Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

Gr scheint tägtich. -Z- 
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Aeltrstes und gelesenstes KLatt im Kreise Klendsvurg. 
87ster Jahrgang. 
Wo. 226. 
Mittwoch, den 26. September 
1894. 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 26. Sept. Die „Nordd. Allg. 
Ztg * veröffentlicht eine Ordre des Kaisers, 
welche derselbe nach Abschluß der dies 
jährigen Manöver der Marine an den 
kommandirenden Admiral, Freiherr v. der 
Goltz, erlassen hat und worin ser seiner 
Anerkennung für die unermüdliche Arbeit 
des Admirals und seinem Dank für den 
selben, sowie für deffen Offiziere Ansdruck 
giebt. Der Schluß des Erlasses lautet: 
„Indem Ich den Admiralen und Komman 
danten meine vollste Anerkennung mit den 
Leistungen und Errungenschaften der dies- 
jährigen Herbstübungsperiode und Meinen 
kaiserlichen Dank für ihre Hingabe sage, 
gereicht es Mir zur Freude, Sie durch 
Verleihung des Großkrcuzes des Rothen 
Adlerordens auszuzeichnen." 
Berlin, 26. Sept. Der „Reichsanz." 
schreibt: Nach einer heute eingegangenen 
telegraphischen Meldung des stellvertreten 
dst Landeshauptmanns für das südwest 
afrikanische Schutzgebiet, Majors Lcutwein, 
hat die Schutztruppe am 27. August Mit- 
bovis Lager in der Naukluft erstürmt. 
Witbooi hat den Rückzug nach Süden an- 
getreten und um Frieden gebeten Nachdem 
vom 40. August bis zum 4. September 
Verfolgungsgefechte stattgefunden haben, 
setzt Major Leutwein die weitere Ver- 
folgung fort. Die Verluste der Schutz 
truppe belaufen sich auf 9 Todte und 11 
Verwundete. Gefallen sind Premier- 
Lieutenant Diestel und die Reiter Schern, 
Bock, Bartsch, Rocher, Pinske, Eschhardt, 
Börcke und Höltermann. Verwundet sind 
Hauptmann von Estorff und die Reiter 
/-Arides Krause, Hohmann, Kluth, 
Baleke (?), Moser, Wischkon, Iben, Koth (?). 
Die Verwundeten befinden sich sämmtlich 
außer Lebensgefahr. Ueber die Verluste 
auf Seiten der Witboois enthält die Mcl 
dung des Majors Leutwein nichts. 
Berlin, 26. Septbr. Gerüchtweise vev 
lautet, daß in den Regierungskreisen wieder 
von persönlichen Gegensätzen gesprochen 
wird. Graf Caprivi soll dem preußischen 
Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg gegen 
über in Sachen der Bekämpfung der Um 
sturzparteien den Kürzeren gezogen haben 
und zu den bisherigen Verwicklungen sollen 
neue hinzugetreten sein durch die akut gel 
wordene Polenfrage. 
Hamburg, 26. Sept. Der „Korr." 
theilt als Ergebniß der Untersuchung gegen 
Leist niit, daß deffen Kameruner Verhalten 
sich „durchaus nicht als tadellos" heraus 
gestellt habe, andererseits seien die Haupt 
punkte der Beschuldigungen erfunden oder 
stark übertrieben. Trotzdem sei an eine 
Weiterverwendung Leists nicht zu denken. 
Die Frage, ob die Verhandlung geheim 
gehalten werden soll, ist noch offen. 
Wien, 26. Sept. Wie die „Pol. Corr." 
aus Petersburg meldet, ist im Befinden 
des Zaren in letzter Zeit eine wesentliche 
Aenderung zur Besserung eingetreten. 
Alle allarmirenden Gerüchte seien unbe 
gründet. Der beste Beweis hierfür sei die 
bevorstehende Reise des Großsürsten-Thron- 
fslgers nach Darmstadt. Das Befinden 
des Großfürsten sei dagegen sehr unbe- 
friedigend. 
Entgegen dieser offiziösen Versicherung 
will der Pariser „Gaulois" aus angeblich 
völlig verläßlicher Quelle erfahren haben, 
daß der Zar von seinem vorjährigen Jnl 
fluenzaaufall eine chronische Nieren 
entzündnng zurückbehalten habe, die sich 
verschlimmert habe und vorerst völlig Ruhe 
bei Ausenthalt in mildem Klima erfordere. 
Lemberg, 26. Septbr. Seitens der ge 
sammten polnischen Presse werden in maßl 
voller Weise die Angriffe, welche Fürst 
Bismarck gegen die Polen richtete, zurück 
gewiesen. 
Rom, 26. Sept. In T a u r a n o bei 
Avellino stürzten zwei Stockwerke eines 
baufälligen Hauses ein, wobei 4 Personen 
getödtet und eine schwer verletzt wurde 
Haag, 13. Sept. Publikum und Presse 
beschäftigen sich eifrig mit dem in St. 
Ludwig (Elsaß) gebildeten Ausschuß, der 
auf diplomatischem Wege den Erben des 
im Jahre 1691 als Gouverneur von Breda 
verstorbenen Generals Metzger ihr Recht 
verschaffen will. Das Erbe betrug 140 
Millionen und soll jetzt auf 1256 Milliarden 
angewachsen sein. 
San Franziska, 26. Sept. Die Königin 
von Hawai sandte einen Vertreter nach 
Washington, welcher dort einen Prozeß 
gegen die amerikanische Regierung einleiten 
soll. Die Königin verlangt 200,000 Doll. 
Entschädigung, da sie durch die Haltung 
eines amerikanischen Schiffskapitäns abge- 
setzt worden sei. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Zufolge Mittheilungen aus Marokko wer 
den die Zustände dort immer ernster. Juden, 
die zum Markt zogen, wurden geplündert 
und mußten nackt nach Hause zurückkehren 
Auf den Hauptstraßen wird von den Rei 
senden für den freien Durchzug 5 Pfund 
Wegegeld gefordert. Der Erhamnastamm 
forderte vom Sultan die sofortige Frei- 
gäbe Mulai Mohameds wie der übrigen 
Politiker. Falls dieses Verlangen abge- 
wiesen wird, soll die Stadt angegriffen 
und geplündert werden. 
Der Leiter der Heilsarmee „General" 
Booth, ist am Sonnabend in Halifax, 
Neuschottland, eingetroffen, um den Klingel 
beutel zu schwingen. Ueber seinen Empfang 
darf sich der findige, frühere Methodisten 
geistliche nicht beschweren. Auf einem 
Ricsenmecting unter freiem Himmel begrüßte 
ihn der Premierminister der Colonie, W. 
S. Fielding, seitens der Provinz und 
feierte ihn als eines der größten Genies, 
der den Dank der Menschheit verdiene. — 
Auch ein Genie. 
Belgien. 
Aus Brüssel wird gemeldet: Auf der 
Straße zwischen Tournai und Lille wurden 
sechs Radfahrer von einer Bauernbande 
überfallen und mit Messerstichen traktirt. 
Zwei der Verwundeten starben im Spital, 
die übrigen sind schwer verletzt. Die Be 
hörden vermuthen einen Raubanfall, da 
allen Verwundeten die Brieftaschen fehlen. 
Die Thäter sind bisher nicht ermittelt 
worden. 
Bulgarien. 
Sofia, 24. Septbr. Das Wahlresulttat 
bildet einen großen Sieg der russophilen 
Anhänger der konservativen Kabinetsmit- 
glieder, namentlich Stoilows. Die liberalen 
Minister Tonischem und Radoslawow dürften 
zurücktreten und durch südbulgarische 
russophile Parteimänner ersetzt werden. 
Rußland. 
Russischen Blättern zufolge erhielt der 
Finanzminister, Herr v. Witte, der augen 
blicklich mit seiner Familie in Abbazia 
weilt, vor seiner Abreise von Petersburg 
aus Madrid die amtliche Mittheilung, daß 
mehrere spanische Kaufleute Waarenlager 
in Petersburg, Moskau, Odessa 
und anderen Städten anzulegen beabsichti 
gen. Herr von Witte beabsichtige seiner- 
seits in Madrid, Barcelona u. s. w. 
Handelsagenturen einzurichten, um 
namentlich dem russischen Spiritus den 
spanischen Markt zu öffnen. 
Aus Warschau berichtet der „L.A.": In 
der auch von der Cholera stark heimge 
suchten Stadt Blaszki, Gouvernement Kn 
lisz, sind über 60 Häuser durch eine 
Feuersbrunst eingeäschert worden. Drei 
Personen sind verbrannt, man vermuthet 
Brandstiftung. 
Monaco. 
Monacco, 24. Sept. In einem Spiel- 
saale in Monacco hat sich ein Unbekannter, 
nachdem er sein ganzes Vermögen verspielt 
hatte, durch einen Revolverschuß getödtet. 
Die Detonation erregte im Spielsaale eine 
furchtbare Panik. 
Spanien. 
Nach einer Meldung aus Glasgow ar 
beiteten am Freitag nur 4000 Mann von 
den früheren Slreikern in Schottland; 
70000 feiern noch. 
Dänemark. 
In Achtrup bei Kolding find dieser Tage 
in der Morgenstunde drei Kinder im Alter 
von 1'/j, bis 5 Jahren vom Rauch erstickt. 
Die Eltern verließen in der Frühe, wäh 
rend die Kinder schliefen, das Haus. Um 
7 Uhr kehrte die Mutter zurück und wurde 
in der Thür von einem erstickenden Rauch 
empfangen. Auf der Diele lagen die zwei 
ältesten Kinder leblos; das kleinste Kind 
war im Wagen verendet. Die Belebungs 
versuche des herbeigerufenen Arztes waren 
erfolglos. Wie das Unglück entstanden 
ist, darüber verlautet folgendes: Der Vater 
hatte auş einem Stuhle beim Bette eine 
Schachtel Zündhölzer stehen lassen. Als 
die Kinder erwachten und die Eltern nicht 
vorfanden, hat das älteste Kind wahr 
scheinlich die Zündhölzer gefaßt und ange 
zündet. Dadurch ist das Bettzeug in Brand 
gerathen und hat den erstickenden Rauch 
entwickelt, der die Kinder getödtet hat. 
Dieser traurige Fall ist wieder eine ernste 
Mahnung für die Eltern, Zündhölzer nicht 
an solche Stellen hinzusetzen, wo die Kin 
der sie erreichen können. 
Anland. 
Von einer bemerkenswcrthen Aeußerung, 
die der Kaiser bei seiner Anwesenheit in 
Thorn gethan, berichtet der „L.-A.": Als 
sich der Kaiser auf dem Bahnhof verab 
schiedete, sprach er nochmals dem Ersten 
Bürgermeister seinen Dank für den herz> 
lichen Empfang aus und fügte hinzu 
„Was ich heute gesagt habe, mag wohl 
beachtet werden. Ich kann auch sehr un 
angenehm werden." 
Aus Thorn wird der „Volksrundsckau" 
ein Vorfall gemeldet, der vielleicht nicht 
ohne Einfluß auf die jüngsten Ereignisse 
war. Der katholische Gesellenverein, der 
in Reih und Glied beim Einzuge des 
Kaisers versammelt war, entfaltete dk 
roth-weiße Fahne, was die Polizei über 
sehen haben muß. Der Kaiser bemerkte 
es und schien davon unangenehm berührt 
zu sein. 
— Ueber ein Geschenk fur bte 
Kaiserlichen Prinzen beim Kaiser- 
besuch zu Thorn wird von dort geschrie 
ben : Bei der Aufstellung der Gewerke an 
läßlich des Einzuges Sr. Majestät in die 
Stadt Thorn hatte auch das Personal 
einer dortigen Honigkuchen-Fabrik Auf 
stellung genommen. Die kleidsamen Ko 
stüme der Konditoren erregten besondere 
Aufmerksamkeit, mehr aber noch ein von 
der Fabrik eigens zum Kaisertage herge 
stelltes Pfefferkuchen-Häuschen, das von 
vier Konditoren bei der Spalierbildung 
getragen wurde. Se. Majestät fand daran 
solches Gefallen, daß es sofort als Ge 
schenk für die Kaiserlichen Prinzen nach 
Potsdam gesandt werden mußte. Das 
Häuschen ist etwa 2 Meter lang und 1 
Meter hoch und wiegt 2'/ 2 Ctr. Wände, 
Dach, Fenster, Alles ist — abgesehen von 
einem Holzgerüst — aus Zucker oder 
Chokolade hergestellt. Für mehr als 500 
Mark Material ist in dem Häuschen ver 
arbeitet. 
Berlin, 25. Sept. Kultusminister Dr. 
Bosse empfing dieser Tage eine Abordnung 
von Lehrern aus den Reg.-Bezirken Pots 
dam und Frankfurt, welche eine Denk 
schrift überreichte, worin die Verhältnisse 
der Lehrer in den kleinen^ Städten 
und auf dem platten Lande klargelegt sind. 
Dr. Bosse ließ sich von den einzelnen Mit 
gliedern eingehend Bericht erstatten, gab 
die Zusage, daß er den besten Willen habe, 
die Lehrer bei ihrem schweren Amte vor 
Nahrungssorgen zu schützen, daß aber 
leider das Schillleistungsgesetz, dessen Be 
seitigung er sehnlichst wünsche, ihn oft 
hindere, seinen Willen zur Ausführung zu 
bringen. Er stehe mit dem Finanzminister 
wegen Gewährung neuer Mittel zur Auf 
besserung der Lehrergehälter in Unterhand 
lung und hoffe, seine Bemühungen auch 
von Erfolg gekrönt zu sehen. 
Berlin, 25. Sept. Die „Nationalztg." 
schreibt, es müsse in den nächsten Tagen 
zu einer Entscheidung kommen, welche mit 
Personalveränderung (s. unter Mor 
gen-Depeschen) verbunden sein würde: 
„Unseres Wissens hat in der jüngsten 
Zeit die Lage der Dinge sich insofern ver 
ändert, als seitens des preußischen Staats 
ministeriums . nunmehr eine bestimmte 
71) 
Ma« sagt. 
Moniern von E. von Wald-Zedtwitz. 
"Şehnen!?" klang es von allen Seiten, 
nur Ellmor hatte geschwiegen. Am leisesten 
hatte Frau von Römhild dieses Wort ge 
sprochen. ^hr Bück flog von Königshofen 
zu ihrer Tochter und von dieser zu Jenem 
zurück. Sie wußte, warum Heinz dieses 
glänzende Anerbieten ablehnte und fühlte einen 
brennenden Schmerz am Herzen. Oder, sollte 
sie sich täuschen? 
„Aber, woher kommt dieser plötzliche, un 
erwartete Entschluß?" fragte Cäcilie mit 
einem Anflug von Schärfe, denn sie sah 
voraus, daß dadurch einer der hauptsächlichsten 
Anknüpfungspunkte mit Heinz für sie verloren 
ging- 
„Die besten Entschlüsse, gnädige Frau, 
pflegen über Nacht zu kommen, und so ist 
cs mir denn in der lctztvergangenen klar ge 
worden, daß mein Talent nicht ausreicht, um 
das Höchste zu erzielen. 
„Und was werden Sie nun beginnen?" 
forschte Cäcilie taktlos weiter. 
„Das weiß ich noch nicht!" cntgegnetc 
Königshofen, sich leicht verneigend. 
Der Augenblick war peinlich, und Frau 
von Römhild, in dem Bestreben, Heinz und 
die übrigen Anwesenden darüber hinwegzu 
helfen, nahm das Packctchen, welches noch 
immer unberührt vor ihr lag und hob cs 
lächelnd in die Höhe. 
„Darf ich nun die gcheimuißvollcn sieben 
Siegel lösen?" 
„Ich bitte darum!" antwortete Heinz, das 
Auge neugierig auf sie gerichtet. 
Eine Hülle nach der anderen fiel. Es war 
natürlich, daß die Anwesenden den Bewe 
gungen von Bertha's Händen folgten. Eine 
Farbenskizze wurde sichtbar — einen Moment 
starrte Bertha darauf nieder — ein bleicher 
Hauch überzog ihr Gesicht und wie ein 
Schleier lag's über ihren Augen. 
„Ein — sehr — hübsches — Bild!" 
sagte sie endlich, „und wer hat's gemalt?" 
„Das sind Sic ja, Frau Baronin!" ent 
fuhr es Cäciliens Mund gleichzeitig mit 
Königshofens Antwort: „Mein verstorbener 
Vater." 
„In der That — eine große, sehr große 
Achnlichkeit, wirklich, eine merkwürdige Aehn- 
lichkeit," sagte Bertha, ohne eigentlich zu 
wißen, daß ihr Worte über die Lippen schlüpf- 
Blicke der Anwesenden ruhten 
m. e 5. ' nil "us der Skizze, auf Frau von 
cv ^ ststd Heinz Königshofen, die der 
^7"°°"Schomvolff funkelten wie die Lichter 
des Luchses. - Da lag etwas begraben - 
da war etwas nicht klar! Aber was, was 
nur 
Wäre Frau von Römhild allein mit Hein- 
gewesen, sie hätte ihm in diesem Augenblicke 
che volle Wahrheit bekannt, daß sie seinen 
Vater einst namenlos liebte, ja mehr — 
vielniehr vielleicht noch, daß ihr Herz jetzt 
für den Sohn in heißen Flammen glühte, 
daß sie diesen Flammen nicht mehr wehren 
und seine mühsam unterdrückten Wünsche 
erfüllen wollte. 
Ja, sie würde ihm eingestanden haben, daß 
sein Vater es war, welcher einst durch seinen 
Edclmuth den Namen Römhild rein und 
unbefleckt vor der Welt erhielt. Aber so, 
hier vor allen Zeugen, den Fremden und 
den Kindern ihres verstorbenen Gatten, da 
mußten ihr die Worte versagen und sic war 
gezwungen, der ersten, fast instinktiv began 
genen Unterlassungslüge, zu welcher sic zum 
Theil ihr weibliches Zartgefühl, zum Theil 
die Hochachtung vor ihrem Gatten verleitet 
hatte, eine neue hinzuzufügen. 
Es lag schwül auf dem kleinen Kreise. 
Hans Mohrberg war taktvoll genug, sich zu 
erst zu erheben, da die Anderen noch zögerten, 
und sich zu verabschieden. 
Endlich brach auch die Familie von Schön- 
wolff auf und Baron de Vendrecourt blieb 
nur übrig, sich Ihnen anzuschließen. 
Immerhin mußte er cs so einrichten, daß 
er sich erst der Dame des Hauses empfahl, 
als sich Schönwolffs schon auf dem Borsaal 
befanden. 
„Es war mir ein großer Vorzug, meine 
gnädigste Frau!" damit erfaßte er Bertha's 
Hand, führte sie hastig an seine Lippen und 
ließ einen seiner sinnlich verschleierten Blicke 
über sie gleiten. 
In Frau von Römhild stieg die Empörung 
bei dem unreinen Nahen dieses unausstehlichen 
Menschen auf, und sie warf, indem sie die 
Rechte ihm kurz entzog, den Kopf voll ab 
lehnenden Stolzes in's Genick. 
Ohne ein Wort zu sagen, daß Baron de 
Vendrecourt sie wieder aussuchen sollte, trat 
sie einen Schritt zurück und verneigte sich 
kühl zum Abschied, wohl wissend, daß ihr in 
diesem Manne ein unerbittlicher Feind er 
wachsen war. Ueber das Gesicht des Kammer 
herrn glitt beißender Spott, und als er an 
der Seite der Frau von Schönwolff der 
Stadt zuschritt, sahen sich Beide verständniß- 
vollen Auges und höhnisch lächelnden Mun 
des an. 
„Das war ja eine wunderbare Visite!" 
bemerkte Cäcilie. „Was meinen Sie dazu, 
lieber Baron?" 
„Ha — ha ■—! Endlich doch einmal eine 
außergewöhnliche, eine, die zu denken giebt," 
entgegnete der Kammerherr und Beide tausch 
ten Vermuthungen über Vermuthungen aus, 
welche damit schloffen, daß Frau vou Röm 
hild gewichtige Gründe haben müsse, die Be 
kanntschaft mit dem verstorbenen Herrn Königs 
hofen zu verschweigen, aber bei dieser Ver 
muthung sollte cs nicht sein Bewenden haben: 
Cäcilie sowohl, wie Herr de Vendrecourt be 
schlossen, dieser Angelegenheit näher auf den 
Grund zu kommen. Noch an demselben Tage 
ging ein Schreiben des Ersteren an die Kur 
verwaltung in Meran ab, worin er um die 
alten Fremdenlisten jenes Jahrganges bat, 
in welchem die Familie von Schönwolff sich 
dort aufgehalten hatte. 
Kaum hatte sich die Thür hinter den 
Gästen geschlossen, so fühlte Bertha das Be 
dürfniß des Alleinseins, aber sie überwand 
sich, sie durfte ja nicht zeigen, in welcher Er 
regung sic sich befand; und so gewann sie es 
denn über sich, zu bleiben und sich mit Hart 
wig und Ellinor über gleichgültige Dinge zu 
unterhalten. Beide Geschwister waren nicht 
weniger befangen, ein unausgesprochenes Et 
was, ein Unbehagen lag auf ihren Gemüthern. 
Keiner erwähnte des Bildes, keiner wür 
digte cs einen Blickes und doch erfüllte das 
selbe ihr ganzes Denken. 
Endlich zog sich Bertha zurück, eine Ohn 
macht nahe, sank sic auf ihr Ruhebett nieder, 
schloß die Äugen und preßte die Hand auf 
das Herz. Wie es drinnen klopfte, wie ihre 
Schläfen hämmerten! „O, über dieses un 
glückselige erste Schweigen." 
Plötzlich sprang sie auf, das Lager dünkte 
ihr heiß, sie gedachte des Umstandes, daß 
Heinz der Bühne entsagen wollte. 
Sie war nicht allein, welche sich jetzt da 
mit beschäftigte, bei Schönwolffs wurde diese 
Angelegenheit erörtert und auch in der Schunk- 
schen Weinstube sprach eben Baron de Vendre 
court davon. 
„Unser jüngstes Mitglied des Hoftheatcrs 
ist plötzlich fahnenflüchtig geworden," sagte er, 
„schade für uns, dieser nette Königshofen 
wäre ein ganz annehmbarer jugendlicher Lieb 
haber geworden, unsere Damen werden es 
besonders beklagen, denn er versteht es, reifere 
und knospende Schöne für sich zu entflammen. 
Verschiedene Fragen wurden aufgeworfen, 
Herr de Vendrecourt tuschelte bald Diesem, 
bald Jenem unter dem Siegel der Ver 
schwiegenheit die heutigen Erlebnisse zu, und 
als die Herren sich trennten, nahm Jeder die 
Ueberzeugung mit, daß Frau von Römhild's 
Ruf, der bis jetzt felsenfest dagestanden, doch 
wohl nicht so unantastbar sei, wie dies den 
Anschein hatte. 
„Man sagt, sic habe früher, zu Lebzeiten 
ihres alten Mannes ein zartes Verhältniß 
mit dem Vater des jungen Königshofen ge 
habt, und denken Sie nur, ist cs nicht furchtbar, 
ganz lauter sind die Beziehungen zu „ dem 
jungen Herrn wahrscheinlich auch nicht," so 
schüttete Baron de Vendrecourt sein boshaftes 
Herz einem Herrn seiner Bekanntschaft beim 
Nachhausegehcn aus. 
Auch Frau Cäcilie von Schönwolff that 
das Ihrige, um sich an Frau von Römhild 
zu rächen. (Fortsetzung folgt.) 
Es ist hier alles doch nur eine Zeitsrage» 
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, 
Krieg und Frieden, sie kommen und gehen wie 
Wasserwogen und das Meer bleibt. Es ist ja 
nichts auf dieser Erde, als Heuchelei und Gaukelspiel. 
F ü r st B i s m ä r ck am 2. Juli 1859.
	        
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