Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 2)

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88ster Jahrgang. 
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Wo. 180. 
Montag, den 5. August 
1895. 
Morgen Depeschen 
Berlin, 3. Aug. Die plötzliche Aende 
rung iņ den Reisedispositionen der Kaiserin 
beruht, wie die „B. N. N." erfahren, 
darauf, daß die jüngeren Königlichen Kin 
der aus Rügen an den Windpocken leicht er 
ļrankt sind. Aus diesem Grunde begibt 
sich die Kaiserin mit den beiden ältesten 
Prinzen nach Wilhelmshöhe. . 
Berlin, 3. Aug. Bei der heutigen Uni- 
versftätsfeier wurde es auffällig bemerkt, 
daß sich Minister von Bötticher in verbind- 
lichster Fvrni längere Zeit mit Geh. Rath 
Virchow unterhielt, den er aus dem Zug 
des akademischen Senats zu sich entboten 
hatte. 
Berlin, 3. Aug. Die „Nordd. Mg. 
Zig." bestätigt, daß der hiesige großbri- 
tannische Botschafter, Sir Edward Malet, 
um Enthebung von diesem Posten nachge 
sucht hat E und in kurzer Zeit aus dem 
aktiven Dienst der englischen Diplomatie 
ausscheiden wird. Wie das offiziöse Blatt 
hört, haben keinerlei politische Gründe den 
Rücktritt des Botschafters veranlaßt. 
Berlin, 3. Aug. Der erste Sekretär an 
der hiesigen türkischen Botschaft, Astaf 
Sadulla Bey, hat sich am Donnerstag 
Abend in seiner Wohnung durch einen 
Schuß in die Schläfe getödtet. 
Karlsruhe i. B., 3. August. Zn dem 
heute und morgen stattfindenden großen 
Fest des Militär-Vereins-Verbandes zur 
Erinnerungsfeier des Uedergangs der deut 
schen Armee über den Rhein 1870 sind 
720 Vereine mit 16890 Mitgliedern und 
271 Fahnen angemeldet. 
Igla», 5. Aug. Ein hiesiger Kaplan 
schnitt sich aus noch nicht aufgeklärtem 
Motiv beide Pulsadern aus und stürzte 
sich alsdann aus seiner zwei Stock hoch 
belegenen Wohnung auf die Straße. Er 
ist tödtlich verletzt. 
London, 3. Aug. In der Auchenharvie- 
Grube bei Salteoates (Schottland) fand 
ein plötzlicher Wasserdurchbruch in den 
Schacht statt, wo 90 Mann beschästigt 
waren. Die Mehrzahl konnte gerettet 
werden. Soweit festgestellt ist, sind noch 
14 Arbeiter, von denen 7 Familien be 
sitzen, in dem überschwemmten Schacht ein 
geschlossen; es besteht kaum Hoffnung aus 
ihre Rettung. Das Wasser steigt im 
Schacht immer höher. Unter den Ange 
hörigen, welche am Rande des Schachtes 
harren, spielen sich herzzerreißende Scenen 
ab. Das Rettungscorps arbeitet mit 
Lebensgefahr. 
Zaribrod, 3. Aug. Heute Vormittag 
9 Uhr ist die bulgarische Deputation hier 
eingetroffen. Eine große Menschenmenge 
bereitete den Mitgliedern einen äußerst 
lebhaften Empfang. Bei dem später aus 
dem Bahnhof stattgefundenen Dejeuner 
wurden mehrere politische Reden gehalten. 
Sofia, 5. Aug. Der Sonderzug, welcher 
die heimkehrende bulgarische Deputation 
aus Zaribrod abholte, traf gestern Nach 
mittag 4 Uhr hier ein. Die Abordnung 
wurde von dem tausendköpfigen Publikum 
mit brausenden Ovationen begrüßt. Alle 
Minister, außer Natschewitsch, waren an 
wesend. 
Sofia, 5. Aug. Die Meldung von dem 
Attentat auf den liberalen Bürgermeister 
Matakiew in Tatarbazardschik bestätigt 
sich, und hat sich dasselbe als ein Racheakt 
mehrerer durch den Bürgermeister bestraften 
Individuen herausgestellt. 
Belgrad, 3. Aug Zwischen Serbien, 
Griechenland und Runiänien werden ver 
trauliche Pourparlers hinsichtlich eines ge 
meinschaftlichen Vorgehens bei gewissen 
Eventualitäten ausgetauscht. 
Ostende, 5. Aug. Gestern Abend 
fanden im hiesigen Kursaal große Skandal- 
szeneii statt. Beim Beginn der Kurmusik 
zischten und johlten die Kurgäste. Die 
Polizei schritt ein und verwies mehrere 
der Anwesenden aus dem Saal. 
Außereuropäische Gebiete. 
Tanger, 2. Aug. Tie Antwort der 
marokka nischen Regierung aus das 
deutsche Ultimatum ist eingetroffen, und 
nimmt die marokkanische Regierung die 
Forderung der deutschen in allen wesent 
lichen Punkten an. Die endgiltige Erle 
digung von unbedeutenden Einzelheiten 
wird im Ansang nächster Woche erwartet. 
Rewyork, 3. Aug. Der Capitain 
eines heute in Marinette, Staat Wisconsin, 
angekommenen Dampfers berichtet, daß die 
Insel Beaver Island, etwa fünfzig eng 
lische Meilen vom Festlande entfernt, voll- 
stänvig in Flammen eingehüllt ist, welche 
durch einen Brand der aus der Insel be- 
findlichen Waldungen verursacht sind. Es 
wird angenommen, das sämmtliche 
Einwohner der Insel, ekwa 100 an der 
Zahl, in den Flammen umgekommen sind. 
Chicago, 2. Aug. Als Arbeiter in der 
hiesigen Stadt in dem Hause eines ge 
wissen Holmes mit dem Graben eines 
Abzugkanals beschästigt waren, stießen sie 
auf zwei 8 Fuß lange und 3 Fuß breite 
Gewölbe. Dieselben waren mit unge 
löschtem Kalk gefüllt. Als die Arbeiter 
den Kalk näher untersuchten, fanden sie 
lange Frauenhaare in demselben. Die 
Polizei glaubt, daß zwei junge Frauen 
zimmer Namens Williams in dem Hause 
von Holmes ermordet und aus diese Weise 
bei Seite geschafft worden sind. Die 
Sache wurde noch grausiger dadurch, daß 
ein Skelettmacher, der davon in den 
Zeitungen gelesen hatic, der Polizei mit- 
theilte, daß Holmes vor einigen Wochen 
ihm Menschenknochen übergeben habe, um 
ein Skelett daraus anzufertigen. Da 
Holmes nicht zahlte, so habe er das Skelett 
noch im Hause. Holmes habe sich seit 
der Zeit nicht wieder blicken lassen. Die 
Polizei erklärt, daß Holmes warscheinlich 
dreizehn Frauenzimmer er 
mordet hat. 
Italien. 
Von einem gefährlichen Briganten 
Pinna wird der sardinische Ort Sedilo 
(Provinz Cagliari) seit geraumer Zeit be 
unruhigt. Zahlreiche Einwohner gewähren 
ihm aus Furcht vor seiner Rache Schutz 
und Unterstützung. Neuerdings glaubte 
Pinna, daß der Bauer Piccone Spion 
dieuste gegen ihn verrichte, und drohte ihm 
wiederholt Vergeltung au. Vor wenigen 
Tagen führte er feine Drohungen aus, 
indem er den Piccone, der im Felde nahe 
dem Fluß Tirso arbeitete, mit einem 
Büchsenschuß verwundete. Der Ange 
griffene fetzte sich mit Hilfe seines Hundes 
zur Wehr und andere Bauern aus den 
benachbarten Feldern eilten herbei. Keiner 
aber wagte die Hand gegen den gefürchteten 
Pinna zu erheben, sodaß dieser vor den 
Augen eines unthätigen Zuschauerkreifts 
sein Opfer vollends todten und hierauf mit 
dem Messer grausam verstümmeln konnte 
Dann verschwand der Missethäter unbe 
helligt im nahen Walde mit dem Bewußt 
sein, daß er durch die scheußliche Rache 
that die Sicherheit seiner Brigautenstellung 
neuerdings befestigt habe. 
Florenz, 3 Aug. Die 16jährige Gräfin 
Arlotti wurde wegen zahlreicher Diebstähle 
zu acht Monaten Gefängniß verurtheilt 
Den Erlös ihrer Diebstähle schenkte sie 
stets ihrem Geliebten. 
Oesterrerch-Uugarn. 
Budapest, 3. Aug. Eine furchtbare Fa 
milientragödie hat sich im benachbarten 
Kleinpest agespielt. Der Schuhmacher 
Uecker hat seine Frau und fünf Kinder mit 
einer Hacke erschlagen und sich dann selbst 
mit dem Revolver gefährlich verletzt. Der 
Mörder liegt im Sterben. Die Unglück 
lichen konnten den fälligen Miethzins von 
50 Gulden nicht bezahlen. Dies ist das 
Motiv der That. 
Budapest, 3. Aug. Die gestrige erste 
Aufführung der „Weber" in der Ofener 
Arena verlief unter stürmischen Demon 
strationen der massenhaft erschienenen So 
zialisten. Nach Schluß der Vorstellung 
marschirten die Arbeiter unter Absingung 
der Marseillaise ab. 
Herkulesbed, 3. Aug. Im hiesigen Kur- 
salon entstand zwischen zwei Touristen Na 
mens Waldmann und Wimmer ein Streit, 
welcher bald in Thätlichkeiten ausartete. 
Zahlreiche Kurgäste mischten sich ein und 
theilten sich schließlich in zwei Parteien; 
es entwickelte sich ein förmlicher Kampf, 
welchem erst ein starkes Gcnsdarmerie-Aus- 
gebot mit blanker Masse ein Ende 
machen konnte. 
Karlsbad, 4. Aug. Fürst Ferdinand 
von Bulgarien beendet heute seine 
Kur. Zwischen dem 10. und 12. August, 
wahrscheinlich am Jahrestage fei: er Thron 
besteigung, wird er in Sofia eintreffen. 
England. 
Aus London wird berichtet: Eine 
Reihe hervorragender Aerzte fordert zu 
Subskriptionen für das in Kopenhagen 
zu errichtende Denkmal des kürzlich ver 
storbenen Wilhelm Meyer aus, der vor 
27 Jahren feststellte, daß die Vergrößerung 
der Mandeln die Ursache von Taubheit 
und mangelhafter Nasenrespiration bei 
Kindern sei und durch Entfernung der 
Mandeln die Gesundung der Kinder herbei 
führte. Der Ausruf der englischen Aerzte 
ergeht an die Eltern der Kinder, die in 
dieser Weise von Taubheit befreit worden 
sind; das Denkmal soll ein Zoll des 
Dankes Derer sein, die in erster Linie die 
Segnungen einer wissenschaftlichen Ent 
deckung empfunden haben. 
Belgien. 
Die Finanzuöthe des Königs von 
Belgien sind bereits derartig geworden, 
daß er sick, wie man der „Voss. Ztg." 
meldet, genöthigt sieht, seine Besitzungen 
in den Ardennen zu verkaufen. Das Kongo 
unternehmen hat dem Könige eine unge 
heuerliche Schulbenlast ausgebürdet und 
eine solche Ebbe in der Kasse des Königs- 
Hauses hervorgerufen, daß eine außerge 
wöhnliche Hilft unabweisbar ist. 
Mlarrd. 
— Der Kaiser verließ Sonnabend- 
Abend Potsdam von der Wildparkstation 
aus und traf gestern Morgen früh in 
Brunsbüttel ein, von wo er mit der 
„Hohenzollern" unmittelbar die Fahrt nach 
Helgoland fortsetzte und im Laufe des 
Vormittags daselbst ankam. Der Aufent 
halt beschränkte sich nur auf wenige 
Stunden, toährend derer der Kaiser und 
die Herren des Gefolges bei dem Comman 
danten Kapitän zur See Stubenrauch 
ein Frühstück einnahm. Am Nachmittag 
setzte die „Hohenzollern" die Fahrt nach 
Cowes fort, wo der Kaiser eine Woche 
bleiben wird, um dann, einer Einladung 
folgend, über Portsmouth nach Lowther 
Castle zu gehen. Die „Hohenzollern" bc- 
giebt sich nach Leith und der Kaiser geht 
dort wieder an Bord, um am 15. August 
nach Brunsbüttel zu fahren und von dort 
direkt nach Berlin zurückzukehren. 
— Zum Mitglied des Nordostsee, 
kanalamts ist nach dem „Reichsanzeiger" 
der preußische Amtsgerichtsrath Loven- 
fosse ernannt worden. 
— Bei einer Felddienstübung in 
der Nähe von Dalgow bei Spandau sollen 
nach der „Spandauer Korresp." 7 Garde- 
Husaren mit den Pferden gestürzt 
und dadurch schwer zu Schaden gekommen 
sein. Einige haben Arm- und Beinbrüche 
erlitten, andere Verletzungen am Kopf und 
Quetschungen. An Ort und Stelle waren 
ihnen Nothverbände angelegt worden. Ein 
Verunglückter wurde vom Bahnhof mittel» 
Krankenkorbes nach dem Lazareth geschafft. 
— Das Berliner anarchistische Or 
gan, „Der Sozialist", Ivelcher im letzten 
Frühjahr eingegangen ist, soll, wie in 
einem an die „Gesinnungsgenossen" gerich 
teten Cirkular mitgetheilt wird, am 17. 
August als Wochenschrift wiedererscheinen. 
— Die Wohnungseinrichtung 
des „suspendirten" Freiherrn v. Hämmer 
st e i n ist am Donnerstag auf der Pfand- 
kammer in Charlottenburg vom Gerichts 
vollzieher öffentlich versteigert worden. 
— Ueber die Ursachen des Schwan 
kens der Getreidepreise brachte die 
„Nationalliberale Korrespondenz" in den 
letzten Tagen einen Artikel, welcher die 
gegenwärtigen Schwankungen zum größten 
Theil aus Börsenspekulationen zurückführte. 
Als Erwiderung darauf erläßt die Mann 
heimer Börse folgende offizielle Erklärung: 
„Ein Artikel der Berliner „Nationallib. 
10) 
Snt îiMt »litt êlhlllil. 
Roman von Gustav Höcker. 
VIII. 
„Herr Baron, es war ein Herr da, der 
Sir zu sprechen wünschte, sagte der Portier, 
die goldbetreßte Mütze in der Hand, als 
Wolfgang, nach einer Excursion in dm Thier 
garten, wo er aus alle berittenen Damen ge- 
sahndct hatte, gegen Abend in sein Hotel 
zurückkehrte. 
„Hat er seinen Namen nicht genannt?" 
fragte Wolfgang, sogleich an Relkbcrg denkend. 
»Nein, aber er hal ein paar Zeilen hinter 
lassen," antwortete der Portier und überreichte 
dem Baron ein verschlossenes Couvert. Dieser 
öffnelc cs auf seinem Zimmer. Der Inhalt 
war kurz, die Unterschrift, nach welcher er 
zuerst sah, lautete jedoch nicht, wie er erwartet, 
Eduard Rctlberg, sondern nannte einen ihm 
völlig fremden Namen. Das Billet besagte 
folgendes: * 
„(Sro. Hochgeboren erlaube ich niir im 
Auftrag meines Freundes, des Herrn von 
Quinna, um die Erklärung zu bitten, daß 
Sic die demselben zugefügte Beleidigung be 
dauern und zurücknehmen. Ich hoffe, Ihr 
Billigkeitsgesühl wird eö nicht dazu komme» 
lassen, daß eine wohl nur in der Uebereilung 
des Augenblickes gethane Aeußerung zu ern 
steren Folgen führe. Sollten Sie dennoch 
vorziehen, meinem Freunde satisfaction auf 
Pfftolm zu geben, so bin ich von demselben 
ermächtigt, mit Ihrem Secundanten Ort und 
Stunde der Zusammenkunft festzustellen. 
„Genehmigen Sie, Herr Baron, dm Aus 
druck meiner vorzüglichen Hochachtung 
von Kossatz, Rittmeister a. D." 
Wolfgang lehnte sich, als er dies gelesen, 
in seine» Sessel zurück und schüttelte mit 
einem Lächeln, welches zur Hälfte Acrger aus- 
drückte, dm Kopf. 
Er befand sich nun mehrere Tage in Berlin, 
ohne feinem eigentlichen Zwecke auch nur um 
einen einzigen Schritt näher gekommen zu 
sein. Statt dessen sah er sich mit Personen 
und Verhältnissen verkettet, die »och vor 
Kurzem für ihn so gut wie gar nicht in der 
Welt gewesen warm: Und dabei hatten ihn 
alle diese Nebendinge so in Athem gehalten, 
daß er noch nicht Zeit gefunden hatte, seinen 
ehemaligen Vormund, der sich nach seinem 
Eisenbahnnnfalle so theilnehmend nach seinem 
Befinden erkundigte, zu besuchen, und auch 
dem neugewonnenen Freunde, dem er sein 
Leben dankte, hatte er noch nicht seine An 
kunft in Berlin gemeldet. 
„Maitland!" sagte sich Wolfgang, als 
dieser Gedankengang ihn auf seinen aufopfern 
den Retter und Pfleger geführt hatte. „Das 
ist in dieser weiten, großen Stadt der einzige 
Mann, der mir auö meinem Dilemma heraus 
zuhelfen vermag! Er wird mir sagen können, 
ob mein Gegner salisfactionsfähig ist. Und 
muß ich mich schlagen, so wüßte ich wiederum 
niemanden als Maitland, de» ich um dm 
Freundschaftsdienst bitte» könnte, mir als 
Secundant beizustehen." 
Am nächsten Vormittage betrat der Baron 
von Sturm das vornehme Haus Unter den 
Linden, in welchem Maitland die Beletage 
bewohnte. Alles zeugte von großem Reich 
thum und gediegenem Geschmack. Er fand, 
durch einen Diener angemeldet, Mailland in 
einem stilvoll ausmöblirten Zimmer, dessen 
Wände auserlesene Oclgemälde bedeckten. 
^Maitland hatte sich eben von einem Soptza 
erhoben. Ein Buch bei Seite legend, kam 
er dem Besucher entgegen, ergriff lebhaft 
dessen Hand, hieß ihn der Hauptstadt will 
kommen und wünschte ihm Glück zu seiner 
völligen Wiederherstellung. 
„Maitland," begann Wolfgang, „ich stehe 
beschämt vor Ihnen. Der Gang zu Ihnen 
oltte einer meiner ersten Schritte in Berlin 
ein, und nun ich schon mehrere Tage hier 
verweile, erscheine ich als Bittsteller. Ich 
würde fürchten, in Ihren Augen als einen 
jener Egoisten zu gelten, welche diejenigen, 
von denen sie Gutes empfingen, erst aufsuchen, 
wenn sie diese wieder brauchen, aber —" 
„Keine Entschuldigung, Baron," schnitt 
Maitland ihm das Won ab. „Ich selbst 
habe mich wiederholt genau in der gleichen 
Lage befunden und würde demjenigen, der 
gegen eine scheinbare Vernachlässigung em 
pfindlich gewesen wäre, den Borwurf des 
Egoismus mit Zinsen zurückgegeben haben." 
„Was Sie sich von mir zu erbitten haben, 
Baron," fuhr er fort, nachdem beide sich 
gesetzt hatten, „ist selbstverständlich in: voraus 
gewährt. Lassen Sic uns davon zuerst 
sprechen." 
„Hier, mein lieber Mailland," sagte Wolf 
gang, indem er dem andern das Billet des 
Rittmeisters von Kossatz reichte. „Ich wollte 
mir nur die Frage erlauben, ob ich meinen 
Correspondcnten an Sic verweisen darf." 
Maitland las den Brief. „Verdammt höf 
lich und versöhnlich gehalten!" lächelte er 
„Natürlich stehe ich zu Ihrer Verfügung. 
Vielleicht wissen Sic, daß Sie durchaus nicht 
nöthig haben, sich mit diesem Quinna zu 
schlagen, wenn Sie es nicht wollen. 
„Das war auch meine Meinung," cnt- 
gcgncte der Baron; „ich habe mir cs jedoch 
anders überlegt. Man kann cs verweigern, 
sich mit jemand zu schlagen, dem man 
keinen vernünftigen Grund gegeben hat, sich 
beleidigt zu suhlen; wenn man aber gegen 
einen andern seiner Zunge die Zügel 
schießen läßt und ihm dann Skatisfaction 
vcffagt, so ist man, meiner Ansicht nach, 
ein Feigling Und deshalb will ich, obgleich 
dieser Herr von Quinna ein Schurke sein 
mag, doch seiner Ehre nicht in den Weg 
treten." 
„Damit werden Sie ihm sicher eine» 
Strich durch die Rechnung machen," lächelte 
Maitland, „denn er rechnet, davon bin ich 
überzeugt, aus ihre Abneigung, sich einem 
Burschen seines Gelichters zu stellen, und 
boffr seine muthige Herausforderung als 
Salbe für seinen kranken Ruf zu benutzen. 
Aber erklären Sie mir, Baron, wie Sie 
mit diesem saubern Vogel in Berührung 
gekommen sind. Sic scheinen wirklich hier 
schon ihren Weg gemacht zu haben!" 
Wolfgang fand cs nicht leicht, Mait- 
lands Frage zu beantworten. Er war sich 
der liefen Kluft bewußt, die zwischen ihiu 
und dem vollendeten Weltmann bestand, 
dessen Ansichten in einer ganz andern 
Schule gebildet worden waren. Da er aber 
dem bewährten Freunde Offenheit schuldig 
war. erzählte er ohne Rückhalt, ans 
welche Weise er mit Fräulein Rettberg und 
ihrem Bruder bekannt geworden war und 
verschwieg nur seine erste Begegnung mit 
dem letzteren, um den Bruder des jungen 
Mädchens in seiner verbrecherischen Ver 
bindung mit einer Bauernfängerbande nicht 
noch schlimmer bloß zustellen als unbedingt 
nöthig war; er berichtete sein Gespräch mit 
Melanie Rctlberg, die Dazwischenkunft 
Quinna's und seine darauf folgende litt - 
terrcdung mit Friedländer. 
Maitlands Benehmen war ganz anders, 
als Wolfgang erwartet hatte. Das gefürch 
tete Lächeln zeigte sich nicht um seine Lippen. 
Er legte mit so wenig Worten als mög 
lich dem jüngeren Freunde den Gedanken 
nahe, Melanie Rctlberg zu seiner Gelieb 
ten zu machen, so daß dies als nichts 
Böses, sondern nur als das beste Aus 
kunstsmittel erscheine, ohne daß das Mora 
lische oder Unmoralische dabei in Frage kam. 
Die kunstreichste Vertheidigung der Aus 
schweifung würde keine so entsittlichende 
Wirkung hervorgebracht haben, wie die be 
dächtige Art, womit Maitland sprach, als 
handle cs sich um etwas Selbstverständliches. 
„Um ihren Weg in dieser Sache klar 
vor sich zu sehen," fuhr Maitland fort, 
„müssen Sie sich überzeugen, ob Sie sich 
im Charakter des Mädchens nicht täuschen. 
Wenn Sie noch ein paarmal mit ihr ge 
sprochen haben werden, kann cs Ihnen 
nicht schwer füllen, die Wahrheit zu ermitteln. 
Die Kunst sieht der Natur nie so gleich, 
um ein durch Zweifel geschärftes Auge irre 
zu führen." 
„Ich werde kaum Gelegenheit finden, 
mir ein Urtheil zu bilden," entgcgnete der 
Baron, „denn höchst wahrscheinlich werde 
ich das junge Mädchen nie wiedersehen." 
„Und warum nicht?" fragte Mailland. 
„Weil ich cs für gefährlich halte," be 
kannte Wolfgang. „Bei aller Unschuld ist 
ihre graziöse Schönheit doch von verführe 
rischem Reize. Soll ich sie mit einem solchen 
Anhängsel von Bruder zur Frau nehmen? 
Das ginge selbst über meine romantischen 
Ideen hinaus. Und was die andere Art
	        
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