Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

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87ster Jahrgang. 
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3000 Abonnenten. 
Wo. 240. 
Ireitag, -en 12. Hctober 
1894. 
Morgen-Depesche». 
Plön, 12. Okt. Gestern Vormittag 
Vr8 Uhr erschoß sich Hierselbst in der 
elterlichen Wohnung der Ober-Primaner 
S ch i p p a n g , Sohn eines Professors 
am hiesigen Kadettenhause. Ueber die Be- 
weggründe zum Selbstmorde war bisher 
nichts zu ermitteln. Der junge Mann 
gehörte zu den tüchtigsten Schülern des 
hiesigen Gymnasiums. 
Berlin, 12. Okt. Wie „B. B. Ztg." 
erfährt, hat sich Prof. Schweninger gestern 
zum Fürsten Bismarck nach Varzin begeben 
Es handelt sich um die Frage, ob Fürst 
und Fürstin gegenwärtig die Uebersiedelung 
nach Friedrichsruh vornehmen oder noch 
ein wenig damit warten sollen, bis der 
Fürst sich wieder wohler fühlt. — Einer- 
anderen Meldung zufolge, soll Professor 
Schweninger anläßlich der Erkrankung der 
Frau Baronin v. d. Recke auf Stolp, einer 
Jugendfreundin der Fürstin Bismarck, nach 
Varzin gereist sein. 
Berlin, 11. Okt. Die „National-Ztg." 
meldet: Graf Eulenburg hat ebenso wie 
vorher Graf Caprivi in Hubertusstock dem 
Kaiser Vortrag gehalten, nachdem die beiden 
Herren vor der Abreise des Ministerpräsi 
denten noch Hubertusstock eine Besprechung 
gehabt hatten. Es steht noch nicht fest, 
ob die Sitzung des Staatsministeriums, in 
der nunmehr über die Verschärfung der 
Gesetzgebung zum Schutze des öffentlichen 
Friedens verhandelt werden soll, morgen 
oder am Sonnabend stattfinden wird. 
Der Ministerpräsident Graf Eulenburg ist 
gestern Abend wieder hier eingetroffen. 
Berlin, 12. Okt. Gegenüber den mannig- 
sachen Kontroversen über die bevorstehende 
^ r0 ,! "hi" 9 fv“ nb Tagung des Reichstages 
kann die Kreuzztg." als feststehend mit- 
Kjetlen, daß dre erste Sitzung, nach der 
Eröffnung im Weißen Saale, im neuen 
Reichstagsgebäude stattfinden wird. Es ist 
indessen nicht ausgeschlossen, daß dann 
einige Sitzungen noch in dem alten Hause 
abgehalten werden. Die Frage, unter 
welchen Modalitäten sich die Feier der 
ersten Sitzung im neuen Hause vollziehen 
wird, ist zur Zeit noch nicht erledigt. 
Ratiüor, 12. Oktober. In Biala ist ein 
zweistöckiger Neubau eingestürzt. Von 7 
verunglückten Maurern blieben 3 sofort 
todt, 4 wurden schwer verletzt. 
London, 12. Okt. Nach einer Meldung 
aus Peking sind dort 5 chinesische Spione 
hingerichtet worden, welche den Japanern 
die Stellungen der chinesischen Truppen 
verrathen und die telegraphische Verbindung 
von Port Arthur mit den unterseeischen 
Torpillen durchschnitten hatten. 
London, 12. Oktober. Die Meldungen, 
daß zwischen den Mächten eine Verein 
barung über gemeinsame Maßnahmen in 
Ostasien bereits erzielt sei, sind unbegrün- 
det. Rußland lehnt es entschieden ab, 
einem solchen Uebereinkommen beizutreten 
London, 12. Oktober. Die Blätter 
bringen Telegramme aus Shanghai, denen 
zufolge von englischen und deutschen Schiffen 
ausgeladene Flinten unter die chinesischen 
Truppen auf dem Kriegsschauplätze ver- 
theilt worden seien. Den Chinesen habe 
es vollständig an Waffen und Munition 
gefehlt; tausende von Soldaten seien nur 
mit Bogen und Pfeilen ausgerüstet ge- 
wesen. Es stehen den Truppen nur we- 
nige kleinkalibrige Kanonen zur Verfügung. 
Zwischen der Heeresverwaltung und mehre- 
ren deutschen Waffenfabriken wurden neue 
Kontrakte auf Gewehr- und Patronen 
lieferung abgeschlossen. Die Ablieferung 
des Materials, welches sehr hoch bezahlt 
loird, findet in deutschen Häfen statt. Die 
chinesische Regierung übernimmt das Ri 
siko des Transports. 
London, 12. Oktober. Gestern 12 Uhr 
43 Minuten Nachts wurde in Travaik und 
Umgegend ein 2 bis 3 Sekunden dauern 
des, ziemlich heftiges Erdbeben ver 
spürt in der Richtung von Osten nach 
Westen, das von einem dumpfen Getöse 
begleitet war. 
Petersburg, 12. Oktober. Die russische 
Regierung wird mehrere Aerzte nach Ber 
lin. Halle, Paris entsenden, welche sich mit 
dem Studium der Methode der Heilung 
Diphteritiskranker durch Heilserum beschäf 
tigen sollen. 
Sofia, 12. Oktober. Die „Swoboda", 
das Organ Stambulows, behauptet, der 
Kriegsminister Petrow habe geäußert, es 
werde Militärdiktatur eintreten, falls sich 
die Parteien in der neuen Sobranje nicht 
einigen würden. 
Außereuropäische Gebiete. 
New-Iork, 10. Oktober. In der ver 
gangenen Nacht wüthete hier ein Orkan. 
Ein kürzlich erbautes noch unbewohntes 
Haus von 7 Stockiverken stürzte ein und 
demolirte das Nachbargebäude, wobei acht 
Personen getödtet wurden; außerdem werden 
zwei Personen vermißt. Auch die Städte 
an den Küsten von Long-Jsland erlitten 
durch den Orkan schweren Schaden. Zahl 
reiche kleinere Schiffe sind gescheitert. 
Aus Shanghai kommt demselben Bureau 
die Meldung, daß die Ausbesserung der 
chinesischen Kriegsschiffe in Port Arthur 
noch wenigstens 10 Tage in Anspruch 
nehmen werde. Nach einem bisher unbe- 
stätigt gebliebenen Gerücht soll ein neuer 
Angriff auf die Missionäre bei Nü-tschuang 
stattgefunden haben. 
Afghanistan. Dem Reuter'schen Bureau 
wird aus Simla gemeldet: Einem Schreiben 
aus Kabul zufolge ist der Emir von 
Afghanistan ernstlich erkrankt. 
Rußland. 
Aus Petersburg wird der „Kreuzztg." 
berichtet: Die Frage der Regentschaft ist 
noch nicht entschieden. Man glaubt, daß 
der Zar sich entweder wichtige Entschließun 
gen vorbehalten, oder daß dem Thron- 
folger eine im Vertrauen des Zaren 
stehende Persönlichkeit zur Seite gestellt 
werden wird. 
Warschau, 10. Oktober. Großes Auf 
sehen verursacht hier die aus Kielce ein- 
gegangene Nachricht, daß der Minister des 
Innern dem dortigen Bischof Kulinski den 
Verzicht auf das Bischofsamt nahe gelegt 
hat. Vor einem Jahre wurde bekanntlich 
das katholische Priesterseminar in Kielce 
wegen Auffindung verbotener Bücher und 
Bilder bei den Klerikern geschlossen; der 
gegenwärtige Vorgang wird damit in Ver- 
bindung gebracht. 
Petersburg, 10. Oktober. Wie stark die 
Trunksucht in der Residenz ist, geht 
u. A. auch daraus hervor, daß allein im 
August 5195 Personen wegen Trunksucht 
auf der Straße polizeilich aufge 
griffen sind. Da der größte Theil 
dieser Personen wegen öffentlicher Ruhe- 
körung den Friedensrichtern zur Abur- 
theilung übergeben wird, so erlvächst letzte 
ren eine kaum zu bewältigende Arbeit. 
Griechenland. 
Bei der Nachricht, der Zar werde den 
Winteraufenthalt in Korfu nehmen, drängte 
'ich jedem Kenner des herrlichen Eilandes 
die Frage auf, wo Kaiser Alexander wohnen 
werde. Denn so reich die Hauptstadt des 
jonischen Archipelagus an bezaubernden 
Aussichten ist, so wenig ist sie es anSchlössern 
und Palästen. Die Wahl fiel, wie be 
reits gemeldet, auf das stattliche Gebäude, 
in welchem zur Zeit der englischen Herr 
schaft der Lord-Oberkommissar residirte und 
in welchem auch der Sitzungssaal für den 
Senat der früheren jonischen Republik sich 
befindet. Das Haus heißt, seitdem die 
Insel zu Griechenland gehört, Palazzo 
Reate, wird aber von der Königlichen 
Familie nicht bewohnt. Die säulenge 
schmückte Front blickt nach Nordost. Ein 
herrlicher Garten, der in der vollen Ueppig- 
keit südlicher Vegetation prangt, breitet 
sich vor dem Schlosse aus, von dessen 
hohen Fenstern man über den schmalen 
Kanal von Korfu und die flache Insel 
Vido hinweg auf die hochragenden Fels 
gebirge Albaniens schaut. Die Rückseite 
des Palastes bildet den Abschluß der weit- 
gedehnten „Spianata", der Esplanade von 
Korfu, welche zwischen dem Häusergewirre 
der alten Stadt und der kühn auf zwei 
Felsenkegeln gethürmten uralten Citadelle 
breit hingelagert ist. Die Jnnenräume 
des Schlosses mit ihrem sehr bescheidenen 
und ziemlich verblichenen Prunk werden 
wohl für den kaiserlichen Gast in aller 
Eile einer bedeutenden Renovirung unter 
zogen werden. Der völlige Abschluß der 
Residenz des kranken und bekanntlich stets 
wohlbehüteten Zaren wird nickt ganz leicht 
zu erzielen sein, da die Westseite des 
Schlosses an einer viel begangenen Straße 
gelegen ist, welche von der Spianata nach 
dem Hafen führt. Viel geeigneter zum 
Aufenthalt des kaiserlichen Patienten wäre 
die etwa eine halbe Stunde südlich von 
der Stadt hoch über dem Meere inmitten 
eines großen, prachtvollen Parkes gelegene 
Villa Reale. Aber freilich, dieses länd 
liche Schlößchen, ein Lieblingsaufenthalt 
des Königs Georg von Griechenland, ist 
genug für eine Residenz des Zaren, auch 
wenn er leidend ist und noch mehr als 
sonst die Einsamkeit sucht. 
Italien. 
Mailand, 10 Oktober. Im hiesigen 
Stadtpark wurde heute der schweizerische 
Bankier Brugissen aus Florenz von unbe 
kannten Strolchen beraubt und e r > 
mordet. 
Tief im Schnee steckt gegenwärtig 
Italien. Veroneser und Mailänder Zei 
tungen bringen ganze Spalten über den 
ungeheuren Schneefall, der in der letzten 
Woche die Landstriche in den Voralpen 
heimgesucht hat. In Camarata di Bedonia 
erreichte der Schnee die beträchtliche Höhe 
von 30 Centimeter, die Obstbäume °sind 
durch die Kälte sehr geschädigt. Wie der 
„Piccolo" von Cunea meldet, sind die 
Militär-Baracken am Colle del Mulo meter- 
tief eingeschneit. Seit Menschengedenken, 
schreiben die Blätter, hat es in dieser 
Jahreszeit in Italien nicht so stark ge 
schneit und gefroren. 
Monaco. 
An der Spielbank von Monte Carlo 
ereigneten sich am Dienstag wieder zwei 
Aufsehen erregende Vorfälle. Während 
des Spieles zog ein junger Mann, der in 
kurzer Zeit zehntausend Pfund Sterling 
verloren hatte, einen Revolver aus der 
Tasche und jagte sich eine Kugel in die 
Schläfe. Er war sofort todt. Kurz da 
rauf sprang ein Mann auf den Spiel 
tisch und erklärte, daß er entwendetes 
Geld verspielt habe. Er wurde verhaftet. 
Die Selbstanklage bestätigte sich. Der Ver 
haftete ist der Stationschef von San 
Lazzaro, Antonio Benyan, der aus der 
ihm anvertrauten Kasse 80 000 Lire unter 
schlug und diese in Monte Carlo verspielte. 
Spanien. 
Die Kirchen von Rubi, Castehuel 
und Vila de Caballo in Spanien wur 
den dieser Tage so gründlich ausgeraubt, 
daß keine Messen mehr gelesen werden 
konnten. 
Barcelona, 9. Okt. In Almena lebt 
ein Mann, Namens Benitez, der in recht 
mäßiger Ehe mit einer und derselben Frau 
3 2 Kinder bekommen hat. Von diesen 
Kindern leben 26, und zwar 20 männlichen 
und 6 weiblichen Geschlechts. Von den 
Geschwistern Benitez sind 14 verheirathet 
und eines von ihnen hat bereits 11 Kinder. 
Ein anderes hat deren 8, und noch ein 
anderes 7. Kinder und Kindeskinder der 
Eheleute Benitez bilden eine Schaar von 
mehreren Hunderten. Vom alten Benitez 
erzählt man, daß er, nachdem er schon 
zehn Söhne vom Militärdienste losgekauft 
hatte (wie dies in Spanien statthaft ist,) 
an die Königin eine Bittschrift gerichtet 
habe, worin er darlegte, er habe bereits 
eine Summe von 15,000 Pesetas zur Be 
freiung seiner 10 ersten Söhne vom Mili 
tärdienst ausgegeben; da ihm aber noch 14 
weitere Söhne blieben, wüßte er nicht, 
woher er das Geld zu ihrer Befreiung be 
schaffen sollte. Die Königin hätte ihm zwar 
antworten lassen können, er solle dieselben 
einfach nicht loskaufen, sondern Soldat 
werden lassen, das that sie aber nicht, 
sondern befreite 8 Söhne Benitez' vom 
Militärdienste. 
England. 
Aus London meldet der „L.-A.": Jur 
Wartezimmer des Auswärtigen Amtes schoß 
sich gestern der britische Consul von Car- 
85) 
von E. von Wald-Zedtwitz. 
. --Doch mein Glück soll sich erst dann voll- 
fr Cn ' r-ft t sl l.l ene . Gerüchte aufgeklärt 
Excellent" "" einc Gewissensfrage. 
„Bitte." 
„Welche Stellung nehmen Sie in dieser 
Angelegenheit ein. 
Ueber Herrn von Maurer's Gesicht flog 
ein Ausdruck, welcher Hartwig deutlich zeigte, 
daß den Hofmarschall die Frage gekränkt hatte. 
„Antworten Sie mir nicht, Excellenz, ich 
weiß, wie Sic denken und bitte, daß Sie 
mir die Frage nicht übel nehmen. Doch nun 
lassen Sie mich zu meiner Mutter gehen." 
„Gewiß! Aber nur unter der Bedingung, 
daß Sic heute die Aermste nicht noch mehr 
beunruhigen, sic ist angegriffen, ist körperlich 
und seelisch crschüttcü." 
Hartwig versprach es, wenn sich auch da 
durch seine Vereinigung mit Anna noch ver 
zögern sollte, und ging, vom Hofmarschall 
geleitet, in Heinz Königshofm's Kranken 
zimmer, wo er wußte, daß er Bertha treffen 
würde. Lorenz öffnete leise die Thür und 
Beide traten geräuschlos ein, jedoch nur, um 
auf der Schwelle stehen zu bleiben. DaS 
Bild, welches sie hier erblickten, ließ sie nicht 
weiter vorwärts gehen : Heinz lag todlenbleichm 
Angesichtes mit verbundener Stirn auf dem 
Bett, das matte Auge auf Ellinor gerichtet, 
welche, auf den, Boden kniend, seine Hände 
umfaßt hielt, das thränenüberströnite und 
dennoch von einem seligen Ausdruck verschönte 
Angesicht auf den Verwundeten gerichtet. 
Bertha stand hinter ihr, die Rechte wie! 
segnend auf das blonde Haupt ihres Kindes 
gelegt, während sie die Linke mit dem Taschcn- 
tuche vor die Augen preßte. 
Jetzt erblickte sie Hartwig und Lorenz, 
und schnell auf die Beiden zugehend, schloß 
sie den Ersteren in ihre Arme. 
„Hartwig, was haben wir erleben müssen, 
und doch hat das Unglück auch etwas Er 
hebendes, etwas Schönes mit sich geführt: 
zwei Herzen, welche schon längst für einanver 
fühlten, hat es zusammengeführt." 
. Hartwigs drückte Bertha fest an sich, um 
NB dann Heinzens Lager zu nähern. Dieser 
.te plötzlich zusammen; kaum wiedcr 
1 "tüchtig, hatte er die schrecklichen 
T-z- „an, 'n»d Ļ 
blick-« tlimJS "V” Ş°»»- d-S Singen. 
Mg,,A tlnv ?JJ L ”- Jetzt aber trat wtedcr 
aus denen Ellin^'' jr f ff e ^ te « M 
©eite «nb vergrub das Gesicht ™Ä fff 
es kann/ es darf nrcht 
Nein 
sein." 
Seine Lider schlossen sich und sein Geist 
begann sich wieder zu umnachten. 
„Das Gerücht — o, das Gerücht. 
Ich muß sterben — sterben." 
Ellinor warf sich über ihn, Bertha starrte 
leeren Auges auf den Kranken, während sich 
Hartwig und Lorenz verständnißvoll ansahen. 
„Das Papier, die Zeit — o — o — 
es ist nicht wahr," kam es wie in Todes 
angst gesprochen über die bleichen Lippen des 
Kranken, indem er sich mühsam emporrichtete 
und fieberheißen Blickes mit den Fingern auf 
der Bettdecke zu suchen begann. 
„Mein Rock! — Dort — dort!" 
Hartwig und der Hofmarschall mußten ihn 
festhalten, um zu verhüten, daß er anffprang. 
Ellinor, der Ohnmacht nahe, wurde sanft 
von ihrer Mutter hinausgeführt und dcr 
Obhut der alten Frau von Stein übergeben, 
welche das unglückliche Mädchen niit liebe 
voller Sorgfalt überschüttete. 
„Er weiß Alles und seine Kugel fand den 
Weg nicht freiwillig," wandte sich Hartwig 
an Herrn von Maurer, als sie mit Heinz 
allein waren, der jetzt wie im Starrkramp' 
dalag. 
„Furchtbar, furchtbar! O, diese nichts 
würdige Menschheit, wenn sie wüßte, was 
sie verschuldet hat!" 
„Aber jene Zeitung, er muß sie besitzen. 
„Welche Zeitung nur? ließ sich in diesem 
Augenblick Frau von Römhild's Stimme ver 
nehmen, welche wieder zurückgekommen war. 
Beide Herren schwiegen eine Augenblick 
und sahen sich betroffen an. 
Bertha war keine ihrer Mienen entgangen. 
Sie wissen etwas, meine Herren, was Sie 
mir verschweigen wollen, Nun, bekomme ich 
keine Antwort? lieben Sie keine falsche 
Schonung." Bertha schloß einen Augenblick 
die Lider und drückte die Hand auf's Herz, 
„ich bin gewappnet, Alles zu hören." 
„Morgen, Bertha," sagte Lorenz sanft. 
, „Nein, heute, heute!" rief diese ungeduldig, 
m diesem Augenblick ganz vergessend, wo sie 
wh befand. „Es handelt sich da um einen 
ck' tikcl, welcher in irgend einer Zeitung stehen 
oll, und diese muß sich hier befinden, hicr 
m diesem Zimmer." 
Bertha begann eifrig zu suchen, dabei von 
à' Hofmarschall unterstützt, welcher das 
Zwecklose des längeren Schweigens einsah. 
Hier hab' ich's! Die Meraner Kurliste." 
— Bertha's Wangen erbleichten und heißen 
Auges starrte sie auf das Blatt. 
Jetzt trat Hartwig auf sie zu. „Komm' 
Mutter, folge mir, cs soll kein Geheimniß 
mehr zwischen uns sein, und mir als Sohn 
steht cs zu, mit Dir zu sprechen, warum es 
sich handelt." Bertha nickte ein stummes „Ja" 
und begab sich auf Hartwig's Arm gestützt, 
in ihr Zimmer. 
„Setzte Dich, sprich, doch so, daß ich Dir 
sest in's Auge sehen kann." 
Hartwig folgte der Aufforderung, ergriff 
Bertha's Hand, las den Artikel vor, und nun 
erzählte er das, was sich als Gerücht daran 
knüpfte und von Mund zu Mund geflogen 
war, dabei fühlend, daß die Hand feiner 
Mutter kalt und kalter wurde, während ihr 
Blick starr auf dem Sprecher gerichtet war. 
„Bist Du fertig, Hartwig?" fragte sic 
endlich mit fester, aber tonloser Stimme 
„Ja, Mutter." 
„Und wie denkst Du über mich und den 
Vater Deines zukünftigen Schwagers?" 
„Daß ihr rein und unschuldig seid, wie 
die Sonne!" 
„O, mein Sohn, mein Sohn -— wie ich 
Dir das danke." Bertha schnellte empor und 
warf sich krampfhaft schluchzend an Hartwigs 
Brust. 
Sic weinte lange, und das, was so schwer 
auf ihr gelegen, begann sich nach und nach 
zu verflüchtigen. Sie athmete frei, bis sic sich 
endlich mit den, Gefühlen der Entschlossenheit 
wieder aus seinen Armen löste. „Und doch 
trifft mich eine Schuld, wenn auch nur die 
des Schweigens. Hatte ich gesprochen, als 
cs an der Zeit war,—>es wäre nimmer so 
weit gekommen!" 
In Berthas Wang en blitzte cs auf und 
ihre Wangen färbten sich wieder. 
Jetzt aber muß ich dm Mund öffnen und 
die volle Wahrheit sagen, vor Dir, vor 
ineincn Freunden, vor der ganzen Welt! Der 
liebe Gott allein weiß, wie gern ich es 
unterlassen hätte, aber ich bin es dm Leben 
den, ich bin es dm Todten schuldig. 
Bertha öffnete den Reisekoffer und ent-- 
nahm demselben einen Schlüsselbund. 
„Hier, dieser Schlüssel wird Dir meinen 
Schreibtisch öffnen, dieser das oberste Fach 
desselben links. Darin steht eine blecherne 
Kassctc und in dieser liegt ein Paket Briefe 
von der Hand Deines Vaters, versiegelt und 
mit einem schwarzen Bande umwunden. Reise 
so schnell als niöglich nach Hause, komme 
ebenso zurück, bringe mir die Briefschaften, 
und diese nichtswürdigen Gerüchte werden 
wie Spreu vor dem Winde vergehen." 
Bertha hatte mit eisiger Ruhe gesprochen, 
um dann, als Hartwig sich entfernt hatte, 
wie gebrochen auf das Lager zu sinken. Mit, 
über der Brust gefalteten Händen lag sie da 
und starrte in's Leere! aber es hielt sic nicht 
lange, sic mußte ihre Pflicht am Krankenbette 
üben und so erhob sie sich und ging zu Heinz 
Königshofen. 
Eben hörte sie, wie der Wagen vom Hofe 
ilhr, um Hartwig, welcher den Nachtzug be 
nutzen wollte, zur Bahnstation zu bringen. 
Während der Nacht schloß sic kein Auge, 
gemeinsam mit Maurer die Wache haltend. 
(Fortsetzung folgt.) 
— Radfahrer und Herzfehler. Aus 
Brunnen (Schweiz) wird der „Köln. Ztg." 
vom 3. Oktober depeschirt: „Emil Goa, 
der Inspektor des Kurhauses in Baden, 
ist gestern auf der Axenstraße währen einer 
Belozipedfahrt plötzlich am Herzschlag 
gestorben. 
ķ» KŗPrheînt tägLich. «jg»
	        
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