht ganz
unversöhnt von mir?" fragte er, ihre Hand
festhaltend. „Ich bin nämlich ein ziemlich
stark versumpftes Weltkind, verspreche aber
allen Ernstes, mich zu bessern; wollen Sie
Geduld mit mir haben?"
Sie sah zu ihm auf und in diesem Moment
lag in seinem hübschen Männerantlitz so viel
treuherzige Offenheit und Wahrheit in seiner
schmiegsamen Natur, daß Rahel unwillkürlich
den Händedruck vertrauensvoll erwiderte;
dabei umspielte ihre Lippen das so seltene,
sonnige Lächeln. —
„Solch ein Lächeln — erfrischend wie der
Morgenwind," dachte er, sich zögernd zum
Gehen wendend; anziehender hatte er es nie
gesehen, niemals Frauenlippen sich nachher
so schön ineinander schließen gesehen.
Sie schritten dem Ausgang des Friedhofs
zu; Albrecht von Ravens bestieg den unge
duldig scharrenden Rappen und bald waren
Roß und Reiter in der sinkenden Dämmerung
verschwunden; Rahel hatte ihnen eine Weile
nachgesehen und schlug dann gedankenvoll den
Weg nach Haraldsholm ein.
(Fortsetzung folgt.)
bisherige Ansicht unterdrücken, (und sich
dem Beschluß des Parteitags lautlos
fügen? Darüber werden die nächsten
Wochen alsbald Klarheit verschaffen. Im
vorigen Jahre hat die Einbringung der
Umsturzvorlage die durch die Agrarfrage
bereits aufgelösten Gruppen der Sozial
demokratie wieder zusammen geschmiedvt.
Wird auch diesmal ein ähnliches Unge
schick der Gegner der Sozialdemokratie in
ihrer inneren Bedrängniß Hülfe leistend
die Hand bieten?
'Im Uebrigen waren es auch die alten
Gegensätze, die hier wiederum zum Aus
drucke kamen: die Gegensätze zwischen der
Taktik, die dem Bauernfange zu Liebe die
eigentlichen Ziele möglichst verhüllen will
und der kräftigeren jugendlichen Richtung,
die es verschmäht, durch Köder und Honig
über das eigentliche Wesen und Ziel hin
wegzutäuschen. Zu den Taktikern, die es
mit der Verhüllung der Wahrheit versuchen
möchten, gehören die meisten Führer 1.
und 2. Grades, zu den andern die Führer
der niedern Grade und diejenigen, welche
gern Führer werden möchten. Mit Recht
hob Genosse Müller aus München hervor,
daß weder Herr Dr. Quark noch Herr
Dr. Schippel am Tage vorher eine richtige
Kenntniß der landwirthschaftlichen Ver-
hältnisse gezeigt hätten, und daß überhaupt
die Sozialdemokratie noch nicht fähig sei,
ein wirkliches Programm zu schaffen für
die ländlichen Arbeiter und die Klein
bauern.
— Der Schlußakt der Affaire von
Schrader und von Kotze soll sich jetzt,
so deutet geheimnißvoll ein Potsdamer Be
richterstatter an, in Rathenow abspielen,
denn seit einiger Zeit treffen dort regel
mäßig zu gleicher Zeit sowohl Herr Cere-
monienmeister v. Kotze, wie Freiherr von
Schrader ein, um sich nach dem dortigen
Offizierkasino zu begeben. Es wird ver
muthet, daß Verhandlungen in der be
kannten Angelegenheit dort gepflogen wer
den. Nach anderweitigen Informationen
bestätigt sich diese Nachricht nicht. Die
Lösung des Mißverständnisses dürfte viel
mehr darin zu finden sein, daß in Rathenow
zur Zeit das militärische Ehren
gericht tagt, welchem Herr v. Kotze als
Angehöriger des 3. Armeekorps unterstellt
ist. — Bei dieser Gelegenheit möge er
wähnt sein, daß die Beschwerde des
Herrn v. Kotze gegen die Zurückweisung
feiner Beleidigungsklage wider Freiherrn
von Schräder durch das Amtsgericht wegen
Nichtinnehaltung der bei Beleidigungsklagen
vorgesehenen gesetzlichen dreimonatigen Frist
gutem Vernehmen nach auch seitens des
Landgerichts zurückgewiesen worden ist.
Verschwunden ist aus Berlin der Bau-
Inspektor Schran ausderKolonialabtheilung
des Auswärtigen Amts. Da die Verhält
nisse des Vermißten durchaus ungeordnete
waren, und er auch vor seinem Verschwinden
Spuren stärkerer Erregung zeigte, so ist
es nicht ausgeschlossen, daß ein Selbstmord
vorliegt; wahrscheinlicher jedoch ist, daß
Sch. sich unangenehmen Verhältnissen durch
die Flucht entzogen hat.
— Ueber den Zusammenhang des Briefes
von Stöcker an Kaiser Wilhelm!,
mit der Aufführung des Lindauschen
Schauspiels „Gräfin Lea" im königlichen
Schauspielhause, geht der Nationalzeitung
von einem Mitarbeiter, wie ausdrücklich
bemerkt wird, nicht von Paul Lindau,
folgende zuverlässige Darstellung zu:
Während der Hoffestlichkeiten von Anfang
81 gab der damalige Kronprinz ein Fest
im Schlosse, zu dem Paul Lindau eine
Einladung erhalten hatte. Beim Rund-
gang redete er Lindau an. Er sagte ihm
einige freundliche Worte über seine Stücke
im Allgemeinen und insbesondere über
„Gräfin Lea". Dabei stellte der Kaiser
auch die Frage, „weshalb haben Sie
eigentlich Ihre Heldin zu einer Jüdin
gemacht?" Lindau erwidertes daß er die
Absicht gehabt habe, den Gegensatz zwischen
den Ehegatten in dieser Mesalliance so
schroff wie möglich zu machen und darum den
Abkömmlingeines der vornehmsten Geschlech.
ter mit der Tochter eines jüdischen Bürger
lichen verbunden habe. Der Kaiser nickte und
sagte, der Gegensatz zwischen einem Alt
adligen und einem bürgerlichen Mädchen
bescheidenster Herkunft wäre nicht ausreichend
gewesen, aber, Sie müssen das am besten
wissen. Er sagte noch einige freundliche
Worte und wandte sich zu einem Andern.
Herr von Hülsen, der unmittelbar hinter
Lindau stand, hatte die Unterredung gehört.
Nachdem der Kaiser sich entfernt hatte,
sagte er zu Lindau: „Gräfin Lea" werden
wir nicht mehr geben können.
Lindau verstand das nicht und fragte Herrn
von Hülsen, wie er das meine, worauf
dieser erwiderte: „Stärker spricht Seine
Majestät sein Mißfallen niemals aus."
In der That wurde „Gräfin Lea" als
bald abgesetzt und ist im Schauspielhause
nicht wieder gegeben worden.
In Schlesien sind durch Grubenabbau
Erdsenkungen auf der Waterloogrube
hervorgerufen. Der Flecken Josefsdorf
(Kreis Kattowitz), wo sich die Häuser zu
senken beginnen und mit Hölzern versteift
werden müssen, gleicht einer von einem
Erdbeben heimgesuchten Ortschaft. Der
Boden zeigt klaffende Risse, und
an einzelnen Stellen ist das Terrain bis
zu drei Metern in die Tiefe ge
sunken. Die Villa des Schachtmeisters
Goihl sieht aus, als ob sie auf einer Insel
stände, da die Gartenanlagen um sie in
die Tiefe zu stürzen drohen. Wegen dieser
Gefährlichkeit des Terrains ordnete die
Bergpolizei- und Grubenbehörde die strengste
Absperrung an. Es steht zu befürchten,
daß der Eisenbahndamm, dessen bereits
eingetretene Sprünge mit festem Material
technisch versetzt worden sind, und den die
Eisenbahn dort mit großer Vorsicht lang
sam passiren muß, eines Tages derartig
gebrochen wird, daß der Verkehr auf dieser
Strecke gänzlich aufgehoben werden muß.
Köln a. Rh., 11. Öctbr. Wie die „Köln.
Bolksztg." meldet, liegen nach zuverlässigen
Ermittelungen unter den Trümmern der
Bocholter Spinnerei noch vierzehn
Todte. Es sind somit im Ganzen 25 Per
sonen ums Leben gekommen und 9 Personen
schwer verletzt worden. Die Ausräumung?«
arbeiten sind äußerst schwierig und schreiten
nur langsam fort.
Bocholt, 13. Oct. Der Staatsanwalt
lehnte die Haftentlassung des Spinnerei-
besitzers Beckmann auch gegen hohe Caution
ab. Die Räumungsarbeiten mußten ein
gestellt werden, weil die Umfassungsmauern
einzustürzen drohen.
Der Volksschullehrer Heinrich Neu hoff
aus Soest, der feit längeren Jahren an
der evangelischen Volksschule iu Dortmund
angestellt war, wurde im Frühjahr bei
der Staatsanwaltschaft denunzirt, daß er
sich eines Sit tlich keitsverg ehens
mit einem Schulmädchen schuldig gemacht
habe. Es erfolgte seine Verhaftung und
am 25. Mai d. I. wurde Neuhoff trotz
seiner Unschuldsbetheuerungen von der
Strafkammer zu drei Jahren Zucht
haus verurtheilt, weil die Zeugenaussagen
belastend für ihn waren. Schon damals
glaubten die dem Verurtheilten nahe
stehenden Kreise nicht an seine Schuld,
weshalb beim Oberlandesgericht in Hamm
die Wiederaufnahme des Verfahrens be
antragt wurde. Gestern wurde der Ver-
urtheilte zufolge telegraphischer Benach
richtigung der königl. - Staatsanwaltschait
zu Dortmund auf Grund eines Beschlusses
des Strafsenats des Oberlandesgerichts zu
Hamm aus der Strafhaft entlassen. Es
haben sich eine Reihe Momente gefunden,
die überzeugend für die Unschuld des An
geklagten sprechen.
Dem Premierlieutenant v. Franyois
ist die Genehmigung zu einem Vortrag in
Halle, wie berichtet, versagt worden. Ueber
die Gründe erfährt die „Köln. Ztg.", daß
v. Francois, als er Südwestafrika verließ,
sich in sehr ernsten Zwistigkeiten mit dorti
gen Kameraden befand, in Folge deren
ein militärisches Untersuchungsverfahren
gegen ihn eingeleitet worden ist.
In seinem „landwirthschaftlichen Hilfs
und Schreibkalender" veröffentlicht Prof.
Julius Kühn in Halle eine Abhandlung
über Getreidebau und Futter bau.
In dieser Abhandlung weist der Verfasser
nach, daß der Körnerbau immer die Grund
lage und der Hauptzweig der deutschen
Landwirthschaft bleiben müsse und zieht
daraus den Schluß, daß Maßnahmen ge
troffen werden müssen, die den Getreidebau
wieder lohnend machen durch Hebung der
Getreidepreise auf ein einträgliches mittleres
Maß. Eine solche Maßnahme sieht der
Verfasserin der genossenschaftlichen
Organisation des Getreideverkauss, in der
Errichtung von staatlichen Kornhäufern und
in der Beleihung der dort lagernden Bor-
räthe durch ein Regelinstitut. Er glaubt,
daß dieses „kleine Mittel" zu maßgebendem
Einflüße sich entwickeln werde.
Marburg, 12. Oct. In der Berufungs
instanz verhandelte heute die hiesige Straf
kammer über eine Beleidigungsklage des
Reichstagsabgeordneten Js kraut gegen
den hiesigen Üniversitätsprofesfor Stengel.
Stengel war s. Z. vom Schöffengericht,
wie damals in der „Frkf. Ztg." berichtet
wurde, zu 10 Mk. Geldstrafe verurtheüt
worden. Er soll gelegentlich des Esch-
weger Wahlkampfs am 27. Februar d. I.
im Wartezimmer des Bahnhofs zu Hessisch-
Lichteuau die Aeußerung gethan haben:
„Es ist mir ganz egal, wer in den Reichs-
tag kommt, nur dieser Pfaffe nicht."
Stengel selbst bestritt die Aeußerung,
ebenso erinnerten sich drei Begleiter
Stengel's nicht, diese Wendung gehört zu
haben. Das Schöffengericht aber maß der
eidlichen Aussage der Belastungszeugin
Karl, der Frau eines Gerichtsvollziehers
in Hessisch'Lichtenau, die zu jener Zeit
im Wartezimmer anwesend war und die
Unterhaltung der Herren mit angehört
hatte, vollen Glauben bei und verurtheilte
Stengel. Dagegen legte Stengel Berufung
ein. Heute wiederholte Stengel seine
frühere Aussage, die Zeugin Karl müsse
sich irren. Frau Karl erklärte abermals,
jene Aeußerung genau gehört zu haben.
Als Entlastungszeuge war' einer der da
maligen Begleiter Stengel's Werkmeister
Frank aus Lichtenau, erschienen, der eid
lich erklärte, er habe die fragliche Aeußerung
nicht gehört, die er eigentlich hätte hören
müssen. Das Gericht hielt jedoch die Aus
sage der Frau Karl für zuverlässig und
erkannte auf Verwerfung der Berufung.
17 weiße Mäuse ssind in Minden aus
dem Hofe des dortigen Garnisonlazareths
gestohlen worden. Ueber den Thäter fehlt
noch jede Spur. Vor Ankauf der Thiere
wird gewarnt, da sämmtliche Thiere
zu Versuchszwecken mit Tuberkelgift geimpft
sind bei Berührung mit Menschen eine
Uebertragung der Krankheit sehr leicht
möglich ist.
Eine Ackerfläche von 60 Morgen, in
gut bevölkerter Gegend des Kreises Hamm
i. Westfasen belegen, war bisher in einzelnen
Parzellen an kleine bäuerliche Besitzer zu
durchschnittlich 16 Mk. pro Morgen ver
pachtet. Bei der in diesem Herbst statt
gehabten Neuverpachtung ist für etwa 'U
der Fläche überhaupt kein Gebot zu er
zielen gewesen, für das Uebrige nur %
der bisherigen Pacht. Als Grund wird
lediglich der niedrige Stand der Korn-
preise angegeben. Es zeugt dies von den
niedrigen Ertrag auch der kleinen bäuer
lichen Besitzungen.
Hamburg, 12. Oct. Der frühere Reichs-
tagsabgeordnete und langjährige Präsident
der Bürgerschaft Dr. I. Wolf ff on ist
heute im 78. Lebensjahre an Lungenent
zündung gestorben.
Der nächste Deutsche Gastwirthetag wird,
wie nunmehr endgültig festgestellt ist. an-
läßlich des im nächsten Jahre stattfindenden
25jährigen Jubiläums^ des Vereins Ham
burger Gastwirthe in Hamburg abgehalten
werden.
Hamburg, 11. Okt. Wegen Entführung
zweier Mädchen im Alter von 13 und 16
Jahren aus Wien wurde gestern der
Direktor einer „Damenkapelle", Onczay,
auf dem Lübecker Bahnhof verhaftet. Die
besorgten Eltern hatten die Verhaftung
des Genannten durch den hiesigen öster
reichischen Generalkonsul veranlaßt. An-
geblich sollen die beiden Mädchen in
Bordeaux sich aufhalten.
Hamburg, 9. Oct. Der bekannte hiesige
antisemitische Agitator und Reichskandidat
Raab hatte sich gestern vor der hiesigen
Strafkammer wegen Widerstands
leistung zu verantworten. Ein Schaffner
der hiesigen Verbindungsbahn wollte sich
beim Vorsteher des Klosterthorbahnhofs
über Raab beschweren und forderte ihn
auf, ihm zu folgen. Raab vergriff sich
daraufhin thätlich gegen den Beamten.
Vom Schöffengericht war Raab freige-
gesprochen worden, doch wurde auf die
Berufung der Staatsanwaltschaft das
Urtheil aufgehoben und Raab zu einer
Gefängnißstrafe von 1 Woche verurtheilt.
'ÄrLÄtNLìeUes
Einen Prozeß gegen die Stadt Altona
hat ein Ingenieur angestrengt, der seiner
Zeit den Auftrag erhielt Pläne und Ent
würfe für ein neues Gaswerk in Altona
anzufertigen. Das Streitobjekt beträgt
10 000 Mk. und haben bereits mehrere
Termine in dieser Sache stattgefunden.
Am 1. April n. I. will der Gemeinde
vorsteher der Insel Helgoland, Apotheker
Michels, fein Amt niederlegen und in Kiel
eine neue Apotheke errichten, für welche er
kürzlich die Konzession von der Regierung
erhalten hat. Gleichzeitig wird der dortige
Badearzt Physikus Dr. Mevius, welcher
vor vier Jahren von Allenstein inOstpreußen
nach Helgoland übersiedelte, die Insel ver
lassen, um sich einen anderen Wirkungskreis
zu suchen.
In diesem Jahre ist man in Hetlingen
bei Uetersen in der beneidenswerthen Lage,
davon absehen zu können, von den Ein
wohnern ohne Grundbesitz Gemeindesteuern
zu erheben.
-j- Neumünster, 13. Oct. Herr H. Wendt
Hierselbst kaufte die neu eingerichtete Gast-
wirthschaft des Herrn H. Fehrs für den
Preis von 47 000 Mk. Der Antritt
findet sofort nach der Konzessionsertheilung
statt. — Herr Ober-Ingenieur Preuß aus
Kiel wird am kommenden Mittwoch im
hiesigen Bahnhofshotel anwesend sein und
Abends 8 Uhr daselbst einen Vortrag
halten über die Ausstellung der Provinz
Schleswig-Holstein in Kiel im Jahre 1896.
Zugleich soll in dieser Versammlung ein
Ortskomitee zur Förderung der genannten
Ausstellung definitiv gewählt werden. —
Am 1. Oct. hatte unsere Stadt 22 066
Einwohner, somit ist Neumünster die viert
größte Stadt Schleswig - Holsteins. Die
Bevölkerungszunahme betrug in den letzten
Jahren 800—1000 Personen. — In dem
Kähler'schen Hause am Kuhberg hat die
Heilsarmee eine Werkstätte gemiethet um
hier Versammlungen abzuhalten. Ein
„Kapitän" wird in demselben Hause
Wohnung nehmen.
Kiel. 12. Octbr. Der gegen den Ober
meister Ehrhorn wegen des Brückeneinsturzes
auf der Germaniawerft eingeleitete Prozeß
gelangt am 19. November vor dem hiesigen
Landgericht zur Verhandlung.
Kiel, 12. Oct. Der Getreidemarkt ,st
in fester Stimmung. Preise "àren per
1000 Kilogramm: Weizen 128—130 Mk.,
Roqqen von 105—115 Mk., Ģ erste von
105—115 Mk., Hafer von 100-110 Mk.,
Rappsaat von 165—170 Mk., Rübsen von
160—165 Mk.
Ein eigenthümlicher Handel wurde kürz-
lich in Kiel abgeschlossen. Der Hufner Peter
Radbruch aus Neu-Wittenbek verkaufte einen
ungefähr 5jährigen Bullen - an Schlachter-
meister Lembke in Kiel, und zwar bekommt
Verkäufer per Centimeter Länge 1,50 Mk.
Es wird gemessen vom Kopf bis zum