Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

völlig überschwemmt. Jede Mahnung an 
den Capitain, die Fahrgeschwindigkeit zu 
verringern, war vergeblich, er lachte und 
spottete über die Höllenangst der Ausflügler. 
In wenigen Minuten waren die letzteren 
bis auf die Knochen durchnäßt und mußten 
in der Kajüte des Schiffshintertheils Zu- 
flucht suchen. Capitain Hyatt zeigte sich 
eine Zeitlang gleichgültig und ruhig, um 
den Passagieren Muth einzuflößen; plötzlich 
aber sah er, daß die Lage sich verschlimmere 
und ließ durch die schrillen Töne der Si 
renen (Nebelhörner) die Gefahr signalisiren. 
®er. Dampfer „Algonguin" war erst vor 
wenigen Minuten vorübergefahren, ebenso 
befanden sich einige Schlepperschiffe nur 
eine halbe Seemeile entfernt. Alle eilten 
in Folge der Hülferufe des „Nicoll" her- 
bei, aber sie kamen gerade in dem Augen 
blicke, als das Schiff mit den 70 Personen, 
die es an Bord hatte, kippte. In diesem 
furchtbaren Augenblicke spielte sich eine 
jener Scenen ab, die man leichter sich vor 
stellen als schildern kann; wer nicht zu 
gleich mit dem Schiffe unterging, war ein 
Spielball der Wogen und kämpfte ver 
zweifelt mit dem Tode, bis er von einem 
der vier Rettungsschiffe aufgenommen wurde. 
Beim Namensaufruf fehlten 3 7 Per- 
sonen, die sämmtlich zu Grunde gegangen 
sein dürften. 
Die erste Eisenbahn auf der Insel 
Madeira wird demnächst dem Verkehr über 
geben werden, welche von der Stadt Funchal 
nach den, Gipfel des Teneriffa führt, mit 
hin eine Gebirgsbahn, ähnlich wie jene 
auf den Rigi, darstellt. Dieselbe hat nach 
einer Mittheilung vom Patent- und tech 
nischen Bureau von Richard Lüders in 
Görlitz, eine Länge von 24 Kilometern 
und weist streckenweise eine Steigung von 
1: 25 auf. 
Türkei. 
Konstantmopel, 13. Juli. Ueber die 
bisherigen Vernichtungen durch das Erd 
beben ist nachstehendes bekannt: Die Zahl 
der Todten beträgt nach amtlicher Angabe 
110. Die Feststellung der Schäden ist vor- 
läufig unmöglich. Ein großer Theil der 
öffentlichen Gebäude ist unversehrt, doch 
sind mehrere Ministerien beschädigt. Die 
Telegrammbureaux sind provisorisch in ein 
Theater verlegt worden. In Pera sind 
4 Häuser eingestürzt und zahlreiche be 
schädigt; auch das Gebäude der Tabakregie 
ist stark beschädigt. 
Ueber das Erdbeben in Koustantinopcl 
wird noch berichtet: Die Menge stürzte 
nach dem Bosporus und den dort ankernden 
Jnseldampfern, da sie das Wasser für 
sicherer hielt als das Land, welches in 
kleinen Zwischenräunien unter ihr zitterte. 
Wüthende Kämpfe um einen Handbreit 
Raum spielten sich bei dieser Gelegenheit 
ab. Jeder Stehplatz auf den Schiffen 
wurde förmlich von den Anstürmenden dem 
Inhaber abgerungen. Man besorgt, daß 
das hiesige Erdbeben nur der Ausläufer 
von schweren Verheerungen im Innern des 
Reiches sei. Man hat jetzt noch keinen 
Ueberblick, da die telegraphischen Leitungen 
zum größten Theile unterbrochen sind. 
Der Erdstoß war so heftig, daß, wenn 
derselbe nur wenige Secunden länger an 
gehalten hätte, von ganz Konstantinopel 
zweifellos nur noch ein großer Trümmer 
hausen übrig geblieben wäre. 
Pera, 13. Juli. Die Nachrichten aus 
den Provinzen lauten heute beruhigender. 
Hier fanden heute zwei neue starke 
Erdstöße statt, in Folge deren einige 
schon beschädigte Mauern und noch etliche 
Kaufläden einstürzten. Ein großer Theil 
der Bevölkerung lagern von Neuem arst 
freiem Felde. Handel und Geschäftsverkehr 
ruhen und die tvohlhabendere Bevölkerung 
ist zum Theil nach dem Bosperus ab 
gereist. 
Pera, 13. Juli. Die Nachrichten, welche 
über das Erd beben einlaufen, besagen, 
daß Angora furchtbar gelitten hat. Auch 
in Koma wurde ein sehr starker Erdstoß 
verspürt, der jedoch keinen größeren Schaden 
anrichtete. In Ialvwa sind mehrere Häuser 
eingestürzt. Einige Personen wurden ge- 
tödtet, mehrere verletzt. An der Anatolischen 
Eisenbahnlinie wurde das Erdbeben bis 
auf 480 Kilometer von Konstantinopel 
verspürt. Im Bosporus ist der Schaden 
unerheblich. Dagegen haben die Prinzen- 
Jnseln sehr gelitten. Auch von den anderen 
Inseln werden große Materialschäden und 
zahlreiche Verluste an Menschenleben ge 
meldet. In San Stefano sind die katholische 
Kirche und sämmtliche Häuser der Kapuziner- 
Mönche eingestürzt. Unter den Trümmern 
sind 5 Frauen begraben. Außerdem fielen 
dort noch 6 Menschen dem Erdbeben zum 
Opfer. Mehrere Eisenbahnstationen in 
der Nähe Konstantinopels sind zerstört. 
Nähere Meldungen aus dem Innern des 
Landes fehlen noch. Man glaubt, daß 
der Mittelpunkt des Erdbebens Brussa ge 
wesen sei. Auf Befehl des Sultans ist 
die alte Cholerakommission als Commission 
zur Unterstützung der durch das Erdbeben 
Betroffenen zusammengetreten und vertheilt 
Lebensmittel, Kleidungsstücke, Zelte und 
Geldunterstützungen. 
Maukreich. 
Paris, 13. Juli. Casimir Perier 
besitzt zwei Eigenschaften, die in unsern 
modernen Zeitläuften zu den außergewöhn- 
lichen gerechnet werden müssen. Er ist 
Nichtraucher und nur in höchst sel 
tenen fällen nimmt er eine dargebotene 
Cigarrette an, um sie jedoch gleich nach 
den ersten Zügen wieder bei Seite zu legen 
Außerdem ist Casimir-Perier — und dies 
dürfte wenig bekannt sein — Domherr von 
St. Johann zum Lateran in Rom. Diese 
Würde schreibt sich aus der Zeit Heinrich's 
IV. her, wo das französische Staatsober 
Haupt das Dvmherrnrecht jener Kirche ge 
noß. Heinrich IV. hatte es durch die 
Schenkung der Abtei Clerac in der Gas 
cogne erworben, und das Domcapitel über- 
trug es mit Genehmigung des Papstes au : 
alle Herrscher Frankreichs. Zwar hob die 
Revolution die Abtei Clerac auf, die Mo- 
narchie setzte indeß die dortigen Geistlichen 
in Amt und Würden wieder ein. Wenn 
daher Casimir-Perier heute nach Rom 
kommt, kann er mit Fug und Recht unter 
den Domherren von St. Johann Platz 
nehmen. 
Paris 13. Juli. Der große Mord 
Prozeß gegen den Mörder Carnots, 
Caserio, ist auf den 23. Juli angesetzt 
worden. Die Anklage vertritt Staatsanwalt 
Fouchier, dem bereits der Untersuchungsrichter 
die Akten übergeben hat. Wie es heißt 
soll in geheimer Sitzung verhandelt werden. 
Für die Annahme einer Verschwörung hat 
sich in der That kein bestimmter Anhalt 
ergeben. Caserio bestellte ein italienischen 
Vertheidiger. Caserio äußerte den Wächtern 
gegenüber, Casimir Perier werde nicht 
wagen, das Todesurtheil vollstrecken zu 
lassen. 
Toulon, 11. Juli. Der durch den 
Brand im Arsenal angerichtete Schaden 
wird auf sechs Millionen Frcs. ge- 
chätzt. Das abgebrannte Magazin ent 
fielt 250 000 Kilog. Kerzen, Dynamit, 
feine Oele, Kautschuk u. s. w. Da die 
zerstörten Gebäude von den Feuerstellen 
ziemlich weit entfernt sind, glaubt man 
immer mehr an eine verbrecherischen Brand- 
legung, über welche eine Untersuchung im 
Gange ist. 
Wie die Journale melden, wurden ge- 
tern in Toulon drei Personen verhaftet, 
welche während des Stapellaufs des Pan- 
zerschiffes „Carnot" den Versuch machten, 
einen neuen Brand in dem Arsenal 
zu legen.' 
Spanien. 
Barcelona, 13. Juli. Heute werden 35, 
dieser Tage hier verhaftete Italiener, 
größtentheils Anarchisten, an die Grenze 
geschafft. 
Ein Zeichen großer Unerschrockenheit legte 
am Sonnabend in Madrid im Circo Price 
einer der bekanntesten Barbiere ab, indem 
er sich mit dem dort gastirenden Thier 
bändiger in den Löwenkäfig begab, 
ihn einseifte und dann rasirte ohne sich 
durch das Knurren der Raubthiere in seiner 
Beschäftigung stören zu lassen. 
England. 
Boston, 9. Juli. Die Sträflinge 
des hiesigen C o r r e k t i o n s h a u s e s meuter 
ten heute und weigerten sich, ihre Arbeit 
zu verrichten. Die Gefangenen ergriffen 
Stühle und Alles, was ihnen sonst in die 
Hand kam. Schließlich blieb den Wärtern 
nichts übrig, als von der Feuerwaffe Ge 
brauch zu machen. Ein Sträfling wurde 
verwundet. Darauf besannen sich die Ge 
fangenen eines Besseren. 
London, 13. Juli. Japan nahm die 
Vermittlung Englands indem korea 
nischen Konflikt an. Es ist gegrün 
dete Hoffnung vorhanden, daß auch China, 
dessen Gesandter gestern hier eintraf und 
von Lord Kimberley sofort empfangen 
wurde, zustimmen wird. 
Oesterreich. 
Budapest, 12. Juli. Die Polizei Der 
haftete einen Arbeiter Namens Georg 
Czerni, der sich als Anarchist ent- 
puppte. Derselbe steckte kürzlich eine Fabrik 
in Brand, was eine Million Schaden uer 
ursachte und mehrere Menschenleben kostete 
Budapest, 13. Juli. Die bedeutenden 
Holzhändler Goldberg und 
Z e r k o w i tz sollten gestern unter dem 
Verdacht, den ini April ausgebrochenen 
Brand auf dem eigenen großen Holzplatz 
elbst angelegt zu haben, verhaftet werden. 
Als Zerkowitz den Verhaftsbefehlt erhielt, 
wurde er v o m S ch l a g e getroffen 
und war sofort todt. 
Nach Verübung von Betrügereien im 
Betrage von 60 000 Gulden war August 
Ritter v. Kogerer, ein Sohn des ver 
dorbenen Eisenbahndirektors, aus Wien 
geflüchtet. Er ist jetzt in Brunnen am 
Vierwaldstädtersee verhaftet worden. 
Ein Distanzlaufen von Greisen 
ist die neueste Blüthe der Sportfexerei. 
Salzburger Blätter melden aus Henndorf 
vom 8. d.: Bei günstiger Witterung fand 
heute Nachmittag das Wettlaufen statt. 
Zehn Männer, von denen der jüngste 70, 
ber_ älteste 85 Jahre zählt, hatten sich 
tapfer eingestellt, um am Wettlaufe sich zu 
betheiligen. Ein zahlreiches, aus mehreren 
hundert Köpfen bestehendes Publikum hatte 
ich auf beiden Seiten der Reichsstraße 
aufgestellt, um sich das seltsame Schauspiel 
anzusehen. Und wer wollte auch nicht 
neugierig sein auf einen Wettlauf solch er 
grauter Männer! Eine Böllersalve signali- 
irte den Beginn des Wettlaufes. Und 
nun stürmten sie die Straße entlang. Alle 
einem Ziele zu Allen weit voran der alte 
Wallbauer (Landgemeinde Seekirchen), die 
anderen Neun hinterdrein. Zwei dieser 
Männer erlitten eine gewöhnliche Nieder 
läge, da sie nicht mehr nachhumpeln könn 
ten, und zwei andere waren schon nahe 
dem Ziele, stürzten aber so, daß sie eine 
Niederlage im wahren Sinne des Wortes 
erlitten und daher auch als preis verlustig 
erklärt wurden. Den ersten Preis erhielt 
Wallbauer. Nach diesem Wettlaufe ver- 
sammelte sich das Zuschauerpublikum um 
seine preisgekrönten Häupter beim Backler- 
Wirthe, woselbst noch die einen Meter lange 
Bratwurst den Zankapfel zweier Wettläufer 
bildete. 
Inland. 
— Der Justizausschuß des Bundes 
raths hat in Verbindung mit der nun 
mehr durchberathenen Novelle zur Straf 
Prozeßordnung und zum Gerichtsverfassungs 
gesetz den Beschluß gefaßt, es solle der 
Reichskanzler ersucht werden, die Aus 
arbeitung eines Gesetzentwurfes über die 
Bestrafung unwahrer, nicht eidlicher 
Zeugenaussagen in Erwägung zu 
nehmen. E Der diesbezügliche Antrag 
ist, wie wir mittheilen können, von Sachsen 
ausgegangen und unter Zustimmung fast 
aller übrigen Staaten, gegen die Stimmen 
der Preußischen Vertreter zum Beschluß 
erhoben worden. 
— Der „Reichs.-An." schreibt: Die 
Erlasse des Unterrichtsministers betr. die 
Neugestaltung des höheren 
M ä d ch e n s ch u l w e s e n s vom 31. Mai 
haben in der Presse fast ausnahmslos eine 
reundliche Beurtheilung gefunden. Es 
sind indeß hier und da kleine Mißverständ- 
niste und Irrthümer unterlaufen. So findet 
ich in mehreren Zeitungen angegeben, es 
olle fortan das Ordinariat der drei oberen 
Classen der öffentlichen höheren Mädchen- 
chule ausschließlich in den Händen von 
Lehrerinnen liegen, während nur vorge- 
chrieben ist, daß in einer der drei oberen 
Klassen eine Lehrerin das Ordinariat zu führen 
hat. Außerdem scheinen sich jetzt im Amt 
stehende Lehrerinnen durch die Einführung der 
wissenschaftlichen Prüfungsordnung beun 
ruhigt zu fühlen. Zu den von ihnen ge 
äußerten Besorgnissen liegt kein Grund 
vor, denn es ist klar ausgesprochen, daß 
die gegenwärtig bereits in Thätigkeit be- 
indlichen Lehrerinnen in den Grenzen der 
ihnen zustehenden Befähigung auch in höhere 
Stellen befördert werden können. Es 
wird z. B. keinem Bedenken unterliegen, 
wenn Patronatsbehörden die neugeschaffenen 
Oberlehrerinnenstellen an Lehrerinnen ver- 
f ' I”—- N/vv/ruumui ver 
geben, ohne von ihnen die Ablegung der 
'wissenschaftlichen Prüfung zu fordern; erst 
Lehrerinnen, die im Jahre 1894 geprüft 
werden gegenüber würde eine solche For 
derung berechtigt sein. 
— Was kein „Freisinniger" je fertig 
gebracht . hat, den Fürsten B i s m a r ck 
schon bei Lebzeiten persönlich zu ver 
höhnen und in den Staub zu zerren, das 
bringen jetzt die Antisemiten fertig. 
Professor Förster schreibt anläßlich der 
„Bcnnigsen-Feier" in seinem Blatte über 
den Altreichskanzler: Einen „Staatsmann" 
der mit Lasker, Bamberger, Bleichröder, 
psülk, Camphausen, Delbrück rc. von einem 
Irrthum in den andern tappt und hinter 
her die Schuld auf seine „unfähigen (von 
ìhw gewählten) Mitarbeiter wälzt, den 
lassen sich gutgläubige Zeitgenossen als 
„groß" gefallen, die Geschichte nicht 
Man mag fest im Kampfe gegen die Bis 
marck'sche Politik gestanden haben, sie sach 
lich auch mit scharfen Waffen bekämpft 
haben^wo man seine Ueberzeugung nicht 
zum Opfer bringen konnte, oder wo diese 
Politik Miene machte, in Despotie auszu 
arten, — die Unnatur, dem Fürsten Bismarck 
das zu schmälern, was sein wirkliches 
Verdienst war, wird nach Obigem den 
Antisemiten vorbehalten bleiben. 
Berlin, 12. Juli. In 31 Volksver 
sammlungen, von denen die meisten über 
füllt waren, weil sie nur in kleinen, den 
Sozialdemokraten noch zur Verfügung 
stehenden Lokalen stattfinden konnten, haben 
diese, >vie bereits telegraphisch geineldet 
gleichlautende Resolutionen angenommen, 
worin die Schuld für die Fortdauer des 
Boykotts auf die Brauereien geschoben, 
den Wirthen vorgeworfen wird, daß sie 
rafstnirt und wenig ehrenhaft heimlich 
boykottirtes Bier ausschänken, und schließ 
lich der Boykott gegen sämmtliche Braue 
reien des Vereins ausgesprochen wird. 
Man braucht die Wirkung dieses Beschlusses 
nicht zu überschätzen, denn thatsächlich hat 
ich der Boykott von Anfang an nicht nur 
auf die 7, sondern auf alle Vereinsbraue 
reien erstreckt. 
Ein allgemeiner Bierboykott 
ist, wie wir schon früher erwähnten, be 
reits einmal im Jahre 1890 über Berlin 
von den Sozialdemokraten verhängt wor 
den. Damals trat gerade Abg. Bebel 
gegen den Boykott ein und setzte auch die 
Aufhebung desselben durch. Damals sagte 
Bebels nach dem Bericht des „Vorwärts" 
in dessen Nummer vom 21. Juni in einer 
Volksversammlung im Friedrichshain Fol 
gendes: Man sei glücklich dahin gelangt, 
den Fetischdienst so weit zu treiben, daß 
eine Volksversammlung als das Aller- 
heiligste betrachtet wird, mag dieselbe auch 
noch so verkehrte Beschlüsse fassen. Von 
dem Augenblick an, wo der Beschluß ge 
faßt worden sei, 32 Brauereien zu boy- 
kottiren, habe er gewußt, daß er ins Wasser 
fallen müsse. Die ökonomische Lage der 
Arbeiter sei eine derartige, daß ein sol- 
cher Boykott nicht durchführbar 
sei. Ein derartiger Krieg könne über- 
Haupt nur unternommen werden, wenn die 
Gewißheit vorhanden sei, daß die Massen 
pariren. Wenn diese Voraussetzung nicht 
zutreffe, dann sei ein solches Beginnen 
eine große Dummheit. . . . Man 
möge nicht beschließen, den Boykott noch 
weiter aufrecht zu erhalten, sondern dafür 
sorgen, daß man so bald nicht wieder eine 
Ohrfeige erhalte! — So Herr Bebel im 
Jahre 18 90! Dieser selbe Herr Bebel 
hat am 11. Juli 1894 in den Ärminhallen 
die Boykottirung dieser selben 32 Brauereien 
aufs Wärmste empfohlen. 
Die Kommission der S a a l b e s i tz e r 
Berlins und Umgegend hat beschlossen da 
hin zu wirken, daß den S o z i a l d e m o - 
kraten auch s P ä t e r h i n d i e S ä l e 
verweigert werden. Der Kom 
mission sind, wie vorauszusehen war, auch 
von vielen sozialdemokratischen Gastwirthen 
Unterstützungsgesuche zugegangen, wie man 
nach sorgfältigen Recherchen annimmt, au' 
Veranlassung der sozialdemokratischen Boy- 
kottkommissson, um Material für den „Vor 
wärts" zu sammeln. Es hat sich in diesen 
Fällen herausgestellt, daß die Betreffenden, 
angeblich durch den Boykott Geschädigten 
überhaupt keinen Schaden er 
litten haben oder erleiden konnten 
Alle anderen Gastwirthe, welche eine Schä 
dignng ihres Geschäfts durch den Boykott 
nachweisen konnten, haben Unterstützungen 
erhalten und erhalten solche noch, falls sie 
den erforderlichen Nachweis liefern. Allein 
in den letzten Tagen sind von der Saalkom- 
mission 53 304 Mark an Unterstützungen 
ausgezahlt worden, und in den letzten drei 
Tagen allein bei zwei Kommissionsmit 
gliedern 70300 Mark freiwillige Beiträge 
zu diesem Zweck eingegangen. 
Hannover, 13. Juli. Oberpräsident 
Bennigsen veröffentlicht im „Hanno 
verschen Courier" folgende Danksagung: 
Zu meinem Geburtstage habe ich von Nah 
und Fern so viele hocherfreuliche und ehren 
volle Beweise von Theilnahme, Anerken 
nung und Freundschaft erhalten, daß die 
Erinnerung daran von mir und meiner 
Familie mit unauslöschlicher Dankbarkeit 
bewahrt bleiben wird. Zu nieineni auf 
richtigsten Bedauern ist es mir bei der 
überaus großen Zahl erhaltener Telegramme 
und Briefe nicht möglich, Jedem, wie ich 
es wünschte, einzeln zu antworten und zu 
danken. Ich bitte daher, mir zu gestatten, 
dem Gefühle des herzlichsten und lebhaftesten 
Dankes hierdurch öffentlich Ausdruck zu 
geben. 
Danzig, 13. Juli. Nach einer .Kund 
gebung der staatlichen Cholera-Com- 
mission ist bei drei Flößen in Plehnen- 
dorf und einem Flößer in Pickel die 
Cholera bacleriologisch nachgewiesen wor 
den. In Schilnow und in Christfelde ist 
je ein Flößer, im Kreise Graudenz eilt 
Schiffer und ein Bühnenarbeiter, in Thorn 
ein Knabe choleraverdächtig erkrankt, sowie 
ein öjähriges Mädchen unter choleraver- 
dächtigen Erscheinungen gestorben. 
Dem bereits in den fünfziger Jahren 
stehenden Nachtwächter in dem reichen 
Spreewalddorfe Lehde ist jüngst sein Ge 
halt erhöht worden. Für 28 H täglich 
ist er verpflichtet, während der ganzen 
Nacht theils zu Fuß, theils im Kahn, das 
Dorf in seiner bedeutenden Länge zu 
durchstreifen und zeitweise als Zeichen 
seiner Wachsamkeit einen Pfiff ertönen zu 
lassen. Die Gehaltserhöhung, um die er 
eingekommen war, ist ihm denn auch um 
drei Pfennig (!) pro Tag unverweilt 
bewilligt worden. Glücklicher Nacht 
Wächter von Lehde! 
Im nachtwandlerischen Zustand 
stieg in der Nacht zum Montag ein Zöa 
ling der Präparandenanstalt zu 
Nagold im Schlaf ans Fenster und machte, 
da er sich offenbar auf dem Turnplätze 
wähnte, turnerische Uebungen. Durch einen 
grellen Blitz aufgeschreckt, fiel er zum 
Fenster hinaus etwa 12 Meter tief herab. 
Der Unglückliche hatte den linken Arnr 
zweimal gebrochen, einen Rippenbruch und 
innere Verletzungen erlitten. 
Breslau, 12. Juli. Bei dem hier statt- 
indenden allgemeinen deutschen Turnfest 
ollen 400 Kellner 14 Tage aus dem 
Festplatze Beschäftigung finden; denselben 
werden, wie der „Kreuz-Ztg." mitgetheilt 
wird, täglich 3 Mark und eine Tantisnie 
von 5 Pf. für je 3 Mark Kaffe geboten. 
Die Kellnervereinigung kündigt an, daß die 
Kellner auf solche „Hungerlöhne" nicht ein 
gehen werden, und fordert auf, Zuzug von 
auswärts fern zu halten. 
Gotha, 10. Juli. Für das neue Ge 
bäude der Lebensversicherungsbank 
in Gotha hatte der Bildhauer Adolf 
Lehn er t in zwei Gruppen gearbeitet, 
welche auf die in Dachhöhe stehenden 
Plateaus aufgestellt werden sollten. Die 
eine Gruppe bildete eine jugendliche Weib- 
liche Figur, umgeben von munter spielen- 
den Kindern, das Sinnbild des Lebens und 
der Freude darstellend, die andere Gruppe 
stellte.ebenfalls eine weibliche Figur dar, doch 
weinend und in Trauerverschleierung ge- 
hüllt, zwei weinende Kinder auf de« 
Schooße haltend und an ihre Brust drückend, 
das Sinnbild des Todes und der Trauer. 
Beide Gruppen, jede über 100 Centner 
wiegend, sind je aus einem einzigen Block 
eigenartigen französischen Steines herge- 
stellt und sollten gestern, nachdem die z». 
beiden Seiten des Haupteingangs stehe» 
gebliebenen Gerüste nochmals auf ihre 
Trag- und Haltbarkeit geprüft und ver- 
stärkt worden waren, in die Höhe gebracht 
werden. Die Gruppe der „Trauer" war 
auch bereits „an die Kette gelegt" und 
bis etwa vier Meter hoch gehoben worden 
In dieser Schwebe war die Gruppe hän 
gen geblieben; heute Morgen gegen 4 Uhr 
riß die Kette, die „Trauer" stürzt! 
herab und liegt nun in Trümmern 
Glücklicher Weise sind andere Beschädigun 
gen nicht vorgekommen. 
Mühlhansen i. Th., 12. Juli. Auf die 
W o h l t h a t der durch freiwillige Spende» 
in Aussicht gestellten „L e i n e n r ö ck c“ 
müssen unsere Polizeibeamten ver 
zichten. Die Polizeiverwaltung macht be 
kannt, „daß etwa eingehende Gelder, so 
wohlmeinend die Absicht der Geber auch 
ein mag, eine bestimmungsgemäße Ver 
wendung nicht finden können." 
Sondershausen, 13. Juli. Der Ober 
förster G e r l a ch und seine Frau wurde» 
unter dem Verdacht, den Tod ihres Dienst 
Mädchens durch Mißhandlungen ver 
schuldet zu haben, verhaster. 
Ulm, 12. Juli. In dem „anarchisti- 
ch e n Eintrag" in ein Polizei-Wacht- 
buch hat sich in dem von „Sch. M " mit 
getheilten Wortlaut ein Zusatz einge- 
Wichen, der im Originale nicht enthalte» 
ist; es ist das die den Inspektor M a ck, 
einen eifrigen Beamten, betr. Stelle, die 
dem Korrespondenten jenes Blattes offenbar 
irrthümlich überliefert wurde. 
Bingen, 10. Juli. Unter Hinweis aus 
den reichen Obstsegen dieses Jahres 
wrdert das Kreisamt zu der Anschaffunģ 
von Obstdörr-Apparaten durch Genossen 
schaften oder Gemeinden auf und stellt z» 
den Anschaffungskosten einen Zuschuß bis 
zu 25 Prozent in Aussicht. 
Mannheim, 11. Juli. Ein sehr umfang 
reicher Betrugsprozeß wird demnächst 
die hiesige Strafkammer beschäftigen. Dew 
bekannten Rennfahrer Wilhelm Mechler vo» 
Neckarau, der u. A. vor zwei Jahren die 
Meisterschaft von Oesterreich auf dem Hoch- 
rad gewann, liegen über 80 Betrugsfälle 
zur Last, die er als Velozipedhändler zui» 
Nachtheil in- und ausländischer Fahrrad- 
nbriken verübt hat. Die Anklageschrift ' 
lmfaßt nicht weniger als 240 Seiten- 
Mitangeklagt sind noch einige Fahrrad 
händler von,Neckarau. Mechler befindet 
ich schon über ein halbes Jahr in Unter 
suchungshaft. 
Aus Wiesbaden meldet die „Voss. Z.": 
Auf den: hiesigen Militärschießplatz er- : 
eignete sich gestern während der Schieß 
übung der Landwehrmänner ein Unglück, 
indem sich ein Geschoß nach hinten entlud. 
Zwei verletzte Landwehrmänner wurden 
nach dem Garnisonlazareth gefahren; außer 
dem wurden ein Offizier und mehrere 
Landwehrleute verletzt. 
Eine E r d ö l q u e l l e, die täglich 100 - 
Hektoliter fast ganz reines Petroleum gibt, I 
i dieser Tage im Hagenauer Forst 
(Reichsland) entdeckt worden. 
Daß die Leitungsdrähte der elek-'r 
irischen Straßenbahnen dem Pub 
likum gefährlich werden können,» 
beweist folgende am 13. Juli vom Polizei- : 
amt in Lübeck veröffentlichte Warnung: 
„Für die Tage des Volks- und Erinnerungs- 
festes, 15. und 16. d. M., ivird den Trägern 
von Fahnen und Bannern die größte Aust 
merksamkeit darauf empfohlen, daß jede 
Berührung der Fahnen und Banner, auchj 
selbst solcher ohne metallischer Spitze, mit 
den für die elektrische Straßenbahn gespannten 
Drähten vermieden wird, weil aus der 
Berührung eine erheblich Gefahr für die 
Träger entsteht. Ganz besondere Vorsicht ist 
bei dem Passiven des Burgthorthurmes zu 
beobachten, da in dessen Wölbung der i 
Leitungsdraht niedriger als in den Straße» 
angebracht ist." — Wir fügen hinzu, daß 
auch das sog. Auffeiern von Papierdrachen 
ähnliche schlimme Folgen haben kann. 
Friedrichsruh, 12. Juli. Der Fürst und 
die Fürstin Bismarck sind heute Nachmittag 
Uhr 12 Minuten nach Schönhausen ab 
gereist. 
Hamburg, 12. Juli. Bezüglich des 
Hamburger Centralbahnhofs wird 
offiziell mitgetheilt, daß gegenwärtig neue, 
weniger kostspielige Entwürfe im Bureau 
der Altonaer Direktion ausgearbeitet sind, 
wonach ein Bau einfacheren Styls herge 
stellt werden soll. Die Kosten des bisherigen 
Projekts beliefen sich auf 34 Millionen 
Mark. 
Hamburg, 13. Juli. Die Polizeibe 
hörde verbot auf Grund des Hamburger 
Versammlungsgesetzes den, sozialistischen 
Grundsätzen huldigenden hiesigen Frei 
denk e r-J u g e n d b u nd, den bekannten 
Verein der seinerzeit die Affaire der frei 
denkerischen Confirmationsfeier gehabt hat. 
Hamburg, 13. Juli. Der Besitzer eines 
großen hiesigen Cigaarrengeschäfts, der sehr 
oft bedeutende dierecte Sendungen Importen 
bezieht, hatte in der letzten Zeit oft von 
Die 
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an - 
mat 
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