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1888.
Aus
Raiser Irieismdis tanráuá.
1870/71.
Das soeben erschienene Octoberheft der
„Dentschen Rundschau" enthält Auszüge aus
dem Tagebuch, welches der damalige Kron
prinz während deS französischen Krieges ge
führt hat. Wohl gemerkt, nur Auszüge,
auf die sich der Einsender „aus Gründen der
Diskretion" beschränkt hat, aber auch diese
Auszüge enthalten eine Fülle von Material
zu der Geschichte jener großen Zeit und zur
Charakteristik der historischen Persönlichkeiten,
sowie zur Abmessung des Antheils, den sie
an den Ereignissen und ihren Folgen gehabt
haben. Die Welt hat seither die Geschichte
der Jahre 1870 und 1871 nur vom Zu
schauerraum aus gesehen, die Aufzeichnungen
Kaiser Friedrichs führen uns zum ersten
Male hinter die Coulissen und von da
aus nimmt sich denn auch auf der Bühne
gar Manches anders aus, wie von den Sitzen
im Parquet und in den Logenreihen; da tritt
mancher dunkle Punkt in Hellem Lichte hervor
und auch mancher Glanz wird ein wenig
beschattet.
Die nachfolgende Skizze macht keinen An
spruch auf Vollständigkeit; sie bezweckt nur,
die Leser auf die hohe Bedeutung der Auf
zeichnungen aufmerksam zu machen und sie
an der Hand eines Leitfadens zu der Quelle
zu führen, aus der sie aus vollem Maße
schöpfen können; sie will außerdem dem An
denken Kaiser Friedrichs, das selbst von soge
nannten Historikern vielfach verdunkelt wird,
Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Unter diesem Gesichtspunkte mag unsere Dar
stellung gewürdigt werden.
Kaiser Friedrich schildert in den Tagebüchern
vom Juli 1870 den Ausbruch des franzö-
schen Krieges. Wir erfahren auch manche
neue Einzelheiten. „Bismarck und Moltke
hielten Stärke und Verfassung des französi
schen Heeres nicht für besonders." König
Wilhelni wollte a>n 11. Juli nur die Mobil
machung des 7. und 8. Armeekorps befehlen,
da sicherlich die Franzosen in 21 Stunden
vor Mainz sein würden, „ich drang auf
sofortige Mobilmachung der ganzen
Armee und Marine, weil keine Zeit zu
verlieren, dies wird angenommen, was ich
dem Publikuni verkünde; der König umarmt
mich in tiefster Bewegung, wir Beide fühlten/
ivarunl es sich handle, er besteigt mit mir
den Wagen, begeisterter Empfang, ich mache
den König auf die „Wacht am Rhein" auf
merksam, in diesem Augenblicke f ü h l t e I e d e r
die feierliche Bedeutung der dazu
gehörigen Worte." — 16. Juli. Es
werden drei Armeen gebildet, ich soll die süd
deutsche führen, habe also den allerschwierigsten
Auftrag, mit jenen uns abholden und keines
wegs in unserer Schule ausgebildeten Truppen
einen so tüchtigen Gegner zu bekämpfen, wie
es das französische Heer sein wird, der sich
lange vorbereitet und sicherlich sogleich in
Süddeutschland einfällt. 18. Juli. Allge-
gemeine Begeisterung, Fahrt mit dcnr König
nach Charlottenburg, am Todestage der Kö
nigin Luise, wo wir längere Zeit und recht
beklommenen Herzens am Grabe der Groß
eltern beteten; beim Hinaustreten sagte ich
meinem Vater, daß ein Kampf, unter sol
chen Umständen unternommen, gelingen
müsse. Ruhiger Nachmittag mit Frau und
Kindern. 20. Juli. Zu Moltke, der räth,
noch nicht nach Süden zu gehen, Bismarck
dagegen räth, sofort und en clair den süd
deutschen Fürsten meine bevorstehende Ankunft
behufs persönlicher Meldung telegraphisch an
zuzeigen, weil der Eindruck vorzüglich sein
werde, sobald als möglich, solle ich dann an
jene Höfe gehen, der König stimmt zu, die
Telegramme gehen ab. 21. Juli. Taufe
im höchsten Staat, der König ist zu ergriffen,
um das Kind zu halten, ernste Feier, wer
von uns wird wiederkehren? aber, wir
siegen! Ich bin ganz darauf gefaßt, eine Re
servestellung einzunehmen, die hauptsächlich in
der Flanke der Zentrumsarmee zu wirken be
rufen sein wird, denn große Unternehmungen
werde ich schwerlich ausführen können. 25.
Juli. Mit meiner Frau in der Stille am
Grabe Sigismund's zum heiligen Abendmahl,
erfahre, daß ich morgen abreisen soll. 28.
Juli. Aus Stuttgart. Die Begeisterung
bei der Abreise macht mich fast verlegen,
man überreicht mir ein Bouquet in nord
deutschen Farben, welche Verpflichtung legt
uns diese Haltungdesdeutschen Volkes
auf? 29. Juli. Karlsruhe. Unser Haupt
gedanke ist, wie man nach erkämpftem Frieden
den freifinnigen Ausbau Deutschlands weiter
führe. 1. August. Ich habe das Vorgefühl,
daß mit diesem Krieg ein Ruhepunkt im
Schlachtenschlagen und Blutvergießen eintreten
muß, jetzt aber gilt mein Wahlsprnch: „Mit
Gott furchtlos und beharrlich vorwärts!"
Das Tagebuch schildert alsdann die Schlacht
bei Weißenburg und die Schlacht bei Wörth.
Mac Mahons zäher Widerstand, allmählich
kämpfend abzuziehen, war bewunderungswürdig,
allein er überließ mir die Wahlstatt, ich
konnte das Ganze leiten, Blumenthal und
Gottberg standen mir trefflich zur Seite,
1'/ 2 Uhr konnte ich dem König den Sieg
melden. Die Mitwirkung der Süddeutschen
hat den Kitt für die verschiedenartigen Truppen
gegeben, die Folgen werden von ungeheurer
Tragweite sein, wenn wir den ernsten Willen
haben wollen, einen solchen Augenblick nicht
unbenutzt vorübergehen zu lassen.
7. August. Nach einem Gespräch mit
Roggenbach: Ich bleibe dabei, daß wir
unmöglich nach erlangtein Frieden uns mit
der bloßen Anbahnung neuer Bestrebungen
im deutschen Sinne begnügen können, vielmehr
verpflichtet sind, dem deutschen Volke etwas
Ganzes, Greifbares zu bieten, und man hier
für das Eisen der deutschen Kabinette schmieden
muß, so lange es noch warm ist.
Nach der großen Schlacht bei Gravelotte
schrieb Kaiser Friedrich am 23. August:
Steinmetz scheint ohne Veranlassung stjork
spielen zu wollen. Den König wieder ge
sehen, der wieder fester; ich setze mit Mühe
durch, daß das eiserne Kreuz auch
Nichtpreußen verliehen wird.
Unmittelbar nach dem Tag von Sedan
schrieb Kaiser Friedrich am 3. September:
„Donchöry. Bismarck besucht mich, wir
behalten Elsaß, in deutscher Verwaltung für
Bund oder Reich. Der Kaiseridcc wurde
kaum gedacht, ich merkte, daß er ihr nur be
dingt zugethan sei, und nahm mich in Acht,
nicht zu drängen, obwohl ich überzeugt bin,
daß es dazu kommen muß, die Entwicklung
drängt dahin und kann nicht günstiger kommen,
als durch diesen Sieg. M e i n e S 0 r g e i st,
daß das Resultat des Krieges den
gerechten Erwartungen des deut
schen Volkes nicht entspreche."
Wiederum kehrt am 6. September eine frühere
Betrachtung wieder. „Meine Hoffnung auf
den Ernst des Volkes, Pflicht _ freist«*
nigen Ausbaues des staatlichen itnb
nationalen Lebens; wird jetzt in der
Aufregung der rechte Augenblick verfehlt, so
treten mit der llnthätigkeit die Leidenschaften
auf Abwege." 12. bis 11. September.
Elsaß-Lothringen: Reichslandc ohne Dynastie,
Verwaltungsrath aus Eingeborenen; es kommt
darauf an, sie vom großen französischen
Staatskörper loszulösen, sie aber fühlen zu
lassen, daß sie Mitglieder eines großen Staates
und nicht verurtheilt sind, die Kleinstaaterei
mitzumachen. . . .
Unmittelbar nach der Kapitulation von
Straßbnrg drängt den Kaiser Friedrich das
Herz, die Schäden des Bombardements wieder
gut zu machen. Er schreibt am 28. Sep
tember: Ich schreibe an den König, Alles
für die Herstellung des Münsters, der Biblio
thek u. s. w. in Bewegung zu setzen.
30. September. „Ich rede Sc. Majestät
auf die Kaisers rage an, die im Anrücken
begriffen; er betrachtet sie als gar nicht in
Aussicht stehend, beruft sich auf du Bois-
Reymond's Aeußerung, der Jmperialisnins
liege zu Boden, so daß es in Deutschland
künftig nur einen König von Preußen,
Herzog der Deutschen geben könne. Ich zeige
dagegen, daß die drei Könige uns nöthigen,
den Supremat durch den Kaiser zu ergreifen,
daß die tausendjährige Kaiser- oder Königs
krone nichts mit dem modernen Imperialismus
zu thun habe, schließlich wird sein Wider
spruch schwächer." 5. Oktober: „Delbrück
herberufen, um die Widersprüche seiner Berichte
und Telegramme aufzuklären. Bismarck will
korrekt nichts überstürzen; er mißbilligt
Jacoby's Verhaftung und besorgt
deren Einfluß auf die Wahlen, kann aber den
König nicht zur Befreiung überreden. Vogel
von Falckenstein ist kein Politiker, will Alles
machen und verbittet sich Rechtsbeistände;
der König mag ihn nicht desavouiren."
9. Oktober: „Bismarck faßt die Kaiser
frage ins Auge, sagt mir, er habe 1866 ge
fehlt, sie gleichgiltig behandelt zu haben, .er
habe nicht geglaubt, daß das Verlangen im
dentschen Volke nach der Kaiserkrone so mächtig
sei, als es sich jetzt herausstelle und besorgt
nur Entfaltung großen Hofglanzes,
worüber ich ihn beruhige "...
Angesichts des nahe bevorstehenden
Geburtstages des Kaisers werden die
nachstehenden Zeilen, welche er bei seiner
Geburtstagsfeier im Felde am 18. Okt. 1870
schrieb, mit ganz besonderer Rührung gelesen
werden: 18. Oktober: „Diese einzige Feier
ineincs Geburtstages weist mich ganz besonders
auf den Ernst der Aufgabe, die ich einst auf
deutsch-politischem Gebiete lösen muß; denn
ich hoffe in Zukunst keine Kriege mehr zu
erleben und daß dies mein letzter Feldzug
sein möge. Unverkennbar blicken Viele mit
Vertrauen ans die Aufgabe, die einst, so Gott
will, in meinen Händen ruhen wird, und ich
empfinde für die Lösung derselben auch eine
gewisse Zuversicht, weil ich weiß, daß ich mich
des in mich gesetzten Vertrauens ivürdig er
weisen werde. ... Ich entdecke, daß man
Ueblcs gegen England im Schilde führte, das
ist vorüber, aber ob die Borliebe für Ruß
land und Amerika nicht doch einmal dem Haß
gegen England Luft macht, kann kein Mensch
wissen. Twcstcns Tod ist ein uner
setzlicher Verlust. .. . 20. Oktober.
„Telegramm von Friedrich Karl: „Gratulire,
mein Herr General-Feldmarschall!" Andert
halb Stunden später erhalte ich meine Er
nennung. Die rührenden und ergreifend
schönen, anerkennenden Worte derselben, vor
allein aber das Wort, daß meine brave
Armee in dieser bisher einem Prinzen des
Hauses noch niemals erwiesenen Beförderung
eine Auszeichnung für ihre Leistungen erkennen
solle, halfen mir über das beklommene Ge
fühl hinweg, daß nun auch mit dieser, doch
eigentlich schönen, alten Familientradition ge
brochen sei. Friedrich Karl wird diese Ernennung
mehr als etwas Erwartetes aufgenommen
haben. Moltke ist Graf geworden. Ich veranlaßte
den Großherzog von Baden zu kommen,
Dalwigk zeigte sich sehr coulant, null Anträge
auf Rcichsminister und Oberhaus stellen.
Roggenbach ist und bleibt der einzig Ver
nünftige und Zuverlässige unter den anwescn-
den Staatsmännern." Inzwischen wurde mit
den süddeutschen Staaten fort und fort ver
handelt. „Konfusion der bayerischen Unter
handlungen, die Instruktionen kommen aus
dem bayerischen Hochgebirge. In Berlin ver
langen die Laien im warmen Zimmer Be
schießung von Paris. Dalwigk entwickelt mir
zu meinem Erstaunen sein Programm der
der deutschen Frage. Prinz Otto von Bayern,
der Behufs Mittheilung wichtiger Aufträge
plötzlich nach München berufen ist,, besuchte
mich zum Abschied; bleich, elend, wie im Fieber
schauernd, saß er vor mir, während ich ihm
die Nothwendigkeit der Einheit von Militär,
Diplomatie und des Oberhauses darlege.
Ob er diese Dinge begreift, konnte ich nicht
von ihm herausbekommen, nicht einmal ob er
wirklich zuhörte." 12. Nov. „Roon und
Podbielski beklagen sich, nichts zu wissen,
Bismarck ist entsetzt, daß solche preußische
Partiknlaristen überhaupt mit der An
gelegenheit zu thun haben. Ledychowski
erkundigt sich, ob der Papst Aufnahme in
Preußen finden werde? Bismarck würde
das Verlassen Roms für einen ungehuren
Fehler Pio Nono's halten, aber sein Aufent
halt in Deutschland könne gut wirken, weil
die Anschauung der römischen Priesterwirth
schaft die Deutschen kuriren werde. Der
König und ich sind entschieden dagegen."
Ausland.
Außereuropäische Reiche.
Von Cuba eingelaufene Postnachrichten
bringen weitere Einzelheiten über einen hefti
gen Cyclon, welcher am 1. und 5. d. M.
die gesammtc Provinz Santa Clara heim
suchte. Der angerichtete Schaden zählt nach
Millionen Dollars. In Sagua blieben kaum
20 Häuser unbeschädigt. Die Flüsse traten
über ihre Ufer und die Schiffe scheiterten oder
strandeten; einige wurden sogar in die Straßen
der Stadt getrieben. Der Verlust an Men
schenleben ist groß. In Cardenas kamen 100
Personen um, in Caibarien 70, auf der gan
zen Insel insgesammt 1000. Viele Leute
wurden auch von den herabfallenden Trümmern
verletzt.
Rewyork, 18. Sept. Herrn Professor
v. Esmarch nebst dessen Gemahlin ist
während ihrer Reise in Amerika von dem
bekannten Eisenbahnkönig Vanderbilt ein
glänzend ausgestatteter Salonwagen zur Ver
fügung gestellt.
Rewyork, 19. Sept. Aus Jacksonvill wird
berichtet, daß seit dem Ausbruch des gelben
Fiebers bis jetzt 1203 Personen erkrankt und
153 gestorben sind.
Rewyork, 20. Septbr. In vielen Orten
der Staaten Rewyork und Pensylvanien haben
Ueber sch w emmun gcn stattgefunden. In
der Stadt Manayunk int letzteren Staate
steht das Wasser 10 Fuß hoch, so daß in
dem Fabrikdistricte alle Maschinen stille stehen.
Frankreich.
Paris, 21. Scpt. Der Strike der
Kohlenarbeiter in: Loire - Departement
nimmt bedenkliche Dimensionen an. Fast alle
Schachte des Beckens von Saint - Etienne
stellten gestern die Arbeit ein. Die Striken-
den hatten die Schacht-Eingänge besetzt und
verhinderten den Abstieg. Die Forderungen
der Arbeiter scheinen unerfüllbar; sie würden
eine Preissteigerung der Kohle zur Folge
haben, welche viele Industrien ruinireu würde.
Paris, 21. Scpt. Durch das Verhalten
eines Theiles der Pariser Presse giebt die
gestern in B e l f 0 r t vorgefallene tödtliche V e r-
wundung eines französischen Offi
ziers durch einen sechszehnjührigen Tauge
nichts wieder den Anstoß zu einer Deutschen
hetze. Der Hergang des Vorfalles war fol
gender. General Dorlodot, Gouverneur von
Belfort, wurde auf der Straße von 1 halb
wüchsigen Burschen verspottet. Zwei Lieute
nants vom 35. Regiment schritten ein und
wollten einen Attentäter zur Wache führen.
Derselbe widersetzte sich und stach einem Lieu
tenant mit einem Küchenmesser in die Brust.
Obgleich nun die Nationalität des Mörders
nicht festgestellt ist und obwohl selbst die chau
vinistische „France" heute meldet, daß er
wahrscheinlich kein Deutscher sei, nimmt
dennoch das „XIX. Siöcle" sowie die näm
liche „France" in ihrem Leitartikel an, daß der
Mörder ein Deutscher sei. Der „National"
schließt sogar schon einen „Die Deutschen in
Frankreich" überschriebenen Artikel mit den
Worten: „Man muß die Abgesandten