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Wcndsburger
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JnsertionSpreiS: pro Petitzeile 15
87ster Jahrgang.
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Wo. 230.
Montag, den 1. Hctobeŗ
1894.
ö» Folge des llmzichtsges
werden manche unserer geehrten
Abonnenten ihre Wohnung gewechselt
haben. Wir bitten darum, uns in
solchem Falle die neuen Wohnungen
melden zu wollen, wo dies bisher
nicht geschehen, damit in der Zu
sendung des Blattes keine Verzögerung
eintritt.
Die Expedition
^desRendsbnŞeWocheni^^
Morgen-Depeschen.
Berlin, 3O. Sept. Der Kaiser, welcher
während des Aufenthaltes auf dem Jagd-
schlöffe Rominten bereits mehrere starke
Hirsche erlegte, wird noch bis Ende der
kommenden Woche daselbst verweilen und
sich dann von Rominten nach Hubertusstock
begeben. Am 12. und 13. Oktober dürfte
der Kaiser wieder im Neuen Palais ein
treffen.
Berlin, 30. Sept. Die Zeitungs-Mit
theilungen über angebliche Vorarbeiten zu
einem Gesetzentwürfe gegen die Umsturz-
Bewegungen dauern fort; jetzt werden
sogar schon bestimmte Beamte genannt,
welche mit diesen Arbeiten betraut worden
sein sollen. Nach den der „Kreuzzeitung"
gewordenen Mittheilungen steht es aber
lest, daß diese Frage bisher im Staats
ministerium noch nicht zur Verhandlung
gekommen ist. Es scheint, daß erst die
Rückkehr des Reichskanzlers abgewartet
wird, zumal an erster Stelle entschieden
werden muß, ob die Frage im Wege der
Reichsgesetzgebung oder der Landesgesetz-
gebung erledigt werden soll.
Berlin, 30. Sept. In der Königlichen
Gewehrfabrik zu Spandau sind die Beaniten
und Arbeiter durch Namensunterschrifi
verpflichtet worden, von jeder technischen
Erfindung, deren Patentirung beantragt
werden soll, den Vorgesetzten Mittheilung
zu machen; letztere unterbreiten die Ange
legenheit dem Kriegsministerium. Es sind
nicht nur solche Erfindungen gemeint, die
sich auf Waffen beziehen, sondern auch aus
alle übrigen von dem Personal der Fabrik
herrührenden Erfindungen.
Berlin, 30. Sept. Für das nächste Jahr
ist, wie die „Post" hört, im Deutschen
Reich eine Berufs- und Gewerbe-
zahlung in Aussicht genommen und sollen
dem Bundesrath dahingehende Bestimmun
gen zur Genehmigung bereits zugegangen
sein.
Eisleben, 30. Sept. Gestern fanden
hier fünf starke Erdstöße statt.
Probstzella, 30. Sept. Der hier in der
Nähe gelegene Schieferbruch ist zusammen
gestürzt, fünf Personen sind gelobtet
wurden. Sieben Arbeiter wurden aus
einem Nebengange an einem Seile heraus
gezogen. Von den Leichen ist erst eine
geborgen. Die Ausgrabung der übrigen
vier Verschütteten dürften Wochen in An
spruch nehmen, da sie unter 30—40 Mir.
hohen Steinmassen liegen. Das
Unglück wird auf das anhaltende Regen
wetter zurückgeführt.
Paris, 30. Sept. Eine Depesche des
„Journal des Debüts" meldet, daß ein
Cyklon die Hälfte der Stadt San
Domingo zerstört hat.
Florenz, 30. Sept. In dem Hause des
Bermögensverwalters mehrerer reicher Fa<
mitten, Corsini, wurde ein Einbruch ver
übt, bei dem eine Truhe mit 1 Million
Franken in Geld und Werthpapieren aus
dem Arbeitszimmer entwendet wurde.
London, 30. Sept. Wie die „Times"
aus Pokohama melden, wird die Bestim
mung der 30000 Mann starken, von dort
abgegangenen zweiten Armee sorgfältig ge
heim gehalten. Die auf Korea befindlichen
japanesischen Haupttruppen bewegen sich
in Eilmärschen nach dem Norden der Halb
inseln. Seitens der koreanischen Grenz
bevölkerung erwartet man keine Hinder
nisse. Die zahlreich umlaufenden Gerüchte
über Waffenstillstands - Verhandlungen sind
völlig unbegründet.
London, 30. Sept. Aus Aokohama wird
gemeldet: Die Presse verlangt energisch die
Fortsetzung des Krieges gegen China und
wünscht, daß die japanische Armee direkt
nach der Hauptstadt Peking marschire.
Das Parlament werde einstimmig alle
Kriegskosten bewilligen.
Warschau, 30. Septbr. Die Zahl der
bisher wegen Theilnahme an Geheimbünden
Verhafteten, welche vorwiegend gebildeten
Kreisen angehören, beträgt 180. Die be
treffenden Personen werden einem beson
deren Staatsgerichtshof zur Aburtheilung
übergeben.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Nokohama, 29. Sept. Meldung des
Reuter'schen Bureaus: Die Reserve der
japanischen kaiserlichen Garde ist ein
berufen worden.
Belgien.
Seiner früheren Geliebten, die
sich inzwischen einem andern zugewandt hatte,
lauerte aus dem Markte in Bcnlo ein 27-
jähriger Handwerker, der erst vor wenigen
Tagen vom Militärdienst zurückgekehrt war,
auf und schoß sie mit drei Revolverkugeln
nieder. Darauf richtete er die Waffe gegen
sich selbst und entleibte sich durch einen
wohlgezielten Schuß in die Schläfe. Die
Ermordete war ein hübsches und munteres
Mädchen von erst 17 Jahren.
Lüttich, 30. Sept. Gestern Abend wurde
der 27jährige Waffenarbeiter Bolland aus
Jupille auf dem Heimwege vom Blitz er
schlagen. Vorübergehende fanden die Leiche
mit dem Regenschirm in der Hand und der
Cigarre im Munde am Wege liegen. Kurz
vorher war ein Gewitter niedergegangen.
Nach ärztlicher Ansicht ist der tödtliche
Strahl dem Verunglückten durch den Hut
in den Kopf gefahren. Der Hut lag, vom
vom Blitz durchschnitten, neben der Leiche
Letztere zeigte bedeutende Brandwunden;
die Wirbelsäule war ganz verkohlt.
Der Portier des Brüsseler Rathhauses
starb vor einigen Tagen mit Hinterlassung
eines bedeutenden Vermögens, welches er
sich in müheloser Weise, näirlich dadurch
erworben hatte, daß er den Fremden und
Reisenden die Sehenswürdigkeiten des Rath-
hauses zeigte. Man schätzte sein jährliches
Einkommen auf 2 5 000 Fr. Unter den
Bewerbern um den freigewordenen Posten
figuriren, wie die Brüsseler Journale be
richten, 33 Advokaten, 21 Ingenieure, 3
Chemiker und 1 Astronom.
Rußland.
Petersburg, 30. Sept. Professor Ley den
aus Berlin, der zu Gurko nach Warschau
berufen war, wurde vom Kaiser zu einer
Consultation nach Spala eingeladen. Leyden
hält den Zustand des Kaisers nicht für
besorgnißerregend.
Der „Regierungsbote" meldet: Die
Gesundheit des Kaisers hat sich seit Januar
nach der überstandenen schweren Influenza
nicht völlig gebessert; im Sommer trat
eine Nierenkrankheit (Nephritis) zu Tage,
die behufs erfolgreicherer Heilung bei
kalter Jahreszeit einen Aufenthalt des
Kaisers in einem warmen Klima erheischt
Auf den Rath der Professoren Sacharjin
und Leyden begiebt sich der Kaiser zum
zeitweiligen Aufenthalt nach Livadia.
— Zum Befinden des Kaisers von
Rußland hat das „B. T." aus Darmstadt
folgendes Privattelegramm erhalten: Er
kundigungen an wohlunterrichteter Stelle
bestätigen, daß der Kaiser von Ruß
land in Bjelowesh einen Schlagan
fall gehabt hat. Der Kaiser erkrankte
darauf ernstlich. Professor Sacharjin wollte
die alsbaldige Uebersiedelung nach Livadia,
aber der Kaiser, der sich wohler fühlte,
wollte sich den Anordnungen des Arztes
nicht fügen und bestand auf dem Aufent
halt in Spala. Bei der Ankunft dort
fühlte er sich aber so schwach, daß man
ihn ins Stationsgebäude tragen mußte.
Wenige Tage nach der Ankunft hatte der
Kaiser einen leichteren Nervenzufall. Die
Hofärzte behaupten, alle Symptome der
Zuckerkrankheit festgestellt zu haben,
was Sacharjin entschieden bestreitet. (Das
kann doch jeder Arzt leicht feststellen. Red.)
Die Reise des Großfürsten-Thronfolgers
nach Darmstadt wurde, da momentan eine
Gefahr nicht vorhanden ist, andererseits
aber die Gesammtlage eine Beschleunigung
der Hochzeit erwünscht erscheinen läßt, um
vierzehn Tage früher gelegt. Der Thron
folger soll, wie bis jetzt bestimmt ist, seinen
Eltern nach Livadia nachreisen. Ob die
Hochzeit bereits in nächster Zeit stattfinden
kann, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls
findet sie nicht vor der Rückkehr des russi-
scheu Kaiserpaares nach Petersburg statt.
Bestätigt wird diese Meldung durch ein
Wölfisches Telegramm aus Darmstadt, wo
nach die auf Freitag festgesetzte Ankunft
des Großfürsten-Thronfolgers, wie die
„Darmstädter Zeitung" meldet, abermals
verschoben ivorden ist, weil der Thronfolger
den Kaiser Alexander auf der Reise nach
der Krim begleiten wird.
— Während die offiziellen Depeschen aus
Petersburg jetzt endlich also eingestehen,
daß der Zar an einer Nierenentzündung
leidet, zugleich aber hinzufügen, daß das
Gutachten des an das kaiserliche Kranken
bett berufenen Professor Leyden die Krank
heit als nicht besorgnißerregend hinstelle,
liegen zuverlässige Meldungen vor, welche
das Gegentheil besagen. Das „B. T."
meldet: In der russischen Hauptstadt an
guter Stelle eingetroffenen Nachrichten zu
Folge soll Professor Leyden unzweifelhaft
Brightsche Nierenkrankheit in vor-
geschrittenem Maße beim Zaren fest
gestellt haben. Details fehlen oder sind,
soweit solche gegeben werden, mit größter
Vorsicht zu behandeln. Die Aufregung in
der russischen Bevölkerung wächst, weil
immer bestimmtere Nachrichten via War
schau eintreffen, durch welche die an dieser
Stelle gemeldete Verschlimmerung im
Zustande des Kaisers keinem Zweifel mehr
unterliegt. In ganz ähnlicher Weise be
ängstigend lauten die Nachrichten, welche
an hervorragender Stelle in Wien einge
troffen sind. Hier eingelaufene Privat
berichte bezeichnen die Krankheit des Zaren
als Zuckerharnruhr, die in den letzten
Wochen bedeutende Fortschritte ge
macht habe. Die „Neue Presse" meldet
aus Petersburg unter Berufung auf eine
besonders zuverlässige Quelle: Der Zar
hat zwei leichte Schlaganfälle in
Bjelowesch und in Spala gehabt. Alle
offiziösen Ableugnungen seien um so zweck
loser, als Spalas Lage, in der Nähe eines
Centrums wie Warschau, die Verheimlichung
der wahren Sachlage unmöglich macht.
Die Erregung über diese so plötzlich zu
Tage getretene schwere Erkrankung Kaiser
Alexanders Hl. herrscht in allen politischen
Kreisen. Deshalb erscheint es auch als
bedeutungsvoll, daß der deutsche Botschafter
General v. Werder gestern Abend nach
Deutschland abgereist ist. Die Vermuthung
liegt nahe, daß dieser hervorragende Diplo
mat mündlich über den Gesundheits
zustand des Monarchen, bei dem er be
glaubigt ist, zu berichten gedenkt.
şşrankreia,.
Aus Paris wird geschrieben: Wie es
scheint, soll wieder ein neuer, dabei riesiger
Aufschwung des Handels mit Menschen
haar hervor gezaubert werden. Die
neueste Haartracht, die bei der schöneren
Hälfte immer mehr in Aufnahme kommt,
ist aus eigenen Mitteln unmöglich zu be
streiten. Die über Schläfe und Ohren
gelegten dicken Jungfer-Locken sehen schon
etwas verdächtig fremdartig aus. Jetzt
aber quellen die meist krausen Locken und
Löckchen derartig üppig unter dem breiten
Direktoirehut empor, daß das eigene Haar
nur in den seltensten Fällen dazu aus
reichen dürfte. Die Stirne ist mit Locken
gekrönt, das Gesicht von Haaren eingerahmt,
während hinten noch eine Fülle dicker,
breiter Locken sich angesetzt haben. Wenn
jemals, so ist jetzt der Ausdruck „Lockenkopf"
gerechtfertigt. Auch die sprüchwörtliche
Schönheit fehlt ihm nicht, denn ein passend
von Locken eingerahmtes Gesicht kann da
durch nur gewinnen. Einige Damen tragen
dabei das Haar hinten in einen wuchtigen
Knoten geschlungen. Andere gehen schon
darüber hinaus, indem sie die Locken-
75)
Mau sagt.
Roman von E. von Wald-Zedttvitz.
Römhild's empfahlen sich, „«d Frau von
Schönwolff mußte zu ihrem Aerger sehen
wie sich beide Damen gewohnheitsmäßig in
die perlgrauen Scidenkissm des offenen Lan
dauers zurücklegten und von dannen fuhren.
„Da sieht man's, wozu es eine ehemalige
Theaterprinzcssin bringen kann," murmelte sie
gehässig, mehr als je von dem Wunsche be
seelt, Bertha zu schaden.
Letztere wurde mit Eüinor von der Fürstin
empfangen und ausgesucht gnädig behandelt,
so daß beide Damen hochbeglückt ihre Besuchs
fahrt fortsetzten.
„Ellinor! Frau Baronin!" rief ihnen Anna
von Ehlarn freudig entgegen, „nun wollen
Sic bei unserem Hause vorüberfahren?"
„Heute kommen wir nicht, liebes Kind!
Wir sind auf der osficiellen Tour!"
„Ach, nur zehn Minuten," bat Anna weiter.
„Aber quäle doch die gnädige Frau nicht
zu sehr, Anna, Du siehst doch, daß sie keine
Zeit hat," sagte in diesem Augenblick Frau
von Ehlarn, welche den Dreien im Hausflur
begegnete, den Bertha und Ellinor durch
schreiten mußten, um zum Oberregierungsrath
Dreyer zu gelangen, welche mit Ehlarns in
einem Hause wohnte. Frau von Römhild
glaubte eine ganz leise Ablehnung aus den
Worten von Anna's Mutter herausgehört zu
haben.
„Mein gutes Mädchen, Du mußt Dich
'ņ>t uns immerhin doch fernstehenden Leuten,
denen wir so gut wie Nichts wissen,
v'cht gleich so auf vertrauten Fuß stellen,"
( sl nbtc sich Frau von Ehlarn an ihre Toch-
Cl ', als sie im Zimmer angelangt waren.
„Durchaus nicht — aber —." Frau von
Ehlarn wurde durch das Erscheinen ihres
Gatten unterbrochen.
„O, über diese lieben Kleinstädter," dachte
Anna und begriff garnicht, wie man sich der
Familie von Römhild gegenüber fremd vor
kommen konnte, während sie sich doch voll
kommen eins mit ihr fühlte.
Es war eine ermüdende Fahrt für Bertha
und Ellinor. Hier wurden sie angenommen,
dort nicht, und die Zahl der Stufen, welche
!>e am heutigen Morgen hinauf- und hcrab-
g0 regen waren, belief sich auf viele Hunderte
Sie waren wieder zu Hause angelangt.
*3 ^ a 1 tc aus Berlin geschrieben, ließ
re« J an . ntc und besonders Fräulein von
] {£*«• Dem Baron de Bendrecourt
und , a,lmt auf der Fahrt begegnet
und Bertha hatte nnt Freuden bemerkt, daß
und «ÄrS b0n bev à unbescheidenen
hà V.à„lîq,.i,
Es lag m der Absicht des Hofes, in diesen,
Jahre den m Bcrlrn nnt dem Januar be
ginnenden Karneval mitzumachen. So kam
cs, daß die Saison in der kleinen Residenz,
deren Seele der Fürst mit seiner hohen Ge
mahlin bildeten, in diesem Jahre früher be
gann, als gewöhnlich. Einladungen zu Bällen,
Mittagsessen und Abendgesellschaften jagten
sich, so daß es den Bethciligtcn fast zu viel
wurde.
Auch Frau von Römhild und Ellinor
waren viel begehrt, aber die erste, wahrhaft
stürmische Aufnahme, welche sie in der Gesell
schaft gefunden hatten, war doch ein wenig
erkaltet.
Frau von Römhild fand dies natürlich.
Der Reiz der Neuheit war vorüber, man
hatte sich au sie gewöhnt und das Interesse
sich dadurch abgeschwächt, unangenehm aber
war es ihr, zu sehen, daß man jeden ihrer
Schritte, sowie den Verkehr in ihrem Hause
einer neugierigen Beobachtung unterzog und
besonders darauf achtete, wie Heinz Königs
hofen sich ihr näherte. Frau von Schönwoff
that es darin allen anderen zuvor.
Aber auch dieses fand Bertha begreiflich,
wußte sie doch, daß das häufige Erscheinen
eines hcirathsfähigen jungen Mannes in einem
Hause, wo Töchter sind, die Augen und
Ohren der Gesellschaft zu schärfen pflegt.
Anna von Ehlarn sah man nur selten in
der Gesellschaft, wo sie cs möglich machen
konnte, sagte sie ab. Nur zu natürlich, denn
Hartwig von Römhild wurde durch seine
Geschäfte noch in Berlin zurückgehalten, und
ohne ihn mochte sie nun einmal nicht in der
Gesellschaft sein.
So waren einige Wochen in's Land ge
gangen, das Wetter war schlecht, aber trotz
dem begab sich Baron de Bendrecourt eiligen
Schrittes zu Frau von Schönwolff. Sich
dort schnell des nassen Ucbcrziehers entledigend
klopfte er, von seinem Vorrechte als Haus
freund Gebrauch machend, ohne sich melden
zu lassen, an deren Zimmer.
„Schönste der Frauen, ich grüße Sie,"
sagte er, erregt eintretend, „ich bringe Nach
richten von dem höchsten Interesse."
Än die Tasche seines Rockes greifend, zog
er eine Zeitung heraus, welche Cäcilie sofort
als die Meraner Kurliste erkannte. Gierig
griff ihre Hand danach, doch Baron de
Bendrecourt hielt sie überlegen lächelnd in
die Höhe.
„Geduld, goldene Frau, Geduld! Nun,
setzen Sie sich erst ruhig nieder —."
„Sie sind unausstehlich, Bendrecourt."
„Ist das Ihr Ernst, verehrte Cäcilie?"
„Was sonst?"
„Dann," Baron de Bendrecourt schob
lächelnd die Zeitung in die Tasche zurück,
„nehme ich diese interessante Post wieder mit,
ohne daß diese herrlichen Augen ihren Inhalt
erspäht haben."
„Sie sind gräßlich, Vendrcourt."
„Alles zurücknehmen — oder —" er brachte
seinen Mund ihren Lippen nahe. „Darf ich?"
„Ach Gott," seufzte Cäcilie in hinsterbender
Zärtlichkeit, duldete seinen Kuß und hatte
endlich die Genugthuung, daß er das Papier
wieder herausnahm und entfaltete.
Wenn er nur nicht erst so umständlich
seinen Klemmer aufgesetzt hätte, 'sie brannte
ja vor Neugier zu erfahren, was diese Blätter
enthielten.
„Endlich."
„So hören Sic denn, meine Theure. Also
hier steht groß und deutlich: „Goldne Traube" :
Baron von Schönwolff nebst Gemahlin;
„Grüner Arm": Kammcrherr von Römhild
nebst Gemahlin, und hier: „Billa Edelweiß" :
Herr Königshofen, Maler." Herr de Ven-
drecourt sah sein Gegenüber verschmitzt lächelnd
durch den Klemmer an.
„Weiter nichts? Das ist mir ja nichts
Neues," entfuhr es Cäcilie enttäuscht.
„O, über die Ungeduld der Frauen!" Ein
anderes Blatt entfaltend lehnte er sich tiefer
in den Sessel zurück und begann zu lesen;
„Meran, den so und so vielten. Leider
hat sich in der Nähe unseres anmuthigcn
Oertchcns ein bedauerlicher Unglücksfall zuge
tragen, welcher einige unserer werthen Kur
gäste in tiefste Betrübniß versetzt hat. Herr
Kammerherr von Römhild, ein Herr in vor
gerückten Jahren, welcher mit seiner jungen,
schönen Gattin hier bereits seit längerer Zeit
weilte, unternahm gestern mit einem Freunde
seines Hauses, dem Maler Königshofen, einen
Gkbirgsausflug, in der Absicht, dabei wo
möglich einige Gemsen zu erlegen. ,
„Beide Herren verließen unvorsichtigerweise
ohne Führer, da Herr Königshofen sich für
gebirgskundig genug hielt, den Ort und be
gannen den Aufstieg am Stürmer Joch.
Leider kehrte Herr Königshofen allein . zurück
und brachte die erschütternde Kunde mit, daß
der Kammcrherr von Römhild an der soge
nannten schartigen Kante abgestürzt und seinen
Tod dabei gefunden hat."
Baron de Bendrecourt hatte mit eisiger,
spöttischer Ruhe gelesen, während sich Cäci
liens Brust senkte und hob; während ihre
Augen glühend auf den Kammerherrn ruhten,
welcher jetzt, ebenso gelassen, wie vorhin
weiter las.
„Der Schmerz der jungen Frau ist selbst
redend ein großer, und abgesehen von dem
unersetzlichen Verlust, soll ihre Lage eine recht
traurige sein, da die Vermögensverhältnissc
des Herrn von Römhild durchaus keine glän
zenden sein, sich vielmehr in ziemlicher Ver
wirrung befinden sollen."
„Außerordentlich! Außerordentlich!" rief
Cäcilie, schnellte von ihrem Sitze empor und
durchmaß in großen aufgeregten Schritten
das Zimmer. Sic war bleich geworden,
dann stiegen Purpurgluthen in ihren Wangen
auf, ihre Augen sprühten Funken und auf
ihrer Stirn stand drohend eine Wetterwolke.
„So, so." Das klang wie ein zorniger
Zischlaut einer giftigen Schlange. Etwas
Schlangcnhaftcs lag auch in ihrem Wesen,