Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

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rathsmitgliedern und dem Minister von 
Boetticher empfangen werden. Beim Ein- 
tritt ins Vestibül überreicht der Baumeister 
Wittich den Hauptschlüssel des Gebäudes 
unter einer Ansprache Wallot's, worauf 
die Besichtigung . des Gebäudes erfolgt. 
Alsdann findet die Schlußsteinlegung mit 
den üblichen drei Hammerschlägen statt. 
Schließlich geht die Versammlung in den 
großen Restaurationssaal, wo dem Kaiser 
die noch nicht bekannten Reichstagsmit- 
glirder vorgestellt werden. Bei dieser Ge 
legenheit wird dem Kaiser in einem kost 
baren Pokal eine Probe echten Johannis 
bergers kredenzt werden. Die Feier wird 
etwa 2 Stunden dauern. 
— Reichskanzler Für st Hohenlohe 
ist nunmehr wieder in Berlin eingetroffen. 
— Der „Reichsanz." veröffentlicht die 
Ernennung des Ministers für Landwirth, 
schaff, Domänen und Forsten Freiherrn 
von Hammerstein.Loxten und des 
Justizministers Schönstedt zu Bevoll 
mächtigten zum Bundesrath. 
Berlin, 26. Rov. Ein der hiesigen 
türkischen Botschaft zugegangenes Telegramm 
aus Konstanstinopel meldet: In Folge der 
von armenischen Aufrührern in den Bila> 
jets von Sassun und Talurich begangenen 
Gräuelthaten hat die türkische Regierung 
beschlossen, eine Untersuchungskom 
mission dorthin abzusenden. 
— Der erste Lothringer, der 
activer Offizier im preußischen 
Heere wird, dürfte der durch Cabinets 
ordre vom 15. d. M. zum Portepee, 
fähnrich im 29. Regiment (Garnison Trier) 
beförderte Herr Hugo Gerdolle sein, 
der Sohn des Generalsekretärs des land- 
wirthschaftlichen Bezirksvereins Lothringen 
und Oberförsters a. D. Gerdolle. 
— Zu der seitens der Physikalischen 
Gesellschaft auf den 4. Dezember im Rath- 
Hause anberaumten Helmholtzfeier 
haben sämmtliche wissenschaftlichen Vereine 
und alle studentischen Corporationen 
Deutschlands Einladungen erhalten und 
werden die meisten Vereinigungen durch 
Deputationen vertreten sein. 
— In einem dritten Artikel über 
»B e b e l s F a h n e n e r h e b u n g" wirft 
Voll mar Bebel vor, daß er in seiner 
ganzen Parteithätigkeit „abwechselnd mit 
den hellseherischen Prophe 
zeihungen vom unmittelbar 
bevorstehenden Kladderadatsch" 
mit einer gewissen Regelmäßigkeil auch 
Jeremihklagen erhoben habe über die Ver- 
sumpfung der Partei. Schon Geib habe 
seiner Zeit „Bebel U t o p i st e r e i e n" 
vorgeworfen. Mit Vorliebe mache Bebel 
den Parteigenossen das Wort Bauernfängerei 
zum Vorwurf. Auch den Genossenschaftern 
Legten und Kloß habe Bebel auf dem 
Kölner Parteitag Versumpfung vorgeworfen. 
Die See des Gemüths werde bei keinem 
Menschen leichter durch jeden Luftzug in 
Bewegung gebracht als bei Bebel, und 
wenn gar sein steifnackiger Wille uner 
wartet einigen Schwierigkeiten begegne, so 
schäume und brode es alsbald bei ihm. 
Das Wesen einer Partei könne sich aber 
nicht nach solchen persönlichen Gemüths 
Momenten richten. Aber es hieße Bebel 
selbst den schlechtesten Dienst erweisen, 
wenn man ihn n i ch t e r n st nehmen 
wollte. „Und so bleibt denn nur das Ur- 
theil übrig: daß die Beweggründe von 
Bebels Auftreten in seiner verletzten 
Eigenliebe un dunzugänglichen Recht 
druck wich einem befriedigten Lächeln, und er 
nickte mit ernster Zustimmung, wie wenn er 
sagen wollte, daß mancher Mensch sich nicht 
auf der Stelle im Leben befände, die ihm 
von Rechtswegen zukäme. 
„Wirklich, Sie interessieren mich, mein lie 
ber Freund, und ich möchte Sie deshalb um 
eine Unterredung von wenigen Minuten bit 
ten," fuhr Gillwaldt fort, dabei dem Diener 
rin Zwanzigmarkstück in die Hand drückend. 
Jener sah sich dasselbe genau an, wie um 
sich zu überzeugen, daß er auch nicht träumte, 
steckte es dann schnell in seine Tasche, damit 
es nicht etwa zurückgefordert würde, und 
fragte dann mit nicht geringer Verwunderung: 
„Was wollen Sie denn eigentlich?" 
„Ich wünsche nur einige Auskunft von 
Ihnen zu erhalten." 
„Worüber?" fragte der Diener mit noch 
größeren! Erstaunen. 
„Ueber Ihrem Herrn." 
Der Diener begann zu überlegen, aber 
Gillwaldt ließ ihm keine Zeit dazu, sondern 
fuhr fort: „Noch viele Goldstücke werden 
diesem, ersten folgen, falls Sie im Stande 
sind, mir die gewünschte Auskunft zu geben." 
Der Diener dachte eifrig nach. Da bot 
sich ihm eine Gelegenheit, schnell Geld zu 
verdienen. Nichts, was er wußte und er 
zählen konnte, war seines Erachtens geeignet, 
seinem Herrn zu schaden, — und selbst wenn 
das der Fall wäre, brauchte sein Herr doch 
nicht zu erfahren, wer über ihn gesprochen 
hatte — und so fragte er denn: 
„Werden Sic auch Niemandem sagen, von 
wem Sie das gehört haben, was Sie von 
mir wissen wollen?" 
„Darauf gebe ich Ihnen mein Wort." 
„Dann kommen Sie herein und sagen Sie 
mir, was Sie zu wissen wünschen," anl- 
wortete der Diener und führte Gillwaldt nach 
dem Salon. 
(Fortsetzung folgt.) 
haberei und Selbstherrlichkeit zu 
suchen sind, die ihn — den Führer einer 
demokratischen Partei — seine Person 
haben über das offensichtlichste 
Pa rt ei-Inte resse stellen lassen, zum 
Aergerniß und Schaden der Sozialdemo, 
kratie und nur den Gegnern zur Freude 
und zu Nutzen." 
- Die „Fränk. Tagespost" des Herrn 
Grillenberger konstatirt, daß bis jetzt alle 
Parteiblätter, welche die Streitfrage selbst, 
ständig behandeln, dem Genossen Bebel 
sachlich Unrecht geben. Die „Frank. Taaes 
post" habe im Interesse Bebel's dessen 
Berliner Rede nicht vollständig wieder- 
gegeben, weil es eine seiner schwächsten 
Leistungen gewesen, und man ohnehin große 
Erbitterung alter Gnossen gegen ihn durch 
den Abdruck nicht noch steigern wollte. 
Niemals hätte man denken können, Bebel 
auf dem Niveau zu begegnen, daß alle 
diejenigen, welche schon einmal aus Partei 
Mitteln eine Unterstützung oder eine Ent 
schädigung oder auch Beiträge zur Agitation 
empfangen haben, gegenwärtig sein müßten, 
Gefahr zu laufen, dies öffentlich vorgeworfen 
zu bekommen, wenn sie sich erlauben, 
rückhaltslos eine eigene Meinung gegenüber 
den Ansichten Bebels zu verfechten. 
Berlin, 26. Nov. Die in der Sing 
akademie abzuhaltende Gedächtnißfeier sür 
H. v. H e l m h o l tz ist auf den 14. De- 
cember verschoben worden. 
Eisenbahnminister Thielen hat am 
Bußtag seine Gattin Friederike, geb. von 
Spankeren, durch den Tod verloren. 
Trotz oder mit Genehmigung der Behörden 
wird der Kölner Karneval während der 
Fastenzeit des nächsten Jahres in Berlin 
seinen Einzug halten. Die hier lebenden 
Rheinländer rüsten sich bereits, dem 
Prinzen einen würdigen Empfang zu 
bereiten. Von öffentlichen Umzügen nahm 
aber der „Rath der 11 Rhing-Rabaue" 
Abstand, weil er glaubte, daß dadurch der 
großstädtische Verkehr aufgehalten werden 
würde. Interessant ist es vielleicht zu 
erfahren, daß in Berlin 15 511 Rhein- 
länder wohnen, sodaß demnach auf einen 
würdigen Verlaus der Fastnachtszeit auf 
alle Fälle zu rechnen ist. 
Ein zweiter Circus Renz twird 
voraussichtlich in Berlin erstehen. Wie die 
„Börsen-Ztg." hört, steht Herr Kommissions- 
rath Renz mit den Besitzern eines größeren 
Häuserkomplexes im Südwesten der Stadt 
in Kaufunterhandlungen, die bereits dem 
Abschlüsse nahe sind. Die Größe des 
Terrains gestattet einen noch umfang- 
reicheren Bau und daher noch bei weitem 
bequemere Platz, und Foyereintheilung, so- 
wie ausgedehntere Stalleinrichtungen, als 
der jetzig- Circus sie hat, der jedoch eben 
falls im Betriebe bleibt; denn das zahl 
reiche Künstlerpersonal und bedeutende 
Pferdematerial, über das der Circus Renz 
stets verfügt, gestattet diesen Doppelbetrieb 
sehr gut. 
Vom Reichsgericht wurde eine Ent 
scheidnng getroffen, welche überall von 
größtem Interesse ist, wo es v er m i e t h e t e 
Kirchenstühle giebt. Nimmt Jemand 
bei Beginn des Gottesdienstes einen Kirchen- 
stuhl ein, der einem rechtmäßigen Miether 
gehört, und kommt dann der Miether, und 
will den Daraufsitzenden wegweisen, so ist 
das eine Störung des öffentlichen 
Gottesdienstes. Will der rechtmäßige 
Pächter seinen Sitz nicht anderweitig be 
setzt haben, so ist es seine Pflicht, v o r 
Beginn des Gottesdienstes auf der Stelle 
zu sein. 
Der älteste Einwohner Berlins, 
der frühere Uhrmacher I. G. Hagemann 
ist Donnerstag-Nachmittag im 103. Lebens- 
1 jähre gestorben. Der Verstorbene war am 
25. März 1792 in Uscht bei Driesen ge 
boren und hat als Mitkämpfer an den 
Befreiungskriegen thätigen Antheil ge 
nommen. 
Athemlos und thränenden Auges, kam 
am Dienstag Vormittag ein 10 jähriges 
Mädchen auf das Polizeibueeau in der 
Brunnenstraße in Berlin gelaufen und be 
richtete dem Lieutenant wörtlich: „Lieber 
Herr Lieutenant, bitte kommen Sie doch 
gleich mit in unsere Wohnung, dort hat 
sich unsere guter Mutter aufgehängt, weil 
sie für uns fünf Kinder nichts 
mehr zu essen hatte. Vater ist schon 
seit drei Wochen nicht mehr nach Hause 
gekommen!" Die Ermittelungen haben 
leider die traurige Wahrheit ergeben; 
denn man fand in der armseligen Wohnung 
vie Mutter als Leiche vor. Ihre hinter 
lassenen fünf Kinder sind dem Waisenhause 
î überwiesen worden, die Leiche der Un- 
glücklichen wurde nach dem Schauhause 
gebracht. 
Königsberg i. Pr., 26. November. Die 
Stromüberwachung in den Bezirken Schmal- 
leningken, Ruß, Sankuppen und Memel 
wurde heute vom Staatscommiffar auf- 
gehoben. Die Gesundheits - Ueberwa- 
chung auf dem Pregel und der Memel 
wurde eingestellt. 
26. Nov. Im Prozeß K l e s e r 
wegen Beleidigung des Slaatssekre. 
tärs Frhrn. v. Marschall (in der bekannten 
„Klavderavaisch".Affaire) oerurtheilte der 
Gerichishos Dr Kleser und Nestler zu je 
2 Monaten Gefängniß und Zimmermann 
zu 150 „fc oselvstrafe. 
Saargemünd, 24. Novbr. Unter dem 
Verdacht, weitere bedeutende Veruntreu 
ungen im Betrag von über 30,000 Mark 
begangen zu haben, ist gestern der frühere 
Stadtrechner Jager dahier, dessen Unter- 
schlagungen vor mehreren Monaten großes 
Aufsehen erregten, wieder verhaftet wor- 
den. In dieser Angelegenheit spielt, wie 
früher, das „ewig Weibliche" ebenfalls 
eine Rolle. Es wird sich zeigen, in wie 
weit der Verdacht begründet ist. 
Darmstadt, 24. Nov. Das bereits ge 
meldete Großfeuer in der Alter'sehen 
Möbelfabrik ist in den Verkaufsräumen 
durch Unvorsichtigkeit eines Installateurs, 
der an der elektrischen Leitung zu thun 
hatte, entstanden. Es verbreitete sich der 
art rasch, daß in wenigen Minuten das 
Feuer alle Stockwerke des Vorderhauses 
Elisabethstraße 34 ergriffen hatte und einen 
angebauten Werkstätteraum erfaßte, von 
dem aus der in der angrenzenden Zirnmer 
straße gelegene Neubau ergriffen wurde. 
Es gelang gegen 6 Uhr des Feuers soweit 
Herr zu werden, daß eine Gefahr der 
Weiterverbreitung ausgeschlossen war. Der 
an Mobilien und Immobilien entstandene 
Schaden ist sehr bedeutend, denn von 70 
größtentheils auf das Eleganteste einge- 
gerichteten Musterzimmern ist nur Weniges 
vom Feuer verschont geblieben; was nicht 
verbrannt, ist jedenfalls durch Wasser 
völlig entwerthet. 
Naumburg, 23. Novbr. Im benach 
barten Orte Wettaburg starb eine im 84. 
Lebensjahre stehende Wittwe, die seit dem 
Tode ihres Mannes etwa 20 Jahre lang 
dessen Aemter eines Gemeindehirten 
und Nachtwächters unentgeltlich 
und sicherlich zur Zufriedenheit der Ein 
wohnerschaft versehen hat. In ihrem Te 
stamente hat sie dem Dorfe dann noch ein 
Vermächtniß von 600 Mk. ausgesetzt. 
Glückliches Wettaburg! 
Von einem Gensdarmen tödtlich 
verwundet wurde kürzlich in München 
der Lederarbeiter Lorenz Wunbauer, Vater 
von 5 Kindern. Wimbauer ging Abends 
mit seinem 15jährigen Sohue durch die 
Lazarethstraße, jeder mit einem Bündel 
Holz auf dem Rücken. Zwei Gendarmen 
hielten die Passanten an, da sie in ihnen 
Holzdiebe vermutheten. Nach einigem 
Sträuben gaben Vater und Sohn ihre 
Holzbündel ab. Der Gendarm Steuer 
geleitete darauf beide bis zur Thüre ihrer 
Wohnung. Bei der Thür der fraglichen 
Wohnung angelangt, scheint der Gensdarm 
Anstalt gemacht zu haben, den 15jährigen 
Knaben zu arretiren, wenigstens hörte man 
den Vater wiederholt sagen: „Der Bub' 
bleibt bei mir." Dem folgte eine Schiebung 
zwischen den dreien; man sah den Gens 
darmen blank ziehen, zweimal auf den 
Mann einhauen und dann zustechen. Vater 
und Sohn liefen darauf an der Seite des 
Hauses entlang nach dem Hos, der Gens 
darm ihnen nach. Inzwischen kam der 
zweite Gensdarm auch dazu und begab 
sich gleichfalls nach dem Hof, von wo der 
Knabe geschlossen durch den Gendarm 
Steuer nach der Straße geführt wurde 
Inzwischen kam die Frau mit zwei Kindern 
auf den Armen aus der Wohnung um 
nachzusehen, schrie aber entsetzlich auf, als 
sie ihren Mann am Boden liegen und 
einen Gensdarmen sich mit ihm beschäftigen 
sah. Gensdarm Steuer soll hierauf, wie 
dem „L. A." berichtet wird, seinen Arre 
kanten, den Sohn des Gestochenen, ent 
rsselt und freigelassen, ihn aber schleunigst 
vom Orte entfernt haben. Während dieser 
Zeit erlag Wimbauer seiner Verletzung 
und war nach 10 Minuten eine Leiche 
Obschon der Gensdarm von einem Messer, 
das der Mann gezogen haben soll, redete 
konnte ein solches weder auf dem Platze 
noch bei der von dem Gensdarmen unter 
suchten Leiche gefunden werden. 
Blumenthal, 25. Novbr. Ein eigen 
artiger Rechts st reit wird dem 
nächst die bremischen Gerichte beschäftigen 
Mehrere Einwohner von Vegesack sollen 
von dem Kirchenvorstande verklagt werden, 
weil sie ihre Kinder nicht in der unirten 
Vegesacker Kirche ha ben taufen lassen 
Die Betreffenden weigern sich, die gefor 
derte Gebühr von 5 „F zu zahlen, da sie 
die Dienste des hiesigen Pastors zur Taufe 
nicht in Anspruch genommen haben. Einige 
von den Leuten gehören der lutherischen 
Gemeinde in Aumund an und haben von 
dem dortigen Pastor die Taufe vollziehen 
lassen, andere haben ihre Kinder in Bremen 
taufen lassen. Man darf auf den Aus 
trag dieses Streites mit Recht gespannt sein 
Um den Ankauf des Richard 
Wagner-Museums für die Stadt 
Leipzig, den Geburtsort des Meisters, zu 
ermöglichen, wird man in diesen Tagen 
abermals daselbst neue Versuche machen. 
Der Gesammtpreis beträgt bekanntlich 
90 000 Ji. Die Summe von 21 000 Jl 
ist bereits zum Erwerb des Wagner- 
Museums vorhanden und die fehlenden 
69 000 hofft man durch freiwillige 
Beiträge zusammenzubringen. Es soll be- 
reits in den nächsten Tagen eine Liste zur 
Einzeichnung in Umlauf gesetzt werden. 
Das Museum mit seinem werthvollen In- 
hatte ivürde dann in erster Linie der 
Wagner-Forschung zu dienen bestimmt 
KU!. 
. Der letzte Sprößling des Malers 
Holbein, ein alter, gänzlich mittelloser 
Mann, der seit einiger Zeit in Aussig 
wohnte, wurde von einer reichen Guts 
besitzerin in Dresden — io hieß es — zum 
Ehemanne begehrt, die die größte Sehnsucht 
habe, diesen berühmten Namen tragen zu 
dürfen, und zugleich die Absicht hege, diesen 
letzten Sprößling dem Elende zu entreißen 
Die Ehe kam auch zu Stande. Aber die 
„Gutsbesitzerin" entpuppte sich als die 
Tochter eines Kutschers, die von einem 
vermögenden Manne bereits zwei Kinder 
hatte; sie bewog ihren nunmehrigen alten 
Ehegatten dazu, diese zwei Kinder als 
seine eigenen anzuerkennen. Nach der 
Trauung gab sie dem armen Holbein wie 
der den Laufpaß und keinen Kreuzer Geld 
Man hat die Absicht, ihn irgendwo in 
^"herzubringen. Die Stadtgemeinde 
Aussig will aber gegen die Giltigkeit der 
Ehe Schritte thun, da dort kein Aufgebot 
erfolgt sei. 
Pirna, 24. Nov. Der in Haft ge 
nommene Direktor Weiß von der hies 
„Vereinsbank" hat sich im Gefängniß er 
hängt. 
Ein Bild entsetzlicher Rohheit ent 
rollte in Bremen eine Schwurgerichtsver 
handlung. Der 31jährige Obersteuermann 
Hermann Theodor Spree hat auf einer 
Reise der Bremer Bank „Paul Jsenberg" 
)en etwas linkischen und wenig gewandten 
chwedischen Matrosen Charley Petersen 
zu Tode mißhandelt. Auch der Kapitän 
Biet betheiligte sich daran, er ist noch au' 
See und wird später abgeurtheilt werden 
Man weiß, daß es unter den Schiffsmann 
chasten faule Leute gibt, die nur durch 
Bestrafung angetrieben werden können, aber 
die Behandlung des Petersen spottet jeder 
Beschreibung und ist eine Mißachtung aller 
Menschlichkeit. Er mußte, nur mit einem 
Hemd bekleidet, auf Deck in der Kälte und 
im Regen zubringen, Spree peitschte mit 
einem dicken Tauende auf ihn ein und be- 
goß die blutenden Wunden mit beißendem 
See wasser. Petersen wurde so hinfällig 
daß er keine Kraft mehr zur Arbeit hatte. 
Da ließ Spree ihn fast eine Stunde lang 
am Mast baumeln. Petersen lechzte ver- 
geblich nach Wasser, wurde irrsinnig und 
ang fromme Lieder. Als er einmal von 
elbst loskam, wurde er wieder mißhandelt 
und hochgezogen, wobei ihm das Tau die 
Brust zuschnürte. Bald war er eine Leiche, 
und die empörten Matrosen sahen, daß der 
Körper des Unglücklichen mit Striemen und 
Blutschwielen förmlich bedeckt war. Der 
Angeklagte wurde zu 8 Jahren Zuchthaus 
verurtheilt. 
In der S t r a f a n st a l t zu Pechta 
fand man gestern Morgen in einer Zelle 
sechs Insassen in b e w u ß t l o s e m 
Z u st a n d e vor. Wie sich herausstellte 
war das Unglück durch Platzen eines Gas 
rohres verursacht worden. Ein Sträfling 
war todt, die übrigen fünf wurden nach 
stundenlangen Bemühungen gegen 5 Uh 
Abends wieder zum Bewußtsein zurückge 
rufen; man hofft, die Leute am Leben 
zu erhalten. 
Der Gemeinderath zu Westerstede 
hat zur Vertilgung ver Sper 
linge beschlossen, von jedem Grundbesitzer 
die jährliche Lieferung einer gewissen An 
zahl Sperlingsköpfe zu verlangen. Die 
Anzahl derselben richtet sich je nach der 
Größe der Stelle, und zwar sind zu liefern 
bei Besitzungen bis zu 1 Hektar Größe 
bis zu 10 Hektar 5, bis zu 25 Hektar 
20, bis zu 40 Hektar 15, bis zu 60 Hektar 
Größe und darüber 20 Sperlingsköpfe 
Als die Domkirche zu Schwerin am 
erst November-Sonntag in diesem Winter 
zum ersten Mal geheizt wurde, wollten die 
Oefen nicht recht ziehen, und in Folge 
dessen war während des Gottesdienstes 
Rauch in der Kirche. Man schob dies 
darauf, daß alle Oefen wegen der feuchten 
Luft in den Schornsteinen das erste Ma 
nicht gut ziehen. Da es am letzten 
Sonntag aber noch schlimmer nnd der 
Rauch in der Kirche sehr unangenehm war 
wurden die Oefen und die Rauchrohre 
durch Sachverständige genau untersucht und 
Rohren nicht weniger als 3 
vollständig verbrannte Eulen gefunden. 
h Elchin tagenden Landtag ist, 
der „Post zufolge, eine Regierungsvorlage 
zugegangen, worin Steuerfreiheit 
twV i. le Prinzessinnen beider 
Mecklenburg nach ihrer Berheirathung ge 
.ordert wird. Die Regierung vindizirt 
uh das Recht, auch ohne Zustimmung der 
Stande die bisher gezahlten Steuern 
zurückzugeben. 
Lübecks 23. Novbr. Ein eigen th üm 
icher Streitfall ist in Travemünde 
ausgebrochen. Der dortige Armenarzt hatte 
einer Wittwe verordnet, bis auf weiteres 
täglich l'/z Liter la vaecinum bon (gute 
Kuhmilch) einzunehmen. Diese Medicin 
verschrieb der Arzt aus der Apotheke, und 
dort kosteten l'/ 2 Liter Milch 40 H. Die 
Wittwe hat 3 Monate lang diese Milch 
aus der Apotheke erhalten und der Apo 
theker fordert hierfür vom Armen-Colle- 
ginm 36 Jt 80 Pfg. Da das Armen- 
Collegium die Zahlung verweigerte, so hat 
der Apotheker den Rechtsweg beschritten, 
und die Verhandlung findet am 29. d. M. 
vor dem Lübecker Amtsgericht statt. Das 
Armen-Cvllegium geht von der Ansicht 
aus, daß bei jedem Holländer diese Medi 
zin um die Hälfte des Preises zu bekom 
men gewesen sei Auch sei der Fall, daß 
Kuhmilch als Medizin aus der Apotheke 
bezogen wurde, wohl noch nicht dagewesen. 
Etwas anderes ist es freilich, wenn die 
Frau gänzlich mittellos ist und der Arzt 
dieserhalb in Wahrung berechtigter Interessen 
die Frau, welche vom Armen-Colleginm 
unterstützt wird, an die Apotheke verwiesen hat. 
Folgende Schilderung des Zulaufs zu 
den Kuren eines alten Schäfers 
sind besonders bemerkenswerth als Zeichen, 
wie schwer alte Vvrurtheile ausrottbar 
sind. Die „Wes. Ztg." schreibt: Der 
Zuzug zum alten Schäfer A st, dem „Wun 
derdoktor" in Radbrnch bei Harburg, nimmt 
täglich einen größeren Umsang an. Es 
stehen jetzt zu jedem Zuge sechs bis acht 
Gespanne am Bahnhöfe, welche alsbald 
besetzt ^sind und im Karriere durch das 
Dorf sausen nach dem Ast'schen Hause; in 
langer Reihe schließen sich die Fußgänger 
an, welche keinen Platz auf den Wagen 
erhalten haben. Es werden jetzt von Ast's 
Angehörigen an die vor und in dem Hause 
Wartenden Karten mit Nummern ausge 
geben, um nach deren Reihenfolge die 
Leute vorzulassen. Am letzten Montage 
wurden 240 solcher Karten verabfolgt, 
aber es drängen sich außerdem noch viele 
ohne Nummern durch, und es versichern 
Augenzeugen, daß am letzten Montag, 
Dienstag und Mittwoch täglich bis 440 
Personen zu Ast kamen. Die meisten 
dieser Leute haben zudem von mehreren 
Personen, oft von zehn und mehr, die 
Nackenhaare bei sich, und man kann 
danach bemessen, für wie viele Leute täg 
lich Medikamente aus Radbruch geholt 
werden. Am verflossenen Donnerstage 
waren mindestens 500 Personen bei Ast, 
0 daß die Einnahme Ast's eine große 
ein muß. Die größte Masse der Kranken 
oder der von nah und fern mit Haaren 
in den Taschen Anlangenden entsendet die 
nahe Großstadt Hamburg, auch Harburg 
und Wilhelmsburg. In den Zügen auf 
der Strecke Hamburg-Hannover macht sich 
der gegenwärtige Verkehr nach Radbruch 
dadurch bemerkbar, daß alle Personenzüge 
jetzt einige Wagen mehr als sonst führen. 
In den Koupees dreht sich das Gespräch 
äst nur um den „Wunderdoktor", und die 
Leute, welche nicht in Radbruch aussteigen, 
aber mit Staunen den großen Personen 
verkehr auf der kleinen Haltestelle sehen, 
rufen nicht selten bei Weiterfahrt des 
Zuges den nach dem Dorfe Hinpilgernden 
nach: „Grüßt Ast!" 
Harburg, 24. Nov. In Neuhof beging 
der Maschinenschlosser Hermann Lucks 
einen Selbstmord, indem er in den Reiher- 
stieg sprang. Die Ursache soll Liebeskum 
mer gewesen sein. Die Leiche wurde noch 
nicht gefunden. 
Curslack, 23. Nov- Bor zehn Jahren 
vermiethete sich ein Mädchen (Schwedin) 
bei dem Landmann Rieck in Curslack und 
erhielt von der Ehefrau das Versprechen, 
daß, wenn es zehnJahrebeiihr 
bleibe, 500 Mk. extra haben 
solle. Vor Kurzem waren die zehn 
Jahre abgelaufen, und das Mädchen, 
welches sich inzwischen verheirathet hat, 
erhielt von der Wittwe Rieck die ver 
sprochenen 500 Mk. ausbezahlt. Das Mäd 
chen erhielt 70 Thaler Lohn und für 
Milchtragen rc. pro Jahr einige Thaler 
extra. 
Eine Verfügung der Polizeibehörde in 
Hamburg bestimmt, daß die bisher noch 
in den Vororten bestandenen Jahrmärkte 
— in Eimsbüttel, Eppendorf, Barm beck 
und Hamm — aufgehoben werden. 
Hamburg. Die jüngst bei Finkenwärder 
Aufgefundene Leiche ist als diejenige des 
Schwagers Rothgardts, Namens Kruse, 
estgestellt worden. Von den verschwundenen 
- Personen fehlen jetzt noch Frau Roth- 
gardt und 3 Kinder. 
Hamburg. Einen seltsamen Scherz 
erlaubte sich ein Schlachtergeselle, der bei 
einem Meister in den Kolonaden in Thätig 
keit stand. Er gerieth mit einem ebenfalls 
dort conditionierenden Dienstmädchen in 
Wortwechsel und schleuderte im Verlaufe 
desselben ein Messer nach der Gegnerin. 
Das Wurfgeschoß traf das Mädchen so un 
glücklich, daß die Verletzte sofort zusammen 
brach und in bedenklichem Zustande ins 
Krankenhaus überführt werden mußte. 
Der zur Haft gebrachte rohe Mensch er 
klärte, daß er sich nur einen „Scherz" \ 
habe machen wollen. 
Provinzielle?. 
^ Die reiche Ernte an Bucheckern (Buch- 
nüssen) hat einen Besitzer in Steinfeld zu 
einem bemerkenswerthen Unternehmen ver 
anlaßt. Er läßt zur Zeit in der Fohlen- 
koppel, die er für 40 M gepachtet hat, 
200 Schweine mästen. Abends kommen 
die Thiere in Ställe, wo sie eine Zugabe 
an Runkelrüben erhalten. 
Neumünster, 24. Novbr. Wie man Ka 
ninchen, die man zu schlachten beabsichtigt, 
„Wildgeschmack" beibringt, darüber wird 
eine wahrhaft passirte Geschichte in der 
Bracheufelder Straße kolportirt Ein dor 
tiger Anwohner will ein zahmes Kaninchen 
schlachien, da sagt ein Nachbar zu ihm, 
das Kaninchen müsse vorher eine Zeit lang 
von Hunden gehetzt werden, dadurch käme 
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