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1895.
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Hìàburger M Wochenblatt
Bezugspreis:
Vierteljährlich 2 Ji.—, frei ins Haus geliefert
2 ,/r 15 A,
für Auswärtige, durch Me Post bezogen
' 2 Jļ 25 d)
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Jņsrrtionsprcis: pro Petitzeile 15 Ķ
AelLestes rmd gelesenstes DlatL im Kreise Kerrdsvurg.
Anzeigen für die Tagesnumnrer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
88ster Jahrgang.
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Bei Brļriebsşiiêrnngm
irgend welcher An ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Als Beilagen
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie das
Blatt „Mode und Heim" gratis beigegeben.
3000 Abonnenten.
Wo. 194.
WM-ooch, den 21 August
1895.
Morgen-Depeschen
Berlin, 21. Aug. Eine gestern Abend
in Rixdors stattgesundene starkbesuchte Volks-
Versammlung, in welcher über das Thema
„Der Kampf gegen die Sozialdemokratie
durch die Volksschulen" gesprochen wurde,
ist polizeilich aufgelöst, weil der Re
ferent aus den Werken des Philosophen
Macoulay Citate angeführt hatte, in denen
Friedrich der Große in Gegensatz zu seinem
Vater gestellt wird. Der Gensdarm Donat
unterbrach den Redner, stellte dessen Na
men fest, confiscirte die Broschüre und
löste die Versammlung aus. _ Dieselbe soll
aber am Freitag mit demselben Thema
fortgesetzt werden.
Berlin, 21. Slug. Gestern früh ver
suchte der Malermeister Tonn, welcher bei
Schwindelbauten in der letzten Zeit große
Verluste erlitten hatte, sich aus einem
Fenster seiner Wohnung ans die Straße
zu stürzen. In dem Augenblick kam seine
Frau dazu und packle ihn an beiden
Armen. Tonn schwebte fünf Minuten lang
zwischen Himmel und Erde. Da verließen
die Frau die Kräfte, sie brach aus dein
Balkon ohnmächtig zusammen, während
ihr Mann in die Tiefe stürzte. Er war
sofort todt.
Wiesbaden, 21. Aug. Das „Tagebl."
meldet: Der Generalstabs-Offizier, Jn-
fanterie-Lieutenant Thierry, ist gestern Bor-
mittag auf dem Exerzierplatz dadurch verun
glückt] daß sein Pferd und gleichzeitig zwei
Pferde des nachfolgenden Geschützes stürzten
Der Offizier geriet!) unter die Pferde und
erhielt einen heftigen Hufschlag gegen den
Kops. Er wurde mit zerschmetterler Kinn
lade ins Lazareth gebracht.
Karlsruhe, 21. August. Der 17 Jahre
alte Drechslersohn ArnoldWaldneren wurde,
des Doppelmordes verdächtig, verhaftet
Man fand bei ihm ein blutiges Hemd und
einen ausgewaschenen Anzug. Bei der
Confrotirung mit den Leichen brach er in
lautes Weinen ans und war der That
geständig.
Köln, 21. Aug. In vergangener Nacht
ist, wie die „Köln. Volksztg." meldet, bei
Mehrum am Niederrhein ein Personen
dampfer mit einem Schleppzug zusanimen
gestoßen. Ein Schleppschiff sank, wobei
8 Personen ertrunken sind.
Köln, 20. Aug. Nachdem die Mühl-
heimer Behörde gestern durch öffentlichen
Anschlag die Bürgerschaft aufgefordert hatte,
dem Werftplatze fernzubleiben, außerdem
von Abends 8'/2 Uhr ab die Schifffahrt
den beiden Gesellschaften verboten war, kam
aus der Werft trotz Ansammlung einer
zahlreichen Menschenmenge eine Ans-
schreitung nicht vor. Gegen 11 Uhr indeß
zog eine starke Bande vor das Bürger
meisteramt und skandalirte daselbst, bis ein
starkes Polizeiaufgebot erschien und die
Menge mit blanker Waffe auseinandertrieb.
Wiederum sind zahlreiche Verwundungen
vorgekommen und viele Personen verhaftet
worden. Weitere Ansammlungen vor den
öffentlichen Gebäuden wurden auseinander
getrieben.
Bunzlau, 21. August. Eine gewaltige
Feuersbrunst äscherte auf den Siegersd orfer
Werken zwei bedeutende Ringöfen und
sämmtliche Glasiröfen ein. Der Schaden
ist sehr bedeutend.
Hirschbcrg, 21. August. Auf der Kessel
koppe im Riesengebirge ist gestern der erste
Schnee gefallen.
Konitz, 21. Aug. Ein großes Feuer
hat das Dampfschneidemühl-Etablissement
von Schütt zu Czersk zerstört. Auch das
sehr umfangreiche Bretter- und Holzlager
wurde vernichtet. Der Schaden beträgt
über 200 000 gegen 200 Arbeiter
sind brodlos geworden.
Tilsit, 21. Aug. Zwischen 12 Arbeitern
der Schneidemühle von Slalweit in Labiau,
welche wegen Lohnstreiligkeiten die Arbeit
niedergelegt und aus dem Hofe des Grund
stücks großen Lärm verursacht hatten, und
Polizeibeamten kam es zu einem Zu
sammenstoß, bei welchem ein Gendarm
Feuer gab. Ein Arbeiter wurde sofort
getödtet, zwei andere durch Schüsse sehr-
schwer verletzt. Davon soll einer ebenfalls
bereits gestorben sein.
Breslau, 21. Aug. Heute Vormittag
drangen drei mit Revolvern und Dolchen
bewaffnete Männer gleichzeitig durch die
Vorder- und Flurthür in das am Markte
belegene Bankgeschäft von Poffe & Comp.;
auf den Lärm der Angestellten war Hilfe
zur Stelle. Die Räuber wurden verhaftet
ohne etwas an sich gebracht zu haben.
Dundee, 21. Aug. Hier sind Arbeiter
in den Fabriken, meistens Jutearbeiter, in
den Ausstand getreten und fordern eine
Lohnerhöhung von 10 pCt. Die Fabriken,
die 7000 Personen beschäftigen, sind heute
geschlossen worden.
Wiener - Neustadt, 2t. Aug. Gestern
Nacht kam es anläßlich eines Excesses zu einem
blutigen Kampf zwischen hier garnisoniren
den Dragonern und Polizisten. Beide
Theile kämpften mit blanker Waffe. Schließ
lich unterlagen die Soldaten. Auf beiden
Seiten gab es zahlreiche Verwundungen.
Wien, 21. Aug. Die Fürstin Marie
Louise von Bulgarien hat sich mit der
Prinzessin Clementine und dem Prinzen
Boris zu ihrem Vater, dem Herzog von
Parma, nach Schwarzau begeben. Von
dort reist sie Ende dieser Woche nach
Sofia ab.
Budapest, 21. Aug. Der Ministerrath
hat beschlossen, die noch unerledigten kirchen
politischen Vorlagen dem am 27. August
wieder zusammentretenden Abgeordneten
hause wieder vorzulegen.
Budapest, 20. Aug. Einer Blätter-
meldnng aus Erlau zufolge hat der zur
Waffenübung einberufene Reservist Leopold
Selbstmord verübt, weil er, trotzdem er
schwerkrank und in civilärztliche Behandlung
war, von dem Regimentsarzt Dr. Toffler
zum Dienst angesetzt wurde mit der
Motivirung, daß Leopold's Krankheit
simulirt sei.
Neapel, 21. Aug. Die eruptive Thätig
keit des Vesuvs ist noch in Zunahme be
griffen, sodaß die Einwohner der in der
Nähe liegenden Ortschaften flüchten
mußten.
Paris, 21 Aug. Die letzte Post
bringt aus Madagaskar unbefriedigende
Berichte. Diese beziffern übereinstimmend
den Krankenbestand mit 3800. Zwischen
Metzinger und Düchesne sollen gefährliche
Eifersüchteleien bestehen.
Lemberg, 21. Aug. Im Walde von
Nowa Grobla, unweit Jaroslaw, ist ein
Luftballon mit zwei russischen Stabs-
Offizieren und einem Professor des mete
orologischen Instituts zu Petersburg ge
landet. Der Ballon war angeblich aus
Jwangorow aufgelassen worden. Die In
fassen wurden verhaftet und nach Jaros
law gebracht.
Paris, 20. Aug. In das Hospital
Saint Antoine wurde ein zwölfjähriger
Junge eingeliefert, dem ein unbekannter,
gut gekleideter Mann unter dem Vorgeben,
er sei Arzt und wolle ihm eine kleine
Operation umsonst machen, beideOhren
abgeschnitten hatte. Aehnliche Ver
brechen sind in letzter Zeit mehrfach vor-
gekommen. Der Operateur, anscheinend
ein Wahnsinniger, ergriff nach der That
die Flucht.
Marseille, 21. Aug. Gestern traf der
Dampser „Yangste" mit 150 kranken
französischen Soldaten aus Madagaskar
hier ein.
New-Dork, 21. Aug. In den Carnegie' >
scheu Stahlwerken in Brady (Pennsylvanien)
wurden infolge Berstens eines Hochofens
9 Arbeiter getödtet und 10 verletzt, da
runter 5 lebensgefährlich. Die Ver
unglückten sind, der Werkführer ausge
nommen, sämmtlich Ungarn.
Aâarrd.
Außereuropäische Gebiete.
Denver (Colorado), 20. Aug. Die
Rettungsarbeiten an der Unglücksstätte der
Explosion des Gummeryhotels gehen nur
langsam vorwärts. Siebzehn von den
Vermißten sind als Verletzte zu Tage ge
fördert, zwanzig Todte liegen noch unter
den Trümmern begraben. Die Katastrophe
wird der Nachlässigkeit des Maschinisten
zugeschrieben. Das rapide Umsichgreifen
des Feuers machte erfolgreiche Rettungs
versuche unmöglich. (Wir verweisen auf
das Telegramm in unserer gestrigen Nr.
D. Red.)
Den „größten Verbrecher des
Jahrhunderts" nennen übereinstim
mend amerikanische Zeitungen einen Men
schen, der vor kurzem in Chicago verhaftet
worden ist. Er nannte sich H. H. Hol
m e s, heißt aber eigentlich H. E. Mud
g e t t. Er wurde im Jahre 1861 in Gil-
manton in New-Hampshire geboren, erhielt
eine gute Erziehung und war als Lehrer
an einer dortigen Schule thätig. Später
studirte er Medizin und besuchte die Univer
sitäten zu Burlingtonn und Ann Arbor.
An letzterem Ort begann er seine Ver
brecherlaufbahn, indem er einen anderen
Studenten dazu beredete, sein Leben für
12,500 Dollars zu versichern, die Police
ließ Mudgett sich überschreiben. Mehrere
Monate später wurde in Connecticut eine
Leiche gefunden, die von Mudgett als die
seines Freundes erkannt wurde. Die Ver
sicherungssumme kam darauf zur Ans
zahiung, und wurde von den beiden Ver
sicherungsschwindlern, die eine andere Leiche
unterschoben hatten, getheilt. Bald darauf
ließ sich Mudgett unter dem Namen H. H.
Holmes in Chicago nieder, wo er zahl
reiche Bersicherungsschwindeleien und Morde
verübte. Wie viele Morde er im Ganzen
auf dem Gewissen hat, wird, wenn er nicht
selbst ein Geständniß ablegt, wohl stets
ein Geheimniß bleiben, jedoch ist mit ziem
licher Sicherheit anzunehmen, daß zum
Mindesten ein Dutzend Personen durch ihn
umgebracht worden sind. Darunter be-
rnden sich zwei Schwestern Namens Min'
nie und Annie Williams, eine Mutter
Namens Pearl Conner und ihre Tochter
Gertrude Conner, sein früherer Helfers-
Helfer Benjamin Pitzel nebst dessen Kindern
Alice, Nellie und Howard. Ebenso wird
Holmes für das geheimnißvolle Verschwinden
eines Dr. Rüßler und einer Emily Ci-
grande verantwortlich gemacht, da diese
Personen nachgewiesenermaßen bis kurz vor
ihrem Verschwinden mit Holmes verkehrten.
Nach neuester Mittheilung der Chicagoer
Polizei sind der Liste der Ermordeten
wahrscheinlich noch vier andere Namen zu-
zufügen, und zwar Emily Wamassel, die
vor mehreren Jahren als Kassirerin in
einem Restaurant angestellt war, mit Hol
mes bekannt wurde und am 1. Juni 1892
verschwand; ferner Frau Kate Gorky, ihre
kleine Tochter, sowie die jüngere Schwester
der Frau Gorky, ein deutsches Mädchen,
in welches der Pförtner Quinlan verliebt
war. Frau Gorky, eine Wittwe, führte in
dem Erdgeschoß des Holmes'schen Hauses
eine Wirthschaft, in der Holmes und sein
Pförtner Quinlan ihre Mahlzeiten zu sich
nahmen. Die Frauen bewohnten in dem
selben Hause mehrere Räume und ver
schwanden eines Tages spurlos. Ein wei
teres Opfer scheint ein Mann Namens
Harry Walker aus Greysburg in Indiana
zu sein, der sich, wie seine Freunde be-
haupten, durch Holmes bestimmen ließ, sein
Leben für 10,000 Dollars zu Gunsten von
Holmes zu versichern. Seit 1893, wo er
nach Chicago kam, um für Holmes zu ar-
beiten, fehlt jede Spur von ihm. — Als
das von dem Massenmörder in der Chi
cagoer Vorstadt Englewood bewohnte Haus
näher untersucht wurde, machte man eine
Reihe von unheimlichen Entdeckungen, die
Licht darüber verbreiteten, wie der Mörder
seine Opfer umbrachte und beseitigte. Man
fand geheime Gänge und Gemächer, Ge
wölbe mit stählernen Doppelthüren, zwi
schen welche nach Ansicht der Polizei die
Opfer gelockt wurden, um dann durch Hol
mes mittelst eines chemischen Präparates,
das er zwischen die Thüren goß und das
die in dem beengten Raum eingeschlossene
Luft in wenigen Sekunden vergiftete, er
stickt zu werden. Im Keller stieß man auf
einen Behälter von Cedernholz, der ca. 3
Meter breit und 5 Meter hoch und theil-
weise mit einer eigenthümlichen Flüssigkeit
gefüllt war. Von den Seiten des Behäl-
lers liefen zahlreiche Röhrchen aus, deren
Enden mit Leinwand fest umwickelt waren.
24)
Ziil !8l>m niter Elhalîl.
Roman von Gustav Höcker.
Unter den Gästen, welche das elegante
Gaunerthum repräsentirten. befand sich auch
einer unserer Bekannten. Nichts Geringeres
als Champagner war es, womit cr seine
Genossen bewirthete, denn von so selbstsüchti
gem Charakter er auch sonst war, so hielt
er es doch unter seines Gleichen mit dem
Grundsätze: „Leben und leben lassen", und
gönnte ihnen gern einen Antheil an dem
Hundertmarkschein, welchen er heute erst aus
Maitland's freigebiger Hand empfangen hatte.
„Guten Abend, Herr Assessor von Mal
ten," tönte plötzlich eine Stimme hinter ihm
und eine Hand legte sich ans seine Schulter,
„wann treten Sie Ihre große Reise über's
Meer an?" Ueberrascht blickte sich Rettberg
nach dem Sprecher um, der eben erst von
der Straße eingetreten war. Es war ein
rüstiger, sehr groß und kräftig gebauter
Fünfziger mit mächtigem, grau mclirtcm
Lollbarte und ebensolchem Haar, welches zu
beiden Seiten über dem Ohre hcrvorgekämmt
und nach den Schläfen zu sorgfältig gedreht
war Das Auqcnpaar unter den buschigen
Brauen blickte durch eine bläuliche Brille
mit schelmischem Ausdruck auf den Angerede
ten herab. Der graue Filzhu, der helle,
zurückgeschlagene Sommernberzieher und die
darunter sichtbare Kleidung waren von fem-
ş EiPaunt und betroffen starrte Rettberg den
Fremden an, der sich über Dinge, um ie
nur seine nächsten Vertrauten wußten, so
wohl unterrichtet gezeigt hatte. -
Ta warf der alte Herr semen -V-'i ans
dm nächsten Tisch, nahm die melirte Perrücke
vom Kopfe, steckte die blaue Brille in die
Tasche, riß die buschigen Brauen und den
gewaltigen Vollbart ab, und indem er plötz
lich mil knrzgeschnittenem, dunkeln Haar und
barllosem Gesicht dastand, glich er genau
jenem hühnenhaften Mann, den unlängst der
Baron von Sturen im Hinterstübchen Fricd-
l ander's im Gespräch mit diesem angetroffen
hatte.
„Der „Ulan!" ging ein allgemeines Mur
meln durch das Zimmer, in welchem sich
derartige Metamorphosen sehr häufig abspielten.
„Ein schwerer Junge!" raunte „Aalauge"
dem „Burggrafen" in der Gaunersprache zu.
welche unter diesen Bedingungen Einen ver
steht, der nur schwere Diebstähle begeht.
Der Burggraf nickte. „Wird wieder ein
mal eine Aske (Diebstahlsgelegenheit) aus
baldowert (ausgekundschaftet) haben."
Rölling oder der „Ulan", wie er hier
hieß, ließ sich an dem leeren Tische nieder,
nuf welchen er vorhin seinen Hut geworfen
halte. Ein anderer, welcher mit ihm zugleich
eingetreten war und einen jener ledernen
asten in der Hand trug, wie man sic bei
^>ausn-ern sieht, nahm ihni gegenüber Platz.
hu e . Inc • neuc Charaktcrmaske?" fragte
e erg, indem er sich neben Rölling setzte
" cf ne , 1 . teuc Nasche Champagner bestellte.
antwortete liebt die Abwechselung,"
tönenden Organs " tiefcn '
"W.° kommst Du her?"
haben 'answà (-ÄZ^ koimnen wir;
anen Blick auf fern Gegenüber E« ist
,»« >>», ich Dich D.i„„'M„Z
noch einmal treffe. Ei, sieh' da, mit Sekt
feierst Du Deinen Abschied, mein Junge?
Na, Prosit! Auf Dein Wohlergehen in der
neuen Welt!" Rettberg lächelte schlau. „Das
Programm hat eine Aenderung erfahren,"
entgegnete er und erzählte, was sich heute
zwischen ihnl und Maitland zugetragen hatte.
Auch der Inhalt der zweiten Unterredung,
zu welcher er sich bei demselben noch einmal
gegen Abend eingefunden, theilte er seinem
vertranten Freunde mit. Danach war be-
'tinimt worden, daß Rettberg morgen früh
mit dem Baron von Sturen, ganz wie dieser
es angeordnet, nach Bremerhaven reisen
olltc, um dort auf dem Schiffe die ihm
versprochene Adresse seiner Schwester in
Empfang zu nehmen. Da der Dampfer-
Southampton anlief, so sollte er von dort
aus die Adresse an Mailland' telegraphiren
und anstatt die Reise nach New-Hork fort
zusetzen, wieder nach Berlin zurückkehren.
Während Rölling zuhörte, verfinsterten sich
seine Mienen mehr und mehr.
„Mir gefällt der Handel nicht, mein
Junge," bemerkte er. „Wäre ich an Deiner
Stclle, so würde ich mich lieber an den
Anderen halten, den Baron von Sturen.
Der scheint's mit Dir und Deiner Schwester
am ehrlichsten zu meinen. Folge ihm, mein
Junge."
„Was soll ich >n Amerika?" versetzte
Rettberg mißmuthig. „Man wird mich dort
in irgend ein Comptoir stecken, und zur
Arbeit bin ich verdorben."
„Es gab eine Zeit," sagte Rölling bitter,
„wo ich froh gewesen wäre, Arbeit zu be
kommen, um mich ehrlich durchzuschlagen.
Du läßt dich von den, Schlaraffenleben
locken, das dieser Mailland Dir verspricht,
aber wer bürgt Dir dafür, daß er sein
Wort hält, wenn cr seinen Zweck erreicht
hat?"
„Oh, er ist ein verdammt nobler Herr!"
versicherte Rettberg.
„Er ist ein größerer Schurke als irgend
einer von uns!" fuhr der Ulan auf. „Wir
nchlnen andrer Leute Geld oder sonstigen
Trödel, dieser Teufel aber will einem armen,
lieben Mädchen Tugend und Unschuld rau
be». Und Du, mein Junge — nimm mir's
nicht übel, aber von einem Burschen, der
einc so gute Erziehung genossen hat, wie
Du, sollte man doch nicht meinen, daß cr
seine Schwester verschachern würde. Das
Moralisiren mag mir schlecht genug an
stehen, aber in diesem Punkte hätte ich doch
mehr Ehre im Leibe! Donner und Hagel!"
rief er, das vor ihm stehende Glas Cham
pagner ergreifend, „jeder Tropfen, dm ich
noch von diesem Gesöff trinke, das doch
nur mit Deinem Jndasgclde erkauft ist, soll
zu Gift werden!"
Damit schmetterte er das halbvolle Glas
auf den Boden, daß die Splitter hoch um
hersprangen.
Rettberg wagte nichts zu entgegnen, denn
er halte einen gewissen Respekt vor seinem
älteren Freunde. Es stak etwas von einem
edlen Kerne in diesem entschlossenen Ver
brecher, der seinem Wesen etwas Geheimniß
volles gab, wovon sich selbst die Verwor
fensten seiner Handwcrksgenossen seltsam an
gezogen fühlten.
„Warum hast Du dm Kerl, als er Dir
heute den Wechsel zeigte nicht an der Gur
gel gepackt und ihm den Wisch aus der
Hand gerissen?" fragte Rölling »ach einer
Weile.
„Wmn's mißlang, so wäre ich nur um
ö schlimmer daran gewesen," wandte Rett-
ierg ein, „und Aussicht auf Erfolg hatte
ich nicht, denn Maitland ist mir weit über
legen."
„Hm!" machte der Andere, „wenn wir
den Wechsel»nd das andere Papier, das
Du einfältiger Weise unterzeichnet hast, be
kommen könnten, so iväre der ganze un
saubere Handel zu Ende. Wo hat er die
beiden Wische verwahrt?"
„In einer Brieftasche, die er wahrschein
lich immer bei sich zu tragen pflegt," ant
wortete Rettberg lebhaft. „Sic ist mit
Schlangenhaut überzogen.,,
„Kenne die neumodischen Dinger," nickte
der Ulan, „habe dergleichen in einem Luxus-
lade» in der Kaiserpassage gesehen."
„Höre Rölling!" sagte Rettberg in be
schwörendem Tone und legte seine Hand
auf dessen Arm, „wenn es Jemandm giebt,
der mir zu den Papieren verhelfen könnte,
so bist Du der Mann. Eine Gelegenheit,
ihn um die Brieftasche zu erleichtern, wür
dest Du bald ausfindig gemacht haben."
„Was glaubst Du von mir?" entgegnete
der Ulan verächtlich. „Bin ich etwa ein
Seifensieder (Taschendieb)? Da mußt Du
Dich an den „bunten Karl" dort wenden,"
setzte er hinzu und deutete mit einer leichten
Kopfbewegnng nach einem jungen Manne,
welcher, ein goldenes Pmcenez auf der
Nase, selbstgefällig die Enden seines schwar
zen Schnurrbartes drehte und einen eleganten
dunkelblauen Kammgarnanzug nebst bunt
farbiger Kravatle trug. „Wenn aber dabei
sonst Nichts zu verdienen ist, so thut der'S
auch nicht."
(Fortsetzung folgt.)