Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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88ster Jahrgang. <ş 
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Montag, den 8. IuLi 
1895. 
Morgen Depeschen 
Berlin, 8. Juli. Zu dem Anschlage 
auf den Polizeioberst Krause wird neuer 
dings gemeldet, daß die von dem Gerichts- 
Chemiker Dr. Jeserich vorgenoinmene Unter 
suchung der Spreng- und Brennstoffe, die 
durch die Höllenmaschine zur Entzündung 
gebracht werden sollten, ergeben hat, daß 
der Inhalt der Flaschen nicht Benzin, 
sondern Ligronin war, eine Flüssigkeit, die 
viel leichter als Benzin entzündlich ist. 
Berlin, 6. Juli. Im Prozeß Castan, 
der ununterbrochen seit 9 Uhr Morgens 
dauerte, trat heute Nachmittag 4 Uhr eine 
Pause ein , Um 4'7 2 ' Uhr begann das 
ķst'chdyer des Staatsanwalts. Dem Ver 
nehmen nach dürfte der Prozeß einen für 
den Angeklagten günstigen Ausgang nehmen. 
Berlin, 8. Juli. In der Strafsache 
gegen den Besitzer des Panoptikums, Julius 
Castan, wegen Sittlichkeitsverblechens 
erfolgte am Sonnabend-Abend die Frei 
sprechung Castans. 
Berlin, 8. Juli. Der „Nat.-Ztg." wird 
aus Münster i. W. berichtet, daß eine 
dieser Tage in der bei Amelsbüren ge 
legenen großen Alexianer-Irrenanstalt vor 
genommene gründliche Revision anscheinend 
wenig erfreuliche Ergebnisse geliefert hat 
da dem Vernehmen nach eine vollständige 
Reform derselben unter Uebernahme durch 
die Landesverwaltung für nothwendig er 
achtet wird. Letztere läßt auf ihre Kosten 
und Verwaltung in der Anstalt schon seit 
Jahren ca. 160 Kranke verpflegen. 
Berlin, 8. Juli. Vor dem Schöffen- 
gerichì hat heute die Verhandlung gegen 
den Chefredakteur der „Post" Groddeck, 
und gegen den Redakteur desselben Blattes, 
Dr. Bornemann, wegen Beleidigung der 
hiesigen Universitätsprofefforen Dr. Wagner 
und Dr. Schmoller, begangen durch Be 
sprechungen der Rede des Freiherr» von 
Stumm in der Reichstagssitzung des 9. 
Januar gelegentlich der Umsturzdebatte 
stattgefunden. 
Hamburg, 6. Juli. Die Zahl der Aus 
wanderer von hier ist in den beiden letzten 
Monaten wieder bedeutend gestiegen. Sie 
beziffert sich auf 4401 Passagiere gegen 
3562 in derselben Zeii des Vorjahres. 
Genf, 8. Juli. Das „Grand Hotel 
Weiropole" steht in hellen Flammen. 
Risch, 8. Juli. Wie aus Pirol be 
richtet wird, überfielen Bulgaren das in 
der Nähe liegende serbische Zollamt von 
LocSnitze, mißhandelten die serbischen Kauf- 
leute Michael Jankove und Theodor Jokei 
und schleppten sie über die Grenze nach 
Bulgarien. Der Zollamts-Vorsteher und 
die Zollwächter ergriffen die Flucht. 
Belgrad, 8. Juli. König Alexander 
betraute am Sonnabend Abend Norekrovic 
mit der Neubildung des Kabinets, nach 
dem er Christie dreimal vergebens ersucht 
harte, im Amte zu verbleiben. 
Granica, 8. Juli. Hierselbst wurden 
zwei Frauen mit einem Individuum, das 
ie als ihren Diener ausgaben, verhaftet 
und nach Petersburg transportirt. Bei 
dem angeblichen Diener soll ein Koffer 
mit nihilistischen Schriften gefunden worden 
ein. 
Brüssel, 7, Juli. Die radikale, liberale 
und sozialistische Presse fordert das Volk 
auf, den Kundgebungen, welche am 28. d. 
gegen das klerikale Schulgesetz stattfinden, 
ein niöglichst imposantes Gepräge zu ver- 
leihen. 
London, 8. Juli. In den Docks von 
Swansea ersolgte gestern Abend an Bord 
eines Dampfers eine Explosion, durch 
welche 4 Mann lebensgefährlich verletzt 
wurden. Wodurch die Explosion verursacht 
wurde, konnte bisher nicht festgestellt 
werden. 
Boston, 8. Juli. Auf die gestern 
Abend stattgehabte Parade der Orangemen 
(protestantischen Irländer) zur Feier des 
Tages der Schlacht von Orange wurde 
von irischen Nationalisten ein Massen 
angriff unternommen. Trotz Hülse der 
Polizei wurde die Parade gesprengt. 
Einer der Orangemen wurde erschossen; 
viele wurden verwundet. Die Stadt be 
findet sich wegen dieses Angriffs auf die 
religiösen Freiheitsprivilegien in unbe 
schreiblicher Aufregung; der Gouverneur 
des Staates wird cine Proclamation er 
lassen; der Staatsanwalt wird Anklagen 
gegen mehrere hervorragende Mitglieder 
der irischen Nationalistenpartei erheben, 
welche Vertrauensmänner der hiesigen 
katholischen Diocese sind. 
Mailand, 8. Juli. Große Hagelschläge 
haben in der Umgebung von Modena und 
Mantua die gesammte Ernte vernichtet. 
Bristol (Staat Indiana), 8. Juni. Eine 
Brücke stürzte hier ein, wodurch 6 00 Per 
sonen, welche einer Bootsregatta zusahen, 
aus einer Höhe von 40 Fuß ins Wasser 
fielen. Vierzig Personen sind 
verletzt, darunter mehrere schwer. 
AŞaà 
Außereuropäische Gebiete. 
Lakc-City (Florida), 5. Juli. Ein Trupp 
unbekannter maskirter Männer drang wäh 
rend des Abendgottesdienstes in eine Neger 
kirche ein, schleppte den Prediger von der 
Kanzel in das Kirchenschiff und erschoß ihn 
dort. Der Ermordete soll in einem be 
nachbarten Bezirk einen Angriff auf ein 
Mävchen verübt haben, und die Truppe 
bestand aus Lynchern, welche von dort 
kamen. 
Italien. 
Die Baronin Frieda von Rantzau, 
Schwester des Schwiegersohnes Bismarcks, 
ist zum Katholicismus übergetreten. 
Die Ceremonie fand mit dem größten 
Pomp in Rom statt. Der Papst empfing 
die Neugetaufte in besonderer Audienz und 
gab natürlich seiner Freude über ihren 
Ucbertritt Ausdruck. 
Neapel, 6. Juli. Der Vesuv ist 
wieder in voller Thätigkeit. Es 
haben sich zwei neue Ocffnungen gebildet. 
Reichliche Lavamassen strömen rapide die 
Fahrstraße der Drahtseilbahn nach Resina 
herab. 
Belgien. 
Brüssel, 6. Juli. Der jüngst bei dem 
Bankier Bordeveener vcisuchte Dieb 
stahl steht nach den letzten Ermittelungen 
der Polizei im Zusammenhang mit mehreren 
anderen bedeutenden Diebstählen. Die 
Staatsanwaltschaft hat mit Hülfe der 
Polizei das Bestehen und die Organisation 
internationaler Diebesgenossenschaften auf 
gedeckt, die eine Art Diebes-, Hehler- und 
BermittlerBereine bilden. Der Betrag, 
den die seit mehreren Jahren verübten 
Diebstähle erreichen, beziffert sich aus 
Millionen. Ein halbes Dutzend Verhaf 
tungen sind im Mai d. I. vorgenommen. 
Oesterreich-Ungar». 
Wien, 6. Juli. Von einem lustigen 
-Original berichten die Wiener Blättere 
Dieser Tage ist in einem unserer Vororte 
ein Mann gestorben, der viele Jahre lang 
ein eigenartiges Steckenpferd ritt. Er war 
nämlich ein bitterböser Feind der Ehe, und 
als solcher besaß er die ganze Literatur, die 
sich gegen diese Institution richtet, sowie 
frauenfeindliche Werke überhaupt. Die 
Hauptlhätigkeit des Ehefeindes fiel in die 
siebziger Jahre. Tag für Tag studirte 
er im Cafe die Jnseratenspalten der 
Zeitungen durch; er fahndete nach Ver 
lobungsanzeigen in Wiener, sowie in 
Provinzblättern und dann notirle er sich 
die Namen und Adressen in sein Merkbüch 
lein. Am nächsten Tage erhielt der be 
treffende Bräutigam zu seiner Ueberraschung 
neben den Beglückwünschungskarten der 
Freunde und Bekannten eine gedruckte 
„Zuschrift", vier Seiten Quart im Um- 
pfang, die mit dem fettgedruckten Warnungs 
ruf „Heirathen Sie nicht!" begann. Der 
Gegner der Ehe hatte in diese vier Seiten 
alles zusammengedrängt, was nur irgend 
zur abfälligen Kritik des Ehelebens gesagt 
werden kann, nicht ohne Geist und Logik, 
ja sogar stellenweise sehr überzeugend, und 
es ist nicht unmöglich, daß irgend ein 
Bräutigam für einen Augenblick stutzig 
wurde. Es war in dem Schreiben aus 
alle Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten 
eines ewigen Bündnisses zwischen zwei 
moderna erzogenen Cultnrmenschen hinge 
wiesen, und es wurde dent Manne genau 
vorgerechnet, was er im besten Falle bei 
dem Handel gewinnen konnte. Es war 
nicht eben viel — und das Rechenexempcl 
mußte selbst den beherztesten Freier ab 
schrecken. Biele Jahre lang betrieb der 
Eheseind diesen Abschreckungssport, ob er 
ihn später eingestellt hat, ist uns nicht be 
kannt geworden. Nun ist er gestorben und 
wird kein Wort mehr gegen die Ehe sagen. 
Sein Ableben aber betrauert eine — junge 
Wittwe. 
Jnlemd. 
— Etwa 800 Deutsch-Amerikaner 
werden mit ihren Familien Ende August 
in Hamburg eintreffen und von dort direkt 
nach Berlin reisen. Es sind dies sämml 
lich Krieger aus den Feldzügen 
18 7 0,7 1, die aus Anlaß der 25. Wieder 
kehr des Sedantages in Berlin verweilen 
werden. Die Kriegervereine der Stadt 
Leipzig haben sich ebenfalls um den Besuch 
dieser Deutsch-Amerikaner beworben. Die 
Kriegskameraden, die für sich und die 
Jhligen einen eigenen Dampfer gemiethet 
haben, werden hier bei einein durch die 
hiesigen Kriegervereine zu veranstaltenden 
Parade-Marsch vor dem Kaiser am zweiten 
September d. I. dem Monarchen vorge 
stellt werden. Ebenso werden sich die 
Amerikaner bei allen hier zu Ehren des 
Gedenktages stattfindenden Festlichkeiten 
betheiligen. 
— Vorgestern haben die Agrarier im 
Abgeordnetenhause dem Finanzminister Dr 
Miguel die Heerfolge verweigert, 
indem sie entgegen seinen Vorhaltungen 
die Beseitigung der Rückzahlung der Grund- 
kcuer-Entschädigung beschlossen. Unmittel 
bar daraus erklärten sie in einer Vieh- 
euchen-Frage ihre Zufriedenheit, von der 
Regierung jetzt freundliche Töne ange- 
lchlagen zu hören. Aber gestern hat das 
Herrenhaus dem Landwirthschastsminister 
eine Absage bei einer Vorlage ertheilt, die 
auch schon im Abgeordnetenhause nur mit 
großer Mühe durchging, bei der Errichtung 
einer Generalcommission in Königsberg. 
Und heute kommt die Interpellation des 
Herrn von Hertzberg über die Maßnahmen, 
die die Staatsregierung zum Wohle der 
Landwirthschast nach den den Antrag Kanitz 
verwerfenden Beschlüssen des Staatsrathes 
ins Werl gesetzt habe? Das sieht auch 
nicht wie ein Vertrauensvotum aus. Hält 
man dazu die Thatsache, daß der „Bund 
der Landwirthe" sich weiter auf Huldbe 
weise des Fürsten Bismarck, wie tele 
graphisch gemeldet worden ist, berusen 
kann, und diese eifrig agitatorisch ver 
werthet, so wird man zwar sagen müssen, 
daß das Verhältniß der Agrarier zur Re 
gierung jetzt auf einen andern Ton gestimmt 
ist als zu Zeiten Caprivi's, daß aber 
sachlich die Differenzen kaum minder 
groß sind. 
— Ist der Nordostseekanal tief 
genug? Darauf will die „Deutsche 
Warte" im Reichsamt des Innern eine 
authentische Auskust dahin erhalten haben: 
Der Nordostseekanal ist durchweg 9 Meter 
tief gebaut und für alle Schiffe der Welt 
paffirbar. Nur bei der Schiffbrücke zu 
Grünenthal, wo vor 2 Jahren ein Erd 
rutsch stattgefunden hat, ist die Tiese des 
Kanals bis jetzt erst wieder auf 8 Meter 
gebracht. Erdrutschungen sind aber bei 
Kanälen wie bei den Eisenbahndämmen 
etwas ganz Unvermeidliches und kommen 
im Suezkanal sehr häufig vor. Obwohl 
die Tiefe des Kanals bereits für alle 
Schiffe ausreiche, so habe man doch mit 
Rücksicht auf die noch nicht bis auf 9 Meter 
Tiefe gebrachten Arbeiten bei Grünenthal 
dieselben vorläufig nicht paffiren lassen. 
Dafür, daß mehrere Kriegsschiffe bei der 
Durchfahrt aufgelaufen sind, giebt es nur 
einen Grund: die mangelhafte Steuerfähig 
keit der großen Schiffe bei verminderter 
Geschivindigkeit. Die Tiefe des Kanals 
kam in allen Fällen gar nicht in Frage, 
sondern allenfalls die bisher nicht ge 
nügende Vertrautheit der Lootsen 
mit dem Fahrwasser. Es liegt also 
12) 
Au der AmMOrte. 
Roman von Rcinhold Ortmann. 
VI. 
Die tiefe Stille der Erwartunng lag über 
dem großen, feierlich ernsten Gerichtssaal, in 
welchem heute die Verhandlung gegen die 
Rädelsführer bei dem Siraßenkrawall statt 
finden sollte. Die Stuhlreihen des Zuschauer 
raums, der an diesem Tage leoiglich den 
Inhabern besonderer Legitimationspapiere zu 
gänglich war, wiesen nur noch wenige Lücken 
auf, als der Gerichtsdiener, die die berühmte 
Sängerin zu erkennen schien, mit höflicher 
Geberde die Thür vor Julia Lehndors und 
ihrem Begleiter öffnete. 
Gestern erst hatte die Künstlerin ihren Ver 
lobten durch die Mittheilung überrascht, daß 
ihr von befreundeter Seite zwei Eintritts 
karten zur Verfügung gestellt worden seien, 
und sie hatte eine so lebhafte, unverhohlen 
freudige Erwartung an dm Tag gelegt, als 
handle sich's um das heiterste und vcrgnüg- 
lichste Schauspiel . von der Welt. Leopold 
hatte sich zuletzt nicht halten können, sie mit 
sanftem Vorwurf auf das Unbarmherzige ihrer 
fröhlichen Neugier hinzuweisen; aber sie hatte 
mit ungeduldigem Achselzucken erwidert: 
„Mein Gott, diese Menschen sind mir 
doch vollständig fremd. lind sie werden 
gewiß ihre wohlverdiente Strafe erleiden. 
Möchtest Du etwa, daß die Ungeheuer frei 
ausgingen, die mich an jenem Abend in so 
schreckliche Angst versetzten?" 
„Es ist sehr ungewiß, ob einer von diesen 
auf der Anklagebank sitzen wird. Gewöhnlich 
sind cs nicht die Hauptschuldigen, die bei 
solchen Anlässen den Behörden in die Hände 
fallen." 
„Nun, so mag man die Angeklagten 
meinetwegen freisprechen, wenn sie unschuldig 
sind. Ich freue mich ja auch garnicht auf 
ihre Verurtheilung, sondern auf all' das feier 
liche Zubehör einer solchen Verhandlung, auf 
das Plaidoyer des Staatsanwalts — kurzum, 
auf all' das Neue, was ich da sehen und 
hören werde." 
Leopold war sehr still gewesen nach diesem 
Gespräch. Er hatte die Empfindung nicht 
nicht mehr los werden können, daß eine sehr 
»»weibliche Herzlosigkeit in ihrem Benehmen 
sei, und cs hatte wenig Erfolg, daß er sic 
vor sich selber mir der Entschuldigung zu 
rechtfertigen suchte, sie habe nur in trotziger 
Auflehnung gegen seine hofmcifternden Vor 
würfe so zu ihm gesprochen. 
Während die Pünktlichkeit sonst keineswegs 
eine ihrer hervorstechenden Tugenden war, 
hatte er Julia an diesem Morgen bereits in 
Hut und Handschuhen gefunden, als er zehn 
Minuten vor der festgesetzten Zeit erschien, 
um sie zu dem Gang in das Gerichtsgcbäude 
abzuholen. Sie war in unverkennbarer Auf 
regung und ihre Augen leuchteten wie die 
eines siebzehnjährigen Backfisches, der sich 
anschickt, seinen ersten Ball zu besuchen. Aber 
ste sprach nicht viel, vielleicht weil sie ihni 
keinen neuen Anlaß zu Vorhaltungen geben 
wollte, und da auch er nicht eben in 
Gesprächslaune war, legten sie fast den 
ganzen Weg in einem gedrückten Schweigen 
zurück. 
Zufällig waren in der zweiten Sitzreihe 
noch ^ einige Plätze freigeblieben. Julia's 
scharfe Augen hatten sie sofort erspäht, und 
sie ging so schnell darauf zu, daß Leopold sich 
ihrem Willen fügen mußte, obwohl er viel 
lieber mit ihr im tiefsten Hintergründe des 
Saales geblieben wäre. In ihren schwarzen 
Talaren betraten eben die Mitglieder des 
Gerichtshofes den Saal und ließen sich auf 
erhöhter Estrade an dem mit grünem Tuch 
behängten Tische nieder. Die Verhandlung 
mußte sogleich beginnen und Alles reckte die 
Hälse, um ja keine Einzelheit des interessanten 
Schauspiels zu verlieren. Auch der Blick 
des jungen Arztes schweifte über seine Um 
gebung hin, und plötzlich stockte sein Athem, 
als hätte man ihn unversehens mit einem 
Kübel eiskalten Wassers überschüttet, denn 
unmittelbar vor ihm, in der ersten Stuhl 
reihe des Zuschauerraums und dem Richter 
tische gerade gegenüber saß Arnold Randolfi 
mit einem so ruhigen, unbewegten Antlitz, 
als hätten die Dinge, die hier zur Verhand 
lung komme» sollten, für ihn kein anderes 
Interesse als für die unbctheiligten Hörer zu 
seiner Rechten und Linken. Wenn ihn von 
den Angeklagten, deren Plätze nur wenige 
Schritte von dem seinen entfernt waren oder 
von den Zeugen, deren jeder hart an ihm 
vorübergehen mußte, nur ein einziger 
erkannte, so hatte er seine Tollkühnheit ohne 
Zweifel sehr theuer zu bezahlen. Und sein 
Benehmen mußte völlig unbegreiflich erscheinen, 
wenn er nicht geradezu in der Absicht ge 
kommen war, sich an das Messer zu liefern. 
Ein heftiger Zorn gegen den Verwegenen, 
der in frevelhaftem Leichtsinn solchen Kummer 
über seine arme, ahnungslose Schwester her 
aufbeschwören konnte, stieg in dem Herren 
des Doktors empor. Er hätte ihn am 
liebsten beim Arm gepackt und ihn ohne 
Rücksicht auf seine Einwilligung oder sein 
Widerstreben aus dem Saale geführt. Aber 
die Furcht, den Unglücklichen zum Gegenstand 
einer gefährlichen Aufmerksamkeit zu machen, 
hielt ihn sogar davon zurück, sich zu ihm 
herüberzuneigen und ihn durch einige ge 
flüsterte Worte zu möglichst unauffälligem 
Rückzüge aufzufordern. Bei der tiefen Stille, 
die jetzt in dem Raume herrschte, hätte sich 
ja auch das nicht lhun lassen, ohne daß 
wenigstens die nächste Umgebung etwas davon 
wahrgenommen hätte. 
Alle Gedanken Leopold's waren von diesem 
Augenblick an nur noch bei Helene Randolfi. 
Er sah im Geiste ganz deutlich ihr reizendes 
Gesichtchen voll namenloser Betrübniß vor 
sich, als er sich vorstellte, daß er vielleicht 
genöthigt sein würde, ihr die Nachricht von 
der Verhaftung des Bruders zu überbringen. 
Und während er in seinem Kopfe allerlei 
Pläne wälzte, wie das Ungemach noch von 
ihr abzuwenden sei, überhörte er alle umständ- 
lichen Formalitäten und langweiligen Wieder 
holungen, die eine gegen vierzehn Angeklagte 
gerichtete Verhandlungen nothwendig einleiten 
müssen. 
Ein hörbares Aufathmen Julia's, ein 
eigenthümliches Zucken und Recken, das durch 
ihre schöne Gestalt zu gehen schien, lenkte 
seine Aufmerksamkeit zuerst wieder auf die 
Dinge seiner Umgebung zurück. Er wandte 
ihr sein Gesicht zu und gewahrte, daß in 
ihren Augen noch immer jenes freudig er 
wartungsvolle Leuchten war, während die 
wachsende Erregung dunkle Rosen auf ihre 
Wangen gemalt hatte. Er folgte der 
Richtung ihres unverwandt auf einen einzigen 
Punkt gehefteten Blickes und fuhr, wie von 
einem Peitschenschlag getroffen, zusammen, 
als er sah, was der Gegenstand ihres auf 
fälligen Interesses war. An seinem gleich 
falls erhöhten Platz zur Rechten des Richte^ 
tisches stand der Staatsanwalt, um mit eine 1 ' 
sehr klangvollen, aber auch sehr selbstgefälligen 
Stimme irgend einen Antrag zu stellen. Unter 
Hunderten würde Leopold ihn auf den ersten 
Blick wieder erkannt haben, diesen schönen, 
stattlichen Mann mit den lebhaften Augen 
und dent weit auf die Brust niederfallenden 
schwarzen Bollbart. In diesem Moment 
hatte er die volle Gewißheit, daß Julia ihm 
an dem Tage, wo er jenem auf der Treppe 
ihrer Wohnung begegnet war, die Unwahrheit 
gesagt hatte, und nur mit Mühe bezwang er 
sich, nicht auf der Stelle Rechenschaft darüber 
von ihr zu fordern. 
Er kämpfte seine erste Erregung nieder und 
fragte dann anscheinend gleichgültig: 
„Dieser Staatsanwalt ist einer Deiner 
Bekannten?" 
Ohne sich nach ihm umzuwenden, gab sie 
leichthin zurück: 
„Ja, ich traf ihn irgendwo in einer 
Gesellschaft — ein außergewöhnlich geistreicher 
und liebenswürdiger Mensch. Du wirst ihn 
hoffentlich auch noch kennen lernen." 
„Das möchte ich allerdings wünschen. 
Und sein Name?" 
„Freiherr von Westerhagen." 
Leopold hatte diesen Namen noch nicht 
vergessen, und wenn Julia ihn jetzt angesehen 
hätte, so würde sie in ihren weiteren Ant 
worten gewiß vorsichtiger geworden sein. 
Aber sie lauschte der sonoren Stimme des 
öffentlichen Anklägers mit solchem Interesse, 
daß sie die lästigen Fragen ihres Begleiters 
so rasch als möglich abfertigte, nur um 
durch sic nicht weiter gestört und abgezogen 
zu werden. 
„Vermuthlich sind auch die Eintrittskarten
	        
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