Bezugspreis:
Vierteljährlich 2 Jt.—, frei ins Haus geliefert
2 Ji 15 Ļ
für Auswärtige, durch die Post bezogen
2 Ji 25 d>
fetcL Postprovision re., jedoch ohne Bestellgeld.
JusertisnsprciS: pro Peützeile 15 Ķ
Aeltestes und gelesenstes KlatL im Kreise Uendsbnrg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
87ster Jahrgang.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Als Beilagen
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie daZ
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigcgeben.
3000 Aboimelttcu.
Wo. 184.
Mittwoch, öen 8. August
1894.
Morgen-Depeschen.
London, 8. Aug. Aus Cowes wird ge
meldet: Gestern Abend fand im Schloß
Osborne zu Ehren des deutschen Kaisers
Familientafel rinter Vorsitz der Königin
statt, welcher der Kaiser und sämmtliche
Mitglieder des königlichen Hauses, sowie
Lord Rosebery, Lord Spencer, der deutsche
Botschafter Graf Hatzfeldt und zahlreiche
Offiziere beiwohnten. Der Kaiser trug die
Uniform seines englischen Dragoner-Rego
ments mit Band und Stern des Hosen>
bandordens; er saß zur Rechten der Königin.
Nach dem Mahle begab sich der Kaiser
wieder an Bord der „Hohenzollern", welche
den Mittelpunkt der glänzenden Illumination
der in der Bucht liegenden Kriegs- und
Handelsschiffe bildete. Heute betheiligte
sich der Kaiser an Bord seiner Dacht
„Meteor" an der Hachtwettfahrt um den
Ehrenpreis der Königin. Am Freitag be
sichtigt der Kaiser das Truppenlager von
Aldershot.
Cowes, 8. Aug. Der Kaiser wohnt
an Bord der „Hohenzollern"; er begab
sich heute früh an Bord des „Meteor",
der im heutigen Wettrennen um den
Queens-challenge-Cub concurrirt. Von den
coneurrirendenIachtengehört die,, Britannia"
dem Prinzen von Wales; der Herzog von
Jork befindet sich an Bord der „Britannia."
' Kiel, 8. Aug. Der Kaiser wird Mitte
Dezember die gesummte Herbst-Manöver
slotte besichtigen.
Berlin, 8. Aug. Nach einer Mittheilung
der „Militärisch-Politischen Correspondenz"
ans Frankfurt a. M. soll der Finanz-
minister Dr. Miguel dortigen Freunden
gegenüber seit geraumer Zeit wiederholt
den Wunsch zu erkennen gegeben haben,
sich in's Privatleben zurückzuziehen. (Diese
Nachricht wird wohl bald wieder dementirt
werden. Red.)
Berlin, 8. Aug. Die Abendblätter ver
öffentlichen die Unterredung eines Bericht-
erstatters mit dem Fürsten Bismarck in
Barzin, in welcher sich Letzterer über die
Anarchistengefahr äußerte. Aus seinen
Aeußerungen ging hervor, daß der Fürst
von internationalen Maßregeln und Ver
einbarungen gegen die Anarchisten nicht
besonders viel hält, da man in dieser Be
ziehung viel zu versprechen, aber wenig
zu halten pflege. Wenn nur jeder Staat
innerhalb seiner Grenzen gehörig dafür
Sorge trüge, daß keine anarchistischen
Komplotte ausgeheckt würden, dann würde
bald wieder Ruhe und Ordnung in das
Land zurückgekehrt sein. Da aber liege
der wunde Punkt.
Potsdam, 7. Aug. Bei dem heutigen
Gewitter schlug der Blitz bald nach vier
Uhr im Neuen Palais ein; er fuhr in die
Telegraphenleitung und setzte die Alarm
vorrichtungen in Bewegung, wodurch die
Feuerwehren vom Neuen Palais und von
Potsdam alarmirt wurden und sofort zur
Stelle eilten. Irgend welcher Schaden ist
nicht entstanden.
Berlin, 8. Aug. Ein Säbelduell hat,
wie nachträglich bekannt wird, am vorigen
Donnerstag früh im Walde bei dem Vor
ort Zanthen zwischen einem Berliner
Studenten und einem sächsischen Assessor
stattgefunden. Der Letztere hatte bereits
eine Brustwunde erhalten, als der Zwei-
kämpf plötzlich abgebrochen wurde, weil
sich zwei fremde Personen dem Platze
näherten. Jnfvlgcdeffen fuhren die Duellanten
mit ihren Begleitern schleunigst davon.
Mainz, 8. Aug. Der Polizeikom
missar Lämmersdorf, der s. Zt. sehr
hohe Beamte belästigte, dann für geistig
gestört erklärt wurde, überfiel und verletzte
leicht einen sozialistischen Redakteur, der
hierüber Artikel gebracht hatte.
München, 7. Aug. Wie der „Münchener
Bote" aus T r a u n st e in meldet, ist
Landgerichtsrath Gruber ans dem Hohen
Göhl bei Berchtesgaden verunglückt und
alsbald gestorben.
Mittwcida, 8. Aug. Wegen socialistischer
Umtriebe hat die Polizei die diesige frei-
willige Feuerwehr ausgelöst.
Wilhelmshaven, 7. Aug. Gestern Abend
gegen 9 Uhr gab ein vor einigen Tagen
entlassener Kellner auf ein am Kanalweg
wohnendes Mädchen in dessen Wohnung
einen Revolverschuß ab, wodurch es so
schwere Verletzungen im Unterleib erhielt,
daß alsbald die Ueberführung ins Kranken
haus erfolgen niußte. Als der flüchtige
Verbrecher verfolgt wurde, gab er auf den
Wirth des Hauses noch vier Schüsse ab.
Nachdem man den Flüchtling ergriffen,
wurde er der Polizei abgeliefert. In
seinen Taschen fand man noch 36 Re-
volverpatronen.
Amiwciler, 8. Aug. Die Maschinen
fabrik von Tschendschel & Schmitz ist in
letzter Nacht niedergebrannt.
Graz, 8. Aug. Der Streik der 250
Faßbinder der Brauerei Reiningshausen
sowie der über diese Brauerei verhängte
Bierboykott ist beendet, nachdem die For
derungen der Arbeiter auf einen täglichen
Haustrunk von 6 Litern Bier und auf
Erhöhung des Monatslohnes um zwei
Gulden bewilligt wurden.
Kopenhagen, 8. August. Der Conseil
Präsident Estrup reichte heute seine De-
mission ein. Der König nahm sic an
und entledigte demgemäß heute sämmt
liche Minister ihrer Functionen. Er er
nannte darauf den bisherigen Minister des
Aeußeren, Baron von Reedtz-Thott, zum
Conseilspräsidenten und zum Minister des
Aeußern, den bisherigen Justizminister
Nellemann zum Justizminister und Minister
für Island, den Generallieutenant C. F.
A. Thomsen zum Kriegsminister, den bis
herigen Marineminister Ravn zum Minister
für Marine, den bisherigen Minister für
öffentliche Arbeiten, Jngerslew, zum Minister
für öffentliche Arbeiten, den Gutsbesitzer
Kammerherr C. D. Luettichau zum Finanz
minister, den bisherigen Minister des
Innern, Hoerring, zum Minister des
Innern und den Stiftsamtmann zu Aarhus,
Wilhelm Bardenfleth, zum Cultusminister.
London, 8. Aug. Auf einer Vergnü
gungsfahrt in einem Boote sind am
Mittwoch in dem Flusse Mawdeach in
Wales zehn Personen ertrunken. Das
überladene Boot wurde von einer Sturz
welle überschwemmt und kenterte.
Livorno, 8. Aug. Luch es i gestand die
Ermordung des Publicisten Bandi ein und
machte Mittheilungen, die dem Prozeß
eine überraschende Wendung geben.
Rom, 8. Aug. Die italienische Re
gierung beabsichtigt, in Assab eine Straf
kolonie zu errichten und ein Gefängniß
für 2000 Personen zu erbauen.
Paris, 8. Aug. In der gestrigen Ver
handlung des großen Anarchistenprozesses
erklärte der angeklagte Ministerialbeamte
Fen^on, er habe als Mitarbeiter eines
Anorchistenblattes nur Artikel über Kunst
und Litteratur veröffentlicht. Das in
einem Schreibtisch vorgefundene Material
zur Bombenanfertigung habe ihm sein
Vater hinterlassen. Fenäon sowohl, als
auch Matha und Ortiz leugneten beharr-
li'ch, mit Emile Henry in irgend welchen
Beziehungen gestanden zu haben.
Washington, 8. Aug. Die amerikanischen
Blätter besprechen die anarchistische Be-
wegung in Europa und drücken die Hoff-
nung aus, daß die Repräsentantenkammer
die vom Senate gegen die Einwanderung
von Anarchisten aus Europa beschlossenen
Maßregeln voll und ganz genehmigen werde.
Chicago, 8. Aug. Die Streikenden aus
den Viehdepots, sowie die Arbeiter und
Beamten der Pacificbahn haben die Wieder
aufnahme der Arbeit beschlossen. Auch die
Ausständigen der Bahnen in Südkarolina
und Neumexiko wollen ihre Thätigkeit
unter den alten Bedingungen wieder auf.
nehmen.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Ein in Canton erscheinendes chinesisches
Blatt schildert folgendermaßen die Be
handlung, die in Hongkong den Pest
kranken zu Theil wird: „Wenn ein
Individuum von der Pest befallen wird,
lassen es die englischen Behörden in das
schwimmende Hospital schaffen, das auf der
Rhede liegt. Hier läßt man es erst einen
halben Liter Alkohol, der mit allerlei
Spezereien vermischt ist, verschlucken. Dann
legt man ihm sechs Pfund Eis auf den
Kopf, und auch der Magen, die Hände
und die Füße werden mit Eis belastet.
Diese Kur hält unter zehn Kranken kaum
einer aus. Aus Abneigung gegen eine so
grausame Behandlung der Pestkranken und
mehr noch aus Furcht vor dem gemein
samen Massengrabe suchen die Chinesen in
Hongkong in jeder erdenklichen Weise die
'anitären Vorschriften der englischen Be-
Hörden zu umgehen und entschließen sich,
wenn es sein muß, zum Auszuge nach den
gastlichen Mauern Cantons. 400000 Chi-
nesen, die Hälfte der Einwohnerschaft von
Hongkong, ist bereits ausgewandert und
noch nimmt die Bewegung ihren Fortgang.
Das hat in Canton ein Gefühl der Er
bitterung und des Haffes gegen alle Euro
päer wachgerufen; die feindselige Stimmung
gegen alles Ausländische, die in dieser
Stadt stets latent war, ist jetzt unverhüllt
zum Ausbruch gelangt. Man fürchtet
nicht mit Unrecht, daß von heute auf
morgen eine wahre Revolution gegen die
Fremden eintreten kann."
Frankretib.
Paris, 7. Aug. Carnot's Gemahlin be
gab sich am Sonnabend in Begleitung
ihrer beiden Söhne Sadi und Ernest Car
not ins Pantheon, wo sie auf dem Sarge
des Verewigten einen Kranz von massivem
Silber und außerordentlich kunstvoller Ar-
beit, 2 Palmenzweige darstellend, die durch
ein dreifaches Band verbunden sind, nieder
legte. Der Kranz ist ein Geschenk der
Stadt Petersburg. Der Zulauf des Pu
blikums nach dem Pantheon hat immer
noch nicht nachgelassen. Am Sonnabend
wurde die Gruft, die Carnot's sterbliche
Hülle enthält, von 10 000 Personen be
sucht.
Paris, 7. Aug. Das Todesurtheil
Caserios wird nun auch von den Blät
tern, welche Vaillant und Henry mildernde
Umstände zubilligten, vollständig ge
billigt und seine Hinrichtung sogar von
den Blättern, welche sich grundsätzlich
gegen die Vollstreckung der Todesstrafe
aussprechen, ohne jede Schonung gefordert.
— Die belgische sozialistische Presse
dagegen wiederholt gelegentlich der Ver-
urtheilung Caserios die zu Gunsten ?der
Anarchisten vor längerer Zeit unternommene
Campagne gegen die Todesstrafe.
Also das Morden ist erlaubt, aber die
Vollstreckung der Todesstrafe für
den Mord nicht. Nette Grundsätze!
Toulon, 7. Aug. Der Polizeidirektor
erhielt einen Drohbrief, worin mitgetheilt
wird, sein Haus werde in die Luft ge-
sprengt werden, weil er in den letzten
Tagen fünf Anarchisten habe verhaften
lassen.
Paris, 7. August. (Anarchistenprozeß.)
Nach der Verlesung der Anklageschrift
stellte der Staatsanlvalt den Antrag, der
Gerichtshof möge die Veröffentlichung der
Verhandlungen untersagen. Einer der
Vertheidiger bekämpfte dieses Verlangen,
worauf der Gerichtshof beschloß, daß nur
die Veröffentlichung des Verhörs der An-
geklagten Grave und Faure untersagt sein
solle. Der Präsident begann hierauf mit
dem Verhöre Jean Grave's, der sich als
Schriftsteller bezeichnet.
In dem G e f a n g e n e n h a u s e von
Clairvaux haben die Gefangenen das
Mobiliar in Stücke geschlagen und einen
Wärter verwundet; 36 Rädelsführer sind
verhaftet worden.
Italien
Ein Prozeß wegen Soldatenmißhandlnng-
wurde in Padua gegen den italienischen
Lieutnant Blanc verhandelt. Es handelte
sich um die gegen den Soldaten Evangelisti
verübten Mißhandlungen, deren Mittheilung
allgemeines Aufsehen verursacht hatte.
Blanc wurde zu sechs Monaten 20 Tagen
Gefängniß und 500 Frcs. Geldstrafe ver-
urtheilt. Das ist allerdings eine Strafe,
welche zu der furchtbaren Grausamkeit der
Mißhandlungen in keinem Verhältniß steht.
Es scheint nicht einmal, daß der Lieutnant
aus dem Militär ausgestoßen ist. Bei
solchen Vorkommnissen kann allerdings das
Mn« sagt.
Roman von E. von Wald-Zedtwitz
„Goldhuhn is gut!" ließ sich jetzt der
alte Weichmann vernehmen, der bald fünfzig
Jahre bei der Hofbühne war und mit er
staunlicher Konsequenz an den stummen
Kammerdienerrollen festgehalten hatte. „Min-
Naken, wenn Sie ein Goldhuhn wärm und
goldene — —• ‘
„Still, Weichmann — für Sie —.»
Die Rede der hübschen, kleinen, etwas
schniachtcnd aussehenden Blondme wurde durch
die nahende Kellnerin unterbrochen, welche
Mit einem Arm voll Bierseidel erschien und
das Unglück hatte, den halben Inhalt eines
derselben Herrn Schnfterlc in den Schooß zu
gießen.
„Mädel, ich hänge Dich!" rief Schusterle
und sprang auf, sie mit beiden Händen in's
Genick fassend. „Geh' — ich will groß-
müthig sein — und zum Zeichen der Ver
gebung — dieses!" Ein schallender. Kuß
von dm Uebrigen durch ein lautes „Bravo"
begrüßt, brannte auf ihrer Wange.
„Mutter Pflaumen, Mutter Pflaumen,
lassen Sie sich doch selber küssen, dazu bin
ich nich da!" rief das Mädchen lachend, und
lief, den Schauspieler zurückstoßend, eilig davon.
Heinz nahm Platz. Witze auf Witze, nicht
gerade der feinsten Art, flogen herüber und
hinüber, von den jungen Mädchen oft recht
herzlich belacht. Die Stimmung wurde immer
Ausgelassener, einige der Damm begannen
v>it Heinz, der ihnen einen vertrauenerweckenden
Eindruck zu machen schien, tüchtig zu koket
ten, während andere, die Spröden spielend,
Möglichst kurze Antworten auf seine Fragen
haben, oder dieselben garnicht beantworteten.
Eine ähnliche Behandlung hatte er von
Seiten der Herren zu erfahren, indem sich ihm
einige auffallend vertraulich näherten, während
die Träger größerer Rollen ihn von oben
herab betrachteten.
„Also Sie wollen auch in's Unglück spa
zieren?" fragte ihn ein junger Mensch, der
sich inzwischen auf dm Platz gesetzt, welchen
die Blondine inne gehabt, die sich einen an
deren Stuhl geholt hatte, weil das Kokettirm
mit dmi „Grünen" ihr vorläufig wenigstens
ohne jede Aussicht erschien.
„Wenn ich Talent dazu habe," antwortete
Heinz.
«Talent? Talent?" fuhr der andere mit
verhimmelndem Augmaufschlag fort. „Wie
fv!* valent? — Connection, krummbuckeln,
tct v n wer's kann, ordentlich schmieren
da bekommt man Rollen! — Aber so
oha — ohall^'"""^' slUf 9 crabem Wege
Der junge blasse Mann schlug sich auf
L.?Ä.7LL'b.-Äch-.',k,„'
„Ich kann — ein - ^ed — da
von — singen. — Em Lied — e ; n o ieb
was zum Himmel schreit!" Diese Worte warm
mit hohlem Pathos gesprochen, und die Gcsichts-
muskeln des Sprechers spielten, als ob der
selbe an Magcnkrämpfm litt.
„Sinn, Sie werden es schon schaffen
ja — ja — mein prophetischer Blick liest
in der Zukunft." —
„Ich hoffe, durch nicine eigene Kraft
„Eigene Kraft! ? — Kind! Mann mit
dem Gemüth eines Babys! — Ha — ha
— ha — ha — ha — ha. — Was wäre
ich, wenn es auf eigene Kraft ankäme! ?"
Heinz schwieg, dieser Mensch war ihm un
erträglich. Offenbar hatte er schon reichliches
Bier genossen, jetzt setzte er eine sogenannte
Nachtmütze, einen steifen Grog, darauf, sprach
immer eifriger auf Heinz ein, wobei er ihm
näher rückte, ihm dm Zigarrenqualm und
seinen alkoholduftenden Athem in's Gesicht
blies! Dazu die geschraubten Reden, die
krampfhafte Anwendung von dieser oder jener
Stelle aus irgend einem Stück, die vielen
schlechten Witze, das an dm Haaren herbei
gezogene Pathos, das ganze wüste Treiben,
welches sich immer mehr steigerte und immer
lauter wurde, dieser Rollcnneid, der Mangel
an künstlerischer Begeisterung, der bei Manchem
zu Tage trat, kurzum — Heinz Königshofen
fühlte sich grenzenlos unbehaglich.
Kaum hörte und sah er noch, was um
ihn vorging; still seine Zigarre rauchend,
gedachte er mit einem gewissen Grauen jener
Zeit, wo er mehr oder minder auf die
Gesellschaft dieser Leute angewiesen sein würde.
Diese wenig angenehme Aussicht trübte sich
aber noch mehr bei dem Gedanken, daß die
Meisten der hier Versamnielten in ihrem
schauspielerischen Können, bis jetzt wenigstens,
über ihm standen und mit einer gewissen
Selbstüberhebung auf ihn hcrabblickm würden.
Und wie würde sich die andere Gesellschaft,
in welcher er bis jetzt gelebt und sich wohl
gefühlt hatte, ihm gegenüber verhalten? Mit
einem Schlage wurde es ihm klar, daß er
Angestammtes und Liebgewordenes aufgab,
um Unsympathisches dafür zu erlangen. Des
Treibens müde, erhob sich Heinz und verab
schiedete sich.
Kaum hatte sich die Thüre hinter ihm in's
Schloß gezogen, so bestürmten die Kunstjünger
und ihre Damen die Wirthin, um von ihr
Näheres über ihn zu erfahren.
„Das is ein Feiner — ein Stolzer —
mi, wenn man so gestellt is, wie der da!
Sie deutete mit den Daumen über die
Schulter nach der Thür hin, durch welche
Heinz Königshofen cbm hinausgegangen war.
„Er verkehrt auch drüben mit die Rothen,
und eine Wohnung hat er, förschtlich
förschtlich. — Der kleine Lieutnant Mohrberg
hat es mich erzählt. Wenn der bei Sie
kommt —- na — na ich sage gar nix
das wird gefährlich! Ha — ha — ha
Ha — ha — ha —."
Die alte Wirthin warf den jungen Mädchen
einen vielsagenden Blick zu und lachte dabei,
daß ihr wohlgenährter Körper wie ein um
gestürztes Weingclöe zitterte.
Heinz trat eben in die Stube „drüben" ein,
von den hier versammelten Offizieren und
Referendaren freundlich begrüßt. Auch Hans
Mohrberg war zugegen, und wenn Heinz
auch nicht gerade die Gespräche über Dienst
und Avancement interessirten, so wurde doch
hier Manches verhandelt, an welchem er leb
haften Antheil nahm, auf alle Fälle athmete
er erleichtert auf und fühlte sich glücklich, sich
in einer Gesellschaft zu befinden, in welche
er hincingehörtc.
„Es ist nachtschlafene Zeit," meinte Hans
endlich. „Schon zwölf, morgen hcißt's wieder
'rüh auf und langsamen Schritt machen."
Mütze und Paletot nehmend, wünschte er
allseitig gute Nacht.
„Nimm mich mit, Hans," sagte Königs
hofen.
„Herzlich gern."
Bald darauf schritten beide Freunde, welche
einen gemeinsanicn Heimweg hatten, durch
die schlecht erleuchteten Straßen. Dicker
Nebel lag auf der kleinen Stadt, und dm
wenigen Laternen war cs nicht vergönnt, ihn
siegreich zu überwinden.
„Ein abscheuliches Wetter, huh, mich friert;
weißt Du was, Junge, du guckst erst noch
einmal bei mir vor, ich braue •—
„Brauen ist mir ein angenehmes Wort,
ich gucke," fiel Hans Mohrberg ein. Bald
zog Heinz den kculmähnlichen Hausschlüssel
aus dem Ueberziehcr und öffnete die keine,
in das mächtige eichene Thor eingelassene
Pforte seines Hauses.
„So, da hätten wir Licht." Hans ent
zündete ein Wachsstreichhölzchm, die Beiden
tappten die Treppe hinauf und saßen bald
in deni angenehm durchwärmten und erleuch
teten Wohnzimmer.
„Wie hast Du dm heutigen Abend ver
bracht, Heinz?" fragte Hans, indem er sich
umständlich eine der vorzüglichen Havannas
eines Freundes anzündete. Heinz berührte
diese Frage nicht angenehm, sie erinnerte ihn
wieder an jene Stunde, die er „drüben" ver
lebte.
„Ich war im Künstlerzinimer," antwortete
er, indem er die Spirituslampe anzündete
und den Wasserkessel aufsetzte.
„So, na, wie haben Dir denn Deine
künftigen Kollegen gefallen?"
„O — nun
„Na, lern' sie erst einmal näher kennen."
„Du lieber Gott, räudige Schafe giebt es
überall."
„Ja, das wohl, aber doch nicht so viele,
als da. Ich könnte mich da nicht wohl
Ahlen; ja, wenn man nur mit dm Größen
zu thun hätte, aber die werden natürlich auf
Dich, als dm Anfänger, noch mit souveräner
Verachtung herabsehen — weißt Du, ich kann
mir Dich noch garnicht darunter denken."
-ķ- Erscheint tâgLich.