Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

soll, haben sehr wahrscheinlich mehr als 
diesen einen Zeugen gehabt und sie können 
auf dem gar nicht ungewöhnlichen Wege 
der Geschichtenträgerei sehr bequem auch 
bis zu einer Stelle gelangt sein, die viel 
leicht mit der Hofgesellschaft in gar keiner 
Verbindung steht. Völlig romanhaft, höch 
stens wie eine matte Sardouscene wirkt die 
Erzählung von der Beweiskraft der ge 
fundenen Löschblätter; ein Mann, der über 
eine prächtige Privatwohnung verfügt, 
müßte nicht im Besitz seiner gesunden 
Sinne sein, wenn er Schmähbriefe, deren 
Entdeckung seine Existenz vernichten würde, 
in seinem Amtszimmer oder im Casino 
schriebe und die Spuren nicht mit äußerster 
Sorgfalt vertilgte; der Umstand, daß man 
an solchen Orten Löschblätter mit komprn 
mittirenden Schriftzügen fand, scheint viel 
eher auf ein Komplott zu deuten, dessen 
Opfer der vielfach beneidete Herr v. Kotze 
werden sollte." 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete 
Chicago, 7. Juli. Gestern Morgen 
verhinderten es die Streiker, daß die 
M i l ch z ü g e in die Stadt gelangen 
konnten. — Im Laufe des Tages griffen 
sie aufs neue die Viehhöfe an. Mehrere 
kleine Gebäude wurden in Brand gesteckt. 
Eine Menge von Tausenden raubte einen 
Eisenbahnzug, der Lebensmittel brachte, 
aus. Frauen und Kinder füllten ihre 
Schürzen voll. Als das reguläre Militär 
erschien, wurde es mit Rufen empfangen: 
„Fort mit ihnen," „Tödtet die Hunde". 
Die Scenen, die sich abspielten, erinnerten 
lebhaft an die Pariser Commune. Es 
herrschen jetzt fast anarchistische Zustände 
in Chicago. Das reguläre Militär konnte 
Rauben und Plündern nur auf dem Punkte 
verhindern, wo es sich gerade befand. 
Während Tausend e verhungern, 
verfaulen Tonnen des besten 
Fleisches in den Eisenbahn- 
waggons, »veil kein Zug fort 
fahren kann. Der Gouverneur Alt 
geld hat mittlerweile die 1. und 3. Brigade 
der Staatsmiliz mobilisirt. In Boston 
verzögert sich die Abfahrt der Dainpfer, 
weil das Vieh und das Getreide vorn 
Westen nicht eintrifft. 
Auf dem Weltausstellungsplatze sind 
sechs großeGebäude, darunter die Fabrikanten- 
Halle, die Maschinen-Halle und das Ge 
bäude für Bergbau und Landwirthschaft 
in Flammen aufgegangen. 
Die Eiseubahngesellschaftvon 
Pennsylvanien erklärt, daß 6 6 7 
Waggons, davon hu ndertsammt 
der Ladung verbrannt »vor 
den sind. 
Serbien. 
Risch, 8. Juli. Die hiesige Polizei ber 
haftete vorgestern einen der gefährlichsten 
Anarchisten. Seit 10 Tagen weilte 
Risch ein Fremder, dessen elegantes Auf 
treten nur durch den Umstand Verdacht er 
regte, daß er mit einem Arbeiter der kgl 
Maschinen-Werkstätte, Wladislaw Markie- 
witsch, einen regen Verkehr unterhielt 
3 Tage nach seinem Eintreffen meldeten sich 
beim Rischer Polizeipräfekten zwei russische 
Geheimagenten, welche die Unterstützung 
bei der Ergreifung eines gewiffen Cyprian 
Jegulhowsky, äs Baron Stern ber 
erbaten. Der Verdacht wandte sich sofort 
dein bewußten Fremden zn. Seine bei 
der Post einlangenden Briefe, darunter 
eine an Baron Sternberg adressirte Geld 
anweisung über 500 Francs, bei der eine 
geivisse, voraussichtlich fingirte „Madame 
Maiers" aus Paris als Aufgeberin fungirte 
wurden beschlagnahmt. Rachdein an der 
Identität kein Zweifel mehr »var, wollte 
man zur Verhaftung vorgeht n. Sternberg 
war indessen auf einen, von irgend einer 
Seite erhaltenen Wink verschwunden 
Vorgestern gelang es indessen der Rischer 
Polizei, seiner in der Kreisstadt Alexinaz 
habhaft zu werden, worauf Sternberg ge 
fesselt nach Nisck in's Gefängniß eingeliefert 
wurde. Gleichzeitig wurde der Arbeiter 
Markiewitsch verhaftet. Letzterer betheuerte, 
den angeblichen Sternberg früher nicht ge 
konnt zu haben. Sternberg »vollte gegen 
hohe Belohnung sechs Bomben von ihm 
angefertigt haben, was er aber ablehnte, 
şşrankreà 
Paris, 9. Juli. Die radikalen Blätter 
greifen auf das schärfste das neue anar 
chistische Gesetz an. Es sei nicht gegen 
die Anarchisten, sondern gegen die Preß 
Zeichen gebend, daß das Eisvergnügen für 
heutc fein Ende erreicht hatte. 
In der Folterkammer ging cs nun lustig 
her, die Jugend drängte sich hier zusammen 
und die Herren waren bestrebt, den Damen 
gegenüber ihre Ritterdienste bis zuni Ab 
schnallen der Schlittschuhe auszudehnen, »vas 
die meisten derselben jedoch dankend ablehnten. 
„Lassen Sie nur, das mache ich allein," 
hatte sich auch Fräulein von Ehlarn an Herrn 
Königshofen gewandt, als dieser sich gleich 
falls dazu erbot. Die Worte hatten wieder 
fehr abweisend geklungen und waren durch 
die Art wie Anna den Kopf zum Abschiede 
neigte, noch verstärkt worden. 
Heinz verdroß dies, so daß er sich mit 
einem wenig verbindlichen Gruße entfernte. 
(Fortsetzung folgt.) 
freiheit gerichtet. Auch einige gemäßigte 
Blätter finden die Geheimhaltung der Pro 
zesse prinzipiell bedenklich, das wichtigste 
wäre eine Reorganisation der Polizei. 
Paris, 9. Juli. Der gestern Abend 
zusarnmengetretene Ministerrath hat über 
einen Gesetzentwurf Beschluß gefaßt, 
wonach alle durch Aufreizung zu Mord, 
Plünderung, Brandstiftung, Bombenatten 
taten und Anschlägen gegen die Staats 
sicherheit begangenen, sowie die Ver 
herrlichung dieser Verbrechen nicht mehr 
den Schwurgerichten, sondern dem Zucht 
polizeigericht zugelviesen und die bezüglichen 
Strafen erhöht werden. Der Gesetzentwurf 
soll in der Kammer eingebracht »verden. 
Paris, 9. Juli. Daß das Verbrechen 
Caserio's hat ausgeführt werden können, 
dafür ist zu einem Theil sicher die m a n g e l- 
hafte polizeiliche Organi 
sation in Frankreich verantwortlich zu 
machen. Caserio hat nämlich schon vorher 
förmliche Drohungen gegen Carnot ausge 
sprochen. Er war den Behörden seit langer 
Zeit als gefährlicher Anarchist bekannt. 
Auf der Anarchistenliste, die der Polizei 
kommissar in Cette in Folge ministeriellen 
Auftrages zu Beginn dieses Jahres an 
fertigte, stand Caserio an vierter Stelle. 
Bor einiger Zeit sagte er in einem Wirths 
Hause, als man von dem Präsidenten 
Carnot sprach, ganz laut: „Den Präsi 
denten, den habe ich verurtheilt!" Ein 
anderes Mal rief er: „Wir brauchen 
keine Bomben! Ich weiß was Besseres!" 
und machte hierbei die Geberde eines Dolch 
stoßes. Gleichwohl konnte er ungehindert einen 
Dolch bei dem bekanntesten Waffenschmied 
in Cette kaufen und seine Mordreise antreten. 
Ferrero theilt im „Figaro" acht Briefe 
Caserios mit, die keine neue Thatsachen 
enthüllen, aber den anarchistischen Fanatis 
mus des Präsidentenmörders erkennen lassen 
und einen Einblick in das Leben der Anar 
chisten gelvähren. — Drohbriefe sind, 
wie nach allen früheren Attentaten, an den 
Vorsitzenden des Schwurgerichts, den Staats 
anwalt und den Untersuchungsrichter für 
den Fall der Verurtheilnng Caserios ge 
sandt. Auch Casimir Perier hat eine Reihe 
von Drohbriefen erhalten. Mehrere Anar 
chisten, die der Absendung der Briefe ver 
dächtig sind, wurden verhaftet. — In 
C a e n wurde am Sonnabend der Anar 
chist Santo Baldi verhaftet; derselbe ist 
Oesterreicher, 40 Jahre alt u»»d war Kol- 
vorteur anarchistischer Blätter. 
Die Stadt Dijon, Carnot's Heimaths- 
ort, »vird dem ermordeten Präsidenten der 
Republik ein Denkmal auf der Place 
d'Armes setzen, welche künftig Place Sadi- 
Carnot heißen »vird. Der Stadtrath hat 
bereits 10 000 Frcs. für das Denkmal be 
willigt. Auch der Stadtrath von Havre 
hat beschlossen, am Eingang des Rath 
hauses eine Gedenktafel und eine Büste des 
Verstorbenen anbringen zu lassen. 
Spanien. 
Durch Entgleisung eines Eisenbahnzuges 
auf der Linie Bilbao-Lezama wurden am 
Sonnabend 12 Personen getödtet und 
18 verlvundet. 
England. 
London, 9. Juli. Der englische Premier 
minister Lord Rosebery hat den Sieg 
seines „Ladas" im letzten Derby-Rennen 
u. a. dadurch gefeiert, daß er am Don 
nerstag 345 Betvohnern des A r m e n- 
h a us es in Epsom einen guten Schmaus 
veranstaltete und es dabei auch an der 
Ueberreichung von Rauch- und Schnupf 
tabak nicht fehlen ließ. Am Abend lvurde 
Ball veranstaltet und es t-varen nicht 
nur zioei Kapellen dazu engagirt, sondern 
der Premierminister hat dem Armenhaus 
auch eigens ein Klavier geschenkt, das, mit 
entsprechenden Inschrift versehen, den In 
sassen des Armenhauses zur Erinnerung 
an den Ladassieg auf immer gehören soll 
àhland. 
Ungewöhnlich heftige Stürme richte 
ten in den letzten Tagen in den Go^rverne 
ments Warschau, Kiew, Wolhynien gro" 
Verheerungen an. Die Drahtverbin 
dung ist größtentheils unterbrochen. Am 
Freitag mußten über 500 zurückgebliebene 
Telcgramine mit der Post befördert werden 
Reitende Boten überbrachten einen ganzen 
Stoß von Depeschen aus Lodz nachWarschau 
Der telegraphische Verkehr von Warschau 
nach Petersburg »var bis Freitag gestört, 
die Depeschen wurden in Moskau und 
Odessa umtelegraphirt. 
Dänemark. 
Kopenhagen, 5. Juli. Der hiesige 
Arbeiterverein „Schutz der Arbeiter" hat 
drei Prämien im Betrage von 500, 
300 und 200 Kronen ausgesetzt für die 
beste Bearbeitung einer Preisaufgabe über 
Versicherung gegen Arbeits- 
o si g k e i t. Das Comits zur Prüfung 
der Arbeiten besteht aus dem Abgeordneten 
letzt worden. Zündschnur und Spreng 
kapsel »vurden in der Nähe gefunden. In 
der betreffenden Straße sind fast alle Fenster 
zerstört. Der Urheber der Explosion ist 
unbekannt. Der Besitzer des Gebäudes ist 
an dem Bergwerke in Nürschan bei Pilsen 
betheiligt. Bor dem Bezirksgericht und 
dem Kreisgericht sind ebenfalls Bomben 
aufgefunden worden, deren Lunte von 
Gendarmen ausgelöscht wurde. 
Am Sonnabend-Vormittag fand in dem 
an dem Förderschachte „Carl" in Karivin 
anstoßenden Kanzleizimmer abermals eine 
Eplosion schlagender Wetter statt. 
Die in dem geschlossenen Schachte ange 
sammelten Gase waren durch die Mauern 
geströmt. Vier Personen erhielten leichte 
Brandwunden im Gesicht. Die Explosion 
ist »vahrscheinlich durch das Anzünden eines 
Streichholzes verursacht worden. Der 
Brand der hölzernen Aussturzbrücke, wel 
cher bei der Explosion entstanden »var, 
lvurde sofort gelöscht. Die Zugänge zu 
sämmtlichen geschlossenen Schächten sind 
abgesperrt und werden überwacht. Die 
Arbeiten am Tiefbauschachte sind wegen 
der auftretenden Kohlenoxydgase unter 
brochen. 
Inland. 
an 
Direktor Bramsen, dem Nationalbankdirektor 
Ström und dem Professor Westergaard. 
Oesterreich. 
Prag, 9. Juli. Wie bereits telegraphisch 
aus Pilsen gemeldet, ist in der ver 
gangenen Nacht eine Bombe unter furcht 
barer Detonation vor der Actien-Bierhalle, 
wo sich die Lokalitäten des deutschen Turn- 
Bereins und des deutschen Handwerker- 
Vereins befinden, explodirt. In dem Gar 
ten befand sich ein zahlreiches Publikum. 
Wie verlautet, ist eine Person schwer ver- 
Berliu, 9. Juli. Der Bundesrath 
lehnte den Reichstagsbeschluß betreffend die 
Aufhebung des Jesuitengesetzes 
ab und nahm den Antrag Bayern betr. 
die Zulassung der Redemptoristen an. 
Berlin, 8. Juli. Der aus dem sog. 
um mischlauchprozeß bekannte 
Zeuge Ahlfeldt, dem der Vorsitzende 
Brauseivetter unmittelbar nach der Ver 
eidigung seine abgeleugneten Vorstrafen vor 
lesen ließ und der sofort wegen Verdachts 
des Meineides verhaftet wurde, ist 
gestern von Schwurgericht wegen dieses 
Meineides zu anderthalb Jahren Zuchthaus 
verurtheilt »vorden. Er eutschuldigte sich 
damit, daß er damals betrunken war. 
— Der frühere Reichstagsabgeordnete 
Freiherr v. Münch soll auf Grund des 
Materials, das in dein bekannten Prozeß 
Collin gegen Münch gesammelt wurde, 
einer Irrenanstalt auf sechs Wochen 
zur Beobachtung überwiesen werden. 
— Die durch die Presse gehende Nach 
richt, daß der Reichstags-Abge 
ordnete Haas sein Mandat nieder 
gelegt habe, weil der Eintritt seines 
Sohnes in eine Kriegsschule die Kritik in 
der Oeffentlichkeit hervorgerufen hat, be- 
gegnet in den Kreisen, die offiziell Kennt 
niß davon haben, starken Anzweiflungen, 
jedenfalls ist nach der „Post" soviel sicher, 
daß dem Präsidenten des Reichstages die 
Niederlegung des Mandats noch nicht 
gezeigt ist. 
- Eine Verschärfung desBier 
b o y k o t t s kündigt der „Vorlvürts" an 
offenbar weil der von den Sozialdemo 
traten erwartete Erfolg doch ausgeblieben 
ist. Er theilt mit, die Maßregeln zur 
Verschärfung des Boykotts seien bereits 
eingeleitet. Worin die Verschärfung bestehen 
soll, »vird noch nicht gesagt, sondern vor 
erst begnügt sich der „Vorwärts" mit der 
zehnfach wiederholten Aufforderung, kein 
Boykottbier zu trinken und kein Lokal, 
dem Boykottbier ausgeschänkt »vird, zu be 
suchen. Wie wenig der Bierboykott bisher 
von Erfolg gewesen ist, ergiebt sich auch 
daraus, daß sich die Zahl der Brauereien 
welche sich laut Ankündigung des „Vor 
wärts" unter den Willen der Sozialdemo 
krateu gebeugt haben, wiederum um drei 
vermindert hat. Es sind dies die Brauerei 
von Bauer in Werder a. d. Havel, die 
Brauerei „Phönix" von Radon in Gr 
Lichterfelde und die Brauerei Dumer und 
Kahl in Charlottenburg. Man wird an 
nehmen können, daß diesen drei noch 
mehrere folgen werden, da sich der Verlust 
der nichtsozialdemokratischen Kundschaft au - 
die Dauer für die betreffenden Brauereien 
als größer eriveisen »vird, als der Geivinn 
aus der sozialdemokratischen Kundschaft 
Abgefallen ist nur eine kleine obergährige 
Brauerei von Lerch u. Plettenberg in 
Werder an der Havel. 
AusBerlinwird abermals einFrauen 
mord gemeldet. Unter dem Messer eines 
Zt. noch unbekannten Mörders ist die 
35jährige Hausirerin Bertha Lange in 
Schöneberg bei Berlin verblutet. Ein 
Raubinord liegt anscheinend nicht vor. 
Ueber den Thatort schreibt der „L.-A." 
wlgendes: Auf Schöneberger Gebiet hinter 
dem Friedhofe der Zwölf-Apostel-Kirchen 
gemeinde läuft ein schmaler Fußpfad durch 
durch das Feld, der die Verbindung zwischen 
Schöneberg und Friedenau verinittelt. Zur 
Rechten zieht sich der Bahnkörper der 
Wanseebahn hin, zur Linken dehnt sich ein 
weites Roggenfeld. Der Verkehr in jener 
Gegend ist nicht besonders rege; hingegen 
gestattet der Bahnkörper einen guten Ueber 
blick über den unterhalb desselben liegenden 
Fußweg. Erwägt man, daß auf der Bahn 
trecke alle sechs Minuten durchschnittlich 
ein Zug verkehrt, so bleibt es räthselhaft, 
daß der Verbrecher ungestört seine Unthat 
begehen konnte. Etwa 10 Min. von den 
Däusern Friedenaus, 5 Min. vom Apostel- 
riedhof entfernt, liegt die Thatstelle. Das 
Opfer ist, wie große Blutlachen zeigen, auf 
dem Fußwege niedergestreckt und später in 
das Roggenfeld geschleift worden. Dieses 
ist hierbei in ansehnlichem Umfange nieder 
getreten worden. 
Während der Abwesenheit ihres Mannes 
erdrosselte am Sonnabend die Frau 
des Bremsers Matauschek in Berlin ihre 
beiden ihm zartesten Alter stehenden Kinder 
sotvie eine ihrer Pflege anvertraute Nichte 
und erhängte sich dann selbst. Anlaß zu 
diesein Verbrechen sollen Nahrungssorgen 
gewesen sein. 
Von den Schandthaten eines 
Regenschirmes Iveiß eine Berliner Lo 
kalkorrespondenz Folgendes zu erzählen 
Dienstag in der siebenten Abendstunde Pas 
sirte eine alte Frau mit aufgespanntem 
Regenschirm die Wendenstraße und befand 
sich an einem Restaurant in der Skalitzer 
straße, Plötzlich ein heftiger Wirbelwind sich 
erhob, welcher der Passantin den Schirm 
entriß und in das Schaufenster des F.'schen 
Lokales schleuderte, dessen große Scheibe 
im Werthe von 800 Mark zertrümmert 
wurde. Aber damit begnügte sich der Nord 
oft nicht; auf dem dicht am Schaufenster- 
befindlichen Ladentische stand der Koch 
apparat nebst mehreren Stößen Tellern 
und Schüsseln und alle diese Gegenstände 
»vurden durch den durchgegangenen Regen 
schirm heruntergeschleudert und zertrümmert, 
der auf diese Weise etwa 1000 JL Scha 
den verursacht hat. Die Besitzerin des 
Schirmes aber konnte dafür nicht haftbar 
gemacht »verden, denn diese hatte der 
Wirbelwind — nach dem Görlitzer Bahn 
höfe hinweggeļoeht! (Vermuthlich in einen 
zur Abfahrt bereitstehenden Zug.) 
Die Reise des F ü r st e n Bismarck 
nach Varzi» ist auf Mittwoch den 11. d 
Mts. festgesetzt und wird Mittags mit den» 
Schnellzuge 1 Uhr 15 Min. von Fried 
richsruh ab erfolgen. Zunächst »vird der 
Fürst sich einige Tage in Schönhausen 
zum Besuch bei dem Grafen Herbert v. 
Bismarck aufhalten und erst dann wird 
die Weiterreise über Berlin stattfinden. 
Den armen Zahntechnikern, die 
bekanntlich bisher noch keine Bezeichnung 
nr ihren Beruf gefunden haben, die nicht 
gerichtlich geahndet worden »väre, ist nach 
einer Notiz der „Tägl. R." die Straf 
kammer zu Oppeln zu Hülfe gekommen, 
indem sie einen Herrn L., der zur Ver 
antwortung gezogen »verden sollte, weil er 
ich „Dentist", „Zahntechniker", „Zahn- 
arzt-Assistent" genannt hatte in der gericht 
lichen Vorladung „Zahngebißarbeiter" 
titulirte. 
Memel, 9. Juli. Wie das „Memeler 
Dampfboot" meldet, ist das sieben Meilen 
von hier entfernte russische Grenzstädtchen 
Phunjan durch eine ungeheure Feuers- 
bru nst völlig vernichtet. 370 Häuser sind 
abgebrannt. Ueber 2000 Menschen sind 
obdachlos. Einige Kinder sind in den 
Flammen umgekoininen. Der gesammte 
Viehbestand ist verbrannt. 
Bei einem Gewitter am Dienstag 
»varen auf dem Felde des Dominiums Ker- 
ko»v bei Angermünde 15 Kinder mit dem 
Beseitigen von Unkraut beschäftigt. Plötz 
lich fuhr ein B l i tz st r a h l nieder und 
t ö d t e t e den 12jährigen Sohn 
des Arbeiters Ehrenreich. Die anderen 
Kinder »vurden zur Erde geworfen, haben 
aber keinen besonderen Schaden erlitten. 
Nur ein Knabe hat noch ettvas geschtoollene 
Füße und ein Mädchen eine geschivollene 
Backe. 
Drei Geivitter gingen am Sonn 
abend in Kassel, »vie der „Post" von dort 
geineldet »vird, nieder. In Kassel schlug 
der Blitz s e ch s in a l ein. Namentlich in 
der Provinz haben Wolkenbruch, Hagel- 
schlag und Blitz bedeutenden Schaden an 
gerichtet. Mehrfach »verden Häuserbrände 
und Tod von Menschen und Vieh gemeldet 
Ein fremder unbekannter Radfahrer, 
der gestern mit dem Eisenbahnzug Mar 
burg-Laasphe um die Wette fahren und bei 
der Station Erndtebrueck, da er einen 
Vorsprung hatte, sogar vor dem Personen 
zugc das Bahngeleise kreuzen wollte, wurde 
von der Lokomotive erfaßt und zerinalmt. 
Zivei auf der Wachtstation C. an der 
Dahme beschäftigte Arbeiter, Namens Knopf 
und Jürgens, befanden sich am Sonntag 
Abend in einer an der Wusterhausener 
Chaussee belegenen Schiffer-Kneipe, wo sich 
Beide anderen Gästen gegenüber rühmten, 
daß sie im Stande seien, innerhalb 15 
Minuten je 3 Glaspistolen voll Rordhänser 
(jede Pistole hält ca. 3 /+ Liter) auszu 
trinken, „ohne daß sie sich irgend etivas 
dabei dächten". Da dies bezlveifelt wurde, 
o boten sie eine Wette um Bier an, die 
die auch sofort angenommen wurde. Zu 
am 
allgemeinem Erstaunen tranken Beide auch 
je zivei der Pistolen herunter, als aber 
Knopf die Dritte zum Theil schon geleert 
hatte, da brach er mit lautem Aufschrei 
zusammen, wobei ihm das Blut strom 
weise aus dem Munde stürzte; bald dar 
auf war der Unglückliche auch schon eine 
Leiche. 
Die Entgleisung des Basel-Kölner 
Schnellzug es ist am Freitag dadurch ver 
anlaßt »vorden, daß eine Schwelle übe r 
ie Geleise gelegt war, die von der 
Maschine eine Strecke weit fortgeschleppt 
wurde. Der Thäter ist noch nicht bekannt, 
gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet. Die 
Pfälz. Presse" berichtet über den Unfall: 
Der Nachtschnellzug Basel-Köln entgleiste 
Bahnhof Lambrecht Die Reisenden 
kamen mit dem Schrecken davon; auch von» 
Dienstpersonal wurde Niemand verletzt 
Die Maschine, der Schlafwagen und der 
Gepäckwagen sprangen aus dem Geleise- 
Die Maschine fuhr noch etwa 100 Meter 
auf dem Kiessande zwischen den Schienen 
weiter, wobei sich die Räder bis an die 
Achsen in den Boden »vühlten, sodaß der 
von Hochspeier kommende Nachtschnellzug 
Köln-Basel nicht vorbeifahren konnte. Auf 
der ganzen Strecke vom Schönthal bis 
Lambrecht »vurden abgerissene und abge 
stoßene Schienen der Schwelle, die schon 
ziemlich morsch »var, aufgefunden. Die 
Schivelle hat den Sand und Kies aufge- 
»vühlt, »vas von einem Bahnwärter be 
merkt und bei der Besichtigung durch den 
eur bestätigt wurde. Ein hartes 
Stückchen dieser Schtvelle soll sich nun zwi 
schen den Aufräumer und das Vorderrad 
der Maschine gezwängt und als die Ma 
schine im Bahnhof Lambrecht in die Kreu 
zung einfuhr, diese zur Entgleisung ge 
bracht haben. 
Hagen, 4. Juli. Die E i n s ch ä tz u n g 
eines hiesigen Gewerbetreibenden »vurde, 
wie man der „Mind. Ztg." schreibt, seiner 
Zeit vorläufig beanstandet; bei der näheren 
Begründung seiner Einschätzung führte der 
Gewerbetreibende unter den Unkosten auch 
das Gehalt für einen thatsächlich beschäf 
tigten Commis mit auf; »vie sehr war 
er aber überrascht, als^ihin die Benach 
richtigung über seine Steuerquote zukanl 
und in dieser Benachrichtigung das Gehalt 
des Commis einfach als steuerfähiges Ein 
kommen seinem Einkommen wieder hinzu 
gezählt fand, Ivobei die Kommission dies 
mit folgendem Satz »notillirte: „Das in 
Abzug gebrachte Gehalt für den Commis 
ist dem steuerpflichtigen Einkommen wieder 
hinzugefügt worden, da für Ihr Ge- 
'chäft ein Commis nicht ge 
braucht wir d." 
Ein Leipziger Verehrer Bismarks, Herr 
Witzleben, läßt zur Zeit in seiner Heimath- 
ladt ein Gebäude aufführen, das den 
Namen „Bismarckhaus" tragen soll. Die 
Kosten des Hauses, das Herr W. selbst 
bewohnen »vird, belaufen sich auf 1'/, 
Millionen Mark. 
Hannover, 9. Juli. Finanzminister Dr. 
Miguel ist zur Theilnahme an der Ben 
nigsen-Feier heute Nachmittag hier ein- 
troffen. 
Wilhelmshafen, 7 Juli. Die Räubereien 
der englischen Fischer an den deutschen 
Küstengewässern nehmen immer inehr über 
hand. Kaum ist von der Strafkammer in 
Aurich der letzte Fall dieser Art abgeurtheilt, 
da »vird schon gemeldet, daß das mit dem 
Schutz der deutschen Hochsee-Fischerei be 
auftragte Kanonenboot „Brummer" aber 
mals einen englischen Fischkutter einge 
bracht hat, der unberechtigt im Bann ver 
deutschen Hochsee-Fischerei seine Netze aus 
geworfen hatte. „Brummer" hat den Kutter 
nach Helgoland gebracht, wo der Fischer 
und der Führer in Haft genommen und 
die Fanggeräthschaften mit Beschlag belegt 
wurden. 
Stade, 7. Juli. Der Besuch eines. 
hiesigenTanzlokales, in welchem 
am letzten Sonntag ein socialdemokratischer 
Hamburger Verein sein Vergnügen abhielt, I 
ist laut Parolebefehl den Mannschaften der 
hiesigen Garnison verboten »vorden. 
Lübeck, 7. J»rli. Der hiesige sozial 
demokratische Verein schloß vor einiger 
Zeit sein Mitglied Lange aus, »veil es 
zu anarchistischen Ansichten hinneigte. Lange 
vertheidigte sich in einen» bürgerlichen Blatt 
(ettvas Anderes stand ihin nicht zu Gebote) 
und erhob »vider den ehemaligen sozial 
demokratischen Reichstags - Abgeordneten 
Schwarz schwere persönliche Beschuldigungen, 
die eigentlich von Schwarz hätten beant- 
wortet »verden müssen. Schlvarz hüllte sich 
aber in Schweigen. Lange gründete nun 
mit et»va einem Dutzend seiner Partei 
genossen einen neuen revolutionären sozial- 
deinokratischen Verein und jetzt erlebte man 
das eigenthüinliche Schauspiel, daß Sozial- 
demokraten Saalabtreiber wurden. Lange 
kann bis auf den heutigen Tag kein Lokal 
bekommen, weil die Sozialdemokraten es 
nicht »vollen. 
Hamburg, 9. Juli. Die Erbärmlich 
keit einer Denunciation wurde gestern 
von dein Vorsitzenden des Schwurgerichts 
in einer Anklage gegen die Wittwe des 
Kaufmanns Boley scharf gerügt. „Ein 
Hamburger Bürger" hatte einen anonymen 
Brief an den Staatsanwalt gerichtet, wo 
nach die Angeklagte einen Offenbarungseid 
geleistet habe und dennoch eine Forderung 
von 700 Ji und die Verschleppung meh 
rerer Mobilien verschlviegen haben sollte. 
Nach den Zeugenaussagen ist an der gan 
zen Beschuldigung kein wahres Wort, so 
daß der Staatsantvalt die Anklage sofort 
zurückzog. Aber die Frau hatte 14 Wo 
chen in Untersuchungshaft zuge 
bracht. Der Vorsitzende Dr. Borchardt 
bemerkte, daß die ganze Sache einmal 
wieder die Folge einer erbärmlichen Denun 
ciation sei. Auf einen solchen „Bürger" 
könne Hamburg stolz sein! — (Die Schuld 
losigkeit der Frau hätte sich doch aber 
durch den Staatsanwalt schon früher fest- 
kellen lassen können!?) — Der Direktor 
der Güstrower Viehversicherungs-Gesellschaft, 
welcher Wege»» angeblicher Unterschlagung
	        
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