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-H* 87ster Jahrgang.
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Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben.
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Wo. 248.
Montag, den 21. Hctobeŗ
1894.
Morgen-Depeschen.
Berlin, 21. Okt. Kaiser Wilhelm läßt
sich mehrere Male täglich aus Livadia
Bericht über das Befinden des Zaren er
statten.
Berlin, 21. Okt. Gegen den Anarchi
sten Eicke ist von der hiesigen Staatsan
waltschaft Anklage wegen Aufreizung zur
Gewalt und Aufforderung zum Raub er
hoben worden.
Moskau, 21. Okt. Der „Köln. Ztg."
zufolge wurde die Moskauer Börse gestern
durch den Vorsitzenden ermahnt, eingedenk
der jetzigen für Rußland schmerzlichen Zeit
sich unbedingt jeglicher Vornahmen zu ent'
halten, welche die Unruhe des schon so er-
regten Publikums noch steigern könnten.
Dieselbe von leitender Stelle ausgehende
Mahnung soll heute auch an die Peters
burger Börse ergehen.
Petersburg, 21. Okt. Sämmtliche Groß
fürsten wurden infolge der weiteren Ver
schlimmerung im Befinden des Zaren tele
graphisch nach Livadia berufen. Die gestern
von Polizei-Offizieren auf den Straßen
vertheilten letzten Bulletins enthielten höchst
besorgnißerrcgende Nachrichten.
Paris, 21. Okt. Im Laufe des gestri
gen Tages haben fünf Personen aus
Noth Selbstmord begangen.
V«m Zaren.
St. Petersburg, 20. Oktober. Das
gestern Abend 10 Uhr über den Gesund
heitszustand des Kaisers ausgegebene
Bulletin lautet: „Die Nacht zum 19. ver-
sro ş°şi schlaflos. Se. Majestät stand
Morgens wie gewöhnlich auf. Die allge
meine Schwäche, sowie die Thätigkeit des
Herzens sind unverändert. Das Oedem der
Füße, welches schon früher eingetreten war,
hat zugenommen. Der allgemeine Zustand
ist unverändert.
(aez.) Leyden, Sacharjin, Hirsch, Popow,
Weljaminow".
Zur Krankheit des Zaren er-
fährt eine Petersburger „Times"-
Correspondenz von einer der bestinformirten
Personen in Livadia, daß außer dem ste-
tigen Sinken der Kräfte, welches das am
meisten besorgnißerregende Sympton der
Krankheit des Zaren ist, noch gewisse an
dere bedenkliche und schmerzhafte Erschei
nungen vorhanden seien, die Grund zu der
Annahme geben, vaß die Krankheit des
Zaren doch Nierenkrebs sei. In offiziellen
Kreisen giebt man zu, daß der Zustand
des Zaren den kritischen Punkt erreicht
habe und daß das Schlimmste stündlich zu
befürchten sei. Der Schmerz der kaiser
lichen Familie sei herzzerreißend. Nach
den letzten Berichten macht die Krankheit
solche Fortschritte, daß man fürchte, die
Trauung des Großfürsten-Thronfolger mit
der Prinzessin Alix könne nicht mehr in
der geplanten Weise erfolgen. Die „Nat.
Ztg." meldet aus St. Petersburg: Pri
vatnachrichten aus Livadia zufolge war der
Zar gestern mehrere Stunden bewußt-
l o s, infolge Harneintritts ins Blut. Ob
nach der Wiederkehr des Bewußtseins eine
Erleichterung eingetreten ist, wird nicht
berichtet.
Die „Evening News" erhalten von einem
Spezialkorrespondenten des „British Me
dical Journal" folgende Depesche aus Li
v a d i a: Während der letzten 48 Stunden
hat der Zar an einer Reihe schwerer
Krampfanfälle gelitten, die der un
mittelbar bevorstehenden Katastrophe vor-
angehen. Diese Krampfanfälle, die von
zeitweiliger Bewußtlosigkeit begleitet und
sehr peinlichen Charakters ist, werden einer
urämischen Vergiftung zugeschrieben. Außer-
dem ist große Herzschwäche vorhanden, wie
dies häufig der Fall ist in den letzten
Tagen der acuten Bright'schen Krankheit.
Seit mehreren Monaten waren Symptome
der Mitralklappen-Krankheit des Herzens
bemerkbar. Zweimal hat die Lungenkon
gestion Athmungsbeschwerden verursacht.
Diese Anfälle waren sehr gefährlicher Na-
tur, jetzt kehren sie mit beängstigender Häu
figkeit wieder. Die Hoffnung ist deshalb
aufgegeben, doch treten solche überraschende
Aenderungen bisweilen bei diesen Zuständen
ein, so daß die Aerzte eine beträchtliche
plötzliche Besserung noch für möglich halten.
Jedoch sei dies die letzte Hoffnung, das
Schlimmste könne jeden Augenblick ein-
treffen.
Kommmile iafnļìroļisim.
Seit langer Zeit nicht mehr hat die
Weltlage ein so dramatisches Aussehen ge-
habt wie in diesen Tagen. Es ist, als
dränge Alles in der großen Tragikomödie,
die wir „hohe Politik" nennen, zu einem
Aktschlüsse, als ständen bedeutungsschwere
Katastrophen nahe bevor. Ueberall Pulver-
Ässer, die nur eines Funkens bedürfen,
um unsägliches Verderben über die Mensch
heit zu bringen; überall der Weltunter-
gangsdämon an der Arbeit, mit scharfer
Hacke zerschlagend, was uns heilig und
theuer war. . . .
Wohin der Blick des Beobachters irrt
ob auf den Kampfplatz, wo die Nationen
mit einander ringen und die großen Ent
scheidungen fallen, ob auf das kleine Ge
triebe des Tages, auf das wirthschaftliche
Streben des Einzelnen — nervöse Hast,
Angst vor dem nahenden Furchtbaren, be-
klemmende gewitterschwüle Luft allenthalben.
In seinem livadischen Schlosse wälzt sich
auf heißem Krankenlager der gebrochene
sieche Kaiser, und nicht allein grausames
körperliches Leiden, viel schmerzlichere Sorge
um die Zukunft seines Landes quält den
Sterbenden. Wohin steuert das russische
Staatsschiff? Was darf die Welt von dem
Zarensohn erwarten, dessen politische An-
sichten denen des gekrönten Vaters in den
meisten Dingen schnurstracks entgegenlaufen?
Ueber die Zukunft Rußlands fallen jetzt
die Würfel. Während es unersättlich in
in seiner Ländergier, die selbst den Mond
regieren würde, wenn es irgend anginge,
während cs den Krieg im äußersten Osten
mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt und
voll froher Erwartung auch dort wieder
einen fetten Bissen zu erschnappen hofft,
bereiten sich Ereignisse vor, die das große
Reich vielleicht mit einem Ruck um fünfzig
Jahre vorwärtsschieben, vielleicht aber ver
nichten können.
Krieg und Unfrieden, Katastrophen in
allen Welttheilen in Sicht. Wo nicht ge
radezu mit der blanken Waffe darauf los
gehauen wird, da bleibt doch wenigstens
ein inneres Madagaskar, ein politisches
Laurentzo Marquez bestehen. In Amerika
gährt fürchterlich die populistische Be
wegung; Newyork sieht gerade jetzt einen
Wahlkampf, wie er zorneisriger, wilder
noch nie getrieben worden ist. Und nun
die europäischen Staaten! Hier donnert
die sozialistische Hochfluth immer wüthen-
der gegen die Dämme. Belgien ist von
ihr überschwemmt, im ersten Anlauf fielen
>en gerade dort sehr radikalen, gar nicht
kompromißfreundlichen Umstürzlern fast ein
Fünftel aller Wahlkreise zu! In Oester-
reich steigt die Macht dieser Bewegung
sichtbar; die Koalitionsregierung wird ihr
nachgeben müssen, wenn sie nicht blutige
Ausschreitungen heraufbeschwören will. Und
bei uns zu Lande kämpft man immer er
bitterter um neue Gesetze wider den Um
sturz,^ ohne zu ahnen, daß man dadurch
die Schärfe des Meinungsstreites, die Be-
geisterungsgluth der Schwärmer nur erhöht.
Ueberall zeigen die Barometer Sturm
an. Und wenn wir, über die er herein
brechen will, einen Trost haben, so ist es
der: Glaube und Liebe zum Mitmenschen
und Bruder, die der Gottes- und Menschen
söhn von Nazareth predigte, wird aus dem
Tohuwabohu dieser Tage den Weg zum
Frieden zeigen. (D. W.)
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Japan. Die Unterhanen des Mikado sin
gen während des Kampfes gegen die Chinesen
eine Reihe von patriotischen Liedern, die
auf Befehl des Prinzen Ariffugava bei
Beginn des Krieges kompromittirt wurden
und aus denen ein glühender Haß gegen
die bezopften Söhne des Reiches der Mitte
spricht. In dem beliebtesten dieser Lieder
heißt es: „Die Stunde ist gekommen; laßt
uns auf Pekings Mauern die Fahne der
aufgehenden Sonne pflanzen." Jede Strophe
beginnt und endigt mit den Worten:
„Züchtigen wir, zerschmettern wir China!"
Eine andere Kriegshymne schildert die
Chinesen als „Verächtliche Spitzbuben" und
als „Gauner mit Schweineschwänzchen."
UtzrankreiUt.
Paris, 18. Oktober. Die Pariser haben
sich noch nicht von der tiefen Bestürzung
erholt, welche der t r a g i s ch e S e l b st >
mord der Arbeitersfrau Kaufmann
mit ihren fünf Kindern hervorgerufen hat,
und schon liegt ein ähnlicher Fall vor.
In der Rue Josephe Dijon auf Mont-
martre hatte das Ehepaar I o u r d a i n
einen kleinen Kramladen, der seit einiger
Zeit sehr schlecht ging. Heute früh hatte
Herr Jourdain einen fälligen Wechsel zu
bezahlen, und da er der Schande des Pro
testes und des unvermeidlichen Fallissementes
entgehen wollte, so beschloß das Ehepaar,
ihrem Leiden gemeinsam ein Ende zu
machen. Den ganzen gestrigen Tag lies
Jourdain bei Bekannten herum, um sich
den nöthigen Betrag zu verschaffen, aber
alle Anstrengungen waren vergebens. Nach
dem sie ihren Laden geschlossen, zogen die
Eheleute Jourdain sich in das Hinterzimmer
zurück, verstopften alle Spalten, zündeten
zwei Holzkohlenfeuer an, und legten sich
zu Bette, des erlösenden Todes gewärtig.
Um 6 Uhr Morgens erwachte Jourdain
lollständig betäubt und sah seine Frau
karr neben sich liegen. Auch er wollte
ihr in den Tod folgen, griff zu einem Re
volver und schoß sich eine Kugel in den
Kopf. Der Tod erfolgte sofort. Der Knall
weckte die Hausbewohner, welche im Ver
eine mit der Hausmeisterin die Thüre ein-
rannten und unverzüglich einen Arzt her
beiholten. Dieser bemerkte, daß Frau
Jourdan noch athmete und ruhte nicht
eher, als bis er die Unglückliche zum
Leben zurückgerufen hatte. Mildherzige
Nachbaren nahmen die arme Frau, deren
Zustand noch immer ein höchst bedenklicher
ist, in Pflege und überbieten einander an
menschenfreundlichem Entgegenkommen. Die
Leiche Jourdains wurde vorläufig in dem
Hinterstübchen des Ladens gelassen.
Italien.
In Turin wurde ein neues Bauernstück
von Giuseppe Romano aufgeführt, in wel
chem gleich zu Beginn acht Kühe — ge-
molken werden. Der vierte Act spielt
auf einer Alm, die Kühe lagerten malerisch
auf der Bühne, auf der sie sich sehr ma
nierlich verhielten.
Wie aus Palermo telegraphisch gemeldet
wird, flüchteten sich während eines Wolken-
bruches fünf Bauern aus dem benachbarten
Dorfe Alcamo in eine Felsengrotte. Plötz-
lich gab die Grotte dem Drucke des Wassers
nach, stürzte auf die fünf Bauern nieder
und zermalmte sie gänzlich.
Schweden.
Neulich wurde Halbe's „Jugend" im
Großen Theater in Göteborg gegeben.
Alles war sehr gut gegangen bis zur
Schlußscene; das Publikum voll Span
nung und tief bewegt. Annuschka und
Hans standen auf der Scene und der blöd-
innige Bruder steckte das Gewehr durchs
Fenster. Knick! Knick! machte es. Eine
athemlosc Spannung nicht nur im Zu-
chauerraum, sondern auch bei den beiden
auf der Bühne; ein Theil der Zuschauer
wundert sich, daß Hans nicht die Geistes-
gegenwart hat, hinzustürzen und den Jdio-
ten zu entwaffnen, ehe er den Hahn aber-
mals spannen kann. Knick! Knick! machte
es ^ wieder. Und dann verschwand der
Idiot mit seinem unbrauchbaren Gewehr.
Da standen nun Hans und Annuschka.
Sie waren vor dem Schuß des Idioten
gerettet, aber merkwürdig, sie schienen keine
rechte Freude darüber zu empfinden. Im
Gegentheil — ihr ganzes Aeußere machte
den Eindruck größter Enttäuschung. Da
landen sie — und da saß das Publikum
und wartete und wunderte sich. Schließ
lich nach langer Bedenklichkeit faßten sie
einen Entschluß und verließen nachdenklich
die Scene. Noch immer saß das Publi-
2) J§ ist todj schließlich eine khre —'
Novcllette von A. Schoebel.
Auf einer Etagère dort steht ein großer Fächer,
aus Boudoirphotographien zusammengesetzt.
Lauter jugendliche Mädchengestalten stellten sie
dar, Botho neigt sich darüber — er weiß
wohl, wem er den Preis der Schönheit und
Anmuth reicht.
Auf das eine Bild ist quer über die Luft-
parthie hinweg mit großen feinen Schrift-
zügen geschrieben: „Das bin ich, Vicky!" —
gerad', als hätt es den Mund in dem herzi
gen Gesichtchen frisch und hell gerufen. Ein
Mariengesichtchen mit Aprilaugen.
Botho stöhnt auf, wenn er an diese schiefen
schelmischen Augen denkt. „Es ist doch eigent
lich eine Ehre!" Das Blut schießt in sein
braunes Gesicht. „Also eine Kokette, dies
Kind — vielleicht Schlimmeres. Sie hat ihr
Wort auch noch illustrirt!"
Botho wühlt seinen Scheitel durcheinander.
Er denkt daran, wie er sie zuerst gesehen
hat, die Vicky! Lächelnd wie das Glück ist
sie in sein Leben eingetreten! Mit ihren
Kinderhändchen hat sie nach seinem Herzen
gegriffen, bis sie es ganz für sich genommen
hatte. Und nun, wo er sie bis zur Raserei
liebte, wo er ihrer Kindlichkeit alles Süße
des Lebens zu lehren hofft, da — da muß
er's erkennen, daß es es hier gar nichts mehr
zu lehren giebt — „Es ist doch schließlich
eine Ehre!" O ja, Tru hat Recht, es ist
wirklich zum Totlachen!
Gewiß hat er sie verteidigt, die angebetete
süße Vicky in einer Anwandlung von ganz
unnöthiger Ritterlichkeit verteidigt — aber
Riemcmd klagt sie zugleich härter an als er!
~~ Ein dumpfes Weh fängt an, sein Herz
zu füllen. Langsam schiebt er das Bild einer
sentimental dreinschauenden Kusine über Vicky's
lebensvolles Köpfchen und kehrt dann zurück
m sein Zimmer.
Mit hängenden Ohren schleicht Lord hinter
chm drein.
,. ~ klagt Botho, „wir werden
die Vicky nun nicht haben, als geliebte kleine
Herrin — hörst Du? Die Vicky!"
Und der Hund wedelt und stößt ein leises
Geheul aus. '
®cr junge Offizier ist an seinen Schreib
tisch getreten und hat hastig die Mappe zu
geklappt. „Nun ist's ja schließlich gleich, ob
ich rechtzeitig mit der Arbeit zu Ende komme
oder nicht!" Er löscht die Lampe aus'
„Bummeln werd' ich gehn! — Mich in's
Zivil stürzen —"
Er tritt in sein Schlafzimmer und schleu
dert ein Uniform stück nach dem andern von
sich. Und während er sich umkleidet, denkt er
darüber nach, wie merkwürdig es doch eigent
lich ist, daß man mit dem bunten Rock ge
wissermaßen einen Theil der militärischen Vor-
urtheile abthut. In Zivil darf man sich
Vieles erlaube»! — in Uniform Nichts!
Borurtheile, was sind überhaupt Vorurtheile:
Kleider, die nian in verschiedenen Ländern in
verschiedenen Farben trägt!
„Er wird sich von der Vicky ein Priva
tissimum über den Ehrbegriff des Erlaubten
halten lassen. Sie ist ja »u fait
Und er stürzt fort, sich im lustigen Treiben
der Großstadt umherzutummeln.
Mit der Vicky ist's ja doch aus, — ist
vielleicht „schließlich eine Ehre", daß cs aus
ist ... .
* H
Der Mittwoch ist da. Ball bei Zsen-
bergs — man darf sich ein „Zauberfest" ver
sprechen.
Eine ganz besondere Stinimung scheint die
zahlreich erschienenen Gäste zu animiren. Leb
hafte Spannung in allen Gesichtern, ein leises
Triumphiren, verhaltene Freude.
Ueberall sieht man Gruppen, in denen die
Köpfe zusammengesteckt werden. Die Kavaliere
blicken ungeduldig nach der Eingangsthür des
Empfangsaals. Die jungen Damen kichern
und flüstern, geheimnißvolles Rauschen geht
durch die Reihen der ernst und streng thronen
den „Mütter" —
Da schlägt die buntseidene Portiere im
Empfangssalon wiederum auf — eiye Be
wegung wie leises Meeresrauschen — hastiger
wehen die Fächer und obapsaur-bas — —
„Die Vicky ist da!"
Von ihren Eltern begleitet ist drüben ein
entzückendes Geschöpfchen eingetreten, eine klein«
Rosenknospe wie von einem Luftzug herein
geweht.
Eine Schaar von dunklen und grellbunten
Schmetterlingen stäubt auf sie zu.
„Komteß!" „Komteßchen!" „Gnädigste
Komteß!" „Ihre Tanzkarte!" „Wir bitten
um die Ehre!" „Und ich erhalte die Ehre zum
Contre!" „Und ich erhalte die Ehre zu den
Landers! Die große, die einzige Ehre!"
Und in allen möglichen Betonungen in den
barocksten Verbindungen schwirrt das Wort
um die ahnunglose Vicky her.
Man stürmt ihre Tanzkarte! Sie wird roth
vor Freude! Sie ist ja an Triumphe ge
wöhnt, Viktoria, die kleine Siegerin, aber
das hat sie denn doch noch nicht erlebt!
Was „er" nur dazu sagen wird —! Mein
Gott —! „er" ist ja garnicht da!" In der
bunten Schaar fehlt ein großer hellblauer
Schmetterling.
Warum er nur so spät kommt, Botho!
Vielleicht der Dienst! Er ist Adjutant beim
Prinzen N. Nun, man wird ihm ein Plätz
chen bewahren auf der Tanzkarte, bei den
großen Tänzen.
„Die Polonaise, den Kotillon hab ich nicht
mehr frei, meine Herren," stammeln die rosigen
Lippen der Vicky auf ein paar Anfragen hin,
und sie entreißt ihre Tanzkarte einem langen
Kürassier. „Herrgott, ich muß ja zur Be
grüßung in den Saal! Wie kopflos haben
Sie mich gemacht, meine Herren!" Sie wendet
sich hastig . . .
Papa und Mama sind längst im Gewühl
entschwunden, ganz allein muß die arme kleine
Vicky in den großen Festsaal treten. Niemand
hilft ihr, dagegen ist ihr's, als ob sich Aller
Augen stechend auf sie heften.
Vicky hatt plötzlich ein Gefühl, als schritte
sie über Eisplatten, statt über blitzblankes
Parkett und eine seltsam kühle Luft wehe sie
an. In tadelloser Verneigung begrüßt sie
die alte Excellenz M. und beugt ihr liebes
Gesichtchen vor, um den gewohnten Kuß auf
die Stirn zu empfangen. Aber nichts da
— eine feine schmale Hand streckt sich ihr
steif entgegen, eine leichte Berührung, und
dieSammtschleppe der alten Dame ist vorüber
gerauscht.
„Frau Gräfin!" Ein reizender, tief nach
rückwärts gezogener Knix „Ah, Kom
tesse Trostburg!" Klappend schlägt ein Fächer
zusammen und ein paar graue kalte Augen
blicken haarscharf an Vicky's nelkenroth ge
wordener Ohrmuschel vorüber.
Wohin die arme kleine Komtesse kommt,
verwandeln sich die natürlichen Menschen
gesichter wie vor dem Objektiv eines photo
graphischen Apparats in gefrorene lächelnde
Larven. Eiskalte Begrüßungen überall, gespitzte
Finger und Blicke, Blicke, die spöttisch die
„rafsinirte Einfachheit" von Vicky's weißem
Kleidchen zu konstatiren scheinen.
Unter einem Aufathnien bemerkt die Kleine
eine ihrer „Intimsten". Wie gerettet eilt sie
auf die Freundin zu, will sich in deren Arm
einhängen Dasselbe frappirte Wesen,
wie bei allen Anderen eine spitze, weiße Nase,
ein eisiger Blick voller Abwehr!
Wie von kaltem Wasser überschüttet, steht
die Vicky da. Mein Gott, war es denn ein
Verbrechen, daß sie sich beim Eintritt in den
Saal, von den Kavalieren aufhalten, um
ringen ließ? Schließlich war's ja doch un
möglich, die Mauer von Uniformen, die sie
plötzlich einschloß, zu durchbrechen.
Die Vicky gesteht's sich ein, daß sie eine
Taktlosigkeit begangen, als sie nicht zuerst die
ormcllen Begrüßungen erledigte, — aber
hat sie so scharfe Rüge verdient?
Des Mädchens Blick fliegt mit einem
tiefen, schmerzlichen Flehen durch den Saal,
und bleibt Plötzlich an einer Nische hängen
■ Ein Dragoner lehnt dort, mit goldig
verbranntem Gesicht unter einer sehr weißen
Stirn. Vor ihm steht Tru und lacht aus
gelassen.
Instinktiv greift Vickys Händchen nach der
Tanzkarte, auf der zwei „große" Tänze noch
nicht ausgefüllt sind, und dann gehen ein
Paar blaue Sterncnaugen plötzlich unter in
nnkelnden Thränen. Die Vicky zieht die
weiße Boa fester um die Schultern — sie
'viert — Arme Kleine! Sie ahnt ja nicht,
daß die Aeußerung, die sie aus ihrem warmen
Herzen heraus gethan, theils um Hortense