Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

ļ» Kŗscheint tägstch. 
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Wo. 217. 
Dienstag, den 17. September 
1895. 
Morgen-Depeschen 
Berlin, 17. Sept. Der .„Post" zu- 
folge wird die Blättermeldung, im nächsten 
Jahre würde ein gemeinsames Manöver 
zwischen österreichischen und deutschen 
Truppen veranstaltet, in eingeweihten 
Kreisen als -erfunden bezeichnet. 
Hamburg, 17. Sept. Der „Reichsanz." 
veröffentlicht die Verleihung des Rothen 
Adler-Ordens IV. Klasse an den Director 
der Harà Amerikan. Dacketfahrt-Aktien- 
Gesellschaft, Guido Wolfs. 
Leipzig, 17. Sept. In der letzten 
Nacht gegen 11 Uhr ist ein mit 12 Per 
sonen besetzter Kremser am Bahnübergang 
bei der chemischen Fabrik unweit Eutritzsch 
von einem von Koestritz'kommenden Güter- 
zuge -überfahren worden. Der Kaufmann 
Platz aus Leipzig-Gohlis wurde getödtet, 
5 andere Personen mehr oder minder 
schwer verletzt. Der Kremser wurde.zer 
trümmert. Kutscher And Pferde blieben 
unverletzt. 
Klagenfurt, 17. êept. Die Stadt 
Friesach steht in Mammen. Der Brand 
soll von vier Seiten zugleich begonnen 
haben. 
Homburg v. d. H., 17. Septbr. Der 
Großherzog von Mecklenburg . Schwerin 
tritt heute mit seiner Gemahlin die Reise 
in ein südliches Klima an. Das Groß- 
herzogliche Paar begiebt sich zunächst nach 
Genf. 
Frankfurt a. M., 17. Sept. Tie „Frkf. 
Ztg." meldet aus Aachen: Gestern Nach, 
mittag seuerte ein junger Mann drei 
Schüsse auf seine Geliebte ab, verletzte 
dieselbe schwer und -erschoß sich dann selbst. 
— Dasselbe Blatt bringt aus Neustadt 
a. d. Haardt die Mittheilung, daß wegen 
einiger daselbst vorgekommener Typhus- 
fälle das Militär vorsichtshalber aus 
quartiert worden ist. 
Sch, 17. Sept. Nach dem „Lorrain" 
wurden in den hiesigen Weinbergen 
zwanzig Reblaus-Herde entdeckt. 
Paris, 16. Sept. Nach hier einge 
troffenen Nachrichten soll der Zustand des 
Königs von D.änemark sehr be-' 
deutlich sein. W 
London, 16. Sept. Gestern Morgen 
brach an Bord der „Jona" auf der Fahrt 
von Edinburg nach London Feuer aus. 
Der Steward und sechs Passagiere der 
zweiten Cajüte, Frauen und Kinder, sind 
in den Flammen umgekommen. 
Rom, 17. Sepl. In Ostia, brach in 
dem nahe gelegenen Wäldchen Feuer ans, 
das ans den königlichen Park Castel 
Porziano übersprang. Der Minister des 
königlichen Hauses schickte Personal und 
Waldhüter auf die Brandstätte. Die 
Feuerwehrleute -sind bemüht, die Bäume 
niederzuhauen And einen Graben zu ziehen, 
um den Brand zu isoliren. 
Budapest, 17. Sept. Der Millionär 
Goldstern, der erst kürzlich aus Amerika 
in Satoralja-Ujhely eingetroffen war, beab 
sichtigte sich mit der Adoptivtochter des 
Daniel Lbppomann, einem sehr schönen 
Mädchen, zu verheirathen. Die Adoptiv- 
eltern waren jedoch gegen diese Verbindung; 
aus diesem Grunde kam es zwischen Gold- 
stein und Frau Lippomann zu einen, hef 
tigen Wortwechsel, in dessen Verlaufe Gold- 
stein die Letztere erschoß und dann Selbst, 
word beging. 
Brüssel, 17. Sept. Aus Hal (Brabant) 
wird gemeldet: Der Luftschiffer Toulet 
unternahm mit zwei anderen Personen 
einen Ausstieg. In der Luft verbrannte 
oder zerriß der Ballon; die Insassen 
stürzten herab und wurden vollständig 
zerschmettert. 
Tanger, 16. Sept. Hier sind gestern 
21 Todesfälle an Cholera vorgekommen. 
Havanna, 17. Sept. Die Spanier nahmen 
ein Fahrzeug weg, das von dem amerika 
nischen Kriegsschiffe „Mahcotto" verladene 
Munition zu den Aufständischen bringen 
wollte. Die Spanier schlugen 400 Auf. 
ständische, die von Sanchez befehligt waren, 
und fügten ihnen zahlreiche Verluste an 
Todten und Verwundeten zu. 
Aas Verrinsrecht. 
Das Vereinsrecht gehört zu demjenigen 
.Theile des öffentlichen Rechts, mit welchem 
-der Staatsbürger am meisten in Berührung 
kommt. Es ist kein Dörflein so klein, 
daß es nicht seinen Verein hätte, und selbst 
die loyalsten Unterthanen, ja, in unserer 
streberreichen Zeit diese am meisten, glau- 
ben ohne Versammlung und Verein nicht 
mehr auskommen zu können. Es wäre 
schön, wenn im Deutschen Reiche das Ver- 
einsgesetz früher eine einheitliche Regelung 
erfahren hätte; aber kaum auf irgend 
einem Gebiete des Rechtswesens besteht 
eine solche Buntscheckigkeit, wie im Ver- 
binsrechte der deutschen Staaten. Eines 
der mangelhaftesten Gesetze besitzt Preußen; 
und da man befürchten muß, daß bei einer 
Neuordnung die Ansichten der preußischen 
Regierung über Bereinsrecht und Vereins- 
wesen im Vordergründe stehen werden, 
kann man ruhigen Gewissens gar nicht 
einmal wünschen, -aß gegenwärtig an 
die Revision des Vereinsrechtes gegangen 
werde. Das Resultat nach Ausnahme 
gesetzen, welches sich neuerdings erhoben 
hat, läßt uns vermuthen, daß ein Vcreins- 
gesetz, welches heute von der Regierung 
vorgelegt würde, wenig von den Forderun 
gen enthielte, die man im Interesse der 
freiheitlichen --Entwickelung stellen muß. Ist 
doch das Preußische Vereinsrecht einigen 
Staatsrcttern noch nicht reaktionär genug. 
Die Reichskommission, welche das bür- 
gerliche -Gesetzbuch für Deutschland 
kürzlich in zweiter Lesung festgestellt hat, 
ist an dor Materie des Vereinsrechts nicht 
schweigend vorüber gegangen. Die Kom 
mission hat das System der Normativ 
Bestimmungen angenommen. Danach kann 
ein Verein, gleich den Genossenschaften 
und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 
Rechtspersönlichkeit dadurch erwerben, daß 
er in ein gerichtliches Register eingetragen 
wird. Dies gilt für alle Vereine zu „ge 
meinnützigen, wohlthätigen, geselligen, künst 
lerischen oder anderen, nicht auf einen 
wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten 
Zwecken". Die Verwaltungsbehörden dürfen 
aber gegen die Eintragung Einspruch er 
heben, -wenn der Verein nach dem öffent 
lichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder ver 
boten werden kann, oder wenn er einen 
politischen, sozialpolitischen oder religiösen 
Zweck verfolgt. 
Mit diesem Gesetzesvorschlage hat sich 
der Demtsche Juristentag, der soeben 
in Bremen versammelt war, beschäftigt. 
Er hat nack längeren Auseinandersetzungen 
den von Professor Enneccerus formulir- 
ten Antrag angenommen, welcher lautet: 
1) Die Bestimmungen des bürgerlichen 
Gesetzbuches.sind im Wesentlichen zu billigen 
und namentlich ist die Wahl des Systems 
der Normativbeftimmungen mit Register 
zwang anzuerkennen. 2) Das Einspruchs- 
recht gegen die Eintragung politischer, 
sozialpolischer und religiöser Vereine, so 
wie die behördliche Auflösung der Vereine 
bedürfen .einer Veränderung oder Klar 
stellung, .indem den Vereinen gegen einen 
ungerechtfertigten Einspruch oder Auf- 
lösung ein wirksamer Schutz zu gewähren ist. 
Als scharfer Gegner der Vorschriften 
des bürgerlichen Gesetzbuches trat Pro 
fessor Gierte auf. Er wies darauf hin, 
daß das Gesetz der behördlichen Willkür 
Thor und Thür öffne, daß die Bestimmung, 
47) 
3» Bau« ditr êchà 
Roman ton Gustav Höcker. 
XXXVII. 
3)ic Sonne tauchte hinter den leuchtenden 
Kuppeln und Spitzen des Kasinos von 
Dionte Carlo unter; die winzige Halbinsel 
lag wie schlafend am Busen des Meeres, 
welches fern im Süden mit -dem Himmelsblau 
zusammenschmolz. Im Osten breitete sich 
cm röthlich flammender Schimmer über Land 
und Wasser aus, den Hügelzug in rosafarbene 
Schleier hüllend. Ein paar näher liegende 
Anhöhen bildeten den dunkleren Hintergrund 
für freundliche Billen und Gärten, welche in 
tropischer Pracht prangten. Weit hinten im 
-Norden schloffen die blendenden Schneegipsel 
der Seealpen das Landschaftsbild ab. 
Zwei Spaziergänger betrachteten das groß- 
antge stmnme Schauspiel. Diese beiden 
waren Mmttand und der Baron von Sturen. 
Sie halten nur wenige Wochen in Neapel 
und Ron, verweelt und Maitland hatte seinen 
Freund überredet, einen längeren Aufenthalt 
m Monte Carlo zu nehmen, welches jetzt — 
im Januar auf dem Höhepunkt der 
Saison stand. 
Während Wolfgang umherblickte, von 
Dankbarkeit gegen das Wesen bewegt, das 
die Erde in solche Herrlichkeit gekleidet hakte, 
stand Maitland in finsterem Sinnen. 
„Wohin soll der Mensch fliehen vor 
Gott," rief er im herben Tone, „vor ihm, 
der die armseligen, aus seiner Hand hervor 
gegangenen Erdcnwürmcr in ein Meer von 
Elend, Zwietracht und gegenseitiger Ver 
nichtung geworfen hat! Geht er in die 
Städte, so folgt ihm die langsam zehrende 
wonach wirthschaftliche Vereine von der 
Eintragung ausgeschlossen seien, sich gegen 
die Fachorganisationen der Arbeiter richte, 
daß solche Gesetze, die sich als Ausnahme 
gesetze erwiesen, die soziale Kluft zwischen 
den verschiedenen Klaffen der Bevölkerung 
nur noch erweitern u. s. w. Uns scheinen 
diese Einwände durchaus begründet zu 
sein. Selbst Enneccerus gab zu, daß der 
Vorschlag des bürgerlichen Gesetzbuches für 
einige Staaten, z. B. Bayern, einen Rück 
schritt bedeute. Gierte hatte folgende Re 
solution beantragt: „Die Grundsätze des 
Entwurfs über eingetragene Vereine sind 
insofern annehmbar, als sie durch die 
Sonderbestimmungen über Vereine für 
wirthschaftliche und für politische Zwecke 
dem Vereinsleben den Rechtsschutz entziehen. 
Will der Entwurf die Anerkennung der 
Rechtspersönlichkeit eines Vereins von der 
Eintragung in ein Vereinsregister ab 
hängig machen, so muß er sich auf die 
Aufstellung formeller Erfordernisse 
der Eintragung beschränken und jedem 
Vereine, dessen Bestand vom öffentlichen 
Recht anerkannt wird, den Erwerb der 
Privatrechtsfähigkeit ermöglichen." Das 
ist unseres Erachtens der richtige Stand 
Punkt. 
Der Juristentsg war aber, wie bemerkt, 
anderer Ansicht. Wir wollen den rechts 
gelehrten Herren nicht zu nahe treten, 
allein die Gründe, mit welchen einige 
Redner den Gicrke'schen Pessimismus (be 
treffend die behördliche Willkür) zu wider 
legen suchten, waren wirklich etwas naiv. 
Der Geh. Justizrath Lesse (Berlin) meinte, 
man dürfe unserem Richterstande nicht 
falsche Entscheidungen zutrauen, und Justiz- 
rath Wilke (Berlin) war ebenfalls der 
frohen Hoffnung, daß die Rechtssprechung 
Mißbräuche bei der Entscheidung von Ein- 
tragungen zweifellos werde zu verhüten 
wissen. Der letztgenannte Herr hielt 
Gierke's Antrag auch um deswillen für 
unannehmbar, weil der Stettiner Juristen 
tag vom Jahre 1888 das Gegentheil be 
schlossen habe. Das ist nun gerade für 
uns Andere kein Argument. 
Professor Leonhard, der sonst in 
vielen Beziehungen die A »ffassung Gierke's 
theilte, glaubte doch schließlich den ab 
lehnenden Standpunkt aufgeben zu müssen. 
In Bezug auş die weitgehenden Befugnisse, 
die den Behörden eingeräumt werden 
sollen, bemerkte er: die gegenwärtige par 
teipolitische Konstellation sei eine solche, 
daß gewisse Cautelen nothwendig seien. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Aus Bombay wird dem Bureau Reuter 
unterm 12. d. Mts. gemeldet: Die Er 
eignisse auf der Insel Bahrein im 
Persischen Golf treiben einer Krisis zu. 
Der arabische Gouverneur von ElHaß — 
dieses liegt gegenüber der Insel auf dem 
Festlande — hat schon angekündigt, daß 
er die unter britischem Schutz stehende 
Insel am 5. Oktober angreifen wird. Die 
britischen Kriegsschiffe „Pigeon" und 
„Sphinx" ankern bei Bahrein. Wahr 
scheinlich wird es zum Kampfe kommen. 
Nach Meldungen aus Grosny im Terek- 
gebiet hat sich daselbst eine neue Naphtha- 
fontaine, 70 Faden hoch schlagend, ge- 
öffnet. Sie soll täglich 800 000 Pud 
Naphtha liefern. 
Italien. 
Rom, 16. Sept. Der Papst hat be 
schlossen, daß für die Dauer der Festlich 
keiten des 25jährigen Gedenktages 
der Vatikan wie immer geöffnet bleiben 
soll, d. h. daß dem Publikum der Zutritt 
zu den Museen frei bleibt. Diese Maß 
regel ist der italienischen Regierung un 
lieb, da sie eine spezielle Ueberwachung 
veranstalten muß. Der 20. September, 
ein Freitag, ist der Empfangstag der Mit 
glieder des diplomatischen Corps beim 
Kardinal Rampolla. Dieser Empfang wird 
ebenfalls stattfinden. Der Kardinal-Vikar 
hat ein Rundschreiben an die Katholiken 
gerichtet, worin sie zum Beten und Fasten 
an diesem Tage aufgefordert werden. 
Spanien. 
Madrid, 16. Sept. Eine amtliche 
Depesche ans Manila meldet: Eine aus 
Eingeborenen bestehende Truppen 
abtheilung auf den Sulu-Inseln hat 
sich empört und ihre Besetz lshaber ge- 
tobtet. General Blanco begiebt sich an 
Ort und Stelle. 
Griechenland. 
Athen, 16. Sept. Nach einer Meldung 
aus Salonichi brach neuerdings eine 
bulgarische Bande in der Nähe von 
Nevrokop nach Macedonien ein. Sie 
wurde von den Türken angegriffen, die 
einen Lieutenant, einen Trompeter und 
fünf Soldaten gefangen nahmen. Die 
Gefangenen gehören, wie vermuthet wird, 
dem bulgarischen Heere an. Der Rest der 
Bande zog sich sodann nach Bulgarien 
zurück. 
Krankheit, die treulose Geliebte, betrogene 
.Hoffnungen, das Elend der Armuth. Sucht 
fr Zuflucht in der Einsamkeit der Gebirge, 
Felsblock oder die donnernde Lawine und er 
wird zertreten, wie er selbst den Wurm zer 
tritt. Wozu schuf Gott den Menschen, als 
um ihn zu verfluchen?" 
Maitland's Auge leuchtete grimmig und 
ans seinem Antlitz lag ein dämonischer Aus 
druck, vor welchem Wolfgang erschrak. Als 
er so da stand und seine schönen Glieder 
anspannte, indem er sich stets am äußersten 
Rande eines jähen Absturzes im Gleichge 
wicht hielt, glich er einem der gefallenen 
Geister, die auf die Erde herabgekommen, 
um mit dm Sterblichen gefährliche Gemein 
ich aft zu hàn. 
„Es ist dies nicht das erste Mal, daß ich 
fete so sprechen höre," sagte Wolfgang, „aber 
fragen möchte ich doch endlich einmal, welche 
Urjache gerade Sic, Maitland, zu so finsteren 
Gedanken haben sollten. Sie gehören zu 
jenen Bevorzugten, welche ein gütiges Geschick 
mit leetchrhümern gesegnet hat; Sic besitzen 
hohe Geistesgaben und vereinigen damit jene 
blendende Persönlichkeit, welche überast ihres 
Sieges gewiß ist. Ich wüßte nicht, was Sie 
sich noch wünschen kömtten, wenn nicht etwa 
ein geheimes Leiden Sie drückt, welches Sic 
bisher vor mir verborgen haben." 
Maitland blickte seinem Begleiter drohend 
an, als ob er sich persönlich beleidigt gefühlt 
hätte, doch verschwand dieser finstere Schatten 
rasch wieder voii seinen Zügen. 
„Mein geheimes Leiden, Baron," ant 
wortete er nach einer Pause, ist der Fluch, 
der auf meiner Geburt lastet und den alte 
Reichthümer der Erde nicht von mix nehmen 
können. Wissen Sie, wer der stolze, mit 
Reichthum gesegnete, mit Vorzügen des 
Geistes und des Körpers ausgestattete Mann 
ist, der vor Ihnen steht? Ich will es Ihnen 
sagen: er ist ein elender Bastard!" 
Wieder erschienen.jene unheimlich dämoni 
schen Schatte» auf seinem Antlitz, während 
er die Fäuste vor sich hin ballte; wieder 
wich dieser Ausdruck wilder, seelischer Be 
wegung rasch zurück, wie von einem eisernen 
Willen gebannt. 
„Meine Mutter war ein gebildetes, ehr 
bares Mädchen aus guter bürgerlicher Fa 
milie," fuhr er in ruhigem, aber bitteren 
Tone fort. ' „Ihre außergewöhnliche Schön 
heit reizte die Sinncnlnst -eines hochadetigen 
Kavaliers, der ihr die Ehe versprach und sie 
verführte. Die Frucht dieses Verhältnisses 
bin ich. — Mein Vater opferte die Ge 
liebte dem Standesvorurtheste und führte 
eine Dame aus altadeligcm Geschlecht zum 
Traualtäre. Während der Sohn, der aus 
dieser Ehe hervorging, standesgemäß erzogen 
wurde, nnd den stolzen Titel semes Vaters 
erbte, war ich die Schande meiner Mutter 
und das Berhängniß ihrer Zukunft. Als 
te einst in einer Zeitung las, daß ein reiches 
'inderloscs Ehepaar einen Knaben an Kindes- 
'tatt zu adoptircn wünschte, trug sie mich 
hin. Ich bin meiner Mutter nie mehr im 
Leben begegnet. Ich grolle ihr nicht, daß 
ie die Bürde von sich abschüttelte, denn sie 
niußte, um nicht unterzugehen, mit der her 
gebrachten Sitte der Gesellschaft rechnen. 
Wer meine Eltern waren, erfuhr ich mit 
allen Einzelheiten spater durch meine Pflege- 
eltern, welche mir in Ermangelung anderer 
Erben ihr sehr bedeutendes Vermögen hinter 
ließen. Schon in meinen Jünglingsjahren 
faßte ich einen Haß gegen den wortbrüchigen 
Mann, der das Leben meiner Mutter ver 
giftet hat, einen noch glühenderen Haß aber 
gegen meinen Halbbruder, der mir alle die 
Rechte gestohlen hat, auf welche ich nach 
natürlichem Gesetze gerechten Anspruch be 
säße; er ist eine lebendige Beleidigung meines 
Ehrgeizes und meines Stolzes. Vereinigten 
sich nicht alle Eigenschaften in mir, die mich 
befähigen, um in jener Elite, der sich die 
Thüren der Könige und Fürsten öffnen/ eine 
glänzende Rolle zu spielen, so ließe ich mir 
vielleicht an Geld und Gut genügen. Aber 
gerade alle jene Vorzüge, die ich besitze, er 
scheinen mir als ein Hohn auf meine Ge 
burt, und nun frage ich Sic, was mir das 
Leben bieten, was es mir sein kann! Nur 
eine Aufgabe wüßte ich mir noch zu stellen, 
welche mir das Leben wcrthvoll machen 
könnte." 
„Welche?" fragte Wolfgang. 
„Die Aufgabe, meine Mutter und mich 
fli rächen, den meiner Rache durch den Tod 
entrückten Vater in seinem legitimen Sohn 
zu strafen und diesen tief hinabzudrücken, 
tief, tief unter mir hinab in den Sumpf 
gänzlicher Verkommenheit, wo ihm Titel 
und Würde nur noch wie eine beißende 
Ironie erscheinen sollen!" 
Maitland schien sich in eine solche Er 
bitterung hineingeredet zu haben, daß Wolf 
gang vor dem Blicke tödtlichen Hasses, 
dcni er in Maitland's Auge begegnete, un 
willkürlich zurückbebte. Er gab daher'jeden 
Versuch auf, ihn mit seinem Schicksale zu 
versöhnen, und wagte auch nicht, ihn ans 
den Widerspruch aufmerksam zu machen, 
in welchen Maitland mit sich selbst geriet!;, 
indem er den Verführer seiner Mutter- 
wegen eines Vergehens verurtheilte, aus wel- 
cheni Maitland selbst sich kein Gewissen ge 
macht haben würde. 
Wolfgang begnügte sich zu fragen, ob 
Maitland seinem Halbbruder im Leben schon 
begegnet sei. 
„Wir kennen einander," gab Maitland 
finster zur Antwort. 
„Und Ihre Mutter? Haben Sie nichts 
über deren späteres Schicksal erfahren?" 
„Sic starb in ihrem dreißigsten Lebens 
jahre als die Gattin eines Mannes, der ihr 
Vater hätte sein können. Ich war bei ihrem 
Tode zwischen zehn und etf Jahre alt. Doch 
genug hiervon. Kommen Sie mit mir ins 
Casino, damit die Roulette mich auf andere 
Gedanken bringt. . 
Beide . begaben sich auf den Weg nach 
dcni Casino, ohne mehr als dann und wann 
ein paar gleichgiltige Worte auszutauschen. 
Das Casino stand auf einem großen 
Platze, in dessen Mitte sich eine Fontaine 
mit weitem Bassin erhob. Spaziergänger 
mit vergnügten oder verstimmten, stets aber 
aufgeregten Brienen wandelten dort umher. 
In der von Säulen getragenen Vorhalle 
empfingen Diener, alle Räthe mit Gold 
borten bedeckt, die ankommenden Gäste. 
Zmir ersten Mal betrat Wolfgang die 
Jnncnräume, mit denen Maitland aus 
früheren Jahren sehr wohlbekannt war. In 
den drei großen, der Roulette und dem 
Trente-et-quarante gewidmeten, tagcshell er 
leuchteten Spielsülen gruppirte sich um sieben 
Tische in buntem Gedränge eine sehr ge 
mischte Gesellschaft, zu welcher Paris in 
reigebigstcr Weise seine Demi-monde bei 
gesteuert hatte. Eine fast andächtige Stille 
hcrrschte unter der dichten Menschenfülle
	        
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