Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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Wonterg, den 9. September 
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London, 8. Sept. Nach einer Meldung 
aus Shanghai nimmt die Revolution in 
der Provinz Kancu immer größere 
Dimensionen an. Die Aufständigen haben 
bereits 11 Städte erobert. In den 
Regierungskreisen Peking's geht man mit 
der ernsten Absicht um, zur Unterdrückung 
des Ausstandes Rußlands Hülfe in An 
fpruch zu nehmen. — In vielen Provinzen 
werden die Angriffe gegen Ausländer und 
eingeborene Christen fortgesetzt. 
London, 7. Sept. Der „L.-A." meldet 
Auf Grund einer Information aus 
Anorchistenkreisen wurden die hiesige Roth 
schi ld'fch e Bank, sowie die verschiedenen 
Palais der Rothschild'fchen Familie in 
England unter starken Polizeischutz 
gestellt. 
Belgrad, 9. Sept. Der Geistliche 
Demeter Marinkovic, Führer der Liberalen 
im Toplitzer Kreise, wurde beim Gange 
zur Frühmesse meuchlerisch erschossen. 
Man nimmt an, daß ein politischer Racheakt 
vorliegt. 
Salonichi, 9. Sept. Neuerdings sind 
hier aufrührerische Proklamationen in 
bulgarischer Sprache verbreitet worden, 
37 bulgarische Ausständige sind im hiesigen 
Staalsgefängniß untergebracht, die bereits 
sämmtlich ein umfassendes Geständniß ab 
gelegt haben. 
Prag, 9. Sept. In einer Kundgebung, 
die demnächst vom hiesigen Stadtrath ver 
öffentlicht wird, sollen die czechischen Eltern 
ersucht werden, ihre Kinder nur in 
czechische Schulen zu schicken. Diejenigen 
Eltern, welche der Aufforderung nicht 
Folge leisten und ihre Kinder in deutsche 
Schulen schicken, sollen der Oeffentlichkeit 
preisgegeben werden. 
Budapest, 9. Sept. Die Behandlung 
des verstorbenen Erzherzogs Ladislaus 
durch Professor Jarnow bildet in fach 
männischen Kreisen den Gegenstand leb 
hafter Debatten. Autoritäten bezweifeln, 
daß eine Blutvergiftung eingetreten wäre, 
wenn der Verstorbene nicht rach Budapest 
rransportirt worden wäre. Die Ueber- 
sührung des schwerkranken Erzherzogs hätte 
ihrer Meinung nach unbedingt unterbleiben 
müssen. Es verlautet, die Sache werde 
zum Gegenstand einer Untersuchung ge 
macht werden. 
Budapest, 9. Septbr. Ackerbauminister 
Festtic reist nach Wien behufs einer Be 
sprechung mit dem Grafen Goluchowsky 
über den serbischen Schweineconflict. Aller 
Voraussicht nach wohnt der Conferenz 
auch der serbische Gesandte in Wien bei 
Antwerpen, 9. Septbr. Mehrere Mit 
glieder des Gcmeindcraths beantragten, 
gegen das neue Schulgesetz eine neue Agi 
tation im Lande hervorzurufen und eine 
Bittschrift an den König zu senden. 
Antwerpen, 9. Sept. Aus Australien 
traf gestern der Dampfer „Hohenstaufen" 
vom Norddeutschen Lloyd hier ein. Der 
Dampfer hatte etwa 50 Männer und 
Frauen von den Samoa-Inseln an Bord, 
welche von Barnum in Hamburg und Ber 
lin ausgestellt werden sollen. 
Paris, 9. Sept. Die Hitze ist hier enorm, 
gestern zeigte das Thermometer im Schatten 
37 Grad Reaumur. Der Wasserstand der 
Seine ist sehr niedrig. Seit 20 Jahren 
soll die Hitze nicht so groß gewesen sein, 
wie in den letzten Tagen. 
Mailand, 9. Sept. Seit vier Wochen 
herrscht in ganz Ober- und Mittelitalien 
große Trockenheit, verbunden mit außer 
gewöhnlich hoher Temperatur. Man be 
fürchtet, daß der Schaden, der durch die 
Dürre den Feldern zugefügt Ivird, bedeu 
tende Dimensionen annimmt. 
Arrslrmd. 
Außereuropäische Gebiete. 
Ncwyork, 7. Sept. Das „Kl. Journ." 
meldet: Gestern früh ist hier eine sensa 
tionelle Verhaftung wegen Giftmords 
erfolgt. Der Thatbestand ist folgender: 
Robert Living st on vermachte seiner 
Gattin eine jährliche Rente von 300,000 
Dollars, welche bei deren Ableben an ihre 
Tochter übergehen sollte. Am vorletzten 
Sonntag starb die Frau an akuter Magen- 
Eiitzüiiduilg. Dieselbe erklärte auf dem 
Todtenbett, sie sei von ihren Angehörigen 
vergiftet worden. Bei der Leichenschau 
wurde Gist im Magen gefunden. Die 
Tochter wurde verhaftet. 
Frankreich. 
Paris, 7. Sept. Der Lordmahor 
von London erklärte hiesigen 
Journalisten, er wolle ganz unabhängig 
von der englischen Regierung den 
Präsidenten Faure namens der City 
einladen, nach London zu kommen, nach, 
dem er vor Kurzem in einer Zeitung ge- 
bsen habe, daß Präsident Faure beabsich- 
tige, London incognito zu besuchen. Er 
hoffe, daß die Einladung in dieser Form 
angenommen werde.' 
7. Sept. Im Kriegsmini 
sterium fand ein glänzendes Diner 
statt, welches General Zur Linden den 
russischen Offizieren gab, welche nach Frank 
reich zu den Manövern gekommen waren. 
Im Lause des Diners trat der russische 
General Dragomirow vor die Gemahlin 
des Kriegsministers und trank auf ihre 
Gesundheit mit den Worten: „Ich trinke 
auf die beiden R. F. In diesen beiden 
Buchstaben liegt nicht nur das Kepublique 
Franşaise, sondern auch Rußland und 
Frankreich." , 
Paris, 7. Sept. Der Attentäter gegen 
das Haus des Banquiers Rothschild hat 
noch immer seinen Namen nicht genannt 
Er äußerte, er sei zufrieden, daß er auf 
Staatskosten verpflegt werde. Alles Gute 
sei sein Ideal, Niemand solle hungern. 
Rußland. 
Die Anlegung eines Kanals zwischen 
der Ostsee und dem Schwarzen 
Meere soll laut einer Mittheilung ans 
Petersburg nunmehr endgiltig beschlossen 
sein. Der Kanal wird, wie es heißt, eine 
Länge von 1600 Kilometer, eine Tiefe 
von 8,22 Meter, eine Breite von 64,9 
Meter auf der Oberfläche des Wassers und 
eine solche von 34,73 Meter auf dem 
Grunde haben. Der Ausgangspunkt wird 
Riga sein. Der Kanal wird dem Laufe 
der Düna, der Beresina und des Dnjepr 
folgen und in Cherson am Schwarzen 
Meere niünden. Nach den Berechnungen 
denkt man mit einer Schnelligkeit von 1l 
Kilometer in der Stunde den ganzen Kanal 
in sechs Tagen durchfahren zu können. 
Die Dauer der Arbeiten ist auf fünf Jahre 
bemessen, und die Kosten des Kanalbaues 
sind auf 200 Millionen veranschlagt worden. 
Bon dem Mord und Bankraub in 
Petersburg wird folgendes berichtet: Der 
von auswärtigen Blättern gemeldete, in 
der hiesigen Wechselstube (nicht Bankhaus) 
von A. Balin verübte Raubmord ist dahin 
richtig zu stellen, daß der Einbrecher nicht 
einen Prokuristen, sondern einen Lehrling 
tödtete, und an der Beraubung der Kasse 
von dem zweiten Lehrling des Geschäfts, 
der von einem Geschäftsgänge zurückkehrte, 
gehindert Ivurdc. Der Mörder ist ent- 
kohen. 
Italien. 
Einen geradezu romanhaften Anstrich hat 
die Entdeckung und Aufhebung einer 
Schmuggler bände vor dm Thoren Roms, 
die am 29. August den Zollwächtern nach 
langwierigen Nachforschungen gelungen ist. 
Die Schmuggler hatten zur Ausübung ihres 
lichtscheuen Gewerbes einen vor Porta 
Portese mündenden, unter der Stadtmauer 
hindurchziehenden alten Abzugskanal benutzt 
und in diesen unterirdischen Räumen ein 
ganzes Magazin von Käse, Kerzen und 
anderen Gebrauchsgegenständen angelegt. 
Nachdem diese Vorrathskammer entdeckt war, 
gelang es, die Schmuggler nächtlicherweile 
auf frischer That zu ertappen. 
Rom, 7. Sept. Ein von Catania nach 
Randazzo fahrender Eisenbahnzug stieß 
mit einem Waggon zusammen, in dem sich 
10 Arbeiter befanden; vier davon wurden 
getödtet und drei verwundet. — In Popoli 
bei Aquila stieß ein Zug mit 2 Militär 
Waggons zusammen. Letztere stürzten um- 
Ein Soldat wurde getödtet und einer 
verwundet. 
Spanien. 
Gibraltar, 8. Sept. Wegen der C h o le r a 
ist eine dreitägige Quarantäne für aus 
Tanger kommende Schiffe angeordnet 
worden. 
England. 
London, 6. Sept. „Daily Telegraph" 
giebt der Hoffnung Ausdruck, England 
würde wohl nicht den Fehler begehen, 
den Präsidenten Faure nach LoN’ 
don einzuladen." Der Lordmayor 
könne wohl Privatpersonen nach London 
einladen, aber kein Staatsoberhaupt. 
Die Verhaftung eines deut 
chen Grafen wird aus London ge 
meldet: Graf Emich Friedrich Thomas 
von Alt-Leiningen-Westerburg, 49 Jahre 
alt, 67 Newmanstreet Oxfordstreet wohn 
haft, und Olga Bauernfeind, 40 Jahre 
alt, welche beide an obiger Stelle ein 
Damenkleider- Atelier betreiben, wurden 
Dienstag früh dem Polizeigericht in der 
Bowstreet vorgeführt. Es lag ein Aus 
lieferungsgesuch der deutschen Behörden 
vor, welches die beiden Vorgeführten des 
Kindesraubes innerhalb der Gerichtsbarkeit 
des Deutschen Reiches beschuldigt. Bei 
einer Verhaftung sagte der Graf: „Ich 
weiß von der ganzen Sache nur dies, daß, 
als sie geschah, ich mich in England be- 
and." Die Frau sagte bei ihrer Ver 
nehmung: „Die ganze Geschichte ist Unsinn, 
ich habe das Mädchen als meine Tochter 
adoptirt." Bei der Verhaftung der Frau 
und man sie mit dem Mädchen zusammen 
m ihrer Wohnung in der ersten Etage. 
Ueber den Verhafteten, welcher aus dem 
Hause der Dynasten von Westerburg 
stammt, enthält der Gothaische Genealogische 
Hofkalender folgende Bemerkung: Graf 
Emich Friedrich Thomas, geb. zu Mainz, 
10. August 1846 (Wien. Schmalzhofgasse 
24), verm. zu Wien 21. Juni 1869 mit 
Marie Fischl, (geb. zu Gumpendorf 1. Juli 
1850, geschieden 1872). Der Ehe ist eine 
Tochter entsprossen." Bei dieser An 
gelegenheit dürfte es sich um des Grafen 
Tochter aus seiner Ehe mit Marie Fischl 
handeln. 
Belgien. 
Brüffcl, 7. Sept. Die Familie des in 
Afrika wegen Waffenschmuggels mit dem 
Tode bestraften Engländers Stokes for 
dert durch die englische Regierung von der 
Congo-Regierung einen bedeutendenSchaden- 
ersatz. 
Oesterreich-Ungarn. 
Budapest, 8. Sept. Die Beisetzung des 
Erzherzogs Ladislaus findet am 
Mittwoch in der Ofener Siegismund-Kapelle 
statt. 
Dänemark. 
Kopenhagen, 8. Sept. Aus Bernstorff 
wird gemeldet: Nachdem die Aerzte Prof. 
Lepden, Deljanow und Tschigajew heute 
den Zustand des Großfürsten- 
Thronfolgers, der noch das Bett 
hütet, untersucht hatten, wurde beschlossen, 
daß er am 13. September mit dem „Polar 
stern" nach Libau und von dort über 
Wilna nach Abbas Tuman reisen solle. 
Dr. Tschigajew wird den Patienten be 
gleiten. 
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Berlin, 7. Sept. Wie aus Stettin 
gemeldet wird, stieg der Kaiser heute 
früh 9V 4 Uhr im Stettiner Schlosse zu 
Pferde, nachdem am Morgen die bekränzten 
Fahnen und Standarten vom Schlosse ab 
geholt worden waren, und begab sich zur 
Parade des zweiten Armeekorps nach 
Kreckow. Die Kaiserin fuhr zu Wagen 
nach den« Paradefeld und bestieg erst hier 
das bereit gehaltene Pferd. Die Truppen 
waren in zwei Treffen aufgestellt; im 
ersten Treffen die Infanterie, die Fuß- 
Artillerie und die Pioniere, im zweiten die 
Kavallerie, die Feldartillerie und der Train. 
Der Kaiser und die Kaiserin wurden auf 
dem Wege nach dem Paradefeld von den 
aus allen Theilen der Provinz Pommern 
und der Nachbargebiete herbeigeströmten 
dichten Volksmassen enthusiastisch begrüßt. 
Der vom Kaiser bei dem Paradediner 
in Stettin ausgebrachte Trinkspruch hatte 
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sut Ņme alter Suiuiö. 
Roman von Gustav Höcker. 
„Es ist eine Vorladung, welche den Ein- 
bruchsdicbstahl betrifft," beantwortete er 
Melanie's fragenden Blick. „Wie Sie bereits 
wissen, liebes Fräulein, wurde einer dcr 
Spitzbuben, Namens Rolling, auf den die 
Gendarmen Jagd machten, angeschossen und 
festgenommen. Er leugnet hartnäckig, an dem 
Einbruch bethciligt gewesen zu sei», aber 
das wird ihm nichts helfen. 
„Auch wenn keine anderen Beweise gegen 
ihn vorliegen, als seine auffallende Körper 
größe, die er mit einem der Einbrecher ge 
mein hat?" fragte Melanie. 
„Es sind aber noch andere Beweise vor 
handen," entgegnete Teßner. „Der Mann 
ist der Staatsanwaltschaft durch ein ano 
nymes Schreiben auf's Bestimmteste als 
einer der Thäter bezeichnet worden; als er 
desl;alb verhaftet werden sollte, ergriff cr 
dre Flucht, was ihn nur um so verdächtige: 
machte." 
„Kann ein anonymer Brief wirklich als 
Schuldbeweis dienen?" wandte Felicitas ein, 
während Melanie schwieg. 
„So blindlings verfährt das Gesetz nicht, 
aber der Inhalt des anonymen Brieses hat 
einen sehr wichtigen Schlüssel geliefert, daß 
man den Schuldigen wirklich vor sich hat. 
Als der Bursche mich in jener Nacht fesselte 
und knebelte," wandte Teßner sich wieder 
an Melanie, „hörte ich ihn zu seinem Ge 
nossen sagen, es habe eine Zeit gegeben, 
wo er niich unter seinen Füßen zertreten 
hätte, wäre ich danials so hülflos wie jetzt 
in seine Hände gegeben gewesen. Mir war 
der Sinn dieser Worte dunkel; als mir 
aber der Staatsanwalt auf Grund jenes 
anonymen Briefes den Namen Rölling 
nannte, wußte ich sofort, woran ich war. 
Es war der Name eines Mannes, den ich 
mir in meiner ehemaligen Advokatenpraxis 
zum Todfeinde gemacht habe. Er hatte auch 
ganz die hünenhafte Gestalt des Einbrechers." 
Melanie war blaß geworden. Sie las 
den Inhalt des von Teßner empfangenen 
Papieres durch. Es war eine in bester Form 
abgefaßte, auf einen bestimmten Termin 
lautende Zeugenvorladung vor das Schwur 
gericht. 
„Ich bin mit dm Gesetzen völlig un 
bekannt," sagte Melanie. „Was sind die 
Folgen, wenn man jede Zeugenaussage ver 
weigert ?" 
«Es ist eine, Geldstrafe darauf gesetzt; 
im Unvermögensfalle tritt dafür Haft "ein." 
Melanie schwieg und ward nachdenklich, 
aber in ihrem Gesichte lag ein Ausdruck von 
Entschlossenheit, welcher den Gutsherrn fluch 
ten ließ, sie werde nicht so handeln, wie er 
es in seinem eigenen Interesse wünschen 
mußte. 
„Hier, Fräulein Rettberg, habe ich noch 
etwas für Sic," bemerkte er, das zweite 
Papier, welches er in der Hand behalten, 
emporhaltend. „Es betrifft Ihre und Ihres 
Bruders Erbschaftsaiigelegenheit, die nun 
den Händen eines geschickten Berliner Rechts 
anwalts übergeben werden soll. Er hat ein 
Bollmachtsblankett geschickt; Ihr Brudcr 
hat cs bereits unterzeichnet. Es fehlt nur 
noch an Ihrer Unterschrift, welche Ihr Vor- 
inund gegenzuzeichnen hat. Also wenn ich 
bitten darf!" 
Er breitete die Vollmacht auf Felicitas 
Schreibtische auö und reichte Melanie eine 
eingetauchte Feder, indem er ihr die Stelle 
bezeichnete, wohin sie ihren Namen zu setzen 
hatte. Als dies geschehen war, übergab er 
das Docuinmt Melanie's Bruder, der es 
einsteckte. 
„Ich werde die Vollmacht noch heute in 
die Hände unseres Anwalts legen," rief Ed 
mund mit tnumphirendcn Blicke. „Unsere 
Sache steht gut, Melanie, das kann ich Dir 
sagcn. Wir wollen dem Burschen ein Licht 
aufstecken, daß er sich die Augen reiben soll!" 
Melanie, welche bei diesen Worten ihres 
Bruders in Tcßner's Augen eine schlecht ver 
hehlte Schadenfreude aufblitzen sah, wollte 
etwas entgegnen, als dasDienstmädchen eintrat. 
„Es ist eine alte Frau draußen, Herr Tcß- 
ncr, die mit Ihnen sprechen will," meldete sie. 
„Ich habe jetzt keine Zeit," versetzte der 
Gutsherr kurz, „sie soll wiederkommen." 
„Sie sagt aber, sie müsse Sie sogleich 
sprechen; sie benimmt sich sehr trotzig." 
„Hast Du sie nicht nach ihrem Namen 
gefragt?" 
„Ja freilich; aber sic will mir ihn nicht 
sagen." Halb ärgerlich, halb neugierig ver 
ließ Teßner das Zimmer, von den, Dienst 
mädchen gefolgt. 
Melanie w andre sich nach dieser Unter 
brechung wieder an ihren Bruder. „Ich niuß 
es tadeln, Edmund," bemerkte sie, „daß Du 
von unscrein Prozeßgegner immer nur in 
cynischen Ausdrücken sprichst. Warum diese 
Animosität, wenn der Ausgang zu unseren 
Gunsten so gewiß ist, wie Du sagst? Dcr 
Sieger soll dem Unterliegenden stets Groß- 
nutth bezeigen." 
„Haha!" höhnte Edmund, „Großmuthein m 
Menschen, der im Besitzthum dessen schwelgte, 
was uns gehörte, während wir darbten? Zum 
Bettler werde ich ihn noch machen!" 
„DaS hoffe ich nicht!" verwies ihn Me 
lanie vorwurfsvoll. „Du, Edmund, solltest 
vor allen anderen Menschen wissen, wie schreck 
lich es ist, ein Bettler zu sein. Und warum 
wolltest Du so rücksichtslos gegen einen 
Menschen handeln, welcher von der Unrecht- 
mäßigkeit seines Besitzes wahrscheinlich selbst 
keine Ahnung hat? — Da übrigens die 
Sache nun dem Gericht übergeben werden 
soll, so wäre es wohl an der Zeit, daß ich 
etwas tiefer als bisher eingeweiht würde. Wo 
liegt das Rittergut, auf welches unsere Familie 
Erbansprüche hat, und wer ist der Mann, 
gegen welchen wir den Prozeß führen wollen?" 
„Das soll Dir nicht länger Geheimniß 
bleiben, Schwesterchen," antwortete Edmund 
mit jenem häßlichen Lächeln, wobei die hä 
mische Falte unter seinem Ohre erschien, „das 
Rittergut heißt der Billenhof und dee un 
rechtmäßige Besitzer, gegen welchen wir pro- 
zessircn, nennt sich Baron Wolfgang von 
Sturen." Felicitas, die zugehört hatte, stieß 
einen Schrei ans. Melanie eilte auf sie zu 
und ergriff ihre beiden Hände. „Liebste 
Felicitas," sagte sie, „lassen Sic sich doch 
durch einen abgeschmackten Scherz meines 
Bruders nicht erschrecken." 
Sic lächelte der Freundin erumthigend zu; 
aber das Lächeln verschwand plötzlich, als sie 
im Begriff, ihrem Bruder eine Zurechtweisung 
zu geben, diesem ins Gesicht blickte. Nur 
zu gut kannte sie diesen Zug von Grausam 
keit, der sich um seinen Mund legte, wenn 
er in irgend einer Sache bitteren Ernst machte. 
„Wenn Du glaubst, ich scherze nur," sagte 
er mit eisiger Kälte, ■ „wenn Dir jetzt nicht 
die Augen darüber aufgehen, weshalb Dir 
der Name unseres Gegners bisher wohlweis 
lich verschwiegen worden ist, so frage Herrn 
Teßner. " 
Melanie stürzte auf ihren Bruder zu. „ Nie 
und nimmer werde ich einwilligen," rief sie, 
während ihr Antlitz in dunkler Nöthe stammte, 
„daß der Name Rettberg geschändet werde 
durch eine Handlung der niederträchtigsten 
Undankbarkeit gegen einen Mann, der "mir 
ein hochherziger Wohlthäter und aufopfernder 
Freund war, gegen einen Mann, der für 
meine Ehre mit seinem Leben eintrat und 
Dich vor schimpflicher Zuchthausstrafe rettete! 
Gieb mir die Vollmacht zurück, und wenn 
Du das nicht thust, so wird es Rechtsmittel 
geben, eine Unterschrift für ungültig zu er 
klären, die auf hinterlistige Weise erschlichen 
ist!" 
„Du wußtest, uni was es sich handelte, 
ehe Du die Vollmacht unterzeichnetest," ver 
setzte Edmund ruhig, „und wenn es Dir 
nm nähere Auskunft zu thun war, so hättest 
Du vorher fragen sollen. Im Uebrigen 
würde der Prozeß auch ohne Dich seinen 
Gang gehen. Du bist minderjährig, und 
selbst wenn Du für Deinen Theil von dem 
Prozeß zurücktreten wolltest, so würde dies 
doch nichts gelten, denn die Vormundschaft 
handelt für Dich, und ohne ihre Zustimmung 
kannst Du keinen Verzicht vornehmen. Die 
Vormundschaft aber, das kann ich Dir ver 
sichern, richtet sich Gott sei Dank nicht 
nach dem Gutdünken eines sentimentalen 
Mädchens, sondern nach dem Gesetz:." 
Aus Melanie's Antlitz war plötzlich alles 
Blut gewichen, als sic erkannte, daß sie 
macht- und willenlos sei, den Gang des 
Gesetzes aufzuhalten. „O, mein Gott!" 
preßte sie hervor. Felicitas sah sic wanken
	        
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