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87ster Jahrgang.
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Wo. 294.
SonncrbenZ, den 15. December
1894.
Deutscher Reichstag.
5. Sitzung.
Berlin, 111. December.
Auf der Tagesordnung steht die Verlesung
»otgender Interpellation des Abgeordneten
Dr. Friedberg: „Welche Maßregeln iu Bezug
aus eine Abänderung des geltenden Zuckersteuer
gesetzes denken die verbündeten Regierungen zu
ergreifen, um die Schädigungen, die der deutschen
Landwirthschaft und der deutschen Zuckerindustrie
durch die ausländischen Besteuerungsformen des
Zuckers erwachsen, zu beseitigen?"
Da sich Schatzsekretär Posadowsky zur so
fortigen Beantwortung der Interpellation bereit
erklärt, so erhält zu ihrer Begründung das Wort.
Abg. Dr. Paasche snat-lib.): Meine Freunde
wurden durch die schwere Krisis der Zucker
Industrie und der Landwirthschaft überhaupt ver
^"chßt, die Frage an die Regierung zu richten.
Wir sind überzeugt, daß die Erwägungen und
Voraussetzungen, von denen »ian bei dem neuesten
Zuckergesetz ausging, sich nicht erfüllt haben.
Denn Sie wissen, daß die anderen Länder ihre
Zuckerprämien keineswegs herabgesetzt haben; sie
und vielmehr, z. B. in Frankreich, viermal so
hoch als die gegenwärtig in Deutschland gezahb
ten, die ja bald weiter herabgesetzt werden sollen.
Ich war von Anfang an der Ansicht, daß es gut
sei, das Kampfmittel, das man mit den Prämien
in der Hand hatte, fahren zu lassen, denn nun
haben wir nichts zum Abhandeln. Kein Land
hat sich bereit gefunden, seine Prämien herabzu-
lehen. Dazu kommt, daß Amerika einen ganz
besonders harten Schlag gegen die deutsche Zucker
Jnduitrie geführt hat. Sie werden zugeben,
daß es von höchster Bedeutung ist, wenn Amerika,
das größte Zuckerkonsumtionsland, uns seine
Thore verschließt. Die Lage der Zuckerindustrie
ist gegegcnwärtig so ungünstig wie sie überhaupt
nur sein kann. (Sehr richtig), folglich leiden
auch unsere rübenbauendcit Landwirthe Man
hat darauf hingewiesen, daß die Zuckerindustrie
io günstig situirt sei, daß inan ihr nicht feeisu
springen brauche. Ich habe aber schon gesagt,
dag diese Industrie eine viel höhere Bedeutung
hat, als man annimmt; denn wenn sie auch nur
1 ober 2 p<5i. der Anbauungsflächen ausmacht,
10 ist sie doch vom größten Einfluß auf die q>
lammte deutsche Landwirthschaft und deren Be
trieb, die vielleicht vom intensiven zum exten
siven Betrieb überzugehen gezwungen werden
könnte. Die Zuckerindustrie beschäftigt 440000
Arbeiter, die brotlos werden würden, wenn die
Zuckerindustrie ruinirt würde, und diese Arbeiter-
Haben denselben Anspruch auf Berücksichtigung
wie alle anderen. (Zustimmung.) Dazu kommen
-wch die Nebemndustrien. Die Zuckerindustrie ge
braucht alljährlich 6 Millionen Tonnen Kohlen
und giebt 40 Millionen mhrlich für Reparaturen
^'hnchtungen aus, so daß also ein Nieder-
• an %ri- te ^ el Industrie auch die anderen Industrien
Mitleidenschaft ziehen würde. Die Herab
gehenden Zuckerpreise sind ein Beweis für die
Sorgfalt, mit der die Zuckerfabriken arbeiten.
Den Nutzen für den Staat brauche ich im Ein
zelnen nicht auszuführen. Das ist nicht zu be
streiten, daß eine Ueberproduktion auf dem Welt
märkte besteht; aber nicht richtig ist es, daß
D eutschland und die deutschen Barone allein oder
"ur hauptsächlich an dieser Ueberproduktion
schuld sind. Frankreich, Rußland und Oesterreich
haben ihre Produktion mehr als Deutschland
gesteigert. Wenn Deutschland allein also weniger
produziren würde, so würde die dadurch ent
stehende Lücke zum Schaden Deutschlands sehr
schnell von den concurrirenden Ländern ausge
füllt werden. Deutschland müßte vielmehr noch
mehr Zucker produziren, weil es am meisten ge
eignet ist, den Weltmarkt zu beherrschen. Die
Nothlage der Landwirthschaft zwingt thatsächlich
zu einer Ausdehnung des Rübenbaites und nicht
die hohen Dividenden können sie dazu anreizen.
Wir wollen keine neue Liebesgaben. (Lachen
sinks.) Aus jede Prämie würde die deutsche
Zuckerindustrie ganz verzichten, wenn sie aus dem
Weltmärkte gleiche Concnrrenzbedingungen hätte.
Darum bitte ich die Regierung, sie möge eine
wohlwollende Erklärung abgeben. (Beifall.) -
Staatssekretär Graf v. Posad owsky: Man
kann den Rübenbau das Ferment der deutschen
Landwirthschaft nennen und darum ist es auch
unrichtig, zu sagen, daß nur -eine procentual ge
ringe Fläche des Bodens vom Rübenbau Vor
theil habe. Hätte man den Rübenbau durch das
Gesetz von 1891 vermindern wollen, so hätte man
damit dauernd einige Landestheile privilegirt
gegenüber anderen und namentlich dem Osten
gegenüber, denn dort wird erst durch den Aus
bau der Verkehrswege die Nebenindustrie Vor
theil haben. Thatsache ist der Rückgang der
kleineren Fabriken, weil sie mit weit höheren
Produktionskosten arbeiten als die größeren.
(Sehr richtig links.) Dieselbe Erscheinung findet
sich auch auf dem Gebiete der Brauereien, da
schlucken die größeren die kleineren auf. (Abg
Bebel: Sehr richtig, Heiterkeit.) Auf dein Ge
biete der Spiritusindustiie wäre es ohne die
Staffelung ebenso. („Sehr richtig!" links.)
Welches sind denn die Ursachen der jetzigen
Zucker Calamität? Amerika hat uns differentiell
behandelt und uns nicht nur einen Werthzoll
aufgell gl.
Der Differentialzoll drückt nun auf den Welt
marktspreis und damit auch wieder auf den
heimischen Marktpreis. Darüber bin ich mit dem
Vorredner einverstanden, die Prämien erst
„suspensiv" aufzuheben, d. h. gleichzeitig mit
anderen Staaten. Darin bin ich für die Politik
des Faustpfands. (Zustimmung ) Eine weitere
Uri ache der Calamität liegt in der Ueberpro
duktion, die doch theilweise eine gesunde ist. Man
hat der Landwirthschaft immer gerathen, sie möge
veredelte Früchte bauen. Diesen Rathschlägen 'ist
di« Landwirthschaft gefolgt und hat Rüben ge
baut, zum Theil auch wegen der geringen Ge-
treidepreise, die die Landwirthschaft' zum Deficit
Ährten. Beim Rübenbau kann man nicht sagen
laß er nur ein Betrieb der Barone sei, tut Gegen
theil, es ist der Betrieb der kleinen Leute. Des
halb würde eine Krisis auf dem Zuckermarkte
von verderblichen Folgen gerade für den kleinen
Betrieb sein. Eine solche Krisis bitte ich nicht
vom kapitalistischen Standpunkte aus zu beur
theilen, sondern vom landwirthschaftlichen. Wenn
jetzt der größte Theil unserer Landwirthe bankerott
würde, so würde es sogar an Leuten fehlen, die
ihre Nachfolger werden könnten. Daraus folgt
das eminente Interesse der Landwirthschaft an
der Zuckermdustrie. Eine Zuckerkrisis ist eine
sehr ernste Sache, weil es sich dabei um ganz
enorme Summen handeln ivürde. Die ganze
Industrie würde in eine solche Krisis mit hinein-
gerissen werden. Darum wünsche ich, auf der
linken Seite des Hauses bräche sich der Gedanke
Bahn, daß man nicht jede Forderung der Land
wirthschaft ablehnen kann. Gewiß' haben die
Agrarier auch extreme und unausführbare For
derungen gestellt, aber wenn eben jede berechtigte
Forderung zurückgewiesen wird, so reizt man den
Gegner zu extremen Forderungen. Sie werden
es begreifen, daß ich mich in der Sache selbst
mit Zurückhaltung äußern muß. Ich komme nun
zum Schluß. Das Verhältniß zu Amerika ist
bis jetzt keineswegs geklärt und auch die Verhält
nisse des Zuckermarktes sind nicht so klar, um
sofort irgendwelche Vorschläge zu gesetzlichen Ge
danken zu verdichten. Der Reichskanzler hat aber
die befürchtete Zuckerkrisis zum Gegenstand der
fürsorglichsten Prüfung gemacht. Er ist sich der
Schwere der Folgen einer Zuckerkrisis für die
Landwirthschaft sehr wohl bewußt und deshalb
bereit, zunächst mit den preußischen Ressorts in
Verhandlung zu treten über Wege und Mittel,
einem solchen Unglück vorzubeugen. Sollten
diese Verhandlungen innerhalb der preußischen
Ressorts zu einer Einigung führen, so wird sich
der Reichskanzler in gleicher Weise mit den
übrigen verbündeten Regierungen in Verbindung
setzen, und die Herren können sich darauf ver
lassen, daß die Frage eine wohlwollende Prüfung
und eventuell Entscheidung finden ivird. (Bei
fall rechts.)
Abg. Richter (dfr.) hebt hervor, daß der
Schatzsekretär jetzt nach dem Kanzlerwechsel
agrarische Neigurgen declarire. Wie habe er
dann unter dem vorigen Reichskanzler arbeiten
können? Die ganze Zuckercampagne datire, wie
der Kanzlerwechsel aus Liebenberg, aus den
Jagdgründen von Dietze-Barby. Niemand z>er
kenne die Calamität der niedrigen Zuckerpreise
doch dürfe nichts Unrichtiges geschehen. Wohin
das Subventionssystem führe, sei klar, hier handle
es lich um die Frage, ob die Steuergesetzgebung
eine ungesunde Zunahme des Rübenbaues noch
begünstigen wolle. In dem Verhältniß zu
Amerika dürfe doch nicht die Zuckerin dustrie allein
maßgebend sein, man müßte mit Amerika einen
förmlichen Vertrag schließen. ... .
Schatzsekretretär Graf Vosadowski, tritt
energisch der Insinuation Richter's entaegen, als
ob er seine persönlichen Anschauungen den amt
sichen Beziehungen unterordne. Eher würde er
sofort seine Entlassung nehmen. Agrarier im
technischen Sinne sei er nicht, wohl aber glaube
er, daß die Landwirthschaft der wichtigste Erwerbs-
şki, der in der Gesetzgebung gebührende
Berücksichtigung finden müsse.
Ausķand.
Außereuropäische Gebiete.
Shanghai, 14. Dec. Hier verlautet, foer
Schwiegersohn Li Hung Tşchang-s,
Tschampeilung, sei unter der Anklage lies
Unterschleifs in Nanking verhaftet und sein
Eigenthum konfiszirt worden. — Eine De-
pesche aus Niutschwang meldet, daß eine
Abtheilung der zweiten japanischen
A r m e e etwa 16 Meilen von Niutschwang
eingetroffen sei.
In Coffccvillc in Alabama wurden drei
„Mondscheins-Destillateure und Räuber von
Drr Detektiv.
Ronian von I. F. Molloy und K. Dietrich.
der Menge aus dem Gefängniß geholt und
gelyncht. Sie gehörten zu der berüchtigten
Meachem-Bande. Man hatte ihnen den
Staat verboten. Als sie dennoch zurückkehrten,
wurden sie verhaftet. Das Uebrigc besorgte
die Volksjustiz.
Im Indianer-Territorium wurde
wieder einnial ein Eisenbahn raub ausge
führt. Da im Geldschrank des Expreß-
Waggons keine Werthe waren, so plünderten
die Räuber die Fahrgäste aus, die ihnen ihr
Geld und ihre Schmucksachcn einhändigen
mußten. Der Erlös des Raubes betrug 600
Pfund Sterling.
England.
London, 13. Dez. Unter der Brücke
der Station Holyhead wurde eine Spreng
bombe gefunden, daneben ein Stück eines
angesteckten aber ausgefallenen Zündfadens.
Der Thäter ist unbekannt.
Ruhland.
Ein Schneesturm, der in der Nacht
zWM 2. November am russischen Gouver
nement Orel wüthete, hat, wie erst jetzt
bekannt wird, mehr als 100 Menschen
das Leben gekostet. Mehr als 100
Familienväter und Arbeiter, die in dieser
Nacht unterwegs vom Storni überrascht
wurden, fanden im Schnee ihren Tod.
Spanien.
Madrid, 14, Dec. In der Nähe von
Godella, Provinz Valencia, ist eine Kiste
mit 20 Orsinibomben und 42 Gewehren
aufgefunden.
Italien.
Turin, 14. Dec. Die Studenten-
Unruhen nchnicn einen so bedenklichen
Charakter an, daß Militär consignirt wurde.
Rom, 14. Dec. In den Wandelgängen
der Deputirtenkaminer wurde heute erzählt,
der Staatsanwalt habe an den Prä-
identen der Kammer ein Schreiben ge
richtet, durch bas auf Grund einer Klage
der Gemahlin Crispi's gegen Giolitti die
Auslieferung der in dem 6. Giolitti'schen
Dokuinentenbündel enthaltenen Privatdoku-
mente an das Gericht beantragt wird. Ein
Gerücht besagt, noch andere Persönlich,
keilen würden eine Klage gegen Giolitti
einreichen.
Rom, 14. Dec. Die Relation über die
Dokumente Giolittis, von denen man
nach Andeutungen des genannten Staats
mannes glaubte, sie würden Crispi polt-
tisch und moralisch zum todten Manne
machen und das Kabinet stürzen, wurde
heute endlich verlesen. Nach dem Berichte
des Eiiguentenausschusses befanden sich im
Aktenstoße Giolittis allerdings Briefe Eris'
pis und seiner Gattin. Allein kein einziger
von denselben trug nach übereinstimmendem
Urtheil der fünf Richter auch nur einen
Schimmer von politischem Charakter. Die
Kammer bereitete Crispi eine enthusia
stische Demonstration, indie selbst ein
Theil der Radikalen einstimmte. Die Ur
theile über Giolittis Manöver lauten für
den früheren Ministerpräsidenten sehr wenig
schmeichelhaft. Jedenfalls ist Crispis par
lamentarische Stellung ungemein verstärkt.
Oesterreich Ungarn.
Aus Budapest meldet die „Voss, Ztg." :
Nach Erledigung des Jndenmitätsgesetzes
durch das Oberhaus wird Dr. Weckerle die
Demission des gesammten Cabinets unter
breiten.
Der „Hann. Cour." berichtet über einen
entsetzlichen Vorfall wie folgt: Am letzten
Sonntag wurde in Adelshauscu, Bezirks
amt Aibach, ein 18jähriger Bauernbursche,
dem von seinen Freunden die Hände ans
dem Rücken festgebunden waren, auf ein
junges Pferd gesetzt. Dann banden ihm
die Missethäter die Füße unter dem Bauch
des Pferdes fest, machten das Thier scheu
und jagten es im Galopp davon. Der
Bursche wurde bald darauf unter dem
Pferde hängend am Boden fortgeschleppt.
Der Unglückliche hat infolge des rohen
Streiches sein Leben eingebüßt; sein Kör
per, der später abgebunden wurde, war
total verstümmelt.
Inland.
„Meines Erachtens steht jetzt alles den
Umständen nach gut," meinte der fremde Arzt.
„Ja, aber beinahe wäre sie verloren ge
wesen," stimmte der Geycimrath ihm bei.
„Ist sic denn jetzt aus aller Gefahr?
fragte Cäcilie.
„Ja, aus aller Gefahr."
„Und Sie können nichts weiter für sie
thun?"
„Vorläufig nicht. Jetzt bedarf Sie der
Rnhe."
îh^Kann ich denn gar nichts für Tante
,i° mch> »m
f.i*,*"*' d,m Zimm
„Im Laufe des Tages werde ich wicder
dorjprcchcn und nnch umsehen, wie cs ihr
gcht."
„Ich danke Ihnen, Herr Geheimrath.
„Aber cs ist sehr leicht möglich, daß sie
erst am späten Nachmittag wieder zum Be
wußtsein kommt. Es hängt ganz davon ab,
wie viel Chloroform sir eingeathmct hat, und
>ch vermuthe, daß cs eine ganz gehörige Dosis
gewesen ist."
„Wie schrecklich!" rief Cäcilie.
„Natürlich wissen Sic doch, daß die Poli
er sofort benachrichtigt werden muß."
„Die Polizei?" rief Cäcilie entsetzt. „Ich
wußte nicht, — das heißt, ich dachte nicht,"
'"gw sie verwirrt hinzu.
„Fehlt irgend etwas Wcrthvollcs? Raub
°°er Diebstahl ist doch wohl die einzig an-
nehmbare Veranlassung zu diesem Uebcrfall,"
meinte der fremde Arzt,
„Vermuthlich," erwiderte Cäcilie.
„Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein,"
begann da die Kammcrjungfcr, welche die
ganze Zeit unbeachtet -im Zimmer geblieben
war.
Cäcilie wandte sich zu ihr um und sah,
9 an 3 lilaß und verstört aussehende
Mädchen ei» Schmuckkästchen in der Hand
hielt.
„Was wollen Siel?" fragte Cäcilie.
„Der ganze Schmuck der gnädigen Frau
ist fort." * J
„Fort?" rief der fremde Arzt.
„Ja, Herr Doktor. Ich ordnete ihn selbst
gestern Abend, — und jetzt sind die Kästchen
alle leer," antwortete di« Kammerjungfer in
Thränen ausbrcchcnd.
„Also das war die Veranlassung, — ich
argwöhnte bereits derartiges," bcnierkte der
Hausarzt befriedigt.
Verwirrt und fassungslos blickte Cäcilie
ans die leeren Juwelenkästchen. Das Leben
ihrer Tante war gefährdet worden, um ihren
Schmuck zu rauben. Konnte es etwa dieselbe
Persönlichkeit sein, die beide Verbrechen be
gangen hatte? Und wer mochte das sein?
Das Empfinden abergläubischen Grauens,
welches sie seit dem Augenblick erfaßt hatte,
ils sie das Wort Chloroform hörte, steigerte
ich immer mehr, und mit zitternder Hand
egte sie die Kästen fort, die sie unwillkürlich
aufgenommen und betrachtet hatte.
„Je eher die Polizei benachrichtigt wird,
desto besser," erklärte der Herr Geheimrath.
„Ich fahre an dem Revierbürcau in der
Königin-Augustastraße vorbei und werde gleich
die erforderliche Anzeige erstatten."
Berlin, 14. Decbr. Es ist in gut nntcr-
richteten russischen Kreisen das Gerücht ver
breitet, der bisherige r u s s i s ch e B o t s ch a s t e r
in Wien, Fürst Lobanow, gehe als Nach
folger des Grafen Schuwalow nach Berlin.
An Stelle Lobanow's komme der bisherige
russische Botschafter in Konstantinopel, Herr
von Nelidow, nach Wien.
— Die Meldung der „Bossischen Zeitung",
daß dem Kaiser auf der Jagd in Liebenberg
durch einen uckermärkischen Landwirth die
Lage der Landwirthschaft dringend ans Herz
gelegt worden sei, wird dem Organ des
Bundes der Landwirthe, dem „Dtsch. Tgbl.",
aus bester Quelle bestätigt. Der Landwirth,,
um den es sich handelt, war dem Kaiser aus
früherer prinzlicher Zeit bekannt und schon
darum war der Monarch geneigt, seinen
Darlegungen bereitwillig Gehör zu schenken..
Insbesondere hat der Landwirth dem Kaiser
angeblich nachgewiesen, wie das russische
„Ich danke Ihnen," erwiderte Cäcilie.
„Der Schurke darf nicht entkommen. Je
eher die Polizei ihm nachspürt, desto bester.
Guten Morgen, gnädiges Fräulein. In dcr
Mittagstunde werde ich wieder vorsprechen."
Damitz verabschiedete sich der Hausarzt und
eilte seinem Kollegen nach, der das Zimmer
bereits verlassen hatte.
Dreinnddreißigstes Kapitel.
Die Polizei im Hause.
Sobald die Aerzte fort waren, sank Cäcilie
von düsteren Gedanken gepeinigt in den Lehn
stuhl. Auch nicht einen Augenblick vermochte
sic sich gegen die Uebereinstimmung zwisch
>en
der Ermordung ihres Vetters und dem Ueber-
fall ihrer Tante zu verschließen. Das andere
den gleichen Eindruck haben würden, bezweifelte
sic nicht, aber sie fragte sich nur voller
Angst, welche Schlußfolgerungen man daraus
ziehen, und ob nicht ihrem Geliebten daraus
neue Unannehmlichkeiten, ja vielleicht Gefahren
er-wachsen würden.
Da sie beschlossen hatte, nicht aus dem
Zimmer ihrer Tante zu weichen, brachte ihre
Kamnierjungfcr ihr eine Tasse Kaffee und
etwas Frühstück, mit deni sie gerade fertig
war, als sie fremde Stimmen vor der Thür
hörte, und die Haushälterin meldete, daß ein
Kriminalbeamter und ein Polizeiwachtmeister
'ic zu sprechen wünschten. Cäcilie empfand
wieder dieselbe Angst wie vorhin, faßte aber
ihren ganzen Muth zusammen und ging auf
den Korridor hinaus.
„Ter Herr Geheime Sanitätsrath meldete
eben den Mordversuch und Diebstahl und
ich möchte gern die näheren Umstände wis
sen," begann der Kriminalbeamte.
„Ja," erwiderte Cäcilie.
„Zuvörderst möchten wir das
Zimmer sehen, aus dem der Schmuck gestohlen
wurde."
Cäcilie zauderte, sie in das Schlafzimmer
ihrer Tante hineinzulassen, worauf der Kriminal
beamte ihre Gedanken errathend fortfuhr:
„Es ist von Wichtigkeit und unerläßlich."
„Meine Tante hat sich von den Nach
wirkungen des Chloroform noch nicht erholt,
und ist noch nicht wieder wach, — Sie
rönnen also hereinkommen," antwortete sic,
ihnen vorangehend.
Die beiden Beamten folgte ihr leise, bsickren
nach dem Bett, ans welchen Frau von Focrster
lag, und rings im Zimmer umher, alle Ein
zelheiten in demselben mit scharfem Blick auf
fassend. Kein Stuhl war umgeworfen, kein
Tisch verschoben, nichts zeugte von irgend
welchen Gewaltthätigkeiten. Alles war so
ganz in Ordnung, als ob nicht vor wenig
Stunden ein Mordversuch gemacht und ein
Raub ausgeführt worden wäre.
„Ist irgend etwas angerührt worden,
Fräulein, oder ist alles noch so/ wie es heute
Morgen gefunden wurde?"
„Das weiß ich nicht," antwortete Cäcilie.
„Die Kammerjungfer meiner Tante kam zuerst,
und kann Ihnen das sagen."
Der Kriminalbeamte ging rings um das
Bett herum, untersuchte die Fenster, musterte
die Flaschen aus dem Toilettentisch und roch
auch an denselben, blickte auf die leeren Schmuck-
kästen und machte sich dabei zahlreiche Notizen,
dann und wann dem Polizeiwachtmeister einige
Worte zuflüsternd.
„Sic kamen also heute Morgen nicht zuerst
ins Zimmer?" wendete er sich daraufzu
Cäcilie, als er mit seinen Untersuchungen
fertig mar. „Darf ich fragen, wann Sie
zuerst von dem Mordversuche hörten?"
„Ungefähr um acht Uhr heute früh kanl
meine Kammerjungfer in mein Schlafziinmcr
und benachrichtigte nlich davon."
„Wo ist Ihr Schlafzimmer?"
„Am Ende des Korridors im Seitenflügel
des Hanfes in diesem selben Stockwerk."
„Schläft sonst noch jeniand in diesem
Stockwerk?"
^ Nein, es befinden sich noch mehrere
Schlafzimmer zwischen km Zimmer meiner
Tante und dem meinen. Dieselben dienen
als Gastzimmer, sind zur Zeit aber unbesetzt."
„Hörten Sie gar keine Schritte oder kein
Geräusch während der Nacht?"
„Nein."
„Und keine Hülferufe?"
„Nein."
„Sie schliefen wohl ganz fest?"
„Ja," antwortete Cäcilie und dachte dabei
mit Schmerzen daran, wie glücklich und froh
sic gestern Abend »ach ihrem Zusammensein
niit Hugo zur Ruhe gegangen mar.
„Halten Sic cs für möglich, daß, wenn
jemand in diesem Zimmer um Hülfe rief,
Sic es in dem Ihren gehört hätten, falls
Sie wach waren?"
„Das halte ich allerdings für möglich."
„Wann wird Ihre Tante wohl wieder auf
wachen?" fragte der Beamte schließlich nach
einer längeren Pause.
„Erst gegen Abend, meinten die Aerzte. Es
hängt ganz davon ab, wie viel Chloroform
sic eingeathmct hat."
„Vielleicht wird sie im Stande sein, irgend
etwas über den Schurken zu sagen, der sie zu
morden versuchte."
Dieser Gedanke, so nahe er auch lag, wax
Kvfcheint tägLrch.