Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Wo. 215. 
MorgenDepeschen 
Tilsit, 14. Sept. In tier Brennerei 
des Gutes Sakolanny samd eine Kessel- 
explosion statt, wobei ein Heizer und ein 
Gutsknecht gelobtet wurden. Die Ehefrau 
des Heizers, die ihrem Manne das Früh 
stück gebracht hatte und sich aus dem 
Heimwege unweit des Kesselhauses befand, 
wurde durch umherfliegende Eisentheile 
schwer verletzt. 
Wien, 14. Sept. Die „Arbeiterzeitung" 
läßt sich aus Warschau telegraphiren, -daß 
der Bezirkskommissar Dobrowolski in 
Cholerzyn sechs Bauern und den ge 
wählten Wahlmann Äipiarz in Ketten 
legen und einkerkern ließ, weil der 
Bezirkskommissar mit dem Wahlresultat 
unzufrieden gewesen sei. 
Triest, 14. Sept. Die österreichische 
Regierung soll ein Verbot erlassen haben, 
wonach am 26. September nach Italien 
keine Vergnügungs > Extrazüge abgelassen 
werden dürfen. 
Mailand, 14. Sept. Die Geistlichen 
der Mailänder Diözese wurden vom 
Kardinal-Erzbischof aufgefordert, in den 
Tagen vom 20. bis 22. September in 
sämmtlichen Kirchen Bußgottesdienste und 
Gebete für die Befreiung des Papstes und 
für die Wiederherstellung der weltlichenMacht 
desselben zu veranstalten. 
Belgrad, 14. Sept. Der russische Staats 
rath Myschkiewicz befindet sich gegenwärtig 
auf einer Reise durch Macedonien und 
zwar, um daselbst zu agitircn. .In Saloniki 
und Athos sollen Agenturen errichtet wer 
den, ^ welche ihre Berichte vem Haupt- 
Comitee in Odessa einzusenden haben. 
Belgrad, 14. Sept. Unweit Czarzak 
land ein blutiger Zusammenstoß zwischen 
Haiduken und Gendarmen statt, wobei ein 
Haiduk .gelobtet wurde. Zwei ehenialige 
radikale Vorsteher der Dorfgemeinde, welche 
an der Seite der Haiduken kämpften, sind 
zu Gefangenen gemacht worden. 
Sofia, 14. Sept. Das Organ Stados- 
lawows „Narodni Prawa" ist in Anklage- 
zustand versetzt worden, und zwar wegen 
Beleidigung des Fürsten Ferdinand. Das 
Vorgehen wurde in einem Artikel gefunden, 
in welchem dem Fürsten der Rath ertheilt 
wurde, Bulgarien zu verlassen, wenn er 
nicht, ebenso .wie Stambulow, gelobtet 
werden wolle. 
_ Petersburg, 14. Sept. Zwischen den 
Stationen Chuckavka und -Nikolskaja der 
Rioja-Oreler-Bahn ist ein.Arbeiterzug mit 
einem Güterzug zusammengestoßen. 19 
Sonncrbenö, öen 14. September 
Magen des ersteren, acht des anderen 
Zuges sind total zertrümmert. Der Ober 
schaffner des Güterzuges und 25 Arbeiter 
wurden gelobtet. Als Ursache der 
Katastrophe gilt, daß ein Assistent den 
Güterzug von der Station abgelassen 
hatte, bevor der Arbeiterzug eingelaufen 
war. 
Kopenhagen, 14. Sept. Der König ist 
neuerdings wieder erkrankt. Wenn auch 
sein Zustand zu Besorgnissen keinen An 
laß giebt, so ist derselbe doch wenig be 
friedigend. 
Algier, 14. Sept. Gestern Abend ist 
der Dampfer „Shannock" aus Majunga 
mit 48 in der Genesung befindlichen Ossi- 
zieren. 533 Soldaten und 63 Kranken in 
den hiesigen Hafen eingelaufen. Auf der 
Fahrt hierher sind 19 Soldaten oe 
storben. 
MMarrd. 
Außereuropäische Gebiete. 
New-York, 12. Sept. Die New-York- 
Central-Eisenbahn will jetzt einen Eil 
zug von New-Yorknach Buffalo 
fahren lassen, welcher die 396 engl. Meilen 
lange Strecke in 6 Stunden zurücklegen 
soll. ^ Es ist der Ehrgeiz der Bahn, die 
kürzlich in England auf der Strecke von 
London nach Aberdeen erzielte Geschwindig 
kert noch zu übertreffen. 
Türkei. 
Im Reiche des türkischen Sul 
tans scheint das au sich schon arge 
Tohuwabohu immer mehr um sich zu 
greifen. Ueberall kriselt und gährt es, 
und zu den bereits vorhandenen Ver 
wirrungen treten stets neue hinzu. Dem 
Sultan gehen die armenischen und mace- 
dänischen Verwicklungen schon schwer genug 
an die Nieren. Jetzt machen auch noch 
die faulen Zustände auf Kreta ihm zu 
schaffen. Der politisch-soziale Vulkan ist 
dort wieder einmal reichlich geladen und 
droht nun seine Spannungen aufzulösen. 
Schon ist es zu Christemuorden gekommen. 
Wird nicht sofort für Ordnung und Sicher 
heit auf der Insel gesorgt, so steht ein 
allgemeiner Aufstand der Christen daselbst 
zu befürchten, und die Interventionen der 
Mächte, deren Druck der Sultan jüngst 
in der noch nicht geregelten armenischen 
Frage sattsam zu fühlen bekam, dürften 
dann von Neuem den türkischen Groß 
herrn am Leibe zwicken. Ueber die Krisis 
aus Kreta wird der „Neuen Freien Presse" 
berichtet, daß der Ausbruch eines 
Aufstandes -auf der Insel in Folge 
mangelhafter Sicherheit und 
schlechter Verwaltung zu befürchten 
sei. Der christliche General - Gouverneur 
Karatheodo Pascha habe nicht die nöthigen 
Geldmittel zu einer geordneten Verwaltung. 
Polizei, Gendarmerie, Beamte versagen 
den Dienst, . da sie seit zehn bis zwölf 
Monaten kein Gehalt bekommen haben. 
Der Haß zwischen Christenheit und Moha- 
medanevn steigert sich täglich, zahlreiche 
Mordthaten kommen vor. An dem Tage 
des Thronbesteigungs-Festes des Sultans, 
dem 31. August, wurde die Bevölkerung 
Kaneas durch die Kunde erschreckt, daß 
vor den Stadtthoren ein junger Ssakist 
von Türken ermordet worden sei. An 
demselben Tage wurden in Kandia und 
Rettimo Christen ermordet. Die 
christliche Bevölkerung Kaneas richtete eine 
Petition an den Sultan, worin um Ber 
beffermig der Polizei und Verwaltung ge 
beten wird. 
Italien. 
In Turin verheiratheten sich zwei origi 
nelle Paare: Die Zwillingsbrüder 
Hugo und Guido Palazzi aus Florenz 
heiratheten die Zwillingsschwestern 
Eufrasig und Virginia Thevenet aus Turin. 
Die beiden Brüder sehen sich zum Ver 
wechseln ähnlich, ebenso die beiden 
Schwestern. 
OeUerreich-Ungarn. 
Graz, 12. Sept. Am Bahnhof in Cilli 
trug sich heute eine aufregende Scene zu. 
Die Käfige der Menagerie Klondski waren 
eben ausgeladen, als oer Arbeiter Fließ 
aus Neugierde nahe an den Behälter des 
Tigers herantrat. Plötzlich fuhr das 
riesige Raubthier mit beiden Tatzen durch 
das Gitter, packte mit den Krallen den 
Fließ an beiden Wangen und riß ihn 
an sich. Schnell herbeilaufende Arbeiter 
erfaßten die Tatzen und befreiten den ohn 
mächtigen Fließ, der ein Ohr einbüßte 
und gräßliche Verwundungen im Gesicht 
erlitt. 
Prag, 13. Sept. Der Stadtrath hat 
seinen kürzlich gefaßten Beschluß, die czechi- 
scheu-Eltern aufzufordern, ihre Kinder 
nur in ozechische Schulen zu schicken, 
an den Straßenecken anschlagen lassen. 
Die Polizei entfernte jedoch diese Placate, 
weßhalb es in der letzten Stadtrathssitzung 
zu lärmenden Scenen kam. Die Juiig- 
czecheu griffen die Regierung und die Poli 
zei in höchst .unqualificirbarer Weise an. 
Wien, 13. Sept. Kaiser Franz 
Josef ist heute lp/st Uhr mittels Sonder 
zuges wieder hier eingetroffen. 
Schweden. 
Stockholm, 13. Sept. Eine furchtbare 
Grubenexplosion, bei der 700 Kilo 
gramm Dynamit in die Luft gingen, ver 
wandelte, so meldetder ,,.L-A". einen Schacht 
der großen Kupfergruben in Sulitelma 
an der schwedisch-norwegischen Grenze in 
einen Schutthaufen und tödtete zwei Berg 
leute, während 25 andere nur wie durch 
ein Wunder dem sicheren Tode entrannen. 
Der Schacht, der außer Betrieb gesetzt 
worden war, diente als Dynamitkeller, in 
dem auch gleichzeitig ein großer Behälter 
mit Leuchtgas stand. Ein Steiger war so 
unvorsichtig, diesen Raum mit einem offenen 
Licht zu betreten, wodurch sich das Gas 
entzündete und der 'Behälter explodirte. 
Dies verursachte gleichzeitig eine Explosion 
des gesammten kolossalen Dhnamitvorraths, 
die eine gewaltige Verheerung anrichtete. 
Die Eisenbahnschienen wurden wie Stroh 
halme geknickt; von den Drähten der elek 
trischen Beleuchtung sah man keine Spur 
mehr, und gewaltige, von den Wänden 
gerissene Blöcke füllten den Schacht, der 
jetzt in einen ungeheueren Steinhaufen 
umgewandelt ist. Daß nur zwei Bergleute 
umkamen, ist dem Umstande zuzuschreiben, 
daß es einem jungen Arbeiter unter Ein 
setzung seines Lebens gelang, die anderen 
in der Nähe Beschäftigten im letzten Augen 
blick zu warnen. 
Norwegen. 
Christiania, 13. Sept. Das sogenannte 
„Regulirungscomitee der Marine" 
in Norwegen hat vor einigen Tagen be 
schlossen, bei ausländischen Werften zwei 
neue Panzerschiffe und drei Torpedoboote 
erster Klaffe zu bestellen; für die beiden 
Panzerschiffe find acht Millionen Kronen, 
für die drei Torpedoboote ungefähr 
850000 Kronen veranschlagt worden. Wie 
verlautet, soll an diese Bestellung die Be- 
dingung geknüpft werden, daß sämmtliche 
Fahrzeuge bereits nächsten Sommer ab 
geliefert werden müssen. Gleichzeitig ist 
von dem genannten Comitee für die Neu- 
bestückung von vier Monitoren älteren 
Typs der Betrag von 426000 Kronen in 
Aussicht genommen worden. Schließlich 
mag erwähnt werden, daß, noch bevor das 
norwegische Storthing in seiner letzten 
Sitzung 140000 Kronen für die 
Entwickelung der freiwilligen Schützen- 
1895. 
brigaden angewiesen hatte, durch private 
Sammlungen rund 40000 Kronen zur 
Beschaffung von scharfer Munition der 
Oberleitung der Schützenvereine zur Ver 
fügung gestellt wurden. 
England. 
London, 13. Sept. Die bereits gemel 
dete Ernennung des bisherigen englischen 
Botschafters in Petersburg Sir Frank 
C. Lascelles zum englischen Botschafter 
in Berlin ist amtlich bekannt gegeben. 
Der bisherige englische Gesandte in Peking 
O'Co nor geht als Botschafter nach 
Petersburg. 
Frankreich. 
In Marseille ist das Transport 
schiff „Comorin", welches am 20. d. 
M. nach Tonkin abgehen sollte, in Brand 
gerathen. Das Feuer brach in der Leichen 
kammer aus und verbreitete sich derartig 
schnell, daß die Besatzung keine Zeit hatte, 
ihre Habseligkeiten zu retten. 2 Officiere 
und 16 Matrosen waren an Bord; sie retteten 
sich durch einen Sprung von der Ver> 
schanzung. Der Commandant Perinon, 
der schnell hinzugeeilt war, verließ das 
Schiff erst in der höchsten Gefahr. Ein 
Theil der Ladung konnte gerettet werden. 
Trotz der Anstrengung der Feuerwehrleute 
erfaßten die Flammen bald das ganze 
Schiff. Die Feuerwehr mußte sich darauf 
beschränken, die Nachbarschiffe zu schützen, 
welche alsbald in die offene See gingen. 
Die Funken wurden durch den starken 
Nordwest-Wind weit fortgetragen und ver 
breiteten das Feuer auf verschiedene 
Punkte des Quai und auf ein in der Ab 
takelung begriffenes Panzerschiff; die Be 
satzung des „Cheribon" löschte jedoch 
schnell dieses Feuer. Die in Marseille am 
Bord des „Comorin" genommene Ladung 
bestand nur aus 200 Ballen Heu und 
1000 Tonnen Kohle. 
" Sät hm alter êchà 
Roman von Gustav Höcker. 
XXXVI. 
Der Winter hatte über das bunte Farben 
spiel des Herbstes eure dicke, glänzende weiße 
Decke gebreitet. Auf der alten Mauer des 
Kirchhofs, welcher zwischen dem BiUenhofe 
und dem Dorfe lag, hatte sich der Schnee 
zu einem glitzernden Gebirge aufgehäuft; er 
wölbte sich zu hohen flaumigen Hügeln über 
den stillen Gräbern und hatte sich aist 
Kreuzen und Denksteinen in dicken Klumpen 
festgesetzt, die ihnen das Ansehen unheim 
licher Gebilde gaben. 
Von den weißen Gräberreihe» hob sich 
eine Gruppe dunkler Menschengestalten ab 
welche den Kirchhof eben verließen. Unter 
ihnen befand sich in voller Amtstracht der 
Pfarrer, welcher sich eben von einer jungen 
Dame verabschiedete. Ein enganliegender 
Pelzmantel verrieth die feinen Linien ihres 
schlanken Wuchses, ein Pelzbarett bedeckte 
das von goldblondem Haar umgebene Haupt, 
durch den silbergrauen Schleier schimmerte 
in sanftem Glanze ein blaues Augenpaar. 
Bon der Dame wandte sich der Pfarrer 
an einen neben ihr stehenden Mann, dessen 
Riesengestalt in dem abgerragenen Paletot und 
dem schäbigen Cylinderhute von der elegan 
ten und zarten Erscheinung seiner Begleiterin 
seltsam abstach. Der geistliche Herr reichte 
ihm die Hand, sprach noch ein paar herz 
liche Trostworte zu ihm und ließ dann 
Beide auf dem Kirchhofe zurück. 
Die junge Dame war die neue Herrin des 
„Billenhofs", Melanie Rettberg, ihr Begleiter 
war Rölling, dessen Mutter man soeben be 
graben hatte. Der Baron v. Sturen hatte, 
ehe u beit Billcnhof verließ, die Bewohnerin 
des„Birkenhäuschens" dem Schutze und der Für 
sorge Melanies empfohlen und diese nahn, sich 
der alten ,Frau liebevoll an. Nach längerem 
Krankenlager war die alte Frau unter Me 
lanie's pflegender Hand verschieden. Auf die 
Todesnachricht war der Sohn gerade noch 
rechtzeitig angelangt, um dem Be'gräbniß bei 
wohnen zu länncg, und erst am kaum ge 
schlossenen Grabe chatte-er Gelegenheit gefunden, 
der jungen Herrin des „Villenhofs" für Alles, 
was sie an seiner Mutter gethan, zu danken. 
Eben war er im Begriff gewesen, sie zu 
dem zweispünnigen ConpS zu begleiten, wel 
ches vor der Kirchhofspforte.hielt, als sie 
den Wunsch äußerte, ein paar Worte mit 
dem Todtengräber zu sprechen. Rölling holte 
ihn herbei, und Melanie trug ihm auf, Frau 
Röllings Grab in gutem Stand zu erhalten. 
Dann fügte sie hinzu: „Am Jahre 1870 
ist ein französischer Offizier mit Gattin und 
Kind hier bestattet worden. Können Sie mir 
die Ruhestätte zeigen?" 
Diese Worte hatten bei Rölling eine Be 
wegung der Neberraschnng hervorgerufen. Er 
tauschte _ einen ernsten Blick mit Melanie, 
welcher sagte, daß Beide einander verstanden. 
Der Todtengräber ging voraus. Vor einem 
der Schneehüget blieb er stehen und deutete 
mit der Hand auf ein eisernes, vom Roste 
angefressenes Kreuz, auf welchem sich nur 
mühsam noch die verwitterte Inschrift ent- 
iffern ließ: 
„Capitain Alphonse Bonrdin, 
Irma Bonrdin." 
^ Melanie weilte einige Minuten an dem 
Orte und schien tief bewegt. „Ich wünsche," 
wandle sie sich an den Todtengräber, „daß 
ArrlKKd. 
Berlin, 14. Sept. Ueber den gestrigen 
Schluß der Manöver in Stettin meldet 
noch die „Kreuzztg.": Vor der Parade 
nahm der Kaiser Gelegenheit, eine all 
seitig freundlich aufgenommene Ansprache zu 
halten, in der er den Führern und 
Truppen sein Allerhöchstes Lob zollte, um 
dann in bewegten Worten dem Kaiser 
Franz Josef seinen Dank für die Be 
theiligung an den Manövern und die 
Sympathie ber Armee auszusprechen. 
Seine Majestät berührte die schmerzlichen 
auch aus diese -Ruhestätte besondere Sorgfalt 
verwendet werde. Sobald das Frühjahr kommt, 
werde ich mit Ihnen besprechen, was dafür 
geschehen soll." 
„So wissen Sie also—?" fragte Rölling 
mit einer gewissen Befangenheit, während er 
an Melanie's Seite wieder dem AuSgange des 
Kirchhofes zuschritt. 
„Ja, Herr Rolling.," entgegnete sie 
... „.I in 
einem Tone, in welchem eine zarte Schonung 
lag, „Ihre Mutter hat kurz vor ihrem Tode 
in meiner und des Pfarrers Gegenwart ourch 
ein reumüthiges Bekenntniß ihr Gewissen er 
leichtert, aber damit freilich auch das meinige 
mit einer schweren Verantwortlichkeit belastest" 
fügte sie unter einem bangen Seufzer hinzu, 
„denn das Geständniß legt mir eine harte 
Pflicht auf, welche für'eine Person, die ich 
'ehr liebe, von verhängnißvollm Folgen sein 
wird." 
Rölling schwieg betroffen. Als Melanie'. 
Wagen erreicht war, entblößte er sein Haupt, 
um sich von ihr zu verabschieden. 
»Nein, Herr Rölling," sagte Melanie 
reundlich, „so scheiden wir nicht von ein 
ander. Bitte, begleiten Sie mich." 
Sie nöthigte ihn, zu ihr in den Wagen 
zu steigen, welcher bald darauf den Villenhof 
erreichte. Unterwegs hatten Beide, jedes mit 
einen eigenen Gedanken beschäftigst kaum 
einige Worte gewechselt. Zn Hause angelangt, 
ließ Melanie ihren Gast in ein behagliches, 
angenehm durchwärmtes Zimmer führen. 
Es war Spätnachmittag und bereits begann 
es zu dunkeln. Als nach einer Viertelstunde 
Melanie in einfacher Haustoilette eintrat, 
gefolgt von einem Diener, welcher eine bren 
nende Lampe trug, da war cs dem sie Er 
wartenden, als ob die freundlich sich über 
das Zimmer verbreitende Helle von dem 
schönen Mädchen selbst ausstrahle, wie von 
einer höheren Erscheinung. 
„Ich bin glücklich," begann Rölling, als 
Beide wieder allein waren, „noch einmal Ge 
legenheit zu haben, Ihnen für die hingebende 
Pflege, womit Sie die letzten Tage meiner 
armen Mutter verschönt haben, danken zu 
können. Aber ich habe auch eine heilige 
Schuld der Dankbarkeit abzutragen, die mich 
selbst angeht. Sie haben mir meine Freiheit 
gerettet und sogar mehr als das." 
Er erhob sich und beugte sein Haupt 
auf Melanie's Hand herab, um sie ehr 
'urchtsvoll niit seinen Lippen zu berühren. 
„O nicht doch, nicht doch!" rief Melanie, 
„ich habe ja nur das Versprechen gehalten, 
das ich Ihnen gegeben hatte." 
„Hätte man mich ins Zuchthaus ge. 
leckst ‘ fuhr Rölling fort, „so wäre ich 
wahrscheinlich als derselbe verdorbene Mensch 
wieder herausgekommen. Als ich Sie aber 
in der Gerichtsverhandlung vor Staats 
anwalt und Richter stehen sah, fest entschlossen, 
ich lieber einer entwürdigenden Strafe aus 
zusetzen, als einem Elenden, wie ich bin, 
Ihr Wort zu brechen, da sagte ich zu mir 
elder: komme ich glücklich davon, so will 
ich ein anderes Leben führen, um diesem 
Engel zu zeigen, daß der bessere Geist 
in mir noch nicht erstorben ist. Ach! in 
mir lag nie der Trieb zum Bösen; die grau- 
ame Härte der Menschen, die erbarmungs 
lose Strenge der Gesetze haben mich erst 
zum Verbrecher gemacht." 
„Niemand weiß besser als ich, daß Sie 
edler Regungen fähig sind," erwiderte Me 
lanie. „Ich habe oft über den Widerspruch 
in Ihrer Natur nachgedacht. Vielleicht löst 
sich mir dieses Räthsel, wenn Sie mir die 
näheren Umstände Ihres Lebens mittheilen." 
„Wenn es in der Welt ein Wesen giebst 
von dem ich nicht verkannt sein möchte, so 
sind Sie es," sagte Rölling. „Ich will 
Ihnen nur die nackten Thatsachen berichten, 
die aber genug sagen werden . . . Mau 
nennt mich unter meines Gleichen den 
„Ulan , weil ich bei den Garde-Ulanen 
stand. Als solcher machte ich den Krieg 
gegen Frankreich mit. Zweimal wurde ich 
schwer verwundest aber mein Herz schlug 
warm für das Vaterland; kaum halb von 
meiner Wunde geheilt, eilte ich immer wieder 
meiner Fahne nach. Meine Mutter hatte 
mir in ihrem letzten Briefe mitgetheilt, daß 
sie im Begriffe sei, nach Amerika auszu 
wandern. Nach dem Kriege sollte ich ihr 
nachkommcn, schrieb sie, die Reisemittel 
würde ich von dem Advokaten Teßner er 
halten. Ich hatte aber bereits einen andern 
Lebensplan. Ich liebte ein wackeres Mäd 
chen, das mich im Lazarett, verpflegt hatte, 
und als der Krieg beendet war, wurde sie 
meine Frau." 
„Sie waren also, verheirathet?" fragte 
Melanie überrascht. 
„Ich war verheirathet und mein Weib 
chcnkte mir einen prächtigen Jungen. Ja 
ich habe das Glück des Familienlebens ge 
kannt, aber ich sollte es nur kurze Zeit ge 
nießen. Warum meine Mutter so plötzlich 
vom Ausivanderungssieber befallen worden 
war, woher sie die hierzu erforderlichen 
Geldmittel nahm und mit welchem Recht ich 
von dem Advokaten Teßner das Geld zu 
der weiten Reise verlangen konnte, das alles 
war mir damals unerklärlich, mir war 
weiter nichts bekannt, als daß meine Mutter
	        
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