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Wo. 234.
Montag, öen 7. HctoSee
1895.
•«
Diejenigen geehrten
Post-A-onneule«,
welche trotz geschehener Bestellung
bei der Post etwa nicht in den Besitz
des Wochenblattes gelangen,
wollen nicht bei uns, sondern bet
der betr. Postanstalt reclamiren
und erst dann, wenn dies nichts
fruchtet, uns davon benachrichtigen,
An uns liegt die Schuld nicht,
da hier prompt nach Aufgabe der
hiesigen Postanstalt expedirt wird.
Şşş- Bestellungen auf das
Wochenblatt nimmt noch jede
Postanflalt und jeder Landbriefträger
entgegen.
Die Expedition.
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Morgen-Depeschen
Berlin, 5. Ott. Wie nachträglich be
sannt wird, hat der Kaiser dem General
der Infanterie v. Lezczynsti am Tage der
Uebergabe von Straßburg ein sehr gnädi
ges Telegramm zugehen lassen, welches
die Thätigkeit desselben während der Be-
lagerung und der darauf folgenden schiveren
aber ruhmreichen Zeit dankend anerkennt.
Berlin, 5. Oktober. Der Reichskanzler
Fürst Hohenlohe trifft heute Abend in
Berlin wieder ein.
Berlin, 5. Oktbr. Der neue englische
Gesandte Mr.Lacelles wird in 14 Tagen hier
eintreffen, um sein Beglaubigungsschreiben
zu überreichen.
Berlin, 6. Okt. Die „Münch. Neuest.
Nachricht." halten die Meldung, die Reichs
regierung plane Maßregeln gegen die
Sozialdemokratie, aufrecht und fügen hinzu,
der Reichskanzler beabsichtige die Aus-
dehnung nicht nur des bayrischen, sondern
auch des sächsischen Vereinsgesetzes auf
Berlin, 5. Okt. Wie die „Nordd. Allg.
Ztg." vernimmt, ist nach einer hierher
gelangten telegraphischen Nachricht am 4.
d. M- in Nanking vor dem zu diesem
Zweck aus Schanghai dorthin entsandten
deutschen Generalkonsul ein Abkommen
mit den chinesischen Behörden wegen Er
richtung einer neuen Niederlassung (Kron-
Konzessicml in der genannten chinesischen
Hafenstadt unterzeichnet worden.
Berlin 5 Okt. Der frühere Redakteur
des „Vorwärts", Dierl, wurde heute wegen
Majestätsbeleidigung zu 6 Monaten Ge
fängniß verurtheilt; der Staatsanwalt
hatte 9 Monate beantragt.
Frankfurt a. M-, 5. Okt. Die „Frkf.
Ztg." meldet aus St. Johann a. d. Saar:
In der Prozeßsache gegen die reichen Wein-
Händler Kaul, Vater und Sohn, in Saar
brücken wegen Betruges zum Nachtheile
von Lotteriespielern, die auf Revisionsan
trag des Staatsanwalts vom Reichsgericht
an die Strafkammer in Saarbrücken zurück
gewiesen worden war, wurde gegen den
Ersteren auf 2, gegen den Letzteren auf
6 Monate Gefängniß erkannt und die
Geldstrafe von 1800 auf 3000 Mark
erhöht.
Nürnberg, 7. Oct. Bei starken Andrang
verhandelte die hiesige Strafkammer wegen
des großen Postdiebstahls von ca.
120 000 Mk. am 23. Januar. Der da-
malige Postpacketbote Zeh wurde der
Thäterschaft schuldig befunden und zu 11
Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehr
verlust verurtheilt. Fünf der Hehlerei
und Begünstigung mit angeklagte Personen
erhielten Gefängnißstrafen von sechs
Monaten bis fünf Jahren. Die Ehefrau
des Zeh wurde freigesprochen.
Rathenow, 6. Oct. In Sieversdorf
bei Neustadt a. d. Doste sind gestern
Abend 6 Gehöfte mit 23 Gebäuden
niedergebrannt.
BrcSlau, 6. Okt. Anläßlich des sozial
demokratischen Parteitages herrschte in den
Morgenstunden ein geschäftiges Treiben
in den Straßen, an den Bahnhöfen und
in den Parteibüreaus. Zahlreiche Dele-
girte sind bereits eingetroffen. Die Be
theiligung scheint außerordentlich stark zu
werden. Stark vertreten sind diesmal be
sonders als Delegirte Vertreter der Partei
presse und Parteibeamten. Der Abgeord
nete von Vollmar ist durch Krankheit am
Erscheinen verhindert, Dr. Ruedt ist er
schienen. — Heute Vormittag um 11 Uhr
fand eine große Volksversammlung im
Concordia-Saale statt, die von etwa 1300
Personen besucht war. Wegen des enor
men Andranges hatte die Polizei den
Saal schon eine Stunde vor Beginn der
Versammlung gesperrt. Reichstagsabge-
ordneter Bebel sprach, mit Hochrufen em
pfangen, in IHZtündiger Rede über Hand
werk und Sozialdemokratie.
London, 5. Oktbr. Aus Konstantinopel
wird den „Daily News" gemeldet, bei
den letzten Unruhen seien nach dem offi
ziellen Bericht 81 Personen gelobtet worden.
London, 5. Oktbr. Der Sturm an
der britischen Küste hat sich erneuert, es
treffen Nachrichten von vielen Schiffbrüchen
ein, wobei auch eine große Zahl von
Menschenleben zu Grunde gegangen ist.
An der Westküste gingen 8 Segelschiffe
verloren. Die norwegische Brigg „Haabet"
litt bei Ilfracombe Schiffbruch; die Besatz
ung und ein Mädchen wurden durch den
Raketenapparat gerettet. Auf der Höhe
von Lizard zeigte ein großer österreichischer
Dampfer Nothsignale; ein Schleppdampfer
und ein Rettungsboot sind zur Hilfe aus
gesandt. Zwei auf der Höhe von Scilly
in Noth gerathene Dampfer wurden ein-
geschleppt.
Brüssel, 5. Oktbr. „Soir" hält seine
gestrige Meldung, laut welcher die deutsche
Regierung die belgische Regierung ersuchte,
ihr Aufklärung wegen der Reise des
Königs Leopold nach Paris zu geben,
aufrecht trotz der Dementis, welche offizielle
Blätter beachten.
Brüssel, 5. Okt. Hiesige Blätter wollen
wissen, demnächst trete eine Konferenz zu
sammen, deren Aufgabe es sei, daß die
jenigen Großmächte, welche die Neutrali
tät und Unabhängigkeit Luxemburgs garan-
ttrt haben, neuerdings die Neutralität des
Großherzogthums im Kriegsfalle festsetzen
sollen.
Graz, 5. Okt. In dem Kanaerzthale
hat sich ein bedeutender Felssturz ereignet;
die ganzen Straßen sind mit Felsstücken
bedeckt.
Belgrad, 5. Oktbr. Ein wegen seiner
Strenge weit bekannter Offizier wurde
für diejenigen Distrikte, in denen das
Haidukenwesen sich inimer mehr ausbreitet,
mit außerordentlichen Vollmachten zum
Präfekten ernannt. Er hat bereits die
Umsiedelung der Einwohner mehrerer
Dörfer, in welchen die Haiduken besonders
stark hausen, angeordnet. s
Serbien.
Belgrad, 5. Olt. Der Wechsel in
ämmtlichen höheren Hofchargen soll dem
nächst beginnen. Als Ursache werden die
Beziehungen der betreffenden Persönlich
keiten zu Exkönig Milan angegeben. Zum
neuen Hofmarschall soll Oberstlieutenant
Wlarovic ausersehen sein.
Türkei.
Konstantinopel, 5. Oct. Ein von Groß-
wessir Said vor seinem Abgang an den
Kriegs- und den Marineminister gerichteter
Erlaß, der den Mannschaften verbietet, an
Zusammenrottungen der Bürger theilzu-
nehmen und Gewaltthätigkeiten zu ver
üben, sowie sich in Amtshandlungen der
Polizei einzumischen, wird als Tagesbefehl
veröffentlicht. Trotz der fortdauernden
Erregung scheint die Bewegung in Kon
stantinopel beendet zu sein.
Italien.
Auch in Neapel hat der Magistrat nun
mehr die Radfahrer mit einer Steuer
belegt, die jährlich für ein dem Sport
dienendes Rad 10 Frcs., für ein als wirk
liches Verkehrsmittel dienendes derartiges
Fahrzeug 5 Frcs. beträgt. Außerdem
muß jedes Fahrrad eine Nummer auf der
Glasscheibe tragende Laterne besitzen, die
zu derselben Zeit wie die Straßenlaternen
anzuzünden ist.
Inland.
Musland.
England.
Stalhbridgc, 5. Oct. Die Lage des
Ausstandes der Kattunducker ist sehr ernst
geworden. 500 den Gewerkvereinen nicht
ungehörige Arbeiter, welche von auswärts
hierher geholt wurden, sind in den Fabriken
cernirt. Es wird ein Angriff der Aus
ständigen erwartet. Mehrere hundert aus-
wärtige Polizeimannschaften sind hier an-
gekommen.
— Der Dieb und Fälscher Freiherr
v. Hammerstein erfreut sich noch Be
wundcrerim Deutschen Reich, und zwar—
unter den Antisemiten, wie folgendes Urtheil
in dem Organ des Herrn Liebermann von
Sonnenberg, der „Antis. Corr.", erweist:
„Wie alles bei diesem außergewöhnlichen
Menschen, so haben auch seine Vergehun
gen einen Zug ins Großartige."
— Vielleicht wird Herr v. Hammerstein
noch ein Denkmal gesetzt oder seine Büste
„schmückt" die Vereinssäle.
— Die unleidliche Mode, öffentliche
Arbeiten in Submission zu vergeben,
stellt sich immer mehr als eine elende
Schinderei der betreffenden Auftraggeber
heraus. Man bemüht sich, durch allerlei
Einrichtungen und großartige Reden das
Handwerk und Gewerbe zu heben, aber
das verderbliche Submissionswesen bleibt
ungehindert bestehen. Auf der einen Seite
werden durch die Nothlage Einzelner die
Preise auf das Aeußerste reducirt, auf der
andern Seite wird die niedrigste Begehr
lichkeit großgezogen. Die Innungen sollten
darauf ihr Augenmerk lenken, wenn sie
wirklich Ersprießliches für die Gewerbe
leisten wollen und dem gesammten Sub
missionswesen den Garaus zu machen
uchen, indem sie ihre Mitglieder bei
Strafe des Ausschlusses verbieten, sich an
öffentlichen Submissionen zu betheiligen
und die Arbeitergewerkschaften sollten ihrer-
eits gleichfalls mit Energie dahin streben,
daß diese Pestbeule am Leibe des Gewerbe-
lebens ausgeschnitten wird. Erst dann
wird ein Anfang gemacht werden zum
Aufschwung von Handel und Wandel.
Das ist besser, als alles Rufen nach Be
fähigungsnachweis und obligatorischem Fort-
bildungswesen.
- Die besonderen Strafkammern
für politische Prozesse und Preßprozesse
sind bekanntlich durch die Reichsjustizgesetz,
gebung abgeschafft worden. Dort, wo
wie in Berlin mehrere Strafkammern be-
stehen, richtet sich die Vertheilung der An-
geklagten unter die Strafkammern nach
dem Anfangsbuchstaben der Namen in
alphabetischer Ordnung. Der „Vorwärts"
theilt nun mit, daß ohne Zuthun des
Gerichts durch die Anklagebehörde das
Aktenrubrum in dem Strafprozeß gegen
seine Redakteure Pfund und Dierl, welches
bisher „Pfund und Genossen" lautete,
plötzlich in „Dierl und Genossen"
geändert sei. Dies habe zur Folge, daß
Pfund anstatt von der vom Landgerichts-
direktor M ü s e l e r präsidirten Kammer
von der Kammer abgeurtheilt werden
würde, welcher Herr Brausewetter vor
sitzt. — Ehe wir an den Vorgang ein
Urtheil knüpfen, wollen wir abwarten, wie
diese Veränderung thatsächlich aufgeklärt
ivird.
— Abschiedscommerse der höhe
ren Töchter bilden eine neue Erscheinung
im Leben der Reichshauptstadt. Den
Herren Oberprimanern haben die Back
fische und solche, die es nicht mehr sein
wollen, den schönen Gebrauch glücklich ab-
geguckt. In irgend einer stillen Conditorei
wird ein Hinterzimmer gemiethet; an die
Stelle des braunen Gerstensaftes aber
tritt das Schälchen „Berliner", öfter auch
Chocolade und die Abschiedsfeier zu Ehren
derjenigen Mitschülerinnen, welche zu
October abgehen, nimmt ihren Anfang.
Die jungen Damen, die sich natürlich auch
so eine Art von „Comment" zurechtgelegt
haben, wählen eine Präsidentin zur Leitung
des Commerses. Rundgesänge werden an-
pcottasindisetiYpta-
3) Roman von B. Ricdel-Ahrens.
„Geh, Rahel, und beauftrage Sörens,
daß ec den Herrn Baron begleite. Kann
ich sonst noch etwas für Sie thun?" wandte
er sich noch immer ablehnend gegen den
bescheiden auf demselben Fleck Verharrenden.
„Vielleicht bedarf Ihre Frau Gemahlin
einer kurzen Rast oder einer Erfrischung."
„Jawohl," fiel Tante Jutta eifrig ei»,
„man könnte doch der Frau Baronin eine
Kleinigkeit vorsetzen, sie fühlt sich gewiß
recht angegriffen."
Doch Albrecht von Ravens lehnte höflich
dankend ab, er fühlte zu deutlich das Feind
selige des Begegneus im Pfarrhause, um
fernere Gefälligkeiten anzunehmen, deshalb
athmete er denn auch erleichtert auf, als die
auf der Diele hörbar werdenden plumpen
Schritte des alten Gärtners Sörens ihm
Veranlassung gaben, sich zu empfehlen.
Pastor Erichsen hatte seinen Gast nicht
einmal zum Sitzen aufgefordert, und seine
Miene bezeigte offen die Versagung des
üblichen Händedrucks zweier Männer, die
- Sipfer Gegend unter solchen Umständen
zusammentrafen; vergebens suchte Albrecht
den Grund davon zu errathen; oder sollte
® ” L sfnbe nur in dem Hatz des demo
kratisch Gesinnten gegen ihn, den Adeligen,
trailsa; ^ I war es, zweifellos.
Lfşi'à FL Ģ jetzt keine Zeit, darüber
j «Es« — Sörens, die Pelzmütze auf
Ä*. » t “ftg
jÜSh dem Boranschreitcnden in respektvoller
Entfernung.
Als der Baron eben im Begriffe stand,
durch die offenstehende Pforte das Gehöft
zu verlassen, trat eine Gestalt auf ihn zu,
die um den Kopf ein großes braunes Um-
schlagetuch geschlungen, das sie mit der Lin
ken unter dem Kinn zusammenhielt.
„Ich bin es, Herr Baron," ließ sich die
Stimme Rahels, welche er jetzt im fahlen
Mondlichte trotz der entstellenden Umhüllung
erkannte, vernehmen. „Ich werde mitgehen
mtd nach ihrer Frau Gemahlin sehen -
sie hat sich gewiß geängstigt."
„Wenn auch nicht ganz so tapfer und
furchtlos, wie sie, Fräulein Enchsen so >,t
doch die Situation allerdings danach an
gethan, sie zu beunruhigen," sagte Albrecht
v. Ravens während das rhni eigene schwer-
muthsvolle Lächeln um seine Lippen zuckte.
„Aber unmöglich darf ich Ihnen zumuthen,
bei diesem abscheulichen Wetter die immer
hin beträchtliche Strecke bis zum Wagen
zurückzulegen."
. „Aus dem Wetter mache ich mir gar-
nichts; wir sind den Sturm gewöhnt auf
Haraldsholm. Ich gehe eben mit."
„Sie scheinen sehr entschlossener Natur
zu sein, Fräulein Erichsen," sagte er mit
einem Anflug von Humor.
„Ich suche immer das zu thun, was ich
für recht erkenne; mein Vater lehrte mich,
dies sei das erste Gesetz des Menschen."
„Ah! wieder der belustigte Ton. Als
hierauf der Baron schwieg, ging auch Nahet
stumm an seiner Seite dahin.
Als sie in dieser Weise eine Weile ans
dem sturmbewegten Haideweg forwärtsge-
schritten, hinter ihnen der alte Sör-ns,
dessen Laterne schwankende Lichtschatten auf
den mit thauenden Schneemassen bedeckten
Boden warf, über ihnen der weitausgreifende
wolkenzerklüftete Horizont, da ergriff den an
das Leben in der Großstadt Gewöhnten
eine eigenthümliche Empfindung; es war
als sei das nicht die Wirklichkeit, sondern
nur ein neckendes Traumbild; er blieb
stehen, wie um den wunderbaren Eindruck
besser in sich aufzunehmen, und veranlaßte
so Rahel, es ebenfalls zu thun; sie hob das
von dem dunkeln Tuch eng umrahmte Ant
litz fragend zu ihm auf.
„Ein wunderbares Stimmungsbild," be
merkte er, halb zu sich selbst. Sekund'enlaug
begegneten sich dann ihre Augen; doch
kein Schimmer einer verlegenen Röthe, kein
Zucken der dunklen Wimpern wurde in den
klassisch unbewegten Zügen des Mädchens
sichtbar.
„Was hat Sie denn nur so furchtbar
err- gemacht, Fräulein Erichsen?"
„Das Leben."
Er wollte lachen, besann sich aber rasch
- die Antwort klang zu seltsam aus dem
jugendlichen Munde; und doch empfand er
auch zugleich die Gewißheit, daß Rahel
Erichsen nur ihre Ueberzeugung und die
Wahrheit ausgedrückt.
„Würden Sie mir wohl eine Frage be
antworten?"
„Gewiß," erwiderte Rahel, indem sie
weiter gingen.
„Weshalb haßt mich ihr Vater — und
mehr noch, weshalb Haffen sie mich, Fräu
lein Erichsen?" stieß er nach kurzer Ueber
windung hervor.
„Ich hasse Sie nicht, Herr Baron."
„Aber Ihr Vater thut es — Sie leugnen
das auch gar nicht! Nennen Sie mir doch
in aller Welt die Ursache davon."
„Kennen Sie sie wirklich nicht?"
„Nein, nein, mein Wort darauf; bei
Lebzeiten unseres Vaters, der während der
letzten Jahrzehnte in Berlin wohnte, wo
auch mein Bruder und ich erzogen wurden,
habe ich wohl einige Male den Namen
Erichsen nennen hören, doch immer nur in
zufälliger Verbindung mit der hier im ho
hen Norden gelegenen Familienbesitzung der
Ravensburger — das ist alles."
Der Orkan hatte gerade wie erschöpft von
unausgesetztem Wüthen, eine kurze Pause
gemacht; an dem von wild zerklüftetem Ge
wölk bedeckten Himmel wurde eine gelblich
blasse Lichtung sichtbar, die sich erweiterte
und der flüchtig erscheinenden Mondsichel
gestattete, vorübergehend die rabenschwarze
Nacht zu theilen; mit geisterhaftem, unge
wissem Schimmer glitt der fahle Schein
durch die kahlen Flächen und über das
wildtobende Meer, das sich hinter den: Hause
erstreckte. In regelmäßigen Zwischenpausen
drang das' donnernde Branden der gewalti
gen gischtsprühenden Wogen gegen die nie
drige Felsenböschung berüber.
Rahel antwortete nicht sogleich; sie war
fest überzeugt, daß Baron v. Ravens die
Wahrheit gesprochen, und fühlte mehr und
mehr das Mißtrauen schwinden, welches die
Abneigung ihres Vaters gegen die freiherr
liche Familie mit der Zeit auch in ihr
wachgerufen hatte.
„Und sie selbst haben niemals in irgend
welcher Beziehung zu meinemBatergestanden?"
„Niemals," erwiderte er bestimmt. „Glau
ben sie mir doch, Fräulein Erichsen! Sie
können sich nicht vorstellen, wie peinlich und
überraschend die Sache für mich ist."
„Ich glaube Ihnen, Herr Baron."
„Wenigstens eine Errungenschaft," äußerte
er, liebenswürdig lächelnd. „Also darf ich
nun wohl auch den Grund jener unbegreif
lichen Abneigung erfahren?"
„Ich kenne ihn nicht, sondern weiß nur,
daß meinem Vater vor langen Jahren durch
einen Ravens auf Ravensburg ein namen
loses Leid zugefügt worden, das erdrückend
aus seinem ganzen Leben ruhte."
In der Ferne tauchten jetzt, zwei feurigen
Augen gleich, die beiden rothen Laternen des
Wagens hervor; Baron Albrecht ging un
willkürlich etwas langsamer; die Unterhal
tung auf dieser sonderbaren Wanderung
durch die vom brausenden Orkan erfüllte
Haide fesselte ihn eigenthümlich.
„Unerklärlich, unerklärlich; das muß
durchaus zur Zeit meines Vaters geschehen
sein, der in seiner Jugend oft und lange
auf der alten Ravensburg gelebt hat; denn
auch von meinem Bruder Eugen, der ein
Jahr jünger ist als ich und Offizier in
Berlin ist, kann jenes Leid nicht ausgegan
gen sein, da er als Knabe zum letztenmal
in dem sagereichen Schloß da oben weilte."
Sie hatten nun den Platz erreicht, wo
der Wagen hielt; mit der Hilfe des Dieners
war es dem Kutscher, der um die Schultern
einen riesigen schwarzen Pelzkragen trug,
gelungen, das Pferd aufzurichten — die
Räder saßen jedoch noch hoffnungslos in
dem erweichten Boden, und erst den derben
Fäusten des in solchen Dingen bewanderten
alten Sörens gelang es, sie nach wieder
holten vereinigten Kraftanstrengungen wieder
ins Geleise zu bringen.
An dem geöffneten Fenster des matt er
leuchteten Innern des Wagens war sogleich
bei Ankunft des Barons und seiner Be-