Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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W0. 225. 
Donnerstag, den 
September 
1895. 
Wer von unseren verehrlichen 
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das Abonnement auf das täglich er 
scheinende 
„SeiiStajtt Mlndlck" 
pro IV. Quartal 1895 zum Preise 
von 2,65 JL incl. Postgebühr und 
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noch nicht erneuert hat, 
wolle diese Erneuerung bei dem be 
treffenden Post-Amt oder Landbriefträger 
gefälligst sofort bewirken, da die 
Zeitung sonst am 1. October ausbleibt. 
Es beruht dies aus einer Einrichtung 
des Post-Zeitungs-Amts, und können 
wir die eventuelle Unterbrechung in der 
Zustellung des B lattes nicht verhindern. 
Morgstt-Depeschen. 
Berlin, 26. Sept. Der Kaiser nahm 
gestern Nachmittag und heute Vormittag 
im Jagdhaus Rominten den Vortrag des 
Chefs des Militärkabinets entgegen. . 
Berlin, 26. Sept. Der Oberprä,ident 
von Ostpreußen, Gras von Bismarck, hat, 
nach der „Ostd. Ztg." dem Kaiser in 
Rvminten seine Auflvartung gemacht. 
Berlin, 26. Sept. Die „Post" hört, 
daß der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe 
erst daun nach Berlin zurückkehren wird, 
wenn die sämmtlichen anderen Staats 
minister wieder in Berlin eingetroffen 
sein werden, was erst in der ersten Woche 
des Oktober der Fall sein dürfte. Die 
erste Sitzung des Staatsministeriums dürfte 
daher kaum vor Mitte October stattfinden, 
und auch die Rückkehr des Fürsten 
Hohenlohe wird nicht viel früher zu er 
warten sein. 
Berlin, 26. Sept. Die „Post fragt 
zur Meldung der „Karlsruher Zeitung", 
wonach Graf von Posadowsky m den 
'Konferenzen, die er aus seiner Reffe m 
Süddeutschland mit den betreffenden Mi 
nistern hatte, die Einbringung einer neuen 
Tabaksteuervorlage nicht erörtert habe, sie 
müsse aus naheliegenden Gründen daran : 
verzichten, auf diese Notiz überhaupt ein 
zugehen. Es sei aber undenkbar, daß der 
Staatssecretär in den süddeutschen Haupt 
städten geweilt haben sollte, ohne mit 
irgend einer der maßgebenden Persönlich- 
leiten überhaupt über die Tabakssteuer zu 
brechen. 
Berlin, 26. Sept. Ter Steckbrief 
gegen Freiherrn von Hammerstein, 
datirt vom 23. ds., wegen mehrfacher 
schwerer Urkundenfälschung in Ver 
bindung mit Betrug und Untreue, ist 
amtlich veröffentlicht. 
Berlin, 25. Sept. Der „Reichs-Anz." 
bestätigt heute, daß Freiherr von Hammer- 
tein sein Abgeordneten-Mandat nieder 
gelegt hat. 
Berlin, 26. Sept. Es bestätigt sich, daß 
die Verhaftung des Ingenieurs Pseiffe: 
wegen Landesverraths mit den Kölner 
Verhaftungen in Verbindung steht. 
Berlin, 26. Sept. Der frühere Redacteur 
des „Vorwärts", Josef Diert, ist verhaftet 
worden. Seine Verhaftung wird damit in 
Verbindung gebracht, daß er einige 
Rumniern des „Vorwärts" in der Zeit von 
der Grundsteinlegung zum Kaiser-Wilhelm 
Denkmal bis zu der Sedanfeier ge 
zeichnet hat. 
Köln, 26. Sept. Infolge des niedrigen 
Wasserstandes haben die Kölnische, sowie die 
Düsseldorfer Dampfschiffahrts-Gesellschasten 
die gesammten Fahrten eingestellt. 
Konstantinopel, 26. Sept. Unweit der 
Hafenstadt Hodejda verschüttete ein ab 
gestürzter enormer Felsen über hundert 
Menschen, die unrettbar verloren sind. 
Rom, 26. Sept. Infolge richterlichen 
Befehls wurde in Genua eine in den 
Händen des Banquiers Hop pen heim 
eines Schwagers der Brüder Bingen 
befindliche Summe von 480 000 Sire 
sowie eine Anzahl Juwelen, welche von 
einem Kassenboten der falliten Bank ver 
wahrt wurden, mit Beschlag belegt. 
Amsterdam, 26. Sept. Einem Telegramm 
des Blattes „Nieuwens van den Dag" 
zusolge ist in dem portugiesischen Theile 
der Insel Timor ein Ausstand ausgebrochen 
Die Truppen wurden geschlagen; ein 
Sekretär und drei Beamte der portugiesischen 
Regierung sind getödtet worden. Der 
Gouverneur ist mit einer Anzahl Soldaten 
in das Innere des Landes abgegangen. 
Paris, 26. Sept. Aus New-Iork geht 
dem „Petit Journal" eine Meldung 
laut welcher sich unter den Insurgenten 
auf Cuba mehrere Deutsche befinden, welche 
von einem ehemaligen deutschen Osfizier 
Rotlof organisirt sind und von demselben 
befehligt werden. Die Deutschen, die das 
betreffende Corps bilden, sollen in New- 
Iork ihren Wohnsitz gehabt haben. Auch 
der Adjutant Rotlof's soll ein Deutscher, 
Namens Marruschof, sein. Er war an 
geblich früher Gemeinderathsmitglied einer 
Gemeinde in Ostpreußen und ist von dort 
unter Hinterlassung bedeutender Schulden 
nach Amerika geflüchtet. 
Paris, 26. Sept. Ein furchtbarer 
Waldbrand ist auf der Hügelkette von 
Saint-Antoine bei Marseille ausgebrochen 
und währt bereits seit zwei Tagen. An 
gesichts der Ausdehnung der Katastrophe 
sind die aufgebotenen Soldaten zur Be 
kämpfung des verheerenden Elementes bei 
Weitem nicht ausreichend. Es ist ihnen 
nur unter schweren Anstrengungen gelungen 
die Gefahr nach der Seite von Marseille 
hin zu beschwören; dagegen gewinnt der 
Brand nach der Gegend von Simiane hin 
immer mehr an Ausdehnung. Der Brand 
ist durch die Unvorsichtigkeit zweier Jäger 
entstanden. 
Dss Ehcrccht 
des Bürgerlichen Gesetzbuches. 
Das Eherecht ist vielleicht diejenige Ma 
terie des Bürgerlichen Rechts, deren Fest 
tellung im Reichstage auf die größten 
Schwierigkeiten stoßen wird. Man wird sich 
erinnern, daß der Abg. Spahn bereits im 
letzten Winter sich zu der Aeußerung hat 
verleiten lassen, daß das Zentrum gegen 
das ganze Bürgerliche Gesetzbuch stimmen 
würde, wenn nicht das Eherecht eine be* 
ìiedigende Gestalt erhielte. Wir wissen 
nicht, ob der Abg. Spahn von seiner Parker 
zu dieser Aeußerung autorisirt war, jeden 
falls hat er aber in ihrem Sinne gesprochen 
Denn die katholische Kirche hat für sich 
stets die Gerichtsbarkeit in Ehesachen in 
Anspruch genommen und dem Staate das 
Recht bestritten, kirchliche Ehehindernisse zu 
beseitigen, kirchlich gültige Ehen für un 
gültig zu erklären, über Gültigkeit und Un 
gültigkeit der Ehe zu entscheiden und eine 
Trennung der Ehe vor dem Bande einzu 
führen. Es muß aber zweifelhaft erscheinen, 
wie weit der Widerspruch des Zentrums 
gehen wird. Konsequenterweise mußte der 
selbe sich gegen jede staatliche Gesetzgebung 
in Ehesachen richten. Aber auch die päpst 
liche Kurie zieht nicht immer die strengen 
Konsequenzen ihrer Grundanschauungen, auch 
der Ultramontanismus kennt ein tolerari 
posse und eine opportunistische Politik. 
Es ist deshalb anzunehmen, daß das Zen 
trum an den Grundlagen des Eherechts, 
wie es sich bei uns im Laufe der Jahr 
hunderte gestaltet hat, nicht rütteln, sondern, 
daß es bloß einer weiteren zeitgemäßen 
Ausgestaltung dieser Rechtsmalerie sich 
widersetzen wird. 
Unser Eherecht beruht nach dem Reichs 
gesetz vom 6. Februar 1875 wie nach dem 
Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches, auf 
dem Institut der obligatorischen Zivilehe. 
Wir wissen nicht, ob der Ultramontanismus 
den Kampf gegen die Zivilehe, den er soeben 
in Ungarn verloren hat, im Reichstag wieder 
aufnehmen wird. Unter allen Umständen 
wird man aber in dieser Beziehung die 
Forderungen des Zentrums ans das schärfste 
zurückweisen müssen. Im paritätischen 
Staate muß die Schließung der Ehe dem 
Staate und nicht den Kirchengemeinschaften 
überlassen werden. Die letzteren können 
für ihre Mitglieder das Erforderniß der 
kirchlichen Eheschließung aufstellen, aber dem 
Staate gegenüber kann immer nur die staat 
licheEheschließung von Wirksamkeit sein. Das 
Institut der Zivilehe hat sich in den 20 
Jahren, während deren es jetzt im ganzen 
Reiche besteht, sehr wohl bewährt, mag auch 
mancher katholische oder evangelisch-ortho 
doxe Prediger ein Prinzip darin suchen, die 
Zivilehe kühl zu ignoriren. Aber an ihre 
Abschaffung ist nicht zu denken, das möge 
ich das Zentrum gesagt sein lassen, che 
es zu vergeblichen Vorstößen schreitet. 
Hinsichtlich der Frage der Ehehindernisse 
hat der Entwurf des Bürgerlichen Gesetz 
buches die Bestimmungen des Reichsgesetzes 
am 6. Februar 1875 im Wesentlichen 
adoptirt. Dieses Gesetz hatte die Zahl der 
Ehehindernisse möglichst eingeschränkt und 
insbesondere das Eheverbot wegen Ver 
wandschaft und Schwägerschaft nur für die 
nächsten Grade aufgestellt. So ist die Ehe 
verboten zwischen Verwandten in gerader 
Linie, zwischen vollbürtigen und halbbür 
tigen Geschwistern, zwischen Verschwägerten 
gerader Linie und zwischen Adoptiv 
lN 
eltern und Adoptivkindern. Diesen Be 
stimmungcn hat sich der Entwurf des 
Bürgerlichen Gesetzbuches im Wesentlichen 
angeschlossen, denn es ist kein Bedürfniß her 
vorgetreten, aus der großen Zahl der vor 
dem Inkrafttreten des Personenstandsgesetzes 
partikularrcchtlich oder kirchlich anerkannten, 
aber durch dieses beseitigten sonstigen Ehe 
hindernisse das eine oder andere wieder ein 
zuführen. Es ist nicht undenkbar, daß das 
Zentrum den Versuch machen wird, au 
diesem Gebiete die Anschauungen des kano 
nischen Rechts dem deutschen Reichsrechte 
zu Grunde zu legen, aber auch hier können 
wir einen Erfolg nicht glauben. 
Den bedeutendsten Nachdruck wird das 
Zentrum vermuthlich seinem Angriff gegen 
die Ehescheidung verleihen. Die katholische 
Kirche verwirft die Trennung der Ehe vom 
Bande, zieht aber nicht die Konsequenzen 
dieser Anschauung. Denn bei Ehebruch und 
einigen anderen Verbrechen läßt sie die 
lebenslängliche Trennung der Ehegatten von 
Tisch und Bett zu. Eine solche Trennung hat 
indessen ihre sehr erheblichen Nachtheile 
und keine Vortheile. Sie ist auch durch das 
Personenstandsgesetz für das Reich beseitigt 
worden. Unsere heutige moderne An 
schauung und darin stimmt der Entwurf des 
Bürgerlichen Gesetzbuches mit ihr überein, 
steht auf dem Boden, daß der Staat die Auf 
lösung der Ehe gestatten muß, wenn die 
sittlichen Grundlagen der letzteren zerstört, 
die Voraussetzungen dieser innigsten Lebens* 
gemeinschaft gänzlich geschwunden sind, und 
deshalb die Ehe als segenbringend und ver 
edelnd nicht mehr gedacht, auch vom Stand 
punkt der Gerechtigkeit aus dem die Auf 
lösung der Ehe verlangenden Ehegatten die 
Fortsetzung der Ehe nicht ferner zngemuthet 
werden kann. Die Gründe, welche zum Ver 
langen der Ehescheidung berechtigen, hatte 
der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetz 
buchs für manche Rechtsgebiete erheblich ein 
geschränkt. Der zweite Entwurf hat als neuen 
Grund denjenigen der Geisteskrankheit hin 
zugefügt, fodaß nunmehr folgende Ehe 
scheidungsgründe aufgenommen sind: Ehe 
bruch, Lebensnachstellung, bösliche Ver- 
lassnng, Geisteskrankheit und grobe Ver 
letzung der ehelichen Pflichten. Dagegen 
fehlen zahlreiche Gründe, welche die einzel 
nen Partikularrechte anerkennen, z.B. körper 
liche Gebrechen, strafgerichtliche Ver- 
nrtheilung, gegenseitige Einwilligung, un 
überwindliche Abneigung u. s. w. Hierin 
ist der Entwurf den Gegnern der Ehe- 
cheidung sehr weit entgegengekommen, so 
;aß man wohl annehmen dürfte, daß diese 
sich zufrieden geben tonnten. 
Es ist nun angesichts der klerikalen For- 
cnngen der Vorschlag gemacht worden, 
das Eherecht gänzlich aus dem Bürgerlichen 
Gesetzbuch auszuscheiden. Wir würden dies 
nicht billigen und für eine solche Beschnei 
dung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur dann 
eintreten können, wenn eine andere be 
friedigende Lösung der Frage absolut nicht 
zu erreichen wäre. Denn es soll die Auf 
gabe des Bürgerlichen Gesetzbuches sein, 
S3i Jüi Vmk alter Auls. 
Roman von Gustav Höcker. 
XLI. 
Den nächsten Tag brachte der Baron m 
fieberischer Erwartung zu. Er wagte nicht, 
sein Hotel zu verlassen, aus Furcht, daß die 
ungeduldig erwartete Botschaft von Melanie 
ihn verfehlen könne. Je weiter aber der Tag 
vorschritt, ohne daß eine erlösende Nachricht 
eingetroffen wäre, desto größer war sein 
Kleinmuth. Er machte sich Gedanken, daß 
Felicitas noch andere Gründe haben könne, 
an ihrem Entschlüsse festzuhalten. So war 
der Abend herangekommen und Wolfgang 
vermochte sich nicht länger zu verhehlen, daß 
er auf eine gute Nachricht nicht mehr zu 
hoffen habe, denn diese hätte schon längst 
da sein müssen. Er wollte und mußte noch 
heute sein Schicksal erfahren, und mit diesem 
Entschlüsse bestieg er einen der letzten nach 
Nizza abgehenden Züge, welchen er auf der 
Haltestelle in unmittelbarer Nähe der von 
Melanre bewohnten Villa verließ. 
Er läutete an der Gartenpforte und Rolling 
öffnete thut. Auf seine Frage, ob Fräulein 
Rettberg zu Hanse sei, deutete Rolling nach 
dem Theile des Gartens, wo Wolfgang 
gestern mit ihr gesessen hatte, und ehe er noch 
den Ort erreichte, trat sie ihm bereits entgegen 
Ich ahnte, daß Sie cs seien, Wolfgang," 
empfing sie ihn, „ich begreife Ihre Ungeduld." 
' Sie waren in Nizza, Mclame?" fragte 
er "mit leiser, zitternde Stmime. 
Ja und meine Geduld mußte e.ne ähn 
liche Probe bestehen, wie die Ihrige; ich tra 
niemanden zu Hause an. Herr und Frau 
Earns befanden sich auf einem Ausflüge und 
hatten Felicitas mitgenommen. Ich erwartete 
ihre Rückkehr- und bin selbst erst vor ciner 
Biertelstunde wieder heimgekehrt, aber nicht 
allein." 
Lächelnd wies sie mit dem Zeigefinger nach 
dem Oranzengebüsche, dem beide sich lang 
em genähert hatten. Der Mond übergoß 
mit bleichem Phosphorscheine das hindurch- 
chimmcrnde Meer und beleuchtete zugleich 
eine Frauengestalt, welche vor dem Gebüsche 
auf- und abwandelte. 
Woffgang erbebte im Schauer einer süßen 
Ahnung. Die Worte Melanie's: „Ich habe 
sie gleich mitgebracht," kaum noch hörend, 
stürzte er vorwärts und stand vor Felicitas. 
Sie war bleich; aber aus der Gluth ihrer 
schwarzen Augen zuckte ein verheißungsvoller 
Freudestrahl. Ihr Blick senkte sich, ihre 
Wange erglühte plötzlich. Da umschlang 
Wolfgang die schlanke Gestalt mit beiden 
Armen und drückte sie stürmisch an sein Herz. 
Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und 
weinte. 
„Felicitas! rief er. „Du bist die Meinige 
für ewig, oder es geht keine Sonne mehr 
für mich auf. Die Worte meines Schicksals 
sind auf Deinen Lippen. Wenn Du mich 
liebst, so bist Du mein — wenn Du mich 
noch verwirfst, so bin ich verloren!" 
„O, ich liebe Dich, Wolfgang, wie ich 
Dich stets geliebt habe!" antwortete sie, ihre 
Arme innig um seine Schultern legend. „Ich 
bin Dein — und keine Wolke trübt mehr 
den Sonnenglanz unserer Liebe." 
Wolfgang athmete tief auf. Der zermal 
mende Druck des Zweifels und der Furcht 
war von seinem Herzen gewichen. Dennoch 
zog plötzlich ein trüber Schatten über sein 
Antlitz. 
„Du scheinst traurig, Wolfgang?" fragte 
Felicitas besorgt. 
„Nein, Geliebte, traurig bin ich ich nicht," 
tgegneie er, sie auf die Stirn küssend, 
..aber selbst in der Seligkeit dieses Augcn- 
olicks giebt cs etwas, das mich ernst stimmt, 
denn wenn ich daran denke, zu welchen 
schlimmen Entschlüssen ich mich in diesen 
Tagen unter dem Einfluß der Verzweiflung 
hinreißen ließ, so fühle ich im tiefsten Herzen, 
daß ich der Güte und Gnade Gottes nicht 
würdig bin. Aber cs ist vorüber, mein süßes 
Mädchen — cs ist vorüber und die Hölle 
hat keine Macht mehr über mich; Du hast 
ie ihr genommen. Doch laß uns über un- 
erem Glücke nicht diejenige vergessen, der 
wir es zu danken haben. Wenn es gütige 
Feen giebt, so ist Melanie eine von ihnen!" 
Er wandte sich der Stelle zu, wo er 
Melanie zuletzt gesehen hatte, aber sie war 
verschwunden. 
Obwohl sie weniger an sich selbst als an 
andere dachte, obwohl das Glück des lie 
benden Paares ihrem Auge Thränen cdler 
Rührung entlockte, so glaubte sie doch, ihr 
heftig klopfendes Herz müsse ihr zerspringen. 
Leise schlich sic sich davon und wandelte 
langsam die Gartentcrasse hinab. 
Auf diesem Wege entwarf sie ihren künf 
tigen Lebensplan. Sie wußte, daß ihr das 
Loos der Entsagung zugefallen und daß es 
ihre Bestimmung war, auf das eigene Glück 
zu verzichten und dafür dasjenige anderer 
zu begründen. Nicht umsonst hatte sie in 
der Schule der Armuth, die Nachtseiten 
des menschlichen Daseins an sich selbst 
kennen gelernt. In dem schönen, stillen 
„Billcnhofe" wollte sie ihre künftigen Jahre 
verbringen; jede Hütte des Dorfes sollte 
ihren Schritt kennen und so weit ihre Macht 
reichre, wollte sie Freude und Sonnenschein 
um sich verbreiten. 
Ganz in diese neue Welt künftiger Pflich 
ten versenkt, war Melanie eben an eincr 
Gruppe Pinien angekommen. Mit dem 
würzigen Harzdufte, den diese verbreiteten, 
mischte sich ein unangenehmer Theer- und 
Stcinkohlengeruch, den der Wind von der 
nahen Bucht heraustrieb. Plötzlich sprang 
hinter den Bäumen die hohe Gestalt eines 
Mannes hervor, der in einen langen dunkeln 
Mantel gehüllt war und einen Calabreser- 
hut tief ins Gesicht gedrückt hatte. Melanie 
stieß einen lauten Schrei des Entsetzens aus. 
aber blitzschnell hatte sie der Mann mit 
starken Armen mnfaßt, um sie nach der 
Bucht hinabzutragcn. 
Daß cs sich um einen Banditcnstreich 
handle, war Melanie's erster Gedanke. 
„Um des Himmels willen, lassen Sic 
mich los!" rief sie flehend. „Sie sollen so 
viel Lösegeld haben, als Sie verlangen!" 
„Lösegeld," erwiderte der Fremde mit 
einer Stimme, welche ihr bekannt erschien, 
„eine halbe Welt soll Sie nicht auslösen, 
bis Sie ein Geschöpf geworden sind, das 
sich selbst haßt und verabscheut. In Deutsch 
land wiesen Sie meine Liebe mit bitterer 
Verachtung zurück, aber jetzt habe ich Sie 
in sicherer Gewalt." 
Was ihr die bekannte Stimme nicht gleich 
verrieth, erschlossen ihr die eben vernomme 
nen Worte: sic befand sich in der Macht 
des Mannes, der sie einst mit unwürdigen 
Anträgen verfolgt, der wie ein finsteres 
Schicksal verderbendrohend eine dämonisch: 
Herrschaft über ihren Bruder geübt und mit 
dieser Macht ihren eigenen Willen zu lenken 
versucht hatte, und der nun, da diese Mittel 
ihm nicht mehr zu Gebote standen, sich mit 
gcwalthätigcr Hand ihrer Person versicherte. 
Ihre furchtbare Lage erkennend, wollte 
ie einen verzweifelten Hülsern; ausstoßcn, 
aber er preßte das eine Ende seines Man 
tels auf ihren Mund und trug sie mit 
raschen Schritten weiter und weiter hinab. 
Wolfgang und Felicitas hatten Melanie's 
Schrei vernommen, welchen ihr der Schrecken 
beini ersten Anblick ihres Entführers ent 
lockt hatte. 
Wolfgang vermochte genau zu unter 
scheiden, daß der Schrei von dev Richtung 
der Bucht herkam, und sofort fiel ihm wieder 
jene Schattcngestalt ein, die er gestern hintcr 
dcm Orangengebüsch beobachtet hatte. Er 
wollte eben hinabeilcn, als Rolling herbci- 
gestürzt kam. 
„Wo ist meine Herrin?" fragte er hastig, 
indem er angstvoll umherblickte. „Ich glaubte, 
ie sei hier bei Ihnen." 
„Sie war hier," antwortete Wolfgang, 
„aber sie hat sich unbemerkt entfernt." 
Dort — dort!" ries Rolling und 
deutete mit bebender Hand nach den Terrassen, 
„von dort kam der Schrei!" 
Beide Männer theilten die gleiche Be 
fürchtung, sie hatten einander im Nu ver 
standen und rannten in wildem Laufe den 
nach der Bucht sich hinunterzichendcn Theil 
des Gartens hinab, während Felicitas ihncn 
mit zitternden Gliedern folgte. 
Bald sahen sie vor sich im hellen Mon- 
denlichte die Gestalten des Entführers und 
seiner Beute, die sich verzweiflungsvoll in 
dessen Armen wand. Der Räuber hatte 
fast die Bucht erreicht, in welcher eine schlanke 
Dampfyacht lag. Ein Brett bildete ein.
	        
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