Erscheint täglich.
Aark
srerth
orrath!
“SS
oderner
r junge
Zugleich
ich am
Hotel
Maaß-
Ansicht.
ncT
eu o er
st nach
r Aus.
löer,
i I.
einen
öse.
cu wir
»„zahl
»mäßig
'mittäg
ig und
Preise
1 ein-
ahrgeld
:rke
ovinz.
n auf-
lng.^
> soforL
gesucht.
167.
nietherr-
cin die
3
5. Juli,
-burger
then.
55^
ttcr
ant,
33.
itng
iisthür..
? 73.
der
e und-
194.
ze,
»er 2c_
izt die
an ein
187.
ie oder
inheres
L5
che»
früher,
613.
h. steht
>rt oder
:e IS.
uug
Näheres
Per.
liumigen
üchlichen
lhsrei.
inks.
str. 23.
ct.
1 Stuben
erfragen
sie 9. _
hengelaß.
str. 1.
d.
istedt.
Bezugspreis:
Vierteljährlich - Ji-—, frei ins Haus geliefert
2 Ji 15 ,S,
für Auswärtige, durch die Post bezogen
2 Ji 25 <&
ine!. Poftprovifion :c., jedoch ohne Bestellgeld.
ÄnserrionsprciS: pro Pctitzeilc 15
Mo. 153.
Morpep-Tepcschkn.
Berlin, 3. Juli. Der „Reichsanz?'
veröffentlicht die Verordnung vom 25.
Mai 1894 wegen Erhebung eines Zollzu
schlags für aus Spanien und den spanischen
Kolonien kommende Waaren.
Köln, 3. Juli. Die „Köln. Ztg."
schreibt zu der Nachricht über die Er
krankung des Fürsten Bismarck, seit dem
Hinscheiden seiner Gattin hätten sich häufig
bei dem Fürsten Stunden eingestellt, in
denen er geistig sehr niedergeschlagen ge
wesen. Die Feier seines 80. Geburts
tages sowie die vielfachen Empfänge hätten
dazu beigetragen, den Fürsten geistig zu
beichäsligen und in lebendige Berührung
mit den Massen zu bringen, während die
kurz vor der Eröffnung des Nordostsee-
kanals begonnene lebhafte schriftstellerische
Thätigkeit nicht dazu angethan war, den
Zustand des Fürsten günstig zn beeinflussen.
Einzelne Artikel zeigten eine krankhafte
Gereiztheit, die man bei ihrer Beurthei
lung nicht übersehen dürfe. Unterrichtete
Kreise versichern, es werde wieder eine
Besserung im Befinden des Fürsten ein
greifen; es sei nur die größte Schonung
nothwendig.
Leipzig, 3. Juli. Als Zeugen in der
Verhandlung gegen den der Spionage an-
geklagten Kohlenhändler Andre Hanne aus
Montigny, welche am 8. Juli vor dem
Reichsgericht in Leipzig stattfindet, sind ge-
laden: August Fosset-Noveant, angestellt
bei der Zeitung Le Messin in Metz, Be
nedict Dreyfuß, Sekretariatsgehülfe bei der
Kaiserlichen Staatsanwaltschaft in Metz,
und Eigenthümer Deravelle -aus Montigny.
Wien, 3. Juli. Ein siebenzehnjähriger
Zögling der hiesigen Kadettenschule, Namens
August von Molnar, erschoß sich mit seinem
Dienstgewehr aus Furcht, daß er die
Prüfung nicht bestehen werde.
Wien, 3. Juli. Ein in der verflossenen
Nacht hier niedergegangenes, von Hagel
schlag begleitetes Unwetter richtete in den
nordwestlichen Vororten von Wien be
trächtlichen Schaden, namentlich in den
Nebenanpflanzungen, an. Zahlreiche
Fensterscheiben wurden zertrümmert. Das
Wasser drang vielfach in die Keller- und
Souterrainräumlichkeiten ein.
Rom, 3. Juli. In den nächsten Tagen
wird das angekündigte Amnestiedekret er
scheinen, dasselbe wird alle Preßvergehen
und Majestätsbeleidigungen umfassen.
Spezia, 3. Juli. An Bord des Torpedo,
bootes „Aquila" explodirte heute wäh-
Aettestes und grlesenstes Klatt im Kreise Rendsburg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
-Ģ 88ster Jahrgang.
Aonnerstag, den 4 Juli
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalte».
Als Beilagen
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie das
Blatt „Mode und Heim" gratis beigegeben.
SVVÄ Abomrcttten.
rend einer Versuchsfahrt in der Nähe von
Mo Maggiore der Dampfkessel. Zwei
Mann wurden getödtet. Ein Offizier, der
Oberingenieur und einige Matrosen wurden
verwundet.
Tabor, 3. Juli. Heute früh sand in
der Nähe des hiesigen Bahnhofs ein Zu-
a m m e n st o ß der nach Pisek und nach
Prag verkehrenden Personenzüge
statt. Hierbei wurden 4 Personen schwer
und 9 Personen leicht verletzt.
Marseille, 3. Juli. 600 Arbeiter der
großen Seidenspinnerei in La Patiniese
ind in den Streik eingetreten; sie ver-
langen die Ausweisung der italienischen
Arbeiter. Unweit Chancery kam es zwi
schen Franzosen und Italienern zu blutigen
Streitigkeiten; ein Italiener wurde dabei
getödtet, mehrere verwundet.
Sofia, 3. Juli. Das Organ der uni-
onistischen Minister „Progreß" hofft, daß
die bulgarische Abordnung und der Metro
polit Clemont mit denselben freundschaft-
lichen Gefühlen in Rußland empfangen
werden, mit denen sie ausgegangen seien.
Rußland möge die ihm dargebotene Hand
Bulgariens nicht zurückweisen.
Belgrad, 3. Juli. Die Blätter fordern
anläßlich der macedonischen Vorgänge die
Armirung der Festungswerke von Nisch
und Pirot und schleunigste Anschaffung des
fehlenden schweren Geschützes. — Zwei
höhere serbische Offiziere haben sich in be
soliderer militärischer Mission nach Konstanti
nopel begeben.
Konstautinopcl, 3. Juli. Die Lage
an der bulgarischen Grenze erregt unge
achter der Beruhigungsnachrichten wegen
der Nähe der gegenseitigen Truppen Be
sorgnisse.
Konstantinopel, 2. Juli. Auf den in der
Nähe der Guineaküste gelegenen Prinzen
inseln' hat ein Erdbeben stattgefunden.
Dublin, 3. Juli. Ein Arbeiter fand
auf der Straße eine Blechbüchse; als
er den Deckel zu entfernen versuchte, ex-
p l o d i r t e die Büchse. Die Kleider des
Arbeiters wurden von Schrotschüssen durch
löchert; ein Mann ist getödtet worden.
Madrid, 3. Juli. Eine Depesche aus
Cuba meldet: Major Chabran, an der
Spitze won 240 Mann, schlug bei Castillo
und Chayas eine Bande von 500 Auf
ständischen und erbeutete 47 Pferde. —
Das Kanonenboot „Magallenes" landete
an der -Küste von Moravi eine Compagnie,
die eine Bande von 400 Mann schlug und
zahlreiche Aufständische verwundete.
Außereuropäische Gebiete.
Im Manjemagcbiet soll nach einer Mel
dung des „Deutschen Kolonialblattes" aus
Bukoba der Händler Stockes westlich von
Ruanda überfallen, gefangen und ermordet
worden sein. Er soll an Elfenbein 700
Zähne bei sich geführt haben, die den
Räubern in die Hände gefallen sein sollen.
Bei Natacchi hat eine Schlacht stattge-
stinden, in welcher dreihundert Soldaten,
die zu dem Regimente des Bischofs Schu-
maker gehörten, getödtet wurden. Die
Regierungstruppen räumten sodann die
Stadt und zogen sich, von den Insurgenten
verfolgt, nach Quioto zurück.
Für den bedauerlichen Zustand der Ver
kehrsmittel und Verkehrswege Chinas spricht
folgende Thatsache. Am 8. December
vorigen Jahres wurden 3000 Stück Mann
licher Gewehre nebst den dazu gehörigen
60 000 Patronen von Canton aus auf
dem Landwege nach Tientsin geschickt. Sie
langten dort aber erst am 2. d. M., also
nach säst vollen fünf Monaten an,
und doch soll dies, wie es heißt, ein „Re
cord"-Waarentransport zwischen Canton
und Tientsin gewesen sein.
Aus Majunga meldet das „B. T."
Die Aufständischen in Trabonje und
Ambato haben sich ohne Kampf zurückge
zogen. General Duchesne dürste am 15
August in Antananarivo eintreffen. Der
Kämpf in der Provinz Bouni ist beendet.
Der Gesundheitszustand des Expeditions
korps ist gut.
Eine furchtbare Tragödie hat sich in
Louisville-Kentucky ereignet. Der Farmer
Rhodes, der aus dem Gefängniß entlassen
wurde, erschoß zwei Farmer, die gegen
ihn gezeugt hatten. Dann begab er sich
mit seiner Geliebten zu einem Trinkgelage.
Als Beide heute früh von demselben beim-
kehrten, wurden sie aus dem Hinterhalt
durch die Köpfe geschossen und sofort ge
tödtet.
Frankreich.
Paris, 3. Juli. Die Ursache des
Brandes in der Militair-Effecten-Fabrik ist
nunmehr ermittelt: Ein Arbeiter vergaß,
den Gashahn bei einem Bügeleisen abzu
drehen. Als er die Wcrkstätte verlassen
hatte, wurde das Bügeleisen glühend, ent-
zündete den Kautschuckschlauch, «nd das
ausströmende Gas steckte zunächst die
in der Nähe liegenden Gegenstände in
Brand.
Paris, 3. Juli. Der Kriegsminister
hat aus Madagaskar ein Telegramm er-
halten, das zeigt, daß der Dampfer „Notre-
Dame du Salut" von Modjauga mit 247
Soldaten und 5 Offizieren des
Expeditionskorps in See gegangen ist, die
wegen Krankheit in die Heimath
zurückbefördert werden. Hiervon
ind 89 bettlägrig und 158 Reconvales-
centcn. Unter den kranken Offizieren be-
findet sich ein Marine-Artilleriehauptmann
und ein Stabsarzt. In Nossi-Be nimmt
das Schiff noch 60 Kranke aus dem dorti
gen Sanatorium auf. Es legt in Obock,
Algier, Toulon und Marseille an.
Paris, 2. Juli. Im Prozesse der Erben
der Gräfin Civry, der morganatischen
Gemahlin des Herzogs von Braunschweig,
gegen die Stadt Gens entschied der Cassa
tionshof in letzter Instanz zu Gunsten
der Civri'schen Erben, denen die
Stadt Genf nun einen großen Theil des
Vermächtnisses im Betrage von einigen
Millionen ausfolgen muß. Der Prozeß
dauerte etwa zehn Jahre.
statten.
Drei Aussehen erregende Verhafi
tungen werden aus Rom gemeldet. Dort
nahm die römische Polizei den Professor
Evaristo Alegiani, Archivar der Biblioteea
Casanatense, fest. Professor Alegiani wird
beschuldigt, einem Banquier einen Wechsel
mit der gefälschten Unterschrift seiner
Mutter, welche in zweiter Ehe die Gattin
eines Bruders des verstorbenen Cardinals
Antonelli ist, zum Discontiren angeboten
zu haben. Prof. Alegiani soll auch Mit
schuldiger der unlängst gleichfalls wegen
Wechselsälschung festgenommenen Lebemänner
Nicoletti Parpagnoli und De Angelis sein
Unter derselben Anschuldigung wurde ferner
die Sängerin Lina Bonheur-Parpagnoii
verhaftet. An demselben Tage nahm die
Polizei noch eine dritte sensationelle Ber
Haftung vor. Ein gewifier Bellusci wurde
als er aus Monte-Carlo heimkehrte, au:
dem Bahnhöfe festgenommen und in's Ge
fängniß gebracht. Eine Halbweltdame
hatte ihm in Monte-Carlo 30 000 Lire
anvertraut, die er einem in Neapel leben
den Grasen überbringen sollte. Bellusci
wird beschuldigt, das Geld unterschlagen
zu haben.
In Palermo fochten der Schlächter
Crimondo und der Schuster Palaz
zolo, zwei berüchtigte Mitglieder der
Maffia, nach vorhergegangener Heraus
fordernng ein Messerduell aus. Wäh
rend des Kampfes drängte sich der Sohn
ralazzolo's zu den Kämpfenden hin und
fieß dem Schlächter hinterrücks sein Messer
in den Leib. Crimondo stürzte sterbend
zusammen, und Palazzolo warf noch höh-
nend sein Messer nach dem Gefallenen.
In demselben Augenblick aber brach er,
von einem furchtbaren Beilhiebe getroffen,
todt zusammen. Crimondo's Neffe, der
hinzugeeilt war, um seinen Oheim zu
rächen, hatte den Hieb geführt. Beide
Mörder sind flüchtig und werden sich nun
voraussichtlich ganz dem Brigantenleben
hingeben.
Aus Furcht vor der Gattin ins
Gefängniß gekommen ist kürzlich ein Mai
länder Pantoffelheld. Der Kasus würde
zum Lachen reizen, wenn er nicht so ernste
Folgen gehabt hätte Herr Soncini ist
der glückliche Gatte einer niedlichen Frau,
die ihren Herrn Gemahl jedoch an exem
plarische Pünktlichkeit gewöhnt hat. Punkt
7 Uhr Abends mußte Soncini zu Hanse
sein. An einem der letzten Abende hatte
er jedoch etwas stark gekneipt und kam
erst — man bedenke! — um 9 Uhr nach
Hause. Um das heraufziehende Unwetter
zu beschwören, griff der biedere Bürger
zu einem heroischen Mittel. Er erzählte
der schaudernden Gattin, daß er auf dem
Heimwege von vier Räubern überfallen,
seiner Werlhpapiere und Kostbarkeiten
beraubt und mit Mühe und Noth dem
sicheren Tode entgangen sei. Um seiner
romantischen Erzählung noch mehr Nach
druck zu verleihen, hielt er es für ange-
bracht, sie auch einem Polizisten gegenüber
zu wiederholen und sogar eine bestimmte
Persönlichkeit als einen von den vier
Räubern zu bezeichnen. Das war sein
Verderben! Die Polizei brachte bald her-
aus, daß Alles eitel Wind sei, und steckte
den verblüfften Pantoffelheld — der, neben
bei bemerkt, einer der reichsten und be
kanntesten Bürger Mailands ist — wegen
wissentlich falscher Angabe ins Gefängniß.
Möge ihn der strafende Arm der Gerech
tigkeit nicht zu schwer treffen!
Spanien.
Skandalöse Vorfälle sind in Barcelona
an's Licht gekommen. Die dortige Polizei
entdeckte zahlreiche Lasterhöhlen in
welchen sich Mädchen von sechs bis zu
vierzehn Jahren befanden. Viele Herren
aus den vornehmsten Kreisen Barcelonas
sind schwer cvmpromittirt; einige haben sich
ihrer bevorstehenden Verhaftung durch die
Flucht entzogen. Bis jetzt wurden nur
9)
tober
ibefjör an
An der MMrOrtc.
Roman von Rcinhold Ortmann.
„Ihr Bruder hat seine Studien also in
Zürich betrieben?"
„Ja! — Er war dahin geflohen! als
er die harte Behandlung im Hause unseres
Vormundes nicht mehr ertragen konnte.
O, Sie würden ihn milder beurtheilen,
Herr Doktor, wenn sie müßten, was er
trotz seiner Jugend schon hat erdulden
müssen. Wir sind von deutscher Herkunft,
aber in Rußland geboren, wo mein Vater
als protestantischer Geistlicher in den Ostsee-
provinzen thätig war. Unsere erste Kindheit
war sehr glücklich; aber ich war erst acht
Jahre alt, als das schreckliche Verhängniß
über uns hereinbrach. Bei Nacht und Nebel
wurde mein unglücklicher Vater verhaftet.
Er sollte sich in seinen _ Predigten einer
Aufreizung zum Ungehorsam gegen die
russische Obrigkeit schuldig gemacht haben,
und obwohl er eine solche Anschuldiduug
mit Entrüstung zurückwies, hat er doch daö
-Licht der Freiheit nimmer wiedergesehen.
Acht Monate lang schmachtete er int
Ģefängnis, dann wurde ihm das Urtheil
gesprochen, das auf Verschickung nach
Sibirien lautete. Meine arme Mutter bol
alles auf, was in ihren schwachen Kräften
stand, um das furchtbare Schiksat von ihni
abzuwenden. Sie warf sich den Macht
habern z„ Füßen und beschwor unter
heißen Thränen die Unschuld des Gefangenen.
Aber cs war alles umsonst. Falsche Zeugen
hatten gegen ihn ausgesagt, und man wies
ihr, als sie unermüdlich blieb in ihren
Bitten, übbernll mit rohen Worten die
Thür. Nicht einmal ein Abschied von den
Seiner wurde meinem Vater gestattet
Seine -Gattin erfuhr von der erfolgten
Verschickung erst, als schon ungezählte
Meilen zwischen ihm und uns lagen. Von
diesem Augenblick an verfiel sie in tiefe,
unheilbare Melancholie. Alle ihre Gedanken
waren mtr noch bei dem Verbannten, und
sie hörte nicht mehr auf um ihn zu weinen.
Unter solchen Eindrücken vergingen uns die
Jahre, die -für andere Kinder die schönsten
und sorglosesten ihres Lebens sind. Mein
Bruder, ' der nur um dreizehn Monate
älter ist als ich und der die Mutter mit
schwärmerischer, fast abgöttischer Zärtlichkeit
liebte, verlor die fröhliche Unbefangenheit
der Jugend in einem Alter, das sonst den
Ernst des Lebens kaum vom Hörensagen
kennt. Er wurde damals zn einem ver
düsterten, von unkindlichen Rachegelüsten er
füllten Knaben, und die Strafen, die seine
Lehrer wegen mancher unbedachten Aeußerung
über ihn verhängen wußten, niachten ihn
nur noch finsterer und verstockter. Dann
kam die Nachricht von dem Tode meines
Bakers, zugleich mit einem Briefe, den er
wenige Siunden vor seinem Ableben ge
schrieben. Der gemüthskranken Mutter
sollte die Unglücksbotschaft verheimlicht
werden, aber ein verhängnisvoller Zufall
spielte ihr jenen Abschiedsbrief in die Hände,
und man fand sie sterbend, denn sie hatte sich
mit einer kleinen scharfen Stickschcerc die Puls
adern zerschnitten. Verwaist und verlassen
standen wir Kinder da."
Sic halte sich bemüht, ruhig zu bleiben,
aber ihre Brust hob und senkte sich nun doch
in stürmischen Athemzügen und ihre thränen
feuchten Augen glänzten fast unnatürlich
groß in dem marmorweißcn Antlitz. In
tiefster Seele erschüttert, reichte ihr Leopold,
einem unwiderstehlichen Antriebe folgend,
seine Hand.
„Sie haben Furchtbares erleben müssen,
mein Fräulein! — Verzeihen Sic mir,
wenn ich vorhin gegen meinen Willen un
freundlich gegen Sie gewesen bin."
Helene nahm seine Hand, aber sie schüttelte
zugleich abwehrend das Köpfchen.
„Ich habe Ihnen nichts zit verzeihen, denn
ich weiß wohl, daß Sie nicht anders urtheilen
konnten als Sie es gethan. Aber die
Leidensgeschichte meines Bruders ist noch
nicht zu Ende. Ein entfernter Verwandter
meines Vaters, ein höherer Beamter im
russischen Staatsdienst, der schon früher zu
unserem Vormund bestellt worden war, nahm
uns in sein Haus. Auch er war seiner
Abstammung nach ein Deutscher; aber er
strebte nach Auszeichnungen und hohen
Aemtern — darum schämte er si ch seines
Ursprungs und war ein fanatischer Anhänger
der panslavistischen Richtung. Für meinen
Bruder, der zu stolz war, seine Gesinnung
zu verheimlichen, begann-n unter der Zucht
dieses Vormundes wahrhaft entsetzliche Leidens
jahre. Denn je grausamer die Faust des
herzlosen Mannes auf ihn lag, desto wilder
und ungestümer beugte er sich auf gegen den
Zwang, der ihn an Leib und Seele knechten
wollte. Mit neunzehn Jahren entfloh er
der unerträglichen Sklaverei und wandte sich,
von einem wohlhabenden Freunde mit
einigen Mitteln versehen, noch der Schweiz,
um in Zürich seine eben begonnenen
Studien fortzusetzen. In zahlreichen Briefen,
von denen bei der strengen Aufsicht des
Vormundes allerdings nur wenige in meine
meine Hände gelangten, beschwor er mich,
ihm dorthin zu folgen. Länger als ein
Jahr widerstand ich der Versuchung, obwohl
ich unsäglich unter der Trennnug von Arnold
litt. Dann aber, als der Vormund eines
Tages in meiner Gegenwart mit brutalen
Worten das Andenken meines unglücklichen
Vaters beschimpfte, duldete es auch mich
nicht länger in dem verhaßten Hanse, und
ich entschloß mich zur Flucht. Wir waren
beinahe mittellos und fristeten unser Leben
kümmerlich dadurch, daß ich Handarbeiten
anfertigte und Musikuntericht ertheilte, während
mein Bruder hier und da kleine, schlecht be
zahlte Aussätze für Zeitungen schrieb. Als
er vollsährig geworden war, wurde ihm
jedoch sein elterliches Erbtheil auf Heller und
Pfennig ausbezahlt, und unser Vormund,
der bei alledem ein streng reeller Mann war,
ließ uns auch das Wenige, das von der
Einrichtung unseres Elternhauses noch vor
handen war, nach Zürich senden. Wir hätten
jetzt ganz glücklich sein können, wenn mein
Bruder im Stande gewesen wäre, den Haß
gegen die Gewalthaber zu ersticken, der schon
von den Knabenjahren her in seinem Herzen
glimmte. Aber die Freunde, die sich an
ihn gehängt hatten, waren nur darauf
bedacht, diesen Haß zu schüren, denn sie alle
betrachteten sich als Feinde der bestehenden
Ordnung, und sahen den Kampf gegen die
Gesellschaft als die eigentliche Aufgabe ihres
Lebens an. Was vermochten da meine
Bemühungen gegen einen solchen Einfluß!
Mehr als einmal war ich nahe daran, mich
von ihm zu trennen; aber feine flehentlichen
Bitten bewogen mich jedesmal, den Gedanken
wieder aufzugeben; und dann hoffte ich ja
auch noch immer, daß cs mir gelingen werde,
ihn wenigstens vor vcrhängnißvollcn Schritte"
zurückzuhalten, wie sie schon manchen seiner
Gesinnungsgenossen ins Unglück gebracht-
Meine Hoffnung wuchs, als er mir vor
einigen Wochen ganz unerwartet mittheilte,
daß er sich entschlossen habe, nach Deutsch
land überzusiedeln, denn ich wähnte daß
Alles gut werden würde, wenn er nur erst
dem Einfluß seiner Freunde entzogen sei.
Der gestrige Abend hat mir bewiesen, wie
schwer ich mich darin getäuscht habe. Als
er blutüberströmt und halb ohnmächtig nach
Hause kam, theilte er mir in kurzen, abge
rissenen Worten mit, was sich zugetragen.
Wenn man seinen Aufenthalt jetzt entdeckt
und wenn ihm die erste entehrende Bestrafung
zu Theil wird, so ist er ans immer verloren.
Denn nachher wird nichts mehr im Stande
sein, seinen glühenden Haß zu ersticken.
Begreifen Sic nun, Herr Doktor, warum ich
Sie so flehentlich bat, ihn nicht zu verrathen,
und warum ich thöricht genug war, noch
darüber hinatts auf Ihre Hülfe zu hoffen?"
„Es war keine Thorheit, Fräulein Randolfi,
und Sie sollen sich in mir nicht getäuscht
haben. Ich glaube, der bürgerlichen Gesell
schaft besser zu dienen, >venn ich versuche,
Ihren Bruder zu bekehren, als wenn ich
ihn seinen Richtern ausliefere. Zählen Sic
auf mich wie auf einen Freund."
„Helene!" rief in diesem Augenblick die
Stimme des Verwundeten aus dem Neben
zimmer, und so tonnte sie Leopold nur noch
mit einem warm beredten Blick für seine
hochherzige Zusage danken. Dann traten
sie beide bei dem Kranken ein, und es ent
ging dem Arzt nicht, mit einem wie scharfen,
mißtrauischen Blick ihn Arnolds dunkle
Augen musterten. Aber er gab sich den