Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

Krfche'lnt ļäglich, -s 
Mendàģer 
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für Auswärtige, durch die Post bezogen 
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JnscrtimiSpreiS: pro Petitzeile 15 -Z. 
Aellestes und gelesenstes Klatt im Hrerse Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
87ster Jahrgang. 
Bel Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmähige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sower uns 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
3000 Abonnenten. 
WO. 800. 
Sonnabend, Hen 22 December 
1804. 
MiHuty zum Mmmilt. 
Am 1. Januar 1895 tritt das „Rends- 
bnrgcr Wochenblatt" in seinen 
BF 88. Jahrgang 33 
ein. Auch im zu Ende gehenden Jahre blieb 
dem „Rendsburger Wochenblatt" das 
Wohlwollen seines sich immer weiter aus 
breitenden Leserkreises erhalten, wofür wir 
sowohl den werthen Lesern als auch den 
Inserenten hiermit unsern herzlichsten Dank 
abstatten. 
Wir hoffen, daß unsere unablässigen 
Anstrengungen, das „Rendsburger 
Wochenblatt" zu einen: beliebten, gern 
gelesenen, in seinem Inhalt »täglichst viel 
seitigen Tageblatt auszugestalten, uns auch 
im bevorstehenden neuen Jahrgange die 
Sympathien der alten und neu beitretenden 
Leser sichern werden. 
Unsere telegraphischen Verbindungen sind 
derart erweitert, daß das „Rendsburger 
Wochenblatt" immer mehr und mehr in 
der Lage ist, in Bezug auf die Schnelligkeit 
telegraphischer Nachrichten - Verbreitung 
Hervorragendes zu bieten. 
Wir werden auch in Zukunft dem Feuilleton 
unsere größte Aufmerksamkeit widmen und nur 
solche Erzählungen bieten, die von den 
besten Erzählern geschrieben sind. 
Zum -nächst««-.. Abdruck haben wir del 
preisgekrönten Roman von Konrad Teliiia»ir 
erworben: 
Iwische« zwei Herren, 
der um Mitte Januar zum Abdruck gelaugt. 
Bei nunmehr 
3200 Abonnenten 
ist das 
„Wochenblatt" 
nach wie vor erstes Jnsertiousorgan für 
Diejenigen, welche mit Erfolg inseriren wollen. 
Zu zahlreichen neuen Abonnements laden 
höflichst ein 
lit fetation BF,!) lMiilm 
JirnteSHrfifr SSmtriiMnlt." 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 22. Dez. Das Staatsministerium 
trat heute Nachmittag 2 Uhr unter dem 
Vorsitz des Ministerpräsidenten Fürsten zu 
Hohenlohe-Schillingssürst zu einer Sitzung 
in seinem Dienstgebäude zusammen. 
Berlin, 21. Deebr. Der verantwortliche 
Redakteur Pötzsch vom „Vorwärts" wurde 
heute wegen eines Artikels „das Be 
schwerderecht der Soldaten", in welchem 
Mittheilungen über Soldatenmißhandlungen 
in Erfurt enthalten waren, zu 4 Monaten 
Gefängniß verurtheilt. 
Berlin, 21. Dez. Die neueste Nummer 
des „Sozialist" erklärt die Ausführungen 
des Staatsanwalts Bendix im Prozeß 
gegen den Anarchisten Weidner, daß der 
„Sozialist" demnächst zu erscheinen auf 
höre, als unrichtig. Der „Sozialist" lebe 
fröhlich weiter fort, die Genossen seien 
opferfreudiger denn je und kampfbereit 
Berlin, 22. Dez. Der Anarchist Viktor 
Rabe, welcher am 16. November aus 
Leipzig ausgewiesen lourde und sich nach 
Berlin begab, ist von dem hiesigen Polizei 
Präsidium aufgefordert worden, Berlin und 
Umgegend binnen 14 Tagen zu verlassen 
Berlin, 21. Dez. Der Nachtwächter 
Wilhelm Ziegler wurde in voriger Nacht 
in Ausübung seines Berufes von @tn 
brechern, welche er verfolgte, in Plötzensee 
erstochen. Die Thäter sind noch nicht 
entdeckt. 
Frankfurt a. M, 21. Deebr. In 
Sachsenhansen ist heute Mittag gegen 3 
ein dem Bauunternehmer König gehören 
der, bis zum dritten Stock fertiggestellter 
Neubau, in der Dreieichstraße belegen, 
eingestürzt, wobei ein Arbeiter den 
Tod fand, 6 andere Arbeiter wurden theils 
schwer, theils leicht verletzt. Die Feuer 
wehr und Mannschaften des 81. Infanterie- 
Regiments nahmen sofort die Rettungsar- 
beiten vor. Vor einiger Zeit war auch 
die Hlntermauer eines ebenfalls dem Bau 
unternehmer König gehörenden Nebenhauses 
eingestürzt, ohne daß Jemand verletzt wor- 
den wäre. 
Frankfurt a. M, 22. Dee. Das ein 
gestürzte Haus befindet sich an der Dorf- 
teich- und Seehofstraßen-Ecke. Bauherr 
war der Klempnermeister Franz Joeckel. 
20 Arbeiter befanden sich auf der Ban- 
stelle, davon wurden 6 verletzt, 13 kamen 
mit leichten Verwundungen davon. Der 
Materialschaden beträgt 25 000 Mk. Der 
Baumeister und der Polier sind verhaftet 
worden. 
Gießen, 22. Dec. Gestern wurde hier 
selbst ein Wechselfälscher verhaftet, welcher 
versuchte, bei einem Bankier gefälschte 
Wechsel zu discontiren. Derselbe gab sich 
für einen Reisenden der Firma Holzmann 
u. Co. in Frankfurt a. M. aus. 
München, 21. Dez. Da? Schwurgericht 
sprach den Hypnotiseur CzelawLubiez 
C z i n s k y von der Anklage des Sittlichkeits- 
verbrechens frei, verurtheilte denselben je- 
doch wegen Anstiftung zum Vergehen ge 
gen die öffentliche Ordnung und wegen 
Urkundenfälschung zu 3 Jahren Gefängniß 
und 5 Jahren Ehrverlust, unter Anrech 
nung von 6 Monaten Untersuchungshaft 
uild Annahme mildernder Umstände. 
Budapest, 21. Deebr. Die gesammte 
Presse erörtert die gegenwärtige Lage. Die 
Blätter geben übereinstimmend der Ansicht 
Ausdruck, daß die Demission des Ministe 
riums Wekerle eine feststehende Thatsache 
sei. Es bleibe nur noch die formelle Ab 
wicklmig der Angelegenheit übrig. 
New-Iork, 21. Deebr. Einer Meldung 
aus Montreal zufolge haben sich daselbst 
gestern 5000 Arbeitslose versammelt, die 
eine revolutionäre Kundgebung veranstalteten. 
Unten den Demonstranten trat erst Ruhe 
ein, als der Bürgermeister versprochen 
halte, Alles zu thun, Ihnen Arbeit zu ver 
schaffen. 
Ş«skŞd. 
Auster europäische Gebiete 
Auf der Insel Cypern ist eine Wein 
baisse ungewöhnlicher Art eingetreten. 
Da sich für die heurige Fechsung des Welt 
berühmten Cypernweiiws keine Käufer ein- 
fanden, ist der Cypro-Heurige fast werth 
los geworden. Es kommt jetzt in Dörfern 
auf der Insel vor, daß der Wein ein 
fach auf die Straße geschüttet 
wird. Im Dorfe Tschakistra haben drei 
Weinhändler ihre Häuser restaurirt; dabei 
lourde der Mörtel statt mit Wasser mit 
Wein gemischt. Seit einer Reihe von 
Jahren schon hat die schöne Insel fort 
gesetzt unter schweren Unglücksschlägen zu 
leiden; einer der härlesten ist aber wohl 
diese völlig e Entwerthnng ihres edlen Er 
zeugnisses, eine Entwerthnng, die in Jakren 
und Jahrzehnten kaum irgendwo ihres 
Gleichen gesunden hat. 
Italien. 
Aus Rom berichtet das „B. T.": Der 
König sandte der Tochter Crispi's 
kostbare Ohrgehänge und ein Armband als 
Hochzeitsgeschenk. Die Aufmerksamkeit 
wurde sehr bemerkt. 
Belgien. 
Aus Brüssel schreibt man dem „H. C.": 
Während an der Brüsseler Börse Speeu- 
lantenkreise ihnen mißliebige Zeitungs- 
bcrichterstatter mit Stockhieben traetiren 
und aus dem Börsensaale hinauswerfen 
und die Polizei energisch erst die Ordnung 
wieder herstellen muß, sind von dem Bra- 
banter Kriegsgerichte Enthüllungen über 
die Zustände in dem Hauptgefängniffe der 
Militärverwaltung zu Bilvorde zu Tage 
getreten, welche, wie der Börsenskandal 
allgemeines Aufsehen hervorrufen. Die 
Aufseher, Corporate stecken mit den mili 
tärischen Sträflingen unter einer Decke; 
es wird flott gespielt. Ein Sträfling, 
welcher Geld eingeschmuggelt hat, spielt 
den Bankier, leiht und wechselt gegen 
Wucherzinsen. Jeder Sträfling, welcher 
Karten spielen will, muß dem betreffenden 
Corporate einen Franken bezahlen. Ein 
Corporal läßt sich von einem Sträflinge 
1,50 Francs geben, um ihm ein Stück 
Seife zu kaufen, steckt dann natürlich eine 
Franc in seine Tasche — kurz unerhörte 
Zuchtlosigkeit, welche das Kriegsgericht mil 
harten Strafen ahndete, die aber ein 
schlimmes Licht auf die militärische Zucht 
und Aufsicht werfen. 
Oefterreich-Nngarn. 
Ueber die gestrige Audienz des Minister 
präsidenten Dr. Weckerle beim Könige 
in Wien und über den augenblicklichen 
Stand der Krise bringt der „Pester Lloyd" 
folgende Mittheilung: Die mit großer 
Spannung erwartete Audienz des Minister 
Präsidenten Dr. Weckcrle bat länger als 
eii e Stunde gedauert, jedoch die Klärung 
der politischen Situation nicht gebracht; 
auch ist die formelle Unterbreitung des 
Rücktrittsgesuches des Kabinets nicht er 
folgt. Der Ministerpräsident, dem der 
König mit Auszeichnung und Wohlwollen 
entgegenkam, erstattete Bericht über die 
politische Lage im Allgemeinen und über 
die Gestaltung der Verhältnisse. Dabei 
wurde auch der Rücktritt des Kabinets 
erörtert, der Monarch traf jedoch keine Ent 
scheidung, sondern behielt sich vor, nach 
den Weihnachtsfeiertagen in die ungarische 
Haupt- und Residenzstadt zu kommen und 
dort seine Entschließungen zu fassen. 
Die Morgenblälter berichten aus Watzlaw: 
Ter Direktor der Watzlawer Dampfmühle, 
Sillagyi, hat gestern seinem Leben 
durch Erschießen ein Ende gemacht. Die 
Direktion ließ den Oberbuchhalter verhaf 
ten, welcher eingestand, Wechsel im Be 
trage von 135 000 Gulden zum Scha 
den der Mühle in Umlauf gebracht und 
nicht gebucht zu haben. Die Untersuchung 
wurde angeordnet. Die Direktion hat eine 
Bekanntmachung veröffentlicht, in der sie 
anzeigt, daß sie bestrebt sein werde, die 
Interessen der Gläubiger unter Vermeidung 
des Zusammensturzes des Institutes mög 
lichst zu schützen. 
Schweiz. 
Neue Beiträge zur Wirkung des klein- 
kalibrigen Geschosses kommen jetzt aus 
der Schweiz. Dort ist ein Kalibergeschoß, 
in Gebrauch, das sich von den sonst üb 
lichen unterscheidet. Bei letzteren ist der 
Hartbleikern in seiner ganzen Länge von 
einem Stahlmantel umhüllt. Beim schwei 
zerischen Geschoß hingegen ist nur die Ge 
schoßspitze mit einer Melallkappe versehen. 
Diesem Geschoß werden zwei Vorzüge vor 
den andersgebauten zugesprochen. Einmal 
soll sich der Gewehrlauf weniger abnützen; 
sodann aber sollen die Geschosse im Ver 
hältniß eine größere Anfangsgeschwindig 
keit haben. Auf den ersten Blick erscheint 
es sonderbar, daß gerade aus der Schweiz, 
dem Lanve der Volksmiliz, Nachrichten 
über schivere Verletzungen mit dem Klein- 
kalibergeschoß kommen. Aufgehellt wird 
die Sachlage durch die für unsere Ver 
hältnisse absonderliche Thatsache, daß die 
Schweizer Milizen ihr sog. Ordonnanz- 
Gewehr in ihrer Wohnung aufbewahren. 
Unter diesen Umständen kommen Unbe 
rufene leicht dazu, mit der Schußwaffe un 
geschickt zu hantiren und Unglück anzu 
richten. Von verschiedenen mitgetheilten 
Fällen ist der Folgende der bedeutsamste: 
Ein Austräger, Korporal in der Miliz, 
erschießt sich mit seinem Dienstgewehr. 
Die Kugel geht durch die Brust und ver 
letzt Lunge und Herz, durchschlägt dann 
die Zimmerwand und eine Holzleiste an 
dieser. Dabei zersplittert das Geschoß in 
zwei Stücke. Beide verletzten eine Frau, 
vie an der gegenüberliegenden Wand des 
benachbarten Zimmers beschäftigt ist. Im 
zweiten Falle spielte ein Knabe mit dem 
Dienstgewehr seines Vaters. Das Gewehr 
geht los, durchschlägt die Zimmerdecke, 
vie aus zwei Bretterlagen bestand. Es 
trifft dann auf ein Bett. Es durchdringt 
ein querliegendes Stützbrett. Beim Auf- 
tressen auf einen Ast in. diesem zerspringt 
das t eschoß in zwei Stücke, beide zerfetzten 
den Beltsack, das Unterbett und die Bett- 
46) 
Der Detektiv. 
Roman von I. F. Molloy und K. Dietrich. 
Markwald hatte eben seine Toilette been 
det, als das alte Dienstmädchen, die ihm die 
Wohnung in Ordnung hielt, eine Visiten 
karte mit dem Aufdruck: „Jakob Jlgncr, 
Kriminalkommissar" hereinbrachte. Beim An 
blick dieses Namens dachte Hugo in seiner 
hoffnungsfreudigen Stimmung sofort, der 
Beamte hatte irgend welche wichtige Ent 
deckung hinsichtlich des Mörders gemacht und 
wünsche ihn davon sofort zu verständigen. 
Vielleicht würde er schließlich doch diesem 
M i,ne, dem er mit soviet Vorurtheil und 
Mißtrauen begegnet war, und nicht dem be 
rühmten Gillwaldt seine Befreiung von jenem 
schnöden Verdacht verdanken, und so rief er 
denn dem Dienstmädchen zu; „Führen Sie 
den Herrn sofort zu mir!" 
Der Kommissar trat ein und blieb un 
mittelbar an der Thür stehen, mit einem be 
friedigten Lächeln und 
einer zuversichtlichen, 
s« 
M 
ist 
I 
beinahe unverschämten, selbstgewissen Haltung, 
die Markwald aus das Unangenehmste be 
rührte. Deshalb erhob er sich auch nicht ans 
seinem Lehnstuhl, sondern sagte nur kurz: 
„Guten Abend." 
„Guten Abend, Herr von Markwald," 
antwortete der Kommissar, und fügte nach 
einer kurzen Pause hinzu: „Ich sagte ja da 
mals schon, das wir einander doch wieder 
begegnen würden." 
„Allerdings. Sic bringen mir hoffentlich 
gute Nachrichten." 
Jlgncr blickte ihn erstaunt an, denn diese 
unbefangene Ruhe des Raubmörders befrem 
dete ihn nicht wenig. Er beruhigte sich je 
doch sofort mit dem Gedanken, das wäre nur 
Schauspielerei, um ihn irre zu leiten, und 
empfand ein gewisses Vergnügen daran, diese 
seines Erachtens ganz unerhörte Unverschämt 
heit dadurch heimzuzahlen, daß er mit seiner 
Beute noch ein wenig wie die Katze mit der 
Maus spielte. 
„Das hängt ganz davon ab, von welchem 
Standpunkte man die Sache betrachtet," ant 
wortete er daher. 
Der spöttische Ton wirkte geradezu ver 
letzend, Hugo wollte sich jedoch durch diesen 
Menschen nicht aufregen lassen und fragte 
kurz: „Haben Sie ihn gefunden?" 
„Ja, ich denke, ich bin ihm ziemlich nahe." 
„Wo ist er denn?" fragte Hugo, sich er- 
wartungsvoll erhebend. 
„Hier," antwortete der Kommissar gelassen. 
„Was meinen Sie?" rief Hugo und trat 
ihm stirnrunzelnd näher. 
„Daß ich Sie auf Grund dieses Verhaft 
befehls wegen Mordversuchs gegen Frau von 
Focrstcr und Diebstahls ihres Schmuckes hier 
durch verhafte." 
„Hugo blickte ihn fassungslos an und rief 
dann mit starren! Staunen: Mordversuchs? 
Diebstahls — und mich verhaften?" 
„Wissen Sie, Herr von Markwald," 
meinte der Kommissar jetzt in ernsterem Ton, 
als wie er bisher gesprochen, „es hat gar 
keine» Zweck, so Koniödie zu spielen." 
„Aber wie können Sie denn solch wahn 
sinniges Zeug reden, Mensch? Ich begreife 
ja gar nicht, was Sie eigentlich meinen." 
„Nun, dann will ich es Ihnen sagen," 
erwiderte der Kommissar spöttisch. „Frau 
von Focrster wurde heute früh beinahe todt 
anfgcfunden und ihr Schniuck ist verschwun 
den. Der Dieb hatte sie mit ^Chloroform 
betäubt." 
„Chloroform? — Dasselbe Mittel?" 
„Dasselbe," stimmte der Kommissar ihm bei 
„Ist sie noch am Leben oder todt?" fragte 
der Künstler in einem heiseren Flüstern, wel 
ches das ihn erfüllende, innere Grauen bei 
nahe unverständlich machte 
Jlgncr vermuthete, daß er nur deshalb, 
darüber Auskunft wünschte, weil er fürchtete, 
daß sein Opfer ihn erkannt hätte, und ant 
wortete daher triumphierend: „Sie hat sick 
schon wieder ganz erholt." 
Die Erleichterung und Beruhigung, welche 
Hugo bei diesen Worten empfand, war augen 
scheinlich, aber der Kommissar hielt auch sie 
nur für geschickte Schauspielerei und fragte 
daher kurz: „Wollen Sie jetzt kommen?" 
„Nur noch ein Wort: was kann mich in 
Beziehung zu diesem Vorfall bringen?" 
__ „Sie waren gestern Abend noch zu später 
Stunde in Frau von Foersters Hause, und 
niemand sah Sie dasselbe verlassen." 
„Ich bin unschuldig," erklärte Hugo ent 
schieden, erinnerte sich aber dabei, daß niemand 
in der Flurhalle gewesen war, als er das 
Haus verließ, und daß er sich die Thür 
selbst geöffnet und hinter sich zugezogen hatte. 
„Schon gut, aber jedenfalls müssen Sie 
jetzt mit mir konlmen, und ehe wir aufbrechen, 
möchte ich Sie uni die Schlüssel zu Ihrem 
Atelier bitten. Zwei von nieinen Leuten 
warten draußen, um hier bei Ihnen Haus 
suchung zu halten, und sobald sie hier fertig 
sind, sollen sie sich auch nach dem Atelier 
begeben." 
Hugo nahn, die Schlüssel vom Kaminsims 
und reichte sie ihm stumm. Der Schatten, 
der seit Foersters Ermordung auf sein Leben 
gefallen war, senkte sich jetzt tiefer, schwärzer, 
bedrückender als je zuvor auf ihn nieder. 
Die Seelenqual und Demüthigung, die er 
dabei empfand, lähmte ihn beinahe, ohne jedoch 
an Schärfe und Unerträglichkeit auch nur im 
geringsten zu verlieren. Was hatte er gethan, 
um so etwas zu verdien n? Weshalb wurde 
gerade ihm ein so entsetzliches Geschick? — 
Er vermochte es nicht zu begreifen. 
Wortlos wie im Traume folgte er Jlgner 
auf den Flur und wäre ohne Ueberrock und 
Hut die Treppe hinuntergegangen, wenn der 
Kommissar ihm nicht beides gereicht und 
beim Anziehen des Ueberrockes auch nach 
geholfen hätte. Als sic auf den Treppen 
absatz hinaustraten, begaben sich die beiden 
dort wartenden Beamten auf ein Nicken 
Jlgners ohne weiteres in die Wohnung. 
Hugo sah sie eintreten, machte aber keinerlei 
Bemerkung. Er wußte, daß alles, was er 
besaß, jetzt dem Belieben dieser Menschen 
auf Gnade und Ungnade überliefert war. 
Sie würden alle seine Privatangelegenheiten 
durchforschen, seine Briefe lesen, die wenigen 
Andenken und Erinnerungen, die er fast als 
geheiligte Schätze betrachtete, neugierig durch 
schnüffeln. Aber was er auch denken oder 
sagen mochte, sie daran zu hindern, war er 
nicht mehr im stände, also schwieg er lieber. 
Hülflos, wie in einem Netz, aus dessen 
Maschen es kein Entkommen für ihn gab, 
fühlte er sich gefangen. Als sie die Treppen 
hinunterstiegen, fühlte er, daß der Kommissar 
plötzlich die Hand auf seinen Arm legte. 
Entrüstet wandte er sich um, schüttelte sie ab. 
starrte seinen Begleiter mit glühenden Augen 
an und rief in heftigem Zorn: „Das ist 
nnnöthig. Bitte berühren Sie micht nicht!" 
„Nehmen Sie es nicht übel, Herr von 
Markwald. Ich thue nur meine Pflicht." 
„Sie brauchen wirklich nicht zu fürchten^ 
daß ich einen Fluchtversuch machen werde," 
cntgegncte Hugo bitter, den in ihm aufstei 
genden Jähzorn nur mühsam beherrschend. 
„Schon gut," antwortete der Kommissar, 
sich dicht hinter ihm haltend, aber seine Hand 
nicht mehr auf seinen Arm legend. „Es ist 
nun einmal meine Art, jede Verhaftung so 
ruhig als möglich vorzunehmen, ohne Auf- 
regitng und ohne dem Gefangenen mehr 
Unannehmlichkeiten als unbedingt nothwendig 
zu verursachen." 
„Dem Gefangenen!" antwortete Hugo 
entrüstet. 
„Als solchen müssen Sie sich jetzt allerdings 
betrachten, Herr von Markwald. Sie wünschen 
doch, daß wir eine Droschke nehnien?" fragte 
Jlgner, als sie die letzten Treppenstufen 
herunterkamen. 
„Jo." 
Während Hugo draußen vor der Hausthür 
im Licht der Gaslaterne stand, auf die Droschke 
wartend, welche der Kommissar von der 
anderen Seite der Straße herbeiwinkte, blickte 
Jlgner ihn forschend an, und dieser eine 
Blick überzeugte ihn, daß seine Ansicht, der 
Gefangene hätte sich ihn, gegenüber bisher 
nur verstellt, doch wohl durchaus irrig märe. 
In den wenigen Minuten, die seit der Ver 
haftung vergangen waren, schien der Künstler 
um Jahre gealtert zu sein. Das glühende 
Eisen der Schande war tief in seine Seele 
gedrungen. 
(Fortsetzung folgt.)
	        
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