Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

r 3 Kŗscheint tâgrich. 
Wàburģer 
Wochenblatt. 
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88ster Jahrgang. 
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Mo. 213. 
Donnerstag, den 12. September 
1865. 
Morgeu-Dep eschen. 
Darmstadt, 12. Septbr. Das gräflich 
Erbach'sche Schloß in Schönberg steht in 
Flammen. 
München, 12. Sept. Wie aus Amberg 
gemeldet wird, haben sich Ordnungs 
widrigkeiten in der dortigen Gewehrfabrik 
gezeigt; die Untersuchung ist eingeleitet. 
Es dürfte sich jedoch nicht um Veruntreuung 
gegenüber dem Aerar handeln. 
Jena, 12. Sept. In Königsee sind 31 
Scheunen niedergebrannt. 
Venedig, 12. Sept. Die „Gazetta di 
Venezia" bringt heute die große Aufsehen 
hervorrufende Mittheilung, die Untersuchung 
über den Unfall der Panzer > Fregatte 
„Sardegna" habe ergeben, daß der 
Gefchwaderchef,Prinz Thomas von Savoyen, 
der Commandeur der „Sardegna", sowie 
der an Bord des Schiffes befindliche Contre- 
Admiral Grandville die Schuld an der 
Katastrophe gemeinschaftlich tragen. Wie 
es heißt, beabsichtigt der Marineminister 
gegen die betreffenden Persönlichkeiten, 
ungeachtet der hohen Stellung, vorzugehen. 
Uebrigens wird die „Sardegna" auch nach 
der an ihr vorgenommenem Reparatur 
ihre volle Leistungsfähigkeit nicht ivieder 
erlangen. 
Paris, 12. Sept. Nach einer Mittheilung 
der „Republ. frangaise"hat die Subscription 
sür die ausständigen Glasarbeiter ,in 
Carmaux bis jetzt die Summe von 52 000 
Francs ergeben. 
Paris, 12. Sept. Ans Limoges wird 
mitgetheilt, daß die Hitze im Departement 
Charente das dort manövrirende 12. Armee 
corps stark mitgenommen habe. Zahlreiche 
Erkrankungen unter Offizieren und Soldaten 
sind vorgekommen. 40 Mann mußten nach 
Limoges gebracht werden. Von den Er 
krankten sind 4 gestorben. 
Paris, 12. Sept. Das Tors Begnol 
wurde durch Feuersbruns! vollständig 
zerstört; zehn Personen kamen in den 
Flammen um. 
Montriuve, 12. Sept. Ein hiesiger 
Kurgast, Contradmiral Delage, stürzte in 
einen Abgrund und blieb an einem Felsen 
hängen. Er ist tödtlich verletzt. 
Tarnopol, 12. Sept. Die Cholera 
greift hier immer weiter um sich. Aus 
diesem Grunde ist das hiesige Lehrer 
seminar geschlossen und die Garnison in 
den umliegenden Dörfern einquartiert 
worden. 
Lemberg, 12. Sept. Ein im Bezirks 
gerichtsgebäude zu Kuty ausgebrochcner 
Brand, der das Gebäude beinahe vollständig 
zerstörte und sämmtliche Gerichtsakten ver 
nichtete, wird einer Brandstiftung zuge 
schrieben. 
Wien, 12. Sept. Das Auswärtige 
Amt benachrichtigte heute durch eine Note 
die hiesige serbische Gesandschaft davon, 
daß der Transit serbischer Schweine nach 
Italien durch Ungarn nun wieder gestattet 
wird. 
Havanna, 12. Sept. Die Insurgenten 
warfen eine Dynamitbombe auf das Ge 
leise vor den Zug, der Soldaten von 
Guantanamo brachte. Durch die Explosion 
wurden 2 Soldaten getödtet und 6 ver 
wundet. 
London, 11. Sept. Das Reuter'sche 
Bureau meldet aus Louisville: Als heute 
eine Milizpatrouille sich auf dem Wege 
nach Phönixoille befand, explodirte ein 
Pulverwagen mit 60 Pfund Pulver. 
Sechs Soldaten wurden getödtet, viele ver 
letzt. Die Glieder der Getödteten wurden 
weit weggeschleudert. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Fast die Hälfte der Colonie Neu-Süd- 
Wales, vom Flusse Lachlan bis zur Grenze 
von Queensland, leidet bereits seit a ch t 
Monaten an vollständiger Regen 
losigkeit und nach Ansicht des Colonial 
astronomen Russell ist auch noch keinerlei 
Aussicht auf Regen vorhanden. Man be 
fürchtet infolgedessen große Verluste an 
Schafen und Rindern. In früheren Dürr 
jahren sind wiederholt Millionen dieser 
Thiere verdurstet. Die Colonie zählte 
Ende 1893 56 980 688 Schafe und 
2155 500 Rinder. Dieselben weiden das 
ganze Jahr ohne Beaufsichtigung auf den 
durch Drathzäune eingehegten riesigen 
Weidetriften des Innern. Infolge des 
jetzigen Regenmangels sind natürlich auch 
die fast stets wasserarmen Flüsse größten- 
theils ausgetrocknet und man fürchtet be 
reits um die Wasserversorgung von 
Sydney. 
Rußland. 
Petersburg, 11. Sept. Bei dem deutschen 
Botschafter Fürsten Rad ölen fand heute 
Abend 8 Uhr zu Ehren des deutschen 
Reichskanzlers Fürsten zu Hohen 
lohe eine Galatafel zu 28 Gedecken 
statt, bei welcher der Minister des Aus 
wärtigen Fürst Lobanow, der Minister des 
Innern Staatssecretair Durnow, der Gehilfe 
des Ministers des Auswärtigen Schischkin, 
der österreichisch-ungarische Botschafter Fürst 
Liechtenstein, der französische Geschäftsträger 
Graf Vauvineux, der italienische Geschäfts 
träger Silvestr elli, der Director des asiati- 
schen Departements Graf Kapuist, der Hof- 
mcister Graf Benkendorf, der bayerische 
Gesandte Baron Gasser und Vertreter der 
anderen Ministerien anwesend waren. 
Petersburg, 11. Sept. Ein Telegramm 
der „Now. Wremja" aus Wladiwostok 
meldet: Die Commission zur Auswahl 
eines Ortes für den Ausgangspunkt der 
sibirischen Eisenbahn und des damit ver 
bundenen Handelshafens beschloß, den 
Handelshafen einstweilen mit dem Kriegs 
hafen in der Bucht „Goldenes Horn" zu 
verbinden; später, nach Vergrößerung der 
Kriegsflotte, soll der Handelshafen in die 
Nähe des Amur-Meerbusens oder in die 
Patroklus- und Ulysses-Buchten verlegt 
werden. ' 
Türkei. 
Konstantinopel, 11. Sept. Infolge des 
vermehrten Auftretens der Cholera in 
B russ a wurde eine zehntägige Quarantäne 
sür Provenienzen aus dem Marmarameere 
zwischen dem Bosporus und Karabopha 
angeordnet. 
Serbien. 
Belgrad, 11. Sept. Die aus Biarritz 
stammenden Meldungen über die bevor- 
stehende Verlobung König Alexander's 
mit einer Großfürstin werden von unter 
richteter russischer Seite als nicht zutreffend 
erklärt. 
Italien. 
Rom, 11. Sept Der „Lok.-Anz." 
meldet: Aus Anlaß der bevorstehenden 
F e st e zur Erinnerung an die 
Annexion Roms verhaftete die 
Polizei sämmtliche hiesige, unter Polizei- 
aufsicht stehende oder sonstige verdächtige 
Personen. Nach Beendigung der Feste 
werden sie wieder freigelassen werden. 
Rom, 11. Sept. Unweit Catania hat 
sich eine große Stein masse einer unter 
irdischen Galerie losgelöst; 8 Arbeiter 
sind dabei verschüttet. Eine Abtheilung 
Genietruppen wurden sofort zur Hilfe 
leistung abgesandt. 
Griechenlaud. 
Athen, 11. Sept. Auf Euböa sind gestern 
Vormittag heftige Erderschütterungen 
verspürt worden. Ein Schaden ist bisher 
nicht festgestellt worden. 
Oetzerreich-Ungarrr. 
Ueber den Tod des Prinzen Rohan 
brachte ein Grazer Blatt „Enthüllungen", 
die dem Erben des Verstorbenen, Ritt 
meister Rocholl, Veranlassung gaben, eine 
gerichtliche Untersuchung gegen sich zu be- 
antragen. Heute meldet man uns aus 
Graz, daß Rittmeister Rocholl bei der 
Staatsanwaltschaft die Einleitung der 
Untersuchung speziell darüber nachgesucht 
hat, daß Prinz Rohan am Tage vor 
seinem Ende auf der Straße von zwei 
Arbeitern angeschossen aufgefunden und in 
die Villa gebracht wurde. Eine Gerichts 
kommission wird sich morgen zur Erhebung 
des Thatbestandes nach Krottendorf be 
geben. 
Budapest, 11. Sept. Die „Voss. Ztg." 
berichtet: Die Abendblätter bezeichnen mit 
Ausdrücken der Befriedigung den be 
geisterten Empfang des Kaisers 
Franz Joseph in Stettin. In 
politischen Kreisen, hofft man, Kaiser 
Wilhelm werde demnächst hier herkommen, 
wodurch ein langgehegter Wunsch Ungarns 
erfüllt werde. 
Eine hübsche Ausstattung zusam 
men gest oh len hat sich der Stahlgießer 
Martin Krauß in Bukau. Gelegent 
lich einer Haussuchung bei dem Genannten 
wurde folgendes überraschende Ergebniß 
zu Tage gefördert: Die Wohnung war 
mit verschwenderischem Luxus ausgestattet. 
In beiden Stuben, in der Kammer und 
der Küche bedeckten schwere Teppiche den 
Fußboden, die fast alle aus Diebstählen 
herrührten. Sammetne Portieren mit 
dicken, seidenen Quasten schlossen aus beiden 
Seiten die Thüren ab; an den Wänden 
hingen kostbare Spiegel. Ferner fanden 
sich werthvolle Uhren aller Art, darunter 
eine große Standuhr, ein Preisgeschenk 
des Radfahrervercins „Saxonia", welche 
dem Verein aus seinem Clubzimmer ge 
stohlen worden war. In den Schränken 
entdeckte man ganze Stöße von Tischdecken, 
Servietten rc., Menagen, Cigarrenservices, 
zum Theil noch mit den Namen der Cafees 
versehen, aus denen sie verschwunden 
waren. Biele der gestohlenen Gegenstände 
haben bereits ihren rechtmäßigen Eigen 
thümer wieder gefunden. Der Thäter 
wollte sich demnächst verheirathen und war 
auf den Gedanken gerathen, sich ebenso 
schön wie billig einzurichten. 
Schweiz. 
Große Eis Massen stürzten am 
Mittivoch Vormittag vom Altelsglelscher 
auf die Berner Seite des Gemmipasses — 
welcher von grusigen (Kanton Bern) nach 
Lenk (Kanton Wallis) führt — nach 
Spitalmatte und dem Wirthshaus Schwären- 
bach ab. — Eine drei Kilometer lange 
Strecke ist mit Eismassen überschüttet. Die 
Geministraße ist unpassirbar. Man be 
fürchtet, daß 6 Personen und 300 Stück 
Vieh umgekommen sind. 
Belgien. 
Gent, 10. Sept. In einer hiesigen 
Baumwollfabrik ist ein A u s st a n d aus- 
gebrochen ; 2500 Arbeiter streiken und ver 
langen eine Lohnerhöhung und Ver 
minderung der Arbeitszeit. Die Arbeit 
geber weigerten sich, die Vertreter der Aus- 
ständigen zu empfangen. Die Arbeiter be 
schlossen darauf, neue Versuche bei den 
Fabrikanten zu unternehmen. In einer 
anderen industriellen Unternehmung sind 
500 Arbeiter aus dem gleichen Grunde aus 
ständig. 
AMSNd« 
Stettin, 11. Sept. Die Südarmee, 
unter Führung des Kaisers, drängte 
bei dem heutigen Manöver die Nordarmee 
auf den Randowbruch zurück, sodaß die 
Absicht des Nordkorps, die Südarmee auf 
die Oder zurückzuwerfen, vereitelt wurde. 
Stettin, 11. Sept. Der Kaiser von 
Oesterreich empfing gestern Abend eine 
aus 10 Mitgliedern bestehende Abordnung 
der in Stettin lebenden österreichisch 
ungarischen Staatsangehörigen unter 
Führung des Botschafters Szögyeny. 
— Wie der „Reichsanz." meldet, hat 
der Kaiser dem Flügel-Adjutanten, 
Kapitän zur See von Arnim, das 
Kreuz der Komthure des Königlichen 
Haus-Ordens von Hohenzollern verliehen. 
— Anläßlich des Hinscheidens der Erb 
großherzogin von Oldenburg er 
örtert die „Köln. Ztg." die dereinstige 
Thronbesteigung im Großherzogthum, 
indem sie mahnt, Schritte zu unternehmen, 
um dem in einem Petersburger Garde- 
Regiment dienenden, als Thronerbe in 
Aussicht genommenen Prinzen Peter 
von Oldenburg zum Eintritt in den deut 
schen Dienst zu veranlassen. Der Prinz 
sei auf's Höchste dem Deutschthum abge 
neigt; erkläre er nicht seinen Austritt aus 
dem russischen Dienst, so solle man ihn 
von der Thronfolge ausschließen. — Nächst- 
berechtigtigter zur Thronfolge ist, da der 
Ehe des Erbgroßherzogs August mit der 
43; Jut ftiiHf alter ŞUî>. 
Roman von Gustav Höcker. 
Dcr nächste und letzte Zeuge war Teßner. 
Er hatte sich von seinem Schlaganfall 
wieder erholt, war aber so hinfällig, daß 
Felicitas ihn führen mußie. Als er am Arme 
des schönen jungen Mädchens nach der Zeugen 
bank wankte, erhob sich Röllings Mutter mit 
vorgebeugtem Kopfe abermals von ihren, Sitze. 
Die auffallende Bewegung konnte Teßner und 
seiner Tochter, welche in dichter Nähe vorüber 
mußten, nicht entgehen. Felicitas erkannte 
jene Frau wieder, nach deren Besuche sie ihren 
Vater in jenem schrecklichen Zustande ange 
troffen hatte. Er war nicht zu bewegen ge 
wesen, sich darüber auszusprcchen, wer die 
Frau sei und ob ihr Benehmen jenen Krank- 
heitsansall herbeigeführt habe; über die letztere 
Frage schwand in Felicitas jeder Zweifel, 
als sie jetzt fühlte, wie ihr Vater beim An 
blick derselben Frau plötzlich heftig zusammen 
zuckte. Sie geleitete ihn vollends bis zur 
Zeugenbank, un, sich daun auf seine ausdrück 
liche Bitte aus dem Saale zu entfernen. 
Wie schon die Zeugen vor ihm gethan 
hatten, berichtete Teßner, was ihm persönlich 
bei dem Einbruch der Diebe begegnet war. 
Er brachte seine Aussage in abgebrochenen, 
kurz hervorgestoßenen Sätzen vor und mußte 
dazwischen oft Pausen machen. 
„Sie haben schon früher die Erklärung 
abgegeben," begann der Vorsitzende das Ver 
hör mit dem neuen Zeugen, „daß dcr Mann, 
welcher Ihnen die Glieder zusammenschnürte 
und den Mund verstopfte, nach gewissen, ihm 
entschlüpften Aeußerungen zu schließen, nur der 
Angekiagie gewesen sein könne, dcr einen alten 
Haß gegen Sie habe und in seiner Persön 
lichkeit dem Einbrecher gleiche." 
Teßner warf einen scheuen Seitenblick nach 
dcr Richtung, wo Röllings Mutter saß. 
„Sv sagte ich," gab er zur Antwort, „doch 
muß ich gestehen, daß ich meiner Sache nicht 
so gewiß bin, um jene Behauptung auch unter 
dem geleisteten Zcugcneide aufrecht zu erhalten. 
Es ist wahr, daß ich gegen den Angeklagten 
vor einer langen Reihe von Jahren einmal 
in einer Prozeßsache ziemlich streng verfahren 
mußte, es sind mir aber in meiner Praxis 
als Anwalt viele derartige Fälle vorgekommen, 
und der Einbrecher ist nicht der Einzige, dcr 
mehr oder weniger Grund gehabt hätte, eine 
Aeußerung gegen mich zu thun, die aus einen 
alten Haß hinweist. Es liegt in der Natur 
des Advokatenberufs, daß man sich viele 
Feinde macht." 
„Die äußere Persönlichkeit des Angeklagten 
finden Sie jedoch mit derjenigen des Ein 
brechers übereinstimmend," fuhr der Vorsitzende 
fort. 
Teßner richtete einen langen Blick auf 
Rölling. Dann erwiderte er: „Der Angeklagte 
ist bei all seinem hohen Wuchs von eben 
mäßiger Gestalt: der Einbrecher war dagegen 
auffallend hager und auch etwas kleiner." 
„Sie glauben also nicht, daß der Ange 
klagte einer der Diebe war?" fragte der 
Vorsitzende. 
„Nein, ich glaube es nicht," antwortete 
Teßner. 
Damit war das Zeugenvcrhör geschlossen, 
aber auch das Belastungsmaterial, welches 
der Anklage zu Grunde lag, hinfällig ge 
worden, so daß der Vertheidiger leichtes 
Spiel hatte, die Freisprechung seines Kli 
enten zu erwirken. Das einzige Strafur- 
theil, welches in dem Prozesse ausgesprochen 
worden war, traf Melanie, und es möge 
hier gleich hinzugefügt werden, daß Teßner 
ie durch Erlegung der ihr zuerkannten Geld- 
'trafe vor der Alternative einer langen 
Haft schützte. 
XXXV. 
Es war Herbst geworden. Die Backstein- 
mauer, welche den geräumigen Platz vor 
dem Herrenhause des „Billenhofcs" umgab, 
und üppig mit wildem Wein umrankt war, 
sah im Schmucke der purpurnen Blätter 
wie in Blut getaucht aus. Das Laub dcr 
alten, hohen Bäume, die innerhalb der 
Mauer den Borhof umsäumten, schien sich 
in starres Gold verwandelt zu haben, und 
jeder Windstoß, der es schüttelte, hielt eine 
reiche Ernte an Blättern, welche sich auf 
eine kurze Henkersfrist in der Luft behaup 
teten, um dann matt und leblos zur Erde 
herabzutaumeln. 
Auf die frische Pracht dcr Herbstfärbung 
blickte drohend ein trübgrauer Himmel herab, 
wie ein grämlicher Alter aus ein spielendes 
Kind, dem er die bnnle Tändelei bald ver 
treiben wird. 
Der Kehraus der Natur wiederholte sich 
in dem menschlichen Treiben, welches auf 
dem Vorplatze herrschte, denn auch dieses 
deutete d-n Bruch mit einer alten Ordnung 
dcr Dinge an. Dort standen drei bis vier- 
mächtige geschlossene Möbelwagen und eine 
Schaar kräftiger Männer belud dieselben 
mit Möbeln und Kisten. 
In den Prachtzimmern der Villa selbst 
sah es öde aus. Manche derselben waren 
schon gänzlich entleert und hatten nichts 
mehr zu bieten, als die nackte Schönheit 
ihrer Tapeten und Deckenstuckaturen. Nur 
im Arbeitszimmer des Barons stand »och 
alles an seinem alten Platze. In dem hohen, 
weißen Porzclanofen loderte ein Feuer und 
verzehrte einen Haufen alter Briefe und 
anderer Papiere. Der Baron mar in seiner 
Arbeit, alle werthlosen Scripturen zu ver 
brennen, durch einen Besuch unterbrochen 
worden und dieser war kein anderer als 
Maitland, welcher neben ihm ans einem 
grünseidenen Muschclsopha saß. Beide be 
fanden sich in ernstem Gespräch, aber dieses 
bewegte sich in den alten freundschaftlichen 
Formen; denn während des monatclangcn 
Zwischenraums, wo sie einander nicht ge 
sehen, hatten sich Wolfgang's Gesinnungen 
gegen den Mann, der sich ihm in mehr 
als einer Lage als Freund bewährt hatte, 
nicht geändert. Der Baron besaß keine 
Ahnung von dem Jntriguenstück, welches 
Maitland seitdem in Scene gesetzt hatte, 
Niemand hatte ihn von dessen Dopvelspiel 
mit Reltderg oder von seinen Anschlägen 
gegen Melanick unterrichtet. Er kannte Mait 
land als einen Menschen, der großmüthiger 
Handlungen fähig war und dabei alles 
Verdienstliche derselben ableugnete, und 
konnte nicht vergessen, daß Maitland ihm 
das Leben gerettet und ihn während eines 
schmerzhaflen Krankenlagers mit der Sorg 
falt und Treue eines Bruders gepflegt 
hatte. 
In diesem Lichte allein war Wolfgang 
berechtigt, Maitland zu betrachten, obwohl 
manche leichtfertige Aeußerungen desselben 
ihn veranlaßt hatten, ein so liebreizendes 
Wesen, wie Melanie, vor ihm zu hüten. 
Indessen nahm Wolfgang an, daß Mail 
land als Weltmann, der von Genuß zu 
Genuß eilt, sie über anderen Dingen längst 
wieder vergessen hatte. 
„So finde ich Sie also im Begriff," 
sagte Maitland, „diese schöne Besitzung 
für immer zu verlassen und sich auf Jhr 
Gut in Schlesien zurückzuziehen. Und oben 
drein sind es die Geschwister Rettberg, 
welche Sie aus Ihrem Eigenthum ver 
treiben — dieseloen Menschen, denen Sie 
so viele Großmuth bewiesen haben? Ich 
habe wohl in Berliner Kreisen davon reden 
hören, daß Sie in einen Prozeß verwickelt 
seien, aber mehr, als daß cs sich um eines 
Ihrer beiden Güter handle und daß dabei 
sehr merkwürdige Umstände im Spiele sein 
sollten, wußte man sich nicht zu erzählen." 
„In der That sind die Umstände seltsam 
genug," entgegnete Wolfgang, „und ich nehme 
keinen Anstand, sie Ihnen mitzutheilen, wenn 
Sie es hören wollen." 
„Nichts könnte mich lebhafter interessiren!" 
versicherte Maitland. 
„Der Billenhof gehörte ursprünglich einem 
Onkel meines Vaters, dem Baron Bolko von 
Sturen," erzählte Wolfgang. „Baron Bolko 
hatte drei Söhne und eine Tochter. Diese 
Tochter, Albertine mit Namen und das jüngste 
der Geschwister, verliebte sich in einen Herren 
von Batdencck. Das wäre nun kein Unglück 
gewesen, aber Herr von Batdencck war Schau 
spieler und da die Familie sich einer solchen 
Verbindung widersetzte, so ließ sich Albertine 
von Herrn von Baldencck entführen, heirathete 
ihn, ging ebenfalls zum Theater und gab den 
Ihrigen nie wieder ein Lebenszeichen von sich. 
Im Lause der Zeit starb Baron Bolko, der 
schon lange vor Atbertine's Heirath Wiltwer 
gewesen war. Der älteste Sohn hatte von 
seiner Mutter die Schwindsucht geerbt und
	        
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