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Hctober
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1895.
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MvrgeN'Depeschen.
Aachen, 4. Oct. Meineidsprozeß gegen
der Alexianerbruder Heinrich. In später
Nachmittagsstunde wurde heute das Urtheil
gefällt. Bruder Heinrich wurde laut dem
selben freigesprochen.
Berlin, 4. Oct. Wie der „Reichsanz."
mittheilt, wird am 8. October der Fern
sprechverkehr von Berlin nach Hamburg
mit Kopenhagen eröffnet. Die Gebühr
Für ein gewöhnliches Gespräch bis zur
Dauer von 3 Minuten beträgt 3 Mk.
Berlin, 4. Oct. Aus Köln kommt die
Nachricht, daß - auf seinem Landgut bei
Köln der Geh. Kommerzienrath Eugen
Langen, Schwiegervater des Majors von
Wissmann, in Folge einer Herzlähmung
plötzlich gestorben ist. Langen war Mit-
glied des Kolonialraths.
Berlin, 4. Oct. Wie die „Post" meldet,
ist der Termin zur Verhandlung der
Anklage gegen den Aufseher Wehlau vor
der Disziplinarkammer in Potsdam auf
den 26. November angesetzt worden. Als
Staatsanwalt fungirt in dem Termine
wieder, wie beim Falle Leist, der Legations
rath Rose aus der Kolonialabtheilnng des
. Auswärtigen Amts.
Münster, 4. Oct. Gestern und heute
Nacht fanden V o l k s a n s a m m l u n g e n
vor dem Rathhause und vor der Regierung
statt wegen der Polizeiverordnung, sämmt-
liche Wirthschaften Abends 11 Uhr zu
schließen. Zahlreiche Verhaftungen wurden
vorgenommen. Bisher fanden keine
groben Ausschreitungen statt.
Frankfurt rt. M, 3. Okt. Die „Frks.
Ztg." meldet aus Homburg a. d. H.:
„Die Kaiserin Friedrich war gestern Nach-
mittag zum Besuch des Grafen Münster
in Homburg. Wie wir aus Homburg er-
ahren, verläßt die Kaiserin am 16. Okto-
ber Schloß Friedrichshof. Mit diesem
Tage wird die dortige Hofhaltung aufge
geben. Die Kaiserin wird sich zunächst
nach Straßburz begeben, von dort nach
Wörth, um gemeinschaftlich mit dem Kaiser
der Enthüllung des Kaiser Friedrich-Denk-
mals beizuwohnen. Den Winter beabsich
tigt die Kaiserin Friedrich in Italien zu
verbringen."
Wien, 4. Oct. In kaufmännischen
Kreisen macht die Concurseröffnung des
ältesten Großhandlungshanses Gebrüder
Teesibaschic großes Aufsehen. Die Ursache
des Concurses ist die Stockung der Jncassis
bei Detaillisten des Inlandes. Das Aus
land ist an dem Fallissement stark be
theiligt.
Paris, 3. Oct. Der Kriegsminister
fordert für eine Aenderung am Lebelge-
wehre 1'/, Millionen Francs.
Sofia, 4. Oct. Seitens der türkischen
Regierung werden in Mazedonien große
militärische Vorbereitungen getroffen. Aus
Asien werden fortwährend Jnfanterie-Regi
menter requirirt.
Ar Achchr ill 5l«inil.
Wie bereits telegraphisch berichtet, ist
in Stambul ein armenischer Aufruhr ent-
standen, der bei der großen Anzahl hier
lebender Armenier, die auf 200 000 ge
schätzt wird, nicht bedeutungslos ist. Ent
standen ist der lang vorbereite Aufruhr
durch den armenischen Patriarchen, der
am Montag in der Kathedrale seinem Volke
durch geheimnißvolle und doch Jedem ver
ständliche Andeutungen von der baldigen
Erfüllung der armenischen Träume die
Köpfe erhitzt haben soll.
Einige 100 Armenier zogen nach 10
Uhr in kleinen Trupps von Kum-Kapu
gegen die Hohe Pforte, mit zahlreichen
Exemplaren der bereits erwähnten Bitt
schrift versehen. Sie blieben anfangs, von
der zahlreich anwesenden Gendarmerie und
Polizei, die von der Pforte Auftrag er
halten hatte, von den Waffen nur im
Falle eines auf sie gemachten Angriffes
Gebrauch zu machen, unbehelligt. Als der
Zug etwas nach 11 Uhr bei der Hohen
Pforte angelangt war, wurde er von dem
daselbst durch die Gendarmerie und die
Polizei gezogenen Kordon am Weitermarsche
gehindert. Der Wortführer der Armenier,
Kafedschi Betroß, betheuerte die friedliche
Absicht der Demonstrirenden, die nur dem
Grogvezier eine Bittschrift zu überreichen
vorhätten, was jedem türkischen Unterthan
gestattet sei. Die Polizei erwiderte, sie
habe entschieden Befehl, den Zug aufzu
halten ; man möge also zurückgehen. Es
otgte eine heftige Diskussion; Betroß und
andere wollten hierauf mit Gewalt vor
dringen, die Polizei leistete Widerstand,
wobei Betroß erschossen wurde. Nun
machten auch die Armenier von ihren
Waffen Gebrauch. Als erstes Opfer fiel
ein Gendarmerie-Offizier, während mehrere
Polizisten und Gendarmen verwundet wur
den. Die massenhaft angesammelte türki
>che Bevölkerung half bei Festnahme der
Armenier, von denen einzelne sich heftig
zur Wehr setzten, was die Erbitterung der
Türken steigerte. Die Verhafteten wurden
nach der in der Nähe gelegenen Polizei
Direktion und der Eisenbahn - Polizei
Station gebracht. Die in die Nebengassen
Fliehenden wurden verfolgt und größten
theils festgenommen; diejenigen, die sich
zur Wehr setzten oder im Besitze von
Waffen betroffen wurden, wurden von der
aufgeregten Bevölkerung arg mißhandelt,
mehrere tödtlich. Auch einzelne Gefangene
wurden auf dem Transport von der Be
völkerung ungeachtet der energischen Ab
wehr der Polizeibegleitung angefallen und
erschlagen.
Weiter wird bestätigt, daß auch auf den
Minister des Innern vor der Hohen
Pforte Schüsse abgefeuert wurden, von
denen jedoch keiner traf. Unter den Ver
wundeten befindet sich auch ein Oberst
Viele Armenier waren mit Revolvern und
Messern bewaffnet, von denen dieselben
Gebrauch machten, als sie verhaftet werden
sollten. In der Nacht von Dienstag am
Mittwoch wurden viele hundert Ver
Haftungen vorgenommen. In die Patri
archats-Kirche von Kum-Kapu waren viele
Hunderte von Familien geflüchtet. Der
Patriarch wurde Nachts zum Großvezier
gerufen und aufgefordert, die Räumung
der Kirche zu veranlassen. Die armenischen
Vorstädte am Marmaranleer sind wie aus
gestorben. Das Aufgebot an Polizei und
Gendarmerie ist groß, auch das Militär
ist konsignirt. Die Aufregung der arme
nischen Bevölkerung ist bedeutend.
Man fand bei den verhafteten Armeniern
und auf den Straßen in einem Zeitraum
von fünf Stunden über fünfzehnhundert
Revolver und unzählige Patronen. Die
Revolver sind alle englischen Fabrikats,
vollkommen neu, alle gleich und von dens
elben Kaliber. Bei manchem gefangenen
Armenier fand man vier Revolver, außer
dem ein Kama, das kurze Dolchmesser,
oder einen langen, Handschar genannten,
Dolch.
Aus Anlaß des Armenierkrawalls ist,
wie überraschend gemedet wird, der erst
vor wenigen Monaten in's Amt gekommene
GroßvezierSaid Pascha gestürzt
worden. Zu seinen Nachfolger ist K i a m i l
Pascha ernannt worden.
Zu Ehren des hier weilenden Prinzen
von Schleswig-Holstein hätte
gestern Abend im Palais ein Diner statt
rnden sollen, infolge der gestrigen Ereig
nisse aber wurde es im letzten Moment,
als sogar schon die Blumen den Tisch
chmückten, abgesagt und auf heute ber
choben. Es wurde indessen auch heute
abgesagt und auf unbestimmte Zeit ver-
choben.
Eie neuesten Nachrichten besagen: Die
Aufregung in der türkischen Bevölkerung
nimmt immer mehr zu. Die Lage >vird
von Tag zu Tag ernster. Die Sofias
predigen auf den Straßen den heiligen
Krieg gegen die Fremden. Die Polizei
geht gegen die Armenier ziemlich rücksichts
los vor; sie werden in jeder Weise ge-
maßregelt. So oft bisher Verhaftungen
vorgenommen wurden, ist es auch zu
blutigen Zusammenstößen gekommen, bei
denen es Todte und Verwundete gab. Be
sonders in Galata ist die Bevölkerung
ungemein erregt. Heute sind die Vertreter
sämmtlicher Großmächte zusammengetreten,
um über die Situation zu berathen.
Die Unruhen haben sich in der letzten
Nacht wiederholt. Auf mehrere von
Christen innehabende Wohnungen wurden
Angriffe verübt; selbst die Kirchen, in die
sich zahlreiche Armenier geflüchtet hatten,
wurden nicht verschont. Die Polizei hatte
große Mühe, die Gotteshäuser vor der
Zerstörung zu schützen.
Die gegenwärtigen Vorgänge in Kon
stantinopcl werden in der englischen Presse
lebhaft besprochen, allgemein hält man die
Lage daselbst für sehr ernst. „Standard"
ist der Ueberzeugung, daß die Armenier
die Shmpathien Europas durch die von
ihnen in Scene gesetzten Ausschreitungen
verscherzt haben, und behauptet, daß die
Lösung der armenischen Frage jetzt schwieriger
denn je sei. — Die „Times" betonen,
nur durch rasche Annahme der Vorschläge
der Mächte könne der Sultan eine Wieder
holung solcher Vorgänge verhindern. —
„Daily News" schreiben, die Türken
dürften nicht länger mehr christliche Rassen
beherrschen. Die Absichten der Armenier
seien durchaus friedlich gewesen.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Auf der Newyorker Börse erregte es eine
große Sensation, als der Präsident dieser
Tage verkündete, daß durch Beschluß der
Börsenälteften das bisherige Mitglied I.
B. Manning, ein mehrfacher Millionär
und Bondsmakler, von der Börse ausge
stoßen sei, weil er von sog. endossirten
Bonds, die aus Namen lauteten, durch
Anwendung von Tintenflecksäure die
Namen entfernt und dieselben als nicht
endossirte Bonds, die 10 bis 15 pCt.
höher bezahlt werden, weil sie leichter ver
käuflich sind, auf den Markt gebracht hatte.
Kriminalrechtlich kann gegen Manning
nicht vorgegangen werden.
Ķutzìaud.
Petersburg, 3. Oktbr. Der Flügeladju
tant des Deutschen Kaisers, Oberst Graf
Moltke, legte gestern am Sarkophag des
Zaren Alexander 111. im Auftrag des
Deutschen Kaisers einen prachtvollen Kranz
nieder. Abends fand zu Ehren des Grafen
Diner beim Fürsten Radolin statt.
ein
Heute empfingen beide Majestäten in Zars
koje Selo den Grafen Moltke in Abschieds-
auoienz, worauf er einer Einladung des
Großfürsten Wladimir zum Diner folgte.
Holland.
Ein internationaler Kongreß für Brand-
und Feuerlöschwesen, der erste in
seiner Art, hat in der vorigen Woche in
Amsterdam getagt. Etwa 200 Delegirte
waren der „Voss. Ztg." zufolge anwesend.
Der erste Bortrag wurde von Dr. Lobry
de Bruyn, Chemiker bei der königlichen
niederländischen Marine in Amsterdam,
über die Entflammungstemperatur des
Petroleums gehalten. Er stellt fest, daß
etwa 47 pCt. aller Brandfälle durch Un
glück mit Petroleum entstanden seien, und
daß die' flüchtigen Bestandtheile des auf
die europäischen Märkte gebrachten Petro
leums die Gefahr dieses Brennstoffes außer
ordentlich erhöhen. Sicherheit in dieser
Hinsicht könne nur erzielt werden, wenn
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AmlmrKiUm'sMltt.
1) Roman von B. Riedel-Ahrens.
tNachdruck verboten.»
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Gott redet durch die Sprache
der Natur zu uns: werdet Geister
— damit ihr mich besitzet und ick
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„Horch, Rahel, — war das nicht ei»
Hilferuf?"
Die Angeredete, ein etwa neunzehnjähriges
Mädchen von auffallend ernstem Ausdruck
in dem schmalen, nicht regelmäßigen, doch
edelgeformten Antlitz, lauschte nach diesen
Worten des alten Geistlichen, der neben
ihr am Tische vgr der brennenden Lampe
saß. eine Weile regungslos dem herbstlichen
Orkan, der wild entfesselt da draußen in
der nordschleswigschcn Haide tobte und gegen
die Mauern des einsani gelegenen Gehöftes
Haraldsholni mit so unheimlich klagendem
Heulen wütete, als wolle er sie aus ihren
Fugen reißen und durch das brausende
Luftmeer davontragen.
„Nein, Vater, es sind die Pappeln, die
ihre Kronen im Sturme neigen. Bitte, lies
nur weiter."
Der Geistliche rückte die Brille zurecht
und richtete von neuem seine Aufmerksam
keit auf den vor ihm liegenden Folianten.
Der alte Herr mochte die Mitte der Sechzig
überschritten haben; aber die kraftvolle, hohe
Gestalt, in einen talarartigcn Rock gehüllt,
zeigte fast keine Spur des nahenden Alters,
ausgenommen die weiße Lockenfülle, welche
von der hohen Stirn zurückgestrichen in den
Nacken fiel und ein von der Rothe der Ge-
sundhcit angehauchtes Antlitz umgab, das
den eigenartig durchgeistigten, halb dcmüthig-
riedcnsvollen, halb selbstbewußt-strengen
Ausdruck des protestantischen Geistlichen trug.
Das Zimmer, in welchem sich der Pfarrec
Nicolaus Erichsen, Rahel und noch eine
andere Person, Fräulein Jutta, seine be
jahrte, etwas taube Schwester, befanden,
war von sehr bescheidener Einrichtung. Die
mit dunklen Tapeten bedeckten Wände
schmückten außer einem altmodischen Spie
gel nur verschiedene Familienbilder, ans dem
wcißgescheuertcn Boden lag ein dürftiger
Teppich und neben dem harten Roßbaar-
sopha vor dem großen runden Tisch sah
man nur Stühle, zwei messingbcschlagene
Kommoden, einen altfränkischen Flügel und
einen ungeheuren Bücherschrank mit Glas
thüren, der das Werthvollste der ganzen
Einrichtung enthielt; denn hier stand an
einander gereiht eine große Anzahl seltener
Bücher der Gnostiker, Kabbalisten und
Rosenkreuzer, ferner Werke eines Cornelius
Agrippa, Paracelsus, Cardanus, Jamblichus,
Pythagoras und Ortholanns, sowie neuere.
— Der Foliant, ans dem Nicolaus Erich
sen gelesen hatte, enthielt die vierzig Cen
turien des berühmtesten aller Seher, des
großen Nostradamus, von dessen wunder
baren, bis aus Pen heutigen Tag cingctroffe-
nen Peophezcihungen unter anderem ein
handschriftliches Exemplar auch im päpst
lichen Archiv zu Rom aufbewahrt wird.
„Wir waren also bei den letzten Versen
der zehnten Centurie stehen geblieben,
äußerte Pastor Erichsen mit schwankender
Aufmerksamkeit, denn cs war ihm wieder
gewesen, als ob er draußen rufende Stimmen
vernommen, „sie schildern das Ende unseres
Zeitalters und lauten:
„Wird sich nun die große Sieben zeigen,
Fängt der Hekatomben Festzeit an;
Sieh, das Friedensreich, es naht heran,
Wo die Todten aus bent Grabe steigen.
Der Ersehnte kehret jetzo wieder '
In die Welt; in Asien erscheint
Einer von des Hermes Bundesbrüdern,
Welcher alle Menschen unter sich vereint."
Den Kopf in die Hand gestützt, hingen
Rahels dunkelbeschattcte klare graue Augen
mit unverkennbarer Spannung und Be
geisterung an den Lippen des verehrten
Vaters; eigenthümlich kontrastirte das
Jugendliche der magerm, jedoch anmuthigcn
Gestalt mit dem Ernste, der auf diesem
herben Mädchcngcsichtc ruhte; es schien, als
hätten diese seinen Lippen nie gelächelt, als
vermöchten sic es überhaupt nicht. Sie trug
das braune Haar schlicht über die Stirn
gescheitelt, hinten in einem starken Zopf zu
sammengehalten, der über den Rücken hing,
und ihre Gestalt umschloß ein einfaches
Kleid aus dunkelblauer Leinwand von ge
fälligem Schnitt, am Hals und um die
Handgelenke mit schmalen weißen Streifen
versehen.
Nicolaus Erichsen schwieg; prasselnd
schlugen die Regentropfen gegen die schwarz-
starrendm Fensterscheiben und im selben
Augenblick umtobte der Sturm das Haus
mit solcher heulenden Wucht, daß Tante
Jutta, eine behäbige Matrone mit ungemein
wohlwollendem Gesichte, über dessen grauem
Scheitel eine schwarze Spitzmhaubc saß, von
ihrer Bibel aufsah und unwillkürlich die
Hände faltete.
„Gott steh uns bei und schütze die armen
Fischer auf der See; das ist ja ein schreck
liches Wetter." Rahel hatte sich erhoben.
„Jetzt war es mir doch, als hörte ich
draußen rufende Stimmen;, ich werde nach
sehen und bin gleich wieder da."
Sie verließ das Zimmer und betrat die
geräumige, mit rothen Steinen ausgelegte
Diele, welche die Mitte des nur aus dem
Erdgeschoß bestehenden, spitzgiebcligen Hauses
einnahm, während sich zu beiden Seiten
und im Hintergründe die fünf Zimmer und
Küchcnräume hinzogen. Rahel tappte in der
Dunkelheit nach einem Tische, wo sich
Zündhölzer und eine Laterne befanden, denn
zuweilen, besonders um die winterliche
Jahreszeit, kam es vor, daß von einem
Unfall betroffene Reisende oder ein verirrter
Wanderer Schutz in dem einsam gelegenen
Haraldsholm erbaten, der ihnen mit der be
kannten Hilfsbereitschaft Nicolaus Erichsens
auch stets in ausdedehnt cm Maße zu Theil
wurde.
Nun brannte die Laterne; Rahel prüfte
noch einmal mit ihrer schlanken, weißen Hand,
ob der Verschluß auch sicher eingefügt, und
öffnete dann mit kundigem Griff die schwer
fällige Hausthür; schwarze, sturmdurchwogte
Finsterniß der weiten Haide starrte ihr ent
gegen, nnd kaum hatte sie die Schwelle des
Vorgartens betreten, als der Orkan mit
wüthendem Pfeifen an ihren Kleidern zu
zerren begann und die leichte Gestalt gegen
das Gemäuer zu schleudern drohte. Doch
Rahel Erichsen, daS Kind der Haide, ließ
sich von der Wuth der entfesselten Nalur-
gewalten keineswegs außer Fassimg bringen;
den Oberkörper nach vorn geneigt, hielt sic
bitte, um dem wilden Anprall besser Stand
zu halten; dann, als der Wind, wie um
vom Neuem Athem zu schöpfen, sekundenlang
zu ruhen schien, näherte sie sich rasch der
Pfortenthür — die den Vorgarten abschloß,
und inmitten zwei Reihen hochanstrcbender
Pappeln lag, deren seufzendes Brausen
wiederholt die Täuschung ans der Ferne
dringender Hilferufe bewirkt hatte.
Draußen aus dem - nassen Wege hielt
Rahel die Laterne hoch, so daß ihr flackernder
Lichtschein weithin gespenstisch über die
kahlen Flächen schmelzenden Schnees huschte.
„Ist jemand da, der Hilfe bedarf?" rief
Rahel laut in den wogenden Sturm hinaus.
Keine Antwort; doch ihre an die Dunkel
heit gewohnten Augen glaubten jetzt auf dem
Fahrweg, der querfeldein nach dem etwa
zwanzig Minuten entfernt liegenden Kirchdorf
Westlund führte, die Gestalt eines sich
nähernden Menschen zu bemerken.
„Ist jemand da?" rief sie noch einmal
der betreffenden Richtung zu.
„Ja!" gab eine wohlklingende Männcr-
stimme zurück. „Gut Freund! Ich komme,
um Hilfe zu erbitten." Gleich darauf stand
eine schlanke Männergestalt in grauem
Hohenzollernmantel — auf dem blonden
Haupte einen weichen Filzhut vor ihr.
Sprache und Ton verriethen sofort den
Mann aus vornehmem Stande, und als
Rahel jetzt den vollen Schimmer der Laterne
auf das Antlitz des Fremden fallen ließ,
blickte sie in das gradlinige, sympathische,
von kurzem, blonden Vollbart umrahmte
Gesicht eines Mannes von etwa neunund-
zmanzig Jahren, in dessen träumerischen,
hellen Augen ein weicher Ausdruck ergebungs-
votter Geduld lag, der das junge Mädchen
wohlthuend berührte und ihr Vertrauen
weckte.
(Fortsetzung folgt.)