Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

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87ster Jahrgang. 
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Wo. 294. 
SonncrbenZ, den 15. December 
1894. 
Deutscher Reichstag. 
5. Sitzung. 
Berlin, 111. December. 
Auf der Tagesordnung steht die Verlesung 
»otgender Interpellation des Abgeordneten 
Dr. Friedberg: „Welche Maßregeln iu Bezug 
aus eine Abänderung des geltenden Zuckersteuer 
gesetzes denken die verbündeten Regierungen zu 
ergreifen, um die Schädigungen, die der deutschen 
Landwirthschaft und der deutschen Zuckerindustrie 
durch die ausländischen Besteuerungsformen des 
Zuckers erwachsen, zu beseitigen?" 
Da sich Schatzsekretär Posadowsky zur so 
fortigen Beantwortung der Interpellation bereit 
erklärt, so erhält zu ihrer Begründung das Wort. 
Abg. Dr. Paasche snat-lib.): Meine Freunde 
wurden durch die schwere Krisis der Zucker 
Industrie und der Landwirthschaft überhaupt ver 
^"chßt, die Frage an die Regierung zu richten. 
Wir sind überzeugt, daß die Erwägungen und 
Voraussetzungen, von denen »ian bei dem neuesten 
Zuckergesetz ausging, sich nicht erfüllt haben. 
Denn Sie wissen, daß die anderen Länder ihre 
Zuckerprämien keineswegs herabgesetzt haben; sie 
und vielmehr, z. B. in Frankreich, viermal so 
hoch als die gegenwärtig in Deutschland gezahb 
ten, die ja bald weiter herabgesetzt werden sollen. 
Ich war von Anfang an der Ansicht, daß es gut 
sei, das Kampfmittel, das man mit den Prämien 
in der Hand hatte, fahren zu lassen, denn nun 
haben wir nichts zum Abhandeln. Kein Land 
hat sich bereit gefunden, seine Prämien herabzu- 
lehen. Dazu kommt, daß Amerika einen ganz 
besonders harten Schlag gegen die deutsche Zucker 
Jnduitrie geführt hat. Sie werden zugeben, 
daß es von höchster Bedeutung ist, wenn Amerika, 
das größte Zuckerkonsumtionsland, uns seine 
Thore verschließt. Die Lage der Zuckerindustrie 
ist gegegcnwärtig so ungünstig wie sie überhaupt 
nur sein kann. (Sehr richtig), folglich leiden 
auch unsere rübenbauendcit Landwirthe Man 
hat darauf hingewiesen, daß die Zuckerindustrie 
io günstig situirt sei, daß inan ihr nicht feeisu 
springen brauche. Ich habe aber schon gesagt, 
dag diese Industrie eine viel höhere Bedeutung 
hat, als man annimmt; denn wenn sie auch nur 
1 ober 2 p<5i. der Anbauungsflächen ausmacht, 
10 ist sie doch vom größten Einfluß auf die q> 
lammte deutsche Landwirthschaft und deren Be 
trieb, die vielleicht vom intensiven zum exten 
siven Betrieb überzugehen gezwungen werden 
könnte. Die Zuckerindustrie beschäftigt 440000 
Arbeiter, die brotlos werden würden, wenn die 
Zuckerindustrie ruinirt würde, und diese Arbeiter- 
Haben denselben Anspruch auf Berücksichtigung 
wie alle anderen. (Zustimmung.) Dazu kommen 
-wch die Nebemndustrien. Die Zuckerindustrie ge 
braucht alljährlich 6 Millionen Tonnen Kohlen 
und giebt 40 Millionen mhrlich für Reparaturen 
^'hnchtungen aus, so daß also ein Nieder- 
• an %ri- te ^ el Industrie auch die anderen Industrien 
Mitleidenschaft ziehen würde. Die Herab 
gehenden Zuckerpreise sind ein Beweis für die 
Sorgfalt, mit der die Zuckerfabriken arbeiten. 
Den Nutzen für den Staat brauche ich im Ein 
zelnen nicht auszuführen. Das ist nicht zu be 
streiten, daß eine Ueberproduktion auf dem Welt 
märkte besteht; aber nicht richtig ist es, daß 
D eutschland und die deutschen Barone allein oder 
"ur hauptsächlich an dieser Ueberproduktion 
schuld sind. Frankreich, Rußland und Oesterreich 
haben ihre Produktion mehr als Deutschland 
gesteigert. Wenn Deutschland allein also weniger 
produziren würde, so würde die dadurch ent 
stehende Lücke zum Schaden Deutschlands sehr 
schnell von den concurrirenden Ländern ausge 
füllt werden. Deutschland müßte vielmehr noch 
mehr Zucker produziren, weil es am meisten ge 
eignet ist, den Weltmarkt zu beherrschen. Die 
Nothlage der Landwirthschaft zwingt thatsächlich 
zu einer Ausdehnung des Rübenbaites und nicht 
die hohen Dividenden können sie dazu anreizen. 
Wir wollen keine neue Liebesgaben. (Lachen 
sinks.) Aus jede Prämie würde die deutsche 
Zuckerindustrie ganz verzichten, wenn sie aus dem 
Weltmärkte gleiche Concnrrenzbedingungen hätte. 
Darum bitte ich die Regierung, sie möge eine 
wohlwollende Erklärung abgeben. (Beifall.) - 
Staatssekretär Graf v. Posad owsky: Man 
kann den Rübenbau das Ferment der deutschen 
Landwirthschaft nennen und darum ist es auch 
unrichtig, zu sagen, daß nur -eine procentual ge 
ringe Fläche des Bodens vom Rübenbau Vor 
theil habe. Hätte man den Rübenbau durch das 
Gesetz von 1891 vermindern wollen, so hätte man 
damit dauernd einige Landestheile privilegirt 
gegenüber anderen und namentlich dem Osten 
gegenüber, denn dort wird erst durch den Aus 
bau der Verkehrswege die Nebenindustrie Vor 
theil haben. Thatsache ist der Rückgang der 
kleineren Fabriken, weil sie mit weit höheren 
Produktionskosten arbeiten als die größeren. 
(Sehr richtig links.) Dieselbe Erscheinung findet 
sich auch auf dem Gebiete der Brauereien, da 
schlucken die größeren die kleineren auf. (Abg 
Bebel: Sehr richtig, Heiterkeit.) Auf dein Ge 
biete der Spiritusindustiie wäre es ohne die 
Staffelung ebenso. („Sehr richtig!" links.) 
Welches sind denn die Ursachen der jetzigen 
Zucker Calamität? Amerika hat uns differentiell 
behandelt und uns nicht nur einen Werthzoll 
aufgell gl. 
Der Differentialzoll drückt nun auf den Welt 
marktspreis und damit auch wieder auf den 
heimischen Marktpreis. Darüber bin ich mit dem 
Vorredner einverstanden, die Prämien erst 
„suspensiv" aufzuheben, d. h. gleichzeitig mit 
anderen Staaten. Darin bin ich für die Politik 
des Faustpfands. (Zustimmung ) Eine weitere 
Uri ache der Calamität liegt in der Ueberpro 
duktion, die doch theilweise eine gesunde ist. Man 
hat der Landwirthschaft immer gerathen, sie möge 
veredelte Früchte bauen. Diesen Rathschlägen 'ist 
di« Landwirthschaft gefolgt und hat Rüben ge 
baut, zum Theil auch wegen der geringen Ge- 
treidepreise, die die Landwirthschaft' zum Deficit 
Ährten. Beim Rübenbau kann man nicht sagen 
laß er nur ein Betrieb der Barone sei, tut Gegen 
theil, es ist der Betrieb der kleinen Leute. Des 
halb würde eine Krisis auf dem Zuckermarkte 
von verderblichen Folgen gerade für den kleinen 
Betrieb sein. Eine solche Krisis bitte ich nicht 
vom kapitalistischen Standpunkte aus zu beur 
theilen, sondern vom landwirthschaftlichen. Wenn 
jetzt der größte Theil unserer Landwirthe bankerott 
würde, so würde es sogar an Leuten fehlen, die 
ihre Nachfolger werden könnten. Daraus folgt 
das eminente Interesse der Landwirthschaft an 
der Zuckermdustrie. Eine Zuckerkrisis ist eine 
sehr ernste Sache, weil es sich dabei um ganz 
enorme Summen handeln ivürde. Die ganze 
Industrie würde in eine solche Krisis mit hinein- 
gerissen werden. Darum wünsche ich, auf der 
linken Seite des Hauses bräche sich der Gedanke 
Bahn, daß man nicht jede Forderung der Land 
wirthschaft ablehnen kann. Gewiß' haben die 
Agrarier auch extreme und unausführbare For 
derungen gestellt, aber wenn eben jede berechtigte 
Forderung zurückgewiesen wird, so reizt man den 
Gegner zu extremen Forderungen. Sie werden 
es begreifen, daß ich mich in der Sache selbst 
mit Zurückhaltung äußern muß. Ich komme nun 
zum Schluß. Das Verhältniß zu Amerika ist 
bis jetzt keineswegs geklärt und auch die Verhält 
nisse des Zuckermarktes sind nicht so klar, um 
sofort irgendwelche Vorschläge zu gesetzlichen Ge 
danken zu verdichten. Der Reichskanzler hat aber 
die befürchtete Zuckerkrisis zum Gegenstand der 
fürsorglichsten Prüfung gemacht. Er ist sich der 
Schwere der Folgen einer Zuckerkrisis für die 
Landwirthschaft sehr wohl bewußt und deshalb 
bereit, zunächst mit den preußischen Ressorts in 
Verhandlung zu treten über Wege und Mittel, 
einem solchen Unglück vorzubeugen. Sollten 
diese Verhandlungen innerhalb der preußischen 
Ressorts zu einer Einigung führen, so wird sich 
der Reichskanzler in gleicher Weise mit den 
übrigen verbündeten Regierungen in Verbindung 
setzen, und die Herren können sich darauf ver 
lassen, daß die Frage eine wohlwollende Prüfung 
und eventuell Entscheidung finden ivird. (Bei 
fall rechts.) 
Abg. Richter (dfr.) hebt hervor, daß der 
Schatzsekretär jetzt nach dem Kanzlerwechsel 
agrarische Neigurgen declarire. Wie habe er 
dann unter dem vorigen Reichskanzler arbeiten 
können? Die ganze Zuckercampagne datire, wie 
der Kanzlerwechsel aus Liebenberg, aus den 
Jagdgründen von Dietze-Barby. Niemand z>er 
kenne die Calamität der niedrigen Zuckerpreise 
doch dürfe nichts Unrichtiges geschehen. Wohin 
das Subventionssystem führe, sei klar, hier handle 
es lich um die Frage, ob die Steuergesetzgebung 
eine ungesunde Zunahme des Rübenbaues noch 
begünstigen wolle. In dem Verhältniß zu 
Amerika dürfe doch nicht die Zuckerin dustrie allein 
maßgebend sein, man müßte mit Amerika einen 
förmlichen Vertrag schließen. ... . 
Schatzsekretretär Graf Vosadowski, tritt 
energisch der Insinuation Richter's entaegen, als 
ob er seine persönlichen Anschauungen den amt 
sichen Beziehungen unterordne. Eher würde er 
sofort seine Entlassung nehmen. Agrarier im 
technischen Sinne sei er nicht, wohl aber glaube 
er, daß die Landwirthschaft der wichtigste Erwerbs- 
şki, der in der Gesetzgebung gebührende 
Berücksichtigung finden müsse. 
Ausķand. 
Außereuropäische Gebiete. 
Shanghai, 14. Dec. Hier verlautet, foer 
Schwiegersohn Li Hung Tşchang-s, 
Tschampeilung, sei unter der Anklage lies 
Unterschleifs in Nanking verhaftet und sein 
Eigenthum konfiszirt worden. — Eine De- 
pesche aus Niutschwang meldet, daß eine 
Abtheilung der zweiten japanischen 
A r m e e etwa 16 Meilen von Niutschwang 
eingetroffen sei. 
In Coffccvillc in Alabama wurden drei 
„Mondscheins-Destillateure und Räuber von 
Drr Detektiv. 
Ronian von I. F. Molloy und K. Dietrich. 
der Menge aus dem Gefängniß geholt und 
gelyncht. Sie gehörten zu der berüchtigten 
Meachem-Bande. Man hatte ihnen den 
Staat verboten. Als sie dennoch zurückkehrten, 
wurden sie verhaftet. Das Uebrigc besorgte 
die Volksjustiz. 
Im Indianer-Territorium wurde 
wieder einnial ein Eisenbahn raub ausge 
führt. Da im Geldschrank des Expreß- 
Waggons keine Werthe waren, so plünderten 
die Räuber die Fahrgäste aus, die ihnen ihr 
Geld und ihre Schmucksachcn einhändigen 
mußten. Der Erlös des Raubes betrug 600 
Pfund Sterling. 
England. 
London, 13. Dez. Unter der Brücke 
der Station Holyhead wurde eine Spreng 
bombe gefunden, daneben ein Stück eines 
angesteckten aber ausgefallenen Zündfadens. 
Der Thäter ist unbekannt. 
Ruhland. 
Ein Schneesturm, der in der Nacht 
zWM 2. November am russischen Gouver 
nement Orel wüthete, hat, wie erst jetzt 
bekannt wird, mehr als 100 Menschen 
das Leben gekostet. Mehr als 100 
Familienväter und Arbeiter, die in dieser 
Nacht unterwegs vom Storni überrascht 
wurden, fanden im Schnee ihren Tod. 
Spanien. 
Madrid, 14, Dec. In der Nähe von 
Godella, Provinz Valencia, ist eine Kiste 
mit 20 Orsinibomben und 42 Gewehren 
aufgefunden. 
Italien. 
Turin, 14. Dec. Die Studenten- 
Unruhen nchnicn einen so bedenklichen 
Charakter an, daß Militär consignirt wurde. 
Rom, 14. Dec. In den Wandelgängen 
der Deputirtenkaminer wurde heute erzählt, 
der Staatsanwalt habe an den Prä- 
identen der Kammer ein Schreiben ge 
richtet, durch bas auf Grund einer Klage 
der Gemahlin Crispi's gegen Giolitti die 
Auslieferung der in dem 6. Giolitti'schen 
Dokuinentenbündel enthaltenen Privatdoku- 
mente an das Gericht beantragt wird. Ein 
Gerücht besagt, noch andere Persönlich, 
keilen würden eine Klage gegen Giolitti 
einreichen. 
Rom, 14. Dec. Die Relation über die 
Dokumente Giolittis, von denen man 
nach Andeutungen des genannten Staats 
mannes glaubte, sie würden Crispi polt- 
tisch und moralisch zum todten Manne 
machen und das Kabinet stürzen, wurde 
heute endlich verlesen. Nach dem Berichte 
des Eiiguentenausschusses befanden sich im 
Aktenstoße Giolittis allerdings Briefe Eris' 
pis und seiner Gattin. Allein kein einziger 
von denselben trug nach übereinstimmendem 
Urtheil der fünf Richter auch nur einen 
Schimmer von politischem Charakter. Die 
Kammer bereitete Crispi eine enthusia 
stische Demonstration, indie selbst ein 
Theil der Radikalen einstimmte. Die Ur 
theile über Giolittis Manöver lauten für 
den früheren Ministerpräsidenten sehr wenig 
schmeichelhaft. Jedenfalls ist Crispis par 
lamentarische Stellung ungemein verstärkt. 
Oesterreich Ungarn. 
Aus Budapest meldet die „Voss, Ztg." : 
Nach Erledigung des Jndenmitätsgesetzes 
durch das Oberhaus wird Dr. Weckerle die 
Demission des gesammten Cabinets unter 
breiten. 
Der „Hann. Cour." berichtet über einen 
entsetzlichen Vorfall wie folgt: Am letzten 
Sonntag wurde in Adelshauscu, Bezirks 
amt Aibach, ein 18jähriger Bauernbursche, 
dem von seinen Freunden die Hände ans 
dem Rücken festgebunden waren, auf ein 
junges Pferd gesetzt. Dann banden ihm 
die Missethäter die Füße unter dem Bauch 
des Pferdes fest, machten das Thier scheu 
und jagten es im Galopp davon. Der 
Bursche wurde bald darauf unter dem 
Pferde hängend am Boden fortgeschleppt. 
Der Unglückliche hat infolge des rohen 
Streiches sein Leben eingebüßt; sein Kör 
per, der später abgebunden wurde, war 
total verstümmelt. 
Inland. 
„Meines Erachtens steht jetzt alles den 
Umständen nach gut," meinte der fremde Arzt. 
„Ja, aber beinahe wäre sie verloren ge 
wesen," stimmte der Geycimrath ihm bei. 
„Ist sic denn jetzt aus aller Gefahr? 
fragte Cäcilie. 
„Ja, aus aller Gefahr." 
„Und Sie können nichts weiter für sie 
thun?" 
„Vorläufig nicht. Jetzt bedarf Sie der 
Rnhe." 
îh^Kann ich denn gar nichts für Tante 
,i° mch> »m 
f.i*,*"*' d,m Zimm 
„Im Laufe des Tages werde ich wicder 
dorjprcchcn und nnch umsehen, wie cs ihr 
gcht." 
„Ich danke Ihnen, Herr Geheimrath. 
„Aber cs ist sehr leicht möglich, daß sie 
erst am späten Nachmittag wieder zum Be 
wußtsein kommt. Es hängt ganz davon ab, 
wie viel Chloroform sir eingeathmct hat, und 
>ch vermuthe, daß cs eine ganz gehörige Dosis 
gewesen ist." 
„Wie schrecklich!" rief Cäcilie. 
„Natürlich wissen Sic doch, daß die Poli 
er sofort benachrichtigt werden muß." 
„Die Polizei?" rief Cäcilie entsetzt. „Ich 
wußte nicht, — das heißt, ich dachte nicht," 
'"gw sie verwirrt hinzu. 
„Fehlt irgend etwas Wcrthvollcs? Raub 
°°er Diebstahl ist doch wohl die einzig an- 
nehmbare Veranlassung zu diesem Uebcrfall," 
meinte der fremde Arzt, 
„Vermuthlich," erwiderte Cäcilie. 
„Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein," 
begann da die Kammcrjungfcr, welche die 
ganze Zeit unbeachtet -im Zimmer geblieben 
war. 
Cäcilie wandte sich zu ihr um und sah, 
9 an 3 lilaß und verstört aussehende 
Mädchen ei» Schmuckkästchen in der Hand 
hielt. 
„Was wollen Siel?" fragte Cäcilie. 
„Der ganze Schmuck der gnädigen Frau 
ist fort." * J 
„Fort?" rief der fremde Arzt. 
„Ja, Herr Doktor. Ich ordnete ihn selbst 
gestern Abend, — und jetzt sind die Kästchen 
alle leer," antwortete di« Kammerjungfer in 
Thränen ausbrcchcnd. 
„Also das war die Veranlassung, — ich 
argwöhnte bereits derartiges," bcnierkte der 
Hausarzt befriedigt. 
Verwirrt und fassungslos blickte Cäcilie 
ans die leeren Juwelenkästchen. Das Leben 
ihrer Tante war gefährdet worden, um ihren 
Schmuck zu rauben. Konnte es etwa dieselbe 
Persönlichkeit sein, die beide Verbrechen be 
gangen hatte? Und wer mochte das sein? 
Das Empfinden abergläubischen Grauens, 
welches sie seit dem Augenblick erfaßt hatte, 
ils sie das Wort Chloroform hörte, steigerte 
ich immer mehr, und mit zitternder Hand 
egte sie die Kästen fort, die sie unwillkürlich 
aufgenommen und betrachtet hatte. 
„Je eher die Polizei benachrichtigt wird, 
desto besser," erklärte der Herr Geheimrath. 
„Ich fahre an dem Revierbürcau in der 
Königin-Augustastraße vorbei und werde gleich 
die erforderliche Anzeige erstatten." 
Berlin, 14. Decbr. Es ist in gut nntcr- 
richteten russischen Kreisen das Gerücht ver 
breitet, der bisherige r u s s i s ch e B o t s ch a s t e r 
in Wien, Fürst Lobanow, gehe als Nach 
folger des Grafen Schuwalow nach Berlin. 
An Stelle Lobanow's komme der bisherige 
russische Botschafter in Konstantinopel, Herr 
von Nelidow, nach Wien. 
— Die Meldung der „Bossischen Zeitung", 
daß dem Kaiser auf der Jagd in Liebenberg 
durch einen uckermärkischen Landwirth die 
Lage der Landwirthschaft dringend ans Herz 
gelegt worden sei, wird dem Organ des 
Bundes der Landwirthe, dem „Dtsch. Tgbl.", 
aus bester Quelle bestätigt. Der Landwirth,, 
um den es sich handelt, war dem Kaiser aus 
früherer prinzlicher Zeit bekannt und schon 
darum war der Monarch geneigt, seinen 
Darlegungen bereitwillig Gehör zu schenken.. 
Insbesondere hat der Landwirth dem Kaiser 
angeblich nachgewiesen, wie das russische 
„Ich danke Ihnen," erwiderte Cäcilie. 
„Der Schurke darf nicht entkommen. Je 
eher die Polizei ihm nachspürt, desto bester. 
Guten Morgen, gnädiges Fräulein. In dcr 
Mittagstunde werde ich wieder vorsprechen." 
Damitz verabschiedete sich der Hausarzt und 
eilte seinem Kollegen nach, der das Zimmer 
bereits verlassen hatte. 
Dreinnddreißigstes Kapitel. 
Die Polizei im Hause. 
Sobald die Aerzte fort waren, sank Cäcilie 
von düsteren Gedanken gepeinigt in den Lehn 
stuhl. Auch nicht einen Augenblick vermochte 
sic sich gegen die Uebereinstimmung zwisch 
>en 
der Ermordung ihres Vetters und dem Ueber- 
fall ihrer Tante zu verschließen. Das andere 
den gleichen Eindruck haben würden, bezweifelte 
sic nicht, aber sie fragte sich nur voller 
Angst, welche Schlußfolgerungen man daraus 
ziehen, und ob nicht ihrem Geliebten daraus 
neue Unannehmlichkeiten, ja vielleicht Gefahren 
er-wachsen würden. 
Da sie beschlossen hatte, nicht aus dem 
Zimmer ihrer Tante zu weichen, brachte ihre 
Kamnierjungfcr ihr eine Tasse Kaffee und 
etwas Frühstück, mit deni sie gerade fertig 
war, als sie fremde Stimmen vor der Thür 
hörte, und die Haushälterin meldete, daß ein 
Kriminalbeamter und ein Polizeiwachtmeister 
'ic zu sprechen wünschten. Cäcilie empfand 
wieder dieselbe Angst wie vorhin, faßte aber 
ihren ganzen Muth zusammen und ging auf 
den Korridor hinaus. 
„Ter Herr Geheime Sanitätsrath meldete 
eben den Mordversuch und Diebstahl und 
ich möchte gern die näheren Umstände wis 
sen," begann der Kriminalbeamte. 
„Ja," erwiderte Cäcilie. 
„Zuvörderst möchten wir das 
Zimmer sehen, aus dem der Schmuck gestohlen 
wurde." 
Cäcilie zauderte, sie in das Schlafzimmer 
ihrer Tante hineinzulassen, worauf der Kriminal 
beamte ihre Gedanken errathend fortfuhr: 
„Es ist von Wichtigkeit und unerläßlich." 
„Meine Tante hat sich von den Nach 
wirkungen des Chloroform noch nicht erholt, 
und ist noch nicht wieder wach, — Sie 
rönnen also hereinkommen," antwortete sic, 
ihnen vorangehend. 
Die beiden Beamten folgte ihr leise, bsickren 
nach dem Bett, ans welchen Frau von Focrster 
lag, und rings im Zimmer umher, alle Ein 
zelheiten in demselben mit scharfem Blick auf 
fassend. Kein Stuhl war umgeworfen, kein 
Tisch verschoben, nichts zeugte von irgend 
welchen Gewaltthätigkeiten. Alles war so 
ganz in Ordnung, als ob nicht vor wenig 
Stunden ein Mordversuch gemacht und ein 
Raub ausgeführt worden wäre. 
„Ist irgend etwas angerührt worden, 
Fräulein, oder ist alles noch so/ wie es heute 
Morgen gefunden wurde?" 
„Das weiß ich nicht," antwortete Cäcilie. 
„Die Kammerjungfer meiner Tante kam zuerst, 
und kann Ihnen das sagen." 
Der Kriminalbeamte ging rings um das 
Bett herum, untersuchte die Fenster, musterte 
die Flaschen aus dem Toilettentisch und roch 
auch an denselben, blickte auf die leeren Schmuck- 
kästen und machte sich dabei zahlreiche Notizen, 
dann und wann dem Polizeiwachtmeister einige 
Worte zuflüsternd. 
„Sic kamen also heute Morgen nicht zuerst 
ins Zimmer?" wendete er sich daraufzu 
Cäcilie, als er mit seinen Untersuchungen 
fertig mar. „Darf ich fragen, wann Sie 
zuerst von dem Mordversuche hörten?" 
„Ungefähr um acht Uhr heute früh kanl 
meine Kammerjungfer in mein Schlafziinmcr 
und benachrichtigte nlich davon." 
„Wo ist Ihr Schlafzimmer?" 
„Am Ende des Korridors im Seitenflügel 
des Hanfes in diesem selben Stockwerk." 
„Schläft sonst noch jeniand in diesem 
Stockwerk?" 
^ Nein, es befinden sich noch mehrere 
Schlafzimmer zwischen km Zimmer meiner 
Tante und dem meinen. Dieselben dienen 
als Gastzimmer, sind zur Zeit aber unbesetzt." 
„Hörten Sie gar keine Schritte oder kein 
Geräusch während der Nacht?" 
„Nein." 
„Und keine Hülferufe?" 
„Nein." 
„Sie schliefen wohl ganz fest?" 
„Ja," antwortete Cäcilie und dachte dabei 
mit Schmerzen daran, wie glücklich und froh 
sic gestern Abend »ach ihrem Zusammensein 
niit Hugo zur Ruhe gegangen mar. 
„Halten Sic cs für möglich, daß, wenn 
jemand in diesem Zimmer um Hülfe rief, 
Sic es in dem Ihren gehört hätten, falls 
Sie wach waren?" 
„Das halte ich allerdings für möglich." 
„Wann wird Ihre Tante wohl wieder auf 
wachen?" fragte der Beamte schließlich nach 
einer längeren Pause. 
„Erst gegen Abend, meinten die Aerzte. Es 
hängt ganz davon ab, wie viel Chloroform 
sic eingeathmct hat." 
„Vielleicht wird sie im Stande sein, irgend 
etwas über den Schurken zu sagen, der sie zu 
morden versuchte." 
Dieser Gedanke, so nahe er auch lag, wax 
Kvfcheint tägLrch.
	        
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