Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

GrfiHelnt ļägLich. 
Hìààr 
Aeltestes und gelesenstes HLatt im Kreise Kendsvurg. 
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HO. 305. 
Montag, den 31. December 
1804. 
Morgen, als am Neujahrstage, er 
scheint kein Wochenblatt. 
Die Expedition. 
Iuw Neuen Jahre. 
Die Zukunft, jene dunkle Frage, 
Die drohend stets am Himmel stand, 
Mit mitternächt'gem Glockenschlage 
Greift heut aus Wolken ihre Hand. 
O mit des Jahr's beschwingter Runde 
Ist Lust und Leid dahingeslohn! 
An manche schicksalsschwere Stunde 
Mahnt uns der dumpfen Glocke Ton. 
Wenn auch em neues Jahr geboren. 
Das alte lebt gespenstig fort. 
Zum Schatten wird, was wir verloren, 
Was uns geblüht, es ist verdorrt. 
Und doch, wir ziehn am neuen Morgen 
Frisch wieder aus die Wanderschaft, 
Und ist das Künftige uns verborgen. 
So schassen wir's mit eigner Kraft. 
Wie auch die Frist uns zugemessen, 
Der Augenblick gehört uns ganz; 
Ob Lorbeern winken, ob Cypressen, 
Den Tapfern schmückt ein jeder Kranz. 
Eins aber sei uns stets beschieden, 
Wie auch des Schicksals Würfel fällt: 
Dem Herzen Ruh, dein Hause Frieden, 
Den Völkern Frieden und der Welt- 
Fort mag die Morgensonae küssen 
Der Schmerzen Thau vom Lebensrain; 
Die Thränen, die wir weinen müssen, 
O, mögen's Freudenthränen sein! 
Rudolf von Gottschall. 
Morgen-Depeschen 
Friedrichstadt, 31. Dec. Die 
hiesige Seifenfabrik (Duyssen Nächst.) 
ist in letzter Nacht abgebrannt. Ter 
Betrieb wird nicht unterbrochen. 
Mannheim, 30. Dec. In dem 2000 
Einwohner zählenden Dorfe Reilingen 
brach in voriger Nacht ein Brand aus. 
Bis jetzt sind 13 Häuser niedergebrannt. 
Das Feuer wüthet noch fort. 
London, 30. Dec. Seit vergangener 
Nacht wüthet wieder ein furchtbarer Nord, 
west-Sturm über Großbritannien. Zahl- 
reiche Schiffsunsälle sind bereits gemeldet 
worden. 
Brüssel, 30. Dec. Gestern Nachmittag 
gegen 3 Uhr trat ein unbekannter Mann 
in das Wechslergeschäft von Matthys 
am Boulevard du Nord und versetzte einem 
Angestellten mehrere Messerstiche. Dieser 
rief tödtlich verwundet um Hülfe. Als 
der Mörder sich entdeckt sah, gab er drei 
Revolverschüsse auf sich selbst ab und 
stürzte todt zu Boden. Der Angestellte 
liegt im Sterben. 
Sofia, 30. Dec. Der Konstantinopeler 
Korrespondent der „Köln. Ztg." erfährt 
von unterrichteter Seite, daß Seitens der 
höchsten Stelle dem Vertreter Bulgariens 
Vorstellungen gemacht wurden, wegen der 
in Varna abgehaltenen Versammlungen zu 
Gunsten der Armenier und Macedonier. 
Bei beiden Gelegenheiten waren sehr fräs 
tige Aeußerungen gegen die Türkei ge 
fallen. Man verlangte, daß in Zukunft 
derartige Kundgebungen unterbleiben sollen. 
Der bulgarische Vertreter sprach sein Be> 
dauern darüber aus, daß der Sultan die 
Kundgebungen unangenehm empfunden habe 
und versicherte dabei, daß angesichts des 
durch die bulgarische Verfassung gewähr 
leisteten Versammlungsrechtes ein Ein 
schreiten unmöglich sei, so lange die Ord 
nung nicht gestört werde. 
Newyork, 30. Dec. In Silverlake 
(Oregon) fand am Heiligabend eine von 
zahlreichen Personen besuchte Festversamm 
lung statt, als plötzlich eine Lampe explo 
dirte, die den Saal in Brand steckte. 41 
Personen verbrannten; 16 wurden schwer 
verletzt. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
China. Jetzt ist der kaiserlich chinesische 
Kommissar für die Friedensunterhandlungen 
mit Japan, Changyinhuan, von Tientsin 
aus dem Landwege nach Tschifu abgereist. 
Derselbe wird in Shanghai erwartet, um 
mit dem zweiten Kommissar Shaoyaolien 
zusammenzutreffen, worauf sich beide sobald 
als möglich nach Japan begeben werden. 
Tanger, 28. Dec. Der deutsche Gesandte 
Graf v. T a t t e n b a ch hat v o l l st ä n> 
dige Genugthuung erhalten wegen 
der Ermordung des deutschen Kaufmanns 
Neumann. Der Mörder Neumanns Abdel 
Kader wird hingerichtet werden, seine bei> 
den Mitschuldigen sind zu lebenslänglichem 
Gefängniß verurtheilt; der Familie des 
Ermordeten soll eine Entschädigung ausge- 
zahlt werden. 
Große Aufregung herrscht in Brooks 
County (Nordamerika), weil Polizisten, 
die einen Neger wegen Mordes verhaften 
Een, bei der Ausführung dieses Aus- 
träges 7 Neger erschossen haben. Bewasf 
51) 
Der Detcctiv. 
nete Trupps von 3—400 Weißen und 
Schwarzen durchziehen die Gegend und de 
reiten sich zu gegenseitigen Angriffen vor 
^ Newyork, 26. Dec. In den Vereinigten 
Staaten hat während der Weih nachts- 
tage eine förmliche Mordepidemie 
geherrscht. Betrunkenheit war in vielen 
Fällen die Ursache der Mordthaten. Die 
meisten Morde ereigneten sich in den süd 
lichen Staaten und die meisten Opfer 
waren Neger. Im Staate Florida allein 
wurden sechs Morde begangen. Zloei wur 
den in Atlanta, Georgia, verübt, zwei in 
Gadsden, Alabama und drei in Missouri. 
Andere Morde kamen in Illinois, Süd- 
Carolina, in Pittsburg und Philadelphia 
vor. 
Italien. 
Nom, 29. Dec. Cavallotti fordert 
Crispi öffentlich auf, ihn zu verklagen. 
Nach einem Artikel der crispi-offiziösen „Ri- 
forma" wird aber Crispi das nicht thun; 
er sei „zu vornehm, um sich mit jedem be- 
liebigen Skandalmacher, dessen Gebabren 
an Erpressung streife, herumzuprozessiren". 
- Eine bequeme Art der Vornehmheit! 
Rom, 28. Dec. Aus offiziöser Quelle 
verlautet, daß weitere Ausweisungen 
remder Korrespondenten bevorstehen. 
Ein Mordversuch, der durch seine 
eltsamen Nebcnumstände Aufsehen erregte, 
wurde, wie aus Rom unter dem 26. Dez. 
gemeldet wird, in der Nacht zum Montag 
auf den Priester Atto, den Rektor der Kirche 
Santa Prassede, ausgeführt. Der Koch 
des Priesters, ein gewisser Mandalari, ge 
langte ' vermittelst einer Leiter in das im 
ersten Stockioerk gelegene Schlafzinimer 
eines Herrn, schlich sich, mit einem Dolche 
bewaffnet an dessen Bett und versetzte seinem 
Opfer einen Stich in den Nacken. Don 
Atto wurde jedoch nicht getötet. Er sprang 
aus dem Bette und nun entspann sich ein 
wüthendes Ringen, wobei der Priester noch 
mehrere Wunden davontrug. Das Seltsame 
an diesem nächtlichen Drama ist, daß Don 
Atto nicht um Hilfe rief, denn er hielt den 
Angreifer für seinen Kaplan Luigi Rea. 
Dieser Unglückliche ist Schlafwandler, und 
Don Atto lebte der Meinung, daß ein 
Schlafwandler todt niederstürzt, wenn man 
ihn gewaltsam weckt. Um dieses Unheil 
zu vermeiden, verhielt er sich unter den 
Dolchstichen seines Gegners vollkommen 
ruhig. Schließlich flüchtete der Mörder 
auf das Dach der Kirche, während Don 
Atto nunmehr um Hilfe rief. Wie er- 
staunte er, als er unter den Herbeieilenden 
seinen Kaplan Luigi Rea erblickte I Sogleich 
wurde die Polizei von dem Vorgefallenen 
in Kenntniß gesetzt und der mordsüchtige 
Koch nach langen Nachforschungen auf dem 
Dach der Kirche ausfindig gemacht. Er 
gestand alsbald, daß er seinen Herrn habe 
ermorden wollen, um ihn zu berauben. 
Die Wunden des Priesters sind schwer 
aber nicht lebensgefährlich. 
England. 
London, 28. Dec. Ein englischer Ar 
beiterführer, Keir-Hardie, war in der t>o. 
rigen Woche mit einer Abordnung des 
Gewerkraths vor dem Minister Lord Rose- 
berry erschienen, um ihn auf die große 
Zahl der Arbeitslosen in England auf- 
merksam zu machen. Er sagte, es sei keine 
Uebertreibung, daß es in diesem Winter 
eine Million Arbeitsloser gäbe, trotzdem 
sich das Geschäft im Schiffsbau belebt 
habe. Es bestehe kein großer Ausstand, 
nein, die Arbeitswilligen könnten nur keine 
Arbeit finden. Lord Roseberry wurde 
stutzig vor der Million Arbeitsloser. Also 
der vierzigste Theil der Nation außer Ar- 
beit? Er sagte, die Arbeitslosigkeit sei 
allerdings eine traurige Thatsache. Aber 
könne die Abordnung ein Heilmittel vor 
schlagen? Keir-Hardie möge Alles, was 
er auf dem Herzen habe, schriftlich nieder- 
legen. An gutem Willen werde es dem 
Ministerium nicht fehlen. — Als diese 
Unterredung _ bekannt wurde, bezweifelten 
Viele, daß eine Million Menschen in Eng 
und keine Arbeit habe. Kair-Hardie ver 
uchte nun in einer Rede den Beweis für 
eine Behauptung zu liefern. Er stützte 
ich auf den Prozentsatz der arbeitslosen 
Mitglieder der Gewerkvereine. Diese bis 
den 7 Prozent. Das sind gelernte Hand 
werter. Bei gewöhnlichen Arbeitern müsse 
das Verhältniß naturgemäß schlimmer sein. 
Keir-Hardie veranschlagte es auf 10 Pro 
zent. Auf diese Weise haben 1,300,000 
Arbeiter der Jndustriebevölkerung keine 
Beschäftigung. 
Inland. 
Ein vielumworbenes Reichs 
tags-Mandat wird das des Wahl- 
kreises Eschwege-Schmalkalden werden, wel 
ches durch die Verurtheilung des Abg. 
Leuß frei geworden ist. Kandidaten stellen 
auf: Natioualliberale, Freisinnige, Sozial 
demokraten, Bund der Landwirthe, Kon 
eroatioe und eventuell auch noch Anti 
emilen 
Roman von I. F. Molloy und K. Dietrich. 
Vierzigstes Kapitel. 
Graf Alexanders Antrag. 
Frau Gräfin von der Pforten hatte ihrem 
Sohn sorgfältig verheimlicht, daß Cäcilie be 
reits verlobt war, und hatte Frau von Foer- 
ster überredet, ebenso zu handeln. Denn sie 
wußte recht Wohl, daß ihr Sohn, wenn er 
etwas von dieser Verlobung erfahren hätte, so 
fort seine Bewerbungen abgebrochen haben 
würde, während sie eben so überzeugt war, daß 
er, wenn er nur ernstlich seinen Antrag 
machte, seines Erfolges auch sicher sein wurde. 
Und sie hatte sich nun doch einmal in den 
Kopf gesetzt, daß er Cäcilie und keine andere 
heirathen sollte, weil ihr das junge Mädchen 
persönlich angenehm, und sie auch der An 
sicht war, daß sie dieselbe ganz beherrschen 
würde, und von ihr keine Entfremdung ihres 
Sohnes zu befürchten brauchte. Trotzdem 
Frau von Foerster ihr alle Einzelheiten der 
Unterredung mitgetheilt, hatte sie doch keine 
Lust, sechs Monate zu warten, sondern be 
schloß, jetzt, wo ihre Freundin von den Nach 
wirkungen des nächtlichen Ueberfalls sich er 
holt hatte, die Sache zur endgültigen Ent 
scheidung zu bringen und ihren Sohn zu ver 
anlassen, daß er Cäcilie seinen Antrag mache 
und so begann sie denn schon beim Frühstück 
in freundlicher Theilnahme den Angriff auf 
ihren Sohn mit der Frage zu eröffnen: 
„Was hast Du eigentlich heute für Pläne, 
Alexander?" 
„Darüber habe ich mich wirklich noch nicht 
entschlossen. Etwas Besonderes habe ich 
heute nicht vor, — doch, aber erst um vier 
Uhr nachmittags habe ich eine Verabredung 
niit einem Freunde wegen eines Pferdekaufs." 
„Dann bist Du heut Vormittag also frei?" 
„Ja, weshalb?" 
„Weshalb ich Dich danach fragte? Weil 
ich denke, daß es am besten sein würde, wenn 
Du heute Vormittag Cäcilie besuchtest und 
ihr Deinen Antrag machtest." 
Ihr Sohn starrte sie fassungslos an und 
rief verwundert: „Was? Heute?" 
„Weshalb nicht? Es hat gar keinen Zweck, 
die Sache noch länger hinauszuziehen." 
, „Meinst Du nicht, daß es etwas übereilt 
sein, würde?" fragte er, sich nicht ohne 
Bedenken der abweisenden Haltung erinnernd, 
die Cäcilie ihm gegenüber in Sorrent gezeigt 
hatte. 
Nein, seit wir in Berlin sind, hast Du 
sie jede Woche vier- bis fünfmal gesehen, und 
sie weiß recht gut, daß Du sie liebst, und 
erwartet zweifellos schon seit einiger Zeit 
bei jedem Besuch von Dir — daß Du ihr 
Deinen Antrag machst. Kein Mädchen liebt 
es, über solche Fragen lange in Zweifel und 
Ungewißheit gelassen zu werden." 
Graf von der Pforten war sich dessen 
durchaus nicht so sicher und gab seiner ab 
weichenden Meinung auch rückhaltlos Ausdruck. 
„So oft ich versuche, die Unterhaltung auf 
meine Empfindungen zu lenken, giebt sie ihr 
geschickt eine andere Wendung, so daß ich 
wirklich noch keine Gelegenheit gehabt habe, 
überhaupt von Liebe zu ihr zu sprechen. 
Das scheint mir eigentlich ein schlechtes Zeichen, 
und ich halte es deshalb noch für verfrüht, 
jetzt schon meinen Antrag zu machen." 
„Thorheit! Cäcilie ist eine zurückhaltendes 
Mädchen und besitzt Sebstachtung genug, 
um die Liebeswerbung ausschließlich Dir zu 
— Die Beamten der höheren Laufbahn 
bei der P o st - u n d T e l e g r a p h e n'- 
verwaltung sind etwa sechs Jahre 
in den Stellungen als Ober-Postdirektions» 
sekretär und Postkassier beschäftigt. Während 
dieser Zeit beziehen sie unter den gegen- 
wärtigen Verhältnissen an Gehalt ins- 
gesammt durchschnittlich je 16 550 Mark, 
künftig werden sie dagegen nur 13 250 Mk. 
also eine Gehaltsverminderung 
von 20 Prozent erfahren. Dies ist 
um so drückender für diese Beamten, als 
sie, gleich, wie die Ober-Post- und Ober- 
Telegraphensekretäre, von der im Jahre 
1890 erfolgten allgemeinen Aufbesserung 
der Gehälter vom Reichstag trotz der An- 
erkennung des Bedürfnisses unter dem 
Ausdruck des Bedauerns ausgeschlossen 
sind, weil die Mittel damals fehlten. Die 
Redner der Mehrheit des Reichstages (u. 
A. die Abgeordneten v. Benda und Dr. 
Baumbach) betonten damals ausdrücklich, 
daß die zunächst unberücksichtigt gebliebenen 
Beamten schon in dem nächstjährigen Etat 
bedacht werden müßten. Seitdem sind aber 
äst schon fünf Jahre vergangen. In dieser 
Zeit haben die Postdirektoren eine Gehalts 
erhöhung erfahren, und die Postverwalter 
ollen nach dem Etatsentwurf für 1895/96 
obwohl ihr Gehalt 1890 erheblich aufge 
bessert worden ist, abermals mit je 250 Mk. 
bedacht werden. An die Obersekretäre 
aber denkt kein Mensch! Seit mehr denn 
20 Jahren ist ihre Besoldung unverändert 
geblieben trotz der starken Vertheuerung 
der meisten Lebensbedürfnisse. Nun aber 
wll sogar einem Theil dieser Beamten 
die wahrlich nicht zu reichlich bemessene 
Einnahme erheblich beschnitten werden. 
Auch die Postinspektoren und die Posträthe 
iverden nicht unerheblich geschmälert werden. 
Bon einer näheren Erörterung hierüber 
mag aber abgesehen werden, weil diese 
Beamten weniger dicht, als die vorstehend 
aufgeführten, an der Grenze des Existenz- 
Minimums für ihre Gesellschaftsklasse 
'tehen. 
Die Landbriefträger erreichten bisher das 
ohnehin nicht allzu reichlich bemessene Meist- 
geholt von 900 Mark in rund 10 Jahren, 
künftig werden sie dazu rund 19 Jahre 
brauchen. Diese Unterbeamten, die ani ge 
ringsten besoldeten der ganzen Verwaltung 
werden also fast 20 Jahre brauchen, um 
von 650 Mk. auf 9 0 0 z u st eigen. 
Es ist dies keine Bethätigung des Vorsatzes 
der Regierung, die wirthschaftlichSchwächeren 
im Kampfe ums Dasein zu stärken! 
überlassen. Ich hoffe doch, daß Du nicht 
etwa von ihr erwartest, sie sollte Dir sich 
selbst fast in die Arme werfen, wie es die 
andern jungen Mädchen gethan haben, die 
Dich bisher zum Manne zu gewinnen suchten, 
und vor denen ich Dich noch bei Zeiten 
warnte." 
Nun wohl. Dann will ich es wagen. 
Wenn Cäcilie mir ihr Jawort giebt, werde 
ich der glücklichste aller Menschen sein." 
„Schön, dann mache Du nur Deinen 
Antrag, an ihrem Jawort wird es nicht fehlen. 
Pünktlich um zwölf Uhr werde ich Helene 
besuchen und sie einladen, mit mir eine kleine 
Spazierfahrt zu machen. Meine Viktoria 
hat nur für zwei Personen Raum, Cäcilie 
muß also zu Hause bleiben. Dann bietet 
sich Dir die beste Gelegenheit. Um die Zeit 
des Tages wird sv> gewiß nicht allein aus 
gehen. Mache also pünktlich um ein Viertel 
atif ein Uhr Deine Aufwartung in der 
Regentenstraße, laß Dich bei ihr melden und 
gewinne sie Dir zur Gattin." 
„Sehr wohl. Dein Plan ist ausgezeichnet 
und ich werde Deinen, Rate folgen." 
Graf Alexander machte mit außergewöhn 
licher Sorgfalt Toilette, begab sich dann 
gegen zwölf Uhr nach der Regentenstraße und 
ließ sich bei Fräulein von Heldberg melden. 
Cäcilie saß allein im Boudoir, in Gedanken 
an Hugo versunken, als ihr die Karte des 
Grasen gebracht wurde. Sowohl infolge der 
Tagesstunde, die er zu seinem Besuch gewählt, 
als auch des Umstandes, daß er von ihren, 
Alleinsein wissen mußte, wurde es ihr sofort 
klar, in welcher Absicht er kam. Zuerst 
empfand sie nur Entrüstung, daß er es wagte, 
ihr zu einer Zeit, wo ihr Verlobter sich in 
r o trauriger Lage befand, ihr seinen Antrag 
zu machen. Dann sagte sie aber sich selber, 
daß sie mit ihrer bisherigen Vermuthung doch 
wohl recht gehabt hätte, daß dem jungen 
Grafen ihre Verlobung bisher verheimlicht 
worden wäre. Und so schwand denn auch 
bald wieder ihr Zorn, und sie beschloß, ihn 
über die Sachlage aufzuklären und seiner 
Ungewißheit ein Ende zu machen. 
Mit einer starken Willensanstrengung 
gelang es ihr, ihre nervöse Erregung zu ver 
bergen und eine äußere Ruhe und Gelassenheit 
bei seinem Empfange zu zeigen, die sie durch 
aus nicht empfand. Sie begrüßte ihn mit 
den Worten: „Meine Tante ist ausgefahren, 
und das Wetter ist so schön, daß die frische 
Luft ihr voraussichtlich wohl thun wird." 
„Das hoffe ich auch. Ich wußte, daß 
meine Mutter sie zu einer Spazierfahrt ab 
holen wollte." 
.-Ihre Frau Mutter ist sehr freundlich," 
erwiderte Cäcilie, und dann folgte eine ver 
legene Pause, bis der junge Graf wieder 
begann: „Ich komme nämlich, gnädiges 
Fräulein, — das heißt, — ich meinte eigent 
lich —." Damit verstummte er wieder. 
„Ja," antwortete sie freundlich. 
Ihre Bereitwilligkeit, ihn anzuhören, jetzt, 
wo sie doch erraten mußte, was ihn zu ihr 
Ährte, erfreute ihn nicht wenig. Einem 
Mann von mehr Erfahrung würde dieser 
Umstand zur Warnung gedient haben, während 
er ihn nur ermuthigte. Und so begann er 
denn ohne weiteres: „Ich bin gekommen, um 
Ihnen zu sagen, wie ich sie liebe —" 
»Bitte, Herr Graf!" unterbrach sie ihn 
hastig. 
„Nein, höre mich an, Cäcilie. Vor Dir 
habe ich noch nie ein Mädchen geliebt, und 
meine Liebe für Dich erwachte in dem Augen 
blick, als wir uns zum ersten Mal dort in 
Italien sahen. Sorrent wurde für mich ein 
wirkliches Paradies, weil Du dort warst, und 
ich hätte Dich bereits dort an dem letzten 
Tage gebeten, die Meine zu werden und mich 
znni glücklichsten Manne zu machen, wenn ich 
nicht so plötzlich abgerufen worden wäre." 
„Bitte, sagen Sie nichts weiter, Herr- 
Graf," bat sie sanft. 
Seine Zuversicht verließ ihn bei ihren 
Worten, aber er war jetzt fest entschlossen, 
sich Gewißheit zu schaffen, und bat daher: 
„Laß mich wenigstens aussprechen. Seitdem 
haben meine Gedanken nur bei Dir geweilt, 
und heiß ersehnte ich den Tag, an dem ich 
um Deine Hand bitten dürfte." 
„Das ist unmöglich," erwiderte sie fest." 
„Sie empfinden nichts für mich?" 
„Nein, ich liebe Sie nicht, Herr Graf," 
antwortete sie, dabei jedoch die Härte dieser 
Worte durch freundlichen Ton der Stimme 
zu mildern bcniüht. „Wären wir einander 
richer begegnet, so hätte ich es vielleicht ge 
lernt, Sie zu lieben, aber so gehört ment 
Herz schon einem Anderen, ehe ich Sie über 
haupt kannte, und ich bin schon lange die 
Braut dieses Anderen. Sollicn die Umstände, 
wie ja_ zu befürchten steht, unsere Heirath 
unmöglich machen, so werde ich überhaupt 
unvermählt bleiben." 
Die Ueberraschung des jungen Grafen war 
augenscheinlich und drängte momentan sogar 
sine eigene Enttäuschung zurück. Eifrig ver 
werte er: „Glauben Sie mir, ich hatte 
nicht die geringste Ahnung davon, daß 
Sie bereits verlobt wären, oder ich würde nie 
den Versuch gewagt haben, mich zwischen Sie 
und ihrem Verlobten zu dränaen."! 
„Davon war ich stets überzeugt, daß Ci
	        
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