Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

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87ster Jahrgang. 
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Wo. 196. 
Mittwoch, den 22. August 
1894. 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 22. Aug. Durch Kabinetsordre 
vom 20. August ist Prinz Heinrich von 
Preußen, bisher Commandant des Panzer 
schiffs „Sachsen", zum Commandanten des 
Panzerschiffs „Wörth" ernannt worden. 
Posen, 22. August. Mit Rücksicht auf 
Pv drohende Choleragefahr wurden die 
- öffentlichen Badeanstalten in Posen polizei- 
uch geschlossen. 
Köln a. Rh., 22. August. Der Londoner 
Korrespondent der „Köln. Ztg." erfährt 
aus bester Quelle, daß die innere japanische 
Anleihe von 60 Millionen Dollars zwei 
Deal überzeichnet worden ist. 
Madrid, 22. Slug. Einer Meldung 
aus Tanger zufolge gewinnt die Agitation 
gegen den Sultan von Marokko immer 
gefahrdrohenderen Umfang. Der Sultan 
V>ird in den nächsten Tagen stärkere 
îruppenabtheilungen nach den südlichen 
Provinzen zur Vermehrung der Truppen 
eines Oheims, welche die Kabylen strafen 
sollen, abgehen lassen. Die Kabylen haben 
bei einem Aufstand einen Gesandten des 
Sultans getödtet, nachdem sie sich geweigert 
hatten, die von ihm geforderten Steuern 
zu entrichten. Da alle Stämme von Süd- 
Marokko gut bewaffnet sind, glaubt man, 
baß dieselben einen blutigen Zusammenstoß 
mit den Regierungstruppen veranlassen 
werden. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Chrkago, 21. Aug. Die Polizei beschlag 
nahmte eine Anzahl von Höllenmaschi- 
kn, die zur Tödtung von Menschen und 
Zerstörung von Eigenthum bestimmt waren. 
1® ,e Untersuchung wird fortgesetzt. Ber 
echtige Personen haben die Stadt verlassen. 
11000 Baumwollen - Arbeiter in New- 
«edsord, Massachusets, streiken in Folge 
einer Lohnreduktion von 10 pCt. 
Newyork, 21. Aug. Es verlautet, Ja- 
tz an habe in Newyork 100000 Gewehre 
nebst Munition bestellt. 
Nach einer Depesche der „Central-Nelvs" 
aus Shanghai steht eine große Landschlacht 
im Norden Korea's bevor. 50000 gut 
bewaffnete disziplinirte chinesische Truppen 
sind unter dem Befehl des Generals Li- 
Ming-Shuang im Vormärsche auf die ja 
panischen Stellungen. Der japanische Be 
fehlshaber Oshima entsandte eine starke 
Streitmacht, um die chinesische Vorhut an 
zugreifen. Admiral Ting empfing gemessene 
Befehle aus Peking, eine Landung der ja 
panischen Truppen auf chinesischem Gebiet 
mit seinem Geschwader zu verhindern. 
Lebendig eingesargt wurde der 
Neffe des berühmten Schriftstellers und 
Diplomaten Washington Irving in der 
Stadt San Diago, am Hafen gleichen Na 
mens. Ernest Irving, ein 72jähr. Herr, 
war bereits seit längerer Zeit schwer er 
krankt, als er in Starrkrampf verfiel. 
Sonderbarer Weise wurde der Greis von 
2 Aerzten für todt erklärt. Der angebliche 
Leichnam wurde eingesargt und, nachdem 
der Sarg geschlossen worden, aufgebahrt. 
Zwei Tage später sollte die Bestattung 
stattfinden, als kurz zuvor eine nahe Ver 
wandte Irving's vom Sarge her ein Klopfen 
vernahm. Einige der Leidtragenden hielten 
dies für Einbildung, während andere auf 
der Oeffnung des Letzteren bestanden. Als 
dies geschehen, sah man den Todtgeglaubten 
sich aufrichten und mit dem Ausdruck des 
Schreckens um sich herblicken. Alles hatte 
sich bestürzt abgewandt, bis der Auferstan 
dene, nach und nach zur Besinnung kom- 
menv, um Befreiung aus dem Sarge bat. 
Man legte ihn nun auf ein Bett und Ir 
ving schlief ein, um nach 2 Stunden zu 
erwachen mit der Erklärung, daß er Hun 
ger habe. Die Erinnerung an die furcht- 
bare Situation ist ihm jedoch gänzlich aus 
dem Gedächtniß geschwunden. Im übrigen 
scheint der Greis gesund zu werden, und 
vorläufig dem Leben erhalten zu bleiben. 
Italien. 
Zu den Spezialitäten Veronas gehört 
bekanntlich das Grab, in dem Romeo 
und Julia liegen — sollen. Namentlich 
die reisenden Engländerinnen versäumen cs 
nicht, dem berühmten Liebespaare den 
Zoll der Aufmerksamkeit darzubringen. 
Auch Hochzeitsreisende suchen das Keller- 
geschah auf, in dem der für einen fünfzehn- 
jährigen Knaben kaum ausreichenden Sarg 
steht. Der Grabwächter ist ein wenig poe- 
tischer Mann. Ihn: bedeuten Romeo und 
Julia ein Kapital, das sich in der Saison 
täglich mehren muß. Am 23. April d. I. 
besuchte eine Touristengesellschaft von acht 
Personen das berühmte Grab und wollte 
beim Verlassen des Grabes vier Lire 
Trinkgeld geben. Der Wächter forderte 
aber acht Lire, und da er diese nicht er 
hielt, sperrte er die Gesellschaft in 
der Gruft sein. Erst durch die Inter 
vention des Bürgermeisters endete das 
merkwürdige Abenteuer. Dieser Tage stand 
der Wächter vor Gericht, der Termin 
mußte aber bis zur Einholung von Zeugen 
aussagen vertagt werden. 
AraņkreiL. 
Paris, 21. Aug. Ein ebenso komischer 
wie unsinniger Wettstreit ist zwischen 
spanischen und französischen Bart- und 
Haarkünstlern entbrannt. Vor einiger Zeit 
berichteten wir, daß ein Barbier in Ma- 
drid in den Löwenkäfig stieg und während 
der Vorstellung dem Thierbändiger die eine 
Hälfte des Bartes abrasirte. Das hat 
seine Pariser Kollegen nicht schlafen lassen. 
Einer von ihnen rasirte dieser Tage dem 
Thierbändiger Sioni in Gegenwart eines 
Parterres von Königen und Königinnen 
der Wüste beide Wangen mit äußer 
ster Sorgfalt und hielt dann, bevor er 
sich zurückzog, eine passende Ansprache an 
das Publikum, wobei der Barbier schlecht 
weg kam. Die Herausforderung hat die 
Wirkung gehabt, daß nun in Madrid gleich 
zwei den hingeworfenen Handschuh auf 
nehmen wollen. Der eine erbietet sich in 
einer Zuschrift an den „Jmparcial", im 
Löwenkäfig zwei Männer nicht nur voll 
ständig zu rasiren, sondern ihnen auch, sei 
es mit der Scheere oder mit der Maschine, 
das Haar zu schneiden. Der andere ist 
noch kühner, er will unter der Voraus- 
setzung, daß der Bändiger zugegen ist, 
einem der Löwen selbst die Mähne zurecht- 
stutzen. Die Frage wird sich also dahin 
zuspitzen, ob ein Spanier oder ein Fran- 
zose zuerst der Ehre theilhaftig wird, von 
einem Löwen verspeist zu werden. 
Türkei. 
Die Anzahl der durch das Erdbeben 
in und bei Konstantinopel Getödteten läßt 
sich nun ungefähr übersehen. Sie wird, 
wie man aus Konstantinopel schreibt, auf 
4—5000 Menschen angegeben. 
Holland. 
Großes Aufsehen erregt im Haag ein 
Raubmordversuch auf den belgischen 
Gesandtschaftssekretär Baron 
Wykerslooth. Als Genannter in der 
Nacht zum Sonntag nach seiner Wohnung 
heimkehrte, wurde er von einem unbe 
kannten Manne überfallen, mit einem 
Todtschläger niedergeschlagen und beraubt. 
Der Mörder, der sein Opfer für todt 
hielt, raubte der „Magdeb. Ztg." zufolge 
eine Baarsumme von 8000 Gulden. 
Oesterreich. 
Ein verwegenes Gauner st ückchen 
wird aus Pest berichtet: In einem Kupec 
zweiter Klasse des Kourierzuges, der 
Donnerstag nachts von Budapest nach 
Wien abging, saßen zwei Frauen, die sich 
über das Thema „Geld" unterhielten 
Der eine der beiden Herren verrieth, daß 
er mehrere Tausender bei sich trage, worauf 
der zweite bemerkte, noch niemals im Leben 
solche Note gesehen zu haben. Vertrauens 
voll zog nun der Tausend > Guldenmann 
seine Brieftasche heraus und reichte einen 
Tausender seinem Reisegefährten, der nun 
aufstand, ans Fenster trat und so that, als ob er 
die Note beim Licht genau besehen wollte. 
Plötzlich öffnete er die Kupeethür und lief 
auf den schmalen Gang des Waggons 
hinaus, ohne daß der andere sich rührte, 
da er das Ganze für einen Scherz hielt. 
Da öffnete aber jener die Gangthür, 
schwang sich blitzschnell die Treppe hinab 
und war im Dunkel der Nacht verschwunden 
Der so unvermuthet seines Tausenders ent 
ledigte Passagier zog sofort die Nothleine 
und in der Station Totis machte der Zug 
Halt, wo er volle acht Minuten stehen 
blieb, da man alles genau durchforschte 
— aber vergebens. Erst dann setzte sich 
der Kourierzug wieder in Bewegung - 
um einen Passagier und einen Tausender 
leichter. 
Nachod, 21. August. Im Garten des 
Turnvereins, wo Nachmittags ein Konzert 
stattfinden sollte, wurde Vormittags eine 
Bombe gefunden. Dieselbe besteht aus 
einer mit Sprengpulver gefüllten und von 
einem Drahtgeflecht umgebenen Flasche mit 
Zündschnur. 
Inland. 
— Aus einem Interview mit dem 
Finanzminister Miguel theilt ein Mit 
arbeiter des Petersburger „Herold" Fol 
gendes mit. Finanzminister Miguel be 
rührte den deutsch-russischen Handels 
vertrag, dessen segensreiche Folgen für 
beide Kontrahenten sich freilich noch nicht 
so bemerkbar machten, als man anfangs 
zu erwarten berechtigt war. Das habe 
hüben und drüben eine gewisse Enttäu 
schung hervorgerufen, durch die man sich 
jedoch nicht irre machen lassen dürste. Im 
Interesse der Kultur und des Friedens 
könne man sich über das Zustandekommen 
des Vertrages nur freuen. Im Grunde 
genommen ständen ja zwischen Rußland 
und Deutschland keine zwingenden Gründe, 
die zu einer Kollision Veranlassung geben 
könnten. Die etlichen Reibungen, die sich 
hie und da bemerkbar gemacht haben und 
denen man eine übertriebene Bedeutung 
beigemessen habe, seien im Grunde genom 
men untergeordneter, geringfügiger Natur 
und nur durch Mißverständnisse aufge 
bauscht worden. Sehr anerkennend sprach 
sich Miguel über den russischen Finanz 
minister aus. „Ich habe zwar nicht die 
Ehre," sagte er unter Anderem, „Herrn 
Witte persönlich zu kennen, aber aus seinen 
Handlungen zu schließen, muß er ein sehr 
tüchtiger Staatsmann sein, der die Inter 
essen seines Landes kräftiglichst vertritt. 
Man muß auch den Verdiensten des Geg 
ners Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und 
Dank dem Himmel hat diese Gegnerschaft 
aufgehört und man kann jetzt offen sagen, 
daß Herr Witte die finanziellen, kommer 
ziellen und industriellen Interessen Ruß 
lands konsequent und energisch gewahrt 
hat. In diesem Jahre werden die Folgen 
des russisch-deutschen Handelsvertrags für 
Rußland nicht so Vortheilhaft sein, weil 
bei uns die Ernte eine sehr befriedigende 
ist, sodaß der Getreideexport aus Rußland 
nach Deutschland kaum ein bedeutender 
sein dürfte. Rußland wird jedoch sicher 
lich seinem Namen, „die Kornkammer von 
Europa" zu sein, Ehre machen, besonders 
jetzl, wo seine Verbindungswege sich so 
ungewöhnlich rasch entwickeln." Nach diesen 
Anschauungen über den Handelsvertrag 
mußte eigentlich Finanzminister Miguel 
seine frühere bekannte Aeußerung dahin 
richtig stellen, daß die Konservativen Esel 
seien, weil sie nicht für den Vertrag ge 
stimmt hätten. 
— Die verschiedenen antisemitischen 
Richtungen, die sich bisher wüthend be 
fehdeten, wollen sich jetzt einigen. 
Der „Tägl. Rundschau" zufolge habenprivate 
Vorbesprechungen zwischen Führern der 
Reformpartei und der deutsch-socialen Anti 
semiten stattgefunden und zu dem Ergebniß 
geführt, daß zunächst den Parteivorständen 
und Vertrauensmännern der genannten 
Richtungen ein Entwurf zur Vorberatung 
unterbreitet werden soll. In einer spätestens 
Anfang Oktober anzuberufenden gemein 
samen Sitzung soll dann ein endgültiger 
Beschluß gefaßt werden. Es sei begründete 
Aussicht vorhanden, daß die Antisemiten in 
der nächsten Tagung des Reichtages ihre 
Thätigkeit als Fraktion einer „deutjch-socia- 
len Reformpartei" beginnen. Bisher war 
im Reichstage eine antisemitische „deutsche 
Reformpartei" vertreten, der elf Mitglieder 
und ein Hospitant zugehörten. Die Abgg. 
Ahlwardt, König, Leuß, Liebermanu v. 
Sonnenberg gehörten keiner Fraktion an. 
Ma« sagt. 
Roman von E. von Wald-Zcdtwitz. 
daß er Schauspieler werden 
hnn. Bringen Sie ihn doch davon ab, ha 
7 ^ f v "à Mensch und eine so 
amose Parthie, btc dadurch ja ganz und gar 
verloren geht/ 
Jetzt horchte Herr von Maurer auf blieb 
plötzlich stehen und sah Anna durchdringenden 
an. 
„Würden Sie ihn nehmen, Anna?" 
„Mein Gott, eine so ernste Frage — und 
das Gesicht dabei — man bekommt ja 
Magendrücken, Onkel Excellenz." 
„Sagen Sie mir's ehrlich." 
„Erstens will er mich garnicht —" 
„Nun das —" 
„Kann man nicht wissen, meinen Sie?" 
„Sic kennen sich noch zu wenig." — 
„Und dann —" 
„Wenn er die Bühnenlaufbahn aufgäbe? 
^iicht wahr, Sic liebe, kleine Große, Sie?" 
„Ich würde nie einen Schauspieler hcirathcn." 
„Ich werde Euch diesen Sommer einmal 
^şanimen zu mir auf's Land einladen." 
, „Ha — ha — ha — Onkel Mäurer — 
r ha — ha — ich glaube, Sie wollen 
p, einen Kuppelpelz verdienen und werden 
ftr über zum Intriguanten." 
, „Kind, Kind, wozu wird man nicht alles, 
der so alten Freundin zu Liebe —." 
j »Wie Anna von Ehlarn ist. — Ja — 
aber —." Anna wurde plötzlich ernst, 
pffsen Sie, Onkelchen, enttammadls bin ich 
c , aber wenn ich mir dächte, daß es an's 
firathen gehen soll — nein, nein — ich 
dfite einen Mann haben, der —" 
"^ein Füllen die Kappzäume auflegt, das 
weiß Gott. Leben Sie wohl, Annchen, wir 
sprechen noch darüber." 
„Nein, nein — ich thue Ihnen den Ge 
fallen doch nicht!" 
„Gefallen?" Das Wort gellte Herrn von 
Mäurer wahrhaft in den Ohren. Hatte Anna 
seine Absicht gemerkt, Heinz von Bertha fern 
zu halten? — Nein, sie lachte zu unbefangen. 
„Addio, Onkel Excellenz! Nein, warten 
Sie noch einen Augenblick. Sehen Sie dort 
— das Bild der verkörperten Lieblichkeit? 
Da naht sich die Osterwald'sche Amazonen 
schaar, ihren weiblichen Kommandeur an der 
Spitze, und Hans Mohrberg ergreift davor 
das Hasenpanier. Ja — ja — die Zeiten 
? n fp şich- Er hat auf allerhöchsten Befehl 
von Schönwolff einenEntschuldigungs- 
suchb» der Vorsteherin machen und hoch 
Gerilbt müssen, nie wieder ei 
„Basische ,n ihr Heiligthun: zu senden. 
. „"glückliche Zetten!" sagte Lorenz seufzend, 
Anna dre Hand zun: Abschiede und 
ellte Betrach ungen über die Zähigkeit der 
Liebe an. welche d:e Jungen und die Alten 
ihre quälende und doch das Leben versüßende 
Macht fühlen läßt. 
Anna von Ehlarn hatte das Richtige ge 
troffen. Die heranmarschirende Pension sehen, 
der Abtrumpfung der Gestrengen gedenken und 
linksum in die nächste Seitenstraße kurz ein 
biegen, war bei Hans Mohrberg das Werk 
eines Augenblicks gewesen. 
Freilich hinderte ihn dies nicht, jetzt, wo 
Fräulein von Osterwald hinter den Häusern 
verschwunden, einem Theil der Pensionsfräulein, 
und unter diesen zum Glück auch Fanny 
Schönwolff, welcher aber noch sichtbar war, 
einen schmachtenden Gruß hinüber zu senden. 
„Gut angebracht," hörte er jetzt Anna von 
Ehlarn's Stimme, „die Liebe ist so blind, 
daß sie selbst so große Geschöpfe, wie ich 
eins bin, übersieht und in Grund und Boden 
bohrt." Hans und Anna wären beinahe 
aneinandergerannt. 
„Gnädiges Fräulein — entschuldigen Sie 
gütigst —." 
„Alles!" 
„Gnädig wie immer." Hans grüßte sehr 
verbindlich 
„Nur mitfühlend. Ja — so mitfühlend, 
um Ihnen eine große Freude zu bereiten. 
Bitte aber darob nicht deckenhoch zu springen, 
und Diskretion. 
„Auf Wort." 
„Also — Excellenz Mäurer legt am l. 
Juli sein Amt als Hoftheaterintendant nieder 
und hofmarschallirt nur, Kammerherr von 
Schönwolff übernimmt seine Stelle, zieht 
hierher und Fanny " 
„Wird frei und kommt nach Hause. 
„Ja so ist es — aber — die Frau Kammer 
herrin — wehe — wehe — ob sie weniger 
Cerberus ist, wie Fräulen Osterwald — das 
ist die Frage." 
Anna grüßte freundlich und ging weiter, 
Hans, über das ganze Gesicht lachend, zurück 
lassend. 
Aber — seine heitere Miene änderte sich 
plötzlich Ş— wozu sollte das eigentlich führen? 
„Wo sich Nichts — mit Nichts verbindet, 
da giebt es keinen guten Klang," deklamirte 
er im Weitergehen vor sich hin. „Ach was, 
wer denkt gleich an's Heirathen! Wir lieben 
uns, das ist ja vorläufig genug." : — 
Hans verlor sich in ein Labyrinth von 
Gedanken, durch welches sich als rother Faden 
das herzerhebende Gefühl zog, durch Fanny 
hnn f,„~jti. ^ ... 
von Schönwolff's Liebe beglückt zu werden. 
Der letzte Blick Frau von Römhild's, den 
sie aus dem Coupsfenster warf, traf Heinz 
Königshofen, dann lehnte sie sich in die Kissen 
zurück, schloß die Augen und fuhr in dem 
Gefühle, einer großen Gefahr entronnen zu 
sein, dahin. Hätte sie ihn doch nicht gesehen 
—- Wäre cs nicht wenigstens besser geweserx 
sie hätte ihn nicht so herzlich gegrüßt? 
Würde ein kalter Gruß nicht sein heißes 
Blut abgekühlt haben? Und war das nicht 
nothwendig zu seinem — zu ihrem Glück? — 
„Daß dem Menschen die richtige Ucber- 
legung meistens zu spät kommt! Warum folgt 
man nur meist seinem ersten Impulse?" 
Gedrückten Gemüthes fuhr Frau von Röm- 
hild in die schöne Frühlingswelt hinaus, auf 
welche sich plötzlich ein düsterer Schleier 
senkte. — 
Hatte sich bis jetzt der Frühling nur schüch 
tern dem thüringischen Thal genaht, so brach 
er nun mit Macht herein, Alles grün und 
blüthenüberfluthet. Die Menschheit athmete 
auf und erging sich so viel als möglich im 
Freien. 
Auch Heinz durchstreifte die Gegend, meist 
einsam, seinen Gedanken an Frau von Röm 
hild nachhängend, oder sich in seine Rollen 
vertiefend. Aber Bertha nahm sein Fühlen 
und Denken zu sehr für sich in Anspruch, 
so daß seine Kunst dadurch beeinträchtigt 
wurde. 
Frau von Römhild fehlte ihm überall, ihr 
künstlerischer Rath, ihr freundliches Zureden, 
wenn er an seinem Talente zweifelte, jetzt 
vermissend, wo er oft kaum im Stande, sich 
in die von dem Dichter gezeichneten Charaktere 
zu vertiefen. Namenloses Sehnen erfaßte 
ihn und trieb ihn ruhelos von Ort zu Ort. 
Nur selten traf er einen Bekannten, nur 
zuweilen den Hofmarschall, der ebenso wie er 
die stillsten Wege, die schattigsten Waldungen 
aufsuchte. Wie kam es nur, daß ihm beim 
Anblick dieses Mannes, dem er schon so viel 
Gutes zu verdanken hatte und von dem er 
noch mehr erhoffte, ein Unbehagen beschlich? 
Wenn Heinz nicht Alles täuschte, so ging cs 
Herrn von Mäurer, der eine gewisse Be 
fangenheit nicht zu unterdrücken vermochte, 
wenn sich ihre Wege kreuzten, ebenso. „Wie 
geht es Ihnen? Studiren Sie fleißig? Ich 
habe mich geffeut, Sie zu sehen," waren die 
gewöhnlichen Redensarten, welche er an ihn 
richtete. 
Wunderbarer Weise hatte er niemals das 
Gespräch auf Frau von Römhild gebracht, 
und als Heinz ihn einmal fragte, ob er Nach- 
richten von der gnädigen Frau erhalten habe, 
hatte er schon halb im Weitergehen flüchtig 
geantwortet, daß sie glücklich angelangt sei, 
ihre Tochter verhältnißmäßig wohl getroffen 
habe und sich selbst der besten Gesundheit er 
freue. 
Zu seinem Schrecken erfuhr Heinz einige 
Wochen später, daß sich die Verhältnisse bei 
Hofe wirklich so verändert hätten, wie man 
es sich in der Residenz zugeflüstert hatte. — 
Herr von Mäurer hatte das Theater ab 
gegeben und Herr von Schönwolff war an 
seine Stelle getreten. 
Doch dieser Schrecken wich bald einem an 
deren Gefühl. Fast war es Königshofen lieb, 
daß er nicht mehr von dem Urtheil Herrn 
von Mäurers abhing, dessen Benehmen jetzt 
o ganz und gar anders geworden war, wenn 
er ihm auch nach wie vor mit Höflichkeit be 
gegnete. Abcr diese Höflichkeit war von einem 
eisigen Hauche durchweht. 
Heinz hatte Anna von Ehlarn nur selten 
- Kvfchernt täglich. 
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