Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

gtrfcŞeinf täglich. 
Wcndsburger 
Vierteljährlich L^^fteilns Haus geliefert ArUestes und gelesrnstes Klatt im ftvtlfc Uendsvurg. 
für Auswärtige, durchs die Post bezogen Anzeigen für bte Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
Mel. Postprovision -c., jedoch ohne Bestellgeld. " ^ ^ 
JnsertionSpreiS: pro Petitzeile 15 
87ster Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sonne das 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigcgeben. 
3000 Abonnenten. 
Wo. 230. 
Montag, den 1. Hctobeŗ 
1894. 
ö» Folge des llmzichtsges 
werden manche unserer geehrten 
Abonnenten ihre Wohnung gewechselt 
haben. Wir bitten darum, uns in 
solchem Falle die neuen Wohnungen 
melden zu wollen, wo dies bisher 
nicht geschehen, damit in der Zu 
sendung des Blattes keine Verzögerung 
eintritt. 
Die Expedition 
^desRendsbnŞeWocheni^^ 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 3O. Sept. Der Kaiser, welcher 
während des Aufenthaltes auf dem Jagd- 
schlöffe Rominten bereits mehrere starke 
Hirsche erlegte, wird noch bis Ende der 
kommenden Woche daselbst verweilen und 
sich dann von Rominten nach Hubertusstock 
begeben. Am 12. und 13. Oktober dürfte 
der Kaiser wieder im Neuen Palais ein 
treffen. 
Berlin, 30. Sept. Die Zeitungs-Mit 
theilungen über angebliche Vorarbeiten zu 
einem Gesetzentwürfe gegen die Umsturz- 
Bewegungen dauern fort; jetzt werden 
sogar schon bestimmte Beamte genannt, 
welche mit diesen Arbeiten betraut worden 
sein sollen. Nach den der „Kreuzzeitung" 
gewordenen Mittheilungen steht es aber 
lest, daß diese Frage bisher im Staats 
ministerium noch nicht zur Verhandlung 
gekommen ist. Es scheint, daß erst die 
Rückkehr des Reichskanzlers abgewartet 
wird, zumal an erster Stelle entschieden 
werden muß, ob die Frage im Wege der 
Reichsgesetzgebung oder der Landesgesetz- 
gebung erledigt werden soll. 
Berlin, 30. Sept. In der Königlichen 
Gewehrfabrik zu Spandau sind die Beaniten 
und Arbeiter durch Namensunterschrifi 
verpflichtet worden, von jeder technischen 
Erfindung, deren Patentirung beantragt 
werden soll, den Vorgesetzten Mittheilung 
zu machen; letztere unterbreiten die Ange 
legenheit dem Kriegsministerium. Es sind 
nicht nur solche Erfindungen gemeint, die 
sich auf Waffen beziehen, sondern auch aus 
alle übrigen von dem Personal der Fabrik 
herrührenden Erfindungen. 
Berlin, 30. Sept. Für das nächste Jahr 
ist, wie die „Post" hört, im Deutschen 
Reich eine Berufs- und Gewerbe- 
zahlung in Aussicht genommen und sollen 
dem Bundesrath dahingehende Bestimmun 
gen zur Genehmigung bereits zugegangen 
sein. 
Eisleben, 30. Sept. Gestern fanden 
hier fünf starke Erdstöße statt. 
Probstzella, 30. Sept. Der hier in der 
Nähe gelegene Schieferbruch ist zusammen 
gestürzt, fünf Personen sind gelobtet 
wurden. Sieben Arbeiter wurden aus 
einem Nebengange an einem Seile heraus 
gezogen. Von den Leichen ist erst eine 
geborgen. Die Ausgrabung der übrigen 
vier Verschütteten dürften Wochen in An 
spruch nehmen, da sie unter 30—40 Mir. 
hohen Steinmassen liegen. Das 
Unglück wird auf das anhaltende Regen 
wetter zurückgeführt. 
Paris, 30. Sept. Eine Depesche des 
„Journal des Debüts" meldet, daß ein 
Cyklon die Hälfte der Stadt San 
Domingo zerstört hat. 
Florenz, 30. Sept. In dem Hause des 
Bermögensverwalters mehrerer reicher Fa< 
mitten, Corsini, wurde ein Einbruch ver 
übt, bei dem eine Truhe mit 1 Million 
Franken in Geld und Werthpapieren aus 
dem Arbeitszimmer entwendet wurde. 
London, 30. Sept. Wie die „Times" 
aus Pokohama melden, wird die Bestim 
mung der 30000 Mann starken, von dort 
abgegangenen zweiten Armee sorgfältig ge 
heim gehalten. Die auf Korea befindlichen 
japanesischen Haupttruppen bewegen sich 
in Eilmärschen nach dem Norden der Halb 
inseln. Seitens der koreanischen Grenz 
bevölkerung erwartet man keine Hinder 
nisse. Die zahlreich umlaufenden Gerüchte 
über Waffenstillstands - Verhandlungen sind 
völlig unbegründet. 
London, 30. Sept. Aus Aokohama wird 
gemeldet: Die Presse verlangt energisch die 
Fortsetzung des Krieges gegen China und 
wünscht, daß die japanische Armee direkt 
nach der Hauptstadt Peking marschire. 
Das Parlament werde einstimmig alle 
Kriegskosten bewilligen. 
Warschau, 30. Septbr. Die Zahl der 
bisher wegen Theilnahme an Geheimbünden 
Verhafteten, welche vorwiegend gebildeten 
Kreisen angehören, beträgt 180. Die be 
treffenden Personen werden einem beson 
deren Staatsgerichtshof zur Aburtheilung 
übergeben. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Nokohama, 29. Sept. Meldung des 
Reuter'schen Bureaus: Die Reserve der 
japanischen kaiserlichen Garde ist ein 
berufen worden. 
Belgien. 
Seiner früheren Geliebten, die 
sich inzwischen einem andern zugewandt hatte, 
lauerte aus dem Markte in Bcnlo ein 27- 
jähriger Handwerker, der erst vor wenigen 
Tagen vom Militärdienst zurückgekehrt war, 
auf und schoß sie mit drei Revolverkugeln 
nieder. Darauf richtete er die Waffe gegen 
sich selbst und entleibte sich durch einen 
wohlgezielten Schuß in die Schläfe. Die 
Ermordete war ein hübsches und munteres 
Mädchen von erst 17 Jahren. 
Lüttich, 30. Sept. Gestern Abend wurde 
der 27jährige Waffenarbeiter Bolland aus 
Jupille auf dem Heimwege vom Blitz er 
schlagen. Vorübergehende fanden die Leiche 
mit dem Regenschirm in der Hand und der 
Cigarre im Munde am Wege liegen. Kurz 
vorher war ein Gewitter niedergegangen. 
Nach ärztlicher Ansicht ist der tödtliche 
Strahl dem Verunglückten durch den Hut 
in den Kopf gefahren. Der Hut lag, vom 
vom Blitz durchschnitten, neben der Leiche 
Letztere zeigte bedeutende Brandwunden; 
die Wirbelsäule war ganz verkohlt. 
Der Portier des Brüsseler Rathhauses 
starb vor einigen Tagen mit Hinterlassung 
eines bedeutenden Vermögens, welches er 
sich in müheloser Weise, näirlich dadurch 
erworben hatte, daß er den Fremden und 
Reisenden die Sehenswürdigkeiten des Rath- 
hauses zeigte. Man schätzte sein jährliches 
Einkommen auf 2 5 000 Fr. Unter den 
Bewerbern um den freigewordenen Posten 
figuriren, wie die Brüsseler Journale be 
richten, 33 Advokaten, 21 Ingenieure, 3 
Chemiker und 1 Astronom. 
Rußland. 
Petersburg, 30. Sept. Professor Ley den 
aus Berlin, der zu Gurko nach Warschau 
berufen war, wurde vom Kaiser zu einer 
Consultation nach Spala eingeladen. Leyden 
hält den Zustand des Kaisers nicht für 
besorgnißerregend. 
Der „Regierungsbote" meldet: Die 
Gesundheit des Kaisers hat sich seit Januar 
nach der überstandenen schweren Influenza 
nicht völlig gebessert; im Sommer trat 
eine Nierenkrankheit (Nephritis) zu Tage, 
die behufs erfolgreicherer Heilung bei 
kalter Jahreszeit einen Aufenthalt des 
Kaisers in einem warmen Klima erheischt 
Auf den Rath der Professoren Sacharjin 
und Leyden begiebt sich der Kaiser zum 
zeitweiligen Aufenthalt nach Livadia. 
— Zum Befinden des Kaisers von 
Rußland hat das „B. T." aus Darmstadt 
folgendes Privattelegramm erhalten: Er 
kundigungen an wohlunterrichteter Stelle 
bestätigen, daß der Kaiser von Ruß 
land in Bjelowesh einen Schlagan 
fall gehabt hat. Der Kaiser erkrankte 
darauf ernstlich. Professor Sacharjin wollte 
die alsbaldige Uebersiedelung nach Livadia, 
aber der Kaiser, der sich wohler fühlte, 
wollte sich den Anordnungen des Arztes 
nicht fügen und bestand auf dem Aufent 
halt in Spala. Bei der Ankunft dort 
fühlte er sich aber so schwach, daß man 
ihn ins Stationsgebäude tragen mußte. 
Wenige Tage nach der Ankunft hatte der 
Kaiser einen leichteren Nervenzufall. Die 
Hofärzte behaupten, alle Symptome der 
Zuckerkrankheit festgestellt zu haben, 
was Sacharjin entschieden bestreitet. (Das 
kann doch jeder Arzt leicht feststellen. Red.) 
Die Reise des Großfürsten-Thronfolgers 
nach Darmstadt wurde, da momentan eine 
Gefahr nicht vorhanden ist, andererseits 
aber die Gesammtlage eine Beschleunigung 
der Hochzeit erwünscht erscheinen läßt, um 
vierzehn Tage früher gelegt. Der Thron 
folger soll, wie bis jetzt bestimmt ist, seinen 
Eltern nach Livadia nachreisen. Ob die 
Hochzeit bereits in nächster Zeit stattfinden 
kann, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls 
findet sie nicht vor der Rückkehr des russi- 
scheu Kaiserpaares nach Petersburg statt. 
Bestätigt wird diese Meldung durch ein 
Wölfisches Telegramm aus Darmstadt, wo 
nach die auf Freitag festgesetzte Ankunft 
des Großfürsten-Thronfolgers, wie die 
„Darmstädter Zeitung" meldet, abermals 
verschoben ivorden ist, weil der Thronfolger 
den Kaiser Alexander auf der Reise nach 
der Krim begleiten wird. 
— Während die offiziellen Depeschen aus 
Petersburg jetzt endlich also eingestehen, 
daß der Zar an einer Nierenentzündung 
leidet, zugleich aber hinzufügen, daß das 
Gutachten des an das kaiserliche Kranken 
bett berufenen Professor Leyden die Krank 
heit als nicht besorgnißerregend hinstelle, 
liegen zuverlässige Meldungen vor, welche 
das Gegentheil besagen. Das „B. T." 
meldet: In der russischen Hauptstadt an 
guter Stelle eingetroffenen Nachrichten zu 
Folge soll Professor Leyden unzweifelhaft 
Brightsche Nierenkrankheit in vor- 
geschrittenem Maße beim Zaren fest 
gestellt haben. Details fehlen oder sind, 
soweit solche gegeben werden, mit größter 
Vorsicht zu behandeln. Die Aufregung in 
der russischen Bevölkerung wächst, weil 
immer bestimmtere Nachrichten via War 
schau eintreffen, durch welche die an dieser 
Stelle gemeldete Verschlimmerung im 
Zustande des Kaisers keinem Zweifel mehr 
unterliegt. In ganz ähnlicher Weise be 
ängstigend lauten die Nachrichten, welche 
an hervorragender Stelle in Wien einge 
troffen sind. Hier eingelaufene Privat 
berichte bezeichnen die Krankheit des Zaren 
als Zuckerharnruhr, die in den letzten 
Wochen bedeutende Fortschritte ge 
macht habe. Die „Neue Presse" meldet 
aus Petersburg unter Berufung auf eine 
besonders zuverlässige Quelle: Der Zar 
hat zwei leichte Schlaganfälle in 
Bjelowesch und in Spala gehabt. Alle 
offiziösen Ableugnungen seien um so zweck 
loser, als Spalas Lage, in der Nähe eines 
Centrums wie Warschau, die Verheimlichung 
der wahren Sachlage unmöglich macht. 
Die Erregung über diese so plötzlich zu 
Tage getretene schwere Erkrankung Kaiser 
Alexanders Hl. herrscht in allen politischen 
Kreisen. Deshalb erscheint es auch als 
bedeutungsvoll, daß der deutsche Botschafter 
General v. Werder gestern Abend nach 
Deutschland abgereist ist. Die Vermuthung 
liegt nahe, daß dieser hervorragende Diplo 
mat mündlich über den Gesundheits 
zustand des Monarchen, bei dem er be 
glaubigt ist, zu berichten gedenkt. 
şşrankreia,. 
Aus Paris wird geschrieben: Wie es 
scheint, soll wieder ein neuer, dabei riesiger 
Aufschwung des Handels mit Menschen 
haar hervor gezaubert werden. Die 
neueste Haartracht, die bei der schöneren 
Hälfte immer mehr in Aufnahme kommt, 
ist aus eigenen Mitteln unmöglich zu be 
streiten. Die über Schläfe und Ohren 
gelegten dicken Jungfer-Locken sehen schon 
etwas verdächtig fremdartig aus. Jetzt 
aber quellen die meist krausen Locken und 
Löckchen derartig üppig unter dem breiten 
Direktoirehut empor, daß das eigene Haar 
nur in den seltensten Fällen dazu aus 
reichen dürfte. Die Stirne ist mit Locken 
gekrönt, das Gesicht von Haaren eingerahmt, 
während hinten noch eine Fülle dicker, 
breiter Locken sich angesetzt haben. Wenn 
jemals, so ist jetzt der Ausdruck „Lockenkopf" 
gerechtfertigt. Auch die sprüchwörtliche 
Schönheit fehlt ihm nicht, denn ein passend 
von Locken eingerahmtes Gesicht kann da 
durch nur gewinnen. Einige Damen tragen 
dabei das Haar hinten in einen wuchtigen 
Knoten geschlungen. Andere gehen schon 
darüber hinaus, indem sie die Locken- 
75) 
Mau sagt. 
Roman von E. von Wald-Zedttvitz. 
Römhild's empfahlen sich, „«d Frau von 
Schönwolff mußte zu ihrem Aerger sehen 
wie sich beide Damen gewohnheitsmäßig in 
die perlgrauen Scidenkissm des offenen Lan 
dauers zurücklegten und von dannen fuhren. 
„Da sieht man's, wozu es eine ehemalige 
Theaterprinzcssin bringen kann," murmelte sie 
gehässig, mehr als je von dem Wunsche be 
seelt, Bertha zu schaden. 
Letztere wurde mit Eüinor von der Fürstin 
empfangen und ausgesucht gnädig behandelt, 
so daß beide Damen hochbeglückt ihre Besuchs 
fahrt fortsetzten. 
„Ellinor! Frau Baronin!" rief ihnen Anna 
von Ehlarn freudig entgegen, „nun wollen 
Sic bei unserem Hause vorüberfahren?" 
„Heute kommen wir nicht, liebes Kind! 
Wir sind auf der osficiellen Tour!" 
„Ach, nur zehn Minuten," bat Anna weiter. 
„Aber quäle doch die gnädige Frau nicht 
zu sehr, Anna, Du siehst doch, daß sie keine 
Zeit hat," sagte in diesem Augenblick Frau 
von Ehlarn, welche den Dreien im Hausflur 
begegnete, den Bertha und Ellinor durch 
schreiten mußten, um zum Oberregierungsrath 
Dreyer zu gelangen, welche mit Ehlarns in 
einem Hause wohnte. Frau von Römhild 
glaubte eine ganz leise Ablehnung aus den 
Worten von Anna's Mutter herausgehört zu 
haben. 
„Mein gutes Mädchen, Du mußt Dich 
'ņ>t uns immerhin doch fernstehenden Leuten, 
denen wir so gut wie Nichts wissen, 
v'cht gleich so auf vertrauten Fuß stellen," 
( sl nbtc sich Frau von Ehlarn an ihre Toch- 
Cl ', als sie im Zimmer angelangt waren. 
„Durchaus nicht — aber —." Frau von 
Ehlarn wurde durch das Erscheinen ihres 
Gatten unterbrochen. 
„O, über diese lieben Kleinstädter," dachte 
Anna und begriff garnicht, wie man sich der 
Familie von Römhild gegenüber fremd vor 
kommen konnte, während sie sich doch voll 
kommen eins mit ihr fühlte. 
Es war eine ermüdende Fahrt für Bertha 
und Ellinor. Hier wurden sie angenommen, 
dort nicht, und die Zahl der Stufen, welche 
!>e am heutigen Morgen hinauf- und hcrab- 
g0 regen waren, belief sich auf viele Hunderte 
Sie waren wieder zu Hause angelangt. 
*3 ^ a 1 tc aus Berlin geschrieben, ließ 
re« J an . ntc und besonders Fräulein von 
] {£*«• Dem Baron de Bendrecourt 
und , a,lmt auf der Fahrt begegnet 
und Bertha hatte nnt Freuden bemerkt, daß 
und «ÄrS b0n bev à unbescheidenen 
hà V.à„lîq,.i, 
Es lag m der Absicht des Hofes, in diesen, 
Jahre den m Bcrlrn nnt dem Januar be 
ginnenden Karneval mitzumachen. So kam 
cs, daß die Saison in der kleinen Residenz, 
deren Seele der Fürst mit seiner hohen Ge 
mahlin bildeten, in diesem Jahre früher be 
gann, als gewöhnlich. Einladungen zu Bällen, 
Mittagsessen und Abendgesellschaften jagten 
sich, so daß es den Bethciligtcn fast zu viel 
wurde. 
Auch Frau von Römhild und Ellinor 
waren viel begehrt, aber die erste, wahrhaft 
stürmische Aufnahme, welche sie in der Gesell 
schaft gefunden hatten, war doch ein wenig 
erkaltet. 
Frau von Römhild fand dies natürlich. 
Der Reiz der Neuheit war vorüber, man 
hatte sich au sie gewöhnt und das Interesse 
sich dadurch abgeschwächt, unangenehm aber 
war es ihr, zu sehen, daß man jeden ihrer 
Schritte, sowie den Verkehr in ihrem Hause 
einer neugierigen Beobachtung unterzog und 
besonders darauf achtete, wie Heinz Königs 
hofen sich ihr näherte. Frau von Schönwoff 
that es darin allen anderen zuvor. 
Aber auch dieses fand Bertha begreiflich, 
wußte sie doch, daß das häufige Erscheinen 
eines hcirathsfähigen jungen Mannes in einem 
Hause, wo Töchter sind, die Augen und 
Ohren der Gesellschaft zu schärfen pflegt. 
Anna von Ehlarn sah man nur selten in 
der Gesellschaft, wo sie cs möglich machen 
konnte, sagte sie ab. Nur zu natürlich, denn 
Hartwig von Römhild wurde durch seine 
Geschäfte noch in Berlin zurückgehalten, und 
ohne ihn mochte sie nun einmal nicht in der 
Gesellschaft sein. 
So waren einige Wochen in's Land ge 
gangen, das Wetter war schlecht, aber trotz 
dem begab sich Baron de Bendrecourt eiligen 
Schrittes zu Frau von Schönwolff. Sich 
dort schnell des nassen Ucbcrziehers entledigend 
klopfte er, von seinem Vorrechte als Haus 
freund Gebrauch machend, ohne sich melden 
zu lassen, an deren Zimmer. 
„Schönste der Frauen, ich grüße Sie," 
sagte er, erregt eintretend, „ich bringe Nach 
richten von dem höchsten Interesse." 
Än die Tasche seines Rockes greifend, zog 
er eine Zeitung heraus, welche Cäcilie sofort 
als die Meraner Kurliste erkannte. Gierig 
griff ihre Hand danach, doch Baron de 
Bendrecourt hielt sie überlegen lächelnd in 
die Höhe. 
„Geduld, goldene Frau, Geduld! Nun, 
setzen Sie sich erst ruhig nieder —." 
„Sie sind unausstehlich, Bendrecourt." 
„Ist das Ihr Ernst, verehrte Cäcilie?" 
„Was sonst?" 
„Dann," Baron de Bendrecourt schob 
lächelnd die Zeitung in die Tasche zurück, 
„nehme ich diese interessante Post wieder mit, 
ohne daß diese herrlichen Augen ihren Inhalt 
erspäht haben." 
„Sie sind gräßlich, Vendrcourt." 
„Alles zurücknehmen — oder —" er brachte 
seinen Mund ihren Lippen nahe. „Darf ich?" 
„Ach Gott," seufzte Cäcilie in hinsterbender 
Zärtlichkeit, duldete seinen Kuß und hatte 
endlich die Genugthuung, daß er das Papier 
wieder herausnahm und entfaltete. 
Wenn er nur nicht erst so umständlich 
seinen Klemmer aufgesetzt hätte, 'sie brannte 
ja vor Neugier zu erfahren, was diese Blätter 
enthielten. 
„Endlich." 
„So hören Sic denn, meine Theure. Also 
hier steht groß und deutlich: „Goldne Traube" : 
Baron von Schönwolff nebst Gemahlin; 
„Grüner Arm": Kammcrherr von Römhild 
nebst Gemahlin, und hier: „Billa Edelweiß" : 
Herr Königshofen, Maler." Herr de Ven- 
drecourt sah sein Gegenüber verschmitzt lächelnd 
durch den Klemmer an. 
„Weiter nichts? Das ist mir ja nichts 
Neues," entfuhr es Cäcilie enttäuscht. 
„O, über die Ungeduld der Frauen!" Ein 
anderes Blatt entfaltend lehnte er sich tiefer 
in den Sessel zurück und begann zu lesen; 
„Meran, den so und so vielten. Leider 
hat sich in der Nähe unseres anmuthigcn 
Oertchcns ein bedauerlicher Unglücksfall zuge 
tragen, welcher einige unserer werthen Kur 
gäste in tiefste Betrübniß versetzt hat. Herr 
Kammerherr von Römhild, ein Herr in vor 
gerückten Jahren, welcher mit seiner jungen, 
schönen Gattin hier bereits seit längerer Zeit 
weilte, unternahm gestern mit einem Freunde 
seines Hauses, dem Maler Königshofen, einen 
Gkbirgsausflug, in der Absicht, dabei wo 
möglich einige Gemsen zu erlegen. , 
„Beide Herren verließen unvorsichtigerweise 
ohne Führer, da Herr Königshofen sich für 
gebirgskundig genug hielt, den Ort und be 
gannen den Aufstieg am Stürmer Joch. 
Leider kehrte Herr Königshofen allein . zurück 
und brachte die erschütternde Kunde mit, daß 
der Kammcrherr von Römhild an der soge 
nannten schartigen Kante abgestürzt und seinen 
Tod dabei gefunden hat." 
Baron de Bendrecourt hatte mit eisiger, 
spöttischer Ruhe gelesen, während sich Cäci 
liens Brust senkte und hob; während ihre 
Augen glühend auf den Kammerherrn ruhten, 
welcher jetzt, ebenso gelassen, wie vorhin 
weiter las. 
„Der Schmerz der jungen Frau ist selbst 
redend ein großer, und abgesehen von dem 
unersetzlichen Verlust, soll ihre Lage eine recht 
traurige sein, da die Vermögensverhältnissc 
des Herrn von Römhild durchaus keine glän 
zenden sein, sich vielmehr in ziemlicher Ver 
wirrung befinden sollen." 
„Außerordentlich! Außerordentlich!" rief 
Cäcilie, schnellte von ihrem Sitze empor und 
durchmaß in großen aufgeregten Schritten 
das Zimmer. Sic war bleich geworden, 
dann stiegen Purpurgluthen in ihren Wangen 
auf, ihre Augen sprühten Funken und auf 
ihrer Stirn stand drohend eine Wetterwolke. 
„So, so." Das klang wie ein zorniger 
Zischlaut einer giftigen Schlange. Etwas 
Schlangcnhaftcs lag auch in ihrem Wesen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.