Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

letzten Blutstropfen, ehe wir das Elsaß auf 
geben. Aber München und Stuttgart sind 
durch feindliche Positionen nicht mehr gefährdet 
als Berlin durch feindliche Positionen in der 
Nähe der Oder. Daher ist wohl anzunehmen, 
wenn je die Entscheidung an der Ostgrenze 
falle, werde der letzte Mann und die letzte 
Münze aufgeopfert werden. Wir haben juns 
beschränkt auf das, was zum freien Athmen 
nothwendig ist; wir haben nicht an das ge 
dacht, was außerhalb unserer Grenzen alles 
noch deutsch spricht. Was wir nach außen 
aufgaben, haben wir an Jntensivität im 
Innern gewonnen. Die älteren Herren, wenn 
sie zurückblicken auf die Zeiten vor Kaiser 
Wilhelm, werden wissen, daß damals der 
Mangel an Liebe zwischen den deutschen 
Stämmen viel größer war. Standen wir 
noch vor 40 Jahren an landsmannschaftlicher 
Liebe gegen alle anderen Nationen zurück, 
heute nicht mehr. Ein einig Volk wurde in 
merkwürdig kurzer Zeit geschaffen. Das ist 
der Beweis, daß die ärztliche Kur, wenn 
auch mit Blut und Eisen, nur ein Geschwür 
traf, das längst reif war, und daß sie Wohl 
befinden geschaffen. Gott gebe, daß es so 
bleibe. Wir singen: „Fest sicht und treu die 
Wacht am Rhein", aber die Wacht an der 
Warthe und Weichsel steht ebenso fest. Wir 
können nach keiner Seite hin auch nur einen 
Morgen Landes missen, und märe es auch 
nur um des Prinzips willen." 
Der Fürst spricht dann von der politischen 
Bewegung der vierziger Jahre, dem polnischen 
Adel und der polnischen Bevölkerung. 
Der Fürst spricht nun wieder von der 
Polenbegeisterung in den dreißiger Jahren, 
von den Platenschen Polenliedern, die in der 
Schule neben der Marseilleise gesungen wurden. 
Er betont, daß es besser geworden. 
Einmal stockt er, faßt mit der Linken in 
die Seite und sagt: „Ich muß mich etwas 
auf Ihre Nachsicht berufen, mein Hexenschuß." 
Auf den Ruf: „Setzen, Durchlaucht!" ant 
wortet er: „Es wird nicht besser durch 
Sitzen, ich kenne diesen Gast," dann führt 
er in seiner Rede fort, die sich über die 
Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens beider 
Nationalitäten verbreitet. 
In einer abermaligen Rückschau auf frühere 
polenfreundliche Zeiten spricht Fürst von 
Bismarck von dem Mangel an poli- 
t i s ch e m Blick, und sagt: „Ich habe 
dabei besonders die Berliner Bürger im Auge." 
Der Fürst schließt mit einem Hoch auf 
die Frauen Posens. 
Nachdem der zweite Vers der Bismarck 
hymne verklungen und der Fürst ein Glas 
Champagner geleert, sagte er lächelnd: 
„Das Mittel gegen das Leiden, das ich 
habe, ist, wie ich eben finde, wenn ich mich 
frei aussprechen kann. Ich sah der Noth 
wendigkeit, mit Ihnen heute zu verkehren, 
ehrlich gesagt, mit einer gewissen Sorge ent 
gegen, aber nun ist mir wohler als vorher." 
Während darauf Gymnasialdirektor Kiel 
eine Rede auf die Fürstin hält, läßt der Fürst 
sich von einem nahestehenden Militairmusiker 
die Fesffchleife reichen und befestigt sie im 
Knopfloch. 
Darauf steigt der blondbärtige Freiherr 
v. Tiedemann-Bomst auf die Terrasse und 
überreicht dem Fürsten eine Flasche Rothwein, 
Bomster Auslese, der auf dem Gut des ver 
storbenen Herrn v. Unruh-Bomst gewachsen 
ist. Dieser habe ihn Lacrimae Petri getauft, 
das heißt, wer davon trank, der ging hinaus 
und weinte bitterlich. Es gebe besseren 
Wein, aber keinen reineren. Der Fürst nahm 
ihn lächelnd entgegen und meinte: „Ich werde 
ihn im Andenken an meinen lieben verstor 
denen Freund Unruh-Bomst in Ergebenheit 
trinken." 
Andere Sprecher überreichten Päckchen 
Zucker, Kartoffelmehlstärke und einen Hopfen- 
kranz. Das war jedenfalls gut gemeint. 
Ein alter Herr brachte ein Glas Grätzer 
Bier, das der Fürst mit einem Schluck aus 
trank, wobei er sagte: „Es ist mir nicht neu, 
und ich bezog cs früher sogar, besonders in 
heißen Sommern. Es ist ein wohlschmecken 
des Bier, und ich wundere mich, daß 
nicht größeren Absatz hat." 
Dann stieg der Fürst, vom Grasen Wil 
helm Bismarck, Schweninger, einem Diener 
und dem Oberförster geleitet, in ven Hof 
hinunter und sprach mit vielen der Anwesen 
den, besonders den Dekorirten. Er nahm 
darauf in einer Thür des Seitenflügels Platz- 
worauf unter der Musik von zwei Musikcorps 
mit Hoch und Hurrah und Hüteschwenken 
die Posener Schaaren desilirtcn. 
Die Bataillone marschirten im Tritt ins 
Dorf hinein und zogen durchs Dorf zum 
Bahnhof, von wo Abends die Abfahrt er- 
folgte. (Brl. Tgbl.) 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete 
Neue Waldbrände werden aus New 
York telegraphisch gemeldet: In den Graf- 
schäften Gogebie und Ontonagan in Michi 
gan sind 400 Millionen Fuß Holz in 
Flammen ausgegangen. Die Pulverfabrik 
in Bessemer ist bedroht. — Waldbrände 
kommen auch in der Nähe von Shell Lake 
in Wiskonsin vor. Nur mit Mühe wurde 
die Stadt Spooner gerettet. 
Maskirte Viehhirten haben kürzlich 
beim Mehafluß, unweit von Parachute in 
Colorado, 2200 Schafe mit Knütteln 
und Messern getödtet. 2000 Schafe 
atten sie vorher in den Abgrund gestürzt. 
Als Grund geben sie an. daß die Schafe 
der Viehzucht hinderlich seien. Die Schaf- 
Hirten verfolgen jetzt die Schuldigen. 
Griechenland. 
Athen, 16. Septbr. Gestern wurde in 
Lokris eine starke Erderschütterung 
wahrgenommen. 
«vauien. 
Sevilla, 16. Sept. Heute wurde hier 
in einer Buchhandlung eine Blechbüchse 
aufgefunden, welche 100 mit Kugeln ge 
ladene Dynamitpatronen enthielt. Der 
Inhaber der Buchhandlung behauptet, durch 
aus nicht zu wissen, wie die Büchse in 
den Laden gekommen ist. 
Serbien. 
Wie die „Franks. Ztg." aus Belgrad 
meldet, hat der Führer der radikalen Par 
tei, Pasitsch, dessen Verhaftung wegen der 
angeblichen Theilnahme an den Hochver- 
rathsbestrebungen Cebinatsch's täglich er- 
wartet wurde, gestern Belgrad verlassen 
und ist nach Fiume abgereist. 
Oesterreich. 
Ein Apotheker wurde in Troyas ver 
haftet, der aus Rache eine dort lebende 
Polin durch vergiftete Bonbons, die er ihr 
zum Geschenk gemacht, getödtet hatte. 
Die Spaziergänger der Tivoli-Allee 
in Laibach hatten am Freitag einen großen 
Schrecken auszustehen, da ihnen plötzlich 
ein riesiger Bär entgegenkam, der aus 
der Menagerie entwichen war. Nachdem 
sich der Bär in längerer Promenade er- 
gangen und dabei einen neugierigen Hund 
arg zugerichtet hatte, wurde er ohne weiteren 
Schaden eingefangen. 
Belgien. 
Ein erschütternder Vorgang hat 
sich am Donnerstag auf der Eisenbahn 
linie Lüttich-Troints-Ponts bei dem Babn- 
hofe Roanne-Coo zugetragen. Die beiden 
kleinen Kinder des Bahnwärters spielten 
zwischen den Geleisen; da naht der Lütti 
cher Personenzug. Die Mutter der Kinder, 
die Gefahr erkennend, stürzt hinzu, um die 
Kinder zu retten, aber zu spät. Obwohl 
der Lokomotivführer den Zug zum Stehen 
bringen wollte, wurden alle drei von der 
Lokomotive ergriffen. Das zehn Jahre 
alte Mädchen wurde sofort zermalmt; die 
Mutter so schwer verletzt, daß sie bald 
ihren Geist aushauchte; das andere Kind 
wurde zur Seite geschleudert und kam mit 
leichten Verletzungen davon. 
Schweiz. 
Ueber den Raubmord in Beatenberg 
bei Interlaken wird vom „Bund folgendes 
Nähere berichtet: Das Opfer des Raub- 
mordes bei der Beatenbucht ist ein fran 
zösischer Pfarrer Ollier ans Lille, der 
sich den ganzen Sommer über mit Frau, 
zwei Kindern und den Schwiegereltern im 
„Bären" in Wilderswyl aufhielt. Er 
unternahm Mittwoch-Vormittag einen Aus 
flug nach Unterseen-Merligen. Das Ver 
brechen geschah Nachmittags zwischen 2 und 
3 Uhr auf offener Landstraße bei der söge 
nannten „Nase". Die Mörder suchten ihr 
Opfer in den See zu werfen, flohen aber, 
als sie sich bemerkt sahen, eiligst in das 
Gehölz oberhalb der Straße. 
Dänemark. 
Ein Pferdehändler in Veile, der vor 
14 Tagen nach Hamburg reiste, um Pferde 
auf dem dortigen Markt zu verkaufen, ist 
nicht wieder nach Veile zurückgekehrt, son 
dern hat unter Zurücklassung seiner Fa 
milie die Reise über den Atlantischen 
Ozean angetreten. Seine gesammten 
Schulden werden auf ca. 100000 Kronen 
geschätzt. 
Inland. 
- Die „Kieler Zeitung" veröffentlicht 
ein Schreiben des Kaisers an den 
Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein, 
in welchem es heißt, der Kaiser habe da- 
durch, daß er dem Fort VII zu Königsberg 
den Namen „Fort Herzog von Holstein" 
gegeben habe, erneut die hohen Verdienste 
ehren wollen, welche die Fürsten und Prinzen 
des SchleSwig.Holsteinschen Hauses von 
den Zeiten des Großen Kurfürsten an sich 
um das Vaterland und die Armee erworben 
haben. 
- Noch niemals, so schreibt der „B 
B.-C.", ist eine Komposition lange vor 
ihrem Erscheinen so stürmisch begehrt wor 
den, wie eine, die der Verlag von Bote 
& Bock vor einiger Zeit anzeigte. Frei 
lich ist der Komponist auch — Kaiser 
ilhelm II. Die Bestellungen auf 
den „Sang an Aegir" sollen erstaunlich 
zahlreich sein, und von Amerika aus 
wurde für das Recht der Veröffentlichung 
in einem großen Blatte eine bedeutende 
Summe geboten. Die Komposition wird 
indeß erst im Oktober an die Oeffentlich- 
keit gelangen, da vorher die erste öffent 
liche Aufführung im königl. Opernhause 
stattfinden soll. In etwa vier Wochen soll 
da ein Wohlthätigkeitskonzert veranstaltet 
werden, für das man eine Widerholung 
des vor drei Monaten im Neuen Palais 
zu Potsdamm abgehaltenen Hofkonzerts 
Kant. Auch die von unserm Kaiser nach 
einem Text des deutschen Botschafters zu 
Wien, des Grafen Philipp Eulenburg, 
verfaßte Tondichtung „Sang an Aegir" 
oll zum Vortrage gelangen. Die Kompo 
rtion ist, wie man weiß, von dem Diri- 
genten des königl. Domchors. Prof. Albert 
Becker, für Chor und Orchester eingerichtet 
und auch im Neuen Palais, von dem ge- 
nannten Chor gesungen, von Prof. Becker 
dirigiert worden. Die Ausführung soll 
auch im königl. Opernhause Herrn Pro' 
Becker anheimfallen und 'wohl nur der 
aus fünfundzwanzig Männern und etwa 
hundert Knaben bestehende Doinchor eine 
Verstärkung durch Chordirektor Gräfen's 
sangeskundige Truppen erfahren. 
Berlin, 17. Sept. Der Kaiser erwiderte 
auf die Ansprache des Bürgermeisters von 
Swinemünde am Donnerstag, er sei schon 
als Knabe mit seinen Eltern in Swinemünde 
gewesen, es freue ihn, daß die Stadtdurchihre 
günstige Lage den Vorzug habe, die deutsche 
Flotte öfter in ihren Gewässern zu sehen, und 
er hoffe, daß Swinemünde und Stettin ein 
mal ans dem Wasserwege mit Berlin ver 
bunden werden würden. „Ob ich das aber 
selbst erlebe", fügte der Kaiser lächelnd hin 
zu, „weiß ich nicht". 
— Auf eigenhändige Cabinetsordre des 
a i s e r s sind jetzt beim ersten Garde 
Regiment z. F., jedoch zunächst nur bei 
diesem, auch für die Offiziere Schützen 
fangschnüre eingeführt worden. Und 
zwar wird die erste Fangschnur bereits 
von dem Lieutenant Freiherrn von Wilczeck 
vom Füsilier-Bataillon des 1. Garde-Regi 
ments getragen. Sie gleicht den breiten 
Generalfangschnüren, ist jedoch von Silber 
und wird auf der linken Brustseite befestigt 
Zu betonen ist, daß diese Schießauszeich 
nung nicht, wie die silbernen Gürtel, nur 
probeweise, sondern definitiv eingeführt ist. 
— Gegen die Kaiserrede legt sich 
das Organ des Bundes der Landwirthe, 
die „D. Tagesztg.", mit jedem Tage schärfer 
ins Zeug. Als Wirkung der Kaiserrede 
bezeichnet das Blatt jetzt, daß alle Parteien, 
welche die jetzige Wirthschaftspolitik der 
Regierung verurteilen, keineswegs von ihrem 
'Standpunkt abgehen werden, „ja es scheint 
uns sicher, daß der Kampf, wenn er viel- 
leicht auch in der Form sich etwas ändern 
sollte, in der Sache an Schärfe zunehmen 
muß." 
Berlin, 13. Sept. Die agrarisch 
Agitation knüpft bekanntlich an den 
Abschluß der Handelsverträge an. Das 
ist allerdings nur eine Kulisse, da die 
Agitation sonst mit dem Abschluß der 
Handelsverträge ziellos geworden wäre und 
naturgemäß hätte aufhören müssen. Es 
ist aber trotzdem nicht uninteressant, gerade 
die wirklichen F o l g e n der Handels 
Verträge, speziell für den Osten, von Zeit 
zu Zeit festzustellen. So schreibt neuer 
dings die „Königsb. Hart. Ztg." zur 
Aushebung des Jdentit ütsnach 
weises, die bekanntlich nur unter gleich 
zeitiger Beseitigung des Differenzialzolles 
gegen Rußland möglich war: Selbstver 
ständlich hat die Landwirthschaft von 
der Aufhebung des Identitätsnachweises 
den Hauptvortheil gehabt. Die Wieder 
Eröffnung der vorteilhafteren ausländi 
schen Absatzgebiete, die Befreiung von dem 
Zwang, für ostdeutsches Getreide, Absatz 
im Zollgebiet zu suchen, hat bewirkt, daß 
besonders der ostpreußichen Landwirth 
schaft der Getreidezoll in den gezahlten 
Preisen nunmehr voll zu gute kommt 
Während bis zum Februar dieses Jahres 
an der Königsberger Börse der Unterschied 
der Preise für inländisches und unverzolltes 
ausländisches Brodgetreide trotz eines 
Kämpfzolles von 75 jl für die Tonne 
nur einen Bruchtheil des Vertragszolles 
von 35 Jt ausmachte, zeigt ein Blick an 
dre Börsennotirungen, daß seit dem Monat 
Mai inländisches Getreide um mindestens 
den vollen Zollbetrag höher steht 
Auch die Preisdifferenz zwischen den oft 
preußischen und den westpreußischen Märk 
ten hat sich zu Gunsten Ostpreußens ver 
schoben. Im Durchschnitt hat der Preisstand 
des ostpreußischen Brodgetreides im Ver 
hältniß zum Preise für unverzolltes ruf 
sisches Getreide seit dem Jahre 1893 sich 
um 15 bis 17 J( für die Tonne gehoben 
Natürlich hat dieses mit dem absoluten 
Preisstand, der sich nach den Ernten 
nach Angebot und Anfrage auf dem Welt 
markte richtet, nichts zu thun. Aber ohne 
Aufhebung des Identitätsnachweises würde 
unser Getreide um 15 — 17 Jt schlech 
ter stehen, und deshalb kann man sagen 
daß es diesen Betrag durch die Maßregel 
profitirt hat." Hiergegen nimmt sich das 
Geschrei der Plötz'schen, die auch durch 
wahre ztffermäßige Darstellungen nicht ihre 
Meinung ändern, weil sie nicht wollen 
daß der Vertrag mit Rußland die Land 
wirthschaft „ruinirt" habe, geradezu komisch 
aus. Ostpreußen hat naturgemäß den 
Hauptvortheil von der Aufhebung des 
Identitätsnachweises. Aber auch der Westen 
'ühlt dessen Einwirkung, besonders durch 
die Erleichterung des Marktes. 
— Der Vorwärts fährt fort, von 
dem Unrecht zu reden, welches die „greif. 
Ztg." Herrn Vogtherr zugefügt hat. 
Diese konstatirt nochnials, daß sie bereit 
ist, den Beweis anzutreten, daß Herr 
Bogtherr wiederholt ein Lokal besucht hat 
;» dem das boykottirte Schultheiß 
bier geschänkt wird, und daß er in diesem 
Lokal Pilsener Bier verzehrt hat. Herr 
Vogtherr h-tt darauf weiter nichts zu er- 
widern gewußt, als daß er aus geschäfl- 
lichen Gründen diese Restauration besucht 
habe. Damit kann sich jeder Genosse auch 
entschuldigen, wenn er eine solche Restau 
ration mit Ringbier besucht. Entweder 
muß ein solcher Besuch auch den Führern 
der Sozialdemokratie nicht gestattet sein, 
oder man muß ihn allen Genossen frei 
geben. 
In der Frage der Boykottirungen 
billigt das Organ des Fürsten Bismarck, 
die „Hamb. Nachr.", die Unabhängigkeit 
der sächsischen Behörden. Denn wenn es 
überhaupt einen strafbaren Unfug gebe, so 
lege derselbe vor bei Boykottirungen. Hat 
Fürst Bismarck vergessen, wie er selbst in 
der Oeffentlichkeit Zeitungen boy 
kottirt hat, die ihm nicht gefielen? Bon 
der Tribüne des Reichstages aus forderte 
Fürst Bismarck in den schärfsten Worten 
solches Blatt nicht zu 
dasselbe nicht zu unter 
nicht unbedingt sich ihm 
Kritik gegen seine Maß 
auf, auf ein 
abonniren und 
stützen, welches 
unterwerfe und 
nahmen sich ertaube. 
Berlin, 17. Septbr. Die „Nat. Ztg." 
meldet: In der Conferenz von Abgeord 
neten des Vereins nordwestdeutscher Holz- 
Händler und des Vereins ostdeutscher Holz- 
Händler bezüglich der Modalitäten des 
Holzverkaufs in Staatsforsten wur 
den die Zahlungsbedingungen und Cautions- 
angelegenheiten erledigt, bezüglich einer 
Reihe von Punkten wurde völlige Ueber 
einstimmung erzielt. Die Vertreter der 
Forstverivaltung sagten zu, mehrere Wünsche 
der Holzhändler wohlwollend zu erwägen. 
Berlin, 15. Septbr. Hinsichtlich der 
Kundschafterdienste, welche der hies. rufst* 
che Marine - Attachee, Herr Dubassow, 
während der Manöver seiner Regierung 
Pillau zu leisten beflissen war, wird 
der „Dtsch. Tgsztg." aus Königsberg ge 
meldet, daß auch der dortige Konsul sich 
einer etwas unbequemen Lage befinde, 
weil er seinen Landsmann begleitet habe, 
als ein wachsamer Gensdarm beide dort 
entdeckte, wo weder ein Konsul noch ein 
Marine-Attachee etwas zu suchen hat. 
Wegen Gotteslästerung ist ein Han- 
dels mann der Staatsanwaltschaft vor 
geführt worden. W. war zugegen, als 
vor einigen Tagen ein Arbeiter in der 
Weidinger Straße krank wurde. Der 
Kranke wurde in den Hof eines Hauses 
getragen, und dorthin folgte ihm W. Zu 
deu Leuten, die sich um den Kranken be- 
mühten, gewendet, sagte W., daß er dem 
Arbeiter, der in den letzten Zügen liege, 
helfen wolle, er werde ihm die Sakra 
mente reichen und auf diese Weise seine 
Genesung bewerkstelligen. W. setzte sich, 
so berichtet eine Lokal-Korrespondenz, jetzt 
ein Käppchen auf, fertigte aus weißem 
Papier einen Halskragen an, den er sich 
umlegte, und hielt den Mann, indem er 
die bei Reichung des Abendmahles 
üblichen Gebräuche nachmachte, die Brann t 
Weinflasche hin. Zeugen des Vorganges, 
die sich durch diese scheußliche Rohheit ver 
letzt fühlten, ließen den W. festnehmen. 
Aus Marieuburg wird berichtet: Als 
der Kaiser auf dem Wege zum Schlosse 
an einem kleinen Hause vorüberfuhr, stieg 
der in dem Hause gerade mit dem Kehren 
beschäftigte Schornsteinfeger, den Cylinder 
Hut auf dem Kopfe, auf den Schornstein 
hinaus und postirte sich dort in luftiger 
Höhe mit präsentirtem Besen. Se. Maje 
tät, welch den Schwarzkünstler bemerkte, 
ächte recht herzlich über diese eigenartige 
Huldigung. 
Für die Festung Thorn, die in den 
letzten Jahrzehnten an Stärke, Wichtigkeit 
und Bedeutung erheblich gewachsen ist/soll 
nach einer Meldung der „Voss. Ztg." in 
nächster Zeit neben dem Kommandanten 
ein Gouverneur mit einem entsprechen 
den Stabe ernannt werden. 
In der am Sonnabend in Gotha abge 
haltenen Versammlung der Freisin 
nigen Vereinigung machte der Abg 
Rickert die Aeußerung, er habe sich in 
der 1. Fractionssitzung über die Militär 
Vorlage ausdrücklich die Endabstimmung 
vorbehalten und dann aus Ueberzeugung 
mit Ja gestimmt. Ein Liberalismus, der 
'ein „Ja" oder „Nein" von 10 000 Wäh 
lerstimmen mehr oder weniger abhängig 
mache, sei kein Liberalismus. Bamberger, 
der gegen die Militärvorlage gestimmt habe, 
ei trotzdem aus der Fraction hinausqe 
miesen worden. Das sei doch Unduldsam 
keit rm höchsten Grade. In Gotha habe 
inc ļî l tm- 00r 12 ^ļwen zusammengefunden 
,mh Banner wie Hänel, Lasker, Dr. 
^êh^r-Jena (jetzt Heidelberg), Barth und 
auch Redner hätten den Zusammenschluß 
efurwortet. Unmittelbar nachher sei Rich 
er zu ihm gekommen und habe einen Zu- 
amnienschluß zwischen den Secessionisten 
and seiner Partei verlangt, den Redner 
stir nützlich und nothwendig erklärt habe, 
weil Richter allein die große politische 
Last nicht mehr tragen und bewältigen 
könnte. „Wir haben, so fuhr Redner fort, 
die Fusion, die man uns anbot, geschlossen; 
aber wir haben unsere Bedingungen ge 
stellt, wir verlangten freie Bewegung 
des Einzelnen. Wir wollten einen 
Rahmen schaffen, der fest genug wäre, alle 
Meinungsverschiedenheiten zu umspannen. 
Wir haben uns stets an das alte Pro 
gramm gehalten. Und was war die Folge? 
Wir sind ausgeschlossen worden ohne eine 
orherige Anzeige, mit einem Beschluß 
überrumpelt und hinausgemaßregelt. Das 
ist der klare Sachverhalt. In der freisin- 
nigen Partei ist sowohl beim Socialisten 
gesetz wie beim Jesuitengesetz 
verschieden abgestimmt worden, ohne 
daß deßwegen ein Scherbengericht abgehal 
ten wurde. In der Heeresfrage aber hat 
man die Partei durch Personencultus und 
Unduldsamkeit zu Fall gebracht." Redner 
schloß, er sage das alles, um einer späteren 
Verdunkelung der Thatsachen vorzubeugen. 
Mainz, 14. Sept. Der Schlosser Rath 
von Kastel, der Mörder der Näherin 
v. d. Heydt, wurde für irrsinnig er 
klärt und auf freien Fuß gesetzt. Da man 
Rath für gemeingefährlich hält, machte 
seine Entlassung aus der Haft 
größeres Aufsehen. Wie die Blätter 
melden, benahm sich Rath alsbald gegen 
den Schwager seiner getödteten Geliebten 
auf der Straße in einer so auffallenden 
Weise, daß dieser die Polizei in Anspruch 
nehmen und unter deren Begleitung den 
Heimweg antreten mußte. Auf den eben 
erst Entlassenen werde deshalb wiederum 
gefahndet. Er ist bereits wieder festge 
nommen. 
Erfurt, 17. Sept. Auf dem gestrigen 
Parteitage der Deutsch-Conserv ativen 
Thüringens hielt Freiherr v. Manteuffel 
eine längere Rede. Es wurde beschlossen, 
die Organisation auf ganz Thüringen aus 
zudehnen, und ein Ausschuß gewählt, der 
die Leitung der Geschäfte übernehmen soll. 
In der Münchener Vorstadt Neuhausen 
wurde die Bronzebüste des P r i n z r e g e n t e n 
vom Sockel gestoßen, ohne daß sie eine 
Beschädigung erlitt. Als der That ver 
dächtig wurden ein Tagelöhner und ein 
Kesselschmied verhaftet; diese sind geständig, 
ebenso ein weiterer Tagelöhner, der den 
Aufpasser spielte. Sie wollen die That im 
Rausche „zum Spaß" verübt haben. 
Einem gr o den Betrug ist dieser Tage 
ein Bankgeschäft in Köln zum Opier 
gefallen. Es wurde nämlich mittels 
Briefes, welchem der Briefkopf eines aus 
ländischen Consulats vorgedruckt war, in 
der Bank angefragt, ob man dem Consul 
englisches Geld im Betrage von 2000 bis 
2500 ^tL zustellen könne. Das Bankhaus 
antwortete zustimmend und schickte einen 
Commis mit dem 'gewünschten Betrag zu 
dem angeblichen Konsul, der in einem 
Privathause Wohnung genommen hatte. 
Auf die Anfrage des Commis, ob der Herr 
Consul zu sprechen sei, trat dieser aus 
einem Zimmer und bemerkt dem Commis, 
der Curs des überbrachten englischen 
Geldes erscheine ihm zwar etwas hoch, 
indessen habe er dasselbe unbedingt nöthig. 
Er nahm darauf die Summe in Empfang 
und ersuchte den Commis, etwas zu warten. 
Diesem wurde indeß die Zeit verdächtig 
lang; auf Erkundigung nach dem Ver 
bleib des „Consuls" erhielt er zur Ant 
wort, derselbe habe vor kurzer Zeit das 
Haus verlassen. Es stellte sich nun heraus, 
daß das Bankgeschäft einem Schwindler 
zum Opfer gefallen war. 
Swinemünde, 12. Sept. Dieser Tage 
ereignete sich ein Konflikt zwischen der 
hiesigen Badedirektion und dem Offi 
zierkorps, der dadurch entstanden war, 
daß ein Lieutenant im Tanzsaal den Säbel 
nicht ablegen wollte. Von dem Vorfalle 
wurde dem Kaiser bald nach seinem 
Eintreffen auf der „Hohenzollern" Meldung 
gemacht. Der Kaiser hat sofort die Unter- 
suchung in der Angelegenheit einzuleiten 
befohlen. Wir geben die Mittheilungen 
eines Mitgliedes des Vorstandes der Krie- 
gervereine zu Swinemünde wieder, das 
dem Kaiser die Angelegenheit persönlich 
vorgetragen hat. Als dem Monarchen an 
der zur „Hohenzollern" hinaufführenden 
Brücke die dort anwesenden Herren vor 
gestellt waren, trat aus deren Reihe der 
zuin Borstande des Marinevcreins gehörende 
ehemalige Obermaschinist Brunk an den 
Kaişer heran, mit der Bitte, ihm ein Ge 
such vortragen zu dürfen. Ungefähr nach 
einer Stunde wurde Herr Brunk durch 
den Chef des Marinekabinets, Freiherrn 
Senden-Bibran, an Bord gerufen und 
von diesem zum Monarcheu geführt, der 
sich die Ballangelegenheit in allen Einzel 
heiten erzählen ließ und dann Herrn Brunk 
mit dem Bescheide entließ, daß er, ivenn 
das Ergebniß der Untersuchung mit dem 
Inhalte der Beschwerde übereinstimme, die 
gebührende Strafe über die Schuldigen 
verhängen werde. Die Meldung einiger 
Blätter, daß in Folge dieser Streitfrage 
der Kommandeur und ein Major des Fuß- 
Artillerie - Regiments Nr. 2 versetzt 
worden seien, beruht nach eingezogener Er 
kundigung auf Erfindung. 
Von einem eigenartigen Brand 
unglück wird aus Hamburg berichtet: 
Ein in St. Pauli wohnender Kaufmann 
hatte mit seiner Frau am Mittwoch Abend 
ein Theater besucht und kehrte gegen 11 
Uhr in seine Wohnung zurück. Auf der 
dunklen Treppe rieb er ein Streichholz an, 
kam aber unglücklicher Weise dem Spitzen- 
umhange seiner Frau zu nahe, und alsbald 
landen nicht nur der Umhang, sondern 
auch das Kleid der Dame in hellen Flam 
men. Der Mann versuchte vergebens, die 
Flammen zu ersticken. Erst als zufolge 
der furchtbaren Hilferufe der Unglücklichen 
Nachbarn herbeieilten, gelang es, durch 
Begießen mit Wasser und Einhüllen in 
Decken die Flammen zu ersticken. Die Be-
	        
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