Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

V.; 
unwidersprochen. Nur die erstgenannte 
Behauptung erfährt heute einen heftigen 
Anprall in ,der neuesten Entdeckung 
des bekannten französischen Astronomen 
Flammarion. Zwar nennen die unbe 
quemen Zeitgen ossen den Mann einen Phan 
tasten, aber das Gleiche haben die Zeitge 
nosscn des Copernikus und Galilei auch gesagt, 
somit darauf ist nicht viel zu geben. Also 
Flammarion behauptet uud führt aus 
das; unsere Erde elf Ha uptbew egung ei 
ausführe. Erstens fliegt sie mit einer 
Schnelligkeit von 29450 Meter in der 
Sekunde durch den Weltraum. Es ist eine 
Kanonenkugel, welche mit einer fünfund- 
siebenzigmal größeren Schnelligkeit fliegt 
als eine Granate, und die unaufhörlich 
fliegt, ohne je ihr Ziel zu erreichen. In 
365 Tagen 6 Stunde 9 Minuten 10 
Sekunden ist das Erdenprojektil an dem 
selben Punkt seines Ausgangspunktes endlich 
wieder angelangt, und fliegt immer fort. 
Die Sonne ihrerseits verändert ihre 
Stellung im Raume längs einer zur Ebene 
der Erdbahn schiefen Linie, welche auf das 
Sternbild des Herkules gerichtet ist. Da 
raus ergiebt sich, daß die Erde, statt eine 
geschlossene Kurve zu beschreiben, eine 
Spirale beschreibt und nie zwei Mal den 
selben Weg gemacht hat, seit sie besteht. 
Zu ihrer jährlichen Umlauf-Bewegung kommt 
als zweite Bewegung diejenige der Sonne 
selbst, welche sie sammt dem ganzen Sonnen- 
system in schief absteigender Linie gegen 
das Sternbild des Herkules nach sich zieht 
Während jener Zeit dreht sich unser Erd 
kügelchen in 24 Stunden um sich selbst, 
und verschafft uns die Aufeinanderfolge der 
Tage und Nächte. Tägliche Umdrehung: 
dritte Bewegung. Da die Neigung der 
Erde zur Sonne sich von Jahrhundert zu 
Jahrhundert ändert, so ist dies die vierte 
Bewegung. Die Ellipse ändert sich von 
Jahrhundert zu Jahrhundert: fünfte Be- 
wegung. Aber auch im Raume ändert sich 
diese Ellipse und dreht sich in ihrer eigenen 
Ebene in einer Periode von 21000 Jahren: 
sechste Bewegung. Die Achse selbst ist nicht 
fest, sie dreht sich in 24765 Jahren und 
behält dabei ihre Neigung von 22 bis 24 
Graden, so daß ihre Verlängerung um 
den Pol der Ekliptik einen durch die Epochen 
bedingten Kreis von 44 bis 48 Graden 
im Durchmesser beschreibt. In Folge dieser 
Verschiebung des Poles wird Vega (in der 
Leier) in 12000 Iahen Polarstern werden, 
wie sie es vor 14 000 Jahren gewesen ist. 
Siebente Art der Bewegung. Eine achte 
Bewegung, die von der Einwirkung des 
Mondes auf die Aequatorial-Anschwellung 
der Erde herrührt, nämlich diejenige des 
Schwankens, läßt den Pol des Aequalors 
in 18 Jahren und 8 Monaten eine kleine 
Ellipse beschreiben. Eine neunte, welche 
gleichfalls der Anziehung unseres Satelliten 
beizumessen ist, verändert unaufhörlich die 
Lage des Schwerpunktes des Erdballs und 
die Stelle der Erde im Raume; wenn der 
Mond uns voraus ist, beschleunigt er den 
Gang des Erdballs; wenn er hinter uns 
ist, hält er uns im Gegentheil zurück wie 
ein Zügel: eine monatliche Komplikation 
die noch zu allen früheren hinzukommt. 
Wenn die Erde zwischen der Sonne und 
Jupiter hindurchgeht, bewirkt die Anziehung 
des letzteren, trotz seiner Entfernung von 
etwa 107 Millionen Meilen, eine Ab 
weichung von 2,10 Mtr. jenseits, die An 
Ziehung der Venus eine solche von 1,25 Mtr. 
diesseits ihrer absoluten Bahn. Saturn 
und Mars wirken auch ein, aber schwächer. 
Es sind dies äußere Störungen, welche 
eine zehnte Art von Berichtigungen 
bilden, die zu den Bewegungen unseres 
Himmelschiffchens hinzukommen. Da das 
Gesammtgewicht der Planeten ungefähr den 
600. Theil des Gewichtes der Sonne aus 
macht, so liegt der Schwerpunkt, um wel 
chen die Erde jährlich ihren Kreislau : 
vollendet, niemals im Mittelpunkt der 
Sonne selbst, sondern weit ab von dem 
selben und oft sogar außerhalb des Sonnen 
balls. Absolut gesprochen, dreht sich die 
Erde daher nicht um die Sonne, sondern 
beide Gestirne, Sonne und Erde, drehen 
sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. 
Der Mittelpunkt der jährlichen Bewegung 
unseres Planeten verändert also beständig 
seine Stelle, und wir können auch diese 
elfte Verschlingung der Bahnen den vorigen 
zuzählen. 
schm Anlagen durchschnitt und zwischen dem 
knospenden Buschwerk sichtbar wurde. Lorenz 
wandte den Kopf schnell dahin und schwenkte 
den Hut. 
„Optische Täuschung," sagte Anna jetzt, 
„dieser flatternde Gruß galt nicht uns, sondern 
Herrn Heinz Königshofen, der dort am 
Kreuzungspunkte steht." 
Lorenz entgegnete kein Wort, sondern nickte 
nur zustimmend mit dem Kopfe. 
„Aber warum war der angehende Mime 
nicht auf der Bahn ?" fragte Anna unbefangen. 
„Als Frau von Römhild's Schüler hätte er 
doch die Verpflichtung dazu gehabt." 
„Ja, weiß ich's?" gab der Hofmarschall 
kurz zurück, in seinem Innern immer niehr 
beunruhigt. Ein Glück, daß Fräulein von 
Ehlarn nur in ihrer harmlosen Weise über 
Heinz weiterplauderte, so daß ihr die Ber- 
stimnitheit ihres Begleiters entging. 
(Fortsetzung folgt.) 
Oesterreich. 
Aus Tyrol, 16. Aug. Einen wahrhaft 
bewundernswerthen Gebirgsmarsch 
haben am 11. d. Mts. 5 Bataillone des 
Tiroler Kaiserjäger-Regiments 
ausgeführt. Dieselben wurden aus dem 
Pusterthal zu den im Unterinnthal statt 
findenden Manövern herangezogen und 
hatten infolgedessen den Zillerthaler Ge 
birgskanim zu überwinden. Ein Bataillon 
das als Vorhut vom Arnthal aus (wie 
die obere nordöstliche Fortsetzung des bei 
Bruneck in das Pusterthal einmündenden 
Taufererthales heißt) vorausgeschickt worden 
war, hatte am 10. Abends bereits das 
2555 Meter hohe Hundskehljoch über 
schritten und war daun auf der Bärnbald 
alpe über Nacht geblieben. Die anderen 
Bataillone brachen am 11. um 2 und 
Uhr früh von Steinhaus und St. Peter 
im Arnthal auf und marfchirten theils über 
das 2555 Meter hohe Hundskehljoch, theils 
über das Hörndeloch (2548 Mtr.), theils 
über das Napfjoch durch den Zillergrund 
nach Mayrhofen, das nach 16 bis 19stün 
digem Marsch erreicht wurde. Das 9. 
Bataillon, das über die Hundskehle ging, 
legte den Weg nach Mayrhofen, ohne zu 
rasten, in 14 Std. zurück. Eine Offiziers 
Patrouille, bestehend aus einem General 
tabsoffizier, einem Jäger-Lieutenant und 
6 Mann, nahm den Weg über das 2880 
Bieter hohe Keilbachjoch und das Stillup 
thal nach Mayrhofen. Regen und Schnee 
gestöber, auf dem mit tiefem Schnee be 
deckten Joch ein heftiger Nordwind, der 
Marsch über den Stillupgletscher machten 
diese Parthie zu der schwierigsten. Aber 
auch die Bataillone hatten große Wider 
wärtigkeiten zu ertragen. Vom Regen 
durchnäßt, kamen sie dann in ein Schnee 
gestöber. Ein Bataillon mußte, da es 
den für seinen Marsch bestimmten Joch 
Übergang gänzlich unpassirbar fand, 
einen weiten Umweg machen, um über das 
Napfjoch in das jenseitige Thal zu gelangen. 
Von den Bataillonsparthien war dies die 
schwierigste; sie beanspruchte 19 Stunden. 
Bei zwei andern Bataillonen verloren die 
Führer an einer Stelle, wo eine einen 
halben Meter breite Muhre herabgegangen 
war und alles überschüttet hatte, den Weg 
der erst nach längerem Suchen tttieberge 
müden wurde. Den einzelnen Bataillonen 
waren konzessionirte Bergführer aus dem 
Ahrnthal beigegeben. Jeder Zug hatte 
rrner für die nächtliche Wanderung eine 
Laterne, die allerdings nicht viel Licht bot. 
Die Soldaten waren in Marsch-Adjustierung. 
Auf den schmalen Bergwegen konnte immer 
nur einer hinter dem anderen gehen, so 
daß eine Reihe oft eine Stunde lang war. 
Marode gab es, bis auf einen Mann, der 
den Fuß verstauchte, nicht. 
Wien, 20. Aug. „Pullman und das 
Haus Oesterreich." Der amerikanische 
Waggonfabrikant Pullman, in dessen 
Etablissement in jüngster Zeit ein für die 
amerikanischen Verhältnisse so folgenschwerer 
Streik zum Ausbruch gekommen war, be 
findet sich gegenwärtig mit seiner Gattin 
und Tochter, der künftigen Prinzessin 
Isenburg-Birstcin, in Paris und wird, 
wie das „B. T." meldet, demnächst nach 
Deutschland kommen. Herr Pullman 
strebt nämlich darnach, daß seine Tochter 
noch vor ihrer Vermählung mit dem 
Prinzen Isenburg den Adelstitel in einem 
deutschen Kleinstaate erhalte, weil das noth 
wendig ist, wenn die aus der Ehe hervor- 
gehenden Kinder als ebenbürtige Isenburgs 
angesehen werden sollen. Im Hinblick da 
rauf, daß Prinz Isenburg, als Enkel des 
Großherzogs von Toskana, mit dem öfter 
reichischen Kaiserhause verwandt ist, hat 
der „Temps" den Artikel, in welchem er 
die Bemühungen Pullmans, des ehemaligen 
Zimmermans aus Nassau, um die Adels 
erwerbung bespricht, die Ueberfchrift gegeben, 
die wir dieser Notiz als Spitzmarke vor- 
ausgesetzt haben. 
Die Tochter des Polizeidirektors 
in Graz — so wird aus der steierischen 
Landeshauptstadt geschrieben — darf sich 
eines seltenen Scharfsinns und außer 
gewö hnlichen Menschenkenntniß rühmen. 
Der jungen, liebreizenden Dame ist es zu 
verdanken, daß ein kühner Hochstapler/, 
auf dem obendrein der Verdacht lastet, daß 
er ei» gefährlicher internationaler Ein 
brecher sei, gleichsam in letzter Stunde 
noch, ehe er einen sorgfältig vorbereiteten 
argen Streich ausführte, entlarvt wurde. 
Kam da vor etwa Monatsfrist ein eleganter 
junger Mann nach Graz und logirke sich 
einem guten Hotel ein. Er gab sich 
für einen wohlsituirten „Staats- 
genieur" aus und lebte auf großem 
Fuße. Es gelang ihm, mit angesehenen 
Kreisen Verbindungen anzuknüpfen und 
verkehrte u. A. mit dem Polizeidirektor 
Regierungsrath Hölzl, mit dem Chef der 
Sicherheitsbehörde Stadtrath R. v. Wiser, 
mit hohen Militärpersonen rc. Der Fremde, 
der sich Gustav v. Mihanovics nannte, 
verlobte sich auch mit einer jungen, 
chönen Dame, Fräulein Helene L., der 
Tochter der Wittwe eines hochstehenden 
Offiziers, und drang darauf, daß die Hoch 
zeit recht bald, spätestens am Sonnabend, 
den 18. d. stattfinde. Als die Braut und 
deren Mutter hierzu ihre Einwilligung 
gegeben hatten, traf er alle Vorbereitungen, 
bestellte ein glänzendes Hochzeitsmahl und 
lud die beste Gesellschaft der Stadt zu 
Gaste. Alles ging glatt von Statten. 
Zwei Tage vor der Hochzeit machte der 
Staatsingenieur seinen offiziellen Besuch 
beim Polizeipräsidenten, traf diesen aber 
nicht zu Hause und wurde von dessen 
Tochter, Fräulein Hölzl, empfangen. Und 
dies ward ihm zum Verhäugniß. Fräulein 
Hölzl faßte während der kurzen förmlichen 
Visite entschiedenes Mißtrauen gegen den 
Mann, mit dem die Häupter der Sicher 
heitsbehörden und viele Andere arglos ver 
kehrten; die junge Dame theilte ihr Miß- 
trauen ihrem Vater mit, der hierdurch 
stutzig wurde und Nachforschungen an 
stellen ließ, die schließlich dahin führten, 
daß der angebliche Herr v. Mihanovics, 
dessen richtiger Name zur Stunde noch 
nicht ermittelt ist, als Schwindler v e r - 
haftet wurde. Wie schon bemerkt, be 
steht der Verdacht, daß der nun dingfest 
gemachte Hochstapler auch ein h ö ch st g e- 
fährlicher Einbrecher sei. Die 
eingeleitete Untersuchung dürfte hierüber 
Aufklärung geben. 
Nach Meldungen der Blätter aus Fiume 
dauert der Brand der Magazine in 
dem Freihafengebiet, durch eine Bora 
neu angefacht, fort. Das Magazin Nr. 7, 
in dem sich noch Spiritusvorräthe befinden, 
steht in vollen Flammen. 
Ein unangenehmes Abenteuer 
begegnete dieser Tage einer aus Serbien 
in Fiume eingetroffenen Lehrerin. Die 
Dame, die einen ganz ansehnlichen Anflug 
von Schnurrbart besitzt und infolge einer 
erst kürzlich überstandenen Krankheit das 
Haar kurz geschnitten trägt, erregte den 
Verdacht der Polizeiwache in Fiume, welche 
einen verkappten jungen Mann witterte. 
Die Dame wurde also trotz ihres Sträu- 
bens verhaftet und zur Polizeiwache ge- 
bracht. Dort klärte sich der Irrthum na- 
türlich rasch auf und die Dame wurde 
unter den lebhaftesten Entschuldigungen 
des Polizeikommissars entlassen. Dem 
Vernehmen nach hat das Fräulein sich 
durch das serbische Konsulat beim Polizei- 
Präsidium in Fiume über die Affaire be- 
schwert. — Sollte es nicht zweckmäßig sein, 
wenn die Dame, um in Zukunft ähnlichen 
Mißverständnissen zu entgehen, die Hilfe 
eines Barbiers in Anspruch nähme? 
Aus Brünn kommen folgende Mitthei- 
lungen über einen bemerken?werthen prä- 
historischen Fund, deren fachmännische 
Bestätigung allerdings abzuwarten bleibt: 
In Predmost bei Prerau, welch ersterer 
Ort als eine Fundgrube prähistorischer 
Objekte bekannt ist, hat dieser Tage der 
Director der Ober-Realschule in Teltsch, 
Konservator Maschka, einen hochinteressanten 
Fund gemacht. Er läßt seit einer Reihe 
von Jahren in Predmost Grabungen durch 
führen und hat bereits Knochenreste von 
mehr als 200 Mammuths aufgedeckt. 
Dieser Tage nun fand er neben Mammuth- 
knochen die noch gut erhaltenen Knochen- 
feste einer ganzen diluvialen Familie 
von sechs Personen. Besonders das 
Skelett des Mannes ist sehr gut erhalten 
und von riesigen Dimensionen. Der Fund 
ist um so interessanter, als er der erste 
dieser Art in Mittel- und Nord-Europa 
ist und auch als eine Widerlegung der 
von dem dänischen Fachgelehrten Steenstrup 
aufgestellten Behauptung anzusehen wäre, 
daß gleichzeitig mit dem Mammuth keine 
Menschen gelebt haben. Direktor Maschka 
wird, der „N. Fr. Pr." zufolge, in den 
nächsten Tagen der Zentral-Kommission in 
Wien Bericht hierüber erstatten. 
Inland. 
—- Die große Flottenschau vor dem 
a if er findet nach der „Magdeb. Ztg." 
am 13. September statt. 
Berlin, 20. Aug. Von der hiesigen 
japanischen Gesandtschaft wird dem „B. 
T." die Nachricht, daß in Japan eine 
Verordnung zur Aufnahme einer Anleihe 
von 50 Milli on en D o llars ergangen 
ist, bestätigt. 
— Vom ostasialischen Kriegs 
schauplätze liegen folgende Londoner 
Meldungen vor: Nach einer Shaughaier 
Depesche fanden bei Pingrang kleinere 
Gefechte zwischen den Japanern und 
Chinesen statt. Ein großes Treffen wird 
demnächst dort erwartet. Der aus Victoria 
(Britisch Columbia) am 17. August einge 
troffene Postdampfer überbringt ausführ- 
liche Meldungen über die ersten kriegerischen 
Operationen auf Korea. Die Japaner 
kaperten ein chinesisches Avisoboot, darauf 
wurde das chinesische Kriegsschiff „Tsien- 
Iuen" genommen, wobei 16 Mann ge- 
tödtet wurden, während das chinesische 
Kriegsschiff einen japanischen Kreuzer 1. 
Klasse, dessen Name nicht angegeben war, 
in den Grund bohrte. Nach Meldungen 
aus Yokohama nimmt die kriegerische 
Stimmung in Japan zu. Die Verfassungs 
reformpartei erließ ein Manifest, in dem 
sie aufforderte, die japanische Armee müffe 
in China einfallen und den Frieden unter 
den Mauern von Peking diktiren. In 
den feindlichen Heeren auf Korea soll 
Krankheit herrschen. In China er- 
wacht der Fremdenhaß wieder. Die 
chinesischen Wachen am Arsenal von Wei- 
Hai-Wei feuerten auf die wegen des 
Kriegsausbruches entlassenen Arsenalbe- 
amten, größtenteils Engländerund Sch otten 
als sie das Arsenal verließen. 
— In der Affaire des Generallieute- 
chants z. D. Kirchhof steht nach den 
„Potsd. Nachr." demnächst wieder ein 
neuer Prozeß bevor. Am 21. April 
1893 hatte bekanntlich gegen den Redakteur 
der sozialdemokratischen „Brandenburger 
Zeitung" Ferdinand Ewald vor der Straf 
kammer Termin wegen Beleidigung der 
höheren Offiziere der Garnison Branden- 
burg, in welchem Ewald zu zwei Monaten 
Gefängniß verurtheilt wurde. In diesem 
Termin wurden nun der Handschuhmacher 
H. Paasch und der Restaurateur G 
Schneider aus Brandenburg als Zeugen 
vernommen, welche s. Zt. Ewald Mit- 
theilung von dem bekannten Gerücht gemacht 
hatten. Sie hatten diese Mittheilung von 
dem Kellner Steffer, der als Soldat 
Bursche bei Generallieutenant KirchhcO 
war, erhalten und Steffer wurde deshalb 
gleichfalls als Zeuge vernommen, gab aber 
eine sehr schwankende und unsichere Aus 
sage ab. Steffer wurde später, weil 
die betreffenden Mittheilungen an Paasch 
und Schneider gemacht, vom Kriegsgericht 
zu einer längeren Gefängnißstrafe verur 
theilt. Generallieutenant Kirchhof hat 
şllber nunmehr auch gegen Paasch und 
Schneider Strafantrag wegen Beleidigung 
(übler Nachrede) gestellt und zwar behauptet 
er, daß er erst am 20. Oktober v. I. 
also V 2 Jahre nach dem Termin gegen 
Ewald, von den Aussagen derselben Kennt- 
niß erlangt hat. Zu der Verhandlung 
I gegen Paasch und Schneider, die demnächst 
vor der Brandenburger Strafkammer statt 
findet, sind Ewald und Generallieutenant 
Kirchhof als Zeugen geladen. 
— Der sozialistische „Vorwärts" 
kommt noch einmal in einer interessanten 
Darlegung auf die sachlich als richtig an- 
erkannte Berechnung der „F. Z." auf das 
gegenwärtige Durchschnittseinkommen von 
932 Mk. zurück und hat mit dem Zuge- 
ständniß dieser Richtigkeit eine wichtige 
I Position aufgegeben, welche die Sozialdemo 
kratie bisher lebhaft behauptete. Um nun 
diesen Rückgang an dieser Stelle wieder 
auszugleichen, tritt der „Vorwärts" mit 
lder Behauptung hervor, daß der „sprin 
gende Punkt" übersehen worden sei, 
nämlich der, daß es im sozialdemokratischen 
Zukunftsstaat keine Arbeitslosen 
mehr gäbe. Wenn dies der springende 
Punkt ist, dann ist die Sache für den 
I „Vorwärts" abermals verfehlt. Bor allem 
muß heute noch unterschieden werden zwi 
schen solchen Arbeitslosen, die da gern 
arbeiten wollen, aber keine Arbeit bekom 
men können und solchen, die Arbeit bekam- 
men können, aber nicht arbeiten wollen 
Wir lassen es dahingestellt, wie viele Ar- 
beitslose zur letzten Kategorie gehören, da 
uns statistisches Material darüber nicht 
zur Verfügung steht. Soviel aber steht 
fest, daß die gegenwärtig Arbeitslosen zum 
weitaus größten Theile nicht g e r a d 
Idas arbeiten wollen und nicht 
gerade an demjenigen Orte arbei 
ten wollen, wo sich Arbeitsgelegenheit 
findet, auch wollen sie sich nicht 
mit den, angebotenen Lohn be 
gnügen. Der sozialdemokratische Zu 
kunftsstaat macht sich es allerdings leicht 
Er gestattet nicht die frei 
Wahl derArbeit, auch nicht di 
Freizügigkeit. Wer nicht verhun 
gern will muß arbei ten. (Bebel.) Un 
ter der Organisation des sozialistischen Zu 
kunftsstaates muß sich Jedermann der „ein 
heitlichen Produktion" zur Verfügung 
stellen und jede ihm zugewiesene Arbeit 
für den Normallohn verrichten. Haben 
sich dies die Anhänger der Sozialdemo 
kratie schon einmal praktisch vor die Augen 
geführt? Man vergegenwärtige sich, daß 
Niemand die Wahl seiner Arbeit unv 
seines Domizils frei hat! — Besteht ferner 
[ber sozialistische Zukunftsstaat aus lauter 
Engeln? Nein, aus fehlenden Menschen 
und da ist es natürlich, daß diejenigen 
sozialistischen Führer und Amtleute des 
Zukunftsstaates, welche die „Organisation 
der Produktion" zu übernehmen haben, 
ihren Freunden oder Demjenigen, dem sie 
wohlwollen die Arbeit an ihrem Domicil 
und die ihnen genehme Arbeit übertragen 
während die Anderen verschickt werden 
oder jede Arbeit übernehmen müssen 
zu welcher sie nicht im Geringsten quali 
ftciren. Man denke sich einen berühmten 
Operateur und Professor als Tischler, 
arbeitend fur den Normallohn von höch- 
şis’Jä 932 Mk.! Man denke sich einen 
Schullehrer arbeitend in den Latrinen und 
einen Kohlengräber als Professor der Elek 
trRechnik, einen talentirten Musiker als 
Schornsteinfeger und einen Hausknecht als 
Musikdirektor. Es könnte ja gerade in 
den Branchen an Leuten fehlen, in welchen 
lUeberfluß in den anderen vorhanden ist. 
Man denke sich die Summe von Unzu 
friedenheit unter den Anhängern der So 
zialdemokratie s e l b st, von denen heute 
! Viele ein verhältnißmäßig l e i ch t e Ar 
beitsstelle zu über Normallohn inne haben, 
die sie später unter der Z u k u n f t s - Or 
ganisation des sozialistischen Staates 
mit einem sehr schweren Arbeitsdienst für 
den Normallohn zu verrichten haben wür 
den! Wenn das also der „springende 
Punkt" sein soll, im Zukunstsstaat dadurch 
die Arbeitslosigkeit zu regeln, daß jeder ş 
dahin dirigirt wird, wo Ärbeitsfälle 'vor 
handen ist, dann ist der Svrung eben ein 
Fehlsprung und auch diese Position der 
Sozialdemokratie unhaltbar. 
— Viele fortschrittliche Blät 
ter veröffentlichen den Programm- 
Entwurf der freisinnigen 
Volks Partei. Er enthält folgende 
şinkte: Die freiheitliche Ausgestaltung 
des Gemeinwesens erheischt Aufrechterhab 
tung ver bundesstaatlichen Grundlaae deê 
Deutschen Reiches, Entwickelung eines wahr 
haft constitutionellen Verfassungslebens, 
Minister- Verantwortlichkeit, Reichs - Mini 
sterien, einjährige Finanzperioden, jährlich- 
Steuer-Bewilligung u. s. w.; Gleichheit 
vor dem Gesetz; Schutz der freien Mei- 
nungs-Aeußerung; volksthümliche Rechts 
pflege. Die Volksbildung erheischt unent 
geltlichen Volksschulunterricht. Die Wohl- 
ahrt der Familie fordert Förderung der 
Gesundheitspflege und der Wohnungsver- 
Haltnisse. In sozialpolitischer Beziehung 
Beförderung aller auf fried- 
Verständigung zielenden Einrichtungen, 
gesetzliche Anerkennung der freien Berufs- 
Vereine als berechtigte Jnteressen-Vertre- 
tungen; Sicherung der Coalitions-Freiheit 
und der Freizügigkeit; Ausbau der Arbeiter- 
Gesetzgebung, besonders zum Schutze der 
Arbeitnehmer gegen mißbräuchliche Anfor 
derungen an ihre Arbeitskraft; zeitgemäße 
Regelung der Rechtsverhältnisse der in 
Haus- und Landwirthschaft beschäftigten 
Personen, Vereinfachung unv Verbesserung 
der Arbeiter-Versicherung, namentlich auch 
durch Förderung der auf Selbsthülfe und 
Selbstverwaltung beruhenden freien Organi 
sationen der Arbeiter. Mit dem Schutz 
der freien Meinungsäußerung können wir 
uns nur sehr bedingungsweise einverstanden 
erklären, mit der Sicherung der Coalitions- 
Freiheit und der Freizügigkeit noch weni 
ger, da wenigstens die Coalitions-Freiheit 
zu argen Mißbräuchen Veranlassung ge 
geben hat. 
Bor etwa zwei Jahren wurde auf dem 
Wege zwischen Französisch-Buchholz und 
Schönerlinde, in der Umgegend von Berlin, 
der Handelsmann Mützelburg durch zwei 
Strolche ermordet. Einer der Mörder 
Namens Kühn wurde ergriffen und hinge 
richtet; der andere, in dem die Ermittelungen 
des damaligen Strafverfahrens den jetzt 
erst 23 Jahre alten Arbeiter Hahn er 
kennen ließen, entkam und blieb trotz aller 
Nachforschungen unauffindbar. Erst kürz 
lich hat ihn sein Geschick erreicht. Schon 
-eit Wochen hatten verschiedene Leute, die 
auf der Feldmark von Weißensee arbeiteten, 
bemerkt, daß sich dort ein Mann mit auf 
fallend krummen Beinen umhertrieb. Der 
Mann zeigte ein sehr scheues ängstliches 
Wesen, und dadurch wurden die Leute 
auf ihn aufmerksam. Als er sich nun 
dieser Tage wieder dort sehen ließ, suchte 
man ihn zu stellen. Sofort ergriff er über 
die Feldmarken hinweg die Flucht, aber 
die in der Nähe beschäftigten Leute blieben 
hinten ihm her und als er nach einer 
längeren Hetzjagd auf den Blankenburger 
Rieselfeldern strauchelte, wurde er mit 
Hülfe eines inzwischen bereits verständigten 
Gendarmen ergriffen und gefesselt. In 
dem Festgenommenen wurde, den „B. N- 
N." zufolge, der lange gesuchte Hahn er 
kannt und in das Untersuchungsgefängniß 
zu Moabit eingeliefert. 
8m Mai d. I. hatte sich ein Bürger 
Eisleben, dessen Haus in der Zeißing- 
traße durch die Erdbewegungen 
ehr gelitten hat, mit einer Eingabe 
an den Kaiser gewandt. Darauf 
ist dem Bittsteller vom Minister für Handel 
und Gewerbe ein ganz ablehnender 
Bescheid zugegangen, in dem es heißt, 
„daß nach Anhörung des königl. Oberberg- 
amts zu Halle ein bestimmter Anhalt da- 
ür, ob die an den Häusern der Zeißing- 
ttatze und Umgebung hervorgetretenen Be- 
chadigungen lediglich aus Grundwasser- 
Verhältnisse und schlechten Baugrund, oder 
aber auf die mit dem Bergbau zusammen- 
-längenden Vorgänge im Erdinnern zurück 
zuführen sind, sich jedenfalls erst wird ge 
winnen lassen, wenn die Trockenlegung der 
Grubenbaue der Mansfelder Gewerkschaft 
erheblich weiter vorgeschritten sein wird. 
Bis dahin dürften aber noch mehrere 
Monate vergehen. Uebrigens bemerke ich, 
daß, selbst wenn ein Verwaltungsbeamter 
sich für den Zusammenhang zwischen dem 
gewerkschaftlichen Bergbau und den frag 
lichen Hausbeschädigungen aussprechen 
ollte, daraus für die Gewerkschaft noch 
nicht die Verpflichtung zu Ihrer Ent- 
chädigung erwachsen würde. Vielmehr 
kann diese Verpflichtung nur durch ein 
Erkenntniß des zuständigen Gerichts fest- 
östgestellt werden, dessen Einwirkung Ihnen 
anheimgestellt werden muß." Es vergeht 
wohl kein Tag, an dem nicht Erdstöße 
stattfinden. Die Wasserkalamität dauert 
Folge dessen in Eisleben fort. Daß 
die Prioatleitungen abgestellt sind, hat für 
Betriebe, die ihr Wasser durch dieselben 
zugeführt bekommen, große Nachtheile, 
B. fur die Brauereien, welche in Folge 
dessen nicht brauen können. Durch die 
Erdsenkungen sind bis jetzt etwa 115 
Häuser in Mitleidenschaft gezogen. Viele 
Häuser sind bereits geräumt und weitere 
werden voraussichtlich bald geräumt. 
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