Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 2)

Bezugspreis: 
Vierteljährlich 2 Jt.—, frei ins Haus geliefert 
2 Ji 15 Ļ 
für Auswärtige, durch die Post bezogen 
2 Ji 25 d> 
fetcL Postprovision re., jedoch ohne Bestellgeld. 
JusertisnsprciS: pro Peützeile 15 Ķ 
Aeltestes und gelesenstes KlatL im Kreise Uendsbnrg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
87ster Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie daZ 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigcgeben. 
3000 Aboimelttcu. 
Wo. 184. 
Mittwoch, öen 8. August 
1894. 
Morgen-Depeschen. 
London, 8. Aug. Aus Cowes wird ge 
meldet: Gestern Abend fand im Schloß 
Osborne zu Ehren des deutschen Kaisers 
Familientafel rinter Vorsitz der Königin 
statt, welcher der Kaiser und sämmtliche 
Mitglieder des königlichen Hauses, sowie 
Lord Rosebery, Lord Spencer, der deutsche 
Botschafter Graf Hatzfeldt und zahlreiche 
Offiziere beiwohnten. Der Kaiser trug die 
Uniform seines englischen Dragoner-Rego 
ments mit Band und Stern des Hosen> 
bandordens; er saß zur Rechten der Königin. 
Nach dem Mahle begab sich der Kaiser 
wieder an Bord der „Hohenzollern", welche 
den Mittelpunkt der glänzenden Illumination 
der in der Bucht liegenden Kriegs- und 
Handelsschiffe bildete. Heute betheiligte 
sich der Kaiser an Bord seiner Dacht 
„Meteor" an der Hachtwettfahrt um den 
Ehrenpreis der Königin. Am Freitag be 
sichtigt der Kaiser das Truppenlager von 
Aldershot. 
Cowes, 8. Aug. Der Kaiser wohnt 
an Bord der „Hohenzollern"; er begab 
sich heute früh an Bord des „Meteor", 
der im heutigen Wettrennen um den 
Queens-challenge-Cub concurrirt. Von den 
coneurrirendenIachtengehört die,, Britannia" 
dem Prinzen von Wales; der Herzog von 
Jork befindet sich an Bord der „Britannia." 
' Kiel, 8. Aug. Der Kaiser wird Mitte 
Dezember die gesummte Herbst-Manöver 
slotte besichtigen. 
Berlin, 8. Aug. Nach einer Mittheilung 
der „Militärisch-Politischen Correspondenz" 
ans Frankfurt a. M. soll der Finanz- 
minister Dr. Miguel dortigen Freunden 
gegenüber seit geraumer Zeit wiederholt 
den Wunsch zu erkennen gegeben haben, 
sich in's Privatleben zurückzuziehen. (Diese 
Nachricht wird wohl bald wieder dementirt 
werden. Red.) 
Berlin, 8. Aug. Die Abendblätter ver 
öffentlichen die Unterredung eines Bericht- 
erstatters mit dem Fürsten Bismarck in 
Barzin, in welcher sich Letzterer über die 
Anarchistengefahr äußerte. Aus seinen 
Aeußerungen ging hervor, daß der Fürst 
von internationalen Maßregeln und Ver 
einbarungen gegen die Anarchisten nicht 
besonders viel hält, da man in dieser Be 
ziehung viel zu versprechen, aber wenig 
zu halten pflege. Wenn nur jeder Staat 
innerhalb seiner Grenzen gehörig dafür 
Sorge trüge, daß keine anarchistischen 
Komplotte ausgeheckt würden, dann würde 
bald wieder Ruhe und Ordnung in das 
Land zurückgekehrt sein. Da aber liege 
der wunde Punkt. 
Potsdam, 7. Aug. Bei dem heutigen 
Gewitter schlug der Blitz bald nach vier 
Uhr im Neuen Palais ein; er fuhr in die 
Telegraphenleitung und setzte die Alarm 
vorrichtungen in Bewegung, wodurch die 
Feuerwehren vom Neuen Palais und von 
Potsdam alarmirt wurden und sofort zur 
Stelle eilten. Irgend welcher Schaden ist 
nicht entstanden. 
Berlin, 8. Aug. Ein Säbelduell hat, 
wie nachträglich bekannt wird, am vorigen 
Donnerstag früh im Walde bei dem Vor 
ort Zanthen zwischen einem Berliner 
Studenten und einem sächsischen Assessor 
stattgefunden. Der Letztere hatte bereits 
eine Brustwunde erhalten, als der Zwei- 
kämpf plötzlich abgebrochen wurde, weil 
sich zwei fremde Personen dem Platze 
näherten. Jnfvlgcdeffen fuhren die Duellanten 
mit ihren Begleitern schleunigst davon. 
Mainz, 8. Aug. Der Polizeikom 
missar Lämmersdorf, der s. Zt. sehr 
hohe Beamte belästigte, dann für geistig 
gestört erklärt wurde, überfiel und verletzte 
leicht einen sozialistischen Redakteur, der 
hierüber Artikel gebracht hatte. 
München, 7. Aug. Wie der „Münchener 
Bote" aus T r a u n st e in meldet, ist 
Landgerichtsrath Gruber ans dem Hohen 
Göhl bei Berchtesgaden verunglückt und 
alsbald gestorben. 
Mittwcida, 8. Aug. Wegen socialistischer 
Umtriebe hat die Polizei die diesige frei- 
willige Feuerwehr ausgelöst. 
Wilhelmshaven, 7. Aug. Gestern Abend 
gegen 9 Uhr gab ein vor einigen Tagen 
entlassener Kellner auf ein am Kanalweg 
wohnendes Mädchen in dessen Wohnung 
einen Revolverschuß ab, wodurch es so 
schwere Verletzungen im Unterleib erhielt, 
daß alsbald die Ueberführung ins Kranken 
haus erfolgen niußte. Als der flüchtige 
Verbrecher verfolgt wurde, gab er auf den 
Wirth des Hauses noch vier Schüsse ab. 
Nachdem man den Flüchtling ergriffen, 
wurde er der Polizei abgeliefert. In 
seinen Taschen fand man noch 36 Re- 
volverpatronen. 
Amiwciler, 8. Aug. Die Maschinen 
fabrik von Tschendschel & Schmitz ist in 
letzter Nacht niedergebrannt. 
Graz, 8. Aug. Der Streik der 250 
Faßbinder der Brauerei Reiningshausen 
sowie der über diese Brauerei verhängte 
Bierboykott ist beendet, nachdem die For 
derungen der Arbeiter auf einen täglichen 
Haustrunk von 6 Litern Bier und auf 
Erhöhung des Monatslohnes um zwei 
Gulden bewilligt wurden. 
Kopenhagen, 8. August. Der Conseil 
Präsident Estrup reichte heute seine De- 
mission ein. Der König nahm sic an 
und entledigte demgemäß heute sämmt 
liche Minister ihrer Functionen. Er er 
nannte darauf den bisherigen Minister des 
Aeußeren, Baron von Reedtz-Thott, zum 
Conseilspräsidenten und zum Minister des 
Aeußern, den bisherigen Justizminister 
Nellemann zum Justizminister und Minister 
für Island, den Generallieutenant C. F. 
A. Thomsen zum Kriegsminister, den bis 
herigen Marineminister Ravn zum Minister 
für Marine, den bisherigen Minister für 
öffentliche Arbeiten, Jngerslew, zum Minister 
für öffentliche Arbeiten, den Gutsbesitzer 
Kammerherr C. D. Luettichau zum Finanz 
minister, den bisherigen Minister des 
Innern, Hoerring, zum Minister des 
Innern und den Stiftsamtmann zu Aarhus, 
Wilhelm Bardenfleth, zum Cultusminister. 
London, 8. Aug. Auf einer Vergnü 
gungsfahrt in einem Boote sind am 
Mittwoch in dem Flusse Mawdeach in 
Wales zehn Personen ertrunken. Das 
überladene Boot wurde von einer Sturz 
welle überschwemmt und kenterte. 
Livorno, 8. Aug. Luch es i gestand die 
Ermordung des Publicisten Bandi ein und 
machte Mittheilungen, die dem Prozeß 
eine überraschende Wendung geben. 
Rom, 8. Aug. Die italienische Re 
gierung beabsichtigt, in Assab eine Straf 
kolonie zu errichten und ein Gefängniß 
für 2000 Personen zu erbauen. 
Paris, 8. Aug. In der gestrigen Ver 
handlung des großen Anarchistenprozesses 
erklärte der angeklagte Ministerialbeamte 
Fen^on, er habe als Mitarbeiter eines 
Anorchistenblattes nur Artikel über Kunst 
und Litteratur veröffentlicht. Das in 
einem Schreibtisch vorgefundene Material 
zur Bombenanfertigung habe ihm sein 
Vater hinterlassen. Fenäon sowohl, als 
auch Matha und Ortiz leugneten beharr- 
li'ch, mit Emile Henry in irgend welchen 
Beziehungen gestanden zu haben. 
Washington, 8. Aug. Die amerikanischen 
Blätter besprechen die anarchistische Be- 
wegung in Europa und drücken die Hoff- 
nung aus, daß die Repräsentantenkammer 
die vom Senate gegen die Einwanderung 
von Anarchisten aus Europa beschlossenen 
Maßregeln voll und ganz genehmigen werde. 
Chicago, 8. Aug. Die Streikenden aus 
den Viehdepots, sowie die Arbeiter und 
Beamten der Pacificbahn haben die Wieder 
aufnahme der Arbeit beschlossen. Auch die 
Ausständigen der Bahnen in Südkarolina 
und Neumexiko wollen ihre Thätigkeit 
unter den alten Bedingungen wieder auf. 
nehmen. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Ein in Canton erscheinendes chinesisches 
Blatt schildert folgendermaßen die Be 
handlung, die in Hongkong den Pest 
kranken zu Theil wird: „Wenn ein 
Individuum von der Pest befallen wird, 
lassen es die englischen Behörden in das 
schwimmende Hospital schaffen, das auf der 
Rhede liegt. Hier läßt man es erst einen 
halben Liter Alkohol, der mit allerlei 
Spezereien vermischt ist, verschlucken. Dann 
legt man ihm sechs Pfund Eis auf den 
Kopf, und auch der Magen, die Hände 
und die Füße werden mit Eis belastet. 
Diese Kur hält unter zehn Kranken kaum 
einer aus. Aus Abneigung gegen eine so 
grausame Behandlung der Pestkranken und 
mehr noch aus Furcht vor dem gemein 
samen Massengrabe suchen die Chinesen in 
Hongkong in jeder erdenklichen Weise die 
'anitären Vorschriften der englischen Be- 
Hörden zu umgehen und entschließen sich, 
wenn es sein muß, zum Auszuge nach den 
gastlichen Mauern Cantons. 400000 Chi- 
nesen, die Hälfte der Einwohnerschaft von 
Hongkong, ist bereits ausgewandert und 
noch nimmt die Bewegung ihren Fortgang. 
Das hat in Canton ein Gefühl der Er 
bitterung und des Haffes gegen alle Euro 
päer wachgerufen; die feindselige Stimmung 
gegen alles Ausländische, die in dieser 
Stadt stets latent war, ist jetzt unverhüllt 
zum Ausbruch gelangt. Man fürchtet 
nicht mit Unrecht, daß von heute auf 
morgen eine wahre Revolution gegen die 
Fremden eintreten kann." 
Frankretib. 
Paris, 7. Aug. Carnot's Gemahlin be 
gab sich am Sonnabend in Begleitung 
ihrer beiden Söhne Sadi und Ernest Car 
not ins Pantheon, wo sie auf dem Sarge 
des Verewigten einen Kranz von massivem 
Silber und außerordentlich kunstvoller Ar- 
beit, 2 Palmenzweige darstellend, die durch 
ein dreifaches Band verbunden sind, nieder 
legte. Der Kranz ist ein Geschenk der 
Stadt Petersburg. Der Zulauf des Pu 
blikums nach dem Pantheon hat immer 
noch nicht nachgelassen. Am Sonnabend 
wurde die Gruft, die Carnot's sterbliche 
Hülle enthält, von 10 000 Personen be 
sucht. 
Paris, 7. Aug. Das Todesurtheil 
Caserios wird nun auch von den Blät 
tern, welche Vaillant und Henry mildernde 
Umstände zubilligten, vollständig ge 
billigt und seine Hinrichtung sogar von 
den Blättern, welche sich grundsätzlich 
gegen die Vollstreckung der Todesstrafe 
aussprechen, ohne jede Schonung gefordert. 
— Die belgische sozialistische Presse 
dagegen wiederholt gelegentlich der Ver- 
urtheilung Caserios die zu Gunsten ?der 
Anarchisten vor längerer Zeit unternommene 
Campagne gegen die Todesstrafe. 
Also das Morden ist erlaubt, aber die 
Vollstreckung der Todesstrafe für 
den Mord nicht. Nette Grundsätze! 
Toulon, 7. Aug. Der Polizeidirektor 
erhielt einen Drohbrief, worin mitgetheilt 
wird, sein Haus werde in die Luft ge- 
sprengt werden, weil er in den letzten 
Tagen fünf Anarchisten habe verhaften 
lassen. 
Paris, 7. August. (Anarchistenprozeß.) 
Nach der Verlesung der Anklageschrift 
stellte der Staatsanlvalt den Antrag, der 
Gerichtshof möge die Veröffentlichung der 
Verhandlungen untersagen. Einer der 
Vertheidiger bekämpfte dieses Verlangen, 
worauf der Gerichtshof beschloß, daß nur 
die Veröffentlichung des Verhörs der An- 
geklagten Grave und Faure untersagt sein 
solle. Der Präsident begann hierauf mit 
dem Verhöre Jean Grave's, der sich als 
Schriftsteller bezeichnet. 
In dem G e f a n g e n e n h a u s e von 
Clairvaux haben die Gefangenen das 
Mobiliar in Stücke geschlagen und einen 
Wärter verwundet; 36 Rädelsführer sind 
verhaftet worden. 
Italien 
Ein Prozeß wegen Soldatenmißhandlnng- 
wurde in Padua gegen den italienischen 
Lieutnant Blanc verhandelt. Es handelte 
sich um die gegen den Soldaten Evangelisti 
verübten Mißhandlungen, deren Mittheilung 
allgemeines Aufsehen verursacht hatte. 
Blanc wurde zu sechs Monaten 20 Tagen 
Gefängniß und 500 Frcs. Geldstrafe ver- 
urtheilt. Das ist allerdings eine Strafe, 
welche zu der furchtbaren Grausamkeit der 
Mißhandlungen in keinem Verhältniß steht. 
Es scheint nicht einmal, daß der Lieutnant 
aus dem Militär ausgestoßen ist. Bei 
solchen Vorkommnissen kann allerdings das 
Mn« sagt. 
Roman von E. von Wald-Zedtwitz 
„Goldhuhn is gut!" ließ sich jetzt der 
alte Weichmann vernehmen, der bald fünfzig 
Jahre bei der Hofbühne war und mit er 
staunlicher Konsequenz an den stummen 
Kammerdienerrollen festgehalten hatte. „Min- 
Naken, wenn Sie ein Goldhuhn wärm und 
goldene — —• ‘ 
„Still, Weichmann — für Sie —.» 
Die Rede der hübschen, kleinen, etwas 
schniachtcnd aussehenden Blondme wurde durch 
die nahende Kellnerin unterbrochen, welche 
Mit einem Arm voll Bierseidel erschien und 
das Unglück hatte, den halben Inhalt eines 
derselben Herrn Schnfterlc in den Schooß zu 
gießen. 
„Mädel, ich hänge Dich!" rief Schusterle 
und sprang auf, sie mit beiden Händen in's 
Genick fassend. „Geh' — ich will groß- 
müthig sein — und zum Zeichen der Ver 
gebung — dieses!" Ein schallender. Kuß 
von dm Uebrigen durch ein lautes „Bravo" 
begrüßt, brannte auf ihrer Wange. 
„Mutter Pflaumen, Mutter Pflaumen, 
lassen Sie sich doch selber küssen, dazu bin 
ich nich da!" rief das Mädchen lachend, und 
lief, den Schauspieler zurückstoßend, eilig davon. 
Heinz nahm Platz. Witze auf Witze, nicht 
gerade der feinsten Art, flogen herüber und 
hinüber, von den jungen Mädchen oft recht 
herzlich belacht. Die Stimmung wurde immer 
Ausgelassener, einige der Damm begannen 
v>it Heinz, der ihnen einen vertrauenerweckenden 
Eindruck zu machen schien, tüchtig zu koket 
ten, während andere, die Spröden spielend, 
Möglichst kurze Antworten auf seine Fragen 
haben, oder dieselben garnicht beantworteten. 
Eine ähnliche Behandlung hatte er von 
Seiten der Herren zu erfahren, indem sich ihm 
einige auffallend vertraulich näherten, während 
die Träger größerer Rollen ihn von oben 
herab betrachteten. 
„Also Sie wollen auch in's Unglück spa 
zieren?" fragte ihn ein junger Mensch, der 
sich inzwischen auf dm Platz gesetzt, welchen 
die Blondine inne gehabt, die sich einen an 
deren Stuhl geholt hatte, weil das Kokettirm 
mit dmi „Grünen" ihr vorläufig wenigstens 
ohne jede Aussicht erschien. 
„Wenn ich Talent dazu habe," antwortete 
Heinz. 
«Talent? Talent?" fuhr der andere mit 
verhimmelndem Augmaufschlag fort. „Wie 
fv!* valent? — Connection, krummbuckeln, 
tct v n wer's kann, ordentlich schmieren 
da bekommt man Rollen! — Aber so 
oha — ohall^'"""^' slUf 9 crabem Wege 
Der junge blasse Mann schlug sich auf 
L.?Ä.7LL'b.-Äch-.',k,„' 
„Ich kann — ein - ^ed — da 
von — singen. — Em Lied — e ; n o ieb 
was zum Himmel schreit!" Diese Worte warm 
mit hohlem Pathos gesprochen, und die Gcsichts- 
muskeln des Sprechers spielten, als ob der 
selbe an Magcnkrämpfm litt. 
„Sinn, Sie werden es schon schaffen 
ja — ja — mein prophetischer Blick liest 
in der Zukunft." — 
„Ich hoffe, durch nicine eigene Kraft 
„Eigene Kraft! ? — Kind! Mann mit 
dem Gemüth eines Babys! — Ha — ha 
— ha — ha — ha — ha. — Was wäre 
ich, wenn es auf eigene Kraft ankäme! ?" 
Heinz schwieg, dieser Mensch war ihm un 
erträglich. Offenbar hatte er schon reichliches 
Bier genossen, jetzt setzte er eine sogenannte 
Nachtmütze, einen steifen Grog, darauf, sprach 
immer eifriger auf Heinz ein, wobei er ihm 
näher rückte, ihm dm Zigarrenqualm und 
seinen alkoholduftenden Athem in's Gesicht 
blies! Dazu die geschraubten Reden, die 
krampfhafte Anwendung von dieser oder jener 
Stelle aus irgend einem Stück, die vielen 
schlechten Witze, das an dm Haaren herbei 
gezogene Pathos, das ganze wüste Treiben, 
welches sich immer mehr steigerte und immer 
lauter wurde, dieser Rollcnneid, der Mangel 
an künstlerischer Begeisterung, der bei Manchem 
zu Tage trat, kurzum — Heinz Königshofen 
fühlte sich grenzenlos unbehaglich. 
Kaum hörte und sah er noch, was um 
ihn vorging; still seine Zigarre rauchend, 
gedachte er mit einem gewissen Grauen jener 
Zeit, wo er mehr oder minder auf die 
Gesellschaft dieser Leute angewiesen sein würde. 
Diese wenig angenehme Aussicht trübte sich 
aber noch mehr bei dem Gedanken, daß die 
Meisten der hier Versamnielten in ihrem 
schauspielerischen Können, bis jetzt wenigstens, 
über ihm standen und mit einer gewissen 
Selbstüberhebung auf ihn hcrabblickm würden. 
Und wie würde sich die andere Gesellschaft, 
in welcher er bis jetzt gelebt und sich wohl 
gefühlt hatte, ihm gegenüber verhalten? Mit 
einem Schlage wurde es ihm klar, daß er 
Angestammtes und Liebgewordenes aufgab, 
um Unsympathisches dafür zu erlangen. Des 
Treibens müde, erhob sich Heinz und verab 
schiedete sich. 
Kaum hatte sich die Thüre hinter ihm in's 
Schloß gezogen, so bestürmten die Kunstjünger 
und ihre Damen die Wirthin, um von ihr 
Näheres über ihn zu erfahren. 
„Das is ein Feiner — ein Stolzer — 
mi, wenn man so gestellt is, wie der da! 
Sie deutete mit den Daumen über die 
Schulter nach der Thür hin, durch welche 
Heinz Königshofen cbm hinausgegangen war. 
„Er verkehrt auch drüben mit die Rothen, 
und eine Wohnung hat er, förschtlich 
förschtlich. — Der kleine Lieutnant Mohrberg 
hat es mich erzählt. Wenn der bei Sie 
kommt —- na — na ich sage gar nix 
das wird gefährlich! Ha — ha — ha 
Ha — ha — ha —." 
Die alte Wirthin warf den jungen Mädchen 
einen vielsagenden Blick zu und lachte dabei, 
daß ihr wohlgenährter Körper wie ein um 
gestürztes Weingclöe zitterte. 
Heinz trat eben in die Stube „drüben" ein, 
von den hier versammelten Offizieren und 
Referendaren freundlich begrüßt. Auch Hans 
Mohrberg war zugegen, und wenn Heinz 
auch nicht gerade die Gespräche über Dienst 
und Avancement interessirten, so wurde doch 
hier Manches verhandelt, an welchem er leb 
haften Antheil nahm, auf alle Fälle athmete 
er erleichtert auf und fühlte sich glücklich, sich 
in einer Gesellschaft zu befinden, in welche 
er hincingehörtc. 
„Es ist nachtschlafene Zeit," meinte Hans 
endlich. „Schon zwölf, morgen hcißt's wieder 
'rüh auf und langsamen Schritt machen." 
Mütze und Paletot nehmend, wünschte er 
allseitig gute Nacht. 
„Nimm mich mit, Hans," sagte Königs 
hofen. 
„Herzlich gern." 
Bald darauf schritten beide Freunde, welche 
einen gemeinsanicn Heimweg hatten, durch 
die schlecht erleuchteten Straßen. Dicker 
Nebel lag auf der kleinen Stadt, und dm 
wenigen Laternen war cs nicht vergönnt, ihn 
siegreich zu überwinden. 
„Ein abscheuliches Wetter, huh, mich friert; 
weißt Du was, Junge, du guckst erst noch 
einmal bei mir vor, ich braue •— 
„Brauen ist mir ein angenehmes Wort, 
ich gucke," fiel Hans Mohrberg ein. Bald 
zog Heinz den kculmähnlichen Hausschlüssel 
aus dem Ueberziehcr und öffnete die keine, 
in das mächtige eichene Thor eingelassene 
Pforte seines Hauses. 
„So, da hätten wir Licht." Hans ent 
zündete ein Wachsstreichhölzchm, die Beiden 
tappten die Treppe hinauf und saßen bald 
in deni angenehm durchwärmten und erleuch 
teten Wohnzimmer. 
„Wie hast Du dm heutigen Abend ver 
bracht, Heinz?" fragte Hans, indem er sich 
umständlich eine der vorzüglichen Havannas 
eines Freundes anzündete. Heinz berührte 
diese Frage nicht angenehm, sie erinnerte ihn 
wieder an jene Stunde, die er „drüben" ver 
lebte. 
„Ich war im Künstlerzinimer," antwortete 
er, indem er die Spirituslampe anzündete 
und den Wasserkessel aufsetzte. 
„So, na, wie haben Dir denn Deine 
künftigen Kollegen gefallen?" 
„O — nun 
„Na, lern' sie erst einmal näher kennen." 
„Du lieber Gott, räudige Schafe giebt es 
überall." 
„Ja, das wohl, aber doch nicht so viele, 
als da. Ich könnte mich da nicht wohl 
Ahlen; ja, wenn man nur mit dm Größen 
zu thun hätte, aber die werden natürlich auf 
Dich, als dm Anfänger, noch mit souveräner 
Verachtung herabsehen — weißt Du, ich kann 
mir Dich noch garnicht darunter denken." 
-ķ- Erscheint tâgLich.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.