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88ster Jahrgang.
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Wo. 214.
Ireitog, den 13. September
1895.
Morgen-Depeschen.
Swinemüude, 12. Sept. Der Kaiser
an Bord des Avisos „Grille" traf um
8 >/2 Uhr, begrüß: von dem Commandanten
der „Hohenzollern", von Arnim, hier ein
und begab sich unter begeisterten Zurufen
der trotz des Regens harrenden Menge
auf die kaiserliche Jacht „Hohenzollern".
Die Abfahrt zum Geschwader erfolgt um
1 Uhr früh. Nachdem der Kaiser die Pa
rade abgenommen haben wird, soll die ge-
sammle Flotte in See gehen, um Freitag
und Sonnabend das Seemanöver in
Gegenwart des Kaisers abzuhalten. Am
Sonnabend wird der Monarch die kaiser
liche Werft besichtigen Am Sonntag
findet auf der „Hohenzollern" ein Schiffs-
goitesdienst statt, den der Kaiser selbst ab-
halten wird. Sodann kehrt der Kaiser
nach hier zurück.
Stettin, 13. Sept. Der Ballon des
2. Armeekorps ist gestern Morgen
während des Aufstieges geplatzt. Der in der
Gondel befindliche Offizier stürzte aus be-
trächtlicher Höhe aus die Erde herab und
erlitt einen Beinbruch.
Flensburg, 13. Sept. Infolge plötzlich
aufgekommenen Sturmes kenterte gestern
Nachmittag bei Hvlnis die Fehmarnsche
Yacht „Anne Marie", die mit Korn be-
laden nach hier bestimmt war. Der
Schiffer ist ertrunken, die übrige Mannschaft
wurde gerettet.
Berlin, 13. Sept. Gras Waldcrsce ist
zum Generalobersten der Cavallerie mit
dem Range eines Generalseldmarschall er
nannt worden.
Berlin, 13. Sept. Die Maler Berlins
hohen in einer Versammlung für das
nächste Frühjahr einen Generalstrike in
Aussicht genommen. Es wurde beschlossen,
die Einführung des Minimallohnes zu
verlangen. Die Erlangung der achtstündigen
Arbeitszeit soll eventuell durch einen
späteren Stricke angestrebt werden.
München, 12. Sept. Gestern sind in
Reichertshofen dreizehn Wohnhäuser und
sieben gefüllte Scheunen einem Brande
zuin Opfer gefallen.
London, 13. Sept. Der „Times" wird
ans Havanna gemeldet, daß die Neger
der Provinz Metanzas infolge der Arbeits
losigkeit in den Plantagen gewillt sind, in
die Reihen der Insurgenten einzutreten.
Die Rebellen haben einen großen Vorrath
von Lebensmitteln. Der Correspondent
der „Times" hatte eine Unicrredung mit
einem die cubanischen Verhältnisse genau
kennenden Pflanzer, welcher sich dahin
äußerte, daß die Spanier den Verlust
Cubas wohl kaum verhindern konnten.
Bern, 13. Sept. Zu dem Unglück,
das sich ans dem Altelsgletscher zugetragen
hat, wird gemeldet, daß der Gletscher
absturz Mittwoch früh 4Y, Uhr erfolgte.
Der Luftdruck war enorm. Der Schutt
liegt haushoch. Alle sechs ans der Alm
befindlichen Personen sind getödtet worden;
150 Stück Großvieh sind verloren. Die
Abfahrt von der Alm sollte Mittwoch
Mittag stattfinden. Die ans dem Trümmer
feld des Gemmipaffes aufgefundenen
Leichen sind furchtbar zugerichtet. Die
abgestürzte Masse des Altelsgletschers wird
von einem englischen Ingenieur auf den
dritten Theil des Gletschers geschätzt. Der
Schaden an Vieh beträgt etiva 100000
Francs, der Schaden an Grund und
Boden auf der Spitalalpe etwa 400000
Francs.
Lemberg, 13. Sept. Die Kaserne des
hiesigen 80. Infanterie - Regiments wurde
während der Regimentsmanöver durch eine
Diebesbande vollständig ausgeraubt. Unter
den gestohlenen Gegenständen befindet sich
auch die Generalsuniform des letzten Regt
mentsinhabers, des Herzogs von Schleswig
Holstein.
Budapest, 13. Sept. In Preßburg ist
im Laufe von drei Tagen die ganze aus
sieben Personen bestehende Familie des
Advocaten Ferber infolge Genusses von
verseuchtem Brunnenwasser gestorben. Die
allein zurückgebliebene Frau Ferber ist in
Wahnsinn verfallen.
AEsMS.
Rutzîsnd.
Petersburg, 12. Sept. Reichskanzler-
Fürst Hohenlohe wurde am Mittwoch
in Peterhof vom russischen Kaiser und
daraus auch von der Kaiserin in Audienz
empfangen. Am Nachmittag erhielt der
deutsche Reichskanzler den Gegenbesuch des
Ministers des Auswärtigen Fürsten Lobanow-
Rostowski und empfing die Vorstände der
deutschen Vereine.
Petersburg, 12. Sept. Der Reichs
kanzler Fürst Hohenlohe ist heute
Abend über Werkt nach Berlin abgereist.
Oeķàerrerm-Ungņrn
I» Kittelfeld bei Graz streiken 500
bis 600 Metallarbeiter.
Triest, 12. Sept. Nach hier eingetrof-
feneii Meldungen aus Genua soll die von
dem Maffenverwalter im Konkurse der
Gebrüder Bingen nachgesuchte Rückdati-
rung des Fallissements nur auf die
betrügerischen Operationen Gültigkeit haben.
Von einer allgemeinen Rückdatirung soll
keine Rede sein.
Budapest, 12. Sept. Die Beisetzung
des Erzherzogs Ladislaus erfolgte
gestern in der Sigismund-Kapelle der
Ofener Burg im Beisein der Eltern und
Geschwister, ferner des Erzherzogs Otto
in Vertretung des Kaisers, der Erzherzöge
Rainer, Eugen, Friedrich, Franz Salvator,
der Prinzessin Clementine von Coburg,
der Prinzen Philipp von Coburg und
von Thurn und Taxis, sowie der Minister,
der Spitzen der Civil- und Militairbehörden
und des Consularcorps.
Belgien.
An der Brüsseler Börse herrschen seit
einiger Zeit Mißstände, die nachgerade
einen öffentlichen Skandal hervorrufen.
Die Börse wird nämlich seit einigen
Monaten ständig von Frauen besucht,
die von einer wahren Speculationswuth
befallen sind. Nicht nur aus Brüssel,
sondern auch aus Provinzialstädten er
scheinen täglich zahlreiche Frauen, um
Speculationsgeschäfte zu betreiben; eine
Gruppe Loewener Frauen ist besonders
rührig. Da ist es denn kein Wunder,
wenn man traurige Vorkommnisse erlebt.
Die Frau eines kleinen Staatsbeamten
wurde vom Brüsseler Znchtpolizeigerichte
zu drei Jahren Gefängniß verurtheilt,
weil sie, um ihre Börsendifferenzen zu be-
zahlen, arge Schwindeleien im Betrage
von mehr als einer halben Million Frcs.
verübt hatte. Am Montag gab es auf
der Börse einen merklvürdigen Auftritt.
Eine Speculantin jammerte und weinte
laut, loeil sie durch das Fallen der Course
plötzlich über 12,000 Francs verloren
hatte, ohne im Stande zu sein, die Diffe
renzen bezahlen zu können.
Ein B r 0 t k r i e g har sich in der Stadt
Mecheln seit einigen Tagen entsponnen,
welcher der Einwohnerschaft zum größten
Nutzen gereicht. Vor einigen Tagen er
öffnete eine kooperative Antwerpener
Bäckerei im Mittelpunkt Mechelns eine
Sukkursale, die den Brotpreis um zwei
Centimes herabsetzte und den Arbeitern
verlockende Anerbietungen machte. Sie
versprach jedem Arbeiter, welcher sein
Brot bei ihr entnimmt und Mitglied der
Genossenschaft wird, in Krankheitsfällen
unentgeltlich ärztliche Hülfe und Heilmittel
wie unentgeltliche Brotlieferung, sobald in
einer Arbeiterfamilie Vater oder Mutter
erkrankt sind. Natürlich strömte die ganze
arbeitende Klaffe dieser Bäckerei zu. Alle
Bäcker Mechelns vereinigten sich, setzten
auch den Brotpreis um 2 Centimes her
unter und beschlossen, gegen die kooperative
Bäckerei einmüthig vorzugehen; sie veran
stalteten einen Straßenanfzug, zogen zum
Rathhause und überreichten dem Bürger
meister eine Adresse, worin sie baten, den
Angestellten und Arbeitern der Stadt an
zuempfehlen, ihr Brot nicht bei der koope
rativen Bäckerei zu kaufen. Ist auch der
klerikale Bürgermeister als Feind der
kooperativen Genossenschaft bekannt, so
steht ihm doch ein solches Recht nicht zu
Die kooperative Bäckerei beantwortete so
fort diese Kundgebung durch eine zweite
Preisermäßigung, so daß sie das Kilo
gutes Brot für 20 Centimes und von
kommender Woche ab für 19 Centimes
liefert. Man hat zwar die Fenster einge
worfen, aber die Einwohnerschaft steht
natürlich aus Seiten der Bäckerei.
England.
London, 12. Sept. Gladstone hat
an ein hervorragendes Mitglied der übe*
raten Parthei ein Schreiben gerichtet, in
welchem er die Liberalen auffordert, sich
durch die letzten Niederlagen nicht ent-
muthigen zu lassen, sondern durch weise
Politik und durch die Beständigkeit ihrer
Prinzipien darnach zu streben, daß die
liberale Parthei sich wieder erheben und
an der Wohlfahrt des Landes, die mit der
ihrigen unzertrennlich verbunden sei, ruhig
weiter arbeiten könne.
London, 12. Sept. Wie das Reuter-
sche Bureau erfährt, ist der bisherige
englische Botschafter in St. Petersburg,
Sir Frank Lascelles, zum Botschafter
in Berlin ernannt worden. Er wird in
einem Monat Petersburg verlassen und
sich nach Berlin begeben. — Wie die
„Times" erfahren, hat die deutsche Re-
gierung in Brüssel Vorstellungen erhoben,
worin die Voreiligkeit des Commandanten
Lothaire bei der Hinrichtung des Eng
länders Stokes gemißbilligt wird.
Dänemark.
Kopenhagen, 12. Sept. Von October
dieses Jahres an werden mehrere
Dampferlinien für den Vichexport
zwischen Esbjerg und den ostjütländischen
Städten einerseits und den mit Quaran-
täneanstalten versehenen deutschen Plätzen
andererseits eröffnet.
12. Sept. 150 Arbeiter
der hiesigen Eisengießereien und
Maschinenfabriken haben gestern die Arbeit
eingestellt, weil der Fabrikantenverein
sich weigert, einen Minimalstundenlohn von
30 Oere zu garantiren. Der Ausstand
dürfte allmählich auch in anderen Zweigen
eine Einstellung der Fabrikthätigkeit herbei
führen; so sind heute schon 100 Former
unbeschäftigt.
Stettin, 12. Sept. Bei dem heutigen
Manöver war der Kaiser abermals
siegreich, diesmal mit der Nordarmee. Das
Manöver fand gegen. 10 3 / 4 Uhr Vormit
tags zwischen Moringen und Sparrenfelde
seinen Abschluß. Gegen 1 Uhr trafen die
Monarchen und Fürstlichkeiten vom Manö
verfelde in Stettin wieder ein. Um 3 Uhr
fand im Königl. Schloß ein Festessen zu
140 Gedecken statt. Der Kaiser ver
lieh dem Botschafter von Szögyeny das
Großkreuz des Rothen Adlerordens und
dem Sectionsches Papay den Rothen
Adlerorden 1. Klaffe. Vom Kaiser von
Oesterreich erhielten: Botschafter Graf zu
Eulenburg das Großkreuz des Leopold-
Ordens, Oberhofmarschall Graf zu Eulen
burg die Brillanten zum Großkreuz des
Leopold-Ordens, Kriegsminister General
der Infanterie Bronsart von Schellendorff
das Großkreuz des Stephans Ordens, der
Chef des Civilkabinetts, Wirkliche Geheim
rath Dr. von Lucanns, eine mit Brillanten
besetzte Dose mit dem Porträt des Kaisers
von Oesterreich. Unter den sehr zahlrei
chen, vom Kaiser von Oesterreich
decorirten Persönlichkeiten erhielten der
commandirende General der Cavallerie
Grus Waldersee das Großkreuz des Ste
phansordens, die commandirenden Generäle
des Gardecorps, beziehungsweise des zwei
ten Armeecorps, Generäle der Infanterie
v. Winterfeld und v. Blomberg, das Groß-
kreuz des Leopold-Ordens, und der Ober
bürgermeister von Stettin, Geheimrath
Haken, den Orden der Eisernen Krone
II. Classe. Letzterem verlieh auch der
König von Sachsen das Comthurkreuz
II. Classe des Albrechtsordens. Der Kaiser
von Oesterreich spendete für die Stettiner
Armen 4000 Jl.
Stettin, 12. Sept. Kaiser Wilhelm
begleitete den Kaiser Franz Joseph
zum Bahnhöfe, wo auch der König von
Sachsen erschienen war. Kaiser Wilhelm
U) %
'sin ķmt «Iter SWö.
Roman von Gustav Höcker.
Zur Zeit, als der letzte männliche Sproß
des Barons Bolko gestorben war, lebte
Frau von Baldeneck als betagte Wittwe in
Hamburg. Sie hatte sich nach jenem
Bruche mit ihrer Familie nicht mehr um
dieselbe gekümmert und ihre Enterbung als
selbstverständlich betrachtet. Da spielte ihr
der Zufall eines jener Zcitungsblätter in die
Hand., worin sie zunr Antritt ihrer Erbschaft
aufgefordert wurde. Der Termin, melcher
zu ihrer Todeserklärung berechtigt hätte, war
noch nicht abgelaufen. Sie wandte sich
brieflich an einen damals in hiesiger Kreis
stadt wohnhaft gewesenen Rechtsanwalt,
Namens Teßner, beauftragte diesen mit dcr
Gelkenduiachung ihres Erbanspruchs und sandte
ihm alle Papiere, welche zur Legitimirung
ihrer Persönlichkeit erforderlich waren. Der
Advokat that bei Gericht die nöthigen Schritte,
aber der Gerichtsbeamte, in dessen Händen
die Sache ruhte, legte die Eingabe mit dem
sämmtlichen Beweismatcrial unter die alten
Akren. Erst später hat sich herausgestellt,
daß er bereits damals an Geistesstörung litt,
der er nach Jahr und Tag in, Irrenhause
erlag. Frau von Baldmeck war inzwischen
auch gestorben; aus ihren Briefen wußte
Teßner, ihr Advokat, daß sie eine Tochter
besaß, die einen gewissen Rettberg geheirathct
hatte. Aus diese Tochter waren nun die
Erbansprüche ihrer Mutter übergegangen, abcr
die Briefe der Verstorbenen boten über den
Aufenthalt ihrer Tochter keinen Anhaltspunkt.
Teßner behauptete zwar, zur Ermittelung der
selben keine Mühe gescheut zu haben, aber
es ist wohl anzunehmen, daß er die Sache
einfach auf sich beruhen ließ, uro sich nicht
in Unkosten zu stecken, die ihm, wenn seine
Nachforschungen vergeblich blieben, Nieniand
ersetzt haben würde. Ich habe einigen Grund
zu der Vermuthung, daß es zwischen Teßner
und meinem verstorbenen Vater einen Be
rührungspunkt gegeben hat, wodurch mein
Vater sich dessen Haß zuzog, der leider auch
auf mich übergegangen zu sein scheint. Diese
Erbitterung muß aber damals noch nicht
bestanden haben, denn sonst würde dem Ad
vokaten kein Opfer zu groß gewesen sein, die
Erben Frau von Baldenecks aufzufinden, um
ihre Ansprüche gegen meinen Vater geltend
zu machen, wie er es nun gegen mich be
trieben hat, nachdem er vor einigen Monaten
in dem seiner Tochter befreundeten Fräulein
Rettberg und deren Bruder Frau von Bal-
dencck's Enkel entdeckte. Teßner ließ die alten
Akten aus jener Zeit durchsuchen, da er als
Frau von Baldcneck's Mandatar deren Erb
ansprüche in aller Form Rechtens angemeldet
hat, und es haben sich sämmtliche Beweis
stücke vorgefunden, welche den Geschwistern
Rettberg das Mittel an die Hand gaben,
mit der begründetsten Aussicht ans Erfolg
einen Prozeß gegen mich anzustrengen, da
die dreißigjährige Frist, in welcher Frau von
Baldcneck's rechtzeitig angemeldete Ansprüche
auf den Besitz des Villenhofs verjährt wären,
noch nicht abgelaufen ist. Ich beauftragte
meinen ehemaligen Vornmnd, Doktor Earns,
mit der Prüfung der Angelegenheit, und er
gab mir ein erschöpfendes Gutachten darüber,
welches zu nieinen Ungunstcn ausfiel. Ich
könnte den Prozeß allerdings Jahre lang
Hinhalten, theilte er mir mit, würde mich
aber doch endlich fügen müssen, da die Sache
ganz klar sei. So habe ich denn, ohne den
geringsten Widerspruch zu erheben, den Ge
schwistern Rettbcrg ihr gutes Recht eingeräumt
und Sie finden mich eben damit beschäftigt,
den Villenhvf zu verlassen um den neuen
Besitzern desselben Platz zu machen."
„Sie haben gehandelt, wie ich es von
Ihnen gar nicht anders erwartet hätte," sagte
Maitland, als der Baron schwieg. „Immer
hin ist es keine Kleinigkeit, so ohne weiteres
die Hälfte feiner Besitzthümcr dahinfahrcn zu
sehen, und der Verlust dieses schönen Gutes
scheint Ihnen doch nahe gegangen zu sein.
Ich will Ihne» nicht verhehlen, daß ich beim
ersten Anblick über Ihr Aussehen erschrocken
bin. Sie scheinen um Jahre gealtert, und
diese auffällige Veränderung muß ich doch
wohl dem Kummer über Ihren Verlust zu
schreiben."
„O, Maitland," entgegnete der Baron,
„so schnierzlich mich auch der Abschied von
dieser Heimstätte bewegt, wo ich geboren bin,
so verliere ich damit doch nur etwas, was
mir nicht rechtmäßig gehörte und in nieinem
schönen Gute in Schlesien finde ich einen
reichlichen Ersatz. Aber ich habe noch einen
anderen Verlust erlitten, den ich nie verschmer
zen werde. Das Glück des Lebens hängt
nicht an Schätzen und Rittergütern, es giebt
einen viel kostbareren Besitz, einen Besitz, der
dcm Aermsten vergönnt sein kann, mir abcr
versagt ist. Das höchste Gut des Menschen
- ist wieder der Mensch!"
„Ich glaube, ich verstehe Sie," sagte Mait
land, da der Baron nicht weiter sprach.
„Sic haben niich in diesem Punkte nicht zu
Ihrem Vertrauten gemacht, aber nach dem,
was Sie eben gesagt haben, könnte ich fast
errathen, was Ihnen jene junge Dame war,
in deren Gesellschaft ich Sie einst im Thier
garten sah. Es war nur eine flüchtige Be
gegnung ! Sie ritten an der Seite einer offe
nen Equipage, in welchen zwei Damen saßen.
Die Eine, mit der Sie sich lebhaft unter
hielten, war von jener simiberückenden Schön
heit, die uns wie ein Sonnenstrahl aus grauem
Himmel berührt. Ich sehe sie noch vor mir
mit dem dunkeln, wunderbar leuchtenden
Auge —"
Maitland brach ab, da Wolfgang ihm
schmerzlich Schweigen zuwinkte. Aber für
Maitland war es genug, um zu wissen,
daß er den wunden Punkt getroffen hatte.
Er trat an's Fenster, welches nach dem
Parke hinausging, und sah eine Weile dem
Spiele der gelben Blätter zu, die der Wind
umhcrwirbelte.
„Der Herbst macht mich stets schwcr-
mnthig," unterbrach er eine längere Pause,
„er erinnert mich daran, wie manches Ver
gnügen ungckostct an mir vorübergeschlüpft
ist, wie wenige Freuden je zurückkehren,
wie lee>- und hohl so viele Dinge waren,
denen ich nachgetrachtct habe. Ich habe,
um mich zu zerstreuen, alle Hülfsquellen
erschöpft, welche Berlin darbietet, aber ich
fand, daß alles nur eitel und alltäglich sei.
Es giebt nur ein einziges Mittel, um das
Herz neu aufzufrischen — und das ist daö
Reisen. So bin ich denn zu Ihnen ge
kommen, Baron, um Sie aufzufordern, mit
mir eine Tour durch fremde Länder zu
machen.
Wolfgang blickte bei diesem Vorschlage
auf und ein mattes Lächeln erhellte sein
Antlitz.
„Wir können Beide nichts Besseres thun,"
fügte Mailland hinzu, „als der traurigen
Jahreszeit, die unsere Stimmung nur no
zu verdüstern geeignet ist, zu entfliehen. T
ganze Welt liegt vor uns. Lassen Sie uns 3:
sammen vorwärtseilen durch die wechst
vollen Scenen unseres Erdballs und ni
gends länger weilen, als wo wir noch dl
Genuß in seiner vollen Frische habl
können. Was sagen Sie? Wollen Sie me
Begleiter sein?"
Die Lehre, daß der Mann jeden Kumm
durch abwechselnde Aufregung betäub»
könne, fand in Wolfgang's fetziger Seelei
stimmung den fruchtbarsten Boden; er e
blickte darin das einzige Mittel, den G
danken an Felicitas zu verbannen.
„Ich bin der Ihrige," entgegnete c
während sein Auge zum ersten Mal wied
von jenem Feuer erhellt wurde, welches vc
der Lebhaftigkeit seines Geistes zeugte, „n
habe mir zwar vorgenommen, mich in d
Einsamkeit des Landlebens zu vergrab»
und mich ganz nieinen Geschäften zu wii
men; aber ich glaube, die Medicin, die S
meinem kranken Gemüthe vorschreiben, i
die heilkräftigere. Ich gehe mit Ihnen!"
Der Weg zum Laster ist ein blumenreiche
geebneter Pfad, auf welchem cs keine Hindei
niffc giebt, die unsere Schritte aufhaltet
Wolfgang hätte auf diesem Wege keine
gefährlicheren Führer finden können al
Maitland, mit welchem er einige Tao
später die Reise nach dem Süden antrat.
^Fortsetzung folgt.) *
Sinnsprnch.
SliUjm’s ein jeder mit der Wahrheit
Sv genail wie mit dem Geld,
Stünde es um vieles besser
In der großen Gotteswelt.