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WO. 183.
Dienstag, den 7. August
1894.
Morgen-Depeschen.
Cowes, 6. Aug. Kaiser Wilhelm
ist hier heute Nachmittag 3 Uhr an Bord
der „Hohenzollern" eingetroffen. Der
Kaiser begab sich alsbald nach der Lau
dung der Königin Victoria nach Osborne.
Berlin, 6. August. Heute Mittag fand
in der Mathienstraße ein Zusammenstoß
zwischen den bei den dortigen Asphaltirungs
arbeiten beschäftigten Arbeitern und der
Polizei statt. Die Arbeiter hatten plötzlich
ihre Thätigkeit eingestellt und versuchten,
einige weiterarbeitende Genossen ebenfalls
zur Arbeitseinstellung zu bewegen. Da
es zu tumultuarischen Ruhestörungen kam,
schritten mehrer Polizisten ein, die schließe
lich blank ziehen mußten. Ernstliche Verl
letzungen kamen nicht vor; vier Personen
wurden verhaftet.
Berlin, 6. Aug. Der Fall von Kotze
hatte heute vor der 142. Abtheilung am
Amtsgericht I ein gerichtliches Vorspiel.
Des Betruges angeklagt war der Buch
Halter Schmidt und der Kellner Jakob
Zenner. Beide hatten sich der Familie
des verhafteten Herrn v. Kotze gegenüber
erboten, den Schreiber der anonymen Briefe
zu nennen, falls ihnen hierfür eine Summe
Geldes bewilligt würde. Sie erhielten
thatsächlich eriva 300 Mark, nannten den
Urheber aber nicht, da sie ihn nicht kannten.
Das Urtheil lautete gegen Zenner auf 6
Monate und gegen Schmidt auf 1 Jahr
6 Monate Gefängniß.
Leipzig, 6. August. Wie der „Leipz.
Gencralanz." meldet, hat der sächsische
Generalstaatsanwalt Held die Verfügung
vom Jahre 1891, wonach den Subaltern
beamten der sächsischen Staatsanwaltschaften
die Betheiligung an p o l i t i s ch e n Ver
ein e n untersagt wird, auch auf Kr i e g er
de r e i n e ausgedehnt.
München, 7. Aug. Gestern Nachmittag
ging nach der Meldung eines Korrespondenz,
bureaus ein furchtbares Unwetter
über das Voralpenland hinter München
nieder; es traf besonders schwer Tegern
see und Schliersee, wo der Hagel theil-
weise dreiviertel Stunden lang dauerte.
Aus dem Tegernsee schwammen eine Viertel
stunde lang Hagelkörner von der Größe
eines Taubeneies. Die stärksten Bäume
sollen entwurzelt sein. Der durch den
Tegernsee fließende Albach schwoll enorm
an und richtete Verwüstungen an.
Padua, 6. August. Das im nahen
Dorfe Battoglio gelegene prächtige
Schloß des Erzherzogs Franz Ferdinand
von kOesterre ich-Este brannte in der
verflossenen Nacht gänzlich ab. Der Schaden
beträgt mehr als 300,000 Lire.
Budapest, 6. August. Im Laufe des
gestrigen Tages sind aus den Provinzen 14
größere Brände gemeldet worden, welche
zusammen ein Schaden von etwa fünf
Millionen Gulden verursacht haben.
Budapest, 6. August. Unter den gelb
arbeiten in Alfoeld bei Vasarhely machen
sich wieder ernste Unruhen bemerkbar, so-
daß von Szegedin Militär nach dort ent
sandt worden ist.
Wien, 6. August. In hiesigen informirten
Kreisen ist man der Ansicht, daß die un
garischen Angriffe auf den Grafen Kalnoky
nur darauf abzielen, ihn thatsächlich bis
zum Herbst zu stürzen und den Berliner
Botschafter v. Szögeny-Marich an seinen
Platz zu bringen.
London, 4. August. In Slougk sind
der Fürstin S o l t y k o w Werthe im Be>
trage von 60,000—80,000 Mark ge■
stöhlen worden, während die in einem
Kassenschranke aufbewahrten Juwelen und
anderen Schmucksachen, welche für 240000
Mk. versichert sind, unberührt vorgefunden
wurden.
London, 6. Aug. Der japanisch-chine-
fische Krieg steht hier im Vordergrund des
Interesses; Presse und öffentliche Meinung
beschäftigen sich unausgesetzt mit dem Stand
der Kriegsverhältnisse. Die „Times" pu-
bliziren heute einen Brief des Abgeord-
neten Curzum, welcher konstatirt, daß der
Krieg in Korea durch das japanische Kabi-
net hervorgerufen worden sei. — „Stand-
ard" glaubt an eine ziemlich lange Dauer
des Krieges, weil entscheidende Kämpfe erst
im Frühjahr stattfinden könnten. China
werde mit England und Rußland in eine
„schwierige Situation" kommen, weshalb
die beiden letzteren Mächte gemeinsam vor
gehen sollten, um die Feindseligkeiten auf
zuhalten. Andernfalls werde England die
in den koreanischen Gewässern stationirte
Flotte bedeutend verstärken müssen. —
„Morning Post" meint, die englische Re-
gierung werde Japan niemals die Besitz
ergreifung von Korea gestatten.
London, 7. Aug. Wie eine aus Korea
vorliegende, noch unbestätigte M eldung be
sagt, hat an der Küste von Korea ein
neues Seetreffen stattgefunden, welches mit
Wegnahme dreier chinesischer Kriegsschiffe
endete.
Paris, 6. Aug. Heute Mittag 12 Uhr
begann hier der große Anarchisten-
Prozeß. Den Vorsitz führte der Präff
dent Dahras. Die Anklage vertritt der
Staatsanwalt Bulot, derselbe, gegen den
das Dynamitattentat in der Rue Clichy
gerichtet war. Fünf von den dreißig An
geklagten sind flüchtig und zwar: Paul
Reclus, Pouget, Duprat, Alexander Cohm
und Martin. Auch vier Frauen befinden
sich unter den anwesenden Angeklagten.
Es wird voraussichtlich der Ausschluß der
Oeffentlichkcit bei einzelnen Punkten der
Verhandlung verfügt werden.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Ncwyork, 6. Aug. Nach einem Tele
legramm der „Newyork World" aus Lima
ist eine Anzahl der von den Regierungs
truppen gefangen genommenen Aufstän
di sehen nach kurzem Prozeß erschossen
worden. Die Lage ist kritisch. Die freun
den Kaufleute haben den Schutz der Go
sandschaften angerufen.
Wie dem „Reuter'schen Bureau" aus
Shanghai von heute gemeldet wird, wur
den der japanische Gesandte und sein Ge
folge sowie der japanische Konsul bei ihrer
Abreise von Tientsin von chinesischen Sol
daten angegriffen, ihr Gepäck wurde in
Beschlag genommen. Der Vizekönig hat
andere Truppen gegen die Unruhestifter
vorgehen lassen, wodurch die Ordnung
wieder hergestellt wurde.
Frankreich.
Paris, 6. Aug. Im Anarchisten-
Prozeß verlas der Gerichtsschreiber die
Anklageschrift, worin ausgeführt wird, daß
die Angeklagten einer Secte angehörten,
deren Mitglieder eine Art von Vereinigung
bildeten zum Zivecke der Vernichtung der
Gesellschaft durch Diebstahl, Raub, Brand
stiftung und Mord. Innerhalb und außer
halb des Gerichtsgebäudes sind Maßregeln
getroffen zur Aufrechterhaltung der Ord
nung. Der Präsident verhörte nachein
ander Chatel, den Verfasser der Artikel
in der „Revue Libertaire", die die anar
chistischen Verbrechen verherrlichten, den
Scyweden Agneli, der belgischen Anarchisten
als Mittelsperson diente und Elysee Ba
stard, einen heftigen Redner in anarchisti-
scheu Versammlungen. Alle erklärten, Anar
chisten zu sein, leugneten aber, irgend einer
Vereinigung anzugehören. Bisher ist es
zu keinem Zwischenfall gekommen.
Paris, 3. August. Der Director des
TaubstummeN'Jnstituts zu Paris giebt in
einer neulich erschienenen Broschüre über
die Ausbildung der Sprachorgane
bei den Taubstummen eine Beschreibung
der von ihm zu diesem Zwecke erfundenen
Methode. Dieselbe beruht auf der wissen,
schaftlich festgestellten Beobachtung, daß bei
Taubstummen und Stotternden Bewcgmigs
störiingen der Zunge, Lippen und Athmungs
organe vorhanden sind und bezweckt die
Entwickelung derjenigen Muskeln, die direkt
oder indirekt am Athmungsprozeffe theil,
nehmen. Um die Sprachwerkzeuge der
Taubstummen für den Unterricht im Artiku
liren vorzubereiten, unterwirft Herr Boyer
dieselben einer Reihe methodisch ausgo
führter gymnastischer Uebungen. Die bis
jetzt durch dieses Verfahren erzielten
Resultate berechtigen zu weitgehenden Hoff
nungen. So hat zum Beispiel eine durch
fünf Monate fortgesetzte Behandlung ge
nügt, um bei einem taubstummen Kinde,
dessen Zungen- und Lippenmuskeln eine
Mobilität von 110 resp. 90 Bewegungen
pro Minute besaßen, die Zahl derselben zu
verdoppeln.
Roubaix, 6. Aug. Eine Feuersbrunst
zerstörte vergangene Nacht das hiesige
Leihhaus. Der Schaden wird auf zwei
Millionen Francs geschätzt.
Italien.
Rom, 6. August. Caserios Mutter wandte
sich an Madame Carnot mit der Bitte,
der eigenen Muttergefühle zu gedenken und
zu Gunsten ihres unseligen Kindes Für-
bitte einzulegen. Der Verurtheilte schrieb
an die arme Frau einen Brief, worin er
ihr das Todesurtheil mittheilt und sie bittet,
nicht zu glauben, daß er ein gemeiner
Mörder sei. Sein Herz sei das alte, gute
und weiche gblieben, welches die Mutter
über Alles liebte. Die That vollbrachte
er, weil er das überall wuchernde Unrecht
nicht mehr mit ansehen konnte. Für den
Besuch des Mailänder Priesters sei er
dankbar, er wolle jedoch nicht beichten.
Rom, 6. Aug. Ruggiero Bonghi
legte gestern vor den Wählern von Jsernia
in der Franziskuskirche seinen parlamen
tarischen Rechenschaftsbericht ab. Er sagte:
„Weit ernster als die Finanzlage des Lan-
des sei der Verfall der Sitten. In
Montecitorio, wo man nur den eigenen
Interessen lebe, kümmere man sich darum
nicht. Aber komme nicht ein Staatsmann
mit weitem Blicke, so gehe Italien seinem
Untergange entgegen. Das Volk habe
den Glauben an die Staatsein,
richtungen verloren. Es sehe überall
betrügerischer Bankiers, bestech
liche Abgeordnete, schwächliche
Richter ungestraft den schändlichsten
Mißbrauch mit den Gesetzen treiben, Ge
waltthätigkeiten und Cynismus beherrschen
den Staat. Man müsse die zerrüttete
Volksseele wieder aufrichten. Die Simo-
nisten müssen ihre verbrechen sühnen und
das Abgeordnetenhaus verlassen. Er selbst
werde, wenn sich sonst kein Richter finde,
beantragen, Herrn Giolitti, der so
Furchtbares über das Land brachte, in
den Anklagezustand zu versetzen.
Rach Außen müsse Italien Frieden behalten.
Er habe niemals gesagt, daß Italien aus
dem Dreibund austreten solle. Eine
Wohlthat wäre des jedoch, wenn der
Dreibund sich auflöste, denn dann
würde auch der Zwei bund und mit ihm
der furchtbare Druck aufhören, der Europa
zermalmt.
Rom, 6. Aug. Der seit Wochen lahm
gewordene Verdacht, daß aus den Staats-
Arsenalen von Terni, Brescia und Bo-
logna neue Kleinkalibergewehre
und dazu gehörige Munition verkauft
wurde, hat sich nunmehr bestätigt, nicht
nur abgelehnte Bestandtheile, aus welchen
der Fabrikant Pranzini 1000 Gewehre
zusammengestellt, sondern auch eine voll
ständige Reitermuskete wurden gleichzeitig
mit einer großen Menge neuer Muni
tion aus den genannten Arsenalen an
Private unter der Haud verkauft. Die
Polizei konnte auf die ausgeführten Stücke
rechtzeitig Beschlag legen. Die Gerichts-
Untersuchung ist im Zuge. Der Eindruck
ist ein unsagbar peinlicher. — Schwindel
und Spitzbüberei überall.
Als Mörder des italienischen Journa
listen Bandi ist nunmehr thatsächlich in
Livorno der Anarchist Lucchesi er
kannt worden. Bekanntlich hatte er
jede Theilnahme an der Ermordung Bandis
bestritten, sowohl den französischen Behör
den gegenüber wie auch bei seinem Verhör
in Livorno gegenüber dem italienischen
Untersuchungsrichter. Er behauptete auch,
leicht sein Alibi nachweisen zu können.
Anfangs schien die Konfrontation mit dem
Kutscher Bandis und mit anderen Augen
zeugen des Mordes zu seinen Gunsten aus
zufallen. Die Zeugen konnten in Lucchesi
den Mörder nicht mit Bestimmtheit wieder
erkennen, da er sich in der Zwischenzeit
den Bart hatte stehen lassen. Als ihm
aber der Bart abgenommen wurde, erkann
ten ihn alle Zeugen mit Bestimmtheit wie-
Man sagt.
Roman von E. von Wald-Zcdtwitz.
Nach und nach wurde das Denken Bertha's
auf Hartwig von Römhild, ihren Stiefsohn,
gelenkt, den sie niemals gesehen hatte. —
Es war natürlich, denn heute Morgen hatte
sie aus Sumatra einen Brief Hartwig's er
halten, worin er ihr seine Rückkehr nach
Deutschland mittheilte und zugleich in der
herzlichsten Weise anfragte, ob er die Witwe
seines Vaters, die diesem eine so treue Lebens
gefährtin gewesen, aufsuchen dürfte.
„Treue Lebensgefährtin," flüsterte Bertha
nachdenklich vor sich hin. War sic ihm das
wirklich gewesen? — Ja, sie hatte m Allem
>hre Pflicht gegen ihn gethan, aber ihr
Herz . „0 — er sieht verklärt
auf mich nieder — er wird es mir nicht zur
Sünde rechnen."
Bertha beendete ihr Mittagsmahl und schrieb
sofort an Hartwig von Römhild, welcher sich
hie Antwort aus seinen Brief postlagernd
Brindisi erbeten hatte.
»Herzlich — herzlich willkommen!" schloß
"as Schreiben.
»Aber wie wird cs werden, wenn Heinz
Königshofen und Hartwig sich begegneten?
j^eiß Hartwig um die Freundschaft, welche
ösiscn Vater mit dem scinigrn verband? —
^ siche Vermuthungen werden in Beiden anf-
s Eigen, wenn sie entdecken, daß ich Schweigen
trüber bewahrte?"
^ ^icrtha's Unruhe steigerte sich wieder. Bald
sie sich vor, offen mit Heinz zu sprechen,
°»n aber verwarf sic diesen Gedanken wieder.
»Das Andere — das Andere — es könnte
ai)£ i zur Sprache kommen — und ich möchte
es vermeiden — der Kinder meines Gatten
— und seiner selbst wegen. Ich möchte ihnen
ein reines, ungetrübtes Bild ihres Vaters er
halten." —
Sie seufzte schwer. „0, diese Heimlich
keiten!" 0uälende Zweifel erfaßten Bertha'
Genlüth.
„Ehrlich gegen sich selbst zu sein, ist schwer
aber cs ist die Hauptsache im Leben. Nur
keine Selbsttäuschung."
Und Bertha überlegte, ob es denn wirklich
die angegebenen Gründe allein waren, welche,
ihr den Mund verschlossen. Würde sie stark
genug sein, wenn sie der Freundschaft des
verstorbenen Herrn Königshofen gedachte,
ganz^ zu verbergen, daß sie mehr als solche
lhr ihn empfunden? Welchen Eindruck mußte
eine solche Vermuthung aber ans den Sohn
machen - der - ,.O, mein Gott
er mit seinem sprühenden Herzen — der
à alt mußte sie ihm dann erickcinen?
Wie mußte ihn diese Entdeckung ernüchtern?
— Und wurde sie dieses ertragen?
Sie sprang auf. „Nein! Nein! Ich
nichts für ihn! nichts! nichts! — Es ist
der Geist seines Vaters, der aus ihm zu mir
spricht — es ist die Seele seines Erzeugers,
die sich da mit der meinen vermählt, die
mein Inneres erfüllt — — sein Vater —
sein Vater — und er nicht — er nicht!"
Bertha ließ sich schwer auf das Kanapee
fallen.
Zufällig erhob sie den Blick zu dem Bilde
ihres Gatten. „Du siehst ruhig . auf meine
Schmerzen, Du weißt jetzt, was ich litt, wie
ich kämpfte und siegte. — Ich kann ruhig
u Dir aufblicken, Du lieber Freund Du. —
Ja, das warst Du mir stets. Dm süßen
Regungen des Herzens konnte ich ja nicht
gebieten, aber meine Ehre war stärker in mir
als sie — Gott sei gelobt!"
Lange saß Frau Römhild in solche süß.
schmerzliche Gedanken vertieft da, als der
Kutscher sich melden ließ, uni mit der Frau
Baronin einige Augenblicke zu sprechen.
Bertha begrüßte diese Unterbrechung freudig.
Die Praxis des Daseins erschien ihr als
rettender Engel vor sich selbst. Im Stalle
sollten noch diese und jene Veränderungen
vorgenommen werden, die Beschaffung des
Futters bereitete Schwierigkeiten.
„Gehen Sie zum Herrn Hofmarschall von
Maurer," sagte sie endlich, „und besprechen
Sie es mit ihm."
Eine Stunde später erschien dieser selbst,
thatkräftig wie immer, und Alles löste sich
nach Wunsch.
Es jwar wieder ein Augenblick, wo sie
die Freudschaft dieses Mannes yls ein kost
bares Gut empfand, überall stand er ihr mit
Freuden rathend und helfend zur Seite.
* *
*
Der „Reuterkrug" war ein kleiner, winke
liger Gasthof, ein Ueberbleibsel aus der guten
alten Zeit, wo noch kein Dampfroß das stille
thüringische Thal durchleuchte, sondern noch das
Extrapostsignal durch die krummen, winkeligen
Straßen schmetterte und der sechsspännige
Frachtwagm die Waarenballen beförderte.
Diesen alten, früheren Ausspann, welcher
Ich rühmen konnte, die besten Speisen und
Getränke zu reichen und von der originellsten
Wirthin geleitet zu werden, hatten sich die
Hofschauspieler sowohl, wie die 0ffizierc, zu
ihrer Stammkneipe gewählt.
In einem Zimmer saßen die Jünger
Thalia's, meist mit den Damen der Kunst,
im anderen die des Mars, und nur selten
geschah es, daß Einer oder der Andere in
das fremde Revier hinüberging.
Heinz Königshofen, welcher bis dahin,
durch Lieutenant Mohrberg eingeführt, bei
den 0fsizieren verkehrt hatte, fand cs jetzt,
da er Aussicht hatte, als Eleve bei dem Hof-
theater eingestellt zu werden, an der Zeit,
sich seine zukünftigen Gefährten und Gefähr
tinnen einmal anzusehen, und beschloß daher,
dm heutigen thcaterfreie» Abend im anderen
Zimmer zuzubringen,
Er fand schon einen Theil der Herren und
Damen versammelt, als er eintrat. — Wie
das durcheinander schwatzte und lachte, wie
ein Volk sich zankender Spatzen war es an
zuhören.
Die Damm schienen dem Chorpersonal
anzugehören, oder doch wenigstens nur kleine
Rollenfächer zu vertreten, während sich unter
dm Herren auch sogenannte „Erste Führer"
befanden. Heinz stellte seine Betrachtungen
über die eigenthümlichen, blaffen, abgespannten
Gesichter der Herren an, auf denen sich die
Leidenschaften, welche sie auf dm die Welt
bedeutenden Brettern darstellten, im Verein
mit dm Linien, welche das aufreibende, int
[täte nächtliche Leb cm darin gezogen, tief ein
gemeißelt hatten.
Der fehlende Bartwuchs, die durch das
häufige Schminken graugclbe Hautfarbe, die
theils phantastische, theils abgetragene Kleidung,
welche doch noch immer elegant sein wollte,
verstärkte dm wenig anziehenden Eindruck,
dm er von: Aeußcren seiner zukünftigen
Genossen empfing.
Unwillkürlich strich Heinz seinen wohlge-
pflcgtm Schnurrbart und warf einen ver
stohlenen Blick in dm Pfeilerspiegel, der ihnr
seine von gesunder Frische strotzenden Wangen,
seine lebhaften Augen und seine vornehme
Kleidung zurückwarf. Sollte er dies alles
wirklich verlieren, wenn er sich der Bühne
widmete?
In diesem Augenblicke erschien die Leibes
fülle der alten „Hcrbcrgsmutter", wie sie hier
allgemein genannt wurde, in der Thür.
„N'Abmd auch allz'ammm!" rief sie mit
heiserer, fetter Stimme in das qualmige
Zimmer hinein.
Eins — zwei — drei — n'Abmd auch!"
tönte es im Chor von dem Tische der Künst
ler zurück.
„Nanu, was bedeutet mich das?" wandte
sie sich jetzt an Heinz, der sich abseits an
einen Tisch gesetzt hatte. „So vereinzelt,
das gilt hier nicht! Bei Mutter Pflaumen
is Alles cm Herz und eme Seele. Kommen
Sie auch mal mit her. Wie heeßm Sie
doch man blos? Ich habe Ihnen ja schon
drüben bei die Rothen gesehen, un nu sitzen
Sie mang die hier hüben. — Na, wie sie
heeßm, wissen Se ja schon von alleme, nu
stellen Sie sich man sclberscht vor. — Hi er
bringe ich Ihnen Emen gebracht,, meine
Madamchens und meine Hcrrms, ich globe
richtig — ich habe schon drüben so cm
Vögelchen singen hören, daß er och so Eener,
wie Sie da, werden will."
DieHerbergsmuttcr hatte, zwischen Heinzm's
Tisch und dem der Schauspieler stehend, ihre
Rede halb an diesen, halb an Jene gehalten,
'o daß dm: Ersteren nichts weiter übrig blieb,
als sich dem Anderen vorzustellen.
„Mein Name ist Königshofen."
„Sehr anjenehm — Sie — Mutter, jcbm
Sie mal dm Zettel von jestern, von die